Duisburg, 08. Januar 2020 - In den verwinkelten Ecken der
Rheinhausen-Halle tanzen manche Pärchen heimlich Disco-Fox.
Andere Damen haben sich Glitzerdiademe auf die Stirn
gesetzt, mit denen sie im Vier-Viertel-Takt im Publikum
fluoreszierend leuchten und mit schunkeln. Der ganze Saal
wirkt wie eine verschobene Karnevalssitzung bei der „Großen
Schlager-Hitparade“. Als der Sänger Patrick Lindner ein
Medley seiner größten Hits singt, stehen etwa 600 Gäste,
jubeln ihm zu, stimmen in das allgemeingültige Jodeln „Jodijodijodije“
ein, das der Berg-Rocker Andreas Gabalier quasi als
einheizende Stimmungshymne für alle Schlagerfans
hinterlassen hat. Derer bedient sich auch
der ewige Charmeur Lindner, um den Saal zum Kochen zu
bringen.
Sein 30-jähriges Bühnenjubiläum hat er vor
kurzem gefeiert. „In Wien musste ich unbedingt auf dem
Zentralfriedhof halt machen, um meinem großen Idol eine rote
Rose auf seinen weißen Flügel am Grab zu legen“, erzählt
Lindner, nicht ohne Pathos heraufzubeschwören. Ein Raunen
geht durch die Schlagerfans, als der Münchner Sänger ein
Medley zu Ehren von Udo Jürgens, der eben dort in der
österreichischen Hauptstadt auf ewig ruht, liefert.
„Alt vertraut klingen die Lieder“ - eben wie „Griechischer
Wein“. Patrick Lindner erzählt von seiner Bekanntschaft zur
Schauspielerin Waltraut Haas („Im weißen Rößl“): „Die
besuch‘ ich auch immer, wenn ich in Wien bin“, spielt er auf
den großen Zusammenhalt unter den ‚Stars und Sternchen‘ an.
Ja, die ‚Schlager-Stars‘ lassen es Menscheln,
zeigen sich von ihrer nahbaren Seite – sehr zur Freude des
Publikums, das diese Äußerungen gerne mit viel Beifall
goutiert.
So auch die deutsch-britische Sängerin
Ireen Sheer, die übrigens lange in Düsseldorf mit ihren
Eltern lebte. Top in Form präsentiert sie sich in einer
knallengen schwarzen Leggings-Hose, da merkt kein Zuschauer,
dass die Frau die 70 bereits überschritten hat. Alle ihre
Moves sitzen, zu inzwischen durch Euro-Disco-Beats
aufgepeppten Hits wie „Goodbye Mama“ aus
den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts.
„Mit dem
nächsten Lied bin ich sechste beim Eurovision Song Contest
1978 in Paris für Deutschland geworden“, kündigt sie ihren
internationalen Durchbruchssong an. Nicht ohne Stolz, sieht
man die letzten deutschen Ergebnisse bei dem
Sangeswettbewerb. Die eingefleischten Fans wissen, jetzt
wird es feurig und auch im Hintergrund zeigt sich eine
lodernde Videoleinwand mit rot-orange funkelnden Flammen.
„Feuer – brennt doch auch in mir drin“, singt die
Sängerin und wackelt in der Hüfte. Passend zur Leggings
spielt sie noch ein peppiges Rock‘n Roll-Medley als Zugabe.
Zuschauer Heinz Herbergs (82) meint:
„Die Frau hat richtig Power, aber gesanglich waren da einige
Fehler.“ Auch Inge Wagner aus Duisburg konstatiert: „Die
hat bestimmt einen Super-Fitness-Trainer, allerdings merkt
man ihr die Schönheits-Op‘s doch an.“
Das
interessiert allerdings längst keinen mehr im brodelnden
Saal. Sandro Malinowski, der DSDS-Gewinner aus dem Jahr
2016, singt noch seine letzten Hits, und bei G.G. Andersons
Liedern „Santa Lucia“, „Sommer, Sonne, Cabrio“ und
„Sommernacht in Rom – und wir beide träumen“ hören die Leute
auf, womit sie anfingen: mit einem gepflegten Disco-Fox im
scheinbar nie enden wollendem Vier-Viertel-Takt in den
verwinkelten Ecken der Rheinhausen-Halle.
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