BZ-Home Stephans Kult-pur Der Kult-Attaché



BZ-Sitemap

BZ-Kultur aktuell

 

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 






 

'Den Ketchup auf den Kopf stellen'
Alltägliches und Autismus
Stephan 'Der Kult-Attaché' Sadowski

Duisburg, 30. April 2019 - Menschen mit einer Autismusspektrumsstörung sind besondere Menschen. Das weiß Tobias Schüppen zur genüge. Der Mitarbeiter des Autismustherapiezentrums Mülheim-Duisburg-Wesel kennt die Eigenarten seines Klientels sehr gut: „Menschen, die das Asperger-Syndrom haben, können überdurchschnittlich intelligent sein, dafür haben sie gerne einmal Schwierigkeiten im normalen Alltag beim sozialen Miteinander“, sagt der 41-jährige Sozialarbeiter.

Aufgefallen ist ihm auch, dass viele seiner Klienten Schwierigkeiten mit der Bildhaftigkeit der deutschen Sprache haben. „Einmal habe ich einem Autisten beim gemeinsamen Essen geraten, die Flasche auf den Kopf zu stellen, damit der Ketchup besser heraus laufen kann. Er ist dann tatsächlich mit der Ketchup-Flasche auf dem Kopf durch den Raum balanciert. Wir mussten alle herzhaft lachen.“

Was für „Neurotypen“, sogenannte normale Menschen, dann lustig und ungewöhnlich erscheint, ist für den Autisten hingegen normal, weil ihm die Abstraktionsfähigkeit im Hinblick auf sprachliche Bilder fehlt. „Da merkte ich auch, welche wichtige Funktion ich als Dolmetscher zwischen den Neurotypen und meinen Klienten habe“, sagt der Autismus-Therapeut, der als Vermittler zwischen den unterschiedlichen Typen agiert.

Und Tobias Schüppen kam eine Idee. Wie wäre es, wenn seine Therapiegruppe sich einmal mit deutschen Sprichwörtern oder sprachlichen Bildern genauer beschäftigt und sie sprachlich durchleuchtet. Wie wirkt denn eine Redewendung wie „himmelhoch jauchzend“, „das Zeitliche Segnen“ oder „auf der Kippe stehen“ auf seine Klienten. Gesagt, getan. Heraus gekommen sind dabei zwei Bücher mit kleinen Gedichten, die in acht Zeilen mit einem einfachen Reimschema umschreiben, wie man das Sprichwort oder sprachlich Bild richtig oder falsch verstehen kann. Seine Klienten Ben und Robin, zwei Jugendliche im Alter von 14 und 17 Jahren, hatten dabei die meisten Ideen für die Gedichte, die auch gleichzeitig illustriert worden sind.

„Besonders lustig, ist dann die Illustration zu „ein Auge auf jemanden werfen“ geworden“, sagt Tobias Schüppen und lächelt. „Ziel war es auch, dass die Jugendlichen merken, wie besonders sie sind. Und das ihr Selbstbewusstsein gestärkt wird, weil ihnen klar wurde, dass sie etwas bewegen können, indem sie selbst Bücher schreiben“, freut sich Tobias Schüppen für seine Klienten. Denn die Bücher könnten gerade auch für Menschen, die Deutsch als Fremdsprache erlernen, als Lehrmaterial verwendet werden – die Illustration vereinfacht das Verständnis.

Elf Gedichte sind in jedem Band enthalten, der erste Band beschäftigt sich mit alltäglichen Sprichwörtern und Redewendungen, der zweite Band nur mit sprachlichen Bildern zum Thema „Sterben“. Erschienen sind die Bücher in einer Auflage von 2000 Exemplaren beim Schweizer Autismusverlag und kosten zehn Euro. Geplant ist auch eine Ausstellung zu den Gedichten mit den Illustrationen im Autismustherapiezentrum Mülheim-Duisburg-Wesel.
Die Bücher sind zu beziehen über das Internet: www.autismusverlag.ch.