Stadtteilentwicklung Duisburg-Neudorf
Neudorf (historisch und heute) bietet:
Universität - Hauptbahnhof(Ost)  - Polizeikaserne -Stadtwald - Sportpark - 56ha Wasserfläche - Versuchsanstalt der Binnenschiffahrt - Bundesligafußball-Spielbetrieb - Fußball-Arena - Sportschule - Sitz LSB und LVN -  Leichtathletikstadion - UCI-Kino - Teddybärenfabrik

 

Ende Mai 1770 – erste Siedler gründens Neudorf

30. Mai 1770 - 1 hessen-darmstädtischen Familien mit 73 Personen gründete Ortsteil

1789 – Die „Kolonie op der Heid“ Neudorf bürgert sich für den ursprünglich vorgesehen Namen zu Ehren Friedrichs des Großen „Friedruchsdorf“ ein.

1821 – Bau der letzten Mühle auf Disburger Stadtgebiet auf der Neudorfer Heide

1869 – Am 19. Mai 1869 wird die erste Schule Neudorfs bezugsfertig Es ist die katholische Volksschule „Schule am Bahnhof“.

Am 1. April 1937 weicht die als zuletzt „Katholische Schule am Kammerberg“ bezeichnete Einrichtung der Erweiterung des Hauptbahnhofes. 

Die Reise, die auf Kosten des preußischen Königs zu Schiff auf dem Rhein vonstatten ging, dauerte 10 Tage. Der Tag ihrer Ankunft in Duisburg, der 30. Mai 1770, muß als der Gründungstag der "Kolonie" Neudorf angesehen werden, auch wenn die Siedler zunächst in Übergangsquartieren in der Stadt untergebracht wurden. An der Nordseite der jetzigen Koloniestraße wurden ihnen ihre Grundstücke zugewiesen, doch dauerte es noch etwa drei Jahre, bis alle Hausstellen bebaut waren. Seit 1789 heißt die "Kolonie auf der Heide", die eigentlich zu Ehren Friedrichs des Großen "Friedrichsdorf" genannt werden sollte, endgültig "Neudorf".

Hier sind auch die Namen der ersten Siedler von Neudorf zu lesen. Sie hießen: Valentin Fischer, Philipp Langen, Niklas und Peter Kautzmann, Hermann Friedrichs, Johann Müller, Johann Becker, Barthel Ochs, Peter Träger (oder Dräger), Joh. Georg Tilemann (Tillmann?), Christoph Schneider und Philipp Delp.

 

Die Geschichte des Stadtteils Neudorf für die heutigen Neudorfer

erzählt von Franz Bültjes 

 

Im Jahre 1970 kann Neudorf auf ein zweihundertjähriges Bestehen zurückblicken. Neudorf ist also erheblich jünger, als der benachbarte Stadtteil Duissern, der überhaupt der älteste Teil der Stadt Duisburg ist, von ihm aus ist die Stadt Duisburg erst geworden. 

Und doch hat unser Stadtteil Neudorf eine reiche Geschichte.

 

Noch vor zweihundert Jahren lag hier innerhalb der Landwehr ein großes Wald- und Heidegebiet. Die Landwehr zog sich ungefähr vom Hochfelder Bahnhof über den Musfeldhof und den Grunewald, an der Ostseite der Grabenstraße bis zur Mülheimer Straße hin. Das Kuhtor war von Neudorf aus der Zugang in das Stadtinnere, das von Stadtmauern umgeben war. Von der Mülheimer Straße lief die Landwehr die Schweizer Straße entlang am Schnabelhuck vorbei zur Ruhr.

 

Die Landwehr hatte den Zweck, die im Wald lebenden wilden Tiere, namentlich auch die wilden Pferde, aus der Feldmark fernzuhalten. So war auch die obere Aue, in der der Kolkmanns- und Monningshof lagen, durch eine Landwehr vom Walde abgetrennt.

 

In früheren Zeiten zog sich zwischen dem Dickelsbach und dem Rhein durch Hochfeld eine Landwehr hin, die nicht weit vom Musfeldhof beginnend bis in die Gegend der jetzigen Rheinfront lag, um auch dort das mit Wald bedeckte Rheinufer von dem Ackerland zu trennen.

 

Dieser Wald war so reich mit Bäumen bewachsen, daß die Franzosen im siebenjährigen Krieg daraus einige tausend Eichenbäume nach Düsseldorf holten. Diese Eichen lieferten aber auch die Mast für 3000 bis 4000 Schweine.

 

Nach dem siebenjährigen Kriege war Preußen fast an den Rand des Ruins. Der Krieg hatte in Preußen unheilvolle Spuren hinterlassen, und Friedrich der Große ging nun daran, seinem Land wieder Ruhe und Frieden zu schaffen! „Die Ruhe des Friedens“, so schrieb der große König nach Beendigung des siebenjährigen Krieges selbst, „war für Preußen nötiger als für die übrigen kriegführenden Staaten, weil es fast allein die Last des Krieges getragen. Es glich einem Menschen, der von Wunden zerrissen, von Blutverlust erschöpft und in Gefahr war, unter dem Druck seiner Leiden zu erliegen, der Staat bedurfte einer Leitung, die ihm Erholung gab, stärkender Mittel, um ihm eine Spannkraft wiederzugeben, Balsam, um seine Wunden zu heilen. Der Adel war erschöpft, die kleinen Leute ruiniert, eine Menge von Ortschaften verbrannt, viele Städte zerstört, eine vollkommene Anarchie hatte die Ordnung der Polizei und Regierung umgeworfen, die Finanzen waren in größter Verwirrung, mit einem Worte: die allgemeine Verwüstung was groß.“

 

Was der große König hier ganz offen schreibt, schildert mit wenigen Worten die allgemeine Situation im alten Preußenland. Dabei hatte das platte Land am meisten unter der Geißel des Krieges gelitten. Da der König sich gezwungen sah, die Lücken in seinem Heer durch Knaben von 14 und 15 Jahren aufzufüllen, fehlte es an Arbeitskräften. Auf dem Lande betrieben nur noch Frauen und Greise den Feld- und Ackerbau. Mit 2½ Millionen Einwohnern hatte Friedrich seine Regierung angetreten, ½ Million, also 1/5 davon, hatte der siebenjährige Krieg verschlungen. Darum war es die größte Sorge des Königs, sein Land wieder zu bevölkern.

 

Im Archiv der Stadt Duisburg befinden sich viele Urkunden, die Auskunft darüber geben, wie Kolonisten nach Duisburg kamen. Bei der Durchsicht dieser Urkunden fanden wir ein Reskript vom 24. Dezember 1767, in dem der Magistrat der Stadt Duisburg von der Königlichen Kriegs- und Domänenkammer in Kleve daran erinnert wird, Unternehmen ausfindig zu machen, wie das Gebiet von ca. 60 Morgen Land auf der Duisburger Heide urbar gemacht werden kann.

 

Unter dem 21. August 1769 wird ein eingehender Bericht darüber angefordert, wie das Unternehmen ausgeführt werden kann. Es sollten Unternehmer gesucht werden, die das Unternehmen durchführen könnten.

 

„Bei weiterer Widerspenstigkeit (der Waldbeerbten) solle höheren Orts Bestrafung beantragt werden. Es solle unverzüglich an die Kolonisierung herangetreten werden.“

 

Unter dem 5. Oktober wird angekündigt, daß vom Oberrhein die Kolonisten kommen würden. In Duissern hatten sich um die gleiche Zeit der Schmied Heinrich Portmann und der Böhme Peter Eter angesiedelt. In einer späteren Schrift wird dann aber erklärt, daß Eter nicht aus Böhmen stamme, sondern aus Bayern.

 

 

Im Stadtarchiv befindet sich eine Urkunde, datiert.

Berlin, 26. Febr. 1770, und vom König Friedrich II. selbst unterzeichnet, in der es u.a. heißt:

 

„So haben höchstderselbe Sr. Königl. Majestät zu vörderst versichert, der Deputation, die sich in hiesige Lande begeben wolle . . .  ihnen höchst dieselbe ihren insgesamt dieserhalben dero Huld und Königlichen Schutzes mit dem Beyfügen, daß sie als getreue Unterthanen gut aufgenommen werden und in allen billigen Dingen Hülfe und Unterstützung finden sollen.“

 

Es hat aber der nachdrücklichen Belehrung und Aufforderung der Königl. Kriegs- und Domänen-Kammer in Kleve bedurft, um den Magistrat auf den ernsten Willen des Königs aufmerksam zu machen, daß man die Kolonisten gut aufnehmen und sie weitgehend unterstützen müsse. So wird der Magistrat der Stadt Duisburg unter dem 15. April 1770 darauf hingewiesen, daß man solche Kolonisten nicht gut behandelt und den Königlichen Willen nicht respektiert habe. Der Magistrat wird daher angewiesen, die Kolonisten sofort in Arbeit zu setzen, damit sie etwas verdienen. Es waren nämlich drei Kolonisten nach kurzem Aufenthalt in Duisburg wieder abgereist. Der damalige Bürgermeister Wintgens bemerkt auf diesem Schreiben, daß den drei abgegangenen Kolonisten es nicht an Arbeit gefehlt habe. Man wolle künftig es aber an nichts ermangeln lassen, um die Kolonisten in Duisburg zu behalten.

 

Am 30. Mai des Jahres 1770 kamen dann 14 Darmstädtische Familien in Duisburg an. Es wird hierbei bemerkt, daß einer derselben, Johs. Roth, gleich gestorben sei.

 

Die Kolonisten wurden vorläufig im Ratsdorf Duissern untergebracht, einige in der Stadt selbst. Die „Mietsherren“ erhielten das Schlafgeld von dem Magistrat erstattet. Sie wurden sogleich angewiesen, die Heide in Neudorf urbar zu machen, mussten sich ein Haus bauen (wozu ihnen Holz aus dem Duisburger Walde zur Verfügung gestellt wurde), sie mussten ihr Alter nachweisen und ihre Vermögensverhältnisse klarlegen. Es wird dann noch vermerkt, daß 66 Personen vom 1. Juni 1770 bis Jakobi 1771 (d. i. 1. Mai) täglich 2 ggr. oder 5 stbr. Jahresgeld bzw. Baugeld erhalten sollen. „Den Fleißigen wird Geld zu einer Kuh gegeben.“

 

Die Kolonisten mußten einen guten Leumund haben. Müßiggänger und Trunkenbolde wurden abgewiesen.

 

Als im Jahre 1770 die Kolonisten sich „op de Heid“ ansiedelten, war Duisburg noch eine kleine Stadt mit noch nicht 4000 Einwohnern, die vorwiegend Ackerbau betrieben. Daneben versprach die Börtschiffahrt einen bescheidenen Wohlstand für die Stadt.

 

Aus den im Stadtarchiv befindlichen Urkunden ergibt sich, daß es nicht leicht war, die Kolonisten nach dem Willen des Königs auf der Heide in Duisburg anzusiedeln. Es gab erhebliche Widerstände zu überwinden gegenüber den Protesten der Waldbeerbten, die durch die Kolonisierung sich in ihren alterworbenen Rechten geschmälert fühlten. Aber von Wesel aus ergingen immer wieder die bestimmten Anordnungen an den Magistrat der Stadt, und dieser tat dann das, was ihm sehr klar befohlen wurde. Wie sich die Sache dann entwickelte, das schildert in seiner Chronik „Versuch einer Chronik der Stadt Duisburg am Rhein“ der Verfasser, Dr. August Christian Vorheck, seines Amtes „ordentlicher Professor der Geschichte und Beredsamkeit bei der Duisburger Universität“ im Jahre 1800:

 

„Die Heide, die vor Duisburg bisher wüste gelegen hatte, wurde ums Jahr 1770 durch eine Kolonie urbar gemacht, welche die Königl. Kriegs- und Domänen-Kammer auf königlichen Befehl darauf anlegen ließ. Die Anbauer kamen aus dem Reiche, erhielten eine gewisse Morgenzahl Land angewiesen und fünfzehn Freijahre, die nach ihrem Ablaufe erst auf fünf, dann noch auf drei verlängert wurden. Zwölf Kolonistenfamilien (die Urkunden selbst sprechen von 14 Kolonisten) wohnen seitdem (1800!) noch auf dieser Heide in dem Dörfchen Neudorf, die ihre Äcker noch zehntfrei besitzen, und seit Ablauf aller Freijahre nur ein geringes Tobaks- und Werbegeld und eine kleine Abgabe von ihrem Acker an die Stadt entrichten.“

 

35 Stüber je Morgen waren halb an die Stadt, halb an die Waldkasse zu zahlen.

 

Wer waren nun diese Kolonistenfamilien, die im Jahre 1770 nach Neudorf kamen? und woher kamen sie?

 

Die Kolonisten kamen aus Hessen und der Pfalz. Nach Professor Averdunk hatten mehrere von ihnen als Lutheraner wegen ihrer Religions-Ausübung die bisherige Heimat verlassen müssen. (Aus den Unterlagen im Archiv ergibt sich aber, daß einige auch katholisch waren.) Das klingt auch aus den Versen heraus, die der damalige Kandidat der Theologie, J. H. E. Nonne (übrigens auch der Dichter des Liedes „Flamme empor“), in seinen poetischen „Wanderungen durch Duisburgs Fluren“, die im Jahre 1808 erschienen sind, niederschrieb:

 

         „Da glänzt ein friedlich Dach; hier wieder eins.

         Ich eil hinzu und sieh ein kleines Dorf

         Begrüßet mich. Hier siedelte sich einst

         Ein kleines Häuflein guter Menschen an.

         Vertrieben aus der heimatlichen Flur

         Fand hier ihr Herz ein zweites Vaterland.

         (Des Rheinlands) Himmel lächelt ihnen zu

         Und tröstet sie, wenn die Erinnerung

         Ans Vaterland, den heimatlichen Herd,

         Und alle Freuden ihrer Jugendzeit

         Vor ihre Seele zaubert, wenn ihr Herz

         In der Vergangenheit Gefilde blickt,

         Und eine Träne in dem Auge bebt.

         Gerührt nahm Preußens großer Friedrich

         Sie unter seinem mächtigen Zepter auf,

         Hier fanden sie den väterlichen Herd

         Die süße Heimat wieder und die Flur,

         Auf der sie einst der Kindheit Traum geträumt.

         Sie siedelten sich an und nannten dann

         Den kleinen Weiler, den sie sich erbaut,

         Dem großen Mann zu Ehren Friedrichsdorf.

 

Das war also die Gründung von Friedrichsdorf, wie der Stadtteil Neudorf zuerst genannt wurde. Und wie hießen die ersten Kolonisten? Auch ihre Namen sind uns erhalten geblieben, die am 30. Mai 1770 sich auf der Heide ansiedelten. Es waren: 

Valentin Fischer, Philipp Langen, Niklas und Peter Kautzmann, Hermann Friedrichs, Johann

Müller,  Johann  Becker,  Barthel  Ochs,  Peter  Träger (oder Dräger),  Joh.  Georg  Tilemann (Tillmann?), Christoph Schneider und Philipp Delp. 

Im Jahre 1778 kam aus der Grafschaft Moers ein Kolonist mit Namen Bütefür hinzu, der den Anteil des Kolonisten Träger übernommen hatte. 

54 holländische Morgen Heidegut wurden den Kolonisten zugewiesen (1 holl. Morgen gleich 600 holl. Ruten oder 625 rheinische Ruten. Ein Morgen umfaßte ursprünglich soviel Ackerland, wie man mit einem Gespann an einem Morgen umzupflügen vermochte), die sie unter sich verteilten, so daß 6 je ungefähr 6 Morgen, 6 je drei Morgen erhielten. Jeder Kolonist mußte auf seinem Land nun ein Haus erbauen, den Acker mußte er urbar machen und der wilden Pferde wegen mit Wall und Graben umgeben.

 

Die Kolonisten „op de Heid“ erwiesen sich als fleißige und tüchtige Menschen, die der gesamten Stadt zur Ehre gereichten. Schon nach drei Jahren hatten die Ansiedler 4 Pferde, 4 Ochsen, 25 Kühe und 16 Rinder. 58 Morgen waren schon in Ackerland verwandelt und mit Roggen, Kartoffeln und Buchweizen bestellt. Da auch später sich Einheimische zu den fremden Siedlern gesellten, zählte die Siedlung im Jahre 1798 schon 146 Seelen. Im Jahre 1799 erhielt sie den Namen Neudorf

Mit dem Wachsen der Stadt Duisburg wuchs auch der Stadtteil Neudorf immer mit. Aus den 4.000 Einwohnern der Stadt Duisburg im Jahre 1770 wurden im Jahre 1828 schon über 7.000, 1863 waren es schon 20.150, 1870 bereits 28.685. Als in diesem Jahre die Kolonie Neudorf ihr hundertjähriges Bestehen feierte – genau vier Wochen vor Ausbruch des deutsch-französischen Krieges – da feierte die ganze Stadt Duisburg mit. Solch hohes Ansehen hatten sich die Ansiedler „Op de Heid“ bereits in der ganzen Stadt erworben.

 

Das ehemalige Bauerndorf Neudorf wuchs immer mehr und immer näher an die Stadt Duisburg heran. Heute ist es mit rund 44.000 Einwohnern fast ein reines Wohngebiet der Gesamtstadt Duisburg und diesseits der Ruhr der größte Stadtteil mit bedeutsamen Bauten und nunmehr auch mit einem attraktiven Gesicht an seiner meistbegangenen Stelle: der alten Neudorfer Straße.

 
Das Taufwasser aus dem Heiligen Brunnen

Als der heilige Ludgerus von seiner Insel in der Ruhr bei Werden das Christentum auch zu den Weilern und Dörfern im Westen seiner Niederlassung bringen wollte, gelangte er eines Tages in den Duisburger Wald. Dort traf er die heidnischen Bewohner der ganzen Umgegend beim Heiligen Brunnen versammelt. Er hörte einen in ein weißes Gewand gehüllten Priester Gebete zu den Göttern sprechen, während er mit dem reinen Wasser der Quelle den Erschienenen Haupt und Hände benetzte. Dann sah er die ganze Gemeinde mit ihrem Priester zum Gipfel des Hömbergs hinaufsteigen, wo sie ihren Göttern ein Opfer darbrachten.

Der heilige Ludgerus ging betrübt wieder zu seinem Kloster auf der Ruhrinsel zurück und dachte lange darüber nach, wie er die heidnischen Germanen zwischen Anger und Ruhr für die Sache des Christentums gewinnen könne. Er kam zu dem Entschluß, ihnen von Jesus wie von einem germanischen Helden zu erzählen und von seinen Aposteln wie von dessen tapferen Gefolgsleuten. Oft zog er dann zum Heiligen Brunnen hinaus und predigte dort von dem mächtigen Heiland. Seine frohe Botschaft fand bei den Heiden großen Anklang, so daß nach und nach die gesamte Bevölkerung vom Duisburger Wald bis zum Rheinbogen bei Mündelheim den Gott der Christen verehrte.

Die Taufen nahm der heilige Ludgerus am Heiligen Brunnen vor. Sein Wasser, das bisher den Heiden als Zeichen der Reinigung und Heiligung gedient hatte, wurde nun in gleicher Weise zum Sinnbild der Befreiung von einer schweren Schuld und der Eingliederung in die Gemeinschaft der Reinen und Geheiligten. Auf dem Gipfel des Hömbergs wurde auch von dem heiligen Ludgerus ein Opfer dargebracht. Doch war an die Stelle des heidnischen Tieropfers das heilige Meßopfer getreten.

Als man in Duisburg die Salvator-Kapelle gebaut hatte, wurden die Taufen nicht mehr im Duisburger Wald am Heiligen Brunnen vollzogen, sondern in dem neuerstandenen Gotteshaus. Doch wurde an der alten Sitte festgehalten, das Taufwasser aus dem Heiligen Brunnen zu schöpfen. In jeder Woche ging ein Meßner am Tage vor der Taufe der in der vergangenen Woche geborenen Kinder zum Heiligen Brunnen, um in einem großen irdenen Krug dessen reines, klares Wasser herbeizutragen. Als eines Tages die räuberischen Normannen Duisburg von allen Seiten über lange Zeit belagerten, um es zu erobern und zu plündern, war es dem Meßner nicht mehr möglich, aus der Stadt herauszukommen und das Taufwasser am Heiligen Brunnen zu holen. Da entschloß man sich, einen Gang unter der Erde von der Kirche bis zum Heiligen Brunnen zu graben. Die Täuflinge aber mußten lange Zeit bis zu der feierlichen Handlung ihrer Aufnahme in die Kirche warten.

Als die Duisburger die schweren Erdarbeiten beendet und den unterirdischen Gang vollendet hatten, wurde in der Stadt ein Tauffest gefeiert, wie man es bis dahin noch nicht erlebt hatte. Der Meßner hatte mehrere Krüge mit Taufwasser vom Heiligen Brunnen herbeischaffen müssen, weil die Zahl der Täuflinge während der langen Bauzeit des unterirdischen Grabens sehr groß geworden war. Auf den Tauffeiern in den Häusern der Bürger mußte der Meßner mit seinen Begleitern allüberall erscheinen und von seinem abenteuerlichen Gang durch den geheimen Stollen erzählen.

Einige Zeit danach rückte ein mächtiger Herzog aus Ostfranken und ein großer Bischof aus Mainz mit großer Heeresmacht heran und vertrieben die Normannen aus ihrem Lager vor der Stadt Duisburg. Sie zogen ab und setzten ihr Lager in Brand.

Von jetzt ab konnten die Duisburger ihr Taufwasser wieder auf dem gewöhnlichen Weg vom Heiligen Brunnen holen lassen. Da der unterirdische Gang nicht mehr benötigt wurde, hielt man ihn auch nicht mehr instand. Die Stützen der Decken brachen, so daß er an vielen Stellen einstürzte.

  

Das Wasser des Heiligen Brunnens rettet die Duisburger

Vor vielen hundert Jahren kamen die Spanier mit einem großen Heer bis in die Gegend von Duisburg gezogen. Sie hatten den Niederländern Rache geschworen, weil sie dem spanischen König den Gehorsam aufgesagt und den Glauben ihrer Väter aufgegeben hatten. Auch in Duisburg und in vielen anderen Orten am Niederrhein hatten sich die Einwohner der Lehre Martin Luthers angeschlossen. Die Spanier wollten mit ihren Waffen die Niederländer zum Gehorsam und zur Rückkehr zum alten Glauben zwingen. Es wurden täglich neue Soldaten aus dem fernen Spanien an den Rhein gebracht, um für die Entscheidungsschlacht eine mächtige Armee bereit zu haben. Auch die Stadt Duisburg mußte spanische Besatzungssoldaten aufnehmen. An einem kalten Dezembertag sah sie sich gezwungen, auf den Befehl ihres Herzogs von Kleve einige hundert Mann der Spanier in die Stadt einrücken zu lassen.

Die Besatzungssoldaten lagen untätig und gelangweilt in den Quartieren. Da Müßiggang aller Laster Anfang ist, hatten sich die Duisburger Bürger bald über ihr rüpelhaftes und lasterhaftes Verhalten bitter zu beklagen. Weigerte sich ein Bürger, das notwendige Geld für die Fortsetzung ihres Lebens in Saus und Braus herauszurücken, dann mußte er damit rechnen, daß er von den Spaniern durch Prügel übel zugerichtet wurde. Als sich die Duisburger bei dem spanischen Regenten in Brüssel beschwerten, wollten die Spanier auf ihre Art sie dafür bestrafen. Sie warfen Feuer in die mit dem geernteten Getreide hoch gefüllten Scheunen der Stadt. Wie durch ein Wunder wurde Duisburg vor seiner Vernichtung durch eine Feuersbrunst gerettet. Doch die Spanier gaben ihren Plan nicht auf, sich für die Beschwerde der Duisburger zu rächen. Sie streuten in alle Brunnen der Stadt, die den Bürgern ihr Trinkwasser lieferten, ein lebensgefährliches Gift. Sie selbst versorgten sich mit reinem Wasser aus dem nahen Rhein.

Da riefen die beiden Bürgermeister den Rat der Stadt zusammen und beauftragten die Männer, in der Umgegend von Duisburg nach einer Quelle mit gesundem und klarem Wasser suchen zu lassen. Einer der ausgesandten Stadtdiener gelangte in den Duisburger Wald und fand dort den Heiligen Brunnen, dessen Wasser klar wie die Sonne und sein Geschmack rein wie die Waldluft war. So schnell ihn seine Füße tragen konnten, lief er zur Stadt zurück, um allen Bürgern die gute Botschaft zu bringen. Nun waren die Duisburger vor einer Vergiftung durch die Spanier gerettet. In langen Reihen zogen die Frauen mit Krügen und Ledereimern zum Heiligen Brunnen und brachten sein gesundes, frisches Wasser heim.

Kurze Zeit danach mußten die spanischen Soldaten die Stadt verlassen, um sich der großen Feldarmee anzuschließen, die gegen die Niederländer in den Kampf marschieren wollte. Die Duisburger atmeten befreit auf, als der letzte der Besatzungssoldaten ihre Stadt durch das Schwanentor verlassen hatte. Die Jahre der Drangsal und Bedrückung waren überstanden. Den Spaniern war es nicht gelungen, die Stadt durch Feuer zu zerstören und ihre Einwohner durch die Vergiftung ihrer Brunnen zu vernichten. 

Wie der Heilige Brunnen seinen Namen erhielt

Als die spanischen Besatzungssoldaten nach einem Aufenthalt von mehr als sechs Jahren die Stadt Duisburg verließen, beteten die Einwohner zu Gott, er möge sie in Zukunft vor diesen Plagegeistern bewahren. Sie erinnerten sich mit Grausen daran, daß sie von den Soldaten nicht nur verprügelt worden waren, sondern auch noch die Vergiftung ihres Trinkwassers in den Brunnen hinnehmen mußten.

Doch fanden ihre Bitten keine Erhörung. Nach einigen Jahren rückten erneut Truppen der Spanier in Duisburg ein. Dieses Mal brachten die Soldaten den Bürgern ein noch größeres Leid als bei ihrer ersten Einquartierung. Sie schleppten den Schwarzen Tod in Duisburg ein. Die eingestellte „Pestfrau" und der Stadtmedicus konnten es trotz eifrigen Bemühens nicht verhüten, daß sehr viele Menschen an der Pestilenz starben. Die sechs Leichenträger waren kaum in der Lage, die zahlreichen Verstorbenen zum Friedhof zu bringen. Die Spanier vermieden es peinlich, mit den Bürgern der Stadt zusammenzutreffen, um von der Pest verschont zu bleiben. Doch das nutzte ihnen nichts. Der Schwarze Tod fand auch in ihren Reihen zahlreiche Opfer. Fast täglich erschienen in ihren Quartieren die sechs Träger in ihren schwarzen Kapuzen, aus denen nur ihre Augen herausschauten, um die Pestleichen abzuholen. Als die Zahl der spanischen Toten von Tag zu Tag zunahm, flüchteten die Soldaten in den Duisburger Wald und suchten nach einem geeigneten Platz mit frischem Brunnen-. oder Bachwasser, an dem sie ihre Zelte aufschlagen konnten. Die Umgegend des Heiligen Brunnens erschien ihnen dafür am günstigsten. Sein reines und schmackhaftes Wasser hatte bei ihrer Entscheidung den Ausschlag gegeben.

Zu ihrem großen Erstaunen konnten sie nach wenigen Tagen feststellen, daß die mitgebrachten Pestkranken durch das Trinken des Wassers aus dem Heiligen Brunnen auf den Weg der Besserung gelangt und alle übrigen spanischen Soldaten von der Seuche verschont geblieben waren. Die Spanier gaben der Quelle, die ihren Pestkranken das Leben gerettet und die Gesunden vor der Ansteckung bewahrt hatte, den Namen Heiliger Brunnen. Die Kunde von der wunderbaren Kraft seines Wassers verbreitete sich durch die Spanier in allen Häusern der Stadt, als sie aus dem Duisburger Wald in ihre städtischen Quartiere zurückgekehrt waren. Seit dieser Zeit haben auch die Duisburger die heilkräftige Quelle in ihrem Wald den Heiligen Brunnen genannt.

Der Einsiedler vom Heiligen Brunnen

In alter Zeit lebte im dichten Wald beim Heiligen Brunnen ein alter, frommer Einsiedler mit Namen Sigismund. Er war in die Einsamkeit hinausgezogen, um hier in der Stille ganz dem Gebet zu Gott zu leben. Wurzeln, Pilze und Beeren waren zumeist sein kärgliches Mahl, und das frische Wasser des Heiligen Brunnens stillte seinen Durst. Zu seiner Zeit brachten die Winter große Kälte mit starkem Frost und hohem Schnee. Er hätte bittere Not in der Zeit zwischen Martini und Palmarum leiden müssen, wäre nicht in diesen vielen Wochen an jedem Sonntag nach dem Gottesdienst seine kleine Enkelin Gertraude zu ihm hinausgewandert, um ihm Brot und Milch zu bringen. Sie fürchtete nicht die einsame Wanderung über den weiten Weg zu ihrem Großvater. Vielmehr war sie voller Freude, weil sie den verschneiten Wald ebenso schön fand wie seine Bäume und Sträucher im frischen Grün des Frühlings. Kam sie endlich bei dem alten Einsiedler um die Mittagszeit an, dann stellte sie kaum ermüdet den hochgefüllten Korb ihrer Mutter vor dessen Behausung ab und erzählte ihm mit leuchtenden Augen von ihren Beobachtungen und Erlebnissen, die sie auf dem Weg zu ihm im Walde gemacht hatte. Während der „Alte vom Heiligen Brunnen" von der mitgebrachten Milch genoß und ein Stück Brot dazu verzehrte, hörte er glücklich und zufrieden ihrem Geplauder zu und erstaunte bei jedem ihrer Besuche mehr darüber, wie gut sie die Tiere des Waldes zu beobachten gelernt hatte, die ihren Weg kreuzten. So gingen viele Jahre ins Land, aber die Enkelin Gertraude versäumte es nie, am Sonntag zum Heiligen Brunnen hinauszuwandern, um dem Großvater, dem frommen Einsiedler Sigismund, einen gut gefüllten Korb mit haltbarer Nahrung zu bringen. Auch dann ließ sie sich durch nichts davon abhalten, als sie bereits eine hübsche, achtbare Jungfrau geworden war.

Brach die Enkelin am frühen Nachmittag vom Heiligen Brunnen wieder auf, um die Wanderung zurück zur Stadt Duisburg anzutreten, dann ging sie mit ihrem Großvater zuerst zum Heiligen Brunnen, um einen Krug mit dessen klarem Wasser zu füllen. Den trug sie sorgsam nach Hause, damit kein Tröpflein verloren ging. An jedem Morgen trank sie nach dem Erwachen einige Male von dem Wasser. Dann fühlte sie sich den ganzen Tag frisch und gesund. Das tat sie, weil sie ein sehr kluges Mädchen war. Sie hatte bemerkt, daß ihr Großvater trotz seiner harten Lebensweise als Einsiedler seit dem Tage, da er in seiner Behausung am Heiligen Brunnen täglich dessen Wasser genoß, von keiner Krankheit heimgesucht worden war und trotz seines hohen Alters nicht einmal über ein Schwächegefühl zu klagen hatte.

Eines Sonntags mußte der fromme Einsiedler Sigismund mit großem Erschrecken feststellen, daß seine Enkelin bei ihrem Besuch ein vollkommen verändertes Wesen an den Tag legte. Ihre bisherige Munterkeit und Fröhlichkeit war verschwunden. Trauer und Furcht sprachen aus ihren Augen. Sigismund schaute sie lange fragend an. Dann begann sie unter heftigem Seufzen von der großen Not in der Stadt zu erzählen, die durch das Auftreten des Schwarzen Todes dort Einzug gehalten hatte. Sie sagte: „Vor wenigen Tagen ging durch Duisburg das Gerücht, daß in den Provinzen am Meer die Pestilenz in vielen Städten die Menschen zu Hunderten dahingerafft hat. Armut und Hungersnot folgen der furchtbaren Seuche. Die Menschen flüchten in die Länder, die noch nicht vom Schwarzen Tod heimgesucht wurden. Wölfe verfolgen sie und zerreißen Mann, Weib und Kind. Eine Frau aus Brabant suchte Aufnahme in unserer Stadt. Gestern wurde sie von der Pest dahingerafft, aber auch die mitleidige Nachbarin, welche sie aufgenommen hatte. Heute ereilte der Schwarze Tod auch ihre beiden erwachsenen Töchter. Die Menschen in unserer Stadt leben seitdem in beständiger Furcht, daß sie von der Pestilenz befallen werden. Niemand weiß Rat und Hilfe."

Da entgegnete der fromme Einsiedler Sigismund: "Meine liebe Enkelin Gertraude! Hat uns Gott nicht den Heiligen Brunnen im Duisburger Wald geschenkt mit dem herrlich klaren Wasser, das dich und mich über viele Jahre vor jeder Krankheit bewahrt hat? Die Bürger der Stadt haben mir nicht geglaubt, was ich ihnen von der Kraft des Wassers aus dem Heiligen Brunnen berichtet habe, von seiner Heilwirkung selbst bei schweren Krankheiten und von seiner schützenden Wirkung gegen die Gefahr der Ansteckung. Nun ist der Tag gekommen, an dem sie erkennen müssen, daß meine Worte Wahrheit sind. Das Wasser des Heiligen Brunnens wird Duisburg von der Pest befreien!"

Sigismund kehrte mit seiner Enkelin Gertraude in die Stadt zurück. Er ging in das Rathaus, in dem die Bürgermeister mit den Herren des Magistrats ratlos beisammensaßen und keinen Ausweg aus der Not finden konnten. Nachdem ihn der Ratsdiener angemeldet hatte, wurde er sofort zu der Sitzung zugelassen. Sigismund bat den Rat der Stadt um einige Zelte, die unter den hohen Eichen beim Heiligen Brunnen zur Unterbringung der an der Pest erkrankten Männer, Frauen und Kinder aufgestellt werden sollten. Er bot ihnen an, die Kranken zu pflegen, sie täglich mit dem Wasser des Heiligen Brunnens zu waschen und sie oftmals am Tage davon trinken zu lassen. Mit fester Zuversicht sprach er die Hoffnung aus, daß die Pestseuche in wenigen Wochen in Duisburg gebannt sei.

Am Tage darauf begann man damit, die Zelte am Heiligen Brunnen aufzuschlagen und die erkrankten Menschen durch die vom Magistrat angestellten Träger auf Bahren dorthin bringen zu lassen. Der Einsiedler Sigismund und seine Enkelin Gertraude waren unermüdlich in der Betreuung der todkranken Duisburger, vor allem in der Anwendung des heilkräftigen Quellwassers. Täglich wanderten die bis dahin von der Pestseuche verschont gebliebenen Bürger zum Heiligen Brunnen, um dort von dem schutzverleihenden Wasser zu trinken und hochgefüllte Krüge von ihm mit nach Hause zu nehmen. In wenigen Wochen war die Pestilenz in der Stadt Duisburg erloschen, so wie es der fromme Einsiedler Sigismund dem Magistrat der Stadt Duisburg vorausgesagt hatte. Das hohe Lied von ihm und seiner Enkelin ist bis auf den heutigen Tag noch nicht verstummt, weil die Duisburger ihre Wohltäter und alle Menschenfreunde zu allen Zeiten hoch in Ehren gehalten haben.

 Die alte Räuberhöhle am Steinbruch

Am stillen Steinbruch im Duisburger Wald konnte man einstmals im Felsgestein den Eingang zu einem geheimnisvollen Gang sehen. In ihm hat zu Napoleons Zeiten Mathias Weber aus Grefrath, genannt "Der Fetzer", mit seiner Bande gehaust, der ein ebenso gefürchteter Räuber wie der Schinderhannes gewesen ist. Kaum ein Dorf oder eine Stadt am Niederrhein blieb von ihm verschont. Die Einbrüche, Diebstähle und Raubüber fälle wurden so häufig, daß die Fetzerbande nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Erwachsenen zum Schreckgespenst wurde. Polizisten und Soldaten machten Jagd auf die Räuberbande, doch immer wieder gelang es ihr, rechtzeitig aus einem ihrer zahlreichen Verstecke zu entwischen. Die reichen Leute wagten sich am hellichten Tag kaum noch aus ihrem Haus und während der Nacht verbarrikadierten sie Türen und Fenster.

Als der Fetzer einmal allein in einer Nacht das Pfarrhaus zu Mülheim an der Ruhr überfiel, stieß er auf so heftigen Widerstand, daß er das Heil in schleuniger Flucht suchen mußte. Er schlug sich durch den Duisburger Wald bis zu der Höhle am Steinbruch. Dort blieb er mehrere Tage und sann darüber nach, wie er den Häschern, die den ganzen Wald umstellt hatten, noch einmal entgehen könnte. Schließlich faßte er den Plan, durch List zu einem Pferd zu kommen, um mit diesem in das für ihn sichere Gebiet des Westerwalds zu gelangen, wohin er seine Kumpane nachkommen lassen wollte.

Er umwickelte seinen Kopf mit einer Binde, ließ Blut aus einem seiner Finger, den er leicht mit seinem Messer aufgeritzt hatte, darauf träufeln und stützte sich auf Krücken, die er sich aus Zweigen angefertigt hatte. Auch eines seiner Beine wickelte er in eine Binde, die er aus seinem Hemd gefertigt hatte. Dann schleppte er sich wie ein unter die Räuber gefallener Bauer zu dem Richtweg, der durch den Wald von Mülheim nach Duisburg führte. Dort suchte er nach einem Baum, dessen kräftige Zweige sich weit über den Weg reckten. Als er ihn gefunden hatte, lugte er vorsichtig nach beiden Seiten. Erst dann, als niemand zu sehen war, warf er seine Krücken unter einen Baum auf der gegenüberliegenden Seite des Weges. Dann kletterte er auf den Ast, der sich am weitesten hoch über dem Weg zu dessen Mitte hin ausstreckte.

Nach einer Weile kam ein wohlbeleibter Mülheimer Kohlenhändler hoch zu Roß und wohl zufrieden mit seinen im Ruhrorter Hafen abgeschlossenen Geschäften dahergeritten. Verdutzt und ein wenig erschreckt hielt er sein Pferd an, als er aus der Höhe über sich eine klägliche Stimme vernahm und beim Hinaufschauen auf dem über ihm hängenden Ast einen zerschundenen und zum Krüppel geschlagenen Bauern erblickte. Der Fetzer rief: "Ach, gnädiger Mann, um Gottes willen helft mir armen Bauer! Ich bin unter die Räuber gefallen. Sie haben mich zum Krüppel geschlagen und mich dann hier unter Hohn und Spott auf den Baum gesetzt. Meine Krücken haben sie mir weggenommen, damit ich mir nicht helfen kann und dort drüben unter den gegenüberstehenden Baum geworfen. Wenn ihr ein Christenherz im Leibe habt, dann holt mir meine Krücken herbei!" Der gutmütige Kohlenhändler war sofort zur Hilfe bereit. Er ließ sich von seinem Pferde zur Erde gleiten, das genau unter dem Zweig stand, auf dem der Fetzer saß, und lief über die Straße auf die andere Seite, um die Krücken zu holen. Gerade hatte er sich gebückt und sie aufgehoben, da hörte er hinter sich ein Knacken und Gleiten. Als er sich erschreckt umschaute, sah er gerade noch wie der Fetzer seinem Pferd mitten auf den Sattel fiel, so daß es sich vor Schreck hoch aufbäumte. Doch der neue Reiter hatte es schnell in seiner Gewalt. Es stürmte mit ihm ein kurzes Stück über den Weg, dann verschwand es mit dem Fetzer über einen Seitenweg im dichten Wald.

Der gutmütige Kohlenhändler stand betroffen und unschlüssig mit den Krücken des Fetzers in seiner Hand. Der listige Fetzer aber ritt mit einem pfiffigen Lächeln auf des Kohlenhändlers Pferd in die wiedergewonnene Freiheit hinein. 

Das Taufwasser aus dem Heiligen Brunnen

Das Wasser des Heiligen Brunnens rettet die Duisburger

Wie der Heilige Brunnen seinen Namen erhielt

Der Einsiedler vom Heiligen Brunnen

 

Der Heilige Brunnen wird wahrscheinlich in germanischer Zeit eine Kultstätte der Heiden gewesen sein.

Der ehemalige Glaube der heidnischen Germanen an die heilige Kraft des Wassers vom Heiligen Brunnen lebt in den Sagen fort, in denen von der wunderbaren Heilung der Pestkranken erzählt wird, die sein Wasser getrunken haben.

Zu Ende des Jahres 1349 kam die Pest nach Köln und bald auch zu den anderen Städten am Niederrhein. Im ganzen Lande verbreitete sich das Gerücht, daß die schreckliche Seuche von einem Gift herrühre, das die Juden in die Brunnen der Dörfer und Städte gestreut hätten. Auch die Duisburger Bürger schenkten ihm Glauben. Sie verbannten die Juden aus Duisburg vor die Mauern der Stadt.

An den Stadttoren wurden verstärkte Wachen aufgestellt. Sie prüften sorgfältig die Papiere der Ortsfremden. Wer aus einer Stadt kam, in der die Pest ausgebrochen war, wurde nicht nach Duisburg eingelassen.

Die Pestkranken wurden aus ihren Wohnungen in ein für sie eingerichtetes Haus, in das Pesthaus, gebracht. Eine Pestfrau und ein Pestdoktor betreuten sie.

Der Magistrat ließ die an der Pest gestorbenen Bürger durch sechs von ihm angestellte Träger auf den Friedhof bringen. Sie mußten auch die Gräber zuwerfen. Sie trugen schwarze Mäntel und weiße Stäbe in der Hand, um die Bürger davor zu warnen, sich ihnen zu nähern. Die Träger durften nicht dort erscheinen, wo viele Menschen beisammen waren. Sie mußten den Markt und die Schenken meiden. Die Kirche durften sie nicht besuchen.

An den Häusern, in denen einer der Bewohner an der Pest erkrankt war, mußte ein Strohkranz an der Tür hängen, damit kein Gesunder bei seinem Eintritt angesteckt würde.

Die Familienangehörigen eines an der Pest Verstorbenen durften sechs Wochen lang nicht ihr Haus verlassen.

Die Gesunden beteten jeden Morgen um Bewahrung vor der Pest. Dann kauten sie Angelikawurzeln, tranken Bitterwasser, Wein oder Wacholderwasser, um sich vor Ansteckung zu schützen.

 

In den Räumen der Pestkranken wurden Pech und Eichen- oder Wacholderholz verbrannt. Das „Bußkraut" sollte den Raum von der Krankheit reinigen.

Die Jahre 1566 und 1567 haben in Duisburg erneut zahlreiche Opfer durch die Pest gefordert.

Das Jahr 1587 brachte der Stadt Duisburg nicht nur eine schlechte Ernte, sondern nochmals die Pest. Die ärmeren Bürger wurden durch den „Verkenssnyder" Hans von Unna ärztlich betreut, die übrigen durch den Dr. med. Pibo von Abbema.

In dem Streit zwischen Spanien und den Niederlanden blieb die Stadt Duisburg neutral. Trotzdem mußte sie 1614 etwa 400 Soldaten aufnehmen. Sie waren in der Stadt ebenso gefürchtet wie gehaßt. Als sich der Magistrat bei dem Regenten beschwerte, rächten sich die Spanier dadurch, daß sie im Herbst 1617 versuchten, die Stadt durch eine Feuersbrunst zu vernichten. Zwei ihrer Anführer wurden auf dem Rathausplatz gehängt und ihre Leichen gevierteilt.

Das Ausstreuen von Gift durch die Spanier zur Verseuchung der Brunnen ist nicht bezeugt.

Die als Pest bezeichnete Krankheit ist nicht von spanischen, sondern von deutschen Truppen im Jahre 1622 nach Duisburg eingeschleppt worden.

Die Quelle im Duisburger Wald besaß bereits vor dem Krieg zwischen den Spaniern und den Niederländern den Namen Heiliger Brunnen. Das geht aus einer Stadtrechnung des Jahres 1563 hervor, in der vom „hillgen bornsche Berg" die Rede ist.

Bereits um das Jahr 260 ließ der römische Kaiser Postumus zu Köln Münzen schlagen, die ein Bild zu Ehren des Herkules Deusoniensis, des Donnergottes zu Deuso, trugen. Es mag sein, daß dieser Gott am Heiligen Brunnen verehrt worden ist (Av., Flurn. S. 32)

Der Heilige Brunnen wird durch eine Quelle gespeist, die einstmals Merequelle oder Merefunten genannt wurde. In den Annalen der Stadt Duisburg steht verzeichnet, daß Mr. Simon, der Kohlengräber, am Montag nach Pfingsten des Jahres 1562 mit zwei Gesellen in den Busch gegangen sei, um nach Steinkohlen an der Merefunten zu graben. (funte = lateinisch fons und französisch fontaine) Damals wird man den Eingang in den Berg am Heiligen Brunnen gegraben haben, von dem die Sage jetzt geht, daß von da aus ein unterirdischer Gang in die Stadt zu einer Kirche oder zu einem Kloster führe. (Av., S. 472)

Die andere Stelle, an der er nach Kohlen gegraben hat, läßt sich nicht mit Bestimmtheit angeben. Es können die Stollen sein, die sich am Steinbruch befinden. (Av., 5. 472) Der Chronist Withof schrieb über die Benennung des Heiligen Brunnens „Als merkwürdig ist mir von einer alten, glaubwürdigen Person erzählt worden, die solches wieder von alten Leuten erfuhr, die diese betrübten Zeiten noch erlebt haben, daß damals eine böse, garstige Krankheit bei den Spaniern grassiert habe, deren Ursache sie auf das hiesige Wasser geschoben, welches, obschon nicht das geringste dabei auszusetzen, sie in Spanien viel sauberer und reiner hätten. Und weil einige von ungefähr Wasser aus dem hiesigen Wald zu trinken bekommen und dasselbe heilsam befunden, solcher Orts damals den Namen eines Heiligen Brunnens, welcher noch üblich ist, empfangen habe." (Av., S. 117)

In 34-tägiger Arbeit wurde am Heiligen Brunnen 24 Faden tief gegraben. (Das sind lediglich etwa 45 Meter)

Ludgerus, ein friesischer Adeliger, wurde um 744 geboren. Er missionierte von Werden aus bis in das linksrheinische Erftgebiet, wie eine Urkunde des Klosters aus der Zeit um 800 ausweist.

 

Die alte Räuberhöhle am Steinbruch

Im Volksmund wird der alte Kohlenstollen in der Nahe des Steinbruchs im Duisburger Wald die Schinderhannes-Höhle genannt, obwohl der berüchtigte Räuber des Hunsrücks, nach dem sie den Namen erhalten hat, niemals seim Unwesen am Niederrhein und mithin auch nicht in der Umgegend von Duisburg getrieben hat. Wohl aber hat zur gleichen Zeit hier am Niederrhein und im Ruhrgebiet eine Räuberbande unter der Führung des Fetzers Furcht und Schrecken verbreitet. Nach dem mißglückten Überfall auf das Mülheimer Pfarrhaus fand der Fetzer Unterschlupf in der alten Höhle, einem Steinkohlenstollen aus dem 16. Jahrhundert, am Steinbruch, die deshalb Fetzerhöhle genannt werden müßte. Als ihm der Boden am Niederrhein zu heiß wurde, verlegte er seine Untaten in den Westerwald und in den Taunus. Er wurde dort im Jahr 1803 gefangen und nach Köln gebracht. Dort endete er auf dem Schafott. Er bedauerte am Ende seines Lebens, daß er neben dem Schinderhannes nicht zu dem verdienten Ruhm als Räuberhauptmann gekommen sei. In der Gerichtsverhandlung zu Köln erklärte er mit Stolz: "Wenn der Schinderhannes nicht gelebt hätte, dann wäre ich der große Mann geworden ..."

 

Landeskonservator Rheinland (Hrsg.): Vier Siedlungen in Duisburg 1925 - 1930

Köln 1975

 

Bestand 1974

Kortumstr. 94—128

Kreutzerstr. 1—7; 2—8

Mozartstr. 21—79

Richard-Dehmel-Str. 1—11; 2—20

Richard-Wagner-Str. 51—57, 65—67; 50—108

Silcherstr. 1—7; 2—8

Uthmannstr. 1—19; 2—20

Wildstr. 22—40

 

Ursprünglich bestand die Siedlung aus 441 Wohneinheiten. In den 72 zwei- und dreigeschossigen Mehrfamilienhäusern sind jeweils fünf Wohnungen. Von ursprünglich 81 Einfamilienhäusern sind 74 erhalten. 

 

Geschichte

1927 schrieb der Gemeinnützige Bauverein AG Essen einen Wettbewerb aus zur Errichtung von Wohnhäusern auf dem Gelände zwischen Wildstraße, Kortumstraße und Mozartstraße. Den 1. Preis erhielten Johannes Kramer und Walter Kremer in Gemeinschaft mit Stadtbaurat Hermann Bräuhäuser aus Duisburg. Die Verleihung der weiteren Preise an Emil Fahrenkamp aus Düsseldorf (2. Preis), Wilhelm Riphahn und Caspar Maria Grod aus Köln (4. Preis, der dritte wurde nicht vergeben) und Pfeiffer & Großmann aus Mülheim/Ruhr (4. Preis) zeigt, daß an diesem Wettbewerb bedeutende Architekten beteiligt waren. Entwürfe von Josef Rings aus Essen, Kurt Ritterhaus aus Duisburg und Heinrich Bähr aus Duisburg wurden angekauft. Fertiggestellt wurde die Siedlung 1930. 

 

Die Gesamtanlage

Johannes Kramer und Walter Kremer gehörten zu den Architekten, die an dem Wettbewerb beteiligt waren, der eine Alternative zum städtischen „Vierhunderthäuserplan“ (Dickelsbachsiedlung) bringen sollte. Eines der grundsätzlichen Argumente der Privatarchitekten gegen das Typenhausprojekt des Stadtbauamtes hatte gelautet, daß auf dem verfügbaren Gelände nicht eine so große Zahl von Einfamilienhäusern errichtet werden könne; mehrgeschossige Bauten mit Einfamilienhäusern zu kombinieren sei ökonomischer und der Grundstücksgröße angemessener. Dieses Prinzip der Mischung ist bei der Einschornsteinsiedlung realisiert.

Die Gesamtanlage ist, da es sich um ein mittelständisches Wohnquartier handelt, wesentlich freundlicher als die städtischen Typenhaussiedlungen. Die Straßenräume des rechtwinkligen Systems sind durch Vorgärten und Bäume aufgelockert. Durch die Geschoßstaffelung und durch die zurückliegenden Treppenhäuser sind die größeren Bauten so gegliedert, daß auch bei Zeilen von über 100 m Länge keine eintönige Front entsteht. Von den Baublöcken werden weite Innenhöfe mit Spielplätzen umschlossen. Den Einfamilienhäusern sind kleine Gärten zugeordnet.

Als Heizwerk, Autogarage, Werkstatt, Wasch- und Badehaus diente ursprünglich das große Gemeinschaftsgebäude im Zentrum, überragt von einem rechteckigen Kamin in Klinkermauerwerk. Eingeschossige Ladenbauten flankieren die Gabrielstraße.

 

Die einzelnen Haustypen

Die zu langen Reihen zusammengefaßten, zweigeschossigen Einfamilienhäuser sind anscheinend aus den städtischen Typenhäusern entwickelt worden. In zwei Varianten (Typ 3 und 4) wurden die 6 m breiten Bauten errichtet. Als sechsräumiges Haus: im Erdgeschoß an der Straßenseite ein Wohnzimmer, an das sich im rückwärtigen Teil, mit einer weiten Öffnung verbunden, das Eßzimmer anschließt. Die Küche schiebt sich in der Form eines eingeschossigen Anbaues über die Rückfront des Hauses vor. Damit wird eine Lösung, die bei den städtischen Typenhaussiedlungen ganz konsequent aus dem Raumgefüge entwickelt ist, als formales Motiv aufgenommen. Das Obergeschoß nehmen drei Schlafräume und das Badezimmer ein. Die zweite Variante unterscheidet sich von der ersten vor allem durch den Grundriß des Obergeschosses: hier sind Bad und Toilette als getrennte Räume zwischen die vorderen und rückwärtigen Schlafzimmer eingefügt. Dadurch, daß die Treppe vom Eingang etwas zurückverlegt wurde, ist im Obergeschoß Platz für eine weitere Kammer.

Auch für die Häuser mit Etagenwohnungen wurden aus einem Typ zwei Varianten entwickelt (Typ 1 und 2), die zwei-, drei- und vierräumige Wohnungen enthalten. Alle Zimmer sind der Gartenseite zugeordnet. Nur bei den größten Wohnungen liegt neben der Küche, an die sich eine kleine Eckloggia anschließt, ein Zimmer zur Straße hin. Alle Wohnungen sind mit Badezimmern ausgestattet. Das Stockwerksniveau der zwei- und dreigeschossigen Trakte ist gegeneinander versetzt.

 

Literatur

Duisburger General-Anzeiger 1927

Nr. 124 vom 15. 3.; Nr. 178 vom 17. 4.

 

Rhein- und Ruhr-Zeitung 1927

Nr. 168 vom 9. 4.

 

Deutsche Bauzeitung 61, 1927, 5. 160

Zentralblatt der Bauverwaltung 47,1927,S. 102f. und S.

226

 

August Hoff, Zu Emil Fahrenkamps neuesten Arbeiten,in: Moderne Bauformen 27, 1928, S. 1—48.

 

 

Kolonisationsbestrebungen Friedrichs des Großen am Niederrhein 

Von Dr. Walter Ring

Duisburg 1917.Im Selbstverlage des Museumsvereins.

Gründung von Neudorfs

Wir wenden uns zu der Gründung von Neudorf, der „Kolonie auf der Duisburger Heide.“

Im November 1769 kam ein von der Regierung angeworbener größerer Transport meist unbemittelter Pfälzer nach dem Niederrhein und wurde auf die zum Anbau geeigneten Städte und Heidepfälze verteilt. Auch Duisburg bekam seinen Anteil. Es waren der Pumpenmacher Luft, der Maurer Gottwald, der Leineweber Strauch, der Aderer Gondermann und die ihnen folgenden Bachmann, Rhein und Schütz. Zwar ging ihnen der Ruf voraus, daß sie neben ihrem Handwerk wüstes Land zu bebauen Lust hätten und mit ihren Kameraden ein ganzes Dorf anzulegen gedächten. Der Kriegsrat Sobbe befahl schon, darauf zu achten, daß die Häuser in einer geraden Linie und nicht so zerstreut gebaut würden. Aber bei der völligen Mittellosigkeit der Leute war ein solchen Plan nicht zu verwirklichen.

Der Magistrat wollte zunächst nur den mit einem Empfehlungsschreiben versehenen Gondermann aufnehmen, da für die übrigen es an Wohnungen und Subsistenzmitteln für den Winter fehlte. Außerdem wäre an Erwerb für die Handwerker kaum zu denken, wenn sie nicht bei den Schiffswerften in Ruhrort Arbeit fänden. Vielleicht könnten sie aber bis zum Frühjahr in Schermbeck und Dinslaken untergebracht werden.

Die Clevische Kammer blieb jedoch zunächst bei ihrem Plane. Sie verfügte am 28. November 1769: „Da wir nun die Anziehung der Fremden auf alle mögliche Weise poussieret wissen wollen, und wir dabei unter anderem auf die völlige Urbarmachung der ansehnlichen Duisburgschen Heide hauptsächlich unser Augenmerk mitgerichtet haben, so befehlen wir euch allergnädigst, ohne Fehl binnen 14 Tagen euern ausführlichen Bericht von der jetzigen Größe und Beschaffenheit dieser Heide und wieviel Etablissamente von 10 Morgen holländisch gemacht sind und noch gemacht werden können, anhero abzustatten.“

Die Antwort des Duisburger Magistrats lautete: Außer Portmann, P. Eter und Geh. Rat von Eichmann hat „sonst niemand einiges Land auf der Heide angewiesen bekommen, noch ist es verlangt worden.“ Mithin sind von den verfügbaren 60 Morgen Heide noch ca. 50 Morgen = 5 Etablissements zu 10 Morgen übrig; „wiewohl es unseres  unvorgreiflichen Dafürhaltens besser wäre, wenn die Etablissements nicht so groß angelegt und anstatt 10 Morgen nur 3, 4, höchstens 5 genommen würden, wozu sich auch eher Liebhaber finden werden. Die vier hierhin gesandten Kolonistenfamilien haben auch auf der Heide noch keine Anweisung begehret. Derselben Unvermögen, Armut und Faulheit .... bringen auf der Heide nichts fertig; sie sind keine Ackerbauverständige, sondern nur verdorbene Schneider, Sackträger und arme Tagelöhner.“ Die Kinder schickten sie bis ins benachbarte Bergische betteln, was dem Lande keinen guten Namen machte, trotzdem ihnen Arbeit und Verdienstgelegenheit nachgewiesen wäre. Auf diese Weise würde das Land nur mit Landstreichern angefüllt.

Die Kammer beschloss darauf, die 50 Morgen Heide nicht zu vergeben, sondern für die erwarteten bemittelten Oberpfälzer (Darmstädter) zurückzustellen. Gondermann, Bachmann, Rhein und Schütz aber bettelten weiter um Vorschutz und Heideland, da sie auf dies Versprechen hin ihre Heimat verlassen hätten und sonst weder Etablissement noch Brot fänden. Der Kommissar Schuch hätte ihnen Land, Bauholz, Unterhalt und Baugeld versprochen. Man war bereit, ihnen ein paar Morgen, worauf sie Erdäpfel ziehen könnten, zu geben, auch 8 Taler Baugeld für ein Gebund, empfahl ihnen aber, als Arbeiter den demnächst ankommenden bemittelten Kolonisten an die Hand zu gehen, wobei sie sich besser stehen würden.

Gondermann nahm schließlich eine Stelle als Knecht bei Peter Buchholz auf der Walfmühle am Dickelsbach an. Den anderen drei Familien sollte solange nachgeholfen werden, bis sie untergebracht und imstande wären, sich selbst eine Wohnung zu mieten. Die Leute hielten sich noch einige Tage in der Stadt auf. Am 29. März 1770 aber mußte der Magistrat anzeigen, daß die Kolonisten Schütz, Bachmann und Rhein ohne Patz und „insalutato hospite repatriieret“ wären, nachdem die gerade noch 3 Taler 10 Stüber Barunterstützung erhalten hätten.

Das Wohlwollen des Magistrats und ihr eigenes schlechtes Verhalten hinderte sie aber nicht, in ihrer Heimat sich bei dem Kriegs- und Domänenrat Domhardt zu Rhein-Türckheim über die ihnen zu Teil gewordene Behandlung und den Bruch der Versprechungen zu beschweren. Diese Beschwerde wurde nach Duisburg zur Äußerung übersandt. Vom Magistrat darüber vernommen, sagte Gondermann aus, es wäre wahr, daß ihnen bis zu einer eigenen Ernte Brot, Quartier und Feuerung versprochen worden wäre. Arbeit hätten die drei Rückwanderer genug haben können; aber sie wären Faulenzer, die nicht arbeiten wollten. Besonders wäre „das listige Maulwerk der Frau Schütz“ an der Unzufriedenheit Schuld. Auch ihn hätten sie zum Wegzug überreden wollen; aber wenn es ihm auch noch nicht nach Wunsch ginge, so hoffte er sich doch mit der Zeit durchzuhelfen.

Sein Fleiß ermöglichte es ihm auch, schon im nächsten Mai 1 Kuh und 2 Schweine anzuschaffen.

Die Clevische Kammer hielt es trotz des schlechten Verhaltens der wieder abgezogenen Kolonisten für geboten, für die Zukunft dem Magistrat eine gute Behandlung der Ansiedler einzuschärfen und ihn für die Rückwanderung verantwortlich zu machen. Sie wollte damit den üblen Eindruck verhüten, den eine solche Rückkehr aus getäuschten Hoffnungen in der Heimat der Kolonisten machen mußte.

Bei allem Interesse, das die Clevische Kammer für ihre Kolonisten zeigte, wurde jedoch niemals die vorgeschriebene preußische Sparsamkeit außer Acht gelassen. Mit ihrer Etablissementskasse ging sie sehr haushälterisch um. Als der Magistrat die Erstattung von 10 Taler Miete aus dieser Kasse erbat, weil die zurückgewanderten Pfälzer während des Winters ein der reformierten Vicarie gehöriges leeres Haus bewohnt und es in dieser Zeit sehr „deterioriert“ hätten, wurde ihm zur Antwort, die Kolonisten hätten zum Teil der Religion wegen ihr Vaterland verlassen; daher eigneten sich dergleichen geistliche Häuser vorzüglich zur Unterbringung armer Kolonisten.

Größer angelegt, und, da es sich um etwas bemittelte Leute handelte, bessere Erfolge verheißend war die Ansiedlung von Kolonisten aus Hessen-Darmstadt, dort, wo heute Grabenstraße und Sternbuschweg die Koloniestraße kreuzen.

Der erste vorbereitende Schritt hierzu wurde getan durch übersendung eines clevischen Kammerrescripts vom 14. April 1769 an den Magistrat von Duisburg:

„Da uns angezeigt ist, daß verschiedene Leute aus dem oberrheinischen Kreise, worunter auch bemittelte Familien sein sollen, sich als Kolonisten in den hiesigen Landen, als Bauern und Handwerker etablieren wollen, und wir dahero mittelst Rescr. Clem. d. d. Berlin den 4. cr. zu untersuchen befohlen, wo und an welchen Orten, teils auf dem platten Lande, teils aber in den Städten dergleichen anzusetzen Gelegenheit vorhanden ist, so befehlen wir euch hiermit in Gnaden, diese Untersuchung sogleich vorzunehmen und binnen höchstens 8 Tagen anzuzeigen,

a)     was für Bauern, Adersleute und dergl. auf Cämmerei-Patrimonial-Gründen angesetzt, ingleichen

b)     was für Handwerker in den Städten eures Kreises fehlen, und also noch etabliert werden können.

Wir wollen aber davon

a)     detaillierte specificationes und zwar

b)     auf das allerschleunigste und dergestalt eingerichtet erwarten, daß daraus zu ersehen ist,

a)     wie groß die unterzubringenden Stücke und von welcher qualité sie sind,

b)     wieviel davon nach dem letzten Anschlage

1.      an Domainen,

2.      an sonstigen publiquen Lasten alljährlich abzuführen,

c)     was einer jeden Familie für Beneficien zustatten kommen, und

d)     worauf sie eigentlich Rechnung machen können.

Hierdurch vollbringt ihr unseren Willen und Befehl.“

 

Wir geben die Antwort des Duisburger Magistrats ausführlich wieder, da sie uns über die Pflichten und Rechte, die man den Kolonisten zugestehen wollte, unterrichtet:

Aus dem Kämmereigrund des Neuenkamp sind 15 kleine cölnische Morgen mit 5 Halbbauern besetzt. Weitere Haushaltungen kommen dort ohne Nachteil der Kämmerei nicht in Frage. „Hingegen ist auf der hiesigen Heide, wo aber das Terrain sehr sandig ist, noch Platz, um etliche Häuser zu bauen, wenn nur allein die Kolonisten einig Vermögen haben, zur Erbauung der Häuser und Anschaffung des nötigen Viehes, welches letzteres daselbsten wegen der Düngung ohnentbehrlich ist; sonsten wird Magistratus sie auf alle Weise zu assistieren suchen.

Es fehlen in dieser Stadt noch hiesige Handwerker:

        1  Tapetenpapier Fabrikant (nach engl. Art)

        1  Gewachstuchmacher,

        1  Messerschmied,

        1  Sensen- und Sichelschmied,

        1  Kammacher,

        1  Seilspinner,

        1  Sargemacher,

        1  Bettzeugen Weber,

        1  Nagelschmied,

        1  Klumpenmacher,

        1  Büchsenschäfter,

        1  hölzerne Löffel und Kump Drechsler,

        1  Bürstenbinder,

 1  Töpfer,

welche alle ihr Brot hieselbsten finden können, wann nur allein fleißig sein wollen.

Die zu entrichtende Leistung betreffend, bestehen sowohl für die auf dem Lande als in der Stadt wohnenden Bürger darinnen, daß die Fremden gleich die Einheimischen

a)     daß ein jeder das auf seine Haushaltung repartierte Salz und Tabaksgeld abholen und zahlen muß;

b)     muß ein fremd einkommender nach Verlauf von 2 Jahren bürgerliche Lasten tragen, bestehend erforderlichenfalls in Wachten und Dienst;

c)     ist ein jeder schuldig, die jährlichen Werbegelder zu zahlen, welche nach proportion des Hauses terminiert werden;

d)     ist ein jeder schuldig, das Gemahl zu beraccifen und nach proportion seines Gewerb Fixierungs-Gelder zu zahlen: wohingegen sie aber auch folgende Beneficien genießen, als

A)     die Exemtion von aller Enrollierung;

B)     die Exemtion von Zahlung sonstiger anderwärts gebräuchlichen Steuern;

C)     die Freiheit, 2 mal in der Woche, als des Dienstags und Freitags, in dem Walde ohnentgeltlich Holz zu rasteln;

D)     die freie Hütung für ihrem Vieh auf der Heide, und

E)     wird denen fremd Hereinziehenden das freie Bürger- und Meisterrecht accordieret, wenn sie nur allein mit hinlänglichen Attestatis versehen sind, wie überhaupt alle mögliche Assistance zu Facilitierung der neu anziehenden Etablissement von Magistrats wegen erwiesen.“

 

Die Kammer zögerte nicht, auf Grund dieser Angaben einen Zug Kolonisten nach Duisburg zu weisen. Als der Transport im Oktober 1769 angemeldet war, wurden dem Magistrat noch einmal Maßregeln zur Vorbereitung ihres Unterkommens vorgeschrieben. Den Winter über sollten die Ankömmlinge bei den Bauern bestens untergebracht werden.

Unterdessen tauchte noch einmal ein alter Plan auf. Wintgens und der Hofrat von Coßhausen machten sich nämlich Ende Januar 1770 anheischig, wenn sie die 50 Morgen Heide zum Eigentum bekämen und dazu 10 Freijahre, ohne Gebundsgelder zu verlangen, 5 Häuser für einen Topfbäder und einige Wollspinner zu bauen und das Land urbar zu machen. Sie wurden aber abgewiesen; denn die Duisburger Heide sollte für die ankommenden Kolonisten bestimmt bleiben.

Am 8. Februar 1770 meldeten sich bei der Clevischen Kammer 21 Kolonisten aus Hessen-Darmstadt, denen die Regierung Aufnahme auf der Duisburger Heide versprach. Sie erschienen vorläufig „auf Beschau“, ohne ihre Familien. Aber die Kammer hatte ihnen mehr Land in Aussicht gestellt, als die Duisburger geben konnten. Der Magistrat der Stadt erhob daher Einspruch und machte die Clevische Kammer auf die Lipper Heide bei Meiderich und die Aldenraber Heide bei Hamborn aufmerksam, wo für 50 und mehr Familien Platz vorhanden wäre. Auch die von den Kolonisten beanspruchten 100 Morgen des an die Duisburger Heide angrenzenden Waldes wurden abgeschlagen. Nur für 9 Familien wurden Landanweisungen von je 6 hollandischen Morgen vorgenommen.

Auffälligerweise erklärten nun die Kolonisten bei der Regierung, von ihrer Niederlassung bei Duisburg wegen besonderer Schwierigkeiten vielleicht ganz Abstand nehmen zu müssen. Hierüber zur Rede gestellt, erklärte der Magistrat das sonderbare Benehmen der Kolonisten mit dem Umstande, daß ihnen „von bösartigen Leuten in Absicht der im Lande subsistierenden Abgaben eine sinistre idée beigebracht worden.“ Alsbald wurde gegen solche Anschwärzer eine Strafandrohung erlassen.

Nach geschehener Landanweisung kehrten die Kolonisten in ihre Heimat zurück, um ihre Familien, sowie Vermögen, Hausrat und Gerätschaften zu holen. Der Magistrat sah sich indessen nach Wohnungen für die Erwarteten um und traf sonstige Vorbereitungen für ihre Aufnahme. Die Bedürftigen sollten täglich mit ½ Stüber Schlafgeld für jede Person auf 3-4 Monate aus der Etablissementskasse unterstützt werden, Bauholz aus dem Walde wurde ein Viertel unter dem Taxpreise für sie bereitgestellt, sogar der Bau eines eigenen Ziegelofens wurde in Erwägung gezogen.

Endlich, am 20. Mai 1770, schickte der Kriegs- und Domänenrat Domhardt, der sich zu Werbezwecken am Oberrhein aufhielt, mit anderen Kolonisten 13 hessen-darmstädtische Familien ab, die in Duisburg Aufnahme finden sollten. Sie waren bis dahin durch die Veräußerung ihrer Güter aufgehalten worden.

Am 26. Mai traf zu ihrem Empfang der Kriegs- und Domänenrat Michaelis in Duisburg ein, und am 30. kamen sie selber, 73 Personen. Es waren die Familien Joh. Becker, J. R. Kautzmann, Herm. Friedrichs, Peter Kautzmann, J. Bartel Ochs, J. Chr. Schneider, J.Val. Fischer, Ph. Langen, H. Thilemann, J. Müller, J. B. Trager und J. Ph. Delp. Dazu ein Schneider namens Roth, der aber schon am 1. Juni am Schlagfluß starb. Seine Frau mit den drei Kindern kehrte in die Heimat zurück.

Nach vielen Jahren, im Jahre 1817, schilderte der damalige Bauermeister von „Neudorf“, Johann Schneider, die Einwanderung der ursprünglichen Kolonisten mit folgenden Worten:

„Am Ende der 1760er Jahre erging von Königlich Preußischen Commissarien eine Aufforderung an mehrere Einwohner im Hessen-Darmstädtischen und anderen Orten, sich mit ihren Familien im Herzogtum Cleve zu etablieren. Groß waren die Beneficia, einladend die Vorteile, welche den sich neu ansiedelnden Kolonisten versprochen wurden. Trauend diesen süßen Versprechungen, welche damals im Namen  des großen und gerechten Königs gegeben wurden, entschlossen sich mehrere Familien, diesem Königlichen Rufe zu folgen, und ihr Feuer, Herd und Vaterland zu verlassen.

 

 Die 10 Hausplätze liegen an der Nordseite der jetzigen Koloniestraße. Einige der ursprünglichen Kolonistenhäuser sind bis jetzt noch erhalten.

Der Weg zwischen den Grundstücken, die den Hausplätzen zugeteilt sind, ist der jetzige Sternbuschweg.

Westlich der Landwehr befindet sich heute die Grabenstraße.

 

Sie verkauften daher ihre Besitzungen und was sonst nicht transportabel war, und eilten so mit einem geringen Mobilar-Bestand ihrem neuen Vaterlande, dem preußischen Gebiete zu.

12 dieser Familien blieben in Duisburg.“

6 von ihnen erhielten je 6 holländische Morgen, und 6 je 3 holländische Morgen, im ganzen 54 Morgen. (Ein holländischer Morgen ist gleich 3 Morgen 85 Quadratruten preußisch. Ein preuß. Morgen = 25,53 Ar.)

Das Kärtchen auf Seite 73 gibt über die Vermessung der Heide für die Kolonisten Auskunft.

Die Kolonisten machten sich gleich an die Urbarmachung der ihnen zuteilgewordenen Heide. Weil sie vorläufig keinen Verdienst hatten, zahlte man ihnen für die Person täglich 2 Stüber Brotgeld. Die Tagegelder im Betrag von 5 Stüber (2 gute Groschen) hatten sie nur bis zum Tage ihrer Ankunft erhalten. Die Hälfte der edictmäßigen Gebundsgelder sollte ihnen ausgezahlt werden, sobald sie mit dem Hausbau begonnen hätten. Becker, Müller und die Brüder Kautzmann machten schon am 17. Juli Anspruch auf diese Vergütung, da alles zum Bau vorbereitet wäre. Jedoch nur die beiden Kautzmann und Müller erhielten im August 16 Taler.

Beckers Hausbau verzögerte sich. Denn der unruhige Mann, der es auch später in Duisburg zu keinem dauernden Anbau brachte, plante, von dem Bürgermeister Schwartz zu Xanten angelockt, ein Bauerngut im Amte Winneckendonck a. d. Niers zu kaufen. Er kam aber nicht dazu, da ihm falsche Angaben gemacht worden waren. Reumütig kehrte er zu seiner Heide zurück und empfing nun die versprochenen halben Gebundsgelder zum Hausbau.

Der tatkräftige erste Bürgermeister Wintgens, dem das Zustandekommen der Kolonie zum großen Teile zu danken ist, protestierte aus diesem Anlaß energisch gegen das Vorgehen des Kollegen Schwartz in Xanten. Er solle die Duisburger Kolonisten in Ruhe lassen, solche lieber aus der Fremde herbeiziehen und sich nicht mir den Bemühungen anderer Bedienter groß machen. Wintgens hatte die Genugtuung, daß  sein Eifer in der Kolonistenangelegenheit dem Xantener Magistrat gegenüber gelobt wurde.

Unterdessen waren die Baupläne für die Häuser der Kolonisten genehmigt worden, trotzdem die Regierung sie eigentlich für zu groß hielt (siehe Zeichung). Aber nun begannen beim Bau die Schwierigkeiten mit den Handwerkern, die die Arbeit nachlässig betrieben. Im Oktober musste der Magistrat unter Androhung von Strafe den Zimmermeister Waterkamp dazu drängen, vor irgend einer anderen Arbeit die begonnenen Häuser von Bartel Ochs und P. Kautzmann fertig zu stellen, denn vor Winteranfang müssten die Häuser bewohnbar sein. Der Schmied Portmann, der die übrigen Häuser baute, war rühriger, wie er uns schon von Duissern her bekannt ist.

Unterdessen hatten am 13. August die Kolonisten um eine größere Landanweisung gebeten, und zwar um den Heidedistrikt

 

Kolonistenhaus in Neudorf 

zwischen Kuhtor und Grunewald. Die Regierung wies die Leute ab; sie hätten vorher gewußt, daß sie sich in die zur Urbarmachung bestimmten 54 holländischen Morgen teilen müßten. Das wäre auch genug zu ihrem Unterhalt. Der Magistrat äußerte sich ebenso ablehnend und berief sich auf die Königl. Entscheidung aus dem Jahre 1755/56, wonach von der Heide nicht mehr als 60 Morgen urbar gemacht werden sollten. Nun wären mit den Anweisungen für Portmann, Eter und Professor von Eichmann aber schon 62 Morgen ausgeteilt. Es wäre zu vermuten, daß andere Personen dahintersteckten, die das von den Kolonisten urbar gemachte Land übernehmen möchten, oder aber die Kolonisten wollten mehr zu sich nehmen, als sie zu verdauen imstande wären. Übrigens zeigten die ungerechtfertigten Beschwerden über Mangel an Assistenz den Undank der Leute.

Sie waren bisher ganz gut vorwärtsgekommen. Der schon mehrfach erwähnte Bericht des Kammerpräsidenten von Ostau über seine Inspektionsreise Anfang September 1770 sprach von dem guten Erfolg der jungen Kolonie auf der Duisburger Heide. Ein besonderes Lob erhielt verdientermaßen der Magistrat. „Überhaupt kann ich dem Magistrat zu Duisburg, welcher für allen Magistraten im Clevischen Kammer-Departement am eifrigsten im Dienst sich beweist, das Zeugnis nicht versagen, daß er erst vorzüglich sich angelegen sein lässet, das Etablissement derer Kolonisten nach Ew. Königl. Majestät gnädigsten Intention zu favorisieren.“

Weil einige der Ansiedler sich nachlässig zeigten, wurde ihnen mit Entziehung der Unterstützung gedroht, falls sie im Frühjahre sich nicht anbauen würden.

Da erst ein geringer Teil der Heidefläche (15 Morgen 47 Ruten) hatte besät werden können – der einsetzende Winter verhinderte ein weiteres „Brennen“ der Heide, - waren die Aussichten für das kommende Jahr noch nicht rosig. Zur Unterstützung wollte man den Kolonisten, deren „Konservierung“ gesichert wäre, im Frühjahre je 20 Taler zur Anschaffung einer Kuh vorstrecken. An Arbeit fehlte es nicht. Neben der eigenen Arbeit an ihrem Etablissement halfen die Leute auch wohl ihren Hauswirten ein paar Tage.

Für den Fall, daß der eine oder andere keinen Erfolg hätte, gedachte der Magistrat, an seine Stelle tüchtige Einwohner aus Mülheim und dem benachbarten Bergischen zu setzen.

Im Dezember wurde die Auszahlung der Brotgelder eingestellt; den Leuten sollte Arbeit verschafft werden. Da das aber leichter gesagt als getan war, trat jetzt bei denen, die ihr Vermögen aufgezehrt hatten, Not ein. Die Bewohner der fertigen 4 Häuser nahmen zwar noch je eine Familie vorläufig auf. Aber nun wurden diesen auch die Schlafgelder gestrichen. Die mißliche Lage brachte manchen der Leute auf Abwege. Delp schickte seine Kinder betteln, Bartel Ochs wurde Anfang Januar 1771 mitsamt seiner Tochter auf einem Holzdiebstahl im Walde ertappt. Da er reumütig Besserung versprach, ließ man ihn ohne Strafe.

Die Lage der Kolonisten war so bedenklich geworden, daß in dieser Zeit die monatlichen Tabellen den ständigen Vemerk hatten, wenn ihnen  nicht einige hundert Taler zur Vollführung ihres angefangenen Etablissements gegen landesübliche Zinsen vorgestreckt würden, wären einige (Müller, Delp, R. Kautzmann) gezwungen, ihr angefangenes Anwesen zu verlassen.

In den ersten Monaten von 1771 folgte eine Bitte um Vorschuß der anderen. Außer den zuständigen Gebundsgeldern gab die Etablissementskasse aber nichts her. Die Stadt konnte auch niemand namhaft machen, der den Kolonisten bei ihrer noch überaus unsicheren Lage etwas vorgestreckt hätte. Es war ein kritischer Zustand. Da fanden sich wohl bittere Bemerkungen in den Berichten des Magistrats: der Becker hätte besser getan, ein kleineres Haus zu bauen und bei der Urbarmachung mit den Seinigen selbst Hand anzulegen. Ein solches Werk durch fremde Leute im Tagelohn verrichten zu lassen, koste freilich viel.

Trotzdem schließlich Vorschüsse zur Anschaffung der Sommersaat und je einer Kuh bewilligt wurden, wandten sich die Darmstädter am 22. April 1771 mit einer Beschwerde über den Duisburger Magistrat und die Clevische Kammer direkt an den König. Unter gehässigen Ausfällen gegen den Magistrat behaupteten sie, im Vergleich zu den Kolonisten auf der Gocher und Asperdischen Heide benachteiligt worden zu sein. Ihr Boden wäre der Schlechteste, dazu dem Fruchtraub der wilden Pferde, die in dem benachbarten Walde gehalten würden, ausgesetzt. Sie baten,

1.      ihnen die zum Ackerbau und Wiesenwachs noch nötigen 30 holländischen Morgen rechter Hand des Kuhtors nach dem Grunewald anzuweisen,

2.      nach Verlauf der Freijahre den Grundzins zu beschränken,

3.      ihnen den höchst nötigen Vorschuß von im ganzen 1415 Taler aus einer öffentlichen Kasse zu verschaffen. 

Bevor noch über die Beschwerde in Berlin entschieden war, bekamen die Kolonisten die Aufforderung aus Cleve, anstatt Vorschüsse zu verlangen, wovon das Publicandum vom 1. September 1769 erwähnte, lieber zu arbeiten, wozu bei den Wegereparaturen genug Gelegenheit wäre. Daran täten sie besser, als vergeblich Deputierte nach Berlin zu schicken, „da die allerhöchste Intention gar nicht dahin gehet, Faulenzer auf Kosten publiquer Kassen zu unterhalten.“

Die Magistrate wurden angewiesen, „solche Familien, welche auch mit Beihülfe der Beneficien kein nützliches Etablissement formieren könnten,“ als Tagelöhner anzusetzen. Bei Auszahlung der Meilengelder und Beneficien müsste die Etablissementskasse vor jedem Risiko, das Geld unnütz auszugeben, bewahrt werden.

Von Berlin erging am 21. Mai die Entscheidung, daß der Oberamtmann von Weinhagen die Beschwerden der Kolonisten auf ihre Berechtigung untersuchen sollte.

Bürgermeister Wintgens hatte die einzelnen Beschwerdepunkte in längerer Ausführung glänzend widerlegt und geschlossen: Die Ursache der Unzufriedenheit, vor allem des Kolonisten Becker, ist die: „Man hat die Rechnung außer dem Wirt gemacht; man hat obrigkeitlichen Rat verachtet und ist anderer Leute Gesinnung gefolgt. Man hat große, anstatt mittelmäßige und kleine Häuser, also über Vermögen gebauet. Des Becker Haus und Stallung kosten über 1200 Taler da können alle Vorschüsse nichts nützen.“ (Siehe nebenstehende Zeichnung.)

Unterdessen waren den Kolonisten, die ihren Anbau gefördert hatten, Erbverschreibungen ausgefertigt worden, deren wesentlichste Bestimmungen waren:

     Die Heide soll sobald wie möglich urbar gemacht und bebaut werden.

     15 Jahre lang ist der Besitz frei von allen öffentlichen Abgaben; danach sind von jedem holländischen Morgen jährlich 35 Stüber zu bezahlen. Doch bleibt das Land beständig zehntenfrei.

     Persönliche Lasten und Werbefreiheitsgelder sind in gleicher Weise wie von den Eingesessenen zu leisten.

     Die Gebäude müssen in die Feuer-Sozietät aufgenommen werden.

Am Tage, nach dem sie unterschrieben hatten, kamen die Kolonisten schon mit neuen Klagen. Die Kontrakte entsprächen nicht ihren berechtigten Wünschen; ohne ihnen Zeit zum Überlegen zu geben, hätten sie unterschreiben müssen. Von der Untersuchung ihrer ersten Beschwerde  durch den von Weinhagen erwarteten sie auch  nichts Gutes, da er mit dem Duisburger Magistrat verschwägert sei. Wenn ihre Klagegründe nicht abgestellt würden, so müßten sie ihre Ansiedlung verlassen und in ihre Heimat abziehen.

Die Clevische Kammer, der ein Fortziehen der Kolonisten in Berlin vermerkt worden wäre, antwortete sehr milde. Die Beschwerden gegen den Magistrat und von Weinhagen wären unzulässig und voreilig; selbige wären „als geschickte, rechtschaffene und redliche Subjekte“ bakannt; besonders Wintgens hätte ihnen alle mögliche Förderung zuteil werden lassen. Es wurde ihnen angeraten, zu „einem solchen Magistrat mehr Zutrauen, Liebe und Hochachtung zu fassen,“ und sich „nicht von anderen Leuten irre machen zu lassen.“

Anders war der Ton, den der Bürgermeister Wintgens anschlug. Er wandte sich scharf gegen den Verfasser der Kolonistenbeschwerde, den Duisburger Advokaten Hoffmann, „der damit ein unleugbares Bekenntnis seiner in Absicht des Magistrats recht passionierten und feindseligen Gesinnung an den Tag gelegt“. Man möchte doch die Kolonisten über ihre angeblichen Beschwerden praevia admonitione de dicenda veritate unerwartet zu Protokoll vernehmen, um durch ihre Aussagen eine Handhabe gegen den Anstifter zu bekommen. Denn wenn sie durch Fremde ungestraft derart gegen den Magistrat

 Plan des Kolonistenhauses von Joh. Becker in Neudorf. 

aufgehetzt werden dürften, könnte das Etablissement nicht ordentlich zustande kommen.

Trotz dieser ärgerlichen Zwischenfälle versprach Wintgens, weiter für die Kolonisten zu sorgen, und beantragte noch am gleichen Tage, dem 5. Juli, den Darmstädtern schnell mit Vorschüssen zu helfen. „Einige von ihnen, welche fleißig sind, dürften sich noch wohl durchhelfen, allein der größeste Haufen darunter spazieren lieber herum, und halten sich mehr mit Projekten fremder Ratgeber auf, als daß sie ihre vorgesetzte Obrigkeit, die es treu und redlich mit sie meint, folgen sollten. Doch die Zeit und Geduld wird alles näher entwickeln.“

Bei der protokollarischen Vernehmung des Becker und der mit ihm vorgeladenen Kolonisten stellte es sich richtig heraus, daß sie die Beschwerden gegen den Duisburger Magistrat auf Anstiften des Hoffmann erhoben hatten, gegen besseres Wissen, um der Behörde Verdruß zu machen. Dem Hoffmann wurde darauf befohlen, das Etablissement nicht mehr zu betreten, und die Kolonisten wurden aufgefordert, ihm das Honorar für seine Schreibarbeit nicht zu bezahlen. Damit war der Fall erledigt.

Bei ihrer Bitte um mehr Heideland konnte man den Kolonisten entgegenkommen. Oberamtmann von Weinhagen berichtete, daß nach dem Verhältnis des Viehstandes und des Plaggenbedarfs der Duisburger Eingesessenen zur Heidefläche man eigentlich nichts mehr abgeben könnte. Doch wäre für die Kolonisten noch ein District von 25 Morgen zwischen ihren Feldern und dem Walde ausgemittelt worden (also nicht der verlangte Platz am Grunewald), womit sie auch zufrieden wären. Im ganzen hatte man damit den Darmstättern 79 holländische Morgen angewiesen. Auf dem urbar gemachten Land zogen sie Kartoffeln, Roggen, Buchweizen, Ric. Kautzmann sogar etwas Tabak, „der ziemlich gut geraten“.

Die Klagen und die Bitten um Geld gingen aber trotz aller Förderung, die den Kolonisten zuteil wurde, weiter. Sie verlangten auch Accisevergütung  wie die städtischen Kolonisten, natürlich ohne Erfolg. Trotzdem Wintgens aus eigenen Mitteln einmal 200 Taler vorschoß, kam es im August soweit, daß Johann Becker sein Anwesen für 533 1/3 Taler an den Eingesessenen des Ratsdorfes Duissern, Bütefür, cum onere et commo verkaufte, um zu seinen Landsleuten ins Magdeburgische zu ziehen. Der Magistrat fügte seiner hierauf  bezüglichen Meldung hinzu, den übrigen Kolonisten würde es geradeso ergehen, wenn sie nicht unterstützt werden könnten. Außer den 4 bewohnten Häusern standen drei (von Schneider, Müller und Delp) gerichtet, konnten aber aus Mangel an Geld und Kredit nicht fertiggestellt werden.

Die staatlichen Kassen gaben jedoch infolge des früher besprochenen königlichen Bremserlasses kein Geld mehr her. Der Bescheid lautete, wenn der Magistrat keinen Vorschuß beschaffen könnte, müßten die Leute eben vorläufig als Tagelöhner arbeiten. Im November sollte sogar schon die jedem Kolonisten für Saatkorn vorgeschossene Summe von 4 Taler zurückgefordert werden. Doch wußten die Leute unter Hinweis auf ihre Lage den Termin noch einmal hinauszuschieben.

So kam man ins Jahr 1772. Im Frühjahr konnten Müller, Ochs, die beiden Kautzmann, Schneider und die Söhne des inzwischen verstorbenen Friedrich aus eigenen Mitteln sich Kühe anschaffen, Peter Kautzmann und Bartel Ochs auch ein Pferd. Die Clevische Kammer hielt nach diesem Bericht die Kolonisten für „bereits vorzüglich avancieret“ und – lehnte den erbetenen Vorschuß für eine zweite Kuh ab. Zum Martintermin sollte vielmehr die Rückzahlung aller Vorschüsse beginnen. Doch baten die Kolonisten nochmals um Ausstand, da das bestellte Land zwar gute Erträge brächte, das nötige Vieh ihnen aber noch fehlte, ohne dessen Dünger sie schlecht vorwärts kämen.

Bis auf Delp, Fischer, Lange, Trager und Thielemann schienen die Kolonisten doch allmählich in gesicherte Umstände zu kommen. Zum Teil hatten sie sogar ihre Vorschüsse für Saatkorn schon zurückgezahlt, und auch dem Delp war nach Angabe des städtischen Berichts mit 75 Taler zur Bezahlung seiner Bauschuld wohl zu helfen. Es gelang aber nicht, ihm ein Darlehen zu verschaffen. Auch die Aufnahme einer Hypothek, wie sie die Gocher und Asperdschen Ansiedler mehrfach vorgenommen, kam nicht zustande.

Im März 1773 wurde den vier Kolonisten Fischer, Lange, Thielemann und Trager, die noch immer keine Anstalten zum Hausbau getroffen hatten und mit der Urbarmachung nicht weit gekommen waren, auch das angewiesene Bauholz hatten verfaulen lassen, ein dreimonatiger Termin zum Beginn des Baues gestellt. Nach dessen Ablauf sollten sie allen Anspruch auf ihr Heideland verlieren. Ersatz war schon für sie in Aussicht. Mehrere vermögende Leute aus Mörs und aus dem Bergischen hatten den Wunsch geäußert, einige Morgen zu übernehmen und mit Häusern zu bebauen. Fischer, Lange und Thielemann gaben sich darauf mit Energie an die Arbeit, und auch die Gebrüder Friedrich förderten ihre Bauten, sodaß diese vier Häuser noch vor dem Winter bezogen werden konnten, während Trager den Termin verstreichen ließ. Seine Parzelle übernahm im Jahre 1778 Johann Bütefür.

Nach den Angaben des Feuer-Societäts-Catastrums von Oktober-November 1774 ist die „Kolonie auf der Heide“ für damalige Verhältnisse recht ansehnlich gewesen. (Vgl. die folgenden Abbildungen.) Die Wohnhäuser sind auf 275-500 Taler eingeschätzt, während der Anschlag für die „Kathen“ der Duisburger Ratsdörfer Duissern, Wanheim und Angerhausen über 75-150 Taler nicht hinausgeht.

Von den 79 holländischen Morgen, die die Darmstädter Kolonie umfaßte, waren 1773 58 urbar gemacht. Die Ansiedler hatten 4 Pferde angeschafft und besaßen außerdem 4 Ochsen, 23 Kühe und 16 Rinder. Die wohlhabensten unter ihnen waren Bütefür – auf der Kolonie des Becker – , und Peter Kautzmann.

Die Etablissementskasse bestand weiter auf der Rückzahlung der Vorschüsse, und zwar sollten die Kolonisten jährlich, anfangend mit Martini 1774, je 2 Taler zurückzahlen. Da diese Vorschrift nur stockend und unregelmäßig ausgeführt wurde, wurde der Bitte um weitere Gebunds-, Kuh- und Pferdegelder um so weniger entsprochen, als bei der herrschenden Viehseuche das Anschaffen von neuem Vieh überhaupt nicht ratsam schien. Den Anspruch auf neue Gebundsgelder erhoben die Duisburger Kolonisten, da sie gegenüber den Ansiedlern auf der Spellener Heide bei Wesel, mit denen sie durch zwei Heiraten in nähere Berührung gekommen waren, sich benachteiligt glaubten.

 

 

Sie wurden aber mit dem Bescheid, daß sie wie alle anderen Kolonisten behandelt worden wären, abgewiesen. Auch das erneute Verlangen nach mehr Land wurde abgelehnt, da nach abgehaltener Untersuchung durch den Kriegs- und Domänenrat von Derenthal von der Duisburger Heide nichts mehr entbehrlich war.

1776 verlangten die Kolonisten von neuem einen Vorschuß von 100 Taler, um neues Vieh anzuschaffen, ohne dessen Dünger die sterile Heide nicht bebaut werden könnte. Die durch das Viehsterben schwer betroffenen Ansiedler sähen sich dem Ruin ausgesetzt, wenn ihnen nicht geholfen würde. Aber auch diesmal mußten sie sich mit der wohlbekannten Antwort, daß die Etablissementskasse kein Geld habe, abfinden.

Im Laufe der späteren Jahre hatte die „Kolonie auf der Heide“, die 1789 zum ersten Male unter dem heutigen Namen „Neudorf“ erwähnt wird, auch manchmal Veranlassung, über den Flurschaden zu klagen, den die wilden Pferde aus dem Duisburger Walde anrichteten. Trotzdem sie ihre Äcker durch die Einfriedigung mit Wall und Hecke vor dem Einbrechen der Tiere zu schützen suchten, richteten diese noch oft genug Verwüstungen an, und die Kolonisten schossen dann wohl das eine oder andere der Pferde ab, die zum benachbarten Großherzoglich Bergischen Gestüt gehörten. Wenigstens schob man ihnen die Schuld zu, wenn irgendwo eins der Pferde totgeschossen wurde und der Stadt deswegen Schwierigkeiten mit der Regierung von Berg erwuchsen.

Das Verhältnis der Kolonisten zu den Eingesessenen war überhaupt noch für längere Zeit alles eher als ideal zu nennen. Mehr als einmal kam es zu Klagen gegen die „sauberen Kolonistenvögel“, wenn sie mit der Abtragung der aufgenommenen Vorschüsse im Rückstand blieben. Die clevische Kammer verbot jedoch, durch allzustrenge Behandlung die Leute zu ruinieren, und eine von den Gläubigern geforderte Zwangsversteigerung wurde nicht gestattet.

Trotz solcher und anderer widriger Ereignisse und Hemmungen drückte der Magistrat im Jahre 1782 die Hoffnung aus, „daß die Kolonisten, wenn sie sich noch ein paar Jahre maintenieren, es alsdann werden überwunden haben“.

 

 In der in diesem Jahre eingesandten halbjährlichen Tabelle, die Auskunft gab über die Neusiedlungen in Neudorf und Duissern, wurde der urbare Grund von 10 ausländischen Kolonistenanwesen mit 68 holländischen Morgen angegeben, der von 9 inländischen mit 24 Morgen 300 Ruten. Von der gesamten Kopfzahl von 106 Personen kamen auf die Ausländer 44, auf die Einheimischen 62. Der Viehbestand betrug 35 Stück Hornvieh, 5 Pferde und 10 Schafe. Während in den nächsten Jahren keine Zuzüge oder Abwanderungen vorkamen, hatte sich bis 1798 die Seelenzahl der Kolonie auf 146 Personen erhöht.

Über die weitere Entwicklung der mit der Zeit lebensfähig gewordenen Kolonie, der man noch zweimal die Freijahre um fünf Jahre verlängerte, fehlen ausführliche Aktenangaben. Die Besitzverhältnisse verschoben sich allmählich. An die Stelle der Kolonisten traten in mehreren Fällen Eingesessene. Nach einer Kabinettsordre vom 31. August 1800 war der Verlauf von Kolonistenstellen an Inländer ohne Bedenken gestattet, wenn nur dadurch ihr Verfall verhütet werden konnte. Ein Auszug aus den Mutter- und Heberollen der Gemeinde Groß- Hochfeld im Bürgermeisteramt Duisburg von 1817 nennt von den alten Kolonisten nur noch die Namen Lange, Ochs, Schneider, Delp und Fischer. Die übrigen Anwesen waren in die Hände von E. Grashoff, Benzenberg, Wilhelm Klenn, Johann und Wilhelm Bütefür übergegangen.

 

 Heute erinnern in dem völlig ausgebauten Stadtteil nur noch der Name Koloniestraße und einige wie verloren zwischen den modernen Mietshäusern stehengebliebene alte Hütten und Stallungen, beschattet von ehrwürdigen Linden, an die Entstehung von Neudorf.

Als Abschluß geben wir aus J. H. Chr. Nonnes „Wanderungen durch Duisburgs Fluren“, erschienen 1808 ,die Schilderung von der Entstehung Neudorfs, hier Friedrichsdorf genannt, wieder, wie sie dem von religiös-sittlichen Idealen erfüllten 23jährigen Dichter sich darstellte:

 

„Da glänzt ein friedlich Dach; hier wieder eins.

Ich eil‘ hinzu, und sieh, ein kleines Dorf

Begrüßet mich. Hier siedelte sich einst

Ein kleines Häuflein guter Menschen an.

Vertrieben aus der heimatlichen Flur,

Fand hier ihr Herz ein zweites Vaterland.

Westfalens Himmel lächelt ihnen jetzt

Und tröstet sie, wenn die Erinnerung

Ans Vaterland, den heimatlichen Herd,

Und alle Freuden ihrer Jugendzeit

Vor ihre Seele zaubert, wenn ihr Herz

In der Vergangenheit Gefilde blickt,

Und eine Träne in dem Auge bebt.

Gerührt nahm Preußens großer Friedrich

Sie unter seinen mächtigen Zepter auf.

Hier fanden sie den väterlichen Herd,

Die süße Heimat wieder und die Flur,

Auf der sie einst der Kindheit Traum geträumt.

Sie siedelten sich an und nannten dann

Den kleinen Weiler, den sie sich erbaut,

Dem großen Mann zu Ehren, Friedrichsdorf.

In einer Reihe stehn die Häuser da,

Und lieblich grünend windet die Allee

Von hohen Fichten sich vor ihnen her,

Und rings erhebt die graue Heide sich.

Von Duisserns Berge schlängelt sich ein Pfad,

Ringsum bekränzt, durch Ährenfelder hin,

Und ziehet durch des Weilers Mitte sich;

Dann läuft er fort auf dürrem Heidegrund,

Umweht vom schlanken Kienbaum rechts und links . . .“

 

Planungen des Gartenarchitekten Leberecht Migge

Einschornsteinsiedlung, einer der Spielbereiche heute

 

Einschornsteinsiedlung, Privatgärten, Zustand 1930

  

Einschornsteinsiedlung, Zustand der Gärten heute. Aus den damaligen Nutzgärten sind heute Zier- und Wohngärten geworden. Die Grundstrukturen, wie Flächenaufteilung und Wegeführung haben sich jedoch erhalten 

 

Freiräume der Einschornsteinsiedlung in Duisburg-Neudorf  

1927 schrieb der Gemeinnützige Bauverein Essen AG einen Wettbewerb zur Errichtung einer Wohnsiedlung in Duisburg-Neudorf aus, den die Architekten Johannes Kramer und Werner Kremer aus Duisburg-Ruhrort in Gemeinschaft mit dem stästischen Baurat Hermann Bräuhäuser gewannen. Nach deren Plänen wurde die Siedlung von 1927 bis 1929 ausgeführt. Die als Blockrandbebauung errichtete Siedlung Duisburg-Neudorf „trägt den Charakter einer Gartenhofsiedlung in Zeilenanordnung“ wie Migge schrieb. Einige der Zeilen sind mehrgeschossige Mietshäuser, andere Einfamilienreihenhäuser. Die Siedlung umfasst 72 zwei- und dreigeschossige Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 360 Wohnungen und 81 Einfamilienreihenhäuser, von denen 7 nicht mehr erhalten sind. Die Freiraumgestaltung stammt von Leberecht Migge.

Migge, der mit vielen namhaften Architekten des Neuen Bauens zusammengearbeitet hatte, war einer von nur ganz wenigen Gartenarchitkten, der sich im Neuen Bauen gegenüber sehr aufgeschlossen zeigte und selbst für zahlreiche Siedlungen die Freiräume entwarf. Darunter waren Siedlungen, die heute zu den Inkunabeln des Neuen Bauens zählen, wie die Hufeisensiedlung in Berlin Britz, die Siemensstadt in Berlin, Celle Haselhorst und die Frankfurter Siedlungen Römerstadt und Praunheim.

Signifikant für seine Entwürfe von Siedlungsfreiräumen ist das rhythmische Aufgreifen bestimmter gestalterischer Akzente und die Raumbildung, das heißt eine Differenzierung der Freiräume in einzelne Funktionsbereiche und Gartenräume. Weitere gestalterische Grundsätze Migges sind „Einfachheit“, die „beste Kapitalanlage für die Zukunft unserer Gartenabsichten“, sowie „Brauchbarkeit und Wirtschaftlichkeit“, woraus für Migge „hundertfältig die Notwendigkeit der Geometrischen Gartenlinie“ hervorgeht, wie er bereits 1913 schrieb. Dabei sind unter Wirtschaftlichkeit nicht nur die gegenüber einer nach repräsentativen Maßstäben geplanten Anlage geringeren Baukosten zu sehen, sondern auch die geringeren Unterhaltungskosten für die Freiflächen. So sei „erst auf einer genügend einfachen und einheitlichen Planungsgrundlage“ etwa der Einsatz eines Motorrasenmähers möglich.

Die Konzeption für die Freiräume der „Einschornsteinsiedlung“ orientiert sich „rhythmisch streng“ an der Architektur. Bezeichnend für Migges Entwurf ist die klare nach Funktionen vorgenommene Raumteilung. Zwischen den Hauszeilen liegen die großzügigen, gemeinschaftlich nutzbaren Innenhöfe, die als offene Wiesenflächen gestaltet sind. Gestalterische Akzente werden durch die symmetrisch in allen Höfen angeordneten Spielbereiche gesetzt. Diese wurden jeweils in der Mitte der Höfe vertieft angelegt und zum „Großschutz gegen Ruß und Staub“ je von symmetrisch angeordneten zwölf Pappeln und einer Feldahornhecke eingefasst und betont. Die beidseitig an die Spielbereiche angrenzenden Rasenflächen blieben frei und sollten den „Schulkindern“ als „Turnhöfe“ dienen. Auf weitere Gehölze wurde nicht nur wegen der straff gliedernden Wirkung der Pappelpflanzungen verzichtet, sondern auch wegen der möglichen ungünstigen Belichtungsverhältnisse für die Wohnungen. Die Gartenhöfe sind nach außen verschlossen und die Nutzung ausschließlich den Anwohnern vorbehalten. Entlang der Reihenhäuser befinden sich von den gemeinschaftlich nutzbaren Flächen deutlich abgegrenzte Gärten, die alle mit einer gleichen Grundstruktur angelegt waren. Wie in den meisten anderen Ende der zwanziger Jahre konzipierten Gärten für Wohnsiedlungen stand auch hier nicht mehr der Gartenertrag im Vordergrund, sondern die Nutzung des Gartens als Wohngarten; „Nutz- und Ziertypen“ wechseln sich ab. Gemäß den Gestaltungsprinzipien von Migge wurden die Gärten wegen des Gesamtbildes einheitlich gestaltet, mit gemeinsamen Wirtschaftswegen und Hecken an den Gartengrenzen, je einem Obstbaum (Pflaume oder Sauerkirsche), einer Terrasse bzw. einem Wirtschaftshof am Haus u.a.. Mit dieser vorgegebenen Grundstruktur, deren Unveränderbarkeit im Mietvertrag festgelegt war, wurde der Garten dem Mieter übergeben. Tatsächlich sind die Grünflächen im wesentlichen bis heute in der von Migge konzipierten Form erhalten geblieben. Diese Tatsache verdeutlicht die außerordentliche gestalterische und vor allem funktionale Qualität seiner Planung. Dies gilt für viele weitere von Migge konzipierte Siedlungsfreiräume, wie die der bereits genannten bekannten Siedlungen in Berlin und Frankfurt.

Migge entwickelte zur Architektur der Siedlungsbauten kongeniale Grünplanungen. Seine Entwürfe für die Freiräume des funktionalen Siedlungsbaus, wie in der Einschornsteinsiedlung, zeigen dies deutlich und zeichnen sich entsprechend durch eine funktionsorientierte Gestaltung aus mit einer klaren Formensprache. Die gestalterische Einheit von Siedlungsbauten und Siedlungsfreiräumen wird von Migges Entwürfen vervollständigt und betont. Dies entspricht dem Anspruch an den Wohnungsbau, wie es z. B. Bruno Taut formulierte: „Die Ästhetik des neuen Bauens kennt keine Grenze zwischen Fassade und Grundriß, zwischen Straße und Hof, vorn und hinten. Keine Einzelheit ist als Selbstzweck da, sondern sie ist dienendes Glied der Gesamtheit. ... Das Haus selbst verliert auch als Ganzes ebenso wie seine Einzelteile die Abgrenzung und Isolierung.“

Mit der gestalterischen Qualität seiner Entwürfe und der sehr weitgehenden Nutzbarkeit der beplanten Freiräume für die Bewohner der Siedlungen setzte Migge damals die Maßstäbe in der Gestaltung der Siedlungsfreiräume. Der Siedlungsfreiraum wurde von ihm als Außenwohnraum verstanden, als Erweiterung des Wohnungsbereichs. Damit sprach Migge dem Siedlungsfreiraum eine Qualität zu, die bislang nur in gartenstadtähnlichen Projekten umgesetzt worden war.

Angesichts der Tatsache, dass noch in den 1920er Jahren ganz allgemein die Freiräume von Wohnsiedlungen häufig wenig gestaltet oder nur als Abstandsgrün genutzt wurden, wird Leberecht Migges Leistung in ihrer Bedeutung für die Gartenarchitektur vollends deutlich.

  

 

Einschornsteinhaus-Siedlung Duisburg 

Ein überregional bedeutendes Beispiel für architekturradikale Reformansätze im Siedlungsbau der 20er Jahre ist die Einschornsteinsiedlung in Neudorf/Duisburg. In Duisburg waren schon vorher eine Reihe von konsequent modernen Wohnbauanlagen in städtischer Regie entstanden, so die Dickelsbachsiedlung (1926), die Siedlung am Parallelhafen (1927) und die Siedlung Ratingsee (1927), die alle wegen ihrer Architekturradikalität viel politischen Streit auslösten (Grunsky 1975). Die Einschornsteinsiedlung wurde nicht von der Stadt, sondern von dem „Gemeinnützigen Bauverein AG Essen“ (-> Stadtwaldsiedlung Essen) gebaut, der seit 1925 mehrheitlich im Besitz des freigewerkschaftlichen „Bauhüttenbetriebsverband Ruhrkohlenbezirk“ war. Die Planung der Architekten J. Kramer/W. Kremer war das Ergebnis eines größeren Wettbewerbs, an dem sich prominente Architekten der Moderne beteiligt hatten. Die Siedlung steht heute unter Denkmalschutz und ist wieder in ihrer ursprünglichen farbigen fassadengestaltung zu sehen.

Die Nordostfassaden hatten einen gelben, die Südwestfassaden einen lachsroten, die Nordwest- und Südostfassaden einen türkisen Anstrich, jeweils mit farbigen Absetzungen an Anbauten und Rücksprüngen. Von den ursprünglich441 Wohneinheiten in drei- und zweigeschossigen Häusern und 82 Einfamilienhäusern, sind 434 noch vorhanden. Existent, allerdings im Verfall begriffen, ist auch noch das Zentralgebäude der Siedlung, das seinerzeit für viel Aufsehen sorgte. Hier waren ein zentrales Heizwerk, Werkstatt, Wasch- und Badehaus, Gaststätte, Festsaal und Kindergarten untergebracht. Dieses Gebäude in der Siedlungsmitte ist heute ein Streitpunkt zwischen Denkmalschützern und der Besitzerin, der Wohnungsgesellschaft GAGFAH, die auf dem Gelände der verfallenen Anlage neue Wohnungen bauen will. Die Anlage sollte der „Vergesellschaftung“ bisheriger Familienfunktionen im erzieherischen und hauswirtschaftlichen Bereich dienen und die Hauswirtschaft für die Frauen erleichtern. Die Bauausführung lag verständlicherweise in den Händen der freigewerkschaftlichen „Bauhütte Ruhrkohenbezirk“ mit Sitz in Essen. 

 

„Die Architekten ... schlagen für die ganze Siedlung eine Zentralwaschanstalt vor, ja sogar eine Zentralbadeanstalt, und sparen somit nicht nur Trockenböden und Waschkeller, sondern auch das Badezimmer, kurz, fast alle Nebenräume, bauen denkbar wirtschaftlich. Und blitzartig steigt einem der Gedanke auf, am Ende dieser Entwicklung, die über Zentralwasch- und –badehaus, Rohrpostanlage für schmutzige Wäsche, über Fernbeheizung ganzer Städte, über Warmwasserleitung, Konservenernährung, Kinderhorte, Jugendspielnachmittage und Berufsschulen geht, kommen wir zu einer ganz fabelhaften Ersparnis, wir sparen die Hausfrau, die Familie.“

  

"Die Farbe reinigte die Architektur vom falschen Ornament und übernahm selbst dessen Rolle" (H. Poelzig 1922).  

"Was gestern funktional war, kann zum Gegenteil werden" (Adorno 1967, 106) 

Kaum noch bekannt ist die ursprüngliche Gartengestaltung des Siedlungsgeländes durch den Gartenreformarchitekten Leberecht Migge, der sich schon damals ökologischer Kriterien verpflichtet fühlte und in Worpswede eine Musterschule führte und die Zeitschrift „Siedlungswirtschaft“ herausgab. „Die allgemeine Grünorganisation der Innengärten ist rhythmisch streng auf die Architektur eingestellt. Das ergibt von selbst je einen Spielhof vor den niedrigen Bautrakten. Breitkronige Bäume sind wegen Behinderung der Belichtung der Wohnungen vermieden: es sind vielmehr aufstrebende Pappeln gewählt. Blick hindernde Büsche sind hier ganz fortgelassen. Die Gartenhöfe sind ausschließlich für die Benutzung der Siedler bestimmt. Bei der Annahme von etwa 2000 Bewohnern sind die Grünbedürfnisse zu erstreben für etwa 200-300 Kleinkinder, 400-500 Schulkinder, 200 Halbwüchsige, 1.000 Erwachsene, darunter etwa 50 Alte. Die Zahl der Kinder dürfte sich später um etwa 50 bis 100% erhöhen . . .  Den erforderlichen Großschutz gegen Ruß und Staub geben due Pappelreihen, den Kleinschutz besorgen die umgebenen mit Vertiefung bis zu 2m hohen Feldahornhecken“ (L. Migge: Siedlungswirtschaft, Nr.6, 1.6.1929, 42).

 

„Gebäude mit hellen Außenflächen sind nachts bei Abwurf von Leuchtbomben oder bei Mondlicht besonders gut erkennbar. Feindlichen Fliegern werden dadurch sowohl die Ortung und das Auffinden befohlener Angriffsziele als auch der gezielte Bombenwurf erleichtert. Aus diesem Grunde dürfen auf Befehl des Führers ... für die Dauer des Krieges bei Neu-, Um- und Erweiterungsbauten ... die Außenflächen von Gebäuden nicht mehr hell verputzt oder hell gestrichen werden. Die Außenflächen sind vielmehr dunkel zu halten“ (Führererlass 1941).

 

SIEDLUNG NEUDORF DUISBURG

Mit mehr als 1000 Wohneinheiten prägen die Baublocks des 1920 in „Wohnungsverein zu Duisburg“ umbenannten „ Beamten-Wohnungsvereins“ - heute „Wohnungsgenossenschaft Duisburg-Süd“ - den Stadtteil Neudorf. In mehreren Bauabschnitten entstanden ab 1908 bis Mitte der 30erJahre, im wesentlichen aber im Laufe der 20er Jahre, Baugruppen in verschiedenartigen Stilelementen. Neben Einfamilien-Reihenhäusern in bürgerlichen Baustilen stehen hier dreigeschossige Häuserzeilen im Stil des Neuen Bauens mit bis zu fünfstöckigen Eckbauten. Mit ihren infrastrukturellen Einrichtungen entwickelte sich die Siedlung zu einem eigenen Stadtteil. An der Grimmstraße entstanden drei Heime für ledige Frauen mit je 12 Wohnungen und ein Kindergarten.

 

„Bei Anlage einer so großen zusammenhängenden Siedlung muß auch auf die Lebensbedürfnisse ihrer Bewohner Rücksicht genommen werden, sonst wird der Wert der Wohnungen beeinträchtigt, andererseits aber der Spekulation Vorschub geleistet, indem sich rund um die Siedlung die Geschäfte ansiedeln und den Gewinn einstreichen, der aus der Siedlungstätigkeit des Vereins erwächst, anstatt daß diese höhere Mieteinnahme dem Verein Entgelt bieten für die teuere Erschließung, die Grünanlagen, die hohen Kosten der Eckbauten usw“ (Grothe 1930).

 

„Es war daher dringend nötig, ebenso wie in der Siedlung Wedau, auch in Neudorf die nötigen Geschäfte vorzusehen, neben einem Genossenschaftsheim ‘das Rasthaus zur Sonne‘. Dieses hat einen kleinen Saal, der 200 bis 300 Personen faßt, einen Wirtschafts-Tagesraum und einige kleinere Gesellschaftszimmer sowie eine Kegelbahn. Die geselligen, beruflichen und wirtschaftlichen Vereinigungen brauchten dringend solche Räume. Das Rasthaus zur Sonne ist sehr gut eingerichtet und mit reicher und origineller Wandmalerei durch den Kunstmaler Landwehr ausgestattet.

Außer diesem Rasthaus ist noch eine freundliche, moderne Konditorei mit Café im südlichen Teil der Siedlung errichtet“ (Grothe 1930,18). 

 

FREIE SCHULE NEUDORF

NEUDORFER STR. 150

genutzt seit 1922

Eigentümer: Stadt Duisburg

(zerstört)

 

„Die Schule eines demokratischen Staates darf keinen Platz mehr haben für den Religionsunterricht bestimmter Konfessionen. Der demokratische Staat fragt bei der Wertung seiner Bürger nicht nach der Konfession. Ihm ist es gleich, ob seine Bürger einer Glaubensgemeinschaft angehören oder nicht. Deshalb muß auch die Schule als Veranstaltung des Staates ihr Nicht-Interessiertsein an den Konfessionen zum Ausdruck bringen, was sie aber nur durch die Ablehnung des Religionsunterrichts kann. Will der Staat sich demokratisch nennen, muß er seine Schulen verweltlichen.“ (vgl. Pietsch / Scherschel 1989,155).

Als eine der ersten freien, weltlichen Schulen in Duisburg wurde 1922 die Schule an der Neudorfer Straße eingerichtet. Das Gebäude wurde im Krieg zerstört. Weitere bekenntnisfreie Schulen entstanden in Wanheimerort, Hochfeld, Meiderich, Ruhrort, Beeckerwerth, Walsum, Rheinhausen und Homberg. Die Durchsetzung dieser gesetzlich erlaubten Schulform, die vor allem Sozialdemokraten und auch Kommunisten befürworteten, konnte in Duisburg und Umgebung nur über Protestaktionen der Eltern, die sich in Freien Elterngemeinschaften zusammengeschlossen hatten, erreicht werden. Unterschriftensammlungen und Schulstreiks veranlaßten die Stadtverwaltungen schließlich zum Einlenken. Den neuen Schulen wurden aber nur mangelhafte Räumlichkeiten und unzureichendes Unterrichtsmaterial überlassen, auch hier mußten die Eltern Eigeninitiative entwickeln.

 

Lage: Heine-, Andersen-, Klöckner- und Gneisenaustraße
erbaut 1913, 1919-22, 1921, 1926/27 Architekten: H. Hecker, F. Cornelius

Märchensiedlung

Nach dem Vorbild der Gartenstädte wurde die Märchensiedlung in Neudorf gebaut, die Aufgabe des Massenwohnungsbaus konnte hier auf idyllisch anmutende Weise gelöst werden. Die zweigeschossigen Einfamilienhäuser besitzen alle einen kleinen Vorgarten. Ein hoher steinerner Torbogen an der Heinestraße markiert den Eingang in das ruhige Wohnviertel. Die ältesten Häuser stehen an der Mörikestraße und an der rechten Seite der Andersenstraße. Verzierte, säulenartige Flankierungen betonen hier die Hauseingänge. Die jüngsten Häuser stehen an der Heinestraße, sie sind gemäß dem damaligen "Backstein-Expressionismus" mit Ziegeln verblendet. Dreieckige Erker lockern die Fassade auf.

 

 Einschornsteinsiedlung 

In den ab 1928 vom „Gemeinnützigen Bauverein Essen“ und den Architekten J. Kramer und W. Kremer in zwei- und dreigeschossig Bauweise errichteten 441 Wohneinheiten (434 noch vorhanden) war das ehemalige Waschhaus mit einem zentralen Heizwerk für alle Wohneinheiten, einer Werkstatt, dem Wasch- und Badehaus, einer Gaststätte, einem Festsaal und einem Kindergarten der Siedlungsmittelpunkt schlechthin. An diese frühere Nutzung erinnern sich nicht wenige der älteren Neudorfer Bürger nur zu gern.


1927 schrieb der Gemeinnützige Bauverein Essen AG zur Errichtung einer Wohnsiedlung in Duisburg-Neudorf zwischen der Wildstraße, Kortumstraße und Mozartstraße einen Wettbewerb aus. In Konkurrenz zu führenden Architekten wie Emil Fahrenkamp aus Düsseldorf, Wilhelm Riphahn aus Köln und Pfeiffer & Großmann aus Mülheim sprach die Jury Johannes Kramer und Werner Kremer aus Duisburg-Ruhrort in Gemeinschaft mit dem städtischen Baurat Hermann Bräuhäuser den ersten Preis zu. Entwürfe von Josef Rings aus Essen, Heinrich Bähr und Kurt Ritterhaus aus Duisburg wurden angekauft. Nach dem Projekt von Kramer, Kremer und Bräuhäuser, das unter dem Kennwort "Ein Schornstein" eingereicht worden ist, wurde die Siedlung von 1927 bis 1929 ausgeführt.     

Die zu einem rechtwinkeligen System geordneten Straßen des Quartiers sind als reine Wohnstraßen mit Vorgärten und Baumpflanzungen angelegt; auch die ca. 20 m breite Gabrielstraße hat einen Fahrbahnquerschnitt von nur 5,50 m. Die Siedlung umfaßt 72 zwei- und dreigeschossige Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 360 Wohnungen und 81 Einfamilienreihenhäuser, von denen 7 nicht mehr erhalten sind. Für die Häuser mit Etagenwohnungen wurden aus einem Typ zwei Varianten entwickelt, die zwei-, drei- und vierräumige Wohnungen enthalten.
Auch die Einfamilienhäuser wurden in zwei Varianten errichtet. Die Wohneinheiten sind zu lang gestreckten Zeilen zusammen gefasst, so dass die einzelnen Häuser ganz im Kollektiv der Gesamtanlage aufgehen. Die Fronten der gleichmäßig gereihten Einfamilienhäuser werden an den Gartenseiten dadurch gegliedert, dass sich die Küchen als eingeschossige Anbauten über die Bauflucht hinaus vorschieben. In Duisburg hat diese Lösung ihre unmittelbare Vorstufe in den städtischen Typenhaussiedlungen (1926 bis 1928) am Dickelsbach, Ratingsee und am Parallelhafen. Unter den Arbeiten der internationalen Architekten-Avantgarde lassen sich zahlreiche weitere Vergleichsbeispiele finden. Der Wechsel von zwei- und dreigeschossigen Trakten, variierendes Stockwerksniveau und zurückliegende Treppenhäuser gliedern die Mehrfamilienhäuser, so dass auch bei Zeilen von über 100 m Länge keine eintönigen Fronten entstehen. Das heute selbstverständlich gewordene Flachdach gehörte in den zwanziger Jahren zu den Leitformen des neuen Bauens, die zwischen konservativen und fortschrittlichen Architekten mit heftigen Polemiken umstritten wurden.   

 

Die Einschornsteinsiedlung wurde als städtebauliche Einheit konzipiert. Ähnlich wie die Frankfurter Trabantenstädte von Ernst May verbindet das Duisburger Beispiel "möglichst viele Vorzüge städtischen Lebens mit denen des Lebens auf dem Lande" (N. Huse, S. 100). Damit wurde die unerbittliche Strenge von äußerster Konsequenz vermieden, die bei verschiedenen Siedlungen der 20er Jahre auch von entschiedenen Verfechtern der neuen Architektur kritisiert wurde. "Indem er das Leben zum Wohnen spezialistisch verengt, verfehlt dieser Siedlungsbau auch das Wohnen. Dies ist kein Miteinander, sondern ein Auseinander" (A. Behne über die Karlsruher Siedlung Dammerstock, in: Die Form 6, 1930). Die Freiflächen zwischen den Häusern sind gleichsam als Außenwohnraum formal und funktional in das Gesamtkonzept einbezogen. Mit der Gestaltung der gärtnerischen Anlagen auf dem Siedlungsareal wurde mit Leberecht Migge der damals führende deutsche Gartenplaner beauftragt. Migge hat beim Bau beispielhafter Siedlungen mit Otto Haeseler in Celle, mit Walter Gropius in Dessau und mit Ernst May in Frankfurt a. M. zusammengearbeitet. Als Kontrast zu den öden Massenwohnquartieren des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts, deren Planung in erster Linie von den Bedingungen der Bauspekulation diktiert wurde, haben die Wegbereiter des neuen Bauens großzügigen Grünflächen erhebliche soziale Bedeutung beigemessen. Nach einer zeitgenössischen programmatischen Aussage sollten Gärten "vorwiegend aus Gründen der sozialen Wirtschaftlichkeit" angelegt werden, "um in frischer Luft und Sonne für Körper und Geist nach nervenzerrüttender Arbeit ideale Erholungsstätten zu schaffen. Dort sollen unsere Kinder unter natürlichen Lebensbedingungen zu gesunden und lebensfrohen Staatsbürgern heranwachsen mit einem…seelischen Reichtum, der Tausende von ihnen glücklicher machen wird als alle materiellen Güter" (E. May 1926, zitiert nach N. Huse, S. 90).     

Das große Zentralgebäude steigerte in seiner ursprünglichen Nutzung die Wohnqualität der Einschornsteinsiedlung weit über das auch heute noch übliche Maß in neuen Wohnquartieren. Der in mehrere Trakte gegliederte Baukomplex der von einem hohen Schornstein überragt wird, nahm ehemals wichtige Versorgungseinrichtungen auf. Neben dem Heizwerk, das die Wohnungen der Siedlung mit Fernwärme und Warmwasser versorgte, war in dem Zentralgebäude eine Wäscherei untergebracht, eine Gastwirtschaft, ein großer Festsaal, ein Kindergarten mit Spielplatz und Planschbecken und eine Autogarage mit Werkstatt. Einige Funktionen, die im traditionellen Wohnungsbau an das Einzelhaus gebunden waren, wurden damit zu Gemeinschaftseinrichtungen zusammen gefast. Die gesellschaftliche Entwicklung, so stellte Walter Gropius 1929 in einem Aufsatz über "Die soziologischen Grundlagen der Minimalwohnung für die städtische Industriebevölkerung" fest, "zeigt ein stetiges Fortschreiten der Vergesellschaftung ehemaliger Familienfunktionen autoritativer, erzieherischer und hauswirtschaftlicher Art, und damit werden die ersten Anfänge einer genossenschaftlichen Epoche, die die individuelle Rechtsepoche einst ablösen mag, sichtbar". Gropius sah die Lösung für die Zukunft in der "Zusammenfassung einer Reihe von Wohnungen im Großhaushalt".

Dass mit der Einschornsteinsiedlung ein erster Schritt zur Verwirklichung dieses Zieles getan sein könnte, befürchtete ganz offensichtlich die Lokalpresse. In einer vom Duisburger General-Anzeiger am 17. April 1927 veröffentlichten Kritik am Entwurf von Kramer & Kremer heißt es: "Die Architekten…schlagen für die ganze Siedlung eine Zentralwaschanstalt vor, ja sogar eine Zentralbadeanstalt, und sparen somit nicht nur Trockenböden und Waschkeller, sondern auch das Badezimmer, kurz, fast alle Nebenräume, bauen denkbar wirtschaftlich. Und blitzartig steigt einem der Gedanke auf, am Ende dieser Entwicklung, die über Zentralwasch- und -badehaus, Rohrpostanlage für schmutzige Wäsche, über Fernbeheizung ganzer Städte, über Warmwasserleitung, Konservenernährung, Kinderhorte, Jugendspielnachmittage und Berufsschulen geht, kommen wir zu einer ganz fabelhaften Ersparnis, wir sparen - die Hausfrau, die Familie. "     

Zur Versorgung der Bewohner wurden an der Gabrielstraße in eingeschossigen Verbindungstrakten zwischen den Etagenwohnhäusern 15 Ladenlokale eingerichtet. Als wichtige Ergänzung der Siedlung muss die Mozartschule erwähnt werden, die 1928 vom städtischen Hochbauamt geplant wurde. Nachdem man im November 1929 mit der Ausführung begonnen hatte, konnten die Arbeiten, wie bei vielen andern Bauprojekten, in den beginnenden 30er Jahren wegen der allgemeinen Wirtschaftskrise nicht weitergeführt werden. Die Mozartschule wurde erst 1936/37 fertig gestellt.

 

Durch eine Publikation über die Einschornsteinsiedlung in der Zeitschrift "Der Baumeister" ist bekannt, dass die Häuser ursprünglich einen farbigen Anstrich hatten. Durch sorgfältige Untersuchungen, die von der Restaurierungswerkstatt des Landeskonservators Rheinland durchgeführt wurden, konnte die ehemalige kräftige Farbigkeit ermittelt werden: die Nordostfassaden waren gelb, die Südwestfassaden lachsrot, die Nordwest- und die Südostfassaden türkis, so dass die Farbflächen jeweils an den Gebäudekanten gegeneinander stießen. Die farbliche Absetzung der Rücksprünge und Anbauten war aus diesem System entwickelt. Der erwähnte Befund macht die Siedlung zu einem bedeutenden Dokument für die vielfältigen Bemühungen des neuen Bauens um farbige Architektur. Als Protagonist dieser Bewegung in Deutschland ist Bruno Taut zu nennen. Er begann bereits 1913/14 damit, Siedlungen in Magdeburg und Berlin in kräftigen Farben anzustreichen.
Taut sah darin ein geeignetes Mittel, die Baukunst von der "Zwangsjacke des Schmutzgraues und der Baustile, des Materials und des ganzen Begriffsplunders zu befreien" (zitiert nach H. J. Rieger S. 28). Der Holländer Theo van Doesburg schrieb 1928: "Die architektonische Gestaltung ist ohne Farbe undenkbar. Farbe und Licht ergänzen sich. Ohne Farbe ist die Architektur ausdruckslos, blind." Er betrachtete den architektonischen Raum "nur als gestaltlose, blinde Leere, solange die Farbe sie nicht tatsächlich zum Raum gestaltet". Die Siedlung Pessac bei Bordeaux von Le Corbusier war in Himmelblau, Goldgelb, Jadegrün, Weiß und Kastanienbraun gestrichen; die Farben wechselten, wie bei der Einschornsteinsiedlung, jeweils an den Gebäudekanten. Für Le Corbusier diente die Farbgebung " ausschließlich den Zwecken der Architektur", sie sollte den Raum mit Hilfe der Farbqualitäten gliedern: "So ging die Architektur in den Städtebau über." Folgendes Zitat aus dem Prospekt einer gewerkschaftlichen Wohnungsbaugenossenschaft in Berlin beschreibt das Ziel, das auch die Architekten der Einschornsteinsiedlung verfolgt haben: "Die freudigen Farben der Außenwände und Balkone wirken in Verbindung mit den Grünflächen angenehm und lebensbejahend gegenüber dem toten Grau der Mietskasernen" (zitiert nach H. J. Rieger S. 143). 

Gerade im Ruhrgebiet musste die entschiedene Farbigkeit als Kontrast zu den düsteren Wohnquartieren der Gründerzeit und zu den Industriebauten beträchtliche Signalwirkung gehabt haben. Die farbige Behandlung sollte die Siedlung als geschlossene Einheit anschaulich darstellen und die Identifikation der Bewohner mit ihrem Quartier erleichtern. Der historische Zusammenhang belegt, daß die Farbigkeit nicht nur modische Zutat war. Schon gar nicht hatte sie die Aufgabe, wie bei heutigen farbig dekorierten Neubauten bisweilen vermutet werden darf ein inhumanes, mit unzureichenden architektonischen Mitteln realisiertes Bauprogramm zu verschleiern. Die Einschornsteinsiedlung gehört als qualitätsvolles Beispiel zu den bedeutenden Bau-Dokumenten der 20er Jahre.
Da die ursprüngliche Farbigkeit einen wesentlichen Bestandteil des Planungskonzeptes bildet, ist sie ein unverzichtbarer Faktor des Denkmalwertes. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass die GAGFAH, deren Verwaltung ein großer Teil der Siedlung untersteht, nach intensiven Beratungen mit dem Amt des Landeskonservators begonnen hat, die Siedlung in Anlehnung an den originalen Befund wieder farbig zu fassen. Bei der Beurteilung des Ergebnisses ist zu berücksichtigen, daß nicht nach heutigem Geschmack frei gestaltet wurde etwa im Sinne der Aktion "Make-up Duisburg", sondern dass ein herausragendes Zeugnis der Architekturgeschichte seiner alten Gestalt wieder angenähert wurde. Das kritische Echo, das diese Maßnahme in der Lokalpresse gefunden hat, erinnert in seiner Argumentation erstaunlich an die konservative Polemik, mit der in den 20er Jahren die moderne Architektur diskriminiert wurde.