Duisburg, 09. November 2017 - Kann sich ein einzelner über
das Gesetz stellen, und ein vollbesetztes Flugzeug
abschießen, wenn es dazu dient, einen größeren Anschlag auf
ein mit 70000 Menschen gefülltes Stadion mit dieser Aktion
zu vereiteln? Was ist in dem Moment mit der Würde der im
Passagierflugzeug befindlichen und vom Kampfflieger
getöteten Menschen? Kann man Menschenleben mit Menschenleben
aufwiegen? Diese Fragen beschäftigten knapp 500 Zuschauer
bei dem Theaterstück „Terror“ von Ferdinand von Schirach in
der Rheinhausen-Halle.
Das Besondere: Das Publikum
agierte als Schöffengericht und durfte in der Pause, nach
der Beweisaufnahme quasi, abstimmen, ob der
Kampffliegerpilot, der das Passagierflugzeug eigenmächtig
abschoss, nach geltendem Recht zu verurteilen ist.
Nun, um es vorwegzunehmen: 273 Rheinhauser Schöffen stimmten
für „unschuldig“, lediglich 76 der teilnehmenden Zuschauer
plädierten für eine Verurteilung des Kampffliegerpiloten,
Lars Koch, gespielt von Christian Meyer. So ist das
Urteil ähnlich wie bei der bundesweiten Abstimmung, nachdem
das Kammerspiel „Terror“ mit Martina Gedeck als Richterin im
Fernsehen gezeigt wurde – also erwartbar.
Dabei
führt die Staatsanwältin Nelson, gespielt von Annett
Kruschke, ein eingehendes Plädoyer für die Moral und die
Prinzipien des Staates, die im Grundgesetz verankert sind.
Eigentlich ethische Allgemeinplätze, die ein friedliches
Miteinander erst ermöglichen. „Ist die Würde der Menschen im
Stadion mehr wert, als die der Passagiere im Flugzeuge, die
durch den Abschuss zu Tode kommen?“, fragt sie rhetorisch
und ist damit nah an der zentralen Frage. Auch wenn diese
nur noch wenige Minuten zu leben hätten, dürfte man „ihr
Leben nicht noch durch den Abschuss verkürzen“.
Da
geht es um die Autorität des Staates, der durch die
unverrückbaren Prinzipien zum Spielball der Terroristen
werden kann. Meint zumindest der nonchalante Verteidiger
Biegler, gespielt von Christoph Schlemmer. Als er viel zu
spät, mit Coffee to go in der Hand und Hosenklammern
an den Beinen in den Gerichtssaal hastet, wird er vom
vorsitzenden Richter ermahnt: „Jetzt ziehen Sie sich erst
mal Ihre Robe an!“ So schafft man auch unterbewusst
Sympathien im Publikum, die in eine bestimmte Richtung
ausschlagen sollen - während gegen diesen Colombo artigen
Verteidiger eine überkorrekte Staatsanwältin agiert.
Dabei sind die Verantwortlichen für diese Extremsituation,
in der Lars Koch als prinzipientreuer Major der Luftwaffe
das vollbesetzte Flugzeug abschießt, ganz woanders zu
suchen. Das wird dem Publikum klar. Der Krisenstab, der zu
einer Lagebesprechung in der Nato-Basis für die
Luftraumüberwachung bei Uedem zusammenkommt, erscheint in
der Verhandlung als zu zögerlich. „Hätten Sie das Stadion
nicht räumen lassen können?“, fragt die Staatsanwältin den
Zeugen Oberstleutnant Christian Lauterbach, zackig und
durchs Militär verbrämt dargestellt von Peter Donath. Dieser
hat als Vorgesetzter des jetzt Angeklagten auch im Kontakt
unmittelbar mit dem Verteidigungsminister gestanden, der
wiederum den Abschussbefehl verweigerte.
„Die
Räumung der AlianzArena hätte 15 Minuten gedauert laut
Katastrophenplan“, so Staatsanwältin Nelson. Doch darüber
wurde vom Krisenstab nicht nachgedacht, und die Zuschauer
erleben einen drucksenden Zeugen Lauterbach. So ist das
Urteil für den Freispruch zu früh erwartbar – eine
Zuschauerin fasste ihre Meinung in diplomatische Worte: „Der
Pilot hätte verurteilt werden müssen für den Abschuss der
164 Flugzeugpassagiere – aber mildernde Umstände für die
Rettung der 70000!“
Sicherlich nicht schlecht, jedoch
die Zuschauer konnten nur mit ja und nein urteilen...
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