Weitere Vorstellung im Krefelder Stadttheater:
15. 1., 10. 2., 21.2 jeweils ab 19.30 Uhr Duisburg,
29. Dezember 2016 - Die meisten der 500 Premieren-Besucher
waren wohl nicht in der Krefelder Hausbesetzer-Szene der
70er-Jahre (falls es so eine gab) aktiv. Es war ein eher
konservativ erscheinendes Publikum, das einem der größten
musikalischen Politaktivisten seine Aufwartung machte, dem
„König von Deutschland“, zu dem Rio Reiser sich in den
80er-Jahren zynisch selbst ernannte.
Es gab Besucher, die kannten nicht viel von seinem
musikalischen Schaffen: „Wir wussten gar nicht, welch schöne
Songs Rio Reiser geschrieben hatte“, konstatierte ein
Ehepaar nach der Vorstellung. „Die 20-jährigen können wohl
gar nichts mehr mit ihm anfangen.“
So hatte sich ein
konsequentes Ü-50 Publikum eingefunden, dass sich auf einmal
mit längst überholten und verworfenen Idealen der
APO-Bewegung und der Studentenproteste entlang der
70er-Jahre auseinandersetzen musste. Parolen wie „Hoch
die Internationale Solidarität“, „Ho-ho-Tschi-minh“ waberten
ansatzlos antiautoritär von der Bühne. Der einzige
Verbündete schien der in der ersten Reihe mit hochtoupierten
Haaren auf Punk getrimmte Besucher zu sein, der eine mit dem
kreisrunden „Anachy-A“ verzierte abgewetzte Lederjacke trug.
„Macht kaputt, was Euch kaputt macht!“
Adrian Linke als Rio Reiser fing diese diffuse Masse sofort
mit dem rauen Timbre seiner Stimme ein, schaffte den
ideologischen Überbau, der ihn als Menschen zeigte, der
einfach nur gute Songs schreibt – und dabei an der
Zeitlosigkeit kratzt. Er lieferte ein introvertiertes
Psychogramm des Rocksängers, der bis zu seinen großen Hits
der 80er-Jahre ständig im mit Geldnöten verbundenem
musikalischen Untergrund schwelte.
Denn da
grassierte seine Band „Ton Steine Scherben“, die das „VEB“
noch basisdemokratisch bei der Gründung aus ihrem Namen
strich, wie es die Bandmitglieder um Gitarrist R.P.S Lanrue
(Philipp Sommer) in unaufgeräumter WG-Atmosphäre auf der
Bühne beschlossen. Genauso gut hätten sie „Die Kinder vom
Bahnhofsklo“ heißen können, waren seit ihrer Entstehung
1970 Dauergast auf von linken Gruppierungen organisierten
Konzerten oder Polit-Demos. Den Auf– und Abbau bei diesen
Solidaritätskonzerten müssten sie selber stemmen, ansonsten
wurden sie aus Sicht der Veranstalter zu „Verrätern am
ideologischen Überbau“. Dieser zerbröckelt aber, in dem
Adrian Linke seinen Rio Reiser keine politischen Parolen
proklamieren lässt, eher schimmert es durch, dass seine
Gefühle aus ihm herausquellen, er die Enge der jungen
Republik spürt und mit seinen Songs daraus ausbricht.
„Zauberland
ist abgebrannt“ und „Der Traum ist aus“ sind beste
Beispiele, die von der sehr guten Band um Arrangeur und
Multiinstrumentalist Heiner Kondschak, der selbst als
zotteliges, schlaksiges Relikt der Alt-68er erscheint,
gespielt werden. Ja Reiser-Songs vertragen auch
eine Partitur für Mandoline, Akkordeon und Sologeige, da ist
eine gute Grundlage, auf dem die Band freie Bearbeitungen
der Lieder perfektionieren kann. Sehr gut hier Eva Spott mit
versierten Violinensoli, die auch gleichzeitig, wie alle
Darsteller in die Rolle des Reporters schlüpft, um den
Werdegang der Band im Zusammenspiel mit Hausbesetzer-Szene
und RAF-Terror bis zur Auflösung der „Scherben“ im Jahr 1985
zu dokumentieren. Am Ende steht Rio Reiser, sehr
zurückhaltend und feinfühlig gespielt von Adrian Linke, als
Held, da, als einer der sich scheinbar von keiner Ideologie
vereinnahmen hat lassen – vielleicht nur von seinen
Emotionen.
Fotos Stutte Krefeld Für viele junge Besucher
ist das Theaterstück eine gute Einführung in die politischen
Verhältnisse der 70er-Jahre, wobei sie Abkürzungen wie KPD,
MLPD und SDS nur vom Namen erklärt bekommen, die nähere
Bedeutung selbst googlen müssen. Und viele der
Zuschauer brennen auf den Mega-Hit „Junimond“, den sie kurz
vor dem 10-minütigen Zugabenteil, von Adrian Linke und der
versierten Band in einer rockigen Version präsentiert
bekommen.
Fazit: Die Combo könnte als „Rio
Reiser“-Coverband ohne weiteres auf Tournee gehen –
Nostalgie entsteht, in dem das am Ende wie bei einer
APO-Veranstaltung johlende, ursprünglich eher konservative
Publikum in einer ideologiefreien Zeit bemerkt, dass es mal
größere Ideale als jetzt gab....
Weitere Vorstellung
im Krefelder Stadttheater: 15. 1., 10. 2., 21.2 jeweils ab
19.30 Uhr.
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