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April 2024

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde eines Journalisten gegen die gerichtliche Untersagung einer kritischen Äußerung über die Bundesregierung
Karlsruhe, 16. April 2024 - Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts der Verfassungsbeschwerde eines Journalisten stattgeben. Dieser wendet sich gegen eine einstweilige Verfügung, durch die ihm eine kritische Äußerung gegenüber der Bundesregierung untersagt wurde.


Im August 2023 veröffentlichte der Beschwerdeführer auf der Kommunikationsplattform „X“ die Kurznachricht „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!“. In der Kurznachricht verlinkt war der Artikel eines Online-Nachrichtenmagazins mit der Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“.


Das Kammergericht untersagte dem Beschwerdeführer auf Antrag der Bundesregierung die Äußerung „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!).“


Die Äußerung sei eine unwahre Tatsachenbehauptung, die geeignet sei, das Vertrauen der Bevölkerung in die Tätigkeit der Bundesregierung zu gefährden. Hiergegen wendet sich dieser mit seiner Verfassungsbeschwerde.


Die Entscheidung des Kammergerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Sie verfehlt erkennbar den Sinn der angegriffenen Äußerung und deren Charakter einer Meinungsäußerung.
Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten. Indem das Kammergericht für seine Beurteilung die in der Kurznachricht wiedergegebene Schlagzeile ausblendet, verharrt seine Sinndeutung auf einer isolierten Betrachtung des Kurznachrichtentextes.


Verwaltungsgericht Aachen: Hautkrebs-Erkrankung eines Polizisten keine Berufskrankheit
Aachen, 15. April 2024 - Ein ehemaliger Polizist hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Hautkrebserkrankung als Berufskrankheit infolge früher wahrgenommener Tätigkeiten u.a. im Streifendienst. Das hat das Verwaltungsgericht Aachen mit heute verkündetem Urteil entschieden.  


Der Kläger begründete seine Klage damit, er sei während seiner nahezu 46-jährigen Dienstzeit zu erheblichen Teilen im Außendienst eingesetzt gewesen, ohne dass sein Dienstherr ihm Mittel zum UV-Schutz zur Verfügung gestellt oder auch nur auf die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen hingewiesen habe. Infolgedessen leide er unter Hautkrebs am Kopf, im Gesicht und an den Unterarmen.  


Das Verwaltungsgericht hat die Ablehnung der Anerkennung als Berufskrankheit durch das LKA NRW bestätigt. Zur Begründung hat der Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Markus Lehmler als Vorsitzender u.a. ausgeführt:   Die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Dienstunfall liegen hier nicht vor. Erforderlich ist im Fall von durch UV-Strahlung ausgelöstem Hautkrebs, dass der betroffene Beamte bei der Ausübung seiner Tätigkeit der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt ist, d.h. das Erkrankungsrisiko aufgrund der dienstlichen Tätigkeit in entscheidendem Maß höher als das der Allgemeinbevölkerung ist.


Davon kann bei Polizeibeamten im Außendienst nicht die Rede sein. Polizisten bewegen sich im Außendienst in unterschiedlichen örtlichen Begebenheiten und nicht nur bei strahlendem Sonnenschein im Freien. Zudem gibt es keine Referenzfälle, obwohl das Thema Hautkrebs durch UV-Strahlung bereits seit Jahrzehnten bekannt ist.   Gegen das Urteil kann der Kläger einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen, über den das Oberverwaltungsgericht in Münster entscheidet.   Aktenzeichen: 1 K 2399/23

Erfolgreiches Organstreitverfahren wegen Nichtvorlage von Akten an den "PUA II – Hochwasserkatastrophe"

Verfassungsgerchtshof Münster, 9. April 2024 - Die Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen Ina Scharrenbach hat einen Beweisbeschluss zur Vorlage von Akten an den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss II der 18. Wahlperiode des nordrheinwestfälischen Landtags ("PUA II – Hochwasserkatastrophe") nur unzureichend erfüllt und dadurch die sich aus der Landesverfassung ergebenden Rechte der Ausschussminderheit verletzt.


Das hat der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster mit einem heute verkündeten Urteil entschieden. Der "PUA II – Hochwasserkatastrophe" soll mögliche Versäumnisse, Fehleinschätzungen und mögliches Fehlverhalten der damaligen Landesregierung, insbesondere der zuständigen Ministerien sowie der ihnen nachgeordneten Behörden während der Hochwasserkatastrophe untersuchen, die sich Mitte Juli 2021 insbesondere im Ahrtal und im Süden Nordrhein-Westfalens ereignet hatte. Er setzt die Arbeit des PUA V der 17. Wahlperiode fort.


Mit Beweisbeschlusses Nr. 13 forderte der Untersuchungsausschuss im November 2022 unter anderem bei der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung die in ihrem Geschäftsbereich vorhandenen Akten und sonstigen Unterlagen an, die mit dem Untersuchungsauftrag im Zusammenhang stehen. Die Ministerin legte daraufhin zehn Blatt Akten vor. Eine Vorlage weiterer Akten lehnte sie mit der Begründung ab, dass der Untersuchungsauftrag ausdrücklich auf die Phase während der Hochwasserkatastrophe beschränkt sei und damit lediglich den Zeitraum vom Einsetzen des Starkregens bis zum Abfließen der Wassermassen erfasse.


Die Antragstellerin, die im PUA II eine qualifizierte Minderheit bestehend aus den drei stimmberechtigten Mitgliedern der SPD-Fraktion bildet, hat im März 2023 vor dem Verfassungsgerichtshof ein Organstreitverfahren gegen die Ministerin (Antragsgegnerin) eingeleitet. Sie ist der Auffassung, der Text des aktuellen Untersuchungsauftrags müsse vor dem Hintergrund des bereits in der 17. Legislaturperiode ausgetragenen Konflikts um dessen Reichweite interpretiert werden. So sei der Terminus "zur Abwehr von Gefahren" aus dem Untersuchungsauftrag des PUA V der 17. Legislaturperiode ausdrücklich gestrichen worden, um den Untersuchungsauftrag auszuweiten.


Eine enge zeitliche Beschränkung sei mit diesem Erweiterungsgedanken nicht zu vereinbaren. Die Antragsgegnerin hält demgegenüber an ihrer Argumentation fest und macht darüber hinaus geltend, dass der zugrundeliegende Beweisbeschluss Nr. 13 zu unbestimmt sei.


Mit dem heute verkündeten Urteil hat der Verfassungsgerichtshof der Organklage der Antragstellerin stattgegeben. In ihrer mündlichen Urteilsbegründung hat die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs Prof. Dr. Dr. h.c. Dauner-Lieb unter anderem ausgeführt:
Die Antragsgegnerin verletzt durch ihre Weigerung das Untersuchungsrecht der Antragstellerin aus Art. 41 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Art. 41 Abs. 2 Satz 3 LV.


Bei der Auslegung des Beweisbeschlusses ergibt sich, dass der Untersuchungsauftrag zeitlich nicht auf den Zeitraum bis zum Abfließen der Wassermassen beschränkt ist, sondern die Zeit vom 9. Juli bis zum 9. September 2021 erfasst. Denn dieser Untersuchungszeitraum wurde durch den Landtag im Einsetzungsbeschluss explizit festgehalten. Die weiteren Auslegungsmethoden führen zu keinem anderen Ergebnis. Insbesondere spricht der historische Kontext gegen die von der Antragsgegnerin vorgenommene zeitliche Einschränkung.


Die Rüge der Antragsgegnerin, der Beweisbeschluss Nr. 13 sei nicht hinreichend bestimmt, ist im vorliegenden Verfahren nicht Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung. Aufgrund des Grundsatzes der Organtreue hätte sie bereits vorprozessual ihre Entscheidung hiermit begründen müssen, damit die Antragstellerin die Berechtigung der Vorlageverweigerung insoweit hätte nachvollziehen und rechtliche Schritte prüfen können. Artikel 41 Absatz 1 Satz 1 und 2 LV


Der Landtag hat das Recht und auf Antrag von einem Fünftel der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Diese Ausschüsse erheben in öffentlicher Verhandlung die Beweise, die sie oder die Antragsteller für erforderlich erachten. Artikel 41 Absatz 2 LV Die Gerichte und Verwaltungsbehörden sind zur Rechts- und Amtshilfe verpflichtet. Sie sind insbesondere verpflichtet, dem Ersuchen dieser Ausschüsse um Beweiserhebungen nachzukommen. Die Akten der Behörden und öffentlichen Körperschaften sind ihnen auf Verlangen vorzulegen. Aktenzeichen: VerfGH 31/23


Februar 2024

Abschuss der Wölfin Gloria im Kreis Wesel bleibt gestoppt: Oberverwaltungsgericht weist Beschwerden des Kreises zurück - Die drei Beschlüsse sind unanfechtbar
Münster, 9. Februar 2024 - Die Wölfin Gloria, für die der Kreis Wesel im Dezember 2023 eine bis zum 15.02.2024 befristete naturschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung zum Abschuss der unter strengem Artenschutz stehenden Wölfin Gloria erteilt hat, darf weiterhin nicht abgeschossen werden. Das hat das Oberverwaltungsgericht heute mit drei Beschlüssen entschieden.


Der Kreis hatte seine für sofort vollziehbar erklärte Ausnahmegenehmigung damit begründet, dass der Abschuss von Gloria erforderlich sei, um zu verhindern, dass diese weiterhin Weidetiere reiße und damit ernste landwirtschaftliche Schäden verursache. Auf die Anträge von drei Naturschutzverbänden stoppte das Verwaltungsgericht Düsseldorf die Vollziehung der Ausnahmegenehmigung mit Beschlüssen vom 17.01.2024. Zur Begründung führte es aus, der Kreis habe nicht schlüssig dargelegt, dass durch das Rissverhalten von Gloria ernste landwirtschaftliche Schäden drohten.


Die hiergegen gerichteten Beschwerden des Kreises hat das Oberverwaltungsgericht nunmehr zurückgewiesen und damit den Stopp der Vollziehung der Ausgenehmigung zum Abschuss von Gloria bestätigt. Zur Begründung hat der 21. Senat des Oberverwaltungsgerichts ausgeführt: Eine Vollziehung der Ausnahmegenehmigung kommt nicht in Betracht, weil diese an mehreren Fehlern leidet. Der Kreis hat nicht dargelegt, dass Gloria ein problematisches, auf geschützte Weidetiere ausgerichtetes Jagdverhalten zeigt.


Ferner ist die Schadensprognose des Kreises defizitär, weil sich aus ihr der Umfang der angenommenen zukünftigen Schäden nicht ergibt. Dies macht auch die Ermessensausübung des Kreises fehlerhaft, weil die von ihm vorgenommene Abwägung zwischen artenschutzrechtlichen und wirtschaftlichen Belangen ohne Benennung des Umfangs der zukünftigen Schäden nicht brauchbar ist.


Schließlich liegt auf der Hand, dass sich der Erhaltungszustand der lokalen Wolfspopulation im Westmünsterland durch den Abschuss von Gloria verschlechtert, weil dadurch der Umfang der Population um ein Drittel reduziert wird und zudem Gloria das einzige fortpflanzungsfähige Weibchen ist. Der vom Kreis angenommene Ausgleich in Gestalt des Zuzugs eines anderen Weibchens ist lediglich spekulativ. Auch bei einer reinen Vollzugsfolgenabwägung wäre die Vollziehung der Ausgenehmigung zu stoppen.


Der Abschuss von Gloria bedingte einen endgültigen artenschutzrechtlichen Schaden, der auch nicht ohne Weiteres kompensierbar wäre. Der auf der anderen Seite zu berücksichtigende landwirtschaftliche Schaden in Gestalt gerissener Weidetiere würde dagegen aufgrund bestehender Entschädigungsregelungen für Nutztierhalter kompensiert. Die damit einhergehende Belastung der Steuern zahlenden Allgemeinheit erscheint vergleichsweise marginal.

Die drei Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts sind unanfechtbar.
Aktenzeichen: 21 B 74/24, 21 B 75/24, 21 B 76/24 (I. Instanz: VG Düsseldorf 28 L 3333/23, 28 L 3345/23, 28 L 3349/23)






Zulässigkeit von baulichen Veränderungen des Gemeinschaftseigentums zur Barrierereduzierung Urteile vom 9. Februar 2024 – V ZR 244/22 und V ZR 33/23

Karlsruhe, 9. Februar 2024 - Der unter anderem für das Wohnungseigentumsrecht zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute auf der Grundlage des im Jahr 2020 reformierten Wohnungseigentumsrechts in zwei Verfahren über die Voraussetzungen und Grenzen baulicher Veränderungen des Gemeinschaftseigentums entschieden, die von einzelnen Wohnungseigentümern als Maßnahmen zur Barrierereduzierung (Errichtung eines Personenaufzugs bzw. Errichtung einer 65 Zentimeter erhöhten Terrasse nebst Zufahrtsrampe) verlangt wurden.


Verfahren V ZR 244/22 Sachverhalt: Die Kläger sind Mitglieder der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Die Anlage besteht aus zwei zwischen 1911 und 1912 im Jugendstil errichteten Wohnhäusern und steht unter Denkmalschutz. Das Vorderhaus erhielt im Jahr 1983 den Fassadenpreis der Stadt München. Die Wohneinheiten der Kläger befinden sich im dritten und vierten Obergeschoss des Hinterhauses (ehemaliges "Gesindehaus"), bei dem die Fassade und das enge Treppenhaus im Vergleich zum Vorderhaus eher schlicht gehalten sind.


Ein Personenaufzug ist nur für das Vorderhaus vorhanden. In der Eigentümerversammlung vom 26. Juli 2021 wurde unter anderem ein Antrag der nicht körperlich behinderten Kläger abgelehnt, ihnen auf eigene Kosten die Errichtung eines Außenaufzugs am Treppenhaus des Hinterhauses als Zugang für Menschen mit Behinderungen zu gestatten. Mit der Beschlussersetzungsklage wollen die Kläger erreichen, dass die Errichtung des Personenaufzugs dem Grunde nach beschlossen ist. Bisheriger Prozessverlauf: Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen.


Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht durch Urteil den Beschluss ersetzt, dass am Hinterhaus auf der zum Innenhof gelegenen Seite ein Personenaufzug zu errichten ist. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision. Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der Bundesgerichtshof hat die Revision zurückgewiesen. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:
Mit einem Grundlagenbeschluss, den das Berufungsgericht ersetzt hat, wird eine verbindliche Regelung über die Errichtung des von den Klägern begehrten Personenaufzuges für das Hinterhaus begründet und die spätere Durchführung legitimiert. Der Klage ist zu Recht stattgegeben worden, weil der geltend gemachte Anspruch gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG auf eine Beschlussfassung besteht und nach § 20 Abs. 4 WEG die Grenzen einer zulässigen Bebauung eingehalten werden.


Bedenken gegen die Beschlusskompetenz bestehen nicht. Nach dem seit dem 1. Dezember 2020 geltenden Wohnungseigentumsrecht können die Wohnungseigentümer eine bauliche Veränderung grundsätzlich auch dann beschließen, wenn die Beschlussfassung die Zuweisung einer ausschließlichen Nutzungsbefugnis (§ 21 Abs. 1 Satz 2 WEG) an dem dafür vorgesehenen Gemeinschaftseigentum zur Folge hat, wie dies hier hinsichtlich des Aufzugs der Fall ist.

Die von den Klägern erstrebte Errichtung eines Personenaufzugs stellt eine angemessene bauliche Veränderung dar, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen dient (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG). Die Angemessenheit ist nur ausnahmsweise zu verneinen, wenn mit der Maßnahme Nachteile verbunden sind, die über die Folgen hinausgehen, die typischerweise mit der Durchführung einer privilegierten baulichen Veränderung einhergehen. Eingriffe in die Bausubstanz, übliche Nutzungseinschränkungen des Gemeinschaftseigentums und optische Veränderungen der Anlage etwa aufgrund von Anbauten können die Unangemessenheit daher regelmäßig nicht begründen.


Die Kosten der baulichen Veränderung sind für das Bestehen eines Anspruchs nach § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG grundsätzlich ohne Bedeutung, da sie gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 WEG von dem verlangenden Wohnungseigentümer zu tragen sind. Vor diesem Hintergrund bejaht das Berufungsgericht zu Recht die Angemessenheit der Maßnahme. Weiterer Vortrag war von den Klägern nicht zu verlangen. Zwar trägt die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Umstände der Angemessenheit einer baulichen Veränderung der klagende Wohnungseigentümer.


Da der Gesetzgeber aber die Angemessenheit als Regel ansieht, obliegt der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die Darlegung, warum ein atypischer Fall vorliegt. Hieran fehlt es. Eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage im Sinne von § 20 Abs. 4 Halbs. 1 Alt. 1 WEG, die dem Anspruch entgegenstehen könnte, ist mit der Errichtung eines Aufzugs nicht verbunden. Insoweit ist zunächst zu beachten, dass nicht jede bauliche Veränderung, die nach § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG aF die Eigenart der Wohnanlage änderte, auch im Sinne des neuen § 20 Abs. 4 Halbs. 1 Alt. 1 WEG zu einer grundlegenden Umgestaltung führt.


Nach nunmehr geltendem Recht ist bei einer Maßnahme, die der Verwirklichung eines Zweckes i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG dient, eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage zumindest typischerweise nicht anzunehmen. Der von dem Gesetzgeber im gesamtgesellschaftlichen Interesse erstrebten Privilegierung bestimmter Kategorien von Maßnahmen - unter anderem zur Förderung der Barrierefreiheit - ist bei der Prüfung, ob eine grundlegende Umgestaltung vorliegt, im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses Rechnung zu tragen.


Außergewöhnliche Umstände, die eine solche Ausnahme von der Regel begründen könnten, liegen auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vor. Es lässt sich auch keine unbillige Benachteiligung eines Wohnungseigentümers im Sinne von § 20 Abs. 4 Halbs. 1 Alt. 2 WEG feststellen. Mit dem Verbot, einen Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig zu benachteiligen, knüpft das Gesetz an die Regelung in § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG aF zu den Grenzen der Zulässigkeit von Modernisierungsmaßnahmen an.


Die von dem Berufungsgericht insoweit vorgenommene tatrichterliche Würdigung weist keine Rechtsfehler auf. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass Verschattungen- und Lärmbeeinträchtigungen etwa durch den konkreten Standort der Aufzugsanlage, durch die Größe sowie die bauliche Gestaltung des Aufzugs einschließlich der verwendeten Materialien bis zu einem gewissen Grad noch bei der Entscheidung über die Art und Weise der Durchführung (§ 20 Abs. 2 Satz 2 WEG) steuerbar sind.


Verfahren V ZR 33/23 Sachverhalt: Die Kläger und die Streithelferin der Beklagten sind Mitglieder der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Die Anlage besteht aus drei miteinander verbundenen Häusern mit jeweils zwei Wohnungen im Erdgeschoss und zwei weiteren Wohnungen im ersten Obergeschoss. Im rückwärtigen Teil des Anwesens befindet sich eine Gartenfläche, an der den Erdgeschosswohnungen zugewiesene Sondernutzungsrechte gebildet wurden. Nach der Teilungserklärung dürfen auf den Gartenflächen Terrassen in der Größe von maximal einem Drittel der Fläche des jeweiligen Sondernutzungsrechts errichtet werden. Mit Ausnahme der den beiden Eckwohnungen zugewiesenen Gartenflächen wurden jeweils gepflasterte Terrassen errichtet.


Auf Antrag der Streithelferin, die Sondereigentümerin einer der Eckwohnungen ist, beschlossen die Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung vom 14. Oktober 2021, der Streithelferin als privilegierte Maßnahme gemäß § 20 Abs. 2 WEG zu gestatten, auf der Rückseite des Gebäudes eine Rampe als barrierefreien Zugang sowie eine etwa 65 Zentimeter aufzuschüttende Terrasse zu errichten und das Doppelfenster im Wohnzimmer durch eine verschließbare Tür zu ersetzen; ggf. soll ein aus Bodenplatten bestehender Zugang vom Hauseingang bis zur Terrasse errichtet werden. Hiergegen richtet sich die von den Klägern erhobene Anfechtungsklage.


Bisheriger Prozessverlauf: Das Amtsgericht hat den Beschluss für ungültig erklärt. Die Berufung der Beklagten war erfolglos. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision will die Streithelferin die Abweisung der Klage erreichen. Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Die Revision hat Erfolg gehabt. Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Anfechtungsklage abgewiesen.


Dabei hat er sich von folgenden Erwägungen leiten lassen: Beschließen die Wohnungseigentümer die Durchführung oder Gestattung einer baulichen Veränderung, die ein Wohnungseigentümer unter Berufung auf § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG verlangt, hängt die Rechtmäßigkeit des Beschlusses entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht davon ab, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 20 Abs. 2 WEG im Einzelnen vorliegen und ob die bauliche Veränderung insbesondere angemessen ist. Auf diese Voraussetzungen kommt es nur an, wenn der Individualanspruch des Wohnungseigentümers abgelehnt worden ist und sich dieser mit einer Anfechtungsklage gegen den Negativbeschluss wendet und/oder den Anspruch mit der Beschlussersetzungsklage weiterverfolgt, wie dies in dem Verfahren V ZR 244/22 der Fall war. Der Gesetzgeber hat durch das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz die Vorschriften über bauliche Veränderungen in §§ 20, 21 WEG neu gefasst und grundlegend geändert.


Die Neuregelung dient unter anderem dem Zweck, den baulichen Zustand von Wohnungseigentumsanlagen leichter verbessern und an sich ändernde Gebrauchsbedürfnisse der Wohnungseigentümer anpassen zu können. Nunmehr können die Wohnungseigentümer nach § 20 Abs. 1 WEG im Gegensatz zu der Regelung in § 22 WEG aF Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen), jeweils mit einfacher Stimmenmehrheit beschließen. Sie müssen dabei lediglich die Grenzen des § 20 Abs. 4 Halbs. 1 WEG, die bei jeder baulichen Veränderung einzuhalten sind, beachten. Infolgedessen dürfen die Wohnungseigentümer eine bauliche Veränderung auch dann durch Mehrheitsbeschluss gestatten, wenn sie die in § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG geregelten Anspruchsvoraussetzungen im Einzelnen nicht als gegeben ansehen oder jedenfalls Zweifel hieran hegen.


Da das Berufungsgericht zu Unrecht auf die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 WEG abgestellt hatte und es keiner weiteren Feststellungen bedurfte, konnte nunmehr der Bundesgerichtshof abschließend darüber entscheiden, ob mit der gestatteten baulichen Veränderung eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage im Sinne von § 20 Abs. 4 Halbs. 1 Alt. 1 WEG verbunden ist. Diese Frage hat er verneint. Nach nunmehr geltendem Recht ist bei einer Maßnahme, die der Verwirklichung eines Zweckes i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG dient, eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage zumindest typischerweise nicht anzunehmen.


Der von dem Gesetzgeber im gesamtgesellschaftlichen Interesse erstrebten Privilegierung bestimmter Kategorien von Maßnahmen - unter anderem zur Förderung der Barrierefreiheit - ist bei der Prüfung, ob eine grundlegende Umgestaltung vorliegt, im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses Rechnung zu tragen. Da die von den Wohnungseigentümern hier beschlossene bauliche Veränderung ihrer Kategorie nach dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderung dient (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG), bedürfte es besonderer Umstände, um eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage anzunehmen. Hieran fehlt es.


Gestattet wird der Streithelferin lediglich die Errichtung eines untergeordneten Anbaus an ein bestehendes Gebäude einer Mehrhausanlage, wobei die Errichtung einer Terrasse schon nach der Teilungserklärung erlaubt ist. Weil der in der Eigentümerversammlung vom 14. Oktober 2021 gefasste Beschluss auch im Übrigen keine Mängel aufweist, konnte in der Sache abschließend entschieden und die Klage abgewiesen werden. Durch die Gestattung der baulichen Veränderung wird kein Wohnungseigentümer gegenüber anderen unbillig benachteiligt i.S.d. § 20 Abs. 4 Halbs. 1 Alt. 2 WEG. Der Beschluss ist auch hinreichend bestimmt.


Vorinstanzen: V ZR 244/22 AG München - Urteil vom 10. Februar 2022 - 1294 C 13970/21 WEG LG München I - Urteil vom 8. Dezember 2022 - 36 S 3944/22 WEG V ZR 33/23 AG Bonn - Urteil vom 15. August 2022 - 211 C 47/21 LG Köln - Urteil vom 26. Januar 2023 - 29 S 136/22 Die maßgeblichen Vorschriften lauten: § 20 WEG Bauliche Veränderungen (1) Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen, können beschlossen oder einem Wohnungseigentümer durch Beschluss gestattet werden. (2) Jeder Wohnungseigentümer kann angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die 1. dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen, 2. - 4. [...] dienen.


Über die Durchführung ist im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung zu beschließen. (3) Unbeschadet des Absatzes 2 kann jeder Wohnungseigentümer verlangen, dass ihm eine bauliche Veränderung gestattet wird, wenn alle Wohnungseigentümer, deren Rechte durch die bauliche Veränderung über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigt werden, einverstanden sind.

(4) Bauliche Veränderungen, die die Wohnanlage grundlegend umgestalten oder einen Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig benachteiligen, dürfen nicht beschlossen und gestattet werden; sie können auch nicht verlangt werden. § 21 WEG Nutzungen und Kosten bei baulichen Veränderungen (1) Die Kosten einer baulichen Veränderung, die einem Wohnungseigentümer gestattet oder die auf sein Verlangen nach § 20 Absatz 2 durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer durchgeführt wurde, hat dieser Wohnungseigentümer zu tragen.


Nur ihm gebühren die Nutzungen. (2) bis (5) […] § 22 WEG aF Besondere Aufwendungen, Wiederaufbau (1) [...] (2) Maßnahmen gemäß Absatz 1 Satz 1, die der Modernisierung entsprechend § 555b Nummer 1 bis 5 des Bürgerlichen Gesetzbuches oder der Anpassung des gemeinschaftlichen Eigentums an den Stand der Technik dienen, die Eigenart der Wohnanlage nicht ändern und keinen Wohnungseigentümer gegenüber anderen unbillig beeinträchtigen, können abweichend von Absatz 1 durch eine Mehrheit von drei Viertel aller stimmberechtigten Wohnungseigentümer im Sinne des § 25 Abs. 2 und mehr als der Hälfte aller Miteigentumsanteile beschlossen werden. […]



Bundesgerichtshof legt Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur weiteren Klärung des Begriffs der öffentlichen Wiedergabe vor


Karlsruhe, 8. Februar 2024 - I ZR 34/23 ("Seniorenwohnheim") und I ZR 35/23
Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen vorgelegt, mit denen geklärt werden soll, ob der Betreiber eines Seniorenwohnheims, der über eine Satellitenempfangsanlage empfangene Rundfunkprogramme durch ein Kabelnetz an die Heimbewohner weitersendet, eine öffentliche Wiedergabe vornimmt.


Sachverhalt: Die Klägerinnen sind Verwertungsgesellschaften, die die urheberrechtlichen Nutzungsrechte von Musikurhebern (I ZR 34/23) und Sendeunternehmen (I ZR 35/23) wahrnehmen. Die Beklagte betreibt ein Senioren- und Pflegezentrum. In dessen Pflegebereich wohnen in 88 Einzel- und 3 Doppelzimmern auf Dauer 89 pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren, die umfassend pflegerisch versorgt und betreut werden. Zusätzlich zum Pflegebereich verfügt die Einrichtung über verschiedene Gemeinschaftsbereiche wie Speisesäle und Aufenthaltsräume.


Die Beklagte empfängt über eine eigene Satellitenempfangsanlage Rundfunkprogramme (Fernsehen und Hörfunk) und sendet diese zeitgleich, unverändert und vollständig durch ihr Kabelnetz an die Anschlüsse für Fernsehen und Hörfunk in den Zimmern der Heimbewohner weiter. Die Klägerinnen sehen in der Weitersendung der Rundfunkprogramme einen Eingriff in die von ihnen wahrgenommenen urheberrechtlichen Nutzungsrechte und haben die Beklagte deshalb - erfolglos - zum Abschluss von Lizenzverträgen aufgefordert.


Bisheriger Prozessverlauf: In beiden Verfahren hat das Landgericht den Klagen stattgegeben und der Beklagten dem Antrag der Klägerin entsprechend die Weitersendung der Rundfunkprogramme untersagt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klagen abgewiesen. Die Weitersendung der Rundfunkprogramme erfülle nicht die Voraussetzungen einer öffentlichen Wiedergabe, weil sich die Wiedergabe auf den begrenzten Personenkreis der Bewohner der Einrichtung beschränke, die - ähnlich den Mitgliedern einer Wohnungseigentümergemeinschaft - einen strukturell sehr homogenen und auf dauernden Verbleib in der Einrichtung ausgerichteten stabilen Personenkreis mit eher niedriger Fluktuation bildeten.


Die Gemeinschaftsräume böten die Möglichkeit zu gemeinsamen Mahlzeiten, persönlichem Austausch und sozialem Miteinander der Bewohner. Anders als in einem Hotel oder einer Reha-Einrichtung bestehe durch die Wahl der Heimeinrichtung als Wohnung für den letzten Lebensabschnitt zwischen den Bewohnern eine enge Verbundenheit. Mit ihren Revisionen verfolgen die Klägerinnen ihre Klageanträge weiter.


Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: In dem Verfahren I ZR 34/23 hat der Bundesgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union drei Fragen zur Auslegung des in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft enthaltenen Begriffs der öffentlichen Wiedergabe vorgelegt.


Zunächst soll durch den Gerichtshof der Europäischen Union geklärt werden, ob es sich bei den Bewohnern eines kommerziell betriebenen Seniorenwohnheims, die in ihren Zimmern über Anschlüsse für Fernsehen und Hörfunk verfügen, an die der Betreiber des Seniorenwohnheims über eine eigene Satellitenempfangsanlage empfangene Rundfunkprogramme zeitgleich, unverändert und vollständig durch sein Kabelnetz weitersendet, im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Begriff der "öffentlichen Wiedergabe" gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG um eine "unbestimmte Anzahl potentieller Adressaten" (die - wie etwa Gäste eines Hotels oder Patienten eines Rehabilitationszentrums - eine Öffentlichkeit bilden können) oder um "besondere Personen, die einer privaten Gruppe angehören" (die keine Öffentlichkeit bilden) handelt.


Fraglich ist außerdem, ob die bisher vom Gerichtshof der Europäischen Union verwendete Definition, wonach die Einstufung als "öffentliche Wiedergabe" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG erfordert, dass "die Wiedergabe des geschützten Werks unter Verwendung eines technischen Verfahrens, das sich von dem bisher verwendeten unterscheidet (wie hier die Kabelweitersendung eines über eine Satellitenempfangsanlage empfangenen Rundfunkprogramms), oder ansonsten für ein neues Publikum erfolgt, das heißt für ein Publikum, an das der Inhaber des Urheberrechts nicht gedacht hatte, als er die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe seines Werks erlaubte", weiterhin allgemeine Gültigkeit hat, oder ob das verwendete technische Verfahren nur noch in Fällen Bedeutung hat, in denen eine Weiterübertragung von zunächst terrestrisch, satelliten- oder kabelgestützt empfangenen Inhalten (anders als im Streitfall) in das offene Internet stattfindet.


Ferner ist bislang nicht eindeutig geklärt, ob es sich um ein "neues Publikum" im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Begriff der "öffentlichen Wiedergabe" gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG handelt, wenn der zu Erwerbszwecken handelnde Betreiber eines Seniorenwohnheims über eine eigene Satellitenempfangsanlage empfangene Rundfunkprogramme zeitgleich, unverändert und vollständig durch sein Kabelnetz an die vorhandenen Anschlüsse für Fernsehen und Hörfunk in den Zimmern der Heimbewohner weitersendet.


Fraglich ist insbesondere, ob es für diese Beurteilung von Bedeutung ist, ob die Bewohner unabhängig von der Kabelsendung die Möglichkeit haben, die Fernseh- und Rundfunkprogramme in ihren Zimmern terrestrisch zu empfangen, sowie, ob die Rechtsinhaber bereits für die Zustimmung zur ursprünglichen Sendung eine Vergütung erhalten.

Das Verfahren I ZR 35/23 hat der Bundesgerichtshof bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem Verfahren I ZR 34/23 ausgesetzt.


Vorinstanzen: I ZR 34/23 LG Frankenthal - Urteil vom 13. Juli 2022 - 6 O 272/21 OLG Zweibrücken - Urteil vom 16. März 2023 - 4 U 101/22 und I ZR 35/23 LG Frankenthal - Urteil vom 13. Juli 2022 - 6 O 318/21 OLG Zweibrücken - Urteil vom 16. März 2023 - 4 U 102/22

Die maßgeblichen Vorschriften lauten: § 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 3 UrhG


Der Urheber hat … das ausschließliche Recht, sein Werk in unkörperlicher Form öffentlich wiederzugeben (Recht der öffentlichen Wiedergabe). Das Recht der öffentlichen Wiedergabe umfasst insbesondere …
3. das Senderecht § 20 UrhG Das Senderecht ist das Recht, das Werk durch Funk, wie Ton- und Fernsehrundfunk, Satellitenrundfunk, Kabelfunk oder ähnliche technische Mittel, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. § 20b Abs. 1 Satz 1 UrhG Das Recht, ein gesendetes Werk im Rahmen eines zeitgleich, unverändert und vollständig weiterübertragenen Programms weiterzusenden (Weitersendung), kann nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden. Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2001/29/EG


Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke … zu erlauben oder zu verbieten.


Januar 2024

Klage der Deutschen Umwelthilfe zur Fortschreibung des Nationalen Aktionsprogramms zum Schutz von Gewässern vor Verunreinigung durch Nitrat erfolglos
Münster, 25. Januar 2024 - Die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) hat mit ihrer Klage zur Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, den düngebezogenen Teil des Nationalen Aktionsprogramms zum Schutz von Gewässern vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen fortzuschreiben, keinen Erfolg. Das hat das Oberverwaltungsgericht heute entschieden.


Die europarechtliche Richtlinie 91/676/EWG, die sogenannte "Nitratrichtlinie", bezweckt die Verringerung und Vorbeugung von Gewässerverunreinigungen und gibt insbesondere einen maximalen Nitratwert für das Grundwasser von 50 mg/l vor. Sie verpflichtet die Mitgliedsstaaten, Aktionsprogramme aufzustellen, die die Maßnahmen zur Verwirklichung der Ziele der "Nitratrichtlinie" festlegen. Diese Aktionsprogramme sind alle vier Jahre fortzuschreiben.


Die DUH begehrte mit ihrer Klage die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, den düngebezogenen Teil des Nationalen Aktionsprogramms zum Schutz von Gewässern vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen fortzuschreiben. Sie vertrat die Auffassung, dass die beklagte Bundesrepublik Deutschland ihren Verpflichtungen aus der "Nitratrichtlinie" nicht nachgekommen sei. Insbesondere würden die bislang vorgesehenen Pflichtmaßnahmen nicht entsprechend den besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen umgesetzt und es seien keine wirksamen zusätzlichen Maßnahmen ergriffen worden, um die Ziele der "Nitratrichtlinie" zu verwirklichen.


Mit ihrer Klage hatte die DUH keinen Erfolg. Zur Begründung seiner Entscheidung führte der 20. Senat im Wesentlichen aus: Die Klage der DUH ist zwar zulässig. So ist die DUH nach den Regeln des Umweltrechtsbehelfsgesetzes (UmwRG) klagebefugt. Die DUH kann auch eine Fortschreibung des Nationalen Aktionsprogramms zum Gegenstand eines Klageverfahrens machen - eine im deutschen Recht noch recht neue, dem Europarecht entstammende Form staatlichen Handelns.



Die Klage hat aber keinen Erfolg, da die DUH mit ihrem Klagevorbringen nach § 7 Abs. 3 UmwRG ausgeschlossen (präkludiert) ist. Nach dieser Vorschrift kann eine Umweltschutzvereinigung wie die DUH in bestimmten Umweltangelegenheiten - wie hier in Bezug auf das Nationale Aktionsprogramm - zwar klagen, ist aber im gerichtlichen Verfahren mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die sie während der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht oder nicht rechtzeitig geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können.


Diese Bestimmung findet auf die Klage der DUH Anwendung und ist mit dem nationalen Verfassungsrecht, mit europarechtlichen Vorgaben und mit dem völkerrechtlichen "Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten", der sogenannten "Aarhus Konvention", vereinbar.


Die Voraussetzungen für das Eingreifen dieser Vorschrift liegen vor, weil sich die DUH zwar gemeinsam mit anderen Umweltschutzvereinigungen im Rahmen von Öffentlichkeitsbeteiligungen zu Änderungen des Nationalen Aktionsprogramms geäußert hat, allerdings nicht so hinreichend substantiiert und umfangreich, wie es nach den gesetzlichen Vorgaben erforderlich gewesen wäre.


Da die DUH mit ihrem Klagevorbringen schon ausgeschlossen ist, hatte das Oberverwaltungsgericht nicht darüber zu entscheiden, ob das Nationale Aktionsprogramm im Hinblick auf die "Nitratrichtlinie" aktuell hinreichende Maßnahmen beinhaltet. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen.

Aktenzeichen: 20 D 8/19.AK



Die Partei Die Heimat (vormals NPD) ist für die Dauer von sechs Jahren von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen
Bundesverfassungsgericht Karlsruhe, 23. Januar 2024 - Mit heute verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Partei Die Heimat (HEIMAT, vormals: Nationaldemokratische Partei Deutschlands – NPD) für die Dauer von sechs Jahren von der staatlichen Finanzierung nach § 18 Parteiengesetz (PartG) ausgeschlossen ist. Art. 21 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz (GG) sieht den Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der staatlichen Teilfinanzierung vor.


Ausgeschlossen sind Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Auf dieser Grundlage beantragten Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung, die Partei Die Heimat von der staatlichen Parteienfinanzierung auszuschließen.


Die Voraussetzungen eines Finanzierungsausschlusses gemäß Art. 21 Abs. 3 Satz 1 GG liegen vor: Die Partei Die Heimat missachtet die freiheitliche demokratische Grundordnung und ist nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Mitglieder und Anhänger auf deren Beseitigung ausgerichtet. Sie zielt auf eine Ersetzung der bestehenden Verfassungsordnung durch einen an der ethnischen „Volksgemeinschaft“ ausgerichteten autoritären Staat.


Ihr politisches Konzept missachtet die Menschenwürde aller, die der ethnischen „Volksgemeinschaft“ nicht angehören, und ist zudem mit dem Demokratieprinzip unvereinbar. Dass die Partei Die Heimat auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgerichtet ist, wird insbesondere durch ihre Organisationsstruktur, ihre regelmäßige Teilnahme an Wahlen und sonstigen Aktivitäten sowie durch ihre Vernetzung mit nationalen und internationalen Akteuren des Rechtsradikalismus belegt. Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.


Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig zum NPD/Die Heimat-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Die Instrumente der wehrhaften Demokratie wirken
Berlin, 23. Januar 2024 - Auf Antrag von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung hat das Bundesverfassungsgericht heute die Partei NPD/Die Heimat von der staatlichen Finanzierung ausgeschlossen. Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig begrüßt das Urteil: „Parteien, die sich gegen die Demokratie und unsere Verfassung wenden, dürfen kein Geld vom Staat erhalten. Dies hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt.


Das Urteil zeigt - die Instrumente der wehrhaften Demokratie wirken und schützen unsere verfassungsrechtliche Ordnung im Sinne der Mütter und Väter des Grundgesetzes. Nun muss geprüft werden, welche Konsequenzen für die AfD gezogen werden können, die bereits in Teilen als rechtsextrem eingestuft ist."


Verfassungsfeindlichkeit belegt Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung konnten in dem Gerichtsverfahren darlegen, dass die Verfassungsfeindlichkeit der NPD, die sich bei Identitätswahrung zwischenzeitlich in „Die Heimat" umbenannt hat, unverändert fortbesteht. Gemeinsam hatten die drei Verfassungsorgane im Juli 2019 einen Antrag auf Ausschluss der Partei von der staatlichen Parteienfinanzierung nach Artikel 21 Absatz 3 des Grundgesetzes beim Bundesverfassungsgericht eingebracht.


Im Zuge des zuvor vom Bundesrat initiierten Parteienverbotsverfahrens hatte das Bundesverfassungsgericht im Januar 2017 festgestellt, dass die NPD gegen die Menschenwürde verstößt, den Kern des Demokratieprinzips missachtet und eine Wesensverwandtschaft mit dem historischen Nationalsozialismus aufweist. Mit der Begründung, dass ihr das Potential fehle, ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch zu verwirklichen, verbot das Gericht die Partei damals jedoch nicht.


Auch Steuerprivilegien fallen weg
Die NPD hatte nach dem Urteil im Verbotsverfahren 2017 noch einige Jahre jährlich bis zu sechsstellige Beträge aus unmittelbarer staatlicher Parteienfinanzierung erhalten und profitiert bis heute von den damit verbundenen Steuerprivilegien. Angesichts mangelnder Wahlerfolge sind diese Zahlungen 2021 ausgelaufen. Jedoch erhält die Partei vergleichsweise hohe Mitgliedsbeiträge und bis zu 700.000 Euro Spenden pro Jahr sowie Erbschaften, die bisher vollständig steuerfrei waren. Auch dieses Steuerprivileg ist mit dem heutigen Tag weggefallen.


Verlegung der Termine zur mündlichen Verhandlung in Sachen AfD gegen Bundesamt für Verfassungsschutz
Münster, 23. Januar 2024 - Das Oberverwaltungsgericht wird in den Verfahren der Alternative für Deutschland (AfD) gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), nicht im Februar, sondern am 12.03.2024 und ggf. am 13.03.2024, beginnend jeweils um 9.00 Uhr, in der Halle des Oberverwaltungsgerichts mündlich verhandeln. Soweit nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung möglich, wird der Senat am Ende der letzten Sitzung eine Entscheidung verkünden.


Mit der Verlegung der ursprünglich für den 27.02.2024 und ggf. 28.02.2024 angesetzten Termine kommt der Senat einem Antrag der AfD nach, den diese mit Blick auf umfangreiche Unterlagen gestellt hat, die das BfV Anfang des Jahres übermittelt hat. In den drei Berufungsverfahren geht es um die Einstufung der AfD als Verdachtsfall nach dem Bundesverfassungsschutzgesetz (Aktenzeichen 5 A 1218/22), die Einstufung des sogenannten „Flügel“ als Verdachtsfall und als „gesichert extremistische Bestrebung“ (5 A 1216/22) sowie um die Einstufung der Jungen Alternative für Deutschland (Junge Alternative) als Verdachtsfall (5 A 1217/22).


Beim Verwaltungsgericht Köln hatten die Klagen im März 2022 überwiegend keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht verhandelt über die Berufungen der AfD und der Jungen Alternative. Weitere Informationen zum Akkreditierungsverfahren für Medienvertreter wird das Oberverwaltungsgericht voraussichtlich Mitte Februar 2024 veröffentlichen. Platzreservierungen für interessierte Bürgerinnen und Bürger wird es voraussichtlich nicht geben.

Aktenzeichen: 5 A 1216/22 (I. Instanz: VG Köln 13 K 207/20), 5 A 1217/22 (I. Instanz: VG Köln 13 K 208/20), 5 A 1218/22 (I. Instanz: VG Köln 13 K 326/21)


Bundesgerichtshof entscheidet über Verurteilung wegen Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot ("Geeinte deutsche Völker und Stämme")
Beschluss vom 14. November 2023 - 3 StR 141/23


Karlsruhe, 23. Januar 2024 - Das Landgericht Lüneburg hat die Angeklagte mit Urteil vom 22. November 2022 wegen Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot in Tateinheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und Missbrauch von Berufsbezeichnungen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es unter Verweis auf die Anklageschrift nicht näher bezeichnete Gegenstände eingezogen. Das Landgericht hat festgestellt, dass die Angeklagte 2016 federführend die Organisation "Geeinte deutsche Völker und Stämme" (GdVuSt) gründete.


In der Überzeugung, dass die Bundesrepublik Deutschland kein Staat sei, sondern nur ein "Handelskonstrukt" ohne "Legitimität", beabsichtigte die Gruppe, ein eigenes staatliches System auf einem Territorium in den Grenzen des Deutschen Reichs von 1871 bis 1914 zu errichten. Alle, die nicht "deutscher Abstammung" sind, sollten entrechtet und vertrieben werden. Gegen Zahlung von 500 € stellte die GdVuSt sogenannte Lebendbekundungen aus, durch die Interessenten ihr beitreten und sich von der Bundesrepublik Deutschland als Staat lossagen konnten. G


anze geographische Regionen sollten durch eine von der Vereinigung beurkundete, ebenfalls gebührenpflichtige "Erhebung naturstaatlicher Landschaften" Teil der GdVuSt werden können. Im Frühjahr 2020 verbot das Bundesinnenministerium die Organisation sowie die Nutzung ihrer Kennzeichen wegen Verstoßes gegen die verfassungsgemäße Ordnung. Gleichwohl setzte die Angeklagte ihr Wirken als zentrale Führungsfigur der in ihrer ideologischen Ausrichtung unveränderten GdVuSt fort. Sie verbreitete die Vereinsideologie auf Veranstaltungen und warb dafür im Internet unter Nutzung der verbotenen Symbole.


Außerdem stellte sie weiter die genannten Urkunden aus, wodurch sie im Tatzeitraum wenigstens 80.000 € vereinnahmte. Als "Generalbevollmächtigte" der GdVuSt beziehungsweise "Rechtsanwältin Dr. Wonneberger" auftretend, verfasste und verbreitete die Angeklagte zudem Texte, in denen sie unter anderem jüdische und muslimische Mitbürger als "unmoralische, unethische Wesen" bezeichnete und ihnen ihr Existenzrecht als gleichwertige Personen der deutschen Gesellschaft absprach. Zuletzt zählte die Gruppe etwa 500 Mitglieder.


Auf Telegram folgten der Angeklagten über 2.000 Nutzer. Der für Staatsschutzsachen zuständige 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die hiergegen gerichtete Revision der Angeklagten verworfen, was den Schuldspruch angeht. Diesen hat er lediglich sprachlich dahin präzisiert, dass die Angeklagte den Verstoß gegen das Vereinigungsverbot "als Rädelsführer" beging. Den Rechtsfolgenausspruch hat er auf Antrag des Generalbundesanwalts aufgehoben.


Der Einziehungsausspruch hat rechtlicher Überprüfung nicht standgehalten, weil die einzuziehenden Objekte in der Urteilsformel nicht hinreichend bezeichnet sind, unklar geblieben ist, ob es sich dabei um der Angeklagten gehörende oder zustehende Tatmittel handelte, und das Landgericht kein Ermessen ausgeübt hat. Dieser Rechtsfehler hat sich auch auf den Strafausspruch ausgewirkt. Über die Einziehung und die Strafzumessung wird deshalb eine andere Strafkammer des Landgerichts neu zu entscheiden haben.


Vorinstanz: LG Lüneburg – 21 KLs/5104 Js 40311/21 (13/22) – Urteil vom 22. November 2022 Maßgebliche Strafvorschriften: § 85 Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot (1) Wer als Rädelsführer oder Hintermann im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes den organisatorischen Zusammenhalt 1. einer Partei oder Vereinigung, von der im Verfahren nach § 33 Abs. 3 des Parteiengesetzes unanfechtbar festgestellt ist, dass sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist, oder 2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, dass sie Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist, aufrechterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.


Der Versuch ist strafbar. (2) Wer sich in einer Partei oder Vereinigung der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt oder ihre weitere Betätigung unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (3) § 84 Abs. 4 und 5 gilt entsprechend. § 86 Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (1)


Wer Propagandamittel 1. (…) 2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, dass sie Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist, 3. (…) 4. (…) im Inland verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder zur Verbreitung im Inland oder Ausland herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (…) § 86a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (1)


Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 oder Absatz 2 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in einem von ihm verbreiteten Inhalt (§ 11 Absatz 3) verwendet oder 2. einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der ein derartiges Kennzeichen darstellt oder enthält, zur Verbreitung oder Verwendung im Inland oder Ausland in der in Nummer 1 bezeichneten Art und Weise herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt.


(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind. (...) § 130 Volksverhetzung (1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder 2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.


(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder einer Person unter achtzehn Jahren einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) anbietet, überlässt oder zugänglich macht, der a) zum Hass gegen eine in Absatz 1 Nummer 1 bezeichnete Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer in Absatz 1 Nummer 1 bezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung aufstachelt,

b) zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen in Buchstabe a genannte Personen oder Personenmehrheiten auffordert oder c) die Menschenwürde von in Buchstabe a genannten Personen oder Personenmehrheiten dadurch angreift, dass diese beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden oder 2. einen in Nummer 1 Buchstabe a bis c bezeichneten Inhalt (§ 11 Absatz 3) herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diesen ein- oder auszuführen, um ihn im Sinne der Nummer 1 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen. (…)

 

§ 132a Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen (1) Wer unbefugt 1. inländische oder ausländische Amts- oder Dienstbezeichnungen, akademische Grade, Titel oder öffentliche Würden führt, 2. die Berufsbezeichnung Arzt, Zahnarzt, Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Psychotherapeut, Tierarzt, Apotheker, Rechtsanwalt, Patentanwalt, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer, Steuerberater oder Steuerbevollmächtigter führt, (…) wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Den in Absatz 1 genannten Bezeichnungen, akademischen Graden, Titeln, Würden, Uniformen, Amtskleidungen oder Amtsabzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.


Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung bei Vorbeifahrt an einem Müllabfuhrfahrzeug
Urteil vom 12. Dezember 2023 - VI ZR 77/23

Bundesgerichtshof Karlsruhe, 23. Januar 2024 - Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus Unfällen zuständige VI. Zivilsenat hat über einen Fall entschieden, in dem eine Pkw-Fahrerin an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifuhr und mit einem gerade entleerten Müllcontainer kollidierte. Der Senat hat in diesem Fall einen Verstoß der Fahrerin gegen die Straßenverkehrsordnung bejaht.


Sachverhalt
Die Klägerin, ein Pflegedienst, macht gegen einen für die Abfallwirtschaft zuständigen kommunalen Zweckverband Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem eines ihrer Pflegedienstfahrzeuge beschädigt wurde. Eine Mitarbeiterin der Klägerin fuhr mit diesem Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllabfuhrfahrzeug des beklagten Zweckverbandes vorbei, das mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des klägerischen Fahrzeugs mit einem Müllcontainer, den ein bei dem Beklagten angestellter Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.


Mit der Klage hat die Klägerin Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten verlangt. Bisheriger Prozessverlauf Das Landgericht hat der Klage gegen den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts teilweise abgeändert und den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75 (Beklagter) zu 25 (Klägerin) zu weiterem Schadensersatz verurteilt. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Fahrerin des Pkw kein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung anzulasten sei.


Entscheidung des Senats: Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Das Urteil des Berufungsgerichts wurde aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Der Klägerin steht gegen den Beklagten als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadensersatzanspruch aus § 7 StVG zu, da das Fahrzeug der Klägerin "bei dem Betrieb" des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.


Bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung hat das Berufungsgericht zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das Fahrzeug der Klägerin zu achten, welches für ihn - hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben - erkennbar gewesen wäre.


Allerdings ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch der Mitarbeiterin der Klägerin als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung vorzuwerfen: Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, das heißt in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen.


Er muss damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese typischerweise mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Lässt sich ein ausreichender Seitenabstand zum Müllabfuhrfahrzeug, durch den die Gefährdung eines plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortretenden Müllwerkers vermieden werden kann, nicht einhalten, so ist die Geschwindigkeit gemäß § 1, § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO so weit zu drosseln, dass der Verkehrsteilnehmer sein Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen bringen kann.


Den dargelegten Anforderungen genügte die vom Berufungsgericht festgestellte Fahrweise der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum Müllabfuhrfahrzeug war die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h zu hoch, als dass die Fahrerin das Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.


Vorinstanzen: Landgericht Hannover - Urteil vom 01.08.2022 - 12 O 103/21 Oberlandesgericht Celle - Urteil vom 15.02.2023 - 14 U 111/22 Die maßgeblichen Vorschriften lauten: § 1 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO): Grundregeln (1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.


(2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. § 3 StVO Geschwindigkeit (1) Wer ein Fahrzeug führt, darf nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird. Die Geschwindigkeit ist insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen….