Duisburg, 25. Mai 2017 - Den gewohnten Marmortresen hat die
Hamburgerin vielleicht vermisst in Rumeln – stattdessen
steht sie hinter einem improvisierten runden Tisch und das
Mikro hängt viel zu hoch: „Oha, bin ich geschrumpft!“,
begrüßt die aus der Hafenstadt angereiste Tine Wittler die
etwa 80 Gäste im Kulturspielhaus, die an Bistrotischen einen
entspannten Abend erwarten. Tine Wittler merkt schnell:
Rumeln ist nicht Hamburg, und hier in „West-Westfalen“, wie
sie die Niederrheiner bezeichnet, weht nun mal eine andere
Brise und so versucht die 44-Jährige mit ihren Gästen auf
Tuchfühlung zu gehen.
Das kann die gelernte Wirtin,
die seit 14 Jahren die Kulturkneipe „Parallelwelt“ in der
Hansestadt betreibt, allerdings gut: „Leute, ihr müsst mehr
trinken, dann wird das ein entspannter Abend hier!“
Nüchtern sei ihr Programm nicht zu ertragen – das schrieb
einmal eine große Sonntagszeitung über ihren Chansonabend –
jetzt hat sie sich das als Motto auf ihre Souvenir-T-Shirts
geschrieben. In ihrem Programm „Lokalrunde - Tresenlieder
schlückchenweise“ begibt sich Tine Wittler genau in diese
Parallelwelt und erzählt sozusagen „vor dem Tresen“, also
hier Tisch, die Geschichten die sie „hinter dem Marmortresen
meiner Kneipe“ erlebt hat. „Als Wirtin ist man
Trösterin, Kupplerin und Therapeutin zugleich“, spricht sie
aus Erfahrung. Begleitet wird Tine Wittler, die aus dem
RTL-Format „Einsatz in 4 Wänden“ bekannt wurde, von dem sehr
guten Pianisten Graig Baker, der ihre Ansagen mit leisen
Intermezzi untermalt.
Viele ihrer Songs sind
Lobpreisungen an die verschwindende Kneipenkultur, deren man
sich in einer Großstadt mit einem Kulturprogramm erwehren
kann. „Wo geht man hier hin?“, fragt sie in die trinkende
Menge. „Hier ist nix“, tönt diese zurück und prostet ihr zu.
„Leute, ihr braucht Schnaps!“, ist ihre Antwort. Und so
lassen sich die Zuhörer in einem fast romantischen Song
gerne mitnehmen in die „kleine Bar voll Dunst und
Rauch“ (in Hamburg gibt es nur bedingtes Rauchverbot!) und
Tine Wittler beschließt den Song: „Kleine Bar, du treue
Seele, dir gehört mein Säuferherz!“
Die Texte hat
Wittler selbst geschrieben, meist im Dunkeln: „Ich bin eine
Nachtschwärmerin“, sagt sie. Mit ihrer tiefen Altstimme
klingt sie in manchen Momenten wie Zarah Leander – manchmal
vergisst sie auch einfach den Text und singt die Strophe
danach noch mal richtig. Man merkt, da ist viel
Improvisation in ihrem Programm und genau das macht den Reiz
aus, keine vorgefertigten Abläufe von Witzen, sondern sie
entstehen einfach – aus der Situation wie eben an dem
Marmortresen ihrer Kneipe – oder eben nicht.
Tine
Wittler betreibt Typ-Studien ihrer Gäste in den Songs, oder
suhlt sich in dem Lied „Liebeskummer“ im Selbstmitleid.
„Ihr müsst das richtig auskosten, bis eure Tränen
mit dem Regen verschmelzen, in dem ihr seit drei Tagen
sinnlos herumlauft“, raunzt sie ins Publikum. Auch
leidige Themen wie „Hausverbot“ werden angegangen: „In
Hamburch wird das Hausverbot nich ausgesprochen, sondern
gesungen“, lacht Tine Wittler – und 80 Gäste singen stehend
ihren Song mit dem kalauernden, aber effektiven Refrain: „Es
musste schließl soweit kommen, er hat sich ja wieder nicht
benommen.“
Zum Schluss gibt sie die Zugabe
„Alkoholallergie“ mit einem Hauch von Rauch, Dunst und
marmornem Tresen im Rumelner Kulturspielhaus.
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