|
Juni 2023 |
EU-Kommission legt Maßnahmenpaket
zu der Reduktion von Straßenverkehrstoten bis 2050 und der
Einführung eines digitalen Führerscheins vor.
Brüssel/Berlin, 5. Juni 2023 - Sogenanntes
Road Safety Package enthält Vorschläge zur Modernisierung der
Führerscheinrichtlinie. TÜV-Verband und DEKRA verfassen
gemeinsame Stellungnahme. ie EU-Kommission hat mit dem
Road Safety Package Vorschläge zur Modernisierung der
Führerscheinvorschriften vorgelegt. Mit den neuen
Vorschriften will die Kommission dem Ziel „Null
Straßenverkehrstote“ bis 2050 näher kommen. Außerdem sollen
Autofahrer:innen besser auf emissionsfreie Fahrzeuge und auf
das Fahren in der Stadt vorbereitet werden. Darüber hinaus
plant die Kommission die Einführung eines EU-weit gültigen
digitalen Führerscheins.
Die Pläne der EU-Kommission
kommentiert Marc-Philipp Waschke, Referent
Verkehrssicherheit, Fahrerlaubnis und Fahreignung beim
TÜV-Verband: „Grundsätzlich begrüßen wir die Vorschläge der
Kommission zur Überarbeitung der EU-Führerscheinrichtlinie,
einschließlich der Einführung eines unionsweit gültigen
digitalen Führerscheins sehr. Das Road Safety Package hat das
Potenzial, die Zahl der Verkehrstoten in Europa endlich
nachhaltig im Sinne der Vision Zero zu reduzieren. Bei
jährlich mehr als 20.000 Menschen auf europäischen Straßen
sollte das oberste Priorität sein.“
„Viele der
Maßnahmen, die nun EU-weit eingeführt werden sollen, sind in
Deutschland bereits Praxis. Die Maßnahmen haben sich in
Deutschland bewährt und konnten das Fahranfängerrisiko In den
letzten zehn Jahren senken. Beispielsweise durch das
Begleitete Fahren mit 17, die Optimierungen der theoretischen
und praktischen Fahrerlaubnisprüfung und die Ausbildung im
kompetenten Umgang mit Fahrerassistenzsystemen in der
Fahrerlaubnisprüfung. Wir unterstützen die EU-Kommission bei
den Plänen für eine europaweite Einführung.“
Einführung eines digitalen Führerscheins „Erstrebenswert
ist auch die schnelle Einführung eines EU-weit gültigen
digitalen Führerschein. Die Bürger:innen sollen in ihrem
täglichen Leben von den Vorteilen der europäischen
Gemeinschaft profitieren. Eine digitale Lösung muss aber
robust und im Blick auf Datenschutz und Datensicherheit
belastbar sein. Als TÜV-Verband arbeiten wir mit unseren
Mitgliedern bereits an einer Möglichkeit, nach bestandener
Prüfung einen digitalen Nachweis der Fahrberechtigung zu
erstellen. Diese könnte bereits im Vorgriff des EU-weiten
digitalen Führerscheins zeitnah umgesetzt werden.“
„Essenziell bleibt, dass die Fahrerlaubnisprüfung nicht dem
Wettbewerb preisgegeben wird, um das hohe Qualitätsniveau
auch in Zukunft zu sichern. Die EU-Kommission geht hier mit.
Für die Akzeptanz und das Vertrauen in die Prüfung bestätigt
die EU-Kommission ebenfalls den Trennungsgrundsatz Ausbildung
und Prüfung. Das heißt auch in Zukunft, wer ausbildet, prüft
nicht und wer prüft, bildet nicht aus. Für den Erhalt und die
weitere Verbesserung der Verkehrssicherheit sind dies
wichtige Punkte.“
Fahrerlaubnisprüfung nicht am
Wohnort Der neue Vorschlag der Kommission ermöglicht es,
die Fahrerlaubnisprüfung innerhalb der EU nicht im Land
seines Wohnortes abzulegen, wenn die dortige Amtssprache
nicht beherrscht wird. In Zukunft könnte der Führerschein von
dem Mitgliedstaat ausgestellt werden, dessen
Staatsangehörigkeit der Bewerber besitzt, wenn die Prüfung im
Land des ordentlichen Wohnsitzes nicht in einer der
Amtssprachen des Landes angeboten wird, dessen
Staatsangehörigkeit der Prüfling besitzt. Marc-Philipp
Waschke sagt dazu: „Wir sehen die Pläne der EU-Kommission
kritisch, die Fahrerlaubnisprüfung innerhalb der EU nicht im
Land seines Wohnortes ablegen zu müssen.
Nach Ansicht
des TÜV-Verbands sollten Fahrerlaubnisbewerber die Praktische
Prüfung grundsätzlich wohnortnah ablegen. Damit wird
gewährleistet, dass die Bewerber:innen ihre Fahrkompetenzen
insbesondere im Straßenverkehrsgeschehen ihres Lebensumfeldes
unter Beachtung regionaler Besonderheiten in Infrastruktur
und Verkehrsdichte nachweisen. Dort werden sie in aller Regel
auch ausgebildet. Die neue Möglichkeit umgeht dieses Prinzip
und kann das ohnehin hohe Fahranfängerrisiko steigern. Ein
solches Verfahren wäre aus unserer Sicht nur bei
gegenseitiger Anerkennung zwischen den betroffenen
Mitgliedsstaaten durchführbar.“
Feedbackfahrten für
ältere Fahrerlaubnisinhaber:innen „Ältere Fahrzeugführer
spielen als Unfallverursacher in der Unfallstatistik bisher
nur eine untergeordnete Rolle. Daher ist die von der
EU-Kommission vorgesehene generelle verpflichtende
Überprüfung der Fahreignung im Alter – ohne Vorliegen
konkreter Anhaltspunkte für Defizite zu Fahrkompetenz und
Fahreignung – aus Sicht des TÜV-Verbandes nicht zwangsläufig
erforderlich.“
„Um die Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben zu gewährleisten, müssen ältere
Menschen für eine sichere Teilnahme am Verkehrsgeschehen
intensiv in Bezug auf ihre Leistungsfähigkeit hinsichtlich
Fahrkompetenz und Fahreignung aufgeklärt werden. Gleichwohl
muss der Blick auf die Entwicklung der Unfallzahlen gerichtet
bleiben, denn in den Unfallstatistiken ist das
Unfallgeschehen für Fahrzeugführer ab dem 75. Lebensjahr
auffällig. Wir begrüßen und empfehlen daher, dass die
EU-Mitgliedsstaaten für Fahrerlaubnisinhaber ab 75 Jahre
geeignete Maßnahmen ergreifen und rechtliche Rahmen schaffen,
um regelmäßige Feedbackfahrten anbieten zu können. Im Rahmen
dieser Feedbackfahrten würden Experten die Fahrkompetenz der
Senioren feststellen und notwendige Potenziale zur
Wiederherstellung der Fahrfähigkeiten zurückmelden – im
Bedarfsfall würde auch eine Rückmeldung zur individuellen
Fahreignung erfolgen.“
Europäische
Sorgfaltspflichtengesetz +++ Auf EU-Ebene sollen
mehr Unternehmen als im deutschen Gesetz in die Pflicht
genommen und auch ökologische Sorgfaltspflichten
berücksichtigt werden +++ Unabhängige Prüfungen stärken
Umsetzung Berlin, 01. Juni 2023 – Zur heutigen Abstimmung
des EU-Parlaments über das EU-Sorgfaltspflichtengesetz
(Corporate Sustainability Due Diligence Directive) sagt
Juliane Petrich, Referentin Politik und Nachhaltigkeit des
TÜV-Verbands: „Das EU-Sorgfaltspflichtengesetz kann ein
echter Game-Changer werden, um Ungerechtigkeiten in den
globalen Wertschöpfungsketten zu reduzieren, Menschenrechte
in den Produktionsländern zu stärken und die Umwelt- und
Klimakrise einzudämmen.
Auf EU-Ebene sollen mehr
Unternehmen als im deutschen Gesetz in die Pflicht genommen
und auch ökologische Sorgfaltspflichten berücksichtigt
werden. Das sorgt für einheitliche Wettbewerbsbedingungen und
schützt diejenigen Unternehmen, die schon heute hohe soziale
und ökologische Standards einhalten.“ Unabhängige Prüfungen
stärken Umsetzung Für eine erfolgreiche Umsetzung des
EU-Sorgfaltspflichtengesetzes ist es wichtig, nicht nur
umfassende Anforderungen festzulegen, sondern auch
sicherzustellen, dass diese Anforderungen tatsächlich
eingehalten werden.
„Wir begrüßen nachdrücklich, dass
der Vorschlag unabhängigen Dritten, die die Einhaltung der
Sorgfaltspflichten entlang der Wertschöpfungskette
überprüfen, eine wichtige Rolle zuweist. Zertifizierungen und
Vor-Ort-Audits durch unabhängige
Konformitätsbewertungsstellen sind wichtige Instrumente, um
die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards zu
gewährleisten und für das notwendige Vertrauen in die
Aussagen der einzelnen Glieder der Wertschöpfungskette zu
sorgen. Das hilft den Unternehmen und schafft Transparenz für
Verbraucherinnen und Verbraucher. Immer mehr Menschen wollen
wissen, woher die von ihnen gekauften Produkte stammen und
unter welchen sozialen und ökologischen Bedingungen sie
hergestellt wurden“, sagt Petrich.
Mit der heutigen
Abstimmung ist der Weg für die gemeinsamen Verhandlungen mit
dem EU-Ministerrat (Trilogverhandlungen) jetzt frei. Die
beiden Co-Gesetzgeber sollten sich nun um ein schnelles
Verfahren bemühen und keine Verwässerungen zulassen, um am
Ende ein Sorgfaltspflichtengesetz auf den Weg zu bringen, das
Menschen, Umwelt und Klima auch wirklich schützt.
Das Gesetz zum Hinweisgeberschutz (HinSchG)
Das Gesetz wurde wurde am 2. Juni im Bundesgesetzblatt
verkündet und tritt somit am 2. Juli 2023 in Kraft. Das lange
Hin und Her hat ein Ende: Das Hinweisgeberschutzgesetz
(HinSchG) tritt am 2. Juli 2023 in Kraft. Mitte Mai wurde das
Gesetz vom Bundesrat verabschiedet, zuvor hatte es den
Bundestag passiert. Nach etlichen Anläufen im
Gesetzgebungsverfahren hat man sich mit rund eineinhalb
Jahren Verspätung für den Kompromissvorschlag des
Vermittlungsausschusses entschieden.
Das HinSchG ist
das nationale Umsetzungsgesetz der EU-Richtlinie zum Schutz
hinweisgebender Personen, die Verstöße im beruflichen Kontext
bei einer hierfür vorgesehenen internen oder externen
Meldestelle melden. Wer Missstände oder Regelverstöße in
Unternehmen oder Behörden angibt, wird künftig besser vor
Repressalien und beruflichen Nachteilen wie Mobbing und
Diskriminierung gesichert. Der umfassende Schutz von
Whistleblowern soll für mehr Integrität in Wirtschaft und
öffentlichem Sektor sorgen.
Wer ist betroffen und
was ist zu tun? Für Unternehmen ab 250 Beschäftigten und
Kommunen ab 10.000 Einwohnern gilt die Pflicht mit
Inkrafttreten des Gesetzes, sie müssen interne
Hinweisgebersysteme einrichten. Unternehmen ab 50
Beschäftigten haben bis Mitte Dezember 2023 etwas mehr Zeit
für die Umsetzung. Die Einrichtung eines internen
Meldekanals zur Aufdeckung von Verstößen wird verpflichtend.
Bei Nichteinrichtung und Fehlern in der Umsetzung drohen hohe
Bußgelder bis zu 50.000 Euro.
Nun gibt es zahlreiche
offene Fragen rund um den Hinweisgeberschutz: Wie schaffen
Wirtschaft und Verwaltung diese Herausforderung, kurzfristig
ein sicheres Hinweisgebersystem zu implementieren? Wie sieht
ein leicht zugänglicher, datenschutzkonformer Meldekanal aus,
über den Mitarbeiter oder andere Interessengruppen die
Regelverstöße einbringen? Wie gelingt es, die Hinweise
gesetzeskonform von nachweislich fachkundigem Personal zu
bearbeiten und wie können Ombudspersonen helfen? Wo sind die
Stolperfallen – und wo liegen die Chancen?
Sonn- und Feiertagsöffnung von
öffentlichen Bibliotheken zur Nutzung ihrer kulturellen
Funktionen an Ort und Stelle rechtmäßig - Aktenzeichen: 4 D
94/20.NE
Münster, 1. Juni 2023 - Das
Oberverwaltungsgericht hat mit heute verkündetem Urteil
entschieden, dass die durch Landesverordnung vorgesehene
Sonn- und Feiertagsöffnung von öffentlichen Bibliotheken
rechtmäßig und damit wirksam ist. Ein hiergegen gerichteter
Normenkontrollantrag der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
hatte keinen Erfolg.
Nach dem Arbeitszeitgesetz kann
die Landesregierung Ausnahmen von dem Verbot einer
Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zur
Vermeidung erheblicher Schäden unter Berücksichtigung des
Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe für
Betriebe zulassen, in denen eine solche Beschäftigung zur
Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders
hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist.
§ 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung erlaubt die
Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen in
öffentlichen Bibliotheken, soweit sie ihre Funktionen nach §
47 und § 48 Absätze 4 bis 6 des Kulturgesetzbuchs NRW vom
1.12.2021 erfüllen.
Die Einführung dieser
Verordnungsbestimmung war damit begründet worden, dass
öffentliche Bibliotheken als sog. Dritte Orte der Begegnung
dienten, der Kommunikation, der gesellschaftlichen
Integration, der Information, der (staatsbürgerlichen)
Bildung, als Stätten der Familie sowie als kulturelle
Veranstaltungsorte. Sie böten zu diesen Zwecken Menschen aus
unterschiedlichen sozialen Kontexten auch im ländlichen Raum
und in kleinen Städten einen zentralen, besonders
niederschwellig zugänglichen, nichtkommerziellen Raum für
nichtkonsumtive Freizeitgestaltung.
All diese
Nutzungsbedürfnisse vor Ort könnten an Sonntagen nur durch
eine Öffnung der Bibliotheken erfüllt werden. Insofern könne
eine Sonntagsarbeit von Bibliotheksmitarbeitern durch
zumutbare planerische Vorkehrungen der Bevölkerung nicht
vermieden werden. Der Entwurf, mit dem die Sonntagsöffnung
von Bibliotheken erstmals eingeführt werden sollte, war aus
der Mitte des Parlaments in den Landtag NRW eingebracht und
dort einstimmig angenommen worden.
Die
antragstellende Gewerkschaft hatte im Jahr 2020 gegen die
ursprünglich eingefügte Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11
Bedarfsgewerbeverordnung den hiesigen Normenkontrollantrag
gestellt und die im Jahr 2021 geänderte Fassung kürzlich auf
einen entsprechenden Hinweis des Gerichts in das Verfahren
einbezogen. Zur Begründung ihres Normenkontrollantrags führte
die Antragstellerin aus, das Bundesverwaltungsgericht habe
mit seinem Urteil vom 26.11.2014 - 6 CN 1.13 - zur hessischen
Bedarfsgewerbeverordnung bereits entscheiden, dass die
Voraussetzungen für eine sonnund feiertägliche Öffnung
öffentlicher Bibliotheken grundsätzlich nicht vorlägen, weil
Nutzer die in Bibliotheken vorgehaltenen Medien an Werktagen
für das Wochenende ausleihen könnten.
Die
angegriffene nordrhein-westfälische Regelung sei nicht anders
zu bewerten, nur weil ihr Anwendungsbereich auf bestimmte
Funktionen öffentlicher Bibliotheken beschränkt sei. Der 4.
Senat des Oberverwaltungsgerichts ist dieser Argumentation
nicht gefolgt und hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt: Nach Einschätzung des zuständigen
Landesgesetzgebers und den auf dieser Grundlage schlüssigen
und vertretbaren Annahmen des Verordnungsgebers besteht
angesichts der gewandelten kulturellen Funktionen
öffentlicher Bibliotheken als niederschwellig zugängliche,
nichtkommerzielle Orte der Kultur jedenfalls in
Nordrhein-Westfalen an Sonn- und Feiertagen ein Bedürfnis für
die Nutzung derartiger Bibliotheksräume an Ort und Stelle,
welches eine Beschäftigung von Arbeitnehmern in solchen
öffentlichen Bibliotheken an diesen Tagen als erforderlich
erscheinen lässt.
Die im ursprünglichen
Gesetzgebungsverfahren befragten Sachverständigen – mit
Ausnahme der Antragstellerin – waren einhellig der
Auffassung, dass gerade die Sonn- und Feiertagsöffnungen der
öffentlichen Bibliotheken, die ihre gesetzlich in § 47 und §
48 Absätze 4 bis 6 des Kulturgesetzbuchs NRW beschriebenen
kulturellen Funktionen erfüllen, für die (gemeinsame) Nutzung
an Ort und Stelle einen erheblichen Besucherstrom aus
verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen anziehen.
Dabei waren auch Erfahrungen mit sonntags geöffneten
Bibliotheken ausgewertet worden. Diese Einschätzung des
Verordnungsgebers ist schlüssig und vertretbar, weil der
Kreis der von der angegriffenen Regelung erfassten
öffentlichen Bibliotheken gerade auf solche Bibliotheken
beschränkt ist, die die beschriebenen Funktionen in einem so
nennenswerten Umfang anbieten, dass wegen der deswegen dort
möglichen Erfüllung des zu erwartenden Nutzungsbedürfnisses
an Ort und Stelle eine Öffnung an Sonnund Feiertagen
gerechtfertigt erscheint.
Die Einschätzung des
Verordnungsgebers über die Erforderlichkeit der Beschäftigung
von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen ist gerichtlich nur
eingeschränkt auf ihre Schlüssigkeit und Vertretbarkeit
überprüfbar; insbesondere darf das Gericht keine eigene
Einschätzung vornehmen. Der Senat hat die Revision zum
Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache im Hinblick auf die Frage zugelassen, ob für die
nachträgliche Einbeziehung einer inhaltlich unteilbar
geänderten Fassung einer Norm in ein Normenkontrollverfahren
die einjährige Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu
beachten ist.
Aktenzeichen: 4 D 94/20.NE
Weitere Informationen: § 1
Bedarfsgewerbeverordnung NRW (1) Abweichend von § 9
Arbeitszeitgesetz dürfen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
an Sonn- und Feiertagen in den folgenden Bereichen
beschäftigt werden, soweit die Arbeiten für den Betrieb
unerläßlich sind und nicht an Werktagen durchgeführt werden
können: […] 11. in öffentlichen Bibliotheken, soweit sie ihre
Funktionen nach § 47 und § 48 Absätze 4 bis 6 des
Kulturgesetzbuches vom 1. Dezember 2021 (GV. NRW. S. 1353) in
der jeweils geltenden Fassung erfüllen, bis zu 6 Stunden.
§ 47 Kulturgesetzbuch NRW (Aufgaben der Bibliotheken)
(1) Bibliotheken sind zur Benutzung bestimmte und
erschlossene Sammlungen von Büchern sowie anderen Medien- und
Informationsangeboten, auch digitaler Art. Sie tragen in
besonderer Weise zur Verwirklichung des Grundrechts aus
Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes bei, sich aus
allgemein zugänglichen Quellen ungehindert unterrichten zu
können.
(2) Als Bildungs- und
Informationseinrichtungen unterstützen Bibliotheken das
selbstbestimmte lebensbegleitende Lernen, die Leseförderung
sowie die Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz
(3) Als Kultureinrichtungen stellen sie Räume für
Begegnungen, Kommunikation, Integration und Kreativität zur
Verfügung, gestalten diese aktiv und bieten ein vielfältiges
Programm an. Sie haben auch die Funktion eines Dritten Orts
im Sinne von § 14 Absatz 4 Satz 1. (4) Als
Gedächtnisinstitutionen pflegen, bewahren und erschließen
Bibliotheken wertvolle Altbestände und Sammlungen und machen
sie der Öffentlichkeit in analoger oder digitaler Form
zugänglich. § 48 Kulturgesetzbuch NRW (Öffentliche
Bibliotheken) […]
(4) Öffentliche Bibliotheken
leisten durch ein fachlich kuratiertes Informationsangebot
einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der
Informationsfreiheit. Daher sind sie bei der Auswahl ihrer
Medien unabhängig und an Weisungen nicht gebunden.
(5) Öffentliche Bibliotheken sind unter Beachtung des
Hausrechts und im Rahmen der Benutzungsregelungen ihrer
Träger frei zugänglich. Sie ermöglichen Nutzerinnen und
Nutzern einen niedrigschwelligen und ungehinderten Zugang zu
Informationen und tragen so wesentlich zur Vermittlung von
allgemeiner, interkultureller und staatsbürgerlicher Bildung
bei. Zudem ermöglichen und unterstützen sie die demokratische
Willensbildung und gleichberechtigte Teilhabe sowie die
gesellschaftliche Integration. Das Land unterstützt die
Öffentlichen Bibliotheken bei der nutzerfreundlichen
Ausweitung der Öffnungszeiten.
(6) Als Orte der
Begegnung, der Kommunikation, des kulturellen Austausches und
der gesellschaftlichen Integration können Bibliotheken
zentrale Orte der Kultur und der außerschulischen Bildung
sein und dazu beitragen, kulturelle Aktivitäten in der Region
zu bündeln und zugänglich zu machen
|
Mai 2023 |
Sechswöchige Betriebsuntersagung
für Frisörgeschäfte im Frühjahr 2020 ("erster Lockdown")
verhältnismäßig – keine verfassungsrechtliche Verpflichtung
des Staates zur Regelung von Ausgleichsansprüchen III ZR
41/22
Karsruhe. 11. Mai 2023 - Der III.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über die Frage
entschieden, ob der Staat für Einnahmeausfälle haftet, die
durch die vorübergehende landesweite Schließung von
Frisörbetrieben im Frühjahr 2020 im Rahmen der Bekämpfung des
SARS-CoV-2-Virus entstanden sind ("erster Lockdown").
Sachverhalt: Die Klägerin ist selbständig tätig und
betreibt einen Frisörsalon in gemieteten Räumlichkeiten.
Durch Verordnungen vom 17. und 20. März 2020 untersagte das
beklagte Land Baden-Württemberg vorübergehend den Betrieb
zahlreicher Einrichtungen. Dazu gehörten auch
Frisörgeschäfte. Der Betrieb der Klägerin war in dem Zeitraum
vom 23. März bis zum 4. Mai 2020 geschlossen, ohne dass die
COVID-19-Krankheit zuvor dort aufgetreten war. Die Klägerin
war auch nicht ansteckungsverdächtig.
Aus dem Soforthilfeprogramm des
beklagten Landes erhielt sie 9.000 €, die sie allerdings
zurückzahlen muss. Die Klägerin hat geltend gemacht, das
beklagte Land schulde ihr eine Entschädigung in Höhe von
8.000 € für die mit der Betriebsschließung verbundenen
erheblichen finanziellen Einbußen (Verdienstausfall,
Betriebsausgaben). Die Maßnahme sei zum Schutz der
Allgemeinheit nicht erforderlich gewesen.
Prozessverlauf: Das Landgericht hat
die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist vor dem
Oberlandesgericht erfolglos geblieben. Die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs: Der III. Zivilsenat hat die Revision der
Klägerin zurückgewiesen. Er hat seine Rechtsprechung (Urteil
vom 17. März 2022- III ZR 79/21, BGHZ 233, 107) bestätigt,
wonach Gewerbetreibenden, die im Rahmen der Bekämpfung der
COVID-19-Pandemie als infektionsschutzrechtliche Nichtstörer
durch eine flächendeckende, rechtmäßig angeordnete
Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betriebsschließung oder
Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten
haben, weder nach den Vorschriften des
Infektionsschutzgesetzes noch nach dem allgemeinen Polizei-
und Ordnungsrecht oder kraft Richterrechts
Entschädigungsansprüche zustehen.
Die sechswöchige
Betriebsuntersagung für Frisöre war auch unter
Berücksichtigung der aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden
Berufsfreiheit und des von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten
Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb
verhältnismäßig. Die landesrechtlichen Regelungen, die
Betriebsschließungen anordneten, verfolgten das Ziel, die
Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und die durch die
Corona-Pandemie hervorgerufenen Gefahren, insbesondere auch
die der Überlastung des Gesundheitssystems, zu bekämpfen.
Damit erfüllte der Staat seine Schutzpflicht für Leben
und Gesundheit der Bürger und verfolgte mithin einen
legitimen Zweck. Das Gewicht des Eingriffs in die
vorgenannten Grundrechtspositionen wurde durch die
verschiedenen und umfangreichen staatlichen Hilfsmaßnahmen
für die von der Betriebsuntersagung betroffenen Unternehmen
entscheidend relativiert. Allein die "Soforthilfe Corona",
die ab dem 25. März 2020 zur Verfügung stand, und für
Betriebe mit bis zu fünf Beschäftigen bis zu 9.000 € betragen
konnte, führte in Baden-Württemberg zu 245.000 Bewilligungen
mit einem Gesamtvolumen von 2,1 Milliarden Euro.
Der
Verordnungsgeber hatte zudem von Anfang an eine
"Ausstiegs-Strategie" im Blick und verfolgte ein
schrittweises Öffnungskonzept. Der Umstand, dass die
infektionsschutzrechtlichen Betriebsuntersagungen aus dem
ersten Lockdown im Frühjahr 2020 nach dem geltenden Recht (§
32 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 56, 65 IfSG) keine
Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche begründen, ist
auch im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG ebenfalls nicht zu
beanstanden.
Der Gesetzgeber war verfassungsrechtlich
nicht verpflichtet, für Belastungen, wie sie für die Klägerin
mit der in den Betriebsuntersagungen liegenden Inhalts- und
Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG
einhergingen, Ausgleichsansprüche zu regeln. Eine
Betriebsschließung von sechs Wochen war angesichts der
gesamten wirtschaftlichen, sozialen und sonstigen
Auswirkungen der Pandemie und unter Berücksichtigung des
grundsätzlich von der Klägerin zu tragenden
Unternehmerrisikos nicht unzumutbar.
Die finanzielle
Leistungsfähigkeit des Staates ist begrenzt. Dementsprechend
muss der Staat in Pandemiezeiten sich gegebenenfalls auf
seine Kardinalpflichten zum Schutz der Bevölkerung
beschränken.
Vorinstanzen: Landgericht Heilbronn -
Urteil vom 17. Dezember 2020 – I 4 O 83/20 Oberlandesgericht
Stuttgart - Urteil vom 9. Februar 2022 – 4 U 28/21
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
Art. 12 GG – Berufsfreiheit (1) 1 Alle Deutschen haben
das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu
wählen. 2 Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf
Grund eines Gesetzes geregelt werden. Art. 14 GG – Eigentum,
Erbrecht und Enteignung 1 Das Eigentum und das Erbrecht
werden gewährleistet.
2 Inhalt und Schranken werden
durch die Gesetze bestimmt. § 28 IfSG - Schutzmaßnahmen (1) 1
Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige
oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein
Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider
war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen
Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 28a, 28b und 29
bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der
Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie
kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie
sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu
verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte
nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.
2 Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die
zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen
von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten
oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile
davon schließen. § 32 IfSG – Erlass von Rechtsverordnungen 1
Die Landesregierungen werden ermächtigt, unter den
Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 28b und
29 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen
entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer
Krankheiten zu erlassen.
2 Die Landesregierungen
können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere
Stellen übertragen. § 56 IfSG – Entschädigung (1) 1 Wer auf
Grund dieses Gesetzes als Ausscheider,
Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als
sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31
Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen
Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch
einen Verdienstausfall erleidet, erhält eine Entschädigung in
Geld. § 65 IfSG – Entschädigung bei behördlichen Maßnahmen
(1)
1 Soweit auf Grund einer Maßnahme nach
den §§ 16 und 17 Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in
sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein
anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht
wird, ist eine Entschädigung in Geld zu leisten; eine
Entschädigung erhält jedoch nicht derjenige, dessen
Gegenstände mit Krankheitserregern oder mit
Gesundheitsschädlingen als vermutlichen Überträgern solcher
Krankheitserreger behaftet oder dessen verdächtig sind. 2 §
254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist entsprechend anzuwenden.
Bundesgerichtshof zur
Endgerätewahlfreiheit bei einem Mobilfunkvertrag mit
Internetnutzung
Karlsruhe, 4. Mai 2023 - III
ZR 88/22 - Der für Rechtsstreitigkeiten über
Dienstverhältnisse zuständige III. Zivilsenat hat
entschieden, dass in einem Mobilfunkvertrag die Klausel in
Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines
Telekommunikationsunternehmens unwirksam ist, mit der der
Gebrauch des Internetzugangs auf Endgeräte beschränkt wird,
die eine mobile Nutzung unabhängig von einem permanenten
kabelgebundenen Stromanschluss ermöglichen. Sachverhalt: Der
Kläger ist in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4
UKlaG eingetragen.
Das beklagte
Telekommunikationsunternehmen verwendet in seinen Allgemeinen
Geschäftsbedingungen für Mobilfunkverträge mit
Internetnutzung u.a. die folgende Bestimmung: "Der mobile
Internetzugang kann/darf nur mit Smartphones, Tablets oder
sonstigen Geräten genutzt werden, die eine mobile Nutzung
unabhängig von einem permanenten kabelgebundenen
Stromanschluss ermöglichen (nicht z.B. in stationären
LTE-Routern)."
Der Kläger nimmt die Beklagte darauf
in Anspruch, es zu unterlassen, in Bezug auf
Telekommunikationsverträge mit Verbrauchern diese oder eine
inhaltsgleiche Klausel zu verwenden. Bisheriger
Prozessverlauf: Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung
der Beklagten zurückgewiesen. Die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs: Der III. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat die vom Berufungsgericht zugelassene
Revision der Beklagten zurückgewiesen.
Die von der
Beklagten verwendete Klausel hält einer Inhaltskontrolle
nicht stand. Sie verstößt gegen die in Art. 3 Abs. 1 der
Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 25. November 2015 über Maßnahmen zum Zugang zum
offenen Internet und zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG
über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen
Kommunikationsnetzen und -diensten sowie der Verordnung (EU)
Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen
in der Union normierte Endgerätewahlfreiheit und ist daher
gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.
Die
gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV in allen ihren Teilen verbindliche
und in jedem Mitgliedstaat unmittelbar geltende Verordnung
(EU) 2015/2120 bestimmt in ihrem Art. 3 Abs. 1, dass
Endnutzer eines Internetzugangsdienstes das Recht haben, den
Internetzugang mit Endgeräten ihrer Wahl zu nutzen.
Der Umfang dieser Endgerätewahlfreiheit richtet sich nicht
danach, ob dem Internetzugangsdienst ein Mobilfunkvertrag,
ein Festnetzvertrag oder ein anderer Vertragstyp zugrunde
liegt. Anknüpfungspunkt für die Endgerätewahlfreiheit ist der
Internetzugangsdienst und damit unabhängig von der
verwendeten Netztechnologie und den verwendeten Endgeräten
der durch den Dienst bereitgestellte Zugang zum Internet.
Bei der Nutzung dieses Zugangs kann der Endnutzer
grundsätzlich frei unter den zur Verfügung stehenden
Endgeräten wählen. Die Endgerätewahlfreiheit kann nicht
wirksam abbedungen werden. Eine Regelung im Sinne der von der
Beklagten verwendeten Klausel, die die Nutzung bestimmter
Endgeräte ausschließt, obwohl sie technisch zur Herstellung
einer Internetverbindung über das Mobilfunknetz geeignet
sind, ist daher unwirksam.
Die maßgeblichen
Vorschriften lauten: § 307 Abs. 1 und 2 BGB (1) Bestimmungen
in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie
den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von
Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine
unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben,
dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung
ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung 1. mit
wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der
abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder 2. wesentliche
Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags
ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des
Vertragszwecks gefährdet ist. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 VO (EU)
2015/2120
Endnutzer haben das Recht, über ihren
Internetzugangsdienst, unabhängig vom Standort des Endnutzers
oder des Anbieters und unabhängig von Standort, Ursprung oder
Bestimmungsort der Informationen, Inhalte, Anwendungen oder
Dienste, Informationen und Inhalte abzurufen und zu
verbreiten, Anwendungen und Dienste zu nutzen und
bereitzustellen und Endgeräte ihrer Wahl zu nutzen.
Vorinstanzen: LG München I - Urteil vom 28. Januar 2021 - 12
O 6343/20 OLG München - Urteil vom 17. Februar 2022 - 29 U
747/21
|
April 2023
|
Unfall oder Diebstahl – Pedelec richtig versichern Wer
braucht ein Versicherungskennzeichen? Hausratversicherung mit
Zusatzbaustein Coburg, 26.04.2023 - Vorbei die
Zeiten, in denen allein Kondition entschied, wer mit wem
Radfahren geht. Dem Pedelec sei Dank: Heute können Trainierte
und Untrainierte ganz entspannt miteinander radeln. Wer nicht
allein mit Muskelkraft fährt, sollte aber im Hinterkopf
haben, dass es oft schwerfällt, ein normales Rad von der
motorunterstützten Variante zu unterscheiden. Wenn
Geschwindigkeiten falsch eingeschätzt werden, ist ein Unfall
schnell passiert. Dann ist der richtige Versicherungsschutz
wichtig.
Welche Variante die richtige ist, hängt von
der Geschwindigkeit des jeweiligen Modells ab. Beim Großteil
der Pedelecs handelt es sich um Räder mit elektrischer
Tretunterstützung, die sich ab 25 Stundenkilometern
abschaltet. Wie die HUK-COBURG mitteilt, sind diese Pedelecs
den Fahrrädern gleichgestellt. Sie lassen sich ohne
Zulassung, Führerschein und Versicherungskennzeichen fahren.
Das Unfallrisiko ist oft – aber nicht immer – in einer
bestehenden Privathaftpflicht-Versicherung kostenlos
miteingeschlossen.
Ein Blick in die Bedingungen oder
ein Gespräch mit dem Versicherer klärt, ob die kostenfreie
Mitversicherung wirklich besteht. Andere Spielregeln gelten
für Fahrer:innen schneller S-Pedelecs, deren
Motorunterstützung erst bei 45 Kilometern pro Stunde endet.
Wer sich auf den Sattel eines S-Pedelecs setzt, muss
mindestens 16 Jahre alt sein, einen Führerschein der Klasse
AM und eine Kfz-Haftpflichtversicherung besitzen, das dafür
notwendige Versicherungskennzeichen gibt es direkt bei der
Kfz-Versicherung. Diebstahl nicht ausgeschlossen Genau wie
ihre allein mit Muskelkraft betriebenen Pendants, die
Fahrräder, werden auch S-Pedelecs gerne gestohlen.
Um
dagegen versichert zu sein, brauchen die
S-Pedelec-Fahrer:innen neben der Kfz-Haftpflichtversicherung
noch eine Teilkasko-Versicherung. Doch auch für Fahrer:innen
der langsameren Varianten ist Diebstahlschutz ein Thema:
Verschwinden solche Pedelecs nach einem Einbruch in den
verschlossenen Keller oder die Einzelgarage, ist das in der
Hausratversicherung kostenlos mitversichert. Anders sieht es
beim einfachen Diebstahl aus: Wenn also ein abgeschlossenes
Pedelec von der Straße weggestohlen wird. Hier kann in der
Regel nur der auf seinen Hausratversicherer zählen, der den
Zusatzbaustein Fahrraddiebstahl in seinen Vertrag
miteingeschlossen hat.
Bis zu welcher Summe die
Versicherung im Schadenfall leistet, hat jeder selbst in der
Hand. Dieser Schutz greift im Allgemeinen nicht nur 24
Stunden am Tag, sondern im Rahmen der Außenversicherung auch
weltweit und er bezieht alle, fest mit dem Fahrrad
verbundenen Teile, wie beispielsweise Sattel oder Räder, mit
ein. Lose verbundenes Zubehör, wie Anstecklampe oder
Fahrradkorb, ist normalerweise nur mitversichert, wenn es
zusammen mit dem Pedelec gestohlen wird. Allerdings können
solche Regelungen von Versicherer zu Versicherer variieren.
An dieser Stelle bringt ein Gespräch mit dem eigenen
Hausratversicherer Sicherheit.
Organstreitverfahren und abstrakte Normenkontrollen im
Zusammenhang mit dem NRW-Landeshaushalt eingegangen
Münster, 5. April 2023 - Am 5. April 2023 sind beim
Verfassungsgerichtshof in Münster ein Organstreitverfahren
sowie zwei Verfahren zur abstrakten Normenkontrolle im
Zusammenhang mit dem nordrhein-westfälischen Landeshaushalt
eingegangen.
Das von
den Fraktionen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
(SPD) und der Freien Demokratischen Partei (FDP) im Landtag
Nordrhein-Westfalen gegen das Ministerium der Finanzen des
Landes Nordrhein-Westfalen und die Landesregierung des Landes
Nordrhein-Westfalen eingeleitete Organstreitverfahren richtet
sich dagegen, dass der Landesfinanzminister auf der Grundlage
des im März 2020 errichteten "Sondervermögens zur
Finanzierung aller direkten und indirekten Folgen der
Bewältigung der Corona-Krise" (NRW-Rettungsschirmgesetz) im
Oktober und November 2022 Kredite aufgenommen hat.
Die Antragsteller sehen dadurch das Budgetrecht des Landtags
aus Art. 81 und 83 der Landesverfassung verletzt. Darüber
hinaus wenden sich die Mitglieder der Landtagsfraktionen der
SPD und der FDP im Wege der abstrakten Normenkontrolle zum
einen gegen die Errichtung des "Sondervermögens zur
Bewältigung der Krisensituation in Folge des russischen
Angriffskrieges in der Ukraine"
(NRW-Krisenbewältigungsgesetz) und zum anderen gegen die
Kreditermächtigung im "Gesetz über die Feststellung des
Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das
Haushaltsjahr 2023" (Haushaltsgesetz 2023).
Sie
machen eine Verletzung des Budgetrechts des Landtags bzw.
einen Verstoß gegen die im Grundgesetz verankerte
"Schuldenbremse" geltend.
VerfGH 32/23, VerfGH 33/23,
VerfGH 34/23
Befugnis des Insolvenzverwalters
zur Löschung eines Wohnungsrechts des Insolvenzschuldners am
eigenen Grundstück
Karlsruhe, 5. April 2023 -
BundesgerichtshofBeschluss vom 2. März 2023 – V ZB 64/21 Der
unter anderem für Rechtsbeschwerden in Grundbuchsachen
zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
entschieden, dass ein Wohnungsrecht, das am eigenen
Grundstück besteht, stets pfändbar ist und bei Insolvenz des
wohnungsberechtigen Grundstückseigentümers von dem
Insolvenzverwalter gelöscht werden kann.
Sachverhalt: Der
Beteiligte zu 1 war eingetragener Eigentümer eines bebauten
Grundstücks. An dem Grundstück bestellte er sich selbst ein
auf das Gebäude bezogenes Wohnungsrecht mit der Bestimmung,
dass die Ausübung des Wohnungsrechts dritten Personen nicht
überlassen werden könne, und brachte das Grundstück in eine
Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) als Einlage ein. Die
GbR wurde als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen,
ebenso erfolgte die Eintragung des Wohnungsrechts.
Über das Vermögen des Beteiligten zu 1 wurde einige Monate
später das Insolvenzverfahren eröffnet; der Beteiligte zu 4
wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser nahm im Wege
der Insolvenzanfechtung die GbR erfolgreich auf Rückgewähr in
Anspruch und erklärte die Auflassung des Grundbesitzes an den
Beteiligten zu 1. Er bewilligte und beantragte zudem die
Löschung des Wohnungsrechts. Daraufhin wurde der Beteiligte
zu 1 wieder als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen; das
Wohnungsrecht wurde gelöscht.
Gegen die Löschung des
Wohnungsrechts hat der Beteiligte zu 1 Beschwerde eingelegt
mit dem Ziel der Eintragung eines Amtswiderspruchs. Das
Kammergericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen
wendet sich der Beteiligte zu 1 mit der zugelassenen
Rechtsbeschwerde. Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der V.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Rechtsbeschwerde
des Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
Dem liegen
folgende Erwägungen zugrunde: Das Beschwerdegericht lehnt es
zu Recht ab, das Grundbuchamt zur Eintragung eines
Widerspruchs gegen die Löschung des Wohnungsrechts
anzuweisen, weil durch die Löschung des Wohnungsrechts keine
gesetzlichen Vorschriften verletzt worden sind. Der
Beteiligte zu 4 war als Insolvenzverwalter befugt, die
Löschung des Wohnungsrechts zu bewilligen.
Mit der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Verfügungsbefugnis
über die Insolvenzmasse auf den Insolvenzverwalter über. Dem
Insolvenzschuldner wird, soweit die Insolvenzmasse betroffen
ist, auch die Bewilligungsbefugnis entzogen; sie wird durch
den Insolvenzverwalter ausgeübt. Die Bewilligungsbefugnis des
Insolvenzverwalters umfasst dagegen nicht das Vermögen, das
nicht der Zwangsvollstreckung unterliegt (§ 36 Abs. 1 Satz 1
InsO).
Grundsätzlich gehören beschränkte persönliche
Dienstbarkeiten und damit auch das Wohnungsrecht (§ 1093 BGB)
als Sonderfall der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit
allerdings nicht zur Insolvenzmasse, weil sie gemäß § 1092
Abs. 1 Satz 1 BGB nicht übertragbar und deshalb nicht
pfändbar sind (§ 851 Abs. 1, § 857 Abs. 1 ZPO). Etwas anderes
gilt gemäß § 857 Abs. 3 ZPO dann, wenn die Überlassung der
Ausübung an einen anderen nach § 1092 Abs. 1 Satz 2 BGB
gestattet ist. Daran fehlt es hier.
Gleichwohl ist
das Wohnungsrecht des Beteiligten zu 1 pfändbar und fällt in
die Insolvenzmasse, weil der Beteiligte zu 1 das Eigentum an
dem Grundstück zurückerlangt hat und das Wohnungsrecht
dadurch zum Eigentümerwohnungsrecht geworden ist. Der V.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat bereits 1964
entschieden, dass eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit
dann pfändbar ist, wenn der Eigentümer des Grundstücks und
der Berechtigte personenidentisch sind. Er hält an dieser
Ansicht, die auch für das Wohnungsrecht gilt, fest.
Das Gesetz geht in den §§ 1090 ff. BGB davon aus, dass die
beschränkte persönliche Dienstbarkeit an einem fremden
Grundstück besteht, Eigentümer und Berechtigter also
personenverschieden sind. Für das Wohnungsrecht kommt das in
§ 1093 Abs. 1 Satz 1 BGB zum Ausdruck. Nach dieser Vorschrift
berechtigt das Wohnungsrecht zu einer Nutzung der umfassten
Räume durch den Wohnungsberechtigten "unter Ausschluss des
Eigentümers". Zwar erlaubt der Bundesgerichtshof die
Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit und
damit auch die Bestellung eines Wohnungsrechts am eigenen
Grundstück.
Das hat seinen Grund darin, dass dafür im
Zusammenhang mit der Vertragsgestaltung, insbesondere bei der
Veräußerung des Grundstücks, ein praktisches Bedürfnis
bestehen kann, ändert aber nichts daran, dass nach dem
gesetzlichen Leitbild Grundstückseigentümer und Berechtigter
personenverschieden sind. Dieses gesetzliche Leitbild liegt
gerade auch der Vorschrift der § 1092 Abs. 1 BGB zugrunde,
die zum Ausschluss der Pfändbarkeit führen kann. Auf ein
Eigentümerwohnungsrecht kann sich der Ausschluss der
Pfändbarkeit nach Sinn und Zweck der Vorschrift nicht
erstrecken.
Die Vorschrift des § 1092 Abs. 1 BGB
dient dem Schutz des Eigentümers. Sie trägt dem persönlichen
Vertrauensverhältnis zwischen Eigentümer und Berechtigtem
Rechnung und schließt es aus, dass der Berechtigte ohne
Mitwirkung des Eigentümers ausgetauscht werden kann. Das
zeigt, dass der Ausschluss der Pfändbarkeit ein Fremdrecht
voraussetzt. Für die beschränkte persönliche Dienstbarkeit
und insbesondere das Wohnungsrecht an eigenen Grundstücken
ist § 1092 Abs. 1 BGB deshalb teleologisch einzuschränken.
Der Berechtigte, der zugleich Eigentümer
ist, muss sich so behandeln lassen, als habe er es gemäß §
1092 Abs. 1 Satz 2 BGB gestattet, die Ausübung einem anderen
zu überlassen. Infolgedessen ist ein Eigentümerwohnungsrecht
stets – und damit auch hier –pfändbar. Hierfür spielt es
keine Rolle, ob das Wohnungsrecht von Anfang an als
Eigentümerwohnungsrecht bestellt wird oder ob es nachträglich
zu einer Vereinigung von Wohnungsrecht und Eigentum in einer
Person kommt.
Aufgrund der Pfändbarkeit fällt das
Eigentümerwohnungsrecht bei Insolvenz des
wohnungsberechtigten Grundstückseigentümers in die
Insolvenzmasse und ist von dem Insolvenzverwalter zu
verwerten. Der Insolvenzverwalter ist befugt, im Rahmen der
Verwertung die Löschung des Wohnungsrechts zu bewilligen,
etwa um das Grundstück lastenfrei veräußern zu können.
Vorinstanzen: Kammergericht –
Beschluss vom 7. Oktober 2021 – 1 W 342/21 Amtsgericht
Charlottenburg – Grundbuchamt – Beschluss vom 9. September
2021 – 40 BG-2329 Die maßgeblichen Vorschriften lauten: §
1092 BGB Unübertragbarkeit; Überlassung der Ausübung (1) Eine
beschränkte persönliche Dienstbarkeit ist nicht übertragbar.
Die Ausübung der Dienstbarkeit kann einem anderen nur
überlassen werden, wenn die Überlassung gestattet ist. (…) §
1093 BGB Wohnungsrecht (1) Als beschränkte persönliche
Dienstbarkeit kann auch das Recht bestellt werden, ein
Gebäude oder einen Teil eines Gebäudes unter Ausschluss des
Eigentümers als Wohnung zu benutzen. (…) (…) § 19 GBO
[Bewilligungsgrundsatz] Eine Eintragung erfolgt, wenn
derjenige sie bewilligt, dessen Recht von ihr betroffen wird.
§ 53 GBO [Widerspruch und Löschung von Amts wegen] (1) Ergibt
sich, daß das Grundbuchamt unter Verletzung gesetzlicher
Vorschriften eine Eintragung vorgenommen hat, durch die das
Grundbuch unrichtig geworden ist, so ist von Amts wegen ein
Widerspruch einzutragen. (…) (…) § 851 ZPO Nicht
übertragbare Forderungen (1) Eine Forderung ist in
Ermangelung besonderer Vorschriften der Pfändung nur insoweit
unterworfen, als sie übertragbar ist. (…) § 857 ZPO
Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte (1) Für die
Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte, die nicht
Gegenstand der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche
Vermögen sind, gelten die vorstehenden Vorschriften
entsprechend. (…) (3) Ein unveräußerliches Recht ist in
Ermangelung besonderer Vorschriften der Pfändung insoweit
unterworfen, als die Ausübung einem anderen überlassen werden
kann. (…) § 35 InsO Begriff der Insolvenzmasse (1) Das
Insolvenzverfahren erfaßt das gesamte Vermögen, das dem
Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und
das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). (…)
§ 36 InsO Unpfändbare Gegenstände (1) Gegenstände, die
nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören nicht zur
Insolvenzmasse. (…) (…) § 80 InsO Übergang des
Verwaltungs- und Verfügungsrechts (1) Durch die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur
Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu
verfügen, auf den Insolvenzverwalter über.
|
März 2023
|
Organstreitverfahren wegen
Nichtvorlage von Akten an den "PUA II -
Hochwasserkatastrophe" eingegangen
Münster,
31. März 2023 - Drei Mitglieder des Parlamentarischen
Untersuchungsausschusses II der 18. Wahlperiode des Landtags
Nordrhein-Westfalen ("PUA II – Hochwasserkatastrophe") haben
am 29. März 2023 beim Verfassungsgerichtshof in Münster ein
Organstreitverfahren gegen die Ministerin für Heimat,
Kommunales, Bau und Digitalisierung (Ina Scharrenberg) des
Landes Nordrhein-Westfalen eingeleitet.
Der "PUA II – Hochwasserkatastrophe"
soll mögliche Versäumnisse, Fehleinschätzungen und mögliches
Fehlverhalten der damaligen Landesregierung, insbesondere der
zuständigen Ministerien sowie der ihnen nachgeordneten
Behörden während der Hochwasserkatastrophe untersuchen, die
sich Mitte Juli 2021 ereignet hatte.
Die Antragsteller begehren die
Feststellung, dass die Antragsgegnerin dadurch gegen Art. 41
Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 3 der Landesverfassung
verstoßen habe, dass sie dem "PUA II – Hochwasserkatastrophe"
einen Teil der auf Grundlage des Beweisbeschlusses Nr. 13 vom
4. November 2022 angeforderten und in ihrem Geschäftsbereich
geführten Akten nicht vorgelegt habe. VerfGH 31/23
Kinderehe Gesetz zur Bekämpfung
von Kinderehen mangels Regelungen zu den Folgen und zu
Fortführungsmöglichkeiten nach inländischem Recht unwirksamer
Auslandskinderehen mit dem Grundgesetz unvereinbar
Karlsruhe, 29. März 2023 - Der Gesetzgeber ist
grundsätzlich befugt, die inländische Wirksamkeit im Ausland
wirksam geschlossener Ehen von einem Mindestalter der
Beteiligten abhängig zu machen. Ihm ist es auch nicht von
vornherein verwehrt, bei Unterschreiten dieses Alters im
Zeitpunkt der Eheschließung ohne Einzelfallprüfung die
Nichtigkeit der Ehe anzuordnen.
Allerdings bedarf es
dann Regelungen über die Folgen der Unwirksamkeit, etwa über
Unterhaltsansprüche, und über eine Möglichkeit, die
betroffene Auslandsehe nach Erreichen der Volljährigkeit auch
nach deutschem Recht als wirksame Ehe führen zu können.
Da das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen derartige
Regelungen nicht enthält, hat der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem
Beschluss den im Rahmen eines Vorlageverfahrens zur
Überprüfung gestellten Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB für mit der
Ehefreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt.
Die Vorschrift bleibt jedoch zunächst mit vom Gericht
näher festgelegten Maßgaben zu Unterhaltsansprüchen in Kraft.
Der Gesetzgeber hat bis längstens 30. Juni 2024 Zeit, eine in
jeder Hinsicht verfassungsgemäße Regelung zu schaffen.
EU:
„Recht auf Reparatur“
Brüssel, 22. März 2023 - Entsorgte Produkte sind häufig noch
gebrauchsfähige Waren, die repariert werden können, aber oft
vorzeitig weggeworfen werden. Dies verursacht jährlich
35 Millionen Tonnen Abfall. Dagegen will die EU-Kommission
vorgehen. Mit einem Vorschlag zum „Recht auf Reparatur“ soll
es für Verbraucherinnen und Verbrauchern künftig einfacher
und kostengünstiger werden, Waren zu reparieren, statt sie
ersetzen zu lassen.

Frans Timmermans, Exekutiv-Vizepräsident für den
europäischen Grünen Deal, sagte: „Reparatur ist
ein entscheidender Faktor, wenn es darum geht, das Modell der
Wegwerfgesellschaft ad acta zu legen, das für unseren
Planeten, unsere Gesundheit und unsere Wirtschaft so
schädlich ist. Ein fehlerhaftes Kabel oder ein beschädigter
Ventilator muss nicht bedeuten, dass man ein ganz neues
Produkt kaufen muss. Im vergangenen Jahr haben wir
Vorschriften vorgeschlagen, um sicherzustellen, dass Produkte
grundsätzlich reparierbar sind. Heute schlagen wir vor, die
Reparatur zu einer einfachen und attraktiven Option für die
Verbraucherinnen und Verbraucher zu machen.“
Neue Maßnahmen zur Förderung
und Erleichterung von Reparatur und Wiederverwendung
Der Vorschlag sieht ein „Recht auf Reparatur“ für
Verbraucherinnen und Verbraucher sowohl innerhalb als auch
außerhalb der gesetzlichen Garantie.
Im Rahmen der gesetzlichen Garantie werden
Verkäufer Reparaturen anbieten müssen, es sei denn, diese
sind teurer als der Ersatz.
Über die gesetzliche Garantie hinaus wird
den Verbraucherinnen und Verbrauchern ein neues Paket von
Rechten und Instrumenten zur Verfügung stehen, um eine
Reparatur zu einer einfachen und verfügbaren Option zu
machen:
•
Anspruch der Verbraucher/innen gegenüber Herstellern auf
Reparatur von Produkten, die nach EU-Recht technisch
reparierbar sind, wie Waschmaschinen oder Fernsehgeräte.
Dadurch soll sichergestellt werden, dass sich
Verbraucher/innen jederzeit an jemanden wenden können, wenn
sie sich für eine Reparatur ihres Produkts entscheiden. Auch
soll es die Hersteller dazu anregen, nachhaltigere
Geschäftsmodelle zu entwickeln.
•
Verpflichtung der Hersteller zur Unterrichtung der
Verbraucher/innen über die Produkte, die sie selbst
reparieren müssen.
•
Eine Matchmaking-Reparaturplattform im Internet, um
Verbraucherinnen und Verbrauchern die Kontaktaufnahme zu
Reparaturbetrieben und Verkäufern instandgesetzter Waren in
ihrer Region zu ermöglichen. Die Plattform soll die Suche
nach Standorten und Qualitätsstandards ermöglichen, sie soll
den Verbraucherinnen und Verbrauchern helfen, attraktive
Angebote zu finden, und die Sichtbarkeit von
Reparaturbetrieben erhöhen.
•
Ein europäisches Formular für Reparaturinformationen, das die
Verbraucher/innen von jedem Reparaturbetrieb verlangen
können. Das soll Transparenz in Bezug auf die
Reparaturbedingungen und den Preis schaffen und den
Verbraucherinnen und Verbrauchern der Vergleich von
Reparaturangeboten erleichtern.
•
Ein europäischer Qualitätsstandard für
Reparaturdienstleistungen wird entwickelt. Er soll den
Verbraucherinnen und Verbrauchern dabei helfen,
Reparaturbetriebe zu ermitteln, die sich zu einer höheren
Qualität verpflichten. Dieser Standard für eine „einfache
Reparatur“ steht allen Reparaturbetrieben in der gesamten EU
offen. Sie müssen bereit sein, sich zu
Mindestqualitätsstandards zu verpflichten, etwa in Bezug auf
die Lebensdauer oder die Verfügbarkeit von Produkten.
Der Kommissionsvorschlag muss vom Europäischen Parlament und
vom Rat angenommen werden.
Deutsche Umwelthilfe begrüßt
Urteil des EuGH zu Abschalteinrichtungen bei Diesel-Pkw
21. März 2023 - Bestätigung der Illegalität von
Temperaturabschaltungen der Abgasreinigung erfolgt in den von
der Deutschen Umwelthilfe geführten Verfahren Europäischer
Gerichtshof bestätigt: Durch illegale Abschalteinrichtungen
betrogene Kunden können Anspruch auf Gewährleistung durch
Automobilhersteller haben – von diesem Urteil sind bis zu 10
Millionen Besitzer von Diesel-Pkw betroffen Voraussetzung für
die zivilrechtlichen Ansprüche ist nach der heutigen
EuGH-Entscheidung, dass die Temperaturabschaltungen
unzulässig waren.
Dies wird in den durch die Deutsche
Umwelthilfe vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit geführten
Verfahren entschieden. Die Musterentscheidung des
Verwaltungsgerichts Schleswig vom 20. Februar 2023 bestätigt
die Unzulässigkeit.
DUH-BGF Resch: „Das
Kraftfahrtbundesamt und das zuständige
Bundesverkehrsministerium haben viele Jahre die Profite der
Dieselkonzerne über das Wohl der Menschen gestellt – das
heutige Urteil verpflichtet das Kraftfahrtbundesamt, nun eine
Hardwarenachrüstung oder alternativ Stilllegung der Fahrzeuge
anzuordnen!“
Nur einen Monat nach dem Grundsatzurteil
des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 20. Februar 2023 folgt
heute der nächste Paukenschlag in der um mehr als sieben
Jahre verspäteten Dieselgate-Aufarbeitung. Der Europäische
Gerichtshof hat die Hürden für eine Schadensersatzklage für
bis zu 10 Millionen betroffene Dieselfahrer gegen die
Autohersteller erheblich gesenkt (Aktenzeichen: C-100 / 21).
Während der Bundesgerichtshof (BGH) zuvor noch den
Nachweis einer „vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung“
verlangte, ist jetzt nur noch der Nachweis einer fahrlässigen
Pflichtverletzung notwendig. „Dieses Urteil ist ein großer
Erfolg für den Verbraucherschutz. Entscheidend wird nun sein,
dass die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtungen
abschließend gerichtlich festgestellt wird. Dazu sind bereits
Verfahren zu über 100 Typgenehmigungen gegen das KBA
anhängig.
Alles spricht dafür, dass diese
abschließend so ausgehen, wie das Verwaltungsgericht
Schleswig zuletzt in dem Musterfall entschieden hat. Die
Zivilgerichte müssen diese verwaltungsgerichtlichen
Weichenstellungen übernehmen“, so Rechtsanwalt Remo Klinger,
der die Deutsche Umwelthilfe (DUH) in allen
Dieselgate-Verfahren vertritt.
Das
Kraftfahrtbundesamt (KBA) hatte diverse Betrugsdiesel durch
Freigabebescheide nach einem Software-Update wieder auf die
Straße gelassen. Die DUH hatte diesbezüglich geklagt und am
20. Februar 2023 in einem Musterverfahren an einem VW Golf
mit dem Motor EA189 gewonnen: Der Freigabebescheid wurde
aufgehoben, da nach wie vor unzulässige Abschalteinrichtungen
vorhanden sind.
Insgesamt hat die DUH 119
Freigabebescheide für Betrugsdiesel verschiedener Hersteller
beklagt. Mittelbar sind bis zu 10 Millionen Autos in
Deutschland betroffen. DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch
kommentiert: „Das KBA und das zuständige
Bundesverkehrsministerium haben viele Jahre die Profite der
Dieselkonzerne über das Wohl der Menschen gestellt. Wir
werden mit unseren weiteren Klageverfahren gegen das
Kraftfahrtbundesamt sicherstellen, dass alle Betrugsdiesel
entweder stillgelegt oder mit einer funktionierenden
Abgasanlage nachgerüstet werden.“
Bundesgerichtshof bejaht
"Beschlusszwang" für bauliche Veränderungen des
Gemeinschaftseigentums nach neuem Wohnungseigentumsrecht
Urteil vom 17. März 2023 - V ZR 140/22
Karlsruhe, 17. März 2023 - Der Bundesgerichtshof hat sich
heute mit dem neuen Wohnungseigentumsrecht befasst und
entschieden, dass ein Wohnungseigentümer, der eine in der
Gemeinschaftsordnung nicht vorgesehene bauliche Veränderung
vornehmen will, einen Gestattungsbeschluss notfalls im Wege
der Beschlussersetzungsklage herbeiführen muss, ehe mit der
Baumaßnahme begonnen wird.
Sachverhalt: Die Parteien
bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft mit zwei
Doppelhaushälften auf einem im Gemeinschaftseigentum
stehenden Grundstück. Nach der Gemeinschaftsordnung von 1971
bestimmt sich das Verhältnis der Wohnungseigentümer
untereinander nach dem Gesetz, wobei jedem Wohnungseigentümer
ein Sondernutzungsrecht an dem an die jeweilige Haushälfte
anschließenden Gartenteil zusteht. Ausweislich einer späteren
Ergänzung der Teilungserklärung sind sie insoweit allein für
Reparaturen und Instandhaltungen verantwortlich und
kostenpflichtig.
Die Beklagten beabsichtigen gegen den
Willen der Klägerin den Bau eines Swimmingpools in der von
ihnen genutzten Hälfte des Gartens. Bisheriger
Prozessverlauf: Nachdem die Beklagten mit dem Bau des
Swimmingpools begonnen hatten, hat die Klägerin
Unterlassungsklage erhoben, die bei Amts- und Landgericht
Erfolg gehabt hat. Mit der von dem Landgericht zugelassenen
Revision wollten die Beklagten weiterhin die Abweisung der
Klage erreichen.
Die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs: Der unter anderem für das
Wohnungseigentumsrecht zuständige V. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat die Revision zurückgewiesen. Das
Landgericht hat der Unterlassungsklage zu Recht stattgegeben.
Dabei ist es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
entsprechend davon ausgegangen, dass die
Prozessführungsbefugnis der Klägerin fortbesteht, da die
Klage noch unter dem alten Recht erhoben worden ist.
Im Ausgangspunkt steht der Klägerin ein Unterlassungsanspruch
gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB zu. Bauliche Veränderungen
müssen nämlich gemäß § 20 Abs. 1 WEG durch einen Beschluss
der Wohnungseigentümer gestattet werden. Daran fehlt es hier.
Die Wohnungseigentümer haben das Beschlusserfordernis auch
nicht gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 WEG abbedungen. Dies ergibt
sich insbesondere nicht aus der Gemeinschaftsordnung nebst
Ergänzung.
Zwar steht den Beklagten ein
Sondernutzungsrecht an dem hälftigen Grundstück zu. Ein
solches Sondernutzungsrecht berechtigt aber nicht zu
grundlegenden Umgestaltungen der jeweiligen
Sondernutzungsfläche, die wie der Bau eines Swimmingpools
über die übliche Nutzung hinausgehen. Hierbei handelt es sich
auch nicht um eine Reparatur oder Instandsetzung.
Ebenso wenig bestehen Anhaltspunkte
für eine konkludente, von dem grundsätzlichen
Beschlusserfordernis bei baulichen Veränderungen abweichende
Vereinbarung. Dies lässt sich insbesondere nicht etwaigen
baulichen Veränderungen entnehmen, die die Klägerin selbst
ohne das Einverständnis der Beklagten vorgenommen haben soll.
Diesem Unterlassungsanspruch können die Beklagten einen
eventuellen Anspruch auf Gestattung der baulichen Veränderung
gemäß § 20 Abs. 3 WEG nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB)
entgegenhalten.
Zwar kann gemäß § 20 Abs. 3 WEG jeder
Wohnungseigentümer verlangen, dass ihm eine bauliche
Veränderung gestattet wird, wenn alle Wohnungseigentümer,
deren Rechte durch die bauliche Veränderung über das bei
einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus
beeinträchtigt werden, einverstanden sind oder wenn kein
anderer Wohnungseigentümer beeinträchtigt wird.
Die
fehlende Beeinträchtigung der Klägerin und damit einen
Gestattungsanspruch der Beklagten musste der
Bundesgerichtshof für die Revisionsinstanz unterstellen, weil
das Landgericht diese Frage offengelassen und keine
Feststellungen insbesondere zu der Grundstücksgröße und den
baulichen Verhältnissen vor Ort getroffen hatte. Auch wenn
ein bestehender Gestattungsanspruch unterstellt wird, muss
die Gestattung durch Beschluss der Wohnungseigentümer
erfolgen.
Die vor Inkrafttreten des
Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes zum 1. Dezember 2020
umstrittene Frage, ob bauliche Veränderungen eines
Beschlusses bedürfen, hat der Gesetzgeber in Kenntnis dieses
Streits nunmehr eindeutig entschieden, um
Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden und die vielfältigen
Zweifelsfragen im Zusammenhang mit baulichen Veränderungen zu
beseitigen. Danach bedarf jede von einem einzelnen
Wohnungseigentümer beabsichtigte bauliche Veränderung des
gemeinschaftlichen Eigentums eines legitimierenden
Beschlusses, auch wenn kein Wohnungseigentümer in rechtlich
relevanter Weise beeinträchtigt wird.
So wird
sichergestellt, dass die Wohnungseigentümer über alle
baulichen Veränderungen des Gemeinschaftseigentums informiert
werden. Damit ist das Verfahren bei beabsichtigter baulicher
Veränderung durch einen einzelnen Wohnungseigentümer
vorgezeichnet. Es ist Sache des bauwilligen
Wohnungseigentümers, einen Gestattungsbeschluss
gegebenenfalls im Wege der Beschlussersetzungsklage (§ 44
Abs. 1 Satz 2 WEG) herbeizuführen, ehe mit der Baumaßnahme
begonnen wird.
Handelt er dem zuwider, haben die
übrigen Wohnungseigentümer einen Unterlassungsanspruch. Dass
der bauwillige Wohnungseigentümer dem Unterlassungsanspruch
seinen Gestattungsanspruch nicht unter Berufung auf Treu und
Glauben entgegenhalten kann, ist keine bloße Förmelei. Es ist
gerade Sache des bauwilligen Wohnungseigentümers, den
gesetzlich geforderten Beschluss über die bauliche
Veränderung herbeizuführen. Notfalls muss er
Beschlussersetzungsklage erheben.
Demgegenüber sollen
die übrigen Wohnungseigentümer nicht in die Rolle gedrängt
werden, auf die Erhebung einer Klage durch die Gemeinschaft
hinwirken zu müssen. Vorteil dieses nunmehr eindeutig
geregelten Verfahrens ist außerdem, dass mit Bestandskraft
eines gestattenden Beschlusses (bzw. Rechtskraft eines
Urteils, das einen Gestattungsbeschluss ersetzt) zwischen den
Wohnungseigentümern ebenso wie im Verhältnis zu deren
Rechtsnachfolgern feststeht, dass die bauliche Veränderung
zulässig ist.
Die maßgeblichen Vorschriften lauten: §
20 WEG: Abs. 1: "Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige
Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen
(bauliche Veränderungen), können beschlossen oder einem
Wohnungseigentümer durch Beschluss gestattet werden".
Abs. 2 (…) Abs. 3: "Unbeschadet des Absatzes 2 kann jeder
Wohnungseigentümer verlangen, dass ihm eine bauliche
Veränderung gestattet wird, wenn alle Wohnungseigentümer,
deren Rechte durch die bauliche Veränderung über das bei
einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus
beeinträchtigt werden, einverstanden sind".
Eilantrag gegen die Auswahl der
Abfertigungsdienstleister am Flughafen Düsseldorf abgelehnt
Münster, 3. März 2023 - Die Entscheidung vom 19. Dezember
2022, mit welcher das Verkehrsministerium des Landes
Nordrhein-Westfalen drei Anbieter zur Erbringung von
Bodenabfertigungsdiensten am Flughafen Düsseldorf für die
Dauer von sieben Jahren beginnend ab dem 1. April 2023
ausgewählt hat, bleibt sofort vollziehbar.
Das hat
das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 2. März 2023
entschieden.
Nach Ausschreibung der Konzessionen zur
Erbringung von Bodenabfertigungsdiensten am Flughafen
Düsseldorf hat das Verkehrsministerium mit seiner
Auswahlentscheidung drei Anbieter ausgewählt. Dagegen hat ein
unterlegener Mitbewerber, der bisher die Leistungen am
dortigen Flughafen erbracht hat, Klage erhoben und im
Hinblick auf die behördlich angeordnete sofortige Vollziehung
der Auswahlentscheidung Eilrechtsschutz beantragt.
Diesen Eilantrag, mit dem das Unternehmen (Antragstellerin)
erreichen wollte, vorläufig bis zur Entscheidung über die
Klage weiterhin am Flughafen Düsseldorf tätig sein zu dürfen,
hat das Oberverwaltungsgericht mit seinem Beschluss
abgelehnt. Zur Begründung hat der - erstinstanzlich
zuständige - 20. Senat im Wesentlichen ausgeführt: Die
Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind offen.
Die
deshalb gebotene Abwägung der widerstreitenden Interessen
fällt zulasten der Antragstellerin aus. Ein öffentliches
Vollziehungsinteresse resultiert unter Berücksichtigung der
großen verkehrlichen Bedeutung des Flughafens in hohem Maße
aus dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung
seiner Betriebs- und Funktionsfähigkeit ab dem 1. April 2023,
die rechtlich und tatsächlich durch die Vollziehbarkeit der
Auswahlentscheidung gewährleistet wird.
Außerdem
fällt insofern ins Gewicht, dass die sofortige Vollziehung
der Auswahlentscheidung der vom Recht der Europäischen Union
vorgesehenen Marktöffnung auf dem Gebiet der
Bodenabfertigungsdienste Rechnung trägt. Gegenüber dem
demnach erheblichen öffentlichen Vollziehungsinteresse sowie
den Vollziehungsinteressen des Flughafenbetreibers und der
ausgewählten Bewerber tritt das vordringlich wirtschaftlich
begründete Interesse der Antragstellerin zurück, vorläufig
weiterhin die Leistungen erbringen zu dürfen.
Der
Beschluss ist unanfechtbar. Aktenzeichen: 20 B 71/23.AK
|
Januar 2023 |
Alkohol im Blut: Hände weg vom Steuer - Mitfahrt bei
Betrunkenem kann Konsequenzen haben - Promillegrenzen
gelten auch beim Radfahren
Coburg/Duisburg im Januar 2023 -
Nach zwei Jahren Pandemie können alle Narren und Jecken
endlich wieder feiern. Die fünfte Jahreszeit hat begonnen und
nähert sich langsam ihrem Höhepunkt. Für viele Narren gehört
ein guter Schluck genauso zum Fasching wie die gute Laune.
Doch schon geringe Alkoholmengen genügen, um die
Reaktionsfähigkeit drastisch einzuschränken. Bei
Fahrauffälligkeiten – wie dem Fahren von Schlangenlinien oder
zu dichtem Auffahren – drohen bereits ab 0,3 Promille ein
Fahrverbot, Punkte und ein Bußgeld.
Wer mit 0,5
Promille in eine Polizeikontrolle gerät, wird mit mindestens
500 Euro zur Kasse gebeten, darf sich mindestens einen Monat
nicht ans Steuer setzen und kassiert zwei Punkte in
Flensburg. Sind Autofahrer:innen mit mehr als 1,1 Promille
unterwegs, geht der Gesetzgeber automatisch von absoluter
Fahruntüchtigkeit aus. Personen, die die Polizei so antrifft,
müssen sich für mindestens sechs Monate von ihrem
Führerschein verabschieden. Weitere Konsequenzen sind drei
Punkte in Flensburg und eine Geldstrafe. Zudem wird bei solch
einer Trunkenheitsfahrt der Führerschein entzogen. Seine
Rückgabe muss bei der Straßenverkehrsbehörde beantragt
werden.

Alkohol im Blut: Hände weg vom Steuer Foto: HUK-Coburg
Fahranfänger:innen sollten berücksichtigen: Bis zum 21.
Geburtstag beziehungsweise während der Probezeit ist Alkohol
am Steuer tabu. Auch Radfahren und Alkohol passen nicht
zusammen: Wer angetrunken einen Unfall verursacht, läuft ab
0,3 Promille ebenfalls Gefahr, seinen Führerschein verlieren.
Ab 1,6 Promille müssen auch Radfahrer:innen mit einem
Verfahren rechnen - unabhängig davon, ob sie einen
Führerschein besitzen.
Nicht mit Versicherungsschutz
spielen Soweit die strafrechtliche Seite. War bei einem
Unfall Alkohol im Spiel, kann sich das, wie die HUK-COBURG
mitteilt, auch auf den Versicherungsschutz auswirken.
Inwiefern hängt vom Blutalkoholspiegel und der individuellen
Fahrtüchtigkeit ab. Also davon, ob Fahrer oder Fahrerin eine
Situation erkannt und angemessen reagiert haben. Wer
Schlangenlinien gefahren, von der Straße Nach zwei Jahren
Pandemie können alle Narren und Jecken endlich wieder
feiern. Die fünfte Jahreszeit hat begonnen und nähert sich
langsam ihrem Höhepunkt.
Für viele Narren gehört ein
guter Schluck genauso zum Fasching wie die gute Laune. Doch
schon geringe Alkoholmengen genügen, um die
Reaktionsfähigkeit drastisch einzuschränken. Bei
Fahrauffälligkeiten – wie dem Fahren von Schlangenlinien oder
zu dichtem Auffahren – drohen bereits ab 0,3 Promille ein
Fahrverbot, Punkte und ein Bußgeld. Wer mit 0,5 Promille in
eine Polizeikontrolle gerät, wird mit mindestens 500 Euro zur
Kasse gebeten, darf sich mindestens einen Monat nicht ans
Steuer setzen und kassiert zwei Punkte in Flensburg.
Sind Autofahrer:innen mit mehr als 1,1 Promille
unterwegs, geht der Gesetzgeber automatisch von absoluter
Fahruntüchtigkeit aus. Personen, die die Polizei so antrifft,
müssen sich für mindestens sechs Monate von ihrem
Führerschein verabschieden. Weitere Konsequenzen sind drei
Punkte in Flensburg und eine Geldstrafe. Zudem wird bei solch
einer Trunkenheitsfahrt der Führerschein entzogen. Seine
Rückgabe muss bei der Straßenverkehrsbehörde beantragt
werden. Fahranfänger:innen sollten berücksichtigen: Bis zum
21. Geburtstag beziehungsweise während der Probezeit ist
Alkohol am Steuer tabu.
Auch Radfahren und Alkohol
passen nicht zusammen: Wer angetrunken einen Unfall
verursacht, läuft ab 0,3 Promille ebenfalls Gefahr, seinen
Führerschein verlieren. Ab 1,6 Promille müssen auch
Radfahrer:innen mit einem Verfahren rechnen - unabhängig
davon, ob sie einen Führerschein besitzen. Nicht mit
Versicherungsschutz spielen Soweit die strafrechtliche Seite.
War bei einem Unfall Alkohol im Spiel, kann sich das, wie die
HUK-COBURG mitteilt, auch auf den Versicherungsschutz
auswirken. Inwiefern hängt vom Blutalkoholspiegel und der
individuellen Fahrtüchtigkeit ab. Also davon, ob Fahrer oder
Fahrerin eine Situation erkannt und angemessen reagiert
haben.
Wer Schlangenlinien gefahren, von der Straße
abgekommen ist oder Autos gerammt hat, hat diese Grenze
überschritten. Wie viel Alkohol zu Ausfallerscheinungen
führt, ist bei jedem verschieden. Im Extremfall genügt ein
Glas Sekt. Lässt sich der Unfall eindeutig auf Alkoholkonsum
zurückführen, greift in der Kfz-Haftpflichtversicherung die
Trunkenheitsklausel. Sie befreit den Versicherer von seiner
Leistungspflicht. Das heißt: Die Versicherung reguliert den
Schaden des Opfers, nimmt aber den Unfallverursacher in
Regress.
Maximal 5.000 Euro kann sie sich vom
Schädiger oder der Schädigerin zurückholen. In der
Kasko-Versicherung kann sich der Versicherer auf
Leistungsfreiheit berufen und nur einen Teil des Schadens
oder gar nichts bezahlen. Bei 1,1 Promille gilt der
Alkoholgenuss automatisch als unfallursächlich. Allerdings
genügen auch geringere Mengen, um den Versicherungsschutz ins
Wanken zu bringen. Die Gretchenfrage ist und bleibt, ob der
Alkohol ursächlich für die Karambolage war. Beifahrer:innen
mit in der Verantwortung Auch wer bei seinem alkoholisierten
Trinkkumpan ins Auto steigt, muss bei einem Unfall mit
Konsequenzen rechnen.
Werden Mitfahrende verletzt,
können ihre Ansprüche gekürzt werden, die sie im Normalfall
gegen den Verursacher gehabt hätten. Dies gilt zum Beispiel
für das Schmerzensgeld. Die Rechtsprechung unterstellt hier,
dass Mitfahrende, die sich zu einem Betrunkenen ins Auto
setzen, sich selbst gefährden und die Verletzungsfolgen
dadurch mit verursacht haben. Selbst am Morgen nach einer
fröhlich durchzechten Nacht ist der Alkohol immer noch ein
Thema. Schließlich dauert es um die zehn Stunden, bis ein
Promille Alkohol im Körper abgebaut wird. Im Zweifelsfall
empfiehlt sich der Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel.
Zur wettbewerbsrechtlichen Haftung
für Affiliate-Partner - I ZR 27/22
Karlsruhe, 26. Januar 2023 - Der unter
anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der Betreiber eines
Affiliate-Programms nicht für die irreführende
Werbung eines Affiliate-Partners haftet, wenn dieser
im Rahmen eines eigenen Produkt- oder Dienstleistungsangebots
tätig geworden ist und es deshalb an einer Erweiterung des
Geschäftsbetriebs des Betreibers des Affiliate-Programms
fehlt.
Sachverhalt: Die Klägerin ist eine
Matratzenherstellerin. Die Beklagten sind Gesellschaften der
Amazon-Gruppe und in unterschiedlichen Funktionen am Betrieb
der Online-Verkaufsplattform "Amazon" beteiligt. Im Rahmen
des von der Beklagten zu 1 betriebenen
Amazon-Partnerprogramms steht es Dritten, sogenannten
Affiliates, frei, auf der eigenen Webseite Links auf Angebote
der Verkaufsplattform zu setzen.
Wird dadurch ein
Verkauf vermittelt, erhält der Affiliate als Provision einen
prozentualen Anteil am Kaufpreis. Im Jahr 2019 warb ein
Affiliate auf seiner Webseite, die sich im weitesten Sinne
mit den Themen Schlaf und Matratzen befasste und zumindest
optisch einem redaktionellen Online-Magazin entsprach, unter
anderem für Matratzen unter Verwendung von Links auf
entsprechende Angebote auf der Verkaufsplattform.
Die
Klägerin hält die Werbung des Affiliates für irreführend und
hat die Beklagten, denen der Wettbewerbsverstoß ihres
Affiliates gemäß § 8 Abs. 2 UWG zuzurechnen sei, auf
Unterlassung in Anspruch genommen.
Bisheriger
Prozessverlauf: Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das
Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin
zurückgewiesen. Die beanstandete Werbung sei zwar irreführend
und daher wettbewerbswidrig. Die Beklagten hafteten für
diesen Wettbewerbsverstoß des Affiliates aber nicht als Täter
oder Teilnehmer. Auch die Voraussetzungen einer Haftung des
Unternehmensinhabers für Beauftragte nach § 8 Abs. 2 UWG
lägen nicht vor.
Entscheidung des
Bundesgerichtshofs Der Bundesgerichtshof hat die
Revision der Klägerin zurückgewiesen. Der innere Grund für
die Zurechnung der Geschäftstätigkeit des Beauftragten gemäß
§ 8 Abs. 2 UWG liegt vor allem in einer dem Betriebsinhaber
zugutekommenden Erweiterung des Geschäftsbetriebs und einer
gewissen Beherrschung des Risikobereichs durch den
Betriebsinhaber.
Unter Berücksichtigung der
Ausgestaltung des Amazon-Partnerprogramms sowie der
beanstandeten Webseite des Affiliates fehlt es im Streitfall
an einer solchen Erweiterung des Geschäftsbetriebs der
Beklagten zu 1 und damit am inneren Grund der Zurechnung
gemäß § 8 Abs. 2 UWG. Entwickeln Affiliates eigene Produkte
oder Dienstleistungen - hier eine Internetseite mit
redaktionell gestalteten Beiträgen zu den Themen Schlaf und
Matratzen -, deren Inhalt sie nach eigenem Ermessen gestalten
und zum Verdienst von Provisionen bei verschiedenen Anbietern
einsetzen, ist die Werbung über den Affiliate-Link ein Teil
des Produkts, das inhaltlich von den Affiliates in eigener
Verantwortung und im eigenen Interesse gestaltet wird.
Die Links werden von ihnen nur gesetzt, um damit zu ihren
Gunsten Provisionen zu generieren. Ein solcher eigener
Geschäftsbetrieb eines Affiliates stellt keine Erweiterung
des Geschäftsbetriebs der Beklagten zu 1 dar. Es fehlt im
Streitfall auch an der für eine Haftung nach § 8 Abs. 2 UWG
erforderlichen Beherrschung des Risikobereichs durch die
Beklagte zu 1.
Der Affiliate wird bei der Verlinkung
nicht in Erfüllung eines Auftrags beziehungsweise der mit
Amazon geschlossenen Vereinbarung tätig, sondern im Rahmen
des von ihm entwickelten Produkts und allein im eigenen Namen
und im eigenen Interesse. Die Beklagte zu 1 musste sich einen
bestimmenden und durchsetzbaren Einfluss auch nicht sichern,
weil sie mit dem Produkt des Affiliates ihren
Geschäftsbetrieb nicht erweitert hat.
Vorinstanzen: LG Köln - Urteil vom 20. Mai
2021 - 81 O 62/20 OLG Köln - Urteil vom 11. Februar 2022 - 6
U 84/21
Die maßgeblichen Vorschriften lauten: § 3
Abs. 1 UWG Unlautere geschäftliche Handlungen sind
unzulässig. § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 UWG (1) Wer eine nach §
3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann
auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung
in Anspruch genommen werden. …
(2) Werden die
Zuwiderhandlungen in einem Unternehmen von einem Mitarbeiter
oder Beauftragten begangen, so sind der Unterlassungsanspruch
und der Beseitigungsanspruch auch gegen den Inhaber des
Unternehmens begründet.
Körperschaftsteuerminderungspotenzial II
Karlsruhe, 26. Januar 2023 - Mit heute veröffentlichtem
Beschluss hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts
entschieden, dass die Übergangsregelung des § 36 Abs. 4
Körperschaftsteuergesetz (KStG) in der Fassung von § 34
Abs. 13f KStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010
(im Folgenden: § 36 Abs. 4 KStG) mit Art. 14 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)
teilweise unvereinbar ist.
Sie führt bei
einer bestimmten Eigenkapitalstruktur zu einem Verlust von
Körperschaftsteuerminderungspotenzial. Dieses unterfällt,
soweit es im Zeitpunkt des Systemwechsels vom Anrechnungs-
zum Halbeinkünfteverfahren realisierbar war, dem
Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG. Der Eingriff in dieses
Schutzgut ist nicht gerechtfertigt.
Nach dem bis Ende
2000 geltenden Anrechnungsverfahren wurden nicht
ausgeschüttete steuerbare Gewinne von Körperschaften mit
(zuletzt) 40 % Körperschaftsteuer belastet (Tarifbelastung).
Kam es später zu Gewinnausschüttungen, reduzierte sich der
Steuersatz auf (zuletzt) 30 % (Ausschüttungsbelastung). Für
die Körperschaft entstand so ein
Körperschaftsteuerminderungspotenzial in Höhe der Differenz
zwischen Tarif- und Ausschüttungsbelastung, also in Höhe von
zuletzt 10 Prozentpunkten.
Beim Anteilseigner
erfolgte die Besteuerung der Ausschüttung mit dem
individuellen Einkommensteuersatz des Steuerpflichtigen unter
Anrechnung der von der Kapitalgesellschaft entrichteten
Körperschaftsteuer. Nach dem Halbeinkünfteverfahren wird auf
der Ebene der Körperschaft für Gewinne nur noch eine
einheitliche und endgültige Körperschaftsteuer in Höhe von
(seit 2008) 15 % erhoben. Auf der Ebene des Anteilseigners
unterliegt der ausgeschüttete Kapitalertrag nur zur Hälfte
(seit 2009 zu 60 %) der Einkommensteuer. § 36 KStG ist Teil
der Übergangsvorschriften, die den Wechsel vom Anrechnungs-
zum Halbeinkünfteverfahren regeln.
Danach wurden die
unter dem Anrechnungsverfahren gebildeten, unterschiedlich
mit Körperschaftsteuer belasteten und die nicht belasteten
Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals in mehreren
Schritten zusammengefasst und umgegliedert. Das in den
verbleibenden belasteten Eigenkapitalteilen enthaltene
Körperschaftsteuerminderungspotenzial wurde in ein
Körperschaftsteuerguthaben umgewandelt, das während einer
mehrjährigen Übergangszeit abgebaut werden konnte.
Bei der Verrechnung der nicht steuerbelasteten Teilbeträge
des verwendbaren Eigenkapitals untereinander blieb der in
§ 30 Abs. 2 Nr. 4 KStG 1999 bezeichnete Teilbetrag des
verwendbaren Eigenkapitals (EK 04), in dem offene und
verdeckte Einlagen der Gesellschafter erfasst waren,
unberücksichtigt. Dies führt in bestimmten Fällen zu einem
Verlust von Körperschaftsteuerminderungspotenzial. Die davon
betroffene Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer
Verfassungsbeschwerde gegen auf § 36 Abs. 4 KStG beruhende
finanzbehördliche und finanzgerichtliche Entscheidungen sowie
mittelbar gegen die Vorschrift selbst.
Die
Verfassungsbeschwerde ist begründet. § 36 Abs. 4
KStG ist mit Art. 14 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1
des Grundgesetzes (GG) unvereinbar, soweit die Regelung zu
einem Verlust von Körperschaftsteuerminderungspotenzial
führt, weil sie den in § 30 Abs. 2 Nr. 4 KStG 1999
bezeichneten Teilbetrag des verwendbaren Eigenkapitals nicht
in die Verrechnung der unbelasteten Teilbeträge einbezieht.
Die Entscheidung ist mit 6:1 Stimmen ergangen.
Bundesgerichtshof entscheidet
erneut über Revisionen im Musterfeststellungsverfahren zu
Prämiensparverträgen - XI ZR 257/21
Karlsruhe, 24. Januar 2023 - Der u.a. für
das Bank- und Kapitalmarktrecht zuständige XI. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 24. Januar 2023 erneut
über Revisionen des Musterklägers, eines
Verbraucherschutzverbands, und der Musterbeklagten, einer
Sparkasse, gegen ein Musterfeststellungsurteil des
Oberlandesgerichts Dresden über die Wirksamkeit von
Zinsänderungsklauseln in Prämiensparverträgen entschieden.
Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf Die
beklagte Sparkasse schloss seit Anfang der 1990er-Jahre mit
Verbrauchern sogenannte Prämiensparverträge ab, die eine
variable Verzinsung der Spareinlage und ab dem dritten
Sparjahr eine der Höhe nach - bis zu 50% der jährlichen
Spareinlage ab dem 15. Sparjahr - gestaffelte verzinsliche
Prämie vorsehen. In den Vertragsformularen heißt es u.a.:
"Die Spareinlage wird variabel, z.Zt. mit …% p.a. verzinst."
oder "Die Sparkasse zahlt neben dem jeweils gültigen
Zinssatz, z.Zt. ...%, am Ende eines Kalender-/Sparjahres
[…]."
In den in die Sparverträge einbezogenen
"Bedingungen für den Sparverkehr" heißt es weiter: "Soweit
nichts anderes vereinbart ist, vergütet die Sparkasse dem
Kunden den von ihr jeweils durch Aushang im Kassenraum
bekannt gegebenen Zinssatz. Für bestehende Spareinlagen tritt
eine Änderung des Zinssatzes, unabhängig von einer
Kündigungsfrist, mit der Änderung des Aushangs in Kraft,
sofern nichts anderes vereinbart ist."
Der Musterkläger hält die Regelungen
zur Änderung des variablen Zinssatzes für unwirksam und die
während der Laufzeit der Sparverträge von der Musterbeklagten
vorgenommene Verzinsung der Spareinlagen für zu niedrig. Er
verfolgt mit seiner Musterfeststellungsklage sieben
Feststellungsziele. Mit diesen macht er die Unwirksamkeit der
Zinsänderungsklausel, die Bestimmung eines Referenzzinssatzes
und eines monatlichen Zinsanpassungsintervalls sowie die
Verpflichtung der Beklagten geltend, die Zinsanpassungen nach
der Verhältnismethode vorzunehmen.
Vorsicht,
juristischer Schachtelsatz: Darüber hinaus möchte
er festgestellt wissen, dass die Ansprüche der Verbraucher
auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen frühestens ab der
wirksamen Beendigung der Sparverträge fällig werden, dass mit
der Kenntnis der Höhe der tatsächlich vorgenommenen
Zinsgutschriften im Sparbuch keine den Verjährungslauf in
Gang setzende Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der
den Anspruch auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen
begründenden Umstände verbunden ist und dass die
widerspruchslose Hinnahme der Zinsgutschriften im Sparbuch
nicht dazu führt, dass das Umstandsmoment für eine Verwirkung
der Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren
Zinsbeträgen gegeben ist.
Das Oberlandesgericht hat der
Musterfeststellungsklage teilweise stattgegeben. Der
Musterkläger verfolgt seine Feststellungsziele mit der
Revision weiter, soweit das Oberlandesgericht die Klage
betreffend die Bestimmung eines Referenzzinssatzes und die
Vornahme der Zinsanpassungen nach der Verhältnismethode
abgewiesen hat.
Die Musterbeklagte verfolgt mit der
Revision ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage
betreffend die Bestimmung eines Referenzzinssatzes weiter.
Entscheidung des
Bundesgerichtshofs Der Bundesgerichtshof hat
seine - nach Erlass des hier angefochtenen
Musterfeststellungsurteils des Oberlandesgerichts – mit
Urteil vom 6. Oktober 2021 (XI ZR 234/20) ergangene
Rechtsprechung in dem heute verkündeten Urteil bestätigt.
Dementsprechend hat er auf die Revision des Musterklägers
das Musterfeststellungsurteil des Oberlandesgerichts
aufgehoben, soweit dieses keinen für die Höhe der variablen
Verzinsung maßgebenden Referenzzinssatz bestimmt hat.
Insoweit hat er die Sache zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Darüber hinaus hat er entschieden, dass die
Zinsanpassungen von der Musterbeklagten unter Beibehaltung
des anfänglichen relativen Abstands des Vertragszinssatzes
zum Referenzzinssatz (Verhältnismethode) vorzunehmen sind.
Das Oberlandesgericht ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen,
es könne einen Referenzzinssatz deswegen nicht im Wege der
ergänzenden Vertragsauslegung bestimmen, weil im Verfahren
über die Musterfeststellungsklage nicht auszuschließen sei,
dass einzelne Sparverträge individuelle Vereinbarungen
enthielten.
Solche Individualvereinbarungen sind nur
in den Klageverfahren zwischen den Verbrauchern und der
Musterbeklagten zu berücksichtigen und schließen die
Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils nach § 613
Abs. 1 ZPO, nicht aber die Vornahme einer ergänzenden
Vertragsauslegung im Musterfeststellungsverfahren aus.
Da das Oberlandesgericht - von seinem rechtlichen
Standpunkt aus folgerichtig - bislang keine Feststellungen zu
einem geeigneten Referenzzinssatz getroffen hat, wird es dies
nach Zurückverweisung des Musterverfahrens nachzuholen haben.
Nach dem Konzept der auf ein langfristiges Sparen angelegten
Sparverträge ist es interessengerecht, als Referenz für die
Verzinsung der Spareinlagen einen Zinssatz oder eine
Umlaufrendite mit langer Fristigkeit heranzuziehen.
Bei der Bestimmung des Referenzzinssatzes wird das
Oberlandesgericht außerdem zu berücksichtigen haben, dass es
sich bei den Sparverträgen um eine risikolose
Anlageform handelt. Nach der vom Senat
vorgenommenen ergänzenden Vertragsauslegung ist bei den
Zinsanpassungen der anfängliche relative Abstand des
Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz beizubehalten. Nur
eine solche Auslegung gewährleistet, dass das Grundgefüge der
Vertragskonditionen über die gesamte Laufzeit der
Sparverträge erhalten bleibt, so dass günstige
Zinskonditionen günstig und ungünstige Zinskonditionen
ungünstig bleiben.
Dass sich die absolute Zinsmarge der
Musterbeklagten bei Anwendung der Verhältnismethode im Fall
eines Anstiegs des Referenzzinssatzes erhöht und im Fall
eines Absinkens des Referenzzinssatzes reduziert, verstößt
nicht gegen die Grundsätze des Preisanpassungsrechts, weil
die Musterbeklagte keinen Einfluss auf die Höhe der
Zinsanpassungen hat.
Das Oberlandesgericht wird erneut über
die in einem Eventualverhältnis stehenden Anträge des
Musterklägers betreffend den Referenzzinssatz zu entscheiden
und dabei mit sachverständiger Hilfe im Wege der ergänzenden
Vertragsauslegung einen Referenzzinssatz zu bestimmen haben.
Dabei wird es zu bedenken haben, dass zur
Verfahrensbeschleunigung gemäß § 411a ZPO ein bereits
erstelltes Sachverstän-digengutachten dann verwertet werden
kann, wenn es in einem anderen Gerichtsverfahren eingeholt
worden ist.
Vorinstanz: OLG Dresden -
Musterfeststellungsurteil vom 31. März 2021 - 5 MK 2/20 Die
maßgeblichen Vorschriften lauten: § 411a ZPO Die schriftliche
Begutachtung kann durch die Verwertung eines gerichtlich oder
staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens
aus einem anderen Verfahren ersetzt werden.
§ 613
Abs. 1 Satz 1 ZPO (1) Das rechtskräftige
Musterfeststellungsurteil bindet das zur Entscheidung eines
Rechtsstreits zwischen einem angemeldeten Verbraucher und dem
Beklagten berufene Gericht, soweit dessen Entscheidung die
Feststellungsziele und den Lebenssachverhalt der
Musterfeststellungsklage betrifft.
Anhebung der „absoluten
Obergrenze“ für die staatliche Parteienfinanzierung ist
verfassungswidrig
Karlsruhe, 24. Januar 2023
- Mit heute verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des
Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Erhöhung des
jährlichen Gesamtvolumens staatlicher Mittel für die
Finanzierung politischer Parteien auf 190 Millionen Euro mit
Art. 21 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar und
damit nichtig ist.
Mit ihrem Normenkontrollantrag
wenden sich 216 Mitglieder des 19. Deutschen Bundestages aus
den Fraktionen von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE
gegen Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes
und anderer Gesetze vom 10. Juli 2018 (PartGuaÄndG 2018),
durch den das jährliche Gesamtvolumen staatlicher Mittel, das
allen politischen Parteien im Wege der staatlichen
Teilfinanzierung höchstens ausgezahlt werden darf (sogenannte
„absolute Obergrenze“), für die im Jahr 2019 vorzunehmende
Festsetzung auf 190 Millionen Euro angehoben wurde.
Die angegriffene Norm verfehlt die verfassungsrechtlichen
Vorgaben für die staatliche Parteienfinanzierung. Sie
verstößt gegen den Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien,
weil der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren nicht
ausreichend dargelegt hat, dass der zusätzliche, aus eigenen
Mitteln nicht aufzubringende Finanzbedarf der politischen
Parteien eine Anhebung der absoluten Obergrenze der
staatlichen Parteienfinanzierung um knapp 25 Millionen Euro
erfordert.
Die Entscheidung ist mit Blick auf die
letztlich offen gelassene Frage, ob die angegriffene
Vorschrift formell ordnungsgemäß zustande gekommen ist, mit
6:1 Stimmen und im Übrigen einstimmig ergangen.
Unzulässige Verfassungsbeschwerde
gegen das gesetzgeberische Unterlassen der Einführung eines
allgemeinen Tempolimits auf Bundesautobahnen
Karlsruhe, 17. Januar 2023 - Die 3. Kammer des Ersten Senats
des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute veröffentlichtem
Beschluss eine Verfassungsbeschwerde mangels ausreichender
Begründung nicht zur Entscheidung angenommen, mit welcher
sich die Beschwerdeführenden gegen die
Klimaschutzgesetzgebung der Bundesrepublik und insbesondere
gegen die Nichteinführung eines allgemeinen Tempolimits auf
Bundesautobahnen richteten.
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde
einer Zeitungsherausgeberin gegen die gerichtliche
Untersagung einer Meinungsäußerung
Achtung: Gerichtliche
Formulierung: Bundesverfassungsgericht
Karlsruhe, 13. Januar 2023 - Mit heute veröffentlichtem
Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die
Beschwerdeführerin – Herausgeberin einer Tageszeitung – in
ihrer Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 des
Grundgesetzes (GG) verletzt ist, indem ihr die Äußerung „Den
Staat lehne [der Antragsteller] (…) ab“ mit der Begründung
gerichtlich untersagt wurde, dass für diese Meinung kein
Mindestbestand an tatsächlichen Anknüpfungstatsachen
festzustellen sei.
Die Berichterstattung betrifft
einen Beitrag über eine aus Sicht ehemaliger Mitglieder
sektenähnliche Gemeinschaft, der der Antragsteller des
Ausgangsverfahrens vorstehe.
Eilverfahren gegen
Allgemeinverfügung zur Räumung von Lützerath erfolglos
Oberverwaltungsgericht Münster, 09. Januar 2023 - Die
Allgemeinverfügung des Landrats des Kreises Heinsberg zur
Räumung der Ortslage Lützerath vom 20. Dezember 2022 hat
weiterhin Bestand. Das darin ausgesprochene Aufenthalts- und
Betretensverbot ist voraussichtlich rechtmäßig. Dies hat
heute das Oberverwaltungsgericht entschieden und damit einen
Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Aachen bestätigt.
Der Landrat des Kreises Heinsberg hat mit
Allgemeinverfügung vom 20. Dezember 2022 für konkret
bezeichnete Flächen der Ortschaft Lützerath den Aufenthalt,
das Betreten und Befahren bis zum 13. Februar 2023 untersagt
und darauf hingewiesen, dass ab dem 10. Januar 2023 mit
Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung durch Ausübung von
unmittelbarem Zwang zu rechnen sei.
Die
Antragstellerin, die dort für das Bündnis „Die Kirche im Dorf
lassen“ Mahnwachen veranstaltet, sieht sich hierdurch in
ihren Rechten verletzt und beantragte beim Verwaltungsgericht
Aachen vorläufigen Rechtsschutz. Die Antragstellerin machte
im Wesentlichen geltend, der Landrat sei für den Erlass der
Allgemeinverfügung nicht zuständig gewesen. Auch gebe es für
einen mehrwöchigen Platzverweis keine Rechtsgrundlage.
Der Kreis Heinsberg habe zudem ermessensfehlerhaft
gehandelt und die Rechtspositionen der vom Platzverweis
betroffenen Personen nicht hinreichend berücksichtigt. Das
Verwaltungsgericht lehnte den Antrag ab. Die gegen diese
Entscheidung eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist
ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung seiner Entscheidung hat
der 5. Senat des Oberverwaltungsgerichts ausgeführt: Die
Allgemeinverfügung ist bei vorläufiger Prüfung rechtmäßig.
Der Landrat durfte sie erlassen,
nachdem der Bürgermeister der Stadt Erkelenz ein Einschreiten
endgültig abgelehnt hatte. Der Platzverweis ist vom
nordrhein-westfälischen Polizeiund Ordnungsrecht gedeckt. Der
unberechtigte Aufenthalt von Personen auf den betroffenen
Flächen ist ohne Einwilligung der berechtigten RWE Power AG
zivilrechtlich rechtswidrig und stellt damit eine
Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar.
Soweit die
Antragstellerin mit der Beschwerde erstmals vertragliche
(Betretens-) Rechte für Teilflächen auf dem Gelände
behauptet, ist dies nicht glaubhaft gemacht. Die sich in
Lützerath aufhaltenden Personen können sich außerdem nicht
auf einen Rechtfertigungsgrund des „zivilen Ungehorsams“
berufen. Das staatliche Gewaltmonopol als Grundpfeiler
moderner Staatlichkeit ist einer Relativierung durch jegliche
Formen des zivilen Ungehorsams grundsätzlich nicht
zugänglich.
Zur Beendigung des Rechtsverstoßes durfte
der Platzverweis angeordnet werden; die zulässige Dauer eines
Platzverweises nach dem nordrhein-westfälischen Polizeigesetz
(„vorübergehend“) ist von der im Einzelfall konkret in Rede
stehenden Gefahr abhängig. Auf die Frage, ob die
Allgemeinverfügung auch mit einer Gewährleistung der
Energieversorgungssicherheit gerechtfertigt werden kann,
kommt es nicht an, weil bereits der Schutz der
Rechtspositionen der im Verfahren beigeladenen RWE Power AG
den Platzverweis trägt.
Der Beschluss ist
unanfechtbar. Aktenzeichen: 5 B 14/23 (I. Instanz:
VG Aachen 6 L 2/23)
Verfassungsbeschwerden gegen
Versammlungsgesetz NRW eingegangen
Verfassungsgerichshoft Münster, 4. Januar 2023 - Mehrere
Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer haben
Verfassungsbeschwerde gegen das Versammlungsgesetz NRW (VersG
NRW) eingelegt. Die Beschwerdeführer im Verfahren VerfGH
117/22.VB-2 sehen sich durch das Versammlungsverbot auf
Autobahnen in ihrem Grundrecht der Versammlungsfreiheit
verletzt.
Die Beschwerdeführerinnen und
Beschwerdeführer im Verfahren VerfGH 3/23.VB-1 beanstanden
neben dem Versammlungsverbot auf Autobahnen auch das
Störungsverbot, die Vorschrift über Aufnahmen und
Aufzeichnungen von Bild und Ton, das Vermummungs- und
Schutzausrüstungsverbot und das Gewalt- und
Einschüchterungsverbot sowie daran anknüpfende Straf- bzw.
Ordnungswidrigkeitentatbestände.
Sie sehen sich in ihrem Grundrecht der
Versammlungsfreiheit und auf informationelle Selbstbestimmung
verletzt. Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer im
Verfahren VerfGH 3/23.VB-1 haben zugleich einen Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt (VerfGH
4/23.VB-1).
VerfGH 117/22.VB-2 - VerfGH 3/23.
- VB-1 VerfGH 4/24.VB-1
|
Dezember 2022 |
Verjährung von
Urlaubsansprüchen Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.
Dezember 2022 – 9 AZR 266/20 –
Erfurt, 20. Dezember 2022 -
Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt bei
einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB
jedoch nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres, sondern
erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den
Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die
Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub
dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
Der
Senat hat damit die Vorgaben des Gerichtshofs der
Europäischen Union aufgrund der Vorabentscheidung vom 22.
September 2022 (- C-120/21 -)umgesetzt. Nach der
Rechtsprechung des Gerichtshofs tritt der Zweck der
Verjährungsvorschriften, die Gewährleistung von
Rechtssicherheit, in der vorliegenden Fallkonstellation
hinter dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte
der Europäischen Union zurück, die Gesundheit des
Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme zu
schützen.
Die Gewährleistung der Rechtssicherheit
dürfe nicht als Vorwand dienen, um zuzulassen, dass sich der
Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis berufe, den
Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf
bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben. Der Arbeitgeber
könne die Rechtssicherheit gewährleisten, indem er seine
Obliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachhole.
Der Beklagte hat die Klägerin nicht durch Erfüllung der
Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage
versetzt, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Die Ansprüche
verfielen deshalb weder am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs.
3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen
Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG) noch konnte
der Beklagte mit Erfolg einwenden, der nicht gewährte Urlaub
sei bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach
Ablauf von drei Jahren verjährt. Den Anspruch auf Abgeltung
des Urlaubs hat die Klägerin innerhalb der Verjährungsfrist
von drei Jahren erhoben. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.
Dezember 2022 – 9 AZR 266/20 – Vorinstanz:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 21. Februar 2020
– 10 Sa 180/19 –
Am
Schneeschieben führt kein Weg vorbei - Wann ist der Griff
zu Schaufel und Besen nötig - Wie oft muss geräumt werden
- Welche Streumittel sind richtig
Coburg/Duisburg, 20.12.2022 „Endlich Schnee“, freuen sich die
einen. „Wieder früher aufstehen und Schnee schaufeln“, murren
die anderen. Richtig ist: Winterliche Straßenverhältnisse
bringen Fußgänger leicht ins Rutschen. Ein Bein ist schnell
gebrochen. Passiert das vor der eigenen Haustür, können
Mieter oder Eigentümer eines Hauses eventuell zur
Verantwortung gezogen werden. Warum? Das erklärt die
HUK-COBURG.
Beide sind
im Winter verpflichtet, für einen eisfreien Fußweg zu sorgen.
Mieter müssen immer dann zu Schneeschieber und Streumittel
greifen, wenn ihnen per Mietvertrag die Räum- und
Streupflicht übertragen wurde und das ist eher die Regel als
die Ausnahme. Passiert ein Unfall, weil die Winterpflichten
nur ungenügend erledigt oder gleich ganz vergessen wurden,
kann der Säumige für die Folgen verantwortlich gemacht
werden.

HUK-COBURG
Ohne private Haftpflichtversicherung ein
teures Vergessen: Neben Behandlungskosten lassen sich vom
Geschädigten auch Verdienstausfall oder Schmerzensgeld
geltend machen. Räum- und Streupflicht Wann und wie oft
Schnee schieben oder Streuen angesagt sind? Auf diese Frage
gibt es keine Auskunft von der Stange: Ausschlaggebend ist
immer die jeweilige Satzung, mit der jede Kommune den
Winterdienst regelt. Oftmals kann man sich auf den Websites
von Städten und Gemeinden schlaumachen.
Ein anderer
Weg ist ein Anruf beim örtlichen Bau- oder Ordnungsamt. Hier
lässt sich erfragen, in welchem Zeitraum der Griff zum
Schneeschieber erforderlich ist und wie breit der freie
Gehweg sein muss. Die Häufigkeit des Räumens hängt letztlich
von der Witterung und der Verkehrsbedeutung eines Weges ab.
Bei extremem Schneefall oder heftiger Glatteisbildung ist
gerade auf stark frequentierten Wegen außergewöhnlicher
Einsatz gefordert.
Nur wenn Räumen und Streuen
witterungsbedingt zwecklos sind, kann man warten, bis
beispielsweise der Schneefall nachlässt oder ganz aufhört.
Auch müssen Wege meist nicht in ihrer gesamten Breite geräumt
werden. In der Regel genügt es, einen Streifen frei zu
schaufeln oder auf einer bestimmten Breite zu streuen.
Eine Faustregel besagt: Zwei Fußgänger müssen auf dem
geräumten Weg aneinander vorbeigehen können. Kommunen können
diese Frage aber auch klar in ihrer Satzung regeln. Dort
lässt sich auch nachlesen, zu welchen Streumitteln man
greifen sollte. Salz ist oft gar nicht oder nur bei extremer
Glätte zugelassen. Allerdings kann niemand im Winter einen
durchgängig eis- oder schneefreien Bürgersteig erwarten.
Wer in der
kalten Jahreszeit unterwegs ist, muss mit winterlichen
Straßenverhältnissen rechnen und sich entsprechend vorsichtig
bewegen. Dazu gehört auch das Tragen von Winterschuhen, die
ein entsprechend tiefes und rutschfestes Profil haben.
Weitere Informationen unter
https://www.huk.de/presse/nachrichten/verbrauchertipps/schneeraeumen.html
|
November 2022 |
Regeln für Rollerfahrer: Wann
gibt es Bußgeld, Verwarnungsgeld oder
Geldstrafe?

Eine zweite Person darf nur mit auf den
Roller, wenn dieser mit zwei Sitzen dafür
ausgelegt ist. Quelle: Peugeot Motocycle
Rüsselsheim/Duisburg, 30.
November 2022 – Mal eben mit dem Roller auf
dem Gehweg weiterfahren? Oder kurz zum
Einkaufen den Helm weglassen? Wer im
Straßenverkehr fahrlässig handelt, kann mit
einem Verwarnungsgeld, einem Bußgeld oder
einer Geldstrafe rechnen. Doch was ist der
Unterschied?
Robert Schön, Country
Manager Deutschland und Österreich bei
Peugeot Motocycles, weiß: „Ein
Verwarnungsgeld fällt an, wenn
Rollerfahrende eine Ordnungswidrigkeit
begehen, die mit bis zu 55 Euro belangt
wird. Sobald die Summe darüber liegt,
handelt es sich um ein Bußgeld. Eine
Geldstrafe hingegen gibt es, wenn es sich um
eine Straftat handelt, also zum Beispiel um
das Fahren ohne Fahrerlaubnis.“
Hierfür gibt es
Verwarnungs- oder Bußgelder Ein
Verwarnungsgeld zahlt, wer auf seinem Roller
einen Beifahrer mitnimmt, obwohl der Roller
kein Zweisitzer ist – das kostet fünf Euro.
Für das Fahren mit dem Roller unter 60 km/h
auf der Autobahn werden 20 Euro fällig. Auch
beim Rollerfahren ohne Helm fällt ein
Verwarnungsgeld an, hier beträgt die Höhe 15
Euro.
Wer zusätzlich ein Kind ohne
Helm auf dem Roller befördert, kann mit 60
Euro Bußgeld
und einem Punkt in Flensburg rechnen. Beim
Transport mehrerer Kinder ohne Helm erhöht
sich das Bußgeld, zusätzlich zu dem Punkt in
Flensburg, auf 70 Euro. Eine Regel, die in
der Praxis in den seltensten Fällen
angewendet wird: 55 Euro bezahlt laut
Straßenverkehrsordnung, wer seinen Roller
auf dem Bürgersteig ohne Beschilderung
abstellt. Und wer sich für eine „Abkürzung“
über den Rad- oder Gehweg entscheidet, kann
ebenfalls von einem Verwarnungsgeld in Höhe
von mindestens 55 Euro ausgehen.
Hierfür gibt es eine Geldstrafe Rollerfahren
ohne Führerschein ist eine Straftat und kann
mit einer Geldstrafe
oder einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr
belangt werden. Ist die Fahrerlaubnis
vorhanden, der Führerschein wurde jedoch
lediglich nicht mitgeführt, ist ein
Verwarnungsgeld von zehn Euro fällig. Das
Rollerfahren ohne Versicherungsschutz kann
teuer werden: Es droht eine Geldstrafe von
bis zu 180 Tagessätzen oder eine
Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr.
Die Höhe der Strafe hängt von den
Umständen ab: Erfolgte das Fahren ohne
Versicherungsschutz fahrlässig, fällt die
Strafe geringer aus als bei einer
vorsätzlichen Tat. Ein Unfall oder
Personenschaden beeinflusst das Strafmaß
zusätzlich. Ist eine Versicherung für
zulassungsfreie Roller jedoch abgeschlossen
und nur das Kennzeichen fehlt, fällt ein
Verwarnungsgeld in Höhe von 40 Euro an.
Klage eines Fußballfans gegen
Twitter-Nachricht der Polizei erfolgreich
Münster, 28. November 2022 - Das
Oberverwaltungsgericht hat heute der Klage
eines Fußballfans gegen eine
Twitter-Nachricht des Polizeipräsidiums
Duisburg stattgegeben, die anlässlich des
Spiels des MSV Duisburg gegen den 1. FC
Magdeburg im Februar 2017 veröffentlicht
wurde.
Bei der als Risikospiel
eingestuften Partie der 3.
Fußball-Bundesliga zogen ungefähr 100
Gästefans vor der Einlasskontrolle
Regencapes über. Der Anführer („Capo“) der
Fangruppierung hatte sie per Megafon dazu
aufgefordert und die Regencapes verteilen
lassen. Laut der Ansage sollte dies Teil
einer Fan-Choreographie im Stadion sein. Die
Polizeikräfte verhinderten den Zutritt der
mit Regencapes bekleideten Fans zum Station,
weil sie das Einschmuggeln von verbotenen
Gegenständen (insbesondere
Feuerwerkskörpern) befürchteten.
In
der Folge kam es zu einem Rückstau an der
Einlasskontrolle. Die Polizei Duisburg
veröffentlichte hierzu über ihren
Twitter-Account die mit einem Foto versehene
Meldung: „#MSVFCM Stau am Gästeeingang,
einige Fans haben sich Regencapes angezogen,
um die Durchsuchung zu verhindern.“
Die in Brandenburg lebende Klägerin fühlte
sich durch den Tweet nebst Foto in ihrem
allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt
und klagte gegen die Polizei Duisburg. Diese
war der Meinung, die Klägerin sei auf dem
Foto schon nicht erkennbar. Das
Verwaltungsgericht Düsseldorf hat die Klage
abgewiesen. Auf die Berufung der
Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht das
Urteil geändert und die Rechtswidrigkeit des
Tweets festgestellt.
Zur
Begründung hat der 5. Senat des
Oberverwaltungsgerichts ausgeführt: Es muss
davon ausgegangen werden, dass die Klägerin
auf dem auf Twitter veröffentlichten Foto zu
erkennen gewesen ist. Ein Abgleich der
vorgelegten Ausdrucke des Tweets mit Fotos
der Klägerin aus dem maßgeblichen Zeitraum
spricht dafür. Ob die Ausdrucke der
Original-Auflösung des Bildes bei Twitter
entsprochen haben, ist nicht mehr
aufzuklären.
Die verbleibende
Unsicherheit geht aber zu Lasten der
Polizeibehörde, weil diese nicht nur den
Tweet nachträglich (wegen Zweifeln an der
Rechtmäßigkeit) gelöscht hat, sondern auch
die Original-Fotodatei dort nicht mehr
auffindbar ist. Unabhängig von der Frage, ob
eine Verwaltungsbehörde für die in Rechte
Dritter eingreifende Öffentlichkeitsarbeit
eine gesetzliche Grundlage benötigt, genügt
der Tweet nicht den Anforderungen, die das
Bundesverfassungsgericht an
Veröffentlichungen des Staates stellt, die
Rechte Dritter beeinträchtigen.
Insbesondere müssen die mitgeteilten
Tatsachen zutreffend sein. Zudem darf die
Veröffentlichung nicht über den damit
verfolgten Zweck hinausgehen. Dies ist
beides nicht eingehalten. Dass die
Fußballfans und damit auch die Klägerin ein
Regencape zu dem Zweck übergezogen haben,
die Durchsuchung zu verhindern, kann nicht
belegt werden. Die von der Polizei selbst
dokumentierte Aussage des „Capo“ deutet in
eine andere Richtung, nämlich die Gestaltung
einer Fanchoreografie.
Dass dies nur
vorgeschoben gewesen ist, ist allenfalls
eine polizeiliche Vermutung, die nicht
belegt ist. Jedenfalls hätte die Polizei in
einem solchen Fall die verbleibende
Unsicherheit kenntlich machen müssen. Zudem
hätte die Polizei den angeführten Zweck, die
übrigen Fans über den Grund des Rückstaus zu
informieren, auch mit dem Verweis auf Fans,
die sich Regencapes anziehen, aber ohne die
Angabe einer inneren Motivation, erreichen
können.
Der Senat hat die Revision
nicht zugelassen. Hiergegen ist Beschwerde
möglich, über die das
Bundesverwaltungsgericht entscheidet.
Aktenzeichen: 5 A 2808/19 (I. Instanz: VG
Düsseldorf 18 K 16606/17)
Schutz vor Diskriminierung bei
intensiv-medizinischer Behandlung
Berlin/Duisburg, 25. November 2022
- Am 25. November 2022 hat
der Bundesrat die vom Bundestag
beschlossenen Änderungen am
Infektionsschutzgesetz gebilligt, die
Menschen mit Behinderung im Falle knapper
intensiv-medizinischer Kapazitäten vor
Benachteiligung bewahren sollen. Das Gesetz
steht zur abschließenden Befassung auf der
Tagesordnung der Plenarsitzung des
Bundesrates am 25. November 2022.
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Das Gesetz geht auf eine Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts aus dem letzten Jahr zurück. Dieses
hatte vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie entschieden,
dass sich aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes für
den Staat ein Auftrag ergibt, Menschen wirksam vor einer
Benachteiligung wegen ihrer Behinderung durch Dritte zu
schützen. Besteht das Risiko, dass Menschen bei der Zuteilung
knapper, überlebenswichtiger intensivmedizinischer Ressourcen
wegen einer Behinderung benachteiligt werden, verdichtet sich
der Schutzauftrag zu einer konkreten Schutzpflicht.
Entscheidend ist, dass eine gesetzliche
Regelung hinreichend wirksamen Schutz vor einer
Benachteiligung wegen der Behinderung bewirkt.
Diskriminierungsfreie Zuteilungsentscheidung Nach dem
Gesetzesbeschluss ist künftig bei der ärztlichen Entscheidung
ausschließlich die aktuelle und kurzfristige
Überlebenswahrscheinlichkeit der betroffenen Patientinnen und
Patienten relevant. Niemand darf benachteiligt werden,
insbesondere nicht wegen einer Behinderung, des Grades der
Gebrechlichkeit, des Alters, der ethnischen Herkunft, der
Religion oder Weltanschauung, des Geschlechts oder der
sexuellen Orientierung.
Das Gesetz bestimmt ausdrücklich, dass
bereits zugeteilte überlebenswichtige intensivmedizinische
Behandlungskapazitäten nicht mehr zur Disposition stehen,
solange eine solche Behandlung noch indiziert ist und dem
Patientenwillen entspricht. Erfahrene Fachkräfte Darüber
hinaus enthält es Regelungen zum Verfahren, in dem die
Zuteilungsentscheidung zu treffen ist.
Zuständig hierfür sind zwei mehrjährig
intensivmedizinisch erfahrene und praktizierende
Fachärztinnen und Fachärzte, die die Patientinnen oder
Patienten unabhängig voneinander begutachtet haben.
Zuteilungsentscheidung im Vorfeld vermeiden Bevor eine
Zuteilungsentscheidung notwendig wird, sind alle
Anstrengungen zu unternehmen, um den Engpass zu verhindern.
Die Neuregelung ist ausschließlich für den
Fall gedacht, dass dies nicht gelingt. Sie scheidet aus, wenn
betroffene Patientinnen oder Patienten regional oder
überregional verlegt und intensivmedizinisch behandelt werden
können. Durch organisatorische Maßnahmen kann das Risiko,
Zuteilungsentscheidungen treffen zu müssen, reduziert werden
- wie zum Beispiel durch Verschiebung planbarer, nicht
zeitkritischer Operationen oder durch Verteilung betroffener
Patientinnen oder Patienten in andere Krankenhäuser.
Zudem sind Krankenhäuser dazu verpflichtet,
eine Zuteilungsentscheidung unverzüglich der für die
Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörde anzuzeigen.
Weitere Schritte Nach Abschluss des parlamentarischen
Verfahrens kann das Gesetz nun vom Bundespräsidenten
unterzeichnet werden und dann wie geplant am Tag nach der
Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten.
Starre Altersgrenze für
Schiedsrichter wahrscheinlich nicht gerechtfertigt
Landgericht Frankfurt/Main gibt erste Einschätzung zum Fall
Manuel Gräfe ab Düsseldorf/Frankfurt a.M., 16. Nov. 2022 -
Im Gerichtsverfahren des Bundesliga-Schiedsrichters Manuel
Gräfe gegen den Deutschen Fußball-Bund (DFB) fand am heutigen
16. November die mündliche Verhandlung vor dem Landgericht
Frankfurt/Main statt. Manuel Gräfe wurde nach der Saison
2020/21 nach 289 Bundesligaeinsätzen nicht mehr vom DFB als
Bundesligaschiedsrichter berufen. Zur Begründung war
seinerzeit veröffentlicht worden, dass Gräfe eine
Altersgrenze von 47 Jahren erreicht hatte.
Trotz einer Protestwelle von Spielern,
Trainern und Funktionären, die Gräfe durchgehend als besten
Schiedsrichter weiterhin gerne in der Bundesliga gesehen
hätten, ließ sich der DFB nicht von seiner Haltung abbringen.
Hiergegen richtet sich die Klage wegen Altersdiskriminierung,
die von der Kanzlei baum reiter & collegen für Manuel Gräfe
geführt wird. Gegenstand des Verfahrens sind zum einen die
Feststellung der Altersdiskriminierung sowie zum anderen eine
Entschädigung für das vorzeitige Karriereende. Der weitere
aktive Einsatz als Schiedsrichter lässt sich jedoch rechtlich
nicht einklagen.
Eine erste praktische Auswirkung
zeigte dieses Gerichtsverfahren aber offensichtlich bereits
Ende September: Schiedsrichter-Chef Lutz Michael Fröhlich hat
Felix Brych, der ebenfalls die 47-Jahre-Grenze erreicht hat,
in Aussicht gestellt, nach dem Ende der laufenden Saison
weiter pfeifen zu dürfen. „Eine starre Altersgrenze für
Schiedsrichter ergibt keinerlei Sinn und verstößt gegen
geltendes Recht. Entscheidend darf neben der körperlichen
Fitness allein die leistungsbezogene Auswahl sein, wie die
aktuellen Diskussionen in der Bundesliga zeigen.
Diesbezüglich scheint ja aufgrund unserer Klage beim DFB
endlich ein Umdenken einzusetzen. Aber es muss auch
klargestellt werden, dass es keine feste Altersgrenze gibt“,
sagt Olaf Methner, Partner bei baum reiter & collegen, der
Manuel Gräfe anwaltlich vertritt, vor Prozessbeginn.
Das Gericht ließ in der Verhandlung erkennen, dass es die
Klage dem Grunde nach für begründet hält und die
altersbedingte Nicht-Berücksichtigung Manuel Gräfes als nicht
gerechtfertigt einschätzt. Nach vorläufiger Auffassung des
Gerichts sei zumindest der Eindruck erweckt worden, dass hier
nur das Erreichen einer Altersgrenze eine Rolle gespielt hat,
auch wenn der DFB eine solche Altersgrenze nicht schriftlich
fixiert hat. Beide Seiten haben aber noch die Möglichkeit,
bis Ende des Jahres ihre Positionen schriftlich zu
konkretisieren. Eine Entscheidung des Gerichts wurde für den
18.01.2023 angekündigt.
Verteidigungsministerium muss
Fragen zum Hubschrauber-Foto des Sohnes der Ministerin
beantworten Münster, 16. November 2022 - Das
Bundesverteidigungsministerium muss der Presse Auskunft über
Details zu Entstehung und Veröffentlichung eines Fotos
erteilen, das den Sohn von Ministerin Lambrecht in einem
Hubschrauber der Bundeswehr zeigt. Dies hat das
Oberverwaltungsgericht mit gestern bekanntgegebenem Beschluss
vom 14. November 2022 entschieden und damit den
erstinstanzlichen Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln
bestätigt.
Das Foto entstand augenscheinlich in jenem
Hubschrauber, der die Ministerin und ihren Sohn am 13. April
2022 von Berlin nach Ladelund beförderte. Die Ministerin
besuchte sodann ein Bataillon in Stadum. Danach reiste sie
mit ihrem Sohn in einem Auto zur nahegelegenen Insel Sylt, um
dort den Osterurlaub zu verbringen. Der Sohn der Ministerin
veröffentlichte das Foto auf seinem damals öffentlich
einsehbaren Profil eines sozialen Netzwerks.
Das Verwaltungsgericht Köln gab dem
Eilantrag eines Journalisten ganz überwiegend statt, soweit
dieser vom Bundesverteidigungsministerium wissen wollte,
welche Kenntnisse die Ministerin über die Entstehung des
Fotos und seine Veröffentlichung habe, insbesondere, ob die
Ministerin das Foto selbst angefertigt habe. Mit seiner
hiergegen gerichteten Beschwerde hat das Ministerium - wie
schon erstinstanzlich - geltend gemacht, ein
Auskunftsanspruch sei ausgeschlossen, weil die gestellten
Fragen allein die Ministerin als Privatperson beträfen und
zum Teil auf eine dem Familiengrundrecht unterfallende,
besonders geschützte Kommunikation zielten.
Auch sei ein Bedürfnis für eine
stattgebende Entscheidung gerade im Eilrechtsschutzverfahren
nicht erkennbar. Der 15. Senat des Oberverwaltungsgerichts
ist dieser Argumentation nicht gefolgt und hat zur Begründung
im Wesentlichen ausgeführt: Die gestellten Fragen zur
Entstehung des Fotos und zu dessen Veröffentlichung betreffen
jedenfalls auch die dienstliche Sphäre der Ministerin. Das
Foto steht in einem zeitlichen und räumlichen
Zusammenhang zum dienstlichen Hubschrauberflug. Auch ein
inhaltlicher Zusammenhang ist insofern zu bejahen, als das
Foto neben dem Sohn der Ministerin auch den
Diensthubschrauber zeigt.
Die vom Verwaltungsgericht
vorgenommene Abwägung zwischen dem Pressegrundrecht und
berechtigten Interessen auf Seiten der Ministerin ist
ebenfalls nicht zu beanstanden. In Anbetracht dessen, dass
das Foto einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit der
Ministerin hat, es nicht in einem besonders geschützten
privaten Rahmen entstanden ist und die Ministerin selbst
durch die Mitnahme ihres Sohnes auf einer Dienstreise ihre
privaten Belange mit der Wahrnehmung ihrer Amtsgeschäfte
verwoben hat, überwiegt das Auskunftsinteresse. Schließlich
ist aufgrund des starken Gegenwartsbezugs der Fragen auch
eine Eilbedürftigkeit zu bejahen. Der Beschluss ist
unanfechtbar. Aktenzeichen: 15 B 1029/22 (I. Instanz: VG Köln
6 L 978/22)
Wucherähnliches Rechtsgeschäfts
bei einem kombinierten Kauf- und Mietvertrag im Rahmen eines
sogenannten "sale and rent back" Karlsruhe, 16.
November 2022 - VIII ZR 221/21, VIII ZR 288/21, VIII ZR
290/21 und VIII ZR 436/21
Der unter anderem für das
Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
hat heute über die Frage entschieden, ob ein nach § 34 Abs. 4
GewO i.V.m. § 134 BGB verbotenes Rückkaufsgeschäft
beziehungsweise ein wucherähnliches Geschäft (§ 138 Abs. 1
BGB) vorliegt, wenn ein staatlich zugelassener Pfandleiher
gewerblich Kraftfahrzeuge ankauft, diese an den Verkäufer
zurückvermietet und nach dem Ende der vertraglich
festgelegten Mietzeit durch öffentliche Versteigerung, an der
der Verkäufer teilnehmen kann, verwertet.
Sachverhalt: Die Beklage betreibt
bundesweit ein staatlich zugelassenes Pfandleihhaus. Im
Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit kauft sie Kraftfahrzeuge an
und vermietet diese unmittelbar an die Verkäufer zurück
("sale and rent back"). Am Ende des Mietverhältnisses gibt
sie die Kraftfahrzeuge zur öffentlichen Versteigerung. In
allen vier Verfahren veräußerten die Kläger (Kunden) der
Beklagten ihr Kraftfahrzeug.
Nach den vertraglichen Vereinbarungen soll
das betroffene Kraftfahrzeug nach dem Ende der jeweils für 6
Monate vereinbarten Mietzeit im Wege der öffentlichen
Versteigerung, an der die jeweiligen Kläger und auch die
Beklagte teilnehmen dürfen, durch die Beklagte verwertet
werden.
Der vertraglich vereinbarte Aufrufpreis setzt
sich jeweils aus dem Ankaufspreis zuzüglich verschiedener
weiterer Positionen, wie ausstehender Mieten, nicht ersetzter
Schäden und den Kosten der Versteigerung zusammen. Ein in der
Versteigerung erzielter Mehrerlös soll den Klägern nach dem
Mietvertrag dann nicht zufließen, wenn sie das Kraftfahrzeug
selbst erfolgreich im Wege der Versteigerung erwerben.
Bisheriger Prozessverlauf: In allen vier Verfahren
haben die Berufungsgerichte angenommen, dass nach einer
Gesamtbetrachtung von Kauf- und Mietvertrag ein gemäß § 34
Abs. 4 GewO verbotenes Rückkaufsgeschäft gegeben sei. Der
Verstoß gegen § 34 Abs. 4 GewO führe gemäß § 134 BGB zur
Nichtigkeit der geschlossenen (Kauf- und Miet-)Verträge. In
drei der Verfahren (VIII ZR 221/21, VIII ZR 290/21, VIII ZR
436/21) sind die Berufungsgerichte ferner davon ausgegangen,
dass sich die Nichtigkeit auch auf die jeweilige Übertragung
des Eigentums an dem Kraftfahrzeug erstrecke.
In
einem Verfahren (VIII ZR 436/21) hat das Berufungsgericht
zusätzlich eine Nichtigkeit des Kauf- und Mietvertrags sowie
der Übereignung des Kraftfahrzeugs wegen Vorliegens eines
wucherähnlichen Geschäfts (§ 138 Abs. 1 BGB) angenommen. Im
Verfahren VIII ZR 221/21 verkaufte die Klägerin ihr
Kraftfahrzeug vom Typ Smart Fortwo MHD am 13. August 2018 für
1.500 € an die Beklagte. Das Kraftfahrzeug hatte zu diesem
Zeitpunkt einen Marktwert von 4.500 €. Nach Unterzeichnung
der Verträge erhielt die Beklagte von der Klägerin den
Zweitschlüssel und die Zulassungsbescheinigung Teil II.
Der Klägerin wurde von der Beklagten ein Barscheck über
1.500 € ausgehändigt. Diesen löste sie jedoch nicht ein und
zahlte an die Beklagte auch keine Miete. Das Landgericht hat
festgestellt, dass die Klägerin Eigentümerin des
Kraftfahrzeugs geblieben sei, und hat die Beklagte
verurteilt, der Klägerin die Zulassungsbescheinigung Teil II
und den Zweitschlüssel herauszugeben. Ferner hat es
festgestellt, dass der Beklagten aus dem Mietvertrag keine
Ansprüche gegen die Klägerin zustünden. Das Berufungsgericht
(OLG Frankfurt am Main, 2 U 116/20) hat die Berufung der
Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Mit ihrer vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte
die Abweisung der Klage.
Im Verfahren VIII ZR 288/21 verkaufte
der Kläger sein Kraftfahrzeug vom Typ Land Rover Defender am
9. Mai 2019 zum Preis von 15.000 € an die Beklagte. Das
Kraftfahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt einen
Händlereinkaufswert von wenigstens 19.500 €. Während der bis
zum 9. November 2019 vereinbarten Mietzeit verpflichtete sich
der Kläger zur Zahlung einer monatlichen Miete in Höhe von
1.275 €. Er zahlte an die Beklagte für die gesamte
Vertragslaufzeit Miete in Höhe von 7.650 € sowie eine
Bearbeitungsgebühr in Höhe von 99 €, insgesamt also 7.749 €.
Die zuletzt auf Verurteilung der
Beklagten zur Rückübereignung des Kraftfahrzeugs an den
Kläger, Zug um Zug gegen Zahlung von 15.000 €, sowie zur
Rückzahlung von 7.749 € nebst Zinsen gerichtete Klage hat in
beiden Instanzen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom
Berufungsgericht (OLG Frankfurt am Main, 2 U 125/20)
zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr
Klageabweisungsbegehren weiter. Im Verfahren VIII ZR 290/21
verkaufte die Klägerin ihr Kraftfahrzeug vom Typ Ford Focus
am 7. Januar 2020 zum Preis von 3.000 € an die Beklagte.
Das Kraftfahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt einen
Verkehrswert von wenigstens 4.500 €. Während der bis zum 7.
Juli 2020 vereinbarten Mietzeit verpflichtete sich die
Klägerin zur Zahlung einer monatlichen Miete in Höhe von 297
€. Nach Unterzeichnung der Verträge überwies die Beklagte an
die Klägerin 2.758,77 € und zahlte 241,23 € an deren
Haftpflichtversicherer auf einen bereits fälligen Beitrag.
Die Beklagte erhielt von der Klägerin den
Zweitschlüssel und die Zulassungsbescheinigung Teil II. Die
Klägerin zahlte an die Beklagte außerdem für zwei Monate
Miete sowie eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von 99 €,
insgesamt also 693 €. Mit Schreiben vom 19. April 2020
kündigte die Beklagte den Mietvertrag aufgrund ausstehender
Zahlungen.
Das Landgericht hat - unter Abweisung der
Klage im Übrigen - festgestellt, dass die zwischen den
Parteien geschlossenen Verträge unwirksam seien und die
Beklagte zur Zahlung von 693 € nebst Zinsen an die Klägerin
verurteilt. Außerdem hat es festgestellt, dass die Klägerin
ihr Eigentum an dem Kraftfahrzeug nicht an die Beklagte
verloren habe.
Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt am
Main, 2 U 115/20) hat die Berufung der Beklagten gegen dieses
Urteil im Wesentlichen zurückgewiesen und die Klägerin auf
eine erst in der Berufungsinstanz erhobene und auf
Rückzahlung des Kaufpreises gerichtete Hilfswiderklage der
Beklagten verurteilt, an diese den Kaufpreis in Höhe von
3.000 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückgabe der
Zweitschlüssel und der Zulassungsbescheinigung Teil II, zu
zahlen.
Mit ihrer vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf
vollständige Klageabweisung weiter. Die Klägerin wendet sich
mit ihrer Anschlussrevision gegen die Verurteilung zur
Rückzahlung des Kaufpreises. Im Verfahren VIII ZR 436/21
verkaufte der Kläger sein Kraftfahrzeug vom Typ BMW M5 am 2.
Januar 2018 für 5.000 € an die Beklagte.
Das Fahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt
einen Händlereinkaufswert von 13.700 €. Während der zunächst
bis zum 2. Juli 2018 vereinbarten und anschließend bis zum 1.
April 2019 verlängerten Mietzeit verpflichtete er sich zur
Zahlung einer monatlichen Miete in Höhe von 495 €. Bis
September 2018 zahlte er an die Beklagte insgesamt 4.455 €
Miete zuzüglich einer Bearbeitungsgebühr in Höhe von 99 €.
Nachdem er die Miete für Oktober 2018 nicht gezahlt hatte,
kündigte die Beklagte den Mietvertrag und ließ das
Kraftfahrzeug öffentlich versteigern. An der Versteigerung
nahm sie selbst teil, erwarb das Kraftfahrzeug, das zu diesem
Zeitpunkt einen Wiederbeschaffungswert von 16.000 € hatte,
und veräußerte es anschließend weiter.
Das
Berufungsgericht (OLG Hamm, I-18 U 105/20) hat der zuletzt
noch auf Zahlung von insgesamt 16.445 € Schadensersatz nebst
Zinsen gerichteten Klage unter Abänderung des
landgerichtlichen Urteils in Höhe von 15.545 € nebst Zinsen
stattgegeben. Es hat angenommen, dass die Beklagte
verpflichtet sei, dem Kläger die geleisteten Zahlungen zu
erstatten und Schadensersatz für das veräußerte Kraftfahrzeug
zu leisten. Der Kläger müsse sich allerdings den von der
Beklagten erhaltenen Kaufpreis auf seine Forderungen
anrechnen lassen. Mit ihren vom Berufungsgericht zugelassenen
Revisionen verfolgen der Kläger sein Zahlungsbegehren, soweit
dieses erfolglos geblieben ist, und die Beklagte ihr Begehren
auf vollständige Klageabweisung weiter.
Entscheidungen
des Bundesgerichtshofs: Der VIII. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass zwar kein Verstoß
gegen das in § 34 Abs. 4 GewO normierte Verbot des
Rückkaufshandels vorliegt und die geschlossenen (Kauf- und
Miet-)Verträge daher nicht gemäß § 134 BGB nichtig sind.
Jedoch kann ein wucherähnliches Rechtsgeschäft (§ 138 Abs. 1
BGB) – mit der Folge der Nichtigkeit der Verträge -
vorliegen. Hierauf wurde die Verurteilung der Beklagten zur
Leistung von Schadensersatz sowie zur Rückzahlung vom Kläger
geleisteter Miete in einem Fall (auch) gestützt (VIII ZR
436/21); diese Verurteilung der Beklagten hat Bestand.
In den weiteren Fällen wurde das allein auf das Vorliegen
eines verbotenen Rückkaufshandels nach § 34 Abs. 4 GewO
gestützte Urteil des Berufungsgerichts jeweils aufgehoben,
damit dieses die – auch dort – seitens der Kläger
aufgeworfene Frage des Vorliegens eines wucherähnlichen
Rechtsgeschäfts sowie einer wirksamen Anfechtung der Verträge
wegen arglistiger Täuschung der Kunden im weiteren
Prozessverlauf klären kann.
1. Das von der Beklagten
vorgegebene Vertragsmodell des (gewerblichen) Ankaufs von
Kraftfahrzeugen unter anschließender Vermietung an die Kläger
(Verkäufer) und späterer Verwertung durch öffentliche
Versteigerung unterfällt nicht dem in § 34 Abs. 4 GewO
normierten Verbot des Rückkaufshandels. Denn den Klägern
wird, anders als es die Vorschrift verlangt, ein
Rückkaufsrecht nicht eingeräumt. Um ein solches anzunehmen,
genügt nicht allein die Wahl einer Vertragsgestaltung, mit
der Pfandleihvorschriften umgangen werden.
Es bedarf
vielmehr der Vereinbarung eines Rechts des Verkäufers
(Kunden) zum Rückerwerb der Sache. Dies kann auch in Form
eines Rücktrittsrechts des Kunden geschehen, da dieser es
dann, vergleichbar einem Rückkaufsrecht, in der Hand hat,
durch eine eigene Willenserklärung den Rückerwerb der Sache
zumindest mittelbar zu vorab festgelegten Voraussetzungen –
insbesondere zur Höhe des (zurück) zu zahlenden Kaufpreises –
herbeizuführen. Ein solches Recht wurde den Klägern
vorliegend nicht eingeräumt. Sie haben lediglich faktisch die
Möglichkeit, das zuvor an die Beklagte veräußerte Fahrzeug im
Wege der Teilnahme an der öffentlichen Versteigerung durch
Zuschlag wieder zurück zu erwerben.
Bei einer am
Wortsinn der Vorschrift orientierten Auslegung, welche auch
die sich aus der historischen Entwicklung der Norm ergebende
Zielsetzung des Gesetzgebers zu berücksichtigen hat, liegt in
einem solchen Fall ein verbotener Rückkaufshandel nicht vor.
Einer über diesen Wortsinn hinausgehenden Auslegung der
Vorschrift des § 34 Abs. 4 GewO oder (gar) deren analoger
Anwendung steht vorliegend das sich aus Art. 103 Abs. 2 GG, §
3 OWiG folgende Bestimmtheits- und Analogieverbot entgegen.
Denn ein Verstoß gegen die Verbotsnorm
des § 34 Abs. 4 GewO ist nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 GewO
bußgeldbewehrt. Solche Normen dürfen, in gleicher Weise wie
Straftatbestände, nicht über ihren Wortsinn hinausgehend
ausgelegt und auch nicht analog angewandt werden. Dem Verbot
einer analogen Anwendung steht vorliegend nicht entgegen,
dass es nicht um die Verhängung eines Bußgelds, sondern um
die Beurteilung der Nichtigkeit (§ 134 BGB) zivilrechtlicher
Verträge geht. Denn der Grundsatz der Einheit der
Rechtsordnung gebietet es, dass ein objektiv gleiches
Verhalten nicht einerseits zivilrechtliche Folgen nach sich
zieht, andererseits aber eine – grundsätzlich vorgesehene –
Verhängung eines Bußgelds aufgrund des Analogieverbots (Art.
103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG) ausscheiden muss.
2. Die
Beurteilung des Berufungsgerichts im Fall VIII ZR 436/21,
dass ein wucherähnliches Rechtsgeschäft (§ 138 Abs. 1 BGB)
vorliegt, so dass der Kauf- und Mietvertrag sowie die sich
anschließende Übereignung des Fahrzeugs an die Beklagte
nichtig sind, hatte dagegen Bestand.
Der
Bundesgerichtshof bestätigte die Verurteilung der Beklagten
zur Leistung von Schadensersatz – in Höhe des
Wiederbeschaffungswerts des von ihr versteigerten
Fahrzeugs (16.000 €) – und zur Rückzahlung der erhaltenen
Mieten sowie der Bearbeitungsgebühr (insgesamt 4.554 €),
gekürzt um den vom Kläger selbst in Abzug gebrachten
Kaufpreis (5.000 €). Aufgrund des besonders groben
Missverhältnisses zwischen dem an den Kläger gezahlten
Kaufpreis (5.000 €) und dem zum Zeitpunkt des Abschlusses des
Kaufvertrags bestehenden Händlereinkaufswerts (13.700 €) wird
eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten vermutet.
Die angesichts dieser Umstände gegen die Beklagte sprechende
tatsächliche Vermutung, dass sie bewusst oder grob fahrlässig
einen den Kläger in dessen Entscheidungsfreiheit
beeinträchtigenden Umstand zu ihren Gunsten ausgenutzt hat,
ist nicht widerlegt. Im Gegenteil sprechen weitere
vertragliche Vereinbarung für eine Übervorteilung des
Klägers. Denn dieser zahlte für die Nutzung seines ehemaligen
Fahrzeugs eine monatliche Miete in Höhe von 495 € und musste
zusätzlich sämtliche Unterhaltungskosten (Versicherung,
Steuern, Wartung, Reparatur) tragen.
Die Miete stellt nicht allein die
Gegenleistung für die Nutzungsüberlassung des Fahrzeugs,
sondern der Sache nach auch eine "Vergütung" für die
Überlassung des dem Kläger durch die Kaufpreiszahlung zur
Verfügung gestellten Kapitals dar. Denn in der vereinbarten
Mietzeit von sechs Monaten hatte der Kläger bereits etwa 59 %
des von ihm zuvor erhaltenen Kaufpreises als Miete
aufzuwenden. Einen Mehrerlös nach der – nach Ablauf der
Mietzeit erfolgten – Versteigerung erhält der Kläger nur,
wenn das Fahrzeug durch einen Dritten ersteigert wird.
Demgegenüber stellt die Beklagte durch die Festlegung der
Höhe des Aufrufpreises sicher, dass ihr sowohl der an den
Kläger gezahlte Kaufpreis als auch sämtliche Unkosten wieder
erstattet werden. Da der Kläger, wenn er das Fahrzeug nach
Ablauf der Mietzeit wieder (zurück-)erwerben möchte,
zumindest den erhaltenen Kaufpreis an die Beklagte
(zurück-)zahlen müsste, trägt er auch den während der
Mietzeit eingetretenen Wertverlust des Fahrzeugs.
Die
maßgeblichen Vorschriften lauten: Grundgesetz Art. 103
[Grundrechte vor Gericht] […] (2) Eine Tat kann nur bestraft
werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor
die Tat begangen wurde. Bürgerliches Gesetzbuch § 134
Gesetzliches Verbot Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein
gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht
aus dem Gesetz ein anderes ergibt.
§ 138
Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher (1) Ein Rechtsgeschäft,
das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. (2) Nichtig
ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter
Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an
Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines
anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung
Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in
einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.
Gewerbeordnung § 34 Pfandleihgewerbe […] (4) Der
gewerbsmäßige Ankauf beweglicher Sachen mit Gewährung des
Rückkaufsrechts ist verboten.
Unwirksamkeit der Klausel zu einem
Jahresentgelt in der Ansparphase von Bausparverträgen
Karlsruhe, 15. November 2022 - XI ZR 551/21
Der u.a. für das Bank- und Börsenrecht zuständige XI.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die
in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Bausparkasse
enthaltene Klausel, mit der die Bausparkasse von den
Bausparern in der Ansparphase der Bausparverträge ein
sogenanntes Jahresentgelt erhebt, unwirksam ist.
Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf: Der Kläger, ein
eingetragener Verein, nimmt satzungsmäßig
Verbraucherinteressen wahr und ist als qualifizierte
Einrichtung gemäß § 4 UKlaG eingetragen. Die beklagte
Bausparkasse verwendet in ihren Allgemeinen Bedingungen für
Bausparverträge u.a. die folgende Bestimmung: "Die
Bausparkasse berechnet während der Sparphase jeweils bei
Jahresbeginn – bei nicht vollständigen Kalenderjahren
anteilig – für jedes Konto des Bausparers ein Jahresentgelt
von 12 EUR p.a."
Der Kläger hält die vorbezeichnete
Klausel für unwirksam, da sie die Bausparer entgegen den
Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige. Er
nimmt die Beklagte darauf in Anspruch, es zu unterlassen,
diese oder eine inhaltsgleiche Klausel gegenüber Verbrauchern
in Bausparverträgen zu verwenden und sich bei der Abwicklung
von Bausparverträgen auf die Klausel zu berufen. Die
Vorinstanzen haben der Unterlassungsklage stattgegeben.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der XI. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die angefochtene
Klausel der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterliegt und
dieser nicht standhält. Er hat deshalb die Revision der
Beklagten zurückgewiesen.
Zur Begründung hat der
Senat im Wesentlichen ausgeführt: Die Entgeltklausel ist
Gegenstand der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB,
weil sie eine Preisnebenabrede darstellt. Das in der
Ansparphase eines Bausparvertrags erhobene Jahresentgelt ist
weder Gegenleistung für eine vertragliche Hauptleistung noch
Entgelt für eine Sonderleistung der Beklagten und damit keine
kontrollfreie Preishauptabrede.
Die von der
Bausparkasse in der Ansparphase geschuldete Hauptleistung
besteht einerseits in der Zahlung der Zinsen auf das
Bausparguthaben sowie andererseits darin, dem Bausparer nach
der Leistung der Bauspareinlagen einen Anspruch auf Gewährung
eines niedrig verzinslichen Bauspardarlehens aus der
Zuteilungsmasse zu verschaffen.
Mit dem Jahresentgelt
werden demgegenüber Verwaltungstätigkeiten der Beklagten in
der Ansparphase bepreist, die sich mit der bauspartechnischen
Verwaltung, Kollektivsteuerung und Führung einer
Zuteilungsmasse umschreiben lassen. Hierbei handelt es sich
lediglich um notwendige Vorleistungen, nicht aber um eine von
der Beklagten in der Ansparphase geschuldete Hauptleistung.
Der danach eröffneten Inhaltskontrolle hält die
streitige Klausel nicht stand. Sie ist vielmehr unwirksam,
weil die Erhebung des Jahresentgelts in der Ansparphase eines
Bausparvertrags mit wesentlichen Grundgedanken der
gesetzlichen Regelung unvereinbar ist und die Bausparer
entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen
benachteiligt. Denn mit dem Jahresentgelt werden Kosten für
Verwaltungstätigkeiten auf die Bausparer abgewälzt, welche
die Bausparkasse aufgrund einer eigenen gesetzlichen
Verpflichtung zu erbringen hat.
Die Abweichung der
Entgeltklausel von wesentlichen Grundgedanken der
gesetzlichen Regelung ist auch bei der gebotenen
pauschalisierenden Gesamtbetrachtung nicht durch
bausparspezifische Individualvorteile der einzelnen Bausparer
sachlich gerechtfertigt. Bausparer müssen in der Ansparphase
bereits hinnehmen, dass ihre Spareinlagen bezogen auf den
Zeitpunkt des Abschlusses des Bausparvertrags nur
vergleichsweise niedrig verzinst werden. Außerdem können
Bausparkassen bei Abschluss des Bausparvertrags von den
Bausparern eine Abschlussgebühr verlangen.
Mit dem
Jahresentgelt wird auch kein Beitrag zur Gewährleistung der
Funktionsfähigkeit des Bausparwesens geleistet, der geeignet
wäre, die mit seiner Erhebung für den einzelnen Bausparer
verbundenen Nachteile aufzuwiegen.
Vorinstanzen: LG
Hannover - Urteil vom 29. Januar 2021 - 13 O 19/20 OLG Celle
- Urteil vom 17. November 2021 - 3 U 39/21 (WM 2022, 659) Die
maßgebliche Vorschrift lautet: § 307 BGB (1)
Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind
unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders
entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen
benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich
auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und
verständlich ist. (2) Eine unangemessene Benachteiligung ist
im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung 1. mit
wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der
abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder 2. wesentliche
Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags
ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des
Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§
308 und § 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen
Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften
abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart
werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in
Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde
gegen das ausnahmslose Verbot von Windenergieanlagen in
Waldgebieten Karlsruhe, 11.November 2022 Das
Bundesverfassungsgericht hat eine neue Pressemitteilung
veröffentlicht. Hierzu lautet der Kurztext:
Windenergieanlagen im Wald Mit heute veröffentlichtem
Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts
entschieden, dass § 10 Abs. 1 Satz 2 des Thüringer
Waldgesetzes (ThürWaldG) mit dem Grundgesetz unvereinbar und
damit nichtig ist. Diese Vorschrift verbietet ausnahmslos die
Änderung der Nutzungsart von Waldgebieten zur Errichtung von
Windenergieanlagen und verhindert damit jeden Bau von
Windenergieanlagen in Waldgebieten.
Das greift in das
von Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geschützte
Eigentumsrecht der beschwerdeführenden Waldeigentümerin und
Waldeigentümer ein. Der Eingriff ist nicht gerechtfertigt,
weil das Gesetz formell verfassungswidrig ist. Dem Freistaat
Thüringen fehlt für die angegriffene Regelung die
Gesetzgebungskompetenz. § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG ist der
Gesetzgebungszuständigkeit für das Bodenrecht zuzuordnen, von
der der Bund insoweit insbesondere durch die
bauplanungsrechtliche Privilegierung von Windenergieanlagen
im Außenbereich abschließend Gebrauch gemacht hat. Die
Landesgesetzgeber können Waldgebiete aufgrund ihrer
Gesetzgebungskompetenz für Naturschutz und Landschaftspflege
unter Schutz stellen, sofern diese Gebiete aufgrund ihrer
ökologischen Funktion, ihrer Lage oder auch wegen ihrer
Schönheit schutzwürdig und -bedürftig sind.
In
Thüringen hat der Gesetzgeber von dieser Möglichkeit schon
vor der Einführung von § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG durch
verschiedene Regelungen Gebrauch gemacht. Prägend für diese
Regelungen ist aber ein über den generellen Bedarf nach
unbebauter Natur und Landschaft hinaus gehender
spezifischerer Bedarf, konkrete Teile von Natur und
Landschaft wegen ihrer besonderen Funktion, Lage oder
Schönheit zu erhalten oder auch zu entwickeln.
Prozessführungsbefugnis der
Wohnungseigentümergemeinschaft zur Geltendmachung von
Mängelrechten in Bezug auf das Gemeinschaftseigentum;
Altlasten als Mangel Urteil vom 11. November 2022 – V ZR
213/21
Karlsruhe, 11. November 2022 -
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute
entschieden, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer
auch nach der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes die auf
Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum gerichteten
Rechte der Erwerber von Wohnungseigentum weiterhin durch
Mehrheitsbeschluss zur alleinigen Durchsetzung an sich ziehen
kann. Darüber hinaus sind die Voraussetzungen für eine
Haftung des Verkäufers eines Grundstücks wegen Altlasten bzw.
eines Altlastenverdachts präzisiert worden.
Sachverhalt: Die Klägerin ist eine Gemeinschaft der
Wohnungseigentümer. Die Wohnungseigentumsanlage befindet sich
auf einem in München belegenen Grundstück, das ursprünglich
im Eigentum der Beklagten, einem Immobilienunternehmen,
stand. Die Beklagte teilte das Grundstück mit dem bestehenden
Gebäude im Jahr 2012 in Wohnungseigentum auf und begann mit
dem Verkauf der Einheiten. Für den zunächst beabsichtigten
Bau einer Tiefgarage ließ sie im Frühjahr 2013 die Böden des
Innenhofs und der Außenflächen der Anlage untersuchen.
Dabei wurde eine ehemalige Kiesgrube
aufgefunden, deren aufgefüllte Böden, wie weitere
Untersuchungen zeigten, unterschiedlich mit Schadstoffen
belastet sind. Die Beklagte stoppte daraufhin zunächst den
Verkauf und informierte die Stadt München. Behördlich
angeordnete Untersuchungen des Oberbodens auf Altlasten
ergaben Belastungen u.a. mit Benzo(a)pyren (BaP).
In einer von der Beklagten in Auftrag
gegebenen gutachterlichen Bewertung der
Untersuchungsergebnisse wurde für den Innenhof ein
Bodenaustausch bis zu einer Tiefe von 30 cm vorgeschlagen.
Auf einen Austausch des tiefer liegenden Bodens könne wegen
der geplanten Errichtung der Tiefgarage verzichtet werden.
Maßnahmen im südlichen Außenbereich seien trotz der
festgestellten Belastungen wegen einer möglichen Einzäunung
der betroffenen Bereiche nicht erforderlich.
Ab
dem 29. Mai 2013 setzte die Beklagte den Verkauf der
Wohnungen fort. In den Kaufverträgen wies sie auf eine allein
den Innenhof betreffende Altlastenauskunft der Stadt München
hin und verpflichtete sich zur Durchführung der für den
Innenhof vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen. Die Haftung für
eine Altlastenfreiheit des Grundstücks außerhalb des
Innenhofs wurde ausgeschlossen. In der Folgezeit tauschte die
Beklagte den Oberboden des Innenhofes in einer Tiefe von 20
cm aus.
Der Bau einer Tiefgarage erfolgte dagegen
nicht. In zwei Eigentümerversammlungen im Mai 2014 und im
Oktober 2015 beschlossen die Wohnungseigentümer mehrheitlich
die gerichtliche Geltendmachung möglicher Ansprüche wegen
Altlasten im Innenhof und im südlichen Außenbereich.
Bisheriger Prozessverlauf: Das Landgericht hat der mit dem
Hauptantrag beanspruchten Feststellung des Bestehens von
Mängelansprüchen teilweise stattgegeben.
In der
Berufungsinstanz hat das Oberlandesgericht
den Hauptantrag als unzulässig abgewiesen und auf den
Hilfsantrag der Klägerin die Beklagte zur Beseitigung der
vorhandenen Altlasten durch Sanierung des Innenhofs und des
südlichen Außenbereichs verurteilt, jedoch nur, soweit
jeweils der Wert von 0,5 mg/kg BaP überschritten wird. Mit
der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision hat die
beklagte Verkäuferin die vollständige Abweisung der Klage
erstrebt. Die Klägerin hat mit der Anschlussrevision ihr
Klagebegehren weiterverfolgt, soweit dieses erfolglos
geblieben ist.
Entscheidung des
Bundesgerichtshofs: Der Bundesgerichtshof hat das
Urteil auf die Revision der Beklagten aufgehoben, soweit die
Beklagte zur Beseitigung verurteilt worden ist. Insoweit ist
die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das
Oberlandesgericht zurückverwiesen worden. Die
Anschlussrevision der Klägerin hat keinen Erfolg gehabt.
Dem liegen folgende Erwägungen zu Grunde: Der Hilfsantrag
ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin für die
Geltendmachung des Nachbesserungsanspruchs
prozessführungsbefugt. Dies beruht auf den im Mai 2014 und
Oktober 2015 gefassten Beschlüssen der Wohnungseigentümer.
Allerdings ist die Regelung zu der "Vergemeinschaftung durch
Mehrheitsbeschluss" in § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 2 WEG aF
infolge der während des Berufungsverfahrens in Kraft
getretenen Reform des Wohnungseigentumsgesetzes ersatzlos
entfallen.
Dieser Bestimmung zufolge konnte die
Gemeinschaft der Wohnungseigentümer im Rahmen der
ordnungsmäßigen Verwaltung die Ausübung der den einzelnen
Erwerbern aus den jeweiligen Verträgen mit dem Veräußerer
zustehenden Rechte auf ordnungsgemäße Herstellung des
Gemeinschaftseigentums durch Mehrheitsbeschluss an sich
ziehen. Nunmehr regelt § 9a Abs. 2 WEG nur noch die
sogenannte "geborene Ausübungsbefugnis"; danach kann die
Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (ohne weiteres) die sich
aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte sowie
solche Rechte der Wohnungseigentümer ausüben, die eine
einheitliche Rechtsverfolgung erfordern, und sie nimmt die
entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahr.
Gleichwohl können, wie der Bundesgerichtshof nun geklärt
hat, Ansprüche aus den Erwerbsverträgen, die die
Mängelbeseitigung betreffen, weiterhin durch
Mehrheitsbeschluss "vergemeinschaftet" werden. Das hat hier
zur Folge, dass die Prozessführungsbefugnis der Klägerin
fortbesteht. § 9a Abs. 2 WEG nF erfasst jedenfalls nicht die
primären Mängelrechte der Wohnungseigentümer. Diese Ansprüche
ergeben sich nicht aus dem gemeinschaftlichen Eigentum,
sondern aus den individuellen Erwerbsverträgen, die die
Wohnungseigentümer mit dem teilenden Eigentümer geschlossen
haben.
Sie erfordern keine einheitliche
Rechtsverfolgung. Denn der Wohnungseigentümer, der
selbständig die Mängelbeseitigung gegen den Veräußerer
verfolgt, handelt grundsätzlich auch im wohlverstandenen
Interesse aller anderen Wohnungseigentümer, und er darf seine
vertraglichen Rechte im Grundsatz selbst wahrnehmen. Eine
Vergemeinschaftung der auf das Gemeinschaftseigentum
bezogenen Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüche der
Wohnungseigentümer durch Mehrheitsbeschluss wird durch § 9a
Abs. 2 WEG andererseits nicht ausgeschlossen.
Die
Beschlusskompetenz der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer
ergibt sich in der Sache unverändert aufgrund der
Verwaltungsbefugnis für das gemeinschaftliche Eigentum sowie
der in § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG geregelten Pflicht zu dessen
Erhaltung. Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung, der
zufolge die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
zum Bauträgerrecht, nach der eine Vergemeinschaftung von
werkvertraglichen Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüchen
möglich war, fortgelten soll. Entsprechendes muss für die
Vergemeinschaftung von kaufrechtlichen Erfüllungs- und
Nacherfüllungsansprüchen gelten.
Nur diese Sichtweise
trägt der nach der Reform unveränderten Interessenlage der
Wohnungseigentümer hinreichend Rechnung. Dass die Verwaltung
des gemeinschaftlichen Eigentums nunmehr der Gemeinschaft der
Wohnungseigentümer obliegt, hat nichts daran geändert, dass
es Sache der Wohnungseigentümer ist, in der
Eigentümerversammlung darüber zu befinden, auf welche Weise
Mängel am Gemeinschaftseigentum zu beseitigen sind.
Ordnungsmäßiger Verwaltung wird es auch weiterhin in aller
Regel entsprechen, einen gemeinschaftlichen Willen darüber zu
bilden, wie die ordnungsgemäße Herstellung des
Gemeinschaftseigentums zu bewirken ist und ggf. welche
vertraglichen Ansprüche geltend gemacht werden sollen. In der
Sache trägt die von dem Berufungsgericht gegebene Begründung
die Verurteilung der Beklagten zur Nacherfüllung nach § 439
Abs. 1 BGB nicht.
Zwar ist die Annahme, dass das
Grundstück wegen des Vorfindens einer aufgefüllten Kiesgrube
und eines hierdurch begründeten Altlastenverdachts einen
Mangel iSd § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB aF aufweist, nicht
zu beanstanden. Die von dem Verkäufer wegen eines
Altlastenverdachts geschuldete Nachbesserung umfasst aber
zunächst nur die Ausräumung des Verdachts durch
Aufklärungsmaßnahmen. Ein Altlastenverdacht rechtfertigt
hingegen nicht die Sanierung des Grundstücks, zu der die
Beklagte von dem Berufungsgericht verurteilt worden ist.
Die Beseitigung von Altlasten kann der Käufer erst dann
verlangen, wenn sich der Verdacht bestätigt. Entscheidend ist
deshalb, ob über den Altlastenverdacht hinaus eine
tatsächliche Bodenbelastung in einem Umfang vorliegt, der die
von dem Berufungsgericht ausgesprochene Verurteilung zur
Sanierung trägt. Hiervon kann auf der Grundlage der bislang
getroffenen Feststellungen nicht ausgegangen werden.
Eine von der üblichen Beschaffenheit abweichende Belastung
eines Grundstücks mit Schadstoffen und damit ein Mangel ist
anzunehmen, wenn nach öffentlich-rechtlichen Kriterien eine
schädliche Bodenveränderung oder eine Altlast im Sinne des
Bundesbodenschutzgesetzes vorliegt (§ 2 Abs. 3 bzw. Abs. 5
BBodSchG). Für die Beurteilung, ob eine Belastung des
Grundstücks mit Schadstoffen einen Sachmangel darstellt,
können die zur behördlichen Gefährdungsabschätzung gemäß § 8
Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 BBodSchG maßgeblichen Prüf- und
Maßnahmenwerte herangezogen werden.
Liegen der Gehalt
oder die Konzentration eines Schadstoffes unterhalb des
jeweiligen Prüfwertes, ist insoweit der Verdacht einer
schädlichen Bodenveränderung oder Altlast nach § 4 Abs. 2
Satz 1 BBodSchV ausgeräumt, und das Grundstück weist
regelmäßig die übliche Beschaffenheit auf. Andererseits
begründet allein die Überschreitung von Prüfwerten, von der
das Berufungsgericht hier ohne Rechtsfehler ausgegangen ist,
keinen über den Altlastenverdacht hinausgehenden Sachmangel,
sondern erhärtet lediglich einen bereits bestehenden
(allgemeinen) Verdacht.
Da das Berufungsgericht keine
hinreichenden Feststellungen dazu getroffen hat, dass im
Innenhof und im südlichen Außenbereich des Grundstücks auch
Maßnahmenwerte nach § 8 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 BBodSchG
überschritten werden, hat der Bundesgerichtshof die
Verurteilung der Beklagten aufgehoben. Die Voraussetzungen
für eine abschließende Entscheidung über die Revision der
Beklagten liegen nicht vor. Abweisungsreif ist der
Hilfsantrag nicht. Auf den in den Kaufverträgen vereinbarten
Haftungsausschluss kann sich die Beklagte nach § 444 BGB
nicht berufen.
Verschweigt der Verkäufer arglistig
einen ihm bekannten Altlastenverdacht und bestätigt sich
später der Verdacht, handelt er in aller Regel auch im
Hinblick auf die – hier zu Gunsten der Klägerin zu
unterstellenden - tatsächlich vorhandenen Altlasten
arglistig. Den in den ab dem 29. Mai 2013 geschlossenen
Kaufverträgen enthaltenen Hinweis auf die
Altlastenproblematik sieht das Berufungsgericht
rechtsfehlerfrei als bagatellisierend und deshalb als
unzureichend an.
Zutreffend ist schließlich, dass der
Anspruch gemäß § 439 Abs. 1 BGB bei dem Kauf einer
gebrauchten Eigentumswohnung und Mängeln des
Gemeinschaftseigentums auf volle – hier von der Klägerin
verlangte - Nacherfüllung gerichtet ist. Es besteht nicht
lediglich ein auf die Quote des Miteigentumsanteils
beschränkter Anspruch auf Freistellung von
Mängelbeseitigungskosten. Schließlich kann der Hilfsantrag
auch nicht deshalb abgewiesen werden, weil er auf ein zu
weitreichendes Ziel, nämlich eine Sanierung, gerichtet ist,
obwohl derzeit nur eine Gefahrerforschung verlangt werden
kann.
Zu diesem erstmalig von dem Senat
hervorgehobenen Gesichtspunkt muss den Parteien Gelegenheit
zur Stellungnahme gegeben und die Möglichkeit eingeräumt
werden, ggf. die Anträge umzustellen sowie ergänzend Beweis
anzubieten. Die Anschlussrevision der Klägerin ist
unbegründet, weil der von ihr weiter verfolgte
Feststellungsantrag mangels Bestimmtheit unzulässig ist.
Vorinstanzen: LG München I – Urteil vom 27. April 2018 – 25 O
24162/14 OLG München – Urteil vom 2. September 2021 – 8 U
1796/18
Die maßgeblichen Vorschriften lauten: § 10
WEG Allgemeine Grundsätze in der bis zum 30. November 2020
geltenden Fassung: […] (6) Die Gemeinschaft der
Wohnungseigentümer kann im Rahmen der gesamten Verwaltung des
gemeinschaftlichen Eigentums gegenüber Dritten und
Wohnungseigentümern selbst Rechte erwerben und Pflichten
eingehen. Sie ist Inhaberin der als Gemeinschaft gesetzlich
begründeten und rechtsgeschäftlich erworbenen Rechte und
Pflichten.
Sie übt die gemeinschaftsbezogenen Rechte
der Wohnungseigentümer aus und nimmt die
gemeinschaftsbezogenen Pflichten der Wohnungseigentümer wahr,
ebenso sonstige Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer,
soweit diese gemeinschaftlich geltend gemacht werden können
oder zu erfüllen sind. […]
BGH legt EuGH
erneut eine Frage zur Klagebefugnis von
Verbraucherschutzverbänden bei Datenschutzverstößen durch
Facebook vor Karlsruhe, 10.
November 2022 - I ZR 186/17 - Der unter anderem für
Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat darüber zu entscheiden, ob ein Verstoß
des Betreibers eines sozialen Netzwerks gegen die
datenschutzrechtliche Verpflichtung, die Nutzer dieses
Netzwerks über Umfang und Zweck der Erhebung und Verwendung
ihrer Daten zu unterrichten, wettbewerbsrechtliche
Unterlassungsansprüche begründet und von
Verbraucherschutzbänden verfolgt werden kann.
Sachverhalt: Die in Irland ansässige Beklagte, die Meta
Platform Ireland Limited (ehemals Facebook Ireland Limited),
betreibt das soziale Netzwerk "Facebook". Auf der
Internetplattform dieses Netzwerks befindet sich ein
"App-Zentrum", in dem die Beklagte den Nutzern ihrer
Plattform kostenlos Online-Spiele anderer Anbieter zugänglich
macht. Im November 2012 wurden in diesem App-Zentrum mehrere
Spiele angeboten, bei denen unter dem Button "Sofort spielen"
folgende Hinweise zu lesen waren: "Durch das Anklicken von
‚Spiel spielen‚ oben erhält diese Anwendung: Deine
allgemeinen Informationen, Deine-Mail-Adresse, Über Dich,
Deine Statusmeldungen.
Diese Anwendung darf in deinem Namen
posten, einschließlich dein Punktestand und mehr." Bei einem
Spiel endeten die Hinweise mit dem Satz: "Diese Anwendung
darf Statusmeldungen, Fotos und mehr in deinem Namen posten."
Der Kläger ist der in der Liste
qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragene
Dachverband der Verbraucherzentralen der Bundesländer. Er
beanstandet die Präsentation der unter dem Button "Sofort
spielen" gegebenen Hinweise im App-Zentrum als unlauter unter
anderem unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs wegen
Verstoßes gegen gesetzliche Anforderungen an die Einholung
einer wirksamen datenschutzrechtlichen Einwilligung des
Nutzers. Ferner sieht er in dem abschließenden Hinweis bei
einem Spiel eine den Nutzer unangemessen benachteiligende
Allgemeine Geschäftsbedingung.
Er hält sich zur
Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen im Wege der Klage
vor den Zivilgerichten gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG und § 3
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG für befugt. Bisheriger
Prozessverlauf: Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren mit
Beschluss vom 28. Mai 2020 (I ZR 86/17, GRUR 2020, 896 = WRP
2020, 1182 - App-Zentrum I) ausgesetzt und dem Gerichtshof
der Europäischen Union die Frage zur Vorabentscheidung
vorgelegt, ob die in Kapitel VIII, insbesondere in Art. 80
Abs. 1 und 2 sowie Art. 84 Abs. 1 der Verordnung (EU)
2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung) getroffenen
Bestimmungen nationalen Regelungen entgegenstehen, die -
neben den Eingriffsbefugnissen der zur Überwachung und
Durchsetzung der Verordnung zuständigen Aufsichtsbehörden und
den Rechtsschutzmöglichkeiten der betroffenen Personen -
einerseits Mitbewerbern und andererseits nach dem nationalen
Recht berechtigten Verbänden, Einrichtungen und Kammern die
Befugnis einräumen, wegen Verstößen gegen die
Datenschutz-Grundverordnung unabhängig von der Verletzung
konkreter Rechte einzelner betroffener Personen und ohne
Auftrag einer betroffenen Person gegen den Verletzer im Wege
einer Klage vor den Zivilgerichten vorzugehen.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat dazu mit Urteil
vom 28. April 2022 C-319/20, GRUR 2022, 920 = WRP 2022, 684 -
Meta Platforms Ireland) entschieden, dass Art. 80 Abs. 2 der
VO (EU) 2016/679 einer nationalen Regelung, nach der ein
Verband zur Wahrung von Verbraucherinteressen gegen den
mutmaßlichen Verletzer des Schutzes personenbezogener Daten
ohne entsprechenden Auftrag und unabhängig von der Verletzung
konkreter Rechte betroffener Personen Klage mit der
Begründung erheben kann, dass gegen das Verbot der Vornahme
unlauterer Geschäftspraktiken, ein Verbraucherschutzgesetz
oder das Verbot der Verwendung unwirksamer Allgemeiner
Geschäftsbedingungen verstoßen worden sei, nicht
entgegensteht, sofern die betreffende Datenverarbeitung die
Rechte identifizierter oder identifizierbarer natürlicher
Personen aus dieser Verordnung beeinträchtigen kann.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der
Bundesgerichtshof hat nach mündlicher Verhandlung vom 29.
September 2022 das Verfahren erneut ausgesetzt und dem
Gerichtshof der Europäischen Union die Frage zur
Vorabentscheidung vorgelegt, ob eine Rechtsverletzung
"infolge einer Verarbeitung" im Sinne von Art. 80 Abs. 2
DSGVO geltend gemacht wird, wenn ein Verband zur Wahrung von
Verbraucherinteressen seine Klage darauf stützt, die Rechte
einer betroffenen Person seien verletzt, weil die
Informationspflichten gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1 DSGVO in
Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e DSGVO über den
Zweck der Datenverarbeitung und den Empfänger der
personenbezogenen Daten nicht erfüllt worden seien.
Die Notwendigkeit einer erneuten Vorlage ergibt sich aus
folgenden Umständen: Der Senat ist in seinem ersten
Vorlagebeschluss vom 28. Mai 2020 davon ausgegangen, dass
sich eine nach deutschem Recht gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG und
§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG bestehende Klagebefugnis des
Klägers wegen seines im Streitfall allein auf die
objektiv-rechtliche Durchsetzung des Datenschutzrechts
gerichteten Klagebegehrens nicht den die Rechtsbehelfe, die
Haftung und Sanktionen regelnden Bestimmungen des Kapitels
VIII der Datenschutz-Grundverordnung und insbesondere nicht
den Art. 80 Abs. 1 und 2 DSGVO oder Art. 84 Abs. 1 DSGVO
entnehmen lässt.
Er hat daher dem Gerichtshof der
Europäischen Union mit seinem ersten
Vorabentscheidungsersuchen die Frage vorgelegt, ob die
Datenschutz-Grundverordnung in Bezug auf die Klagebefugnis
eine abschließende Regelung trifft, die der Anwendbarkeit der
§ 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG und § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG
entgegensteht. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat -
abweichend von der vom Senat im Vorlagebeschluss vertretenen
Ansicht - entschieden, dass sich die Klagebefugnis des
Klägers aus Art. 80 Abs. 2 DSGVO ergeben kann.
Die in
Art. 80 Abs. 2 DSGVO den Mitgliedstaaten eröffnete
Möglichkeit, ein Verfahren einer Verbandsklage gegen den
mutmaßlichen Verletzer des Schutzes personenbezogener Daten
vorzusehen, besteht allerdings nur für den Fall, dass der
klagende Verband geltend macht, die Rechte einer betroffenen
Person gemäß der Datenschutz-Grundverordnung seien "infolge
einer Verarbeitung" verletzt worden. Es ist fraglich, ob
diese Voraussetzung erfüllt ist, wenn - wie im Streitfall -
die sich aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1, Art. 13 Abs. 1 Buchst. c
und e DSGVO ergebenden Informationspflichten verletzt worden
sind. Die erneute Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen
Union dient der Klärung dieser Frage.
Bundesgerichtshof zur Pflicht
von Internethändlern, über Herstellergarantien zu informieren
Urteil Karlsruhe, 10. November 2022 - I ZR
241/19 - Der unter anderem für das
Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass Internethändler
Verbraucher nicht näher über die Herstellergarantie für ein
angebotenes Produkt informieren müssen, wenn die Garantie
kein zentrales Merkmal ihres Angebots ist. Sachverhalt: Die
Parteien vertreiben Taschenmesser im Wege des
Internethandels.
Die Beklagte bot auf der
Internetplattform Amazon ein Schweizer Offiziersmesser an.
Die Angebotsseite enthielt unter der Zwischenüberschrift
"Weitere technische Informationen" einen Link mit der
Bezeichnung "Betriebsanleitung". Nach dem Anklicken dieses
Links öffnete sich ein Produktinformationsblatt, das
folgenden Hinweis auf eine Garantie des Herstellers enthielt:
"Die Garantie erstreckt sich zeitlich unbeschränkt auf jeden
Material- und Fabrikationsfehler (für Elektronik zwei Jahre).
Schäden, die durch normalen Verschleiß oder durch
unsachgemäßen Gebrauch entstehen, sind durch die Garantie
nicht gedeckt."
Weitere Informationen zu der
Garantie enthielt das Produktinformationsblatt nicht. Die
Klägerin sieht darin einen Verstoß gegen die gesetzlichen
Informationspflichten betreffend Garantien. Sie hat
beantragt, der Beklagten zu verbieten, den Absatz von
Taschenmessern an Verbraucher mit Hinweisen auf Garantien zu
bewerben, ohne hierbei auf die gesetzlichen Rechte des
Verbrauchers sowie darauf hinzuweisen, dass sie durch die
Garantie nicht eingeschränkt werden, und ohne den räumlichen
Geltungsbereich des Garantieschutzes anzugeben.
Bisheriger Prozessverlauf: Das Landgericht
hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat
das Oberlandesgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt.
Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision hat die
Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgt.
Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren mit Beschluss vom 11.
Februar 2021 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen
Union Fragen zur Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. m der
Richtlinie 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher zur
Vorabentscheidung vorgelegt (dazu Pressemitteilung Nr.
31/2021 vom 11. Februar 2021).
Der Gerichtshof der
Europäischen Union hat über die Fragen durch Urteil
vom 5. Mai 2022 (C-179/21) entschieden. Entscheidung des
Bundesgerichtshofs: Der Bundesgerichtshof hat auf die
Revision der Beklagten das Urteil des Oberlandesgerichts
aufgehoben und das die Klage abweisende Urteil des
Landgerichts wiederhergestellt. Die Beklagte hat sich nicht
unlauter verhalten, weil sie in ihrem Internetangebot keine
näheren Angaben zu der im verlinkten Produktinformationsblatt
erwähnten Herstellergarantie gemacht hat.
Die Beklagte hat sich nicht nach § 5a
Abs. 2 und 4 UWG aF (nun § 5a Abs. 1, § 5b Abs. 4 UWG nF)
unlauter verhalten, weil sie den Verbrauchern keine nach §
312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9
EGBGB aF (nun Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB nF)
vor Vertragsschluss zu erteilende Information über die
Herstellergarantie vorenthalten hat.
Das ergibt sich
aus einer richtlinienkonformen Auslegung der vorgenannten
Bestimmungen, die der Umsetzung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. m
der Richtlinie 2011/83/EU dienen. Der Gerichtshof der
Europäischen Union hat auf Vorlage des Bundesgerichtshofs
entschieden, dass ein Unternehmer die Verbraucher vor
Abschluss eines Kaufvertrags über die Bedingungen der
Herstellergarantie informieren muss, wenn er die Garantie zu
einem zentralen oder entscheidenden Merkmal seines Angebots
macht und so als Verkaufsargument einsetzt.
Erwähnt
er dagegen die Herstellergarantie nur beiläufig, so dass sie
aus Sicht der Verbraucher kein Kaufargument darstellt, muss
er keine Informationen über die Garantie zur Verfügung
stellen. Im Streitfall stellt die Herstellergarantie kein
wesentliches Merkmal des Angebots der Beklagten dar. Sie wird
auf der Angebotsseite selbst nicht erwähnt, sondern findet
sich an untergeordneter Stelle in einem
Produktinformationsblatt.
Auf dieses
Produktinformationsblatt gelangt der Verbraucher nur, wenn er
einen Link anklickt, der unter der Zwischenüberschrift
"Weitere technische Informationen" steht und mit der
Bezeichnung "Betriebsanleitung" versehen ist und daher eher
auf eine technisch-funktionale Erläuterung hindeutet. Die
Beklagte hat mangels eines Verstoßes gegen die
Marktverhaltensregelung des § 479 Abs. 1 BGB auch keine nach
§ 3a UWG unlautere Handlung begangen.
Die in
§ 479 Abs. 1 BGB normierte Pflicht zur Information über den
Gegenstand und den Inhalt einer (Hersteller-)Garantie greift
erst ein, wenn der Unternehmer dem Verbraucher ein
verbindliches Angebot auf Abschluss eines Garantievertrags
unterbreitet. Im Streitfall enthielt der auf der
Angebotsseite befindliche Link auf das
Produktinformationsblatt mit der Herstellergarantie noch kein
verbindliches Garantieversprechen.
Mit Balkonkraftwerk Energiekosten
senken - Mieter dürfen Balkonkraftwerk installieren
In der Hausratversicherung und Wohngebäudeversicherung
eingeschlossen

Coburg/Duisburg, 03. November 2022 - Aktuell
explodieren die Energiepreise. Laut den aktuellen Zahlen des
Statistischen Bundesamtes stiegen sie von August 2021 bis
August 2022 um 35,6 Prozent. Lange Zeit hatten Mieter keine
Möglichkeit, ihre Energiekosten durch den Einbau von
Photovoltaik selbst zu reduzieren. Der Vermieter bestimmte,
ob eine Photovoltaikanlage auf das Dach kam. Seit es
Balkonkraftwerke gibt, sieht das anders aus. Mieter können
diese Mini-Photovoltaikanlagen jederzeit auf ihrem Balkon
oder ihrer Terrasse aufstellen.
Nachdem die Anlagen
im Sommer oft nicht verfügbar waren, rüsten viele Menschen
auch jetzt noch nach. Die Erlaubnis ihres Vermieters
benötigen sie nicht. Nur bei Anlagen, die an der
Balkonaußenseite oder der Fassade befestigt werden, sieht das
anders aus. Hier kann der Vermieter mitreden.
Auf dem
Balkon sind die Module Naturgewalten wie Sturm, Hagel und
Blitzschlag ausgesetzt. Schäden, die dadurch entstehen am
Kraftwerk entstehen, deckt – wie die HUK-COBURG mitteilt -
die Hausratversicherung ab. Gerade im Herbst, wenn Stürme
über das Land ziehen, ist der Versicherungsschutz wichtig.
Aber auch im Winter bei Eis und Schnee können sie bedenkenlos
draußen bleiben.
Eine andere Konstellation: Die
Minisolaranlage brennt wegen eines technischen Defekts und
schädigt einen Dritten. Solche Schäden reguliert die
Privathaftpflichtversicherung. Voraussetzung ist, dass die
Anlage zu einer selbst bewohnten Immobilie gehört. Dazu
gehören nicht nur Eigentumshäuser und -wohnungen, sondern
auch Mietimmobilien.
Art und Umfang des
Versicherungsschutzes können variieren: Ein persönliches
Gespräch mit dem eigenen Versicherer sorgt für Klarheit. Doch
Balkonkraftwerke – an Außenwänden oder auf Garagendächern –
sind auch für viele Immobilienbesitzer inzwischen eine
Option. Hängen sie an der Außenwand, sind sie in der
Wohngebäudeversicherung mitversichert. Ausschlaggebend für
den Umfang des Versicherungsschutzes ist, welche Gefahren in
der eigenen Police versichert wurden. Am besten bespricht man
auch diese Frage mit seinem Versicherer.
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die Übermittlung mit
nachrichtendienstlichen Mitteln erhobener personenbezogener
Daten Karlsruhe, 03. November 2022 - Das
Bundesverfassungsgericht hat eine neue Pressemitteilung
veröffentlicht. Hierzu lautet der Kurztext: Mit heute
veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die
Übermittlungsbefugnisse der Verfassungsschutzbehörden in
Angelegenheiten des Staats- und Verfassungsschutzes nach dem
Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) mit dem Grundrecht
auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht
vereinbar sind.
Dies gilt, soweit sie zur Übermittlung
personenbezogener Daten verpflichten, die mit
nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden. Die
betreffenden Vorschriften verstoßen gegen die Normenklarheit
und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zudem fehlt es an
einer spezifisch normierten Protokollierungspflicht. Die
angegriffenen Normen gelten - mit Blick auf die betroffenen
Grundrechte jedoch nach einschränkenden Maßgaben - bis zum
31. Dezember 2023 vorübergehend fort.
Haltung von Hängebauchschweinen im
Wohngebiet bleibt untersagt Münster, 02.
November 2022 - Zwei Hängebauchschweine dürfen nicht weiter
im Garten eines Wohngrundstücks in Recklinghausen gehalten
werden. Das hat das Oberverwaltungsgericht heute entschieden
und damit einen Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts
Gelsenkirchen bestätigt. Die Stadt Recklinghausen ist gegen
die Schweinehaltung unter anderem eingeschritten, weil
insbesondere die Belästigung der Nachbarn durch Gerüche ein
öffentliches Interesse an einer sofortigen
Nutzungsuntersagung begründe.
Das
Verwaltungsgericht hielt diese Verfügung für rechtmäßig, weil
die Halterin der Schweine (Antragstellerin) nicht im Besitz
einer Baugenehmigung für die Nutzung von Anlagen und
Einrichtungen zur Tierhaltung auf ihrem Grundstück sei. Zur
Begründung hat es ausgeführt: Das Grundstück der
Antragstellerin liegt in einem Wohngebiet, in dem nur eine
Kleintierhaltung als Annex zum Wohnen zulässig ist. Das setzt
voraus, dass die Tierhaltung in dem betreffenden Baugebiet
üblich und ungefährlich ist und den Rahmen der für eine
Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht übersteigt.
Hobbymäßig gehaltene
Hängebauchschweine sind keine Kleintiere in diesem Sinne,
weil die Haltung von Schweinen typischerweise zu Geräusch-
und Geruchsbelästigungen führt, die in Wohngebieten nicht
üblich sind. Die dagegen gerichtete Beschwerde der
Antragstellerin bleibt ohne Erfolg.
Zur Begründung hat
der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts ausgeführt: Der
Einwand der Antragstellerin, die zwingend zu prüfenden
Belange des Wohls der beiden Tiere seien nicht hinreichend
berücksichtigt worden, ist unzutreffend. Die Antragstellerin
hat keine Gesichtspunkte dafür aufgezeigt, dass entgegen der
Annahme des Verwaltungsgerichts die Haltung von
Hängebauchschweinen bei typisierender Betrachtung eine in
einem Wohngebiet zulässige Kleintierhaltung ist
Ob die Haltung der Schweine durch die Antragstellerin
tatsächlich zu einer
Belästigung der Nachbarn durch Gerüche führt, ist insoweit
letztlich unerheblich. Die
der Antragstellerin in der angefochtenen Ordnungsverfügung
gesetzte Frist von circa
drei Wochen ist in Würdigung der offensichtlichen
Baurechtswidrigkeit
verhältnismäßig, zumal die Antragstellerin etwa einen Monat
vor Erlass der
Verfügung dazu angehört worden ist und seitdem damit rechnen
musste, die
Schweine nicht länger in ihrem Garten halten zu können.
Der Senat hat keine Zweifel
daran, dass es möglich war, die Schweine innerhalb dieses
Zeitraums
gegebenenfalls gegen Bezahlung anderweitig unterzubringen. Es
bestehen
allerdings Zweifel daran, dass sich die Antragstellerin
ernsthaft um eine anderweitige
Unterbringung der Tiere bemüht hat und bemüht. Denn sie hält
die Schweine trotz
der angeordneten und vollziehbaren Nutzungsuntersagung auch
nach mehr als
einem halben Jahr noch immer auf ihrem Grundstück.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
Aktenzeichen: 10 B 1092/22 (I. Instanz: VG Gelsenkirchen 9 L
608/22)
|
Oktober 2022 |
Herbst: Wer muss Bürgersteig vom Laub freihalten?
Reinigungspflicht kann übertragen werden. Wer haftet bei
Unfällen? Coburg, Duisburg, 27.10.2022 Viele
genießen den goldenen Herbst, wenn das Laub sich langsam
verfärbt. Mit sinkenden Temperaturen verlieren Bäume aber
auch ihre Blätter, Niederschläge nehmen zu. Beides zusammen
verwandelt Bürgersteige in Rutschbahnen. Ohne Räumen ist ein
Unfall schnell passiert.

Wer zum Besen greifen muss,
regeln die meisten Kommunen in ihren Satzungen. Hier
schreiben sie fest, ob und in welchem Umfang sich
Hauseigentümer um die Reinigung der Bürgersteige kümmern
müssen. Wer sich der Reinigungspflicht dauerhaft entzieht,
begeht eine Ordnungswidrigkeit. Den Eigentümern eines
Mietshauses steht es offen, die Reinigungspflicht über den
Mietvertrag an die Mieter weiterzugeben. Ereignet sich ein
Unfall, hat der nicht nur eine strafrechtliche Seite.
Hier geht es, wie die HUK-COBURG mitteilt, auch um
persönliche Haftung. Bricht sich ein Passant beispielsweise
das Bein, weil vergessen wurde, die Blätter wegzufegen, muss
der Verantwortliche für den Schaden aufkommen. Ohne
Haftpflichtversicherung kann das teuer werden: Im
geschilderten Fall können dem Geschädigten Schmerzensgeld und
falls er arbeitet auch eine Entschädigung für seinen
Verdienstausfall zustehen.
Bleiben
nach einem Unfall dauerhafte Schäden zurück, können sogar
lebenslange Rentenzahlungen fällig werden. Ob und in welchem
Umfang ein säumiger Laubräumer haftet, hängt allen Regeln zum
Trotz oft von den speziellen Umständen des Einzelfalls ab.
Sollte der Geschädigte den Rechtsweg beschreiten, steht die
Haftpflichtversicherung ihrem Kunden zur Seite.
|
|
|
|
|