Wieder am 7. Mai 2017 im Theater
Mönchengladbach Duisburg, 02. Dezember 2016 -
Der Schriftsteller Fjodor M. Dostojewskij hatte wohl kurz
vor dem Schreiben einen Traktat Napoleons III. „Histoire de
Jules Cesar“ gelesen, in dem der französischer Herrscher
sich damit befasst, dass es außergewöhnliche Menschen gibt,
die Geschichte schreiben. Dostojewskij baut diesen Gedanken
in seinem Hauptwerk „Schuld und Sühne“ weiter aus, und
geht der These nach, ob außergewöhnliche Menschen Verbrechen
begehen dürfen, um sich über die Gesellschaft zu stellen und
ihr eine neue gedankliche Ausrichtung zu geben.
Rodion Rosumytsch Raskolnikow, gespielt von Phillip Sommer,
ist die Hauptfigur in dem Drama, das im zaristischen St.
Petersburg verortet ist. Er ist ein leidenschaftlicher
junger Intellektueller, der aus Geldesnot sein Jurastudium
aufs Eis legen musste. Rodion Raskolnikow begeht den Mord an
der Pfandleiherin, aus Getriebenheit im Fieberwahn, aber als
ursprünglicher Antrieb, gilt für ihn, dass er als
außergewöhnlicher Mensch, diesen Mord begehen darf – zumal
die Pfandleiherin ja eine Betrügerin und eine Wucherin,
somit eine „Laus“ und schädlich für die Gesellschaft ist.
In der Inszenierung am Krefelder Stadttheater arbeitet
Regisseur Matthias Gehrt das psychologische Verhör zwischen
Raskolnikow und seinem brillanten Gegenspieler heraus, dem
Kriminalermittler Porfirij Petrowitsch, exzellent
verkörpert von Michael Ophelders. Man hat den Eindruck, dass
Petrowitsch sofort den jungen Schwindsüchtigen als Mörder
der alten Frau durchschaut hat, was in dem Roman über
weitläufige Passagen lange offen bleibt. So erinnert sein
Spiel an einen selbstgefälligen Christoph Waltz, der in
Tarantinos „Inglorious Bastards“ als Judenjäger die
Abtrünnigen zur Verzweiflung führt, wohlwissend, dass sie
„schuldig“ sind.
Fotos Stutte | Krefeld Es ist die Freiheit,
die der Ermittler dem Mörder gewährt, rastlos und fiebrig,
zieht Raskolnikow seine quadratischen Kreise auf der Bühne,
bis sich später die Wand nach vorne schiebt und den
Hauptakteur in die Enge treibt. Durch die selbstgefällige
Spielweise Petrowitschs mit ihm fühlt sich Raskolnikow
angezogen – wie eine Motte vom Licht. Es ist die
Schmeichelei, der scharfsinnige Geist und die
Aufmerksamkeit, die ihn wieder und wieder zu ihm treibt.
Hier treffen Narzist und selbstgefälliger Egomane
aufeinander. Der Narzist Raskolnikow, der sich in dem
„außergewöhnlichen“ Mord an der Wucherin für einen Moment
widerspiegeln kann, ihn aber später mehr und mehr vor seinem
Gewissen rechtfertigen muss, der Egomane Petrowitsch, der
sich an seiner Genialität der Verbrechensaufklärung
berauscht. Raskolnikow, der eigentliche Theoretiker, der
einen genialen Aufsatz „Über das Verbrechen“, in einer
Petersburger Zeitung veröffentlicht hat, entlarvt sich immer
mehr, indem er versucht, ein Verbrechen wie Mord als nicht
gesetzlos zu rechtfertigen, wenn es höheren Idealen dient.
In der düsteren Inszenierung erscheint der am Ende
überführte Raskolnikow als Leidender, über das
biblische Thema der Auferstehung des Lazarus, ja sogar als
vom Kreuz gestiegener Jesus. Am Ende taumelt er, nachdem er
sich vorher noch Abbitte bei der Prostituierten Sonja (Anna
Pircher – sehr ausdrucksstark) erbeten hat. Umso
diabolischer wirkt Ermittler Petrowitsch, er verschwindet in
der schwarzen Bühnenwand, nachdem er Raskolnikow sagt, dass
er seinem Gewissen nicht wird entfliehen können – und
bekommt somit teuflische Züge. Genau daran zerbricht
Raskolnikow, delirierend gespielt von Phillip Sommer am Ende
– und legt sich selbst die Fesseln an. Gelungen erscheint
auch, wie der Mord selbst im Zeitraffer als Rückblende
inszeniert wird, nur Zeugenaussagen vom Kleinbürger (Ronny
Tomiska), dem Koch (Adrian Linke) und Nikolka (Michael
Grosse) – somit verschwindet der „Tatort“-Effekt der
Verbrechensaufklärung gänzlich hinter dem psychologischen
Spiel der beiden Hauptcharaktere.
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