| Duisburg, 
							20. Dezember 2022 - 
					  Ab dem 1. Januar 2023 gilt für große Unternehmen das 
					  Lieferkettengesetz. Es enthält neue Sorgfaltspflichten zur 
					  Einhaltung von umweltbezogenen, aber auch von 
					  arbeitsbezogenen Menschenrechts-Standards in Lieferketten. 
					  Das ist gerade in global agierenden Unternehmen auch ein 
					  Thema für die Vertreterinnen und Vertreter der 
					  Beschäftigten in Betriebs- und Aufsichtsräten. Einen 
					  Überblick über Aufgaben und neue Möglichkeiten zur 
					  Mitgestaltung bei der Umsetzung des Gesetzes gibt eine 
					  Studie, die das Hugo-Sinzheimer-Institut für Arbeits- und 
					  Sozialrecht (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung gefördert 
					  hat.*   
					  Fazit der Autorin Prof. Dr. Reingard Zimmer: Die 
					  Beteiligung von Mitbestimmungsakteurinnen und -akteuren 
					  sowie von Gewerkschaften kann einen wichtigen Beitrag dazu 
					  leisten, dass grundlegende Menschenrechtsstandards 
					  weltweit gesichert werden. Menschen- und 
					  Beschäftigtenrechte gelten nicht nur in Deutschland oder 
					  der EU. Hiesige Unternehmen haben auch in Osteuropa, 
					  Südostasien und allen Ländern, aus denen sie Vorprodukte 
					  oder Dienstleistungen beziehen, dafür zu sorgen, dass dort 
					  Mindestlöhne gezahlt werden, keine Kinder- oder 
					  Zwangsarbeit vorkommen, keine Gewalt gegen Beschäftigte 
					  angewandt wird, Beschäftigte nicht diskriminiert sowie 
					  Arbeitsschutz- und Umweltbestimmungen eingehalten werden.
 
  Auch Entlassungen aufgrund gewerkschaftlicher Betätigung 
					  sind nicht zulässig. Nachdem sich in der Vergangenheit nur 
					  ein kleiner Teil der Unternehmen dieses Themas freiwillig 
					  angenommen hat, gilt ab Januar das Lieferkettengesetz. Es 
					  verpflichtet Unternehmen mit wenigstens 3000 
					  Beschäftigten, die Einhaltung grundlegender Regeln entlang 
					  der gesamten Wertschöpfungskette sicherzustellen. Ein Jahr 
					  später soll die Verpflichtung auf Unternehmen ab 1000 
					  Beschäftigten ausgedehnt werden. Wobei bereits ein Entwurf 
					  für eine EU-Richtlinie existiert, in dem die Grenze bei 
					  500 Beschäftigten gezogen wird.
 
 Praktisch heißt das für die Unternehmen: Sie müssen 
					  Strukturen schaffen, die es ihnen ermöglichen, ihren 
					  Sorgfalts- und Kontrollpflichten nachzukommen, etwa durch 
					  ein Lieferketten-Risikomanagement und die Einsetzung von 
					  Menschenrechtsbeauftragten. Doch die Kontrolle der 
					  Lieferkette ist nicht allein Sache des Managements. Auch 
					  für Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigten im 
					  Betriebs- und Aufsichtsrat ergeben sich neue Aufgaben und 
					  Möglichkeiten zur Mitgestaltung.
 
					  Die Jura-Professorin Zimmer von der Hochschule für 
					  Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin gibt in dem Gutachten 
					  einen ausführlichen Überblick dazu. Zwar habe der 
					  Gesetzgeber „eine Einbindung der deutschen 
					  Mitbestimmungsakteure“ lediglich „punktuell vorgesehen“, 
					  so Zimmer, dennoch könnten sie eine zentrale Rolle bei der 
					  Umsetzung spielen – was sogar im Interesse der Arbeitgeber 
					  sein könne. Denn damit würde der gesetzlichen 
					  Verpflichtung Rechnung getragen, auch die Interessen der 
					  eigenen Beschäftigten angemessen zu berücksichtigen, 
					  schreibt die Jura-Professorin.
 
 In jedem Fall von der Umsetzung des Lieferkettengesetzes 
					  betroffen sind Vertreter und Vertreterinnen der 
					  Beschäftigten im Aufsichtsrat. Denn der Aufsichtsrat hat 
					  die Einhaltung der Verpflichtungen aus dem neuen Gesetz zu 
					  überwachen – schließlich können Verstöße das Unternehmen 
					  Millionen kosten. Mitglieder kommen im für das 
					  Risikomanagement zuständigen Prüfungsausschuss mit Fragen 
					  der Lieferketten in Berührung, wo die entsprechenden 
					  Berichte vorgelegt werden müssen. Ähnlich verhält es sich 
					  mit dem Wirtschaftsausschuss des Betriebsrats, dem die 
					  Unternehmensleitung in Sachen Lieferkette Rede und Antwort 
					  zu stehen hat.
 
					  „Fragen der unternehmerischen Sorgfaltspflichten in 
					  Lieferketten“ werden zum 1. Januar 2023 ausdrücklich in 
					  die zugehörige Vorschrift des Betriebsverfassungsgesetzes 
					  aufgenommen. Auch bei der Information des Europäischen 
					  Betriebsrates können Lieferkettenfragen zukünftig eine 
					  Rolle spielen. Doch auch durch andere Kanäle werden 
					  Betriebsräte in der Regel Gelegenheit zur Mitsprache 
					  haben. Denn aus dem Gesetz folgt vieles, das auch im 
					  Inland Wirkung entfaltet.
 
 Wenn etwa Ethikrichtlinien oder Verfahren zur Meldung von 
					  Rechtsverstößen vereinbart werden, sind Betriebsräte 
					  automatisch über die zwingende Mitbestimmung mit im Boot. 
					  Zimmer rät Beschäftigtenvertretungen, sich aktiv 
					  einzubringen. Sie regt etwa an, paritätisch besetzte „Due 
					  Diligence“-Komitees unter Vorsitz des oder der 
					  Menschenrechtsbeauftragten zu bilden, „um die zentralen 
					  Fragen der Implementierung der Sorgfaltspflichten im 
					  Unternehmen oder Konzern zu bearbeiten“. Rechtlich 
					  verankert werden könnte ein solches Gremium per 
					  Haustarifvertrag. „Die gewerkschaftlichen 
					  Betriebsbeauftragten haben zudem eine wichtige Rolle bei 
					  der Unterstützung der Mitbestimmungsakteure“, so die 
					  Juristin.
 
 Auch Hauptamtliche von Gewerkschaften könnten Beschwerden 
					  über das neu einzurichtende Beschwerdesystem von 
					  Unternehmen einreichen, um auf bestehende Risiken oder 
					  Rechtsverletzungen hinzuweisen. Gewerkschaften hätten 
					  außerdem die Möglichkeit, das Bundesamt für Wirtschaft und 
					  Ausfuhrkontrolle als zuständige Behörde über die 
					  Nichteinhaltung der Verpflichtungen durch einzelne 
					  Unternehmen zu informieren. Schließlich bestehe die 
					  Möglichkeit, dass Gewerkschaften im Wege einer sogenannten 
					  Prozessstandschaft Rechte von Beschäftigten, die Opfer von 
					  Menschenrechtsverletzungen geworden sind, geltend machen. 
					  Sie können dann Rechte von Beschäftigten aus Unternehmen 
					  der Lieferkette vor deutschen Gerichten einklagen.
 
					  Gewerkschaften könnten auch – unter Einbeziehung globaler 
					  Gewerkschaftsföderationen und mit dem Instrument 
					  Internationaler Rahmenabkommen – helfen, größere Netzwerke 
					  zur Einhaltung von Menschenrechten zu bilden. 
					  Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aus dem „globalen 
					  Süden“ einzubeziehen, sei in jedem Fall wichtig, um 
					  Verstöße gegen Beschäftigtenrechte aufzudecken und zu 
					  unterbinden, betont Zimmer. Insgesamt könne „die 
					  Beteiligung von Mitbestimmungsakteuren und Gewerkschaften 
					  einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung der 
					  Wirtschaft sowie zur Sicherung grundlegender 
					  Menschenrechtsstandards für das Arbeitsleben weltweit 
					  leisten“.
 *Reingard Zimmer
 
 Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz 
					  – Handlungsoptionen für Mitbestimmungsakteure und 
					  Gewerkschaften. HSI-Schriftenreihe Band 48
					  
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