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Dezember 2023 |
Die Bundestagswahl muss in 455 von
2.256 Wahlbezirken des Landes Berlin wiederholt werden
Karlsruhe, 19. Dezember 2023 - Mit heute
verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des
Bundesverfassungsgerichts die Wahl zum 20. Deutschen
Bundestag über den Beschluss des Deutschen Bundestages vom
10. November 2022 hinausgehend in weiteren 31 Wahlbezirken
des Landes Berlin sowie den zugehörigen Briefwahlbezirken für
ungültig erklärt und eine Wiederholungswahl angeordnet. Zudem
hat er den genannten Beschluss des Bundestages insoweit
aufgehoben, als die Bundestagswahl in sieben Wahlbezirken und
den damit verbundenen Briefwahlbezirken für ungültig erklärt
wurde.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wendet sich mit ihrer
Wahlprüfungsbeschwerde gegen den Beschluss des Bundestages
vom 10. November 2022, mit dem dieser die Bundestagswahl 2021
in 431 Wahlbezirken in Berlin für ungültig erklärt und
insoweit eine Wiederholungswahl angeordnet hat. Der Beschluss
des Deutschen Bundestages vom 10. November 2022 ist im
Ergebnis überwiegend rechtmäßig. D
er Bundestag hat das Wahlgeschehen jedoch unzureichend
aufgeklärt, da er auf die gebotene Beiziehung und Auswertung
der Niederschriften der einzelnen Wahlbezirke verzichtet hat.
Dies hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner
Amtsaufklärungspflicht nachgeholt. Daraus ergibt sich, dass
einerseits die Bundestagswahl in weiteren 25 Wahlbezirken des
Landes Berlin einschließlich der zugehörigen Briefwahlbezirke
für ungültig zu erklären und andererseits die
Ungültigerklärung der Wahl in sieben Wahlbezirken und deren
Briefwahlbezirken im Beschluss des Deutschen Bundestages
aufzuheben ist.
Daneben führen erst nach der mündlichen
Verhandlung bekanntgewordene Besonderheiten der Auszählung
von Briefwahlstimmen zur Ungültigerklärung der Bundestagswahl
in weiteren sechs Briefwahlbezirken und den sechs mit diesen
verbundenen Urnenwahlbezirken. Die Wiederholungswahl ist als
Zweistimmenwahl (d. h. mit Erst- und Zweitstimme)
durchzuführen.
Unzulässige Wahlprüfungsbeschwerde der
AfD-Bundestagsfraktion gegen die Teilwiederholung der
Bundestagswahl in Berlin
Karlsruhe, 19. Dezember 2023 - Mit heute
veröffentlichtem Beschluss hat der Zweite Senat des
Bundesverfassungsgerichts eine Wahlprüfungsbeschwerde der
AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag als unzulässig verworfen.
Erfolgloser Eilantrag gegen die
Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens zum
Bürgerenergiegesetz NRW
Münster, 14. Dezember 2023 - Mit Beschluss
vom heutigen Tag hat der Verfassungsgerichtshof in Münster
einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
abgelehnt, der darauf zielte, dem Landtag Nordrhein-Westfalen
aufzugeben, die dritte Lesung zum Entwurf des Gesetzes über
die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Gemeinden
an der Windenergienutzung in Nordrhein-Westfalen
(Bürgerenergiegesetz NRW) nicht innerhalb der laufenden
Sitzungswoche durchzuführen. Die Entscheidung ist mit 4 zu 3
Stimmen ergangen.
Der Antragsteller, ein Mitglied
der FDP-Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen, sieht sich
durch das Gesetzgebungsverfahren und insbesondere die
beabsichtigte dritte Lesung des Gesetzentwurfs am 15.
Dezember 2023 in seinen Rechten als Mitglied des Landtags
Nordrhein-Westfalen verletzt. Er macht im Kern geltend, die
Einbringung eines zwölf Seiten umfassenden Änderungsantrags
zum ursprünglichen Gesetzentwurf durch die Fraktionen von CDU
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erst am 12. Dezember 2023 lasse
eine verantwortliche Mitwirkung an der Beratung und
Beschlussfassung des Parlaments in der Kürze der Zeit nicht
zu.
Den Eilantrag hatte der Antragsteller mit
einem Antrag zur Auslegung der Landesverfassung über den
Umfang seiner Rechte und Pflichten als Abgeordneter (VerfGH
116/23) verbunden. Eine Entscheidung über diesen Antrag steht
noch aus. Der Verfassungsgerichtshof hat die Entscheidung
über die einstweilige Anordnung ohne Begründung
bekanntgegeben, die den Beteiligten gesondert übermittelt
wird. VerfGH 117/23
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November 2023
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Bemerkungen im Abiturzeugnis über
die Nichtbewertung einzelner Leistungen sind grundsätzlich
geboten
Karlsruhe, 22. November
2023 - Mit heute verkündetem Urteil hat der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die in den
bayerischen Abiturzeugnissen der an Legasthenie leidenden
Beschwerdeführer im Jahr 2010 angebrachten Bemerkungen über
die Nichtbewertung ihrer Rechtschreibleistungen die
Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2
GG verletzen, weil sie auf einer damals geübten
diskriminierenden Verwaltungspraxis beruhen: Legasthenie ist
eine Behinderung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG.
Die angegriffenen Zeugnisbemerkungen
benachteiligen die Beschwerdeführer. Eine gleichmäßige
Anbringung von Zeugnisbemerkungen über die von allgemeinen
Prüfungsmaßstäben abweichende Nichtbewertung einzelner
Leistungen wegen behinderungsbedingter Einschränkungen dient
der Herstellung von Transparenz über die tatsächlich
erbrachten schulischen Leistungen. Sie ist im Interesse eines
bezogen auf die Leistungsfähigkeit chancengleichen Zugangs
aller Abiturienten zu Ausbildung und Beruf grundsätzlich
gerechtfertigt.
Unter bestimmten Voraussetzungen,
insbesondere bei Ausgestaltung des Abiturs durch den
Gesetzgeber als breiter Leistungsnachweis und allgemeine
Hochschulreife, können solche Zeugnisbemerkungen sogar
geboten sein. Die verfassungsrechtliche Beanstandung der hier
angegriffenen Zeugnisbemerkungen ist daher nur der im Jahr
2010 in Bayern geübten diskriminierenden Verwaltungspraxis
geschuldet, nach der Zeugnisbemerkungen ausschließlich bei
legasthenen Schülern angebracht wurden, nicht jedoch bei
Schülern mit anderen Behinderungen oder in Konstellationen,
in denen Lehrkräfte aufgrund eines ihnen eingeräumten
Ermessens von einer Bewertung von Rechtschreibleistungen in
bestimmten Fällen absehen konnten.
Unwirksamkeit einer Klausel zu
Abschluss- und Vermittlungskosten in einem
Riester-Altersvorsorgevertrag Karlsruhe, 21.
November 2023 - XI ZR 290/22 - Der u.a. für das Bank- und
Börsenrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
hat entschieden, dass die in Altersvorsorgeverträgen mit der
Bezeichnung "S VorsorgePlus Altersvorsorgevertrag nach dem
Altersvermögens-gesetz (Sparkonto mit Zinsansammlung)" einer
Sparkasse enthaltene Klausel zu Abschluss- und
Vermittlungskosten unwirksam ist.
Sachverhalt und
bisheriger Prozessverlauf: Der Kläger, ein eingetragener
Verein, nimmt satzungsmäßig Verbraucherinteressen wahr und
ist als qualifizierte Einrichtung gemäß § 4 UKlaG
eingetragen. Die beklagte Sparkasse verwendet in ihren
Sonderbedingungen für die genannten Altersvorsorgeverträge
u.a. die folgende Bestimmung: "Im Falle der Vereinbarung
einer Leibrente werden dem Sparer ggfs. Abschluss- und/oder
Vermittlungskosten belastet."
Der Kläger hält die
vorbezeichnete Klausel für unwirksam, da sie nicht klar und
verständlich sei und die Sparer damit entgegen den Geboten
von Treu und Glauben unangemessen benachteilige. Er nimmt die
Beklagte darauf in Anspruch, es zu unterlassen, sich auf
diese oder eine inhaltsgleiche Klausel gegenüber Verbrauchern
in Altersvorsorgeverträgen nach dem Altersvermögensgesetz zu
berufen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung
der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren
Klageabweisungsantrag weiter. Entscheidung des
Bundesgerichtshofs: Der XI. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass es sich bei der
angefochtenen Klausel um eine Allgemeine Geschäftsbedingung
im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt, die nicht klar
und verständlich ist und dadurch die Vertragspartner der
Beklagten unangemessen benachteiligt.
Zur
Begründung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt: Die
Klausel stellt eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne
von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB dar und nicht lediglich einen
unverbindlichen Hinweis. Denn der durchschnittliche Sparer
versteht die Klausel dahin, dass sie der Beklagten das Recht
einräumen soll, von ihm im Fall der Vereinbarung einer
Leibrente Abschluss- und/oder Vermittlungskosten zu
verlangen.
Die fehlende Benennung von
Voraussetzungen, von denen die Erhebung von Abschluss-
und/oder Vermittlungskosten durch die Beklagte abhängen soll,
sowie die fehlende Bestimmung der Höhe der Kosten stellen den
Regelungsgehalt der Klausel nicht in Frage. Die Bezeichnung
des Klauselwerks, in dem die Klausel enthalten ist, als
Sonderbedingungen spricht ebenfalls dafür, dass die Klausel
den Vertragsinhalt regelt. Die Klausel ist nicht klar und
verständlich im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und
benachteiligt dadurch die Vertragspartner der Beklagten
unangemessen.
Diese können die mit der Klausel
für sie verbundenen wirtschaftlichen Folgen nicht absehen.
Die Klausel lässt nicht erkennen, ob die Beklagte im Fall der
Vereinbarung einer Leibrente tatsächlich Abschluss- und/oder
Vermittlungskosten vom Verbraucher beansprucht.
Voraussetzungen, die maßgebend dafür sein sollen, dass
Abschluss- und/oder Vermittlungskosten dem Grunde nach
anfallen, werden dem Verbraucher weder in der Klausel noch an
anderer Stelle mitgeteilt. Außerdem erfährt der Verbraucher
nicht, in welcher Höhe er gegebenenfalls mit Abschluss-
und/oder Vermittlungskosten belastet wird.
Die Klausel benennt für die Abschluss- und
Vermittlungskosten weder einen absoluten Betrag noch einen
Prozentsatz, der sich auf ein bestimmtes Kapital bezieht. Sie
lässt den Verbraucher auch im Unklaren darüber, ob die Kosten
einmalig, monatlich oder jährlich anfallen sollen. Danach
kann der Verbraucher die Größenordnung der Abschluss- und
Vermittlungskosten nicht absehen, mit denen er bei
Vereinbarung einer Leibrente von der Beklagten belastet
werden soll. Der Beklagten wäre die gebotene Eingrenzung der
Kosten der Höhe nach möglich gewesen.
Vorinstanzen: Landgericht München I –
Urteil vom 15. März 2021 – 27 O 230/20 Oberlandesgericht
München – Urteil vom 20. Oktober 2022 – 29 U 2022/21
Die maßgeblichen Vorschriften lauten: § 305 BGB (1)
Allgemeine Geschäftsbedingungen sind alle für eine Vielzahl
von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine
Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei
Abschluss eines Vertrags stellt. … § 307 BGB (1) Bestimmungen
in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie
den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von
Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine
unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben,
dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
Verfassungsbeschwerde gegen
Gemeindefinanzierungsgesetz 2023 eingegangen
Münster. 20. November 2023 - Die kreisfreien Städte Bonn,
Bottrop, Dortmund, Düsseldorf, Köln, Münster, Solingen und
Wuppertal haben am 16. November 2023 Verfassungsbeschwerde
gegen § 9 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 Gemeindefinanzierungsgesetz
2023 (GFG 2023) erhoben. Sie behaupten, die angegriffenen
Regelungen verletzten sie in ihrem Recht auf gemeindliche
Selbstverwaltung, soweit darin für kreisfreie Städte höhere
fiktive Hebesätze festgesetzt sind als für kreisangehörige
Städte und Gemeinden.
Beim Verfassungsgerichtshof ist
bereits eine Verfassungsbeschwerde derselben kreisfreien
Städte gegen das Gemeindefinanzierungsgesetz 2022 anhängig
(VerfGH 115/22), über die noch nicht entschieden ist.
Aktenzeichen: VerfGH 101/23
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Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021 ist nichtig
Karlsruhe, 15. November 2023 - Mit heute verkündetem Urteil
hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts
entschieden, dass das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021
mit Art. 109 Abs. 3, Art. 110 Abs. 2 und Art. 115 Abs. 2
Grundgesetz (GG) unvereinbar und nichtig ist.
2 BvF 1/22
Die antragstellenden Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion
wenden sich gegen die rückwirkende Änderung des
Haushaltsgesetzes und des Bundeshaushaltsplans 2021 durch das
Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021. Mit diesem sollte eine
im Bundeshaushalt 2021 als Reaktion auf die Corona-Pandemie
vorgesehene, jedoch im Haushaltsjahr 2021 nicht unmittelbar
benötigte Kreditermächtigung in Höhe von 60 Milliarden Euro
durch eine Zuführung an den „Energie- und Klimafonds“ (EKF),
ein unselbständiges Sondervermögen des Bundes, für künftige
Haushaltsjahre nutzbar gemacht werden. Die Zuführung erfolgte
im Februar 2022 – also rückwirkend – für das abgeschlossene
Haushaltsjahr 2021. Der EKF wurde zwischenzeitlich in „Klima-
und Transformationsfonds“ (KTF) umbenannt.
Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 entspricht nicht den
verfassungsrechtlichen Anforderungen an notlagenbedingte
Kreditaufnahmen. Der Senat stützt seine Entscheidung auf
drei, jeweils für sich tragfähige Gründe: Erstens hat
der Gesetzgeber den notwendigen Veranlassungszusammenhang
zwischen der festgestellten Notsituation und den ergriffenen
Krisenbewältigungsmaßnahmen nicht ausreichend dargelegt.
Zweitens widerspricht die zeitliche
Entkoppelung der Feststellung einer Notlage gemäß Art. 115
Abs. 2 Satz 6 GG vom tatsächlichen Einsatz der
Kreditermächtigungen den Verfassungsgeboten der Jährlichkeit
und Jährigkeit. Die faktisch unbegrenzte Weiternutzung von
notlagenbedingten Kreditermächtigungen in nachfolgenden
Haushaltsjahren ohne Anrechnung auf die „Schuldenbremse“ bei
gleichzeitiger Anrechnung als „Schulden“ im Haushaltsjahr
2021 ist demzufolge unzulässig. Drittens verstößt
die Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes
2021 nach Ablauf des Haushaltsjahres 2021 gegen den
Haushaltsgrundsatz der Vorherigkeit aus Art. 110 Abs. 2
Satz 1 GG.
Die Entscheidung hat zur Folge, dass sich der Umfang des KTF
um 60 Milliarden Euro reduziert. Soweit hierdurch bereits
eingegangene Verpflichtungen nicht mehr bedient werden
können, muss der Haushaltsgesetzgeber dies anderweitig
kompensieren.
Sachverhalt:
Der Bundeshaushalt 2021 sah ursprünglich Kreditermächtigungen
in Höhe von etwa 180 Milliarden Euro vor. Im April 2021
wurden mit dem (ersten) Nachtragshaushaltsgesetz 2021 die
Kreditermächtigungen für das Haushaltsjahr 2021 um weitere
60 Milliarden Euro auf etwa 240 Milliarden Euro aufgestockt.
Ermöglicht wurde dies durch einen Beschluss des Deutschen
Bundestages vom 23. April 2021, mit dem das Bestehen einer
außergewöhnlichen Notsituation gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6
und 7 GG – einer Ausnahme von der verfassungsrechtlichen
Verschuldungsgrenze – festgestellt wurde.
Im Verlauf des Haushaltsjahres 2021 zeigte sich, dass diese
Aufstockungen nicht benötigt wurden. Vor diesem Hintergrund
kam im politischen Raum die Vorstellung auf, die mit dem
Nachtragshaushaltsgesetz 2021 eingeräumten
Kreditermächtigungen in der vollen Höhe von 60 Milliarden
Euro durch eine Zuführung an den EKF für künftige
Haushaltsjahre nutzbar zu machen.
Aufgrund von Art. 1 des Gesetzes über die Feststellung eines
Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das
Haushaltsjahr 2021 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021)
wurden das Gesamtvolumen des Bundeshaushalts 2021 von
547,7 Milliarden Euro auf 572,7 Milliarden Euro und das
Volumen des EKF von 42,6 Milliarden Euro auf 102,6 Milliarden
Euro erhöht. Insoweit wurde der Bundeshaushaltsplan 2021
entsprechend angepasst. Nach Art. 2 des Gesetzes trat die
Änderung mit Wirkung vom 1. Januar 2021 und damit rückwirkend
in Kraft. Das Gesetz wurde am 25. Februar 2022 im
Bundesgesetzblatt verkündet.
Mit ihrem Normenkontrollantrag begehren die
Antragstellerinnen und Antragsteller die Feststellung, dass
die im Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 vorgesehene
rückwirkende Zuführung der Kreditermächtigungen an den EKF
mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig ist.
Daneben haben sie beantragt, im Wege der einstweiligen
Anordnung zu regeln, dass besagte Kreditermächtigungen bis
zur Hauptsacheentscheidung nur in Anspruch genommen werden
dürfen, soweit der Deutsche Bundestag entsprechende Ausgaben
im Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2022 beschließt.
Der Senat hat diesen Antrag mit Beschluss vom 22. November
2022 abgelehnt (8. Dezember
2022).
Wesentliche Erwägungen des Senats:
Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 entspricht nicht den
verfassungsrechtlichen Anforderungen an die notlagenbedingte
Kreditaufnahme aus Art. 109 Abs. 3 Satz 1 und 2, Art. 115
Abs. 2 Satz 1 und 6 GG. Daneben verstößt es im Hinblick auf
den Zeitpunkt seines Erlasses gegen das Gebot der
Vorherigkeit gemäß Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG. Auf einen
möglichen Verstoß gegen die Grundsätze der Haushaltsklarheit
und -wahrheit gemäß Art. 110 Abs. 1 Satz 1 GG kommt es
demnach nicht mehr an.
I. 1. a) Art. 115 Abs. 2 Satz 1 GG konkretisiert das – an
Bund und Länder gerichtete – grundsätzliche Verbot der
strukturellen Neuverschuldung aus Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG
(„Schuldenbremse“). Danach sind im Rahmen der
Haushaltswirtschaft des Bundes Einnahmen und Ausgaben
grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Nach
Art. 109 Abs. 3 Satz 4, Art. 115 Abs. 2 Satz 2 GG ist diesem
Gebot Genüge getan, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom
Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt
nicht überschreiten. Hinzu tritt nach Art. 109 Abs. 3 Satz 2
in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 3 GG eine sogenannte
„Konjunkturkomponente“, wonach bei einer von der Normallage
abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf
den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch berücksichtigt
werden können.
b) Art. 109 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2
Satz 6 GG gibt dem Bundestag das Recht zu beschließen, dass
die sich aus Schuldenbremse und Konjunkturkomponente
ergebenden Kreditobergrenzen im Falle von Naturkatastrophen
oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle
des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich
beeinträchtigen, überschritten werden dürfen.
Neben den geschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen von
Art. 115 Abs. 2 Satz 6 bis 8 GG ist ein sachlicher
Veranlassungszusammenhang zwischen der Naturkatastrophe oder
außergewöhnlichen Notsituation und der Überschreitung der
Kreditobergrenzen erforderlich. Bei dessen Beurteilung kommt
dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum
zu. Eine verfassungsgerichtliche Überprüfung der
Verhältnismäßigkeit der notlagenbedingten Kreditaufnahme
scheidet indes aus. Allerdings ergeben sich Darlegungslasten
des Gesetzgebers, um eine verfassungsrechtliche Überprüfung
der Nachvollziehbarkeit und Vertretbarkeit der
gesetzgeberischen Entscheidungen über die Kreditaufnahme zu
ermöglichen.
c) Dem systematischen Gefüge der verfassungsrechtlichen
Vorgaben zur Kreditaufnahme des Bundes nach den Art. 109
Abs. 3, Art. 115 GG sind darüber hinaus die
haushaltsrechtlichen Prinzipien der Jährlichkeit und
Jährigkeit – flankiert vom Haushaltsgrundsatz der Fälligkeit
– zu entnehmen.
aa) Das Prinzip der Jährlichkeit geht dahin, dass der
Haushaltsplan vor Beginn des Rechnungsjahres durch das
Haushaltsgesetz festzustellen ist. Nach dem Prinzip der
Jährigkeit dürfen Ermächtigungen nur bis zum Ende des
Haushaltsjahres in Anspruch genommen werden. Anschließend
verfallen sie grundsätzlich ersatzlos. Der Haushaltsgrundsatz
der Fälligkeit besagt, dass im Haushaltsplan nur diejenigen
Einnahmen und Ausgaben veranschlagt werden dürfen, die im
Haushaltsjahr voraussichtlich kassenwirksam werden.
bb) Die genannten Haushaltsprinzipien gelten auch für die
Ausnahmeregelung zur Schuldenbremse bei Naturkatastrophen und
außergewöhnlichen Notsituationen nach Art. 109 Abs. 3 Satz 2,
Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG. Sie können nicht durch den Einsatz
von Sondervermögen umgangen werden. Ihre Einhaltung
unterliegt einer strikten verfassungsgerichtlichen Kontrolle.
2. a) Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 muss sich an
Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG messen
lassen. Deren geschriebene Tatbestandsvoraussetzungen sind
erfüllt. Der Gesetzgeber hat jedoch den
Veranlassungszusammenhang zwischen der festgestellten
Notsituation und den durch die notlagenbedingte
Kreditaufnahme finanzierten Maßnahmen zur Krisenbewältigung
nicht ausreichend dargelegt.
aa) Die Bundesregierung verweist hierzu insbesondere auf ihre
Absicht, die Förderung der pandemiebedingt geschwächten
Wirtschaft mit einem weiteren politischen Anliegen – der
Förderung von Klimaschutz, Transformation und Digitalisierung
– zu verbinden: Eine verlässliche staatliche Finanzierung und
eine Förderung privatwirtschaftlicher Ausgaben für bedeutende
Zukunfts- und Transformationsaufgaben in den Bereichen
Klimaschutz und Digitalisierung seien unter den besonderen
Bedingungen der Pandemiebewältigung wesentliche
Voraussetzungen, um die Folgen der Krise schnell zu
überwinden, die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft zu
sichern und damit das wirtschaftliche Wachstum anzuregen und
nachhaltig zu stärken.
bb) Diese Begründung erweist sich als nicht ausreichend
tragfähig. Zum Zeitpunkt der Gesetzesberatungen dauerte die
Corona-Pandemie bereits fast zwei Jahre an. Je länger das
auslösende Krisenereignis in der Vergangenheit liegt, je mehr
Zeit dem Gesetzgeber deshalb zur Entscheidungsfindung gegeben
ist und je mittelbarer die Folgen der ursprünglichen
Krisensituation sind, desto stärker wird der Einschätzungs-
und Beurteilungsspielraum des Haushaltsgesetzgebers
eingeengt. Hiermit geht eine Steigerung der Anforderungen an
die Darlegungslast des Gesetzgebers einher. Dies gilt umso
mehr, wenn der Gesetzgeber – wie hier – wiederholt innerhalb
eines Haushaltsjahres oder innerhalb aufeinander folgender
Haushaltsjahre von der Möglichkeit der notlagenbedingten
Kreditaufnahme Gebrauch macht.
cc) Je länger die diagnostizierte Krise anhält und je
umfangreicher der Gesetzgeber notlagenbedingte Kredite in
Anspruch genommen hat, desto detaillierter hat er die Gründe
für das Fortbestehen der Krise und die aus seiner Sicht
fortdauernde Geeignetheit der von ihm geplanten Maßnahmen zur
Krisenbewältigung aufzuführen. Er muss insbesondere darlegen,
ob die von ihm in der Vergangenheit zur Überwindung der
Notlage ergriffenen Maßnahmen tragfähig waren und ob er
hieraus Schlüsse für die Geeignetheit künftiger Maßnahmen
gezogen hat.
Eine solche Evaluation und Einordnung der bisherigen
Krisenbewältigungsmaßnahmen findet sich in der
Gesetzesbegründung allenfalls im Ansatz. Hierzu heißt es
insbesondere, die hiesigen Mittel ergänzten die bereits im
Jahr 2020 zur Pandemiebewältigung dem EKF zugeführten Mittel
und dienten damit weiterhin der Pandemiebewältigung. Die
Entwicklung zeige, dass die bislang zur Überwindung der
außergewöhnlichen Notsituation ergriffenen staatlichen
Maßnahmen wirkten. Sie seien geeignet, erforderlich und
angemessen, um die akuten wirtschaftlichen Auswirkungen der
Pandemie abzufedern.
Welche konkreten Maßnahmen der EKF schon aufgrund der ersten
Zuweisung ergriffen und welche (messbaren) Folgen diese
Maßnahmen hatten, bleibt jedoch unerörtert. Es ist deshalb
schon unklar, ob durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz
2021 letztlich die gleichen Maßnahmen finanziert werden
sollen wie mit der ursprünglichen notlagenbedingten
Kreditermächtigung im Jahr 2020.
Eine Begründung, weshalb die noch im (ersten)
Nachtragshaushaltsgesetz 2021 für erforderlich erachteten
Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro zum Ende
des Haushaltsjahres 2021 entgegen der ursprünglichen Planung
nicht zur Krisenbewältigung verwendet worden sind, gibt der
Gesetzgeber nicht. Eine solche Begründung war hier umso mehr
angezeigt, als zwischen der Feststellung einer Notlage für
das Haushaltsjahr 2021 und der Beschlussfassung über das
Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 fast ein Jahr vergangen
war.
Anlass zu einer vertieften argumentativen Auseinandersetzung
bestand auch mit Blick auf den Umstand, dass der EKF bereits
sehr viel früher errichtet und die Zielsetzung der durch ihn
finanzierten Programme bereits zum damaligen Zeitpunkt
festgelegt worden war, ohne dass die bereits laufenden
Programme den Eintritt der Krisenfolgen verhindert oder ihre
Folgen begrenzt hätten. Daher ist die Geeignetheit der vom
Sondervermögen finanzierten Programme zur Krisenbewältigung
nicht indiziert.
Schließlich lässt die Gesetzesbegründung die notwendige
Abgrenzung einer notlagenbedingten Kreditaufnahme aus
Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vom Anwendungsbereich der
erweiterten Kreditaufnahmemöglichkeiten aus Art. 115 Abs. 2
Satz 3 GG wegen einer von der Normallage abweichenden
konjunkturellen Entwicklung nicht deutlich werden.
b) Die Zuführung an den KTF durch das Zweite
Nachtragshaushaltsgesetz 2021 widerspricht den
Verfassungsgeboten der Jährlichkeit und Jährigkeit aus
Art. 109 Abs. 3, Art. 115 Abs. 2 GG.
aa) Die im Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 vorgesehene
faktische Vorhaltung von Kreditermächtigungen in
periodenübergreifenden Rücklagen verstößt gegen die Maßgaben
aus Art. 109 Abs. 3, Art. 115 Abs. 2 GG als jahresbezogene
Anforderungen. Der vom Deutschen Bundestag gemäß Art. 115
Abs. 2 Satz 6 GG zu fassende Beschluss im Hinblick auf die
Feststellung einer Notlage bezieht sich auf ein konkretes
Haushaltsjahr und ist deshalb für jedes Haushaltsjahr
gesondert zu treffen. Eine Entkoppelung der notlagenbedingten
Kreditermächtigungen von der tatsächlichen Verwendung der
Kreditmittel ist mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen
in Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG nicht
vereinbar. Danach müssen sich Kreditermächtigungen, die in
einem bestimmten Haushaltsjahr ausgebracht werden, auf die
Deckung von Ausgaben beschränken, die für Maßnahmen zur
Notlagenbekämpfung in eben diesem Haushaltsjahr anfallen.
bb) Mit dem Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 werden dem
KTF als unselbständigem Sondervermögen des Bundes
kreditfinanzierte Mittel in Höhe von 60 Milliarden Euro
zugeführt, die sich auf die Berechnung der zulässigen
Kreditaufnahme für das Jahr 2021 auswirken, während die vom
Gesetzgeber zur Krisenbewältigung ins Auge gefassten
Maßnahmen, deren Finanzierung die Kreditermächtigungen dienen
sollen, für kommende Haushaltsjahre geplant sind. Tatsächlich
wirksame Verschuldung entsteht für den Bund nach dieser
Konzeption vor allem in den kommenden Jahren und
voraussichtlich über die dann für das jeweilige Haushaltsjahr
geltende verfassungsrechtliche Verschuldungsgrenze hinaus.
Dabei werden die jetzt geschaffenen Kreditermächtigungen ohne
Anrechnung auf die Verschuldungsgrenze des dann aktuellen
Haushaltsjahres nutzbar gemacht, weil die Anrechnung bereits
mit der Ermächtigung im Ausnahmejahr 2021, nicht aber mit der
späteren Kreditaufnahme selbst erfolgen soll. Dies ist mit
dem Grundsatz der Jährigkeit in Verbindung mit dem Grundsatz
der Fälligkeit nicht zu vereinbaren.
cc) Eine Rechtfertigung des Verstoßes gegen Art. 109 Abs. 3
Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG ergibt sich weder aus den
Besonderheiten der Corona-Pandemie als solcher noch daraus,
dass die Bundesregierung gegenwärtig notwendige und in der
Zukunft zu Auszahlungen führende Verpflichtungen gegenüber
Dritten nur mit entsprechender finanzieller Unterlegung
eingehen könnte. Wenn und soweit auch in den Folgejahren die
Tatbestandsvoraussetzungen einer notlagenbedingten
Kreditaufnahme (erneut) erfüllt sein sollten, wäre eine
solche Kreditaufnahme in der zum jeweiligen Zeitpunkt
tatsächlich gebotenen Höhe zulässig. Es besteht daher kein
sachlicher Grund dafür, auf Kreditermächtigungen aus dem Jahr
2021 zurückzugreifen.
II. Die Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes
2021 nach Ablauf des Haushaltsjahres 2021 verstößt gegen das
Gebot der Vorherigkeit aus Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG.
1. Der Haushaltsplan ist aufgrund des Gebots der Vorherigkeit
gemäß Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich vor Beginn des
Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz festzustellen.
a) Das Gebot der Vorherigkeit dient der wirksamen
Ausgestaltung des parlamentarischen Budgetrechts. Dieser
Grundsatz zielt auf die Sicherung der Budgethoheit des
Parlaments in zeitlicher Hinsicht und will insbesondere die
Leitungsfunktion des Haushalts für das gesamte Haushaltsjahr
gewährleisten. Alle am Gesetzgebungsverfahren beteiligten
Verfassungsorgane sind gehalten, an der Erfüllung des
Vorherigkeitsgebots mitzuwirken. Dies gilt auch für die
Bundesregierung, der das alleinige Initiativrecht zur
Einbringung eines (Nachtrags-)Haushaltsgesetzes zusteht.
b) Das Gebot der Vorherigkeit gilt grundsätzlich auch bei der
Aufstellung von Nachtragshaushalten. Im Hinblick auf den
Schutzzweck des Vorherigkeitsgebots, das auf die
Gewährleistung der Lenkungs- und Kontrollfunktionen des
Haushaltsgesetzes und damit auf die Wirksamkeit der
Budgethoheit des Parlaments zielt, ist eine entsprechende
Anwendung auf die Einbringung eines Nachtragshaushalts
geboten. Das Vorherigkeitsgebot wird dann zu einem
Verfassungsgebot rechtzeitiger, nicht willkürlich verzögerter
Korrektur oder Anpassung ursprünglich oder nachträglich
realitätsfremder Haushaltsansätze.
c) Im vorliegenden Fall geht es darum, dass ein
Nachtragshaushaltsgesetz für das Jahr 2021 überhaupt erst
nach Ablauf des Haushaltsjahres 2021 beschlossen wurde.
aa) Aus § 33 Satz 2 Bundeshaushaltsordnung folgt, dass ein
Nachtragsentwurf bis zum Ende des Haushaltsjahres
einzubringen ist. In der Literatur besteht jedoch die
einhellige Meinung, diese Vorschrift verfassungskonform
dahingehend auszulegen, dass ein Nachtragsentwurf bis zum
Jahresende parlamentarisch zu beschließen ist, weil er
anderenfalls nichtig wäre.
bb) Für diese Auffassung spricht, dass ein Nachtragshaushalt
die ursprüngliche Planung den neuen oder geänderten
Bedürfnissen anpassen soll und aus diesem Grunde selbst planenden
Charakter für den Rest des laufenden
Haushaltsjahres haben muss. Dieser Planungscharakter entfällt
bei der Verabschiedung eines Nachtragshaushalts erst nach
Ablauf des Haushaltsjahres. Der Haushaltsvollzug ist dann
abgeschlossen und kann nicht mehr beeinflusst werden. Die
parlamentarische Beschlussfassung über einen Nachtragsentwurf
nach Abschluss eines Haushaltsjahres widerspricht damit der
Funktion eines Haushaltsplans als Planungsinstrument.
cc) Während Verstöße gegen das Vorherigkeitsgebot beim Erlass
des Stammhaushalts mit Blick auf die Systematik von Art. 111
GG sanktionslos bleiben, kann dies nicht auf einen
verspäteten Nachtragshaushalt übertragen werden. Art. 111 GG
erlaubt der Bundesregierung für eine etatlose Zeit eine
vorläufige Haushalts- und Wirtschaftsführung über die
Einräumung gewisser Nothaushaltskompetenzen. Für den Fall
eines verspäteten Nachtragshaushaltes gibt es jedoch keine
dem Art. 111 GG entsprechende Vorschrift.
2. An diesen Maßstäben gemessen ist das Zweite
Nachtragshaushaltsgesetz 2021 mit Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG
unvereinbar.
a) Die Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes
für das Jahr 2021 nach Ablauf des Haushaltsjahres 2021
widerspricht dem Haushaltsgrundsatz der Vorherigkeit.
Dass die rückwirkende Änderung des Haushaltsgesetzes 2021
durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz die Funktion eines
Haushaltsgesetzes als Planungsinstrument verfehlt, ergibt
sich insbesondere aus der Gesetzesbegründung. Dort weist die
Bundesregierung darauf hin, dass staatliche Maßnahmen zur
Pandemiebekämpfung für das Haushaltsjahr 2021 nicht mehr
umsetzbar seien.
b) Unabhängig von der Frage, ob eine Rechtfertigung dieses
Verstoßes überhaupt in Betracht kommt, sind Gründe hierfür
weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dem Gesetzentwurf
sind keine Ausführungen hierzu zu entnehmen.
III. Die Unvereinbarkeit von Art. 1 und Art. 2 des Zweiten
Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 mit dem Grundgesetz führt zur
Nichtigkeit des Gesetzes.
Corona-Sonderzahlung für Beamte im
Sabbat-Modell Münster, 15. November 2023 -
Beamten in Teilzeit im Blockmodell ("Sabbat-Modell"), die am
Stichtag 29.11.2021 während der sogenannten Ansparphase ihren
Dienst mit regelmäßiger Arbeitszeit erbracht haben, steht die
Corona-Sonderzahlung in ungeminderter Höhe zu. Das hat das
Oberverwaltungsgericht am 31.10.2023 nach mündlicher
Verhandlung entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil
des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen bestätigt.
Die Klägerin aus Herne ist beamtete Grundschullehrerin. Ihr
wurde ab dem 01.08.2021 über einen Zeitraum von sieben Jahren
Teilzeitbeschäftigung im Blockmodell bewilligt. Danach
arbeitet sie während der fünfjährigen Ansparphase im Umfang
der regelmäßigen Arbeitszeit (28 Stunden pro Woche), erhält
aber nur die Besoldung eines Beamten in Teilzeit mit 20
Stunden pro Woche und wird anschließend für zwei Jahre bei
unveränderter Teilzeitbesoldung vom Dienst befreit.
Auf der Grundlage des
Corona-Sonderzahlungsgesetzes erhielt die Klägerin im März
2022 einmalig 928,59 Euro ausgezahlt. Das Landesamt für
Besoldung und Versorgung (LBV) lehnte ihren Antrag ab, ihr
die Corona-Sonderzahlung in voller Höhe von 1.300,- Euro zu
gewähren und daher 371,41 Euro nachzuzahlen. Es verwies
darauf, dass sich die Klägerin am Stichtag des 29.11.2021 in
Teilzeit befunden und sich die Corona-Sonderzahlung deswegen
vermindert habe.
Der dagegen gerichteten Klage gab das
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen statt. Die Berufung des
beklagten Landes blieb erfolglos. Zur Begründung seines
Urteils hat der 3. Senat im Wesentlichen ausgeführt: Die der
Klägerin zu gewährende Corona-Sonderzahlung ist nicht wegen
ihrer zum maßgeblichen Stichtag (29.11.2021) bereits
begonnenen Teilzeit vermindert. Teilzeit im Blockmodell ist
nicht als „Teilzeit“ im Sinne des
Corona-Sonderzahlungsgesetzes zu verstehen, für die eine
Minderung der Sonderzahlung in entsprechender Anwendung der
teilzeitbedingten Besoldungskürzung geregelt ist.
Gesetz sind sowohl der Anspruch auf die
Corona-Sonderzahlung dem Grunde nach als auch dessen Höhe von
den Verhältnissen am maßgeblichen gesetzlichen Stichtag
abhängig. Diese stichtagsbezogene Ausgestaltung der
Sonderzahlung passt mit der Ermäßigung der Arbeitszeit im
Blockmodell, die sich über einen mehrjährigen Zeitraum
verteilt, nicht überein. Mithin ist für die Gewährung der
Sonderzahlung in voller Höhe entscheidend, dass die Klägerin
zum maßgeblichen Stichtag ihren Dienst mit regulärem
Beschäftigungsumfang verrichtet hat.
Eine solche
Gesetzesauslegung trägt dem mit der Sonderzahlung verfolgten
Sinn und Zweck Rechnung. Diese einmalige Zuwendung sollte
durch die COVID-19-Pandemie bedingte außergewöhnliche
(Arbeits-)Belastungen ausgleichen sowie die besondere
Einsatzbereitschaft der Anspruchsberechtigten würdigen. Auf
die Besoldungskürzung bei Teilzeitbeschäftigung hebt das
CoronaSonderzahlungsgesetz für die Minderung der
Anspruchshöhe auch nicht im Sinne einer strikt einzuhaltenden
Maßgabe ab. Es verweist in diesem Zusammenhang lediglich auf
eine „entsprechende“ Anwendung des Besoldungsrechts.
Jedenfalls aber ist - wie vom
Verwaltungsgericht angenommen - die im
CoronaSonderzahlungsgesetz geregelte Minderung in Fällen der
Teilzeitbeschäftigung für Anspruchsberechtigte im Blockmodell
teleologisch zu reduzieren. Teilzeitbeschäftigte Beamte wie
die Klägerin, die in der Ansparphase zum maßgeblichen
Stichtag mit der vollen Wochenstundenzahl gearbeitet haben,
waren nach der Wertung des Gesetzgebers durch die Folgen der
COVID-19-Pandemie in ungleich höherem Maße betroffen als
Beamte mit ermäßigter Arbeitszeit.
Maßgeblicher
Gradmesser für die pandemiebedingte Betroffenheit, um deren
Ausgleich es geht, ist nach dem Willen des Gesetzgebers die
geleistete Arbeitszeit unter "Corona-Bedingungen" zum
Stichtag. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision nicht
zugelassen. Dagegen kann Nichtzulassungsbeschwerde erhoben
werden, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.
Aktenzeichen: 3 A 295/23 (I. Instanz: VG Gelsenkirchen - 1 K
2557/22 -
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde
wegen überhöhter Belastungsgrenze für Zuzahlungen zu
Krankenkassenleistungen
Karlsruhe, 3.
November 2023 - Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die
3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts
einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die sich gegen eine
sozialgerichtliche Entscheidung über die Höhe der
Belastungsgrenze für Zuzahlungen zu Leistungen der
gesetzlichen Krankenversicherung richtet. Die Sache wird an
das Sozialgericht zurückverwiesen. Gesetzlich
Krankenversicherte müssen zu bestimmten
Krankenkassenleistungen Zuzahlungen erbringen.
Diese Zuzahlungen sind begrenzt durch eine
Belastungsgrenze von regelmäßig 2 % des jährlichen
Bruttoeinkommens. Für Bezieher bestimmter Sozialleistungen
wird die Belastungsgrenze nach der Regelbedarfsstufe 1 des
SGB XII bestimmt, sodass ihnen geringere Zuzahlungen
zugemutet werden. Die gesetzlich versicherte
Beschwerdeführerin lebt in einem Pflegeheim. Mit Ausnahme
eines Betrags von 143,92 Euro setzte sie ihre gesamte
Altersrente für den Eigenanteil an den Heimkosten ein.
Auf Antrag der Beschwerdeführerin setzte ihre
Krankenkasse die Belastungsgrenze für Zuzahlungen von
132,04 Euro für das Jahr 2022 fest, wobei sie ihre, im
Vergleich mit der Regelbedarfsstufe 1 höheren Renteneinkünfte
heranzog. Die hiergegen von der Beschwerdeführerin erhobene
Klage wies das Sozialgericht zurück. Zur Begründung führte es
aus, § 62 Abs. 2 Satz 5 SGB V, wonach die Belastungsgrenze
anhand der Regelbedarfsstufe 1 zu ermitteln ist, sei nicht
anwendbar.
Erforderlich wäre eine Kostenübernahme
für Unterkunft und Verpflegung gemäß des 3. Kapitels des
SGB XII. Dies sei nicht der Fall. Der angegriffene
Gerichtsbescheid des Sozialgerichts verletzt Art. 3 Abs. 1 GG
in seiner Ausprägung als Willkürverbot. Die Annahme des
Sozialgerichts, eine Kostenübernahme für die Unterbringung in
einem Heim im Sinne des § 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 2 SGB V setze
die Kostenübernahme für Unterkunft und Verpflegung voraus,
die nach dem 3. Kapitel des SGB XII erfolge, entbehrt jeder
nachvollziehbaren Grundlage.
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Oktober 2023 |
Sondernutzungsgebühren für Abstellen von
E-Scootern zulässig, pauschale Jahresgebühr aber rechtswidrig
Münster, 26. Oktober 2023 - Für das Abstellen von
E-Scootern im öffentlichen Straßenraum im sogenannten
Free-Floating-System darf die Stadt Köln von den Betreibern
Sondernutzungsgebühren erheben. Die pauschale Festsetzung
einer Jahresgebühr für E-Scooter bei einer nur fünfmonatigen
Nutzung ist hingegen rechtswidrig. Das hat das
Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 26.10.2023 im
Hauptsacheverfahren entschieden und damit seinen Eilbeschluss
vom 11.05.2023 bestätigt.>
Die Firma TIER hatte unter dem
27.07.2022 für die Zeit bis zum 31.12.2022 bei der Stadt Köln
einen Antrag auf Nutzung des öffentlichen Straßenraums für
den Betrieb von E-Scootern im Rahmen eines Verleihsystems
gestellt. Daraufhin setzte die Stadt Sondernutzungsgebühren
für 3.600 Fahrzeuge von insgesamt 383.000,- Euro fest. Sie
stützte sich dabei auf ihre Sondernutzungssatzung, die die
Festsetzung einer Jahresgebühr unabhängig von der Dauer der
Nutzung vorgibt. Das Verwaltungsgericht Köln hat die dagegen
erhobene Klage abgewiesen und wegen grundsätzlicher Bedeutung
die Berufung zum Oberverwaltungsgericht zugelassen.
Die Berufung der Firma TIER hatte nun beim
Oberverwaltungsgericht Erfolg. Zur Begründung seines
Beschlusses hat der 11. Senat des Oberverwaltungsgerichts
ausgeführt: Für das Abstellen von E-Scootern im öffentlichen
Straßenraum in der von der Firma TIER praktizierten Weise
dürfen Sondernutzungsgebühren erhoben werden. Es handelt sich
um eine Sondernutzung, nicht um Gemeingebrauch der Straße,
weil das Abstellen nicht vorwiegend der späteren
Wiederinbetriebnahme der E-Scooter und damit Verkehrszwecken
dient.
Im Vordergrund steht vielmehr der
verkehrsfremde Zweck, den Abschluss eines Mietvertrags zu
bewirken. Das Abstellen oder Parken von E-Scootern ist
rechtlich genauso zu beurteilen wie der Senat das bereits im
November 2020 für Mietfahrräder entschieden hat. Die
Satzungsregelung und der betreffend E-Scooter geregelte
Gebührentarif der Stadt Köln, die auch für eine unterjährige
Sondernutzung - wie hier für einen Zeitraum von fünf Monaten
- die Festsetzung der Jahresgebühr vorsehen, sind allerdings
nichtig.
Die danach grundsätzlich pauschale
Festsetzung der Jahresgebühr unabhängig von der Nutzungsdauer
innerhalb eines Jahres verstößt gegen das Äquivalenzprinzip,
der gebührenrechtlichen Ausprägung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Mit diesem Prinzip ist es
nicht vereinbar, wenn eine Sondernutzungsgebühr, mit der die
für ein ganzes Jahr mit der Sondernutzung verbundenen
Beeinträchtigungen und die gleichzeitig verfolgten
wirtschaftlichen Interessen abgegolten werden, der Höhe nach
identisch ist mit der Gebühr, die bei ansonsten unverändertem
Nutzungsumfang für eine nur den Bruchteil eines Jahres
erfolgende Nutzung erhoben wird.
Der Senat hat
die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann Beschwerde
eingelegt werden, über die das Bundesverwaltungsgericht
entscheidet. Aktenzeichen: 11 A 339/23 (I. Instanz: VG Köln
21 K 4974/23)
Herbst: Wer muss
Bürgersteig vom Laub freihalten? Coburg, 26.
Oktober 2023 - Reinigungspflicht kann übertragen werden Wer
haftet bei Unfällen Coburg, 26.10.2022 Viele genießen den
goldenen Herbst, wenn das Laub sich langsam verfärbt. Mit
sinkenden Temperaturen verlieren Bäume aber auch ihre
Blätter, Niederschläge nehmen zu. Beides zusammen verwandelt
Bürgersteige in Rutschbahnen. Ohne Räumen ist ein Unfall
schnell passiert.
Wer zum Besen greifen muss,
regeln die meisten Kommunen in ihren Satzungen. Hier
schreiben sie fest, ob und in welchem Umfang sich
Hauseigentümer um die Reinigung der Bürgersteige kümmern
müssen. Wer sich der Reinigungspflicht dauerhaft entzieht,
begeht eine Ordnungswidrigkeit. Den Eigentümern eines
Mietshauses steht es offen, die Reinigungspflicht über den
Mietvertrag an die Mieter weiterzugeben.
Gefährlich: Nasses Herbstlaub kann Bürgersteige schnell in
rutschige Flächen verwandeln. Räumen ist deshalb für
Hauseigentümer oder Mieter in vielen Kommunen Pflicht. Foto:
HUK-COBURG
Ereignet sich ein Unfall, hat der
nicht nur eine strafrechtliche Seite. Hier geht es, wie die
HUK-COBURG mitteilt, auch um persönliche Haftung. Bricht sich
ein Passant beispielsweise das Bein, weil vergessen wurde,
die Blätter wegzufegen, muss der Verantwortliche für den
Schaden aufkommen. Ohne Haftpflichtversicherung kann das
teuer werden: Im geschilderten Fall können dem Geschädigten
Schmerzensgeld und falls er arbeitet auch eine Entschädigung
für seinen Verdienstausfall zustehen. Bleiben nach einem
Unfall dauerhafte Schäden zurück, können sogar lebenslange
Rentenzahlungen fällig werden.
Ob und in welchem
Umfang ein säumiger Laubräumer haftet, hängt allen Regeln zum
Trotz oft von den speziellen Umständen des Einzelfalls ab.
Sollte der Geschädigte den Rechtsweg beschreiten, steht die
Haftpflichtversicherung ihrem Kunden zur Seite.
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September 2023 |
NRW-Gerichte verurteilten im Jahr
2022 rund 137 000 Personen
September 2023 - 136 940 Personen sind im Jahr 2022
von den Gerichten in Nordrhein-Westfalen rechtskräftig
verurteilt worden. Das waren 0,3 Prozent mehr als ein Jahr
zuvor (2021: 136 595). Wie das Statistische Landesamt
mitteilt, erfolgten die meisten der Verurteilungen aufgrund
von sogenannten anderen Vermögens- und Eigentums- oder
Urkundendelikten (33 945) und wegen Straftaten im
Straßenverkehr (33 194).
Während die Zahl der
Verurteilungen in der erstgenannten Deliktsgruppe um
3,8 Prozent niedriger ausfiel als ein Jahr zuvor (damals:
35 282), war bei den Straftaten im Straßenverkehr ein Zuwachs
von 5,8 Prozent gegenüber 2021 (damals: 31 365) zu
verzeichnen. In der Hauptdeliktsgruppe ANDERE VERMÖGENS- UND
EIGENTUMSDELIKTE, URKUNDENDELIKTE gab es mit 14 554 die
meisten Verurteilungen wegen Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB).
Weitere 7 215 Personen wurden aufgrund des
Erschleichens von Leistungen (§ 265a StGB) verurteilt;
Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) führte in 4 689 Fällen
zu einer Strafe. Während die Verurteilungen wegen Betrugs
(−2,4 Prozent) und des Erschleichens von Leistungen
(−22,3 Prozent) im Vergleich zu 2021 zurückgingen, gab es
beim Straftatbestand Urkundenfälschung einen Anstieg um
33,2 Prozent. Das Führen eines Kraftfahrzeuges ohne
Fahrerlaubnis oder trotz Fahrverbots (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG)
war die häufigste Straftat in der Hauptdeliktsgruppe
STRAFTATEN IM STRASSENVERKEHR.
Im Jahr 2022 gab
es hier mit 11 387 Verurteilungen 1,3 Prozent weniger als ein
Jahr zuvor. Weitere 9 217 Personen wurden 2022 wegen
Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) verurteilt. Das waren
19,8 Prozent mehr als 2021. Fahrerflucht (unerlaubtes
Entfernen vom Unfallort, § 142 StGB) führte in 6 110 Fällen
zu einer Verurteilung (+3,1 Prozent gegenüber 2021).
Während in der Hauptdeliktsgruppe ANDERE STRAFTATEN GEGEN
DIE PERSON, AUSSER IM STRASSENVERKEHR (z. B.
Körperverletzung) die Verurteilungen gegenüber 2021 um
3,0 Prozent auf 19 238 stiegen, wurden im Jahr 2022 weniger
Personen aufgrund von STRAFTATEN NACH ANDEREN BUNDES- UND
LANDESGESETZEN (22 285; −0,2 Prozent; z. B. Straftaten nach
dem Betäubungsmittelgesetz) und wegen DIEBSTAHL UND
UNTERSCHLAGUNG (18 650; −3,1 Prozent) verurteilt.
Die Zahl der Verurteilungen wegen RAUB, ERPRESSUNG UND
RÄUBERISCHEN ANGRIFFEN AUF KRAFTFAHRER verringerte sich um
10,1 Prozent auf 1 218 Fälle. In den Hauptdeliktsgruppen
GEMEINGEFÄHRLICHE EINSCHLIESSLICH UMWELTSTRAFTEN
(+8,6 Prozent; z. B. fahrlässige Brandstiftung) und
STRAFTATEN GEGEN DIE SEXUELLE SELBSTBESTIMMUNG (+5,3 Prozent)
gab es dagegen mehr Verurteilungen. Die absoluten Zahlen
fielen mit 390 bzw. 2 390 jedoch vergleichsweise niedrig aus.
(IT.NRW)
Keine erneute Eilentscheidung zur
Einstufung der AfD-Bundespartei als „Verdachtsfall“
Münster, 27. September 2023 - Das
Oberverwaltungsgericht hat heute den erneuten Eilantrag der
AfD-Bundespartei auf Untersagung der Einstufung als
„Verdachtsfall“ abgelehnt, weil das Verwaltungsgericht Köln
im März 2022 bereits rechtskräftig über einen identischen
Eilantrag entschieden hat. Damit darf die AfD bis zu einer
Entscheidung in dem beim Oberverwaltungsgericht anhängigen
Berufungsverfahren einstweilen weiterhin durch das Bundesamt
für Verfassungsschutz als Verdachtsfall nach dem
Bundesverfassungsschutzgesetz eingestuft werden.
Die antragstellende AfD hatte vor dem Verwaltungsgericht Köln
dagegen geklagt, vom Bundesamt für Verfassungsschutz als
Verdachtsfall eingestuft zu werden. Das Verwaltungsgericht
wies die Klage mit Urteil vom 08.03.2022 ab, da es
hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für
verfassungsfeindliche, d. h. gegen die freiheitliche
demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen der AfD
sah. Die dagegen eingelegte Berufung ist noch beim
Oberverwaltungsgericht anhängig. Einen zugleich mit der Klage
gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Unterlassungsanordnung lehnte das Verwaltungsgericht Köln mit
Beschluss vom 10.03.2022 ab.
Nachdem der
Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz bei der
Vorstellung des aktuellen Verfassungsschutzberichts im Juni
2023 sowie im Zusammenhang mit der Europawahlversammlung der
Antragstellerin im Juli und August 2023 verschiedene
Äußerungen zu dieser tätigte, beantragte die AfD beim
Oberverwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache - wegen des
hier anhängigen Berufungsverfahrens - die Unterlassung der
Einstufung und Bekanntgabe sowohl als Verdachtsfall als auch
als „gesichert extremistische Bestrebung“.
Betreffend die von der Antragstellerin befürchtete
„Hochstufung“ zur „gesichert extremistischen Bestrebung“ hat
sich das Oberverwaltungsgericht für unzuständig erklärt und
das Eilverfahren mit Beschluss vom 22.09.2023 an das
erstinstanzlich zuständige Verwaltungsgericht Köln verwiesen.
Den verbleibenden Eilantrag auf Unterlassung der
Einstufung und Bekanntgabe als Verdachtsfall hat das
Oberverwaltungsgericht heute abgelehnt. Zur Begründung seines
Eilbeschlusses hat der 5. Senat des Oberverwaltungsgerichts
ausgeführt: Der rechtskräftige Beschluss des
Verwaltungsgerichts Köln vom 10.03.2022 steht einer erneuten
gerichtlichen Nachprüfung der im Vergleich zum damaligen
Verfahren identischen Eilanträge entgegen.
Bei
den aktuellen Eilanträgen geht es nicht um die
Rechtswidrigkeit der konkreten Äußerungen des Präsidenten des
Bundesamts an sich, sondern allein um die Argumentation der
Antragstellerin, ihre Einstufung als Verdachtsfall sei
rechtswidrig und müsse bis zur Rechtskraft einer
Hauptsachenentscheidung vorläufig untersagt werden. Eine
solche vorübergehende Regelung hat das Verwaltungsgericht
jedoch mit Bindungswirkung auch für die neuen Eilanträge
bereits im Frühjahr 2022 abgelehnt. Die von der
Antragstellerin nunmehr vorgebrachten Umstände im
Zusammenhang mit den Äußerungen des Präsidenten des
Bundesamts stellen keine entscheidungserhebliche Änderung der
Sach- oder Rechtslage gegenüber der früheren Eilentscheidung
dar.
Bis zu der mündlichen Verhandlung über die
anhängigen Berufungsverfahren darf die Antragstellerin damit
durch das Bundesamt für Verfassungsschutz weiter als
Verdachtsfall eingestuft und dies entsprechend bekannt
gegeben werden. Der Beschluss ist unanfechtbar. Aktenzeichen:
5 B 757/23
Wann in den drei Berufungsverfahren
der AfD gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch
das Bundesamt für Verfassungsschutz, eine mündliche
Verhandlung stattfindet, steht noch nicht fest. Anhängig sind
beim Oberverwaltungsgericht die Berufungsverfahren 5 A
1218/22 (Einstufung der AfD als Verdachtsfall), 5 A 1216/22
(Einstufung des sogenannten „Flügels“ als Verdachtsfall und
als „gesichert extremistische Bestrebung“) sowie 5 A 1217/22
(Einstufung der „Jungen Alternative“ als Verdachtsfall).
Zusatzversorgung der Angestellten und
Arbeiter im öffentlichen Dienst: Bundesgerichtshof bestätigt
Wirksamkeit der im März 2018 erneut geänderten
Startgutschriftenregelung der Versorgungsanstalt des Bundes
und der Länder (VBL) für rentenferne Versicherte
Karlsruhe, 20. September 2023 - Der unter anderem für das
Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat mit heute verkündetem Urteil die
Wirksamkeit der im März 2018 erneut geänderten
Startgutschriftenregelung für rentenferne Versicherte der
Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) bestätigt.
Hintergrund: Die VBL hat die Aufgabe,
Angestellten und Arbeitern der an ihr beteiligten Arbeitgeber
des öffentlichen Dienstes im Wege privatrechtlicher
Versicherung eine zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und
Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Mit Neufassung ihrer
Satzung (VBLS) vom 22. November 2002 stellte die VBL ihr
Zusatzversorgungssystem rückwirkend zum 31. Dezember 2001
(Umstellungsstichtag) von einem an der Beamtenversorgung
orientierten Gesamtversorgungssystem auf ein auf dem
Punktemodell beruhendes, beitragsorientiertes
Betriebsrentensystem um.
Die neugefasste Satzung
enthält - auf der Grundlage entsprechender tarifvertraglicher
Vereinbarungen - Übergangsregelungen zum Erhalt von bis zur
Systemumstellung erworbenen Rentenanwartschaften. Diese
werden als so genannte Startgutschriften den
Versorgungskonten der Versicherten gutgeschrieben. Dabei
werden Versicherte, deren Versorgungsfall zum
Umstellungsstichtag noch nicht eingetreten war, in rentennahe
und rentenferne Versicherte unterschieden. Grundsätzlich ist
rentenfern, wer am 1. Januar 2002 das 55. Lebensjahr noch
nicht vollendet hatte. Das betraf zum Umstellungsstichtag ca.
1,7 Mio. Versicherte.
Die Startgutschrift
rentenferner Versicherter nach § 79 Abs. 1 VBLS i.V.m. § 18
Abs. 2 BetrAVG wird - vereinfacht dargestellt - in zwei
Rechenschritten ermittelt: In einem ersten Rechenschritt wird
die so genannte Voll-Leistung berechnet, die die vom
Versicherten bei der VBL maximal erzielbare, fiktive
Vollrente beschreibt. Dazu wird von der dem Versicherten zum
Umstellungsstichtag fiktiv zustehenden Gesamtversorgung, der
so genannten Höchstversorgung, dessen voraussichtliche
Grundversorgung, d.h. seine gesetzliche Rente, in Abzug
gebracht.
In einem zweiten Schritt wird
rentenfernen Versicherten als Startgutschrift zunächst für
jedes Jahr ihrer Pflichtversicherung in der Zusatzversorgung
des öffentlichen Dienstes anteilig ein Prozentsatz (sog.
Anteilssatz) dieser Voll-Leistung gutgeschrieben. Der
Anteilssatz betrug zunächst 2,25 %. Diese Übergangsregelung
erklärte der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit Urteil
vom 14. November 2007 (IV ZR 74/06) wegen eines Verstoßes
gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG
für unverbindlich und beanstandete insbesondere eine
gleichheitswidrige Benachteiligung von Versicherten mit
langen Ausbildungszeiten (dazu Pressemitteilung 173/2007).
Daraufhin ergänzten die Tarifvertragsparteien und
ihnen folgend die VBL die Startgutschriftenregelung um eine
Vergleichsberechnung in § 79 Abs. 1a VBLS, die unter näher
geregelten Voraussetzungen zu einer Erhöhung der bisherigen
Startgutschriften rentenferner Versicherte führen konnte. Mit
Urteil vom 9. März 2016 (IV ZR 9/15) entschied der IV.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, dass die solcherart
geänderte Übergangsregelung weiterhin zu einer gegen Art. 3
Abs. 1 GG verstoßenden Ungleichbehandlung führe und deshalb
ebenfalls unverbindlich sei (dazu Pressemitteilung 53/2016).
Mit Änderungstarifvertrag von Juni 2017 einigten
sich die Tarifvertragsparteien darauf, im Rahmen der
Ermittlung der Startgutschrift den bisherigen Anteilssatz von
2,25 % durch einen variablen Anteilssatz zu ersetzen. Dieser
beträgt, in Abhängigkeit von den Pflichtversicherungszeiten,
die der jeweilige Versicherte bis zum Eintritt des 65.
Lebensjahrs erreichen kann, zwischen 2,25 % und 2,5 %. Die
VBL übernahm diese Neuregelung mit Wirkung zum März 2018 in §
79 Abs. 1 Satz 3 bis 8 ihrer Satzung.
Sachverhalt
und bisheriger Prozessverlauf Die hiesige Klägerin ist
rentenferne Versicherte bei der beklagten VBL und bezieht von
dieser seit August 2014 eine Versorgungsrente. Sie hält auch
die nochmals geänderte Übergangsregelung für unwirksam und
erstrebt eine nach dem vor der Systemumstellung geltenden
Satzungsrecht ermittelte Rente, hilfsweise eine abweichende
Berechnung ihrer Startgutschrift unter Berücksichtigung
verschiedener ihr günstiger Berechnungsgrundlagen und äußerst
hilfsweise die Feststellung der Unverbindlichkeit der
ermittelten Startgutschrift.
Ihre Klage ist in
beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht
hat die nunmehrige Übergangsregelung für wirksam gehalten und
insbesondere einen Verstoß der Startgutschriftenregelung
gegen Art. 3 Abs. 1 GG sowie eine Diskriminierung
rentenferner Versicherter wegen ihres Lebensalters und ihres
Geschlechts verneint.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs Der
IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in einer
Grundsatzentscheidung vom heutigen Tag die Revision der
Klägerin gegen das Berufungsurteil zurückgewiesen. Das
Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass die
für rentenferne Versicherte getroffene Übergangsregelung
wirksam ist. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine
anderweitige Berechnung ihrer Startgutschrift. Es begegnet
keinen rechtlichen Bedenken, dass bei der Ermittlung der
Startgutschrift für die Berechnung der Voll-Leistung die von
der Höchstversorgung in Abzug zu bringende voraussichtliche
gesetzliche Rente des Versicherten nicht individualisiert,
sondern nach dem bei der Berechnung von
Pensionsrückstellungen allgemein zulässigen Verfahren (dem so
genannten Näherungsverfahren) zu ermitteln ist.
Die Anwendung des Näherungsverfahrens verstößt namentlich
nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Zwar kann sich
die Anwendung des Näherungsverfahrens im Vergleich zu einer
individualisierten Berechnung der fiktiven gesetzlichen Rente
ungünstig auswirken. Die mit dieser Ungleichbehandlung im
Einzelfall verbundenen Härten und Ungerechtigkeiten sind aber
hinzunehmen. Insbesondere bei der Ordnung von
Massenerscheinungen und der Regelung hochkomplizierter
Materien, wie der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst,
können typisierende und generalisierende Regelungen zulässig
sein.
Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht
davon ausgegangen, dass die ausschließliche Anwendung des
Näherungsverfahrens die verfassungsmäßigen Grenzen einer
zulässigen Typisierung und Standardisierung einhält. Die
Anwendung des Näherungsverfahrens bewirkt ferner keine
unzulässige Benachteiligung wegen des Geschlechts.
Insbesondere liegt keine unzulässige Benachteiligung
weiblicher rentenferner Versicherter vor.
Die
Feststellungen des Berufungsgerichts zeigen, dass sich die
Anwendung des Näherungsverfahrens nicht auf einen signifikant
höheren Anteil der weiblichen Versicherten ungünstig
auswirkt. Infolge von Lücken in der Erwerbsbiografie, etwa
aufgrund von Kinderbetreuungszeiten, benachteiligte weibliche
(und männliche) Versicherte werden zudem dadurch begünstigt,
dass bei der Berechnung der Gesamtversorgung zu ihren Gunsten
ebenfalls eine lückenlose Erwerbsbiografie unterstellt wird.
Aus Rechtsgründen ist ebenfalls nicht zu
beanstanden, dass der Startgutschriftenermittlung nunmehr ein
gleitender Anteilssatz von 2,25 % bis 2,5 % für jedes Jahr
der Pflichtversicherung zugrunde liegt. Durch die Einführung
des gleitenden Anteilssatzes können bei einem angenommenen
Renteneintritt mit 65 Lebensjahren nunmehr - anders als noch
nach der Vorgängerregelung - auch Versicherte mit einem
Diensteintrittsalter zwischen 20 Jahren und sieben Monaten
und 25 Jahren theoretisch eine Startgutschrift von 100 % der
Voll-Leistung und damit die höchstmögliche Versorgung
erreichen.
Damit entfällt insbesondere die
bisherige Benachteiligung von Versicherten mit längeren
Ausbildungszeiten, die nach einem Studium oder einer
Ausbildung außerhalb des öffentlichen Dienstes üblicherweise
bis zum 25. Lebensjahr in den öffentlichen Dienst eintreten.
Es verstößt weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz noch
bewirkt es eine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters,
dass Versicherten mit einem Eintrittsalter von mehr als 25
Jahren infolge der Deckelung des Anteilssatzes auf 2,5 %
weiterhin die höchstmögliche Versorgung auch theoretisch
nicht erreichen können.
In Anbetracht eines
typischen Erwerbslebens von mindestens 40 Jahren ist es nicht
zu beanstanden, dass Versicherte die höchstmögliche
Versorgung lediglich unter der Voraussetzung einer
erreichbaren Pflichtversicherungszeit von mindestens 40
Jahren erzielen können. Dies gilt auch, soweit diese
Versicherten keine Erhöhung der Startgutschrift nach § 79
Abs. 1a VBLS erhalten. Wie das Berufungsgericht zutreffend
ausgeführt hat, wird die Regelung in § 79 Abs. 1a VBLS
lediglich im Hinblick auf das schützenswerte Vertrauen
derjenigen Versicherten aufrechterhalten, denen nach der
bisherigen Vergleichsberechnung noch ein Zuschlag zusteht.
Der gleitende Anteilssatz bewirkt ferner keine
neue unzulässige Ungleichbehandlung wegen des Alters der vor
Vollendung des 25. Lebensjahres in den öffentlichen Dienst
eingetretenen Versicherten. Zwar fällt für diese Versicherten
der gleitende Anteilssatz - begrenzt auf mindestens 2,25 % -
desto kleiner aus, je jünger sie in den öffentlichen Dienst
eingetreten sind. Das bewirkt jedoch unter Berücksichtigung
des weiten Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien
keine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters, sondern
wahrt das der betrieblichen Altersversorgung im öffentlichen
Dienst zugrundeliegende Prinzip, die Betriebstreue des
Versicherten im öffentlichen Dienst zu honorieren.
Die Übergangsregelung für rentenferne Versicherte ist
schließlich auch unter dem Gesichtspunkt der
Verteilungsgerechtigkeit nicht zu beanstanden. Eine
einseitige Belastung bestimmter Versichertengruppen wie bei
der früheren Übergangsregelung liegt nicht mehr vor.
Vorinstanzen: Landgericht Karlsruhe - Urteil vom 29. Mai
2020 - 6 O 184/19 Oberlandesgericht Karlsruhe - Urteil vom
17. März 2022 - 12 U 106/20 Die maßgeblichen Vorschriften
lauten: § 79 VBLS: (1)
1Die Anwartschaften der am 31. Dezember
2001 schon und am 1. Januar 2002 noch Pflichtversicherten
berechnen sich nach § 18 Abs. 2 BetrAVG, soweit sich aus
Absatz 2 nichts anderes ergibt. …
3Bei Anwendung von
Satz 1 ist an Stelle des Faktors von 2,25 v. H. nach § 18
Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BetrAVG der Faktor zu berücksichtigen,
der sich ergibt, indem 100 v. H. durch die Zeit in Jahren vom
erstmaligen Beginn der Pflichtversicherung bis zum Ende des
Monats, in dem das 65. Lebensjahr vollendet wird, geteilt
werden.
4Die Zeit in Jahren wird aus der Summe der
(Teil-)Monate berechnet. 5Ein Teilmonat wird ermittelt, indem
die Pflichtversicherungszeit unabhängig von der tatsächlichen
Anzahl der Tage des betreffenden Monats durch 30 dividiert
wird.
6Die sich nach Satz 4 und 5 ergebenden
Werte werden jeweils auf zwei Nachkomma-stellen gemeinüblich
gerundet. 7Der sich nach Satz 3 durch die Division mit der
Zeit in Jahren ergebende Faktor wird auf vier
Nachkommastellen gemeinüblich gerundet. 8Der Faktor beträgt
jedoch mindestens 2,25 v. H. und höchstens 2,5 v. H. …
(1a) 1Bei Beschäftigten, deren
Anwartschaft nach Absatz 1 (rentenferne Jahrgänge) berechnet
wurde, wird auch ermittelt, welche Anwartschaft sich bei
einer Berechnung nach § 18 Abs. 2 BetrAVG unter
Berücksichtigung folgender Maßgaben ergeben würde: 1.
1Anstelle des Vomhundertsatzes nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1
BetrAVG wird ein Unverfallbarkeitsfaktor entsprechend § 2
Abs. 1 Satz 1 BetrAVG errechnet.
2Dieser wird ermittelt aus dem Verhältnis
der Pflichtversicherungszeit vom Beginn der
Pflichtversicherung bis zum 31. Dezember 2001 zu der Zeit vom
Beginn der Pflichtversicherung bis zum Ablauf des Monats, in
dem das 65. Lebensjahr vollendet wird. 3Der sich danach
ergebende Vomhundertsatz wird auf zwei Stellen nach dem Komma
gemeinüblich gerundet und um 7,5 Prozentpunkte vermindert. 2.
1Ist der nach Nummer 1 Satz 3 ermittelte Vomhundertsatz höher
als der ohne Anwendung des Absatzes 1 Satz 3 nach § 18 Abs. 2
Nr. 1 Satz 1 BetrAVG berechnete Vomhundertsatz, wird für die
Voll-Leistung nach § 18 Abs. 2 BetrAVG ein individueller
Brutto- und Nettoversorgungssatz nach § 41 Abs. 2 und 2b
d.S.a.F. ermittelt. …
… 2Ist die unter Berücksichtigung
der Maßgaben nach den Nummern 1 und 2 berechnete Anwartschaft
höher als die Anwartschaft nach Absatz 1, wird der
Unterschiedsbetrag zwischen diesen beiden Anwartschaften
ermittelt und als Zuschlag zur Anwartschaft nach Absatz 1
berücksichtigt. … § 18 Betriebsrentengesetz (BetrAVG) …
(2) Bei Eintritt des Versorgungsfalles vor dem 2. Januar
2002 erhalten die in Absatz 1 Nummer 1 und 2 bezeichneten
Personen, deren Anwartschaft nach § 1b fortbesteht und deren
Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalles geendet
hat, von der Zusatzversorgungseinrichtung aus der
Pflichtversicherung eine Zusatzrente nach folgenden Maßgaben:
1. 1Der monatliche Betrag der Zusatzrente beträgt für jedes
Jahr der aufgrund des Arbeitsverhältnisses bestehenden
Pflichtversicherung bei einer Zusatzversorgungseinrichtung
2,25 vom Hundert, höchstens jedoch 100 vom Hundert der
Leistung, die bei dem höchstmöglichen Versorgungssatz
zugestanden hätte (Voll-Leistung). …
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August 2023 |
OVG entscheidet zu Anforderungen
an die Aufbewahrung von Waffenschrankschlüsseln Schlüssel zu
einem Waffenschrank sind in einem Behältnis aufzubewahren,
das seinerseits den gesetzlichen Sicherheitsstandards an die
Aufbewahrung der im Waffenschrank befindlichen Waffen und
Munition entspricht.
Münster, 30. August 2023 - Das hat
heute das Oberverwaltungsgericht entschieden. Den Widerruf
der waffenrechtlichen Erlaubnisse wegen unzureichender
Aufbewahrung der Waffenschrankschlüssel im Einzelfall eines
Jägers aus Duisburg hat es allerdings für rechtswidrig
gehalten. Während einer einwöchigen Urlaubsabwesenheit wurde
in das Wohnhaus des Klägers in Duisburg eingebrochen. Die
Einbrecher entwendeten aus dem dortigen Waffenschrank, der
unversehrt geblieben ist, zwei Kurzwaffen und diverse
Munition.
Der Waffenschrank entsprach dem
gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsstandard für die
Aufbewahrung von Waffen und Munition. Die Schlüssel zu diesem
Schrank bewahrte der Kläger in derselben Wohnung in einem
etwa 40 kg schweren, dick- und doppelwandigen Stahltresor mit
Zahlenschoss auf. Dieser genügte allerdings nicht dem
gesetzlichen Sicherheitsstandard für die Aufbewahrung der im
Waffenschrank befindlichen Waffen und Munition. Daraufhin
widerrief das Polizeipräsidium Duisburg die waffenrechtlichen
Erlaubnisse des Klägers mit der Begründung, dieser habe
Waffen und Munition nicht sorgfältig verwahrt.
Die dagegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht
Düsseldorf ab. Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil
war erfolgreich. Zur Begründung seines Urteils hat der 20.
Senat im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für den
Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse des Klägers liegen
nicht vor.
Der Kläger ist nicht waffenrechtlich
unzuverlässig. Insbesondere liegen keine Tatsachen vor, die
die Annahme rechtfertigen, er werde Waffen oder Munition
nicht sorgfältig verwahren Allerdings hat der Kläger in der
Vergangenheit objektiv gegen die gesetzlichen Anforderungen
an eine sorgfältige Aufbewahrung von Waffen und Munition
verstoßen, indem er die Schlüssel zum Waffenschrank in einem
Tresor mit einem unzureichenden Sicherheitsstandard
aufbewahrt hat.
Denn die Schlüssel zu einem
Waffenschrank sind in einem Behältnis aufzubewahren, das
seinerseits den gesetzlichen Sicherheitsstandards an die
Aufbewahrung der im Waffenschrank befindlichen Waffen und
Munition entspricht. Dem genügte der Tresor des Klägers
nicht. Dieser objektive Sorgfaltsverstoß rechtfertigt eine
Unzuverlässigkeitsprognose jedoch ausnahmsweise nicht, weil
er dem Kläger in subjektiver Hinsicht nicht als im besonderen
Maße schwerwiegend vorzuwerfen ist.
Einem
juristischen Laien - wie dem Kläger - musste es sich nicht
aufdrängen, dass die Waffenschrankschlüssel demjenigen
gesetzlichen Sicherheitsstandard entsprechend aufzubewahren
sind, der für die Aufbewahrung der Waffen und Munition gilt.
Die Aufbewahrung von Waffen und Munition in Behältnissen, die
mittels Schlüssel zu verschließen sind, ist gesetzlich
zulässig. Konkretere gesetzliche Vorgaben, wie der Schlüssel
zu einem solchen Behältnis aufzubewahren ist, fehlen jedoch,
obwohl es lebensfremd ist, dass ein Waffenbesitzer stets die
tatsächliche Gewalt über die Schlüssel ausüben kann.
Ebenso wenig gibt es bis zum heute verkündeten Urteil des
Senats entsprechende Vorgaben der verwaltungsgerichtlichen
Rechtsprechung, an denen sich Waffenbesitzer orientieren
könnten und müssten. Der Kläger hat im Übrigen auch nicht
etwa einfachste Maßnahmen unterlassen, um eine Ansichnahme
der Waffenschrankschlüssel durch unbefugte Dritte zu
verhindern, sondern mit deren Aufbewahrung in dem in Rede
stehenden Stahltresor jedenfalls Vorkehrungen getroffen, die
geeignet gewesen sind, einen Zugriff durch unbefugte Dritte
zu verhindern, jedenfalls nicht unerheblich zu erschweren.
Nach alledem ist auch ein gröblicher Verstoß gegen
waffengesetzliche Bestimmungen nicht anzunehmen. Das
Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen das Urteil
nicht zugelassen. Dagegen kann Nichtzulassungsbeschwerde
erhoben werden, über die das Bundesverwaltungsgericht
entscheidet. Aktenzeichen: 20 A 2384/20 (I. Instanz: VG
Düsseldorf - 22 K 3002/19 -)
Keine Erlaubnis zur Einfuhr und
Abgabe eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung
Münster, 9. August 2023 - Das Bundesinstitut für Arzneimittel
und Medizinprodukte (BfArM) ist nicht verpflichtet, einem
Arzt vorläufig eine Erlaubnis unter anderem für die Einfuhr
von Natrium-Pentobarbital aus der Schweiz nach Deutschland
und die Abgabe dieses Betäubungsmittels an seine Patienten
zum Zweck der Selbsttötung zu erteilen. Dies hat das
Oberverwaltungsgericht mit heute bekannt gegebenem
Eilbeschluss vom 08.08.2023 entschieden und damit eine
Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln im Ergebnis
bestätigt.
Der Antragsteller ist Leiter des
Ärzteteams des Vereins Sterbehilfe in Hamburg. Er möchte
seinen Patienten, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen, das
Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital zu ihrer eigenen
Verfügung überlassen. Da das Mittel in Deutschland derzeit
nicht über Apotheken bezogen werden kann, will er es mit
Hilfe der Geschäftsstelle Zürich des Vereins aus der Schweiz
nach Deutschland einführen. Das Verwaltungsgericht Köln
lehnte den entsprechenden Eilantrag ab, die Beschwerde des
Arztes hatte beim Oberverwaltungsgericht keinen Erfolg.
Der 9. Senat hat zur Begründung ausgeführt: Der Erteilung
einer Erlaubnis an den Antragsteller zur Abgabe von
Natrium-Pentobarbital an seine Patienten steht der
Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 des
Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) entgegen. Ärzte sind nach der
Konzeption des Gesetzes nicht berechtigt, ihren Patienten
Betäubungsmittel abzugeben, d. h. ihnen Betäubungsmittel zur
freien Verfügung zu überlassen.
Der Verkehr mit
Betäubungsmitteln durch einen Arzt im Verhältnis zu seinen
Patienten ist in § 13 Abs. 1 BtMG geregelt. Hiernach darf der
Arzt Betäubungsmittel jedoch nur verschreiben, verabreichen
oder seinen Patienten zum unmittelbaren Verbrauch überlassen.
Allen drei Handlungsformen ist gemeinsam, dass der Patient
unmittelbar keine eigene Verfügungsgewalt über das
Betäubungsmittel erlangt. Zwar kann der Patient aufgrund
einer ärztlichen Verschreibung Betäubungsmittel zur freien
Verfügung erhalten.
Die Abgabe eines verschriebenen
Betäubungsmittels an die Patienten ist nach der
abschließenden gesetzlichen Regelung des § 13 Abs. 2 BtMG
jedoch zur Vermeidung eines Betäubungsmittelmissbrauchs
allein Apotheken vorbehalten. Der Beschluss ist
unanfechtbar. Aktenzeichen: 9 B 194/23 (I. Instanz: VG Köln 7
L 1410/22)
Gesetz über den Verkehr mit
Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz - BtMG) § 5
Versagung der Erlaubnis (1) Die Erlaubnis nach § 3 ist zu
versagen, wenn 6. die Art und der Zweck des beantragten
Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige
medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen,
daneben aber den Missbrauch von Betäubungsmitteln oder die
missbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie
das Entstehen oder Erhalten einer
Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich
auszuschließen, vereinbar ist. § 13 Verschreibung und Abgabe
auf Verschreibung (1)
Die in Anlage III bezeichneten
Betäubungsmittel dürfen nur von Ärzten, Zahnärzten und
Tierärzten und nur dann verschrieben oder im Rahmen einer
ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung
einschließlich der ärztlichen Behandlung einer
Betäubungsmittelabhängigkeit verabreicht oder einem anderen
zum unmittelbaren Verbrauch oder nach Absatz 1a Satz 1
überlassen werden, wenn ihre Anwendung am oder im
menschlichen oder tierischen Körper begründet ist. (…) (2)
Die nach Absatz 1 verschriebenen Betäubungsmittel dürfen nur
im Rahmen des Betriebs einer Apotheke und gegen Vorlage der
Verschreibung abgegeben werden. (...)
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Juli 2023
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Bundesgerichtshof zum
Differenzschaden in "Dieselverfahren"
Karlsruhe, 20. Juli 2023 - Urteil vom 20. Juli 2023 - III ZR
267/20 Der unter anderem für Schadensersatzansprüche aus
unerlaubten Handlungen, die den Vorwurf einer unzulässigen
Abschalteinrichtung bei einem Kraftfahrzeug mit Dieselmotor
zum Gegenstand haben, zuständige III. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat heute im Anschluss an die
Entscheidungen des VIa. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs
vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21, VIa ZR
1031/22;
Differenzschaden in "Dieselverfahren" nach
dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom
21. März 2023 (C-100/21, NJW 2023, 1111) entschieden.
Sachverhalt und bisheriger
Prozessverlauf: Die Klägerin erwarb im Oktober 2016 von einem
Autohaus einen gebrauchten Mercedes-Benz V 250 Edition lang,
der mit einem Motor der Baureihe OM 651 ausgerüstet ist. Die
EG-Typgenehmigung wurde für die Schadstoffklasse Euro 6
erteilt. Die Klägerin macht geltend, der Motor in ihrem
Fahrzeug sei mit zwei unzulässigen Abschalteinrichtungen
versehen, nämlich einem die Abgasrückführung steuernden
Thermofenster sowie einer Abschalteinrichtung, die sich aus
der Wirkungsweise des SCR-Katalysators ergebe.
Die
Klägerin verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, sie so
zu stellen, als habe sie den das Fahrzeug betreffenden
Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die
Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen
gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin
ihre Berufungsanträge im Wesentlichen weiter.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs Der III.
Zivilsenat hat auf die Revision der Klägerin das
Berufungsurteil mit Ausnahme eines auf die Zurückweisung von
Zinsansprüchen entfallenden Teils aufgehoben und die Sache
zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das
Berufungsgericht zurückverwiesen. Rechtsfehlerfrei hat das
Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin
gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB mit der Begründung
verneint, die Ausstattung und das Inverkehrbringen des
Fahrzeugs der Klägerin mit einer temperaturbeeinflussten
Steuerung der Abgasrückführung (Thermofenster) reiche nicht
aus, um von einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten
auszugehen.
Weitere Abschalteinrichtungen hat das
Berufungsgericht nicht festgestellt, ohne dass die Revision
hierzu eine durchgreifende Verfahrensrüge erhoben hat.
Hinsichtlich einer Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB
in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV hat sich der
III. Zivilsenat der Rechtsprechung des VIa. Zivilsenats
angeschlossen, nach der unter den dort normierten
Voraussetzungen dem Käufer eines mit einer unzulässigen
Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG)
Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs ein Anspruch gegen den
Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zusteht
(dazu Pressemitteilung Nr. 100/2023).
Danach konnte
das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Die Sache war
zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das
Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit das
Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus unerlaubter
Handlung weiter aufklärt. Vorinstanzen: Landgericht Halle -
Urteil vom 17. September 2019 - 4 O 44/19 Oberlandesgericht
Naumburg - Urteil vom 31. August 2020, berichtigt durch
Beschluss vom 5. Oktober 2020 - 12 U 161/19
Die
maßgeblichen Vorschriften lauten: Bürgerliches Gesetzbuch: §
826 Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung Wer in einer gegen
die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich
Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens
verpflichtet. § 823 Schadensersatzpflicht (1) Wer vorsätzlich
oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die
Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen
widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des
daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die
gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein
den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist
nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch
ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im
Falle des Verschuldens ein. Artikel 5 Abs. 1 und 2 der
Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von
Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten
Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) (1)
Der Hersteller rüstet das Fahrzeug so aus, dass die
Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich
beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind,
dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser
Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. (2)
Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von
Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies
ist nicht der Fall, wenn:
a)die Einrichtung notwendig ist, um
den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den
sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten;
b)die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des
Motors erforderlich ist; c)die Bedingungen in den Verfahren
zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der
durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen
enthalten sind. § 6 Abs. 1 Satz 1
EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung
(1) Für jedes dem
genehmigten Typ entsprechende Fahrzeug hat der Inhaber der
EG-Typgenehmigung eine Übereinstimmungsbescheinigung nach
Artikel 18 in Verbindung mit Anhang IX der Richtlinie
2007/46/EG auszustellen und dem Fahrzeug beizufügen. § 27
Abs. 1 Satz 1 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung
(1) Neue Fahrzeuge, selbstständige
technische Einheiten oder Bauteile, für die eine
Übereinstimmungsbescheinigung nach Anhang IX der Richtlinie
2007/46/EG, nach Anhang IV der Richtlinie 2002/24/EG oder
nach Anhang III der Richtlinie 2003/37/EG vorgeschrieben ist,
dürfen im Inland zur Verwendung im Straßenverkehr nur
feilgeboten, veräußert oder in den Verkehr gebracht werden,
wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung
versehen sind.
Bundesgerichtshof weist
Nichtzulassungsbeschwerde im Streit um die Wirksamkeit des
Kaufvertrags über das Wasserschloss Kalkum zurück
Beschluss vom 29. Juni 2023 – V ZR 155/22
Karlsruhe, 17. Juli 2023 - Der unter anderem für Ansprüche
aus Verträgen über Grundstücke zuständige V. Zivilsenat hat
die gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom
21. Juli 2022 (21 U 14/22) von dem Beklagten eingelegte
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision
zurückgewiesen.
Mit seiner Klage begehrt das Land
Nordrhein-Westfalen gegenüber dem Beklagten die Feststellung,
dass der notarielle Kaufvertrag zwischen den Parteien über
die Liegenschaft Schloss Kalkum nicht wirksam zustande
gekommen ist und der Beklagte als Käufer aus der notariellen
Kaufvertragsurkunde keine Rechte und Ansprüche geltend machen
kann.
Widerklagend erstrebt der Beklagte die
Genehmigung des notariellen Kaufvertrags durch das klagende
Land. Die Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg, während die
Widerklage erfolglos blieb. Das Oberlandesgericht hat die
Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Beklagte
mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
Die
Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache
hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die
Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543
Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung hat der
Senat - wie üblich - gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO
abgesehen.
Vorinstanzen: LG Düsseldorf – Urteil vom
14. Dezember 2021 – 7 O 60/20 OLG Düsseldorf – Urteil vom 21.
Juli 2022 – 21 U 14
Erfolgreicher Eilantrag gegen die
Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens zum
Gebäudeenergiegesetz Pressemitteilung
Karlsruhe, 5. Juli 2023 - Mit Beschluss vom heutigen Tage hat
der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts dem Deutschen
Bundestag aufgegeben, die zweite und dritte Lesung zum
Gesetzentwurf der Bundesregierung zur „Änderung des
Gebäudeenergiegesetzes und zur Änderung der Kehr- und
Überprüfungsordnung“ (im Folgenden: Gebäudeenergiegesetz)
nicht innerhalb der laufenden Sitzungswoche durchzuführen.
Der Antragsteller, ein Mitglied der CDU/CSU-Fraktion
im Deutschen Bundestag, sieht sich durch das
Gesetzgebungsverfahren in seinen Rechten als Mitglied des
Deutschen Bundestages verletzt. Sein Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung hat in der Sache Erfolg. Der
Hauptsacheantrag im Organstreitverfahren erscheint jedenfalls
mit Blick auf das Recht des Antragstellers auf
gleichberechtigte Teilhabe an der parlamentarischen
Willensbildung aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes
(GG) weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich
unbegründet.
Die demgemäß vom
Bundesverfassungsgericht vorzunehmende Folgenabwägung führt
zu dem Ergebnis, dass die für den Erlass einer einstweiligen
Anordnung sprechenden Gründe überwiegen. Unter den besonderen
Umständen des Einzelfalls überwiegt das Interesse an der
Vermeidung einer irreversiblen Verletzung der
Beteiligungsrechte des Antragstellers aus Art. 38 Abs. 1 Satz
2 GG gegenüber dem Eingriff in die Verfahrensautonomie des
Deutschen Bundestages, der die Umsetzung des
Gesetzgebungsverfahrens lediglich verzögert. Die Entscheidung
ist mit 5:2 Stimmen ergangen.
Bundesgerichtshof entscheidet
erneut in einem Dieselverfahren über die Unwirksamkeit der
formularmäßigen Abtretung von Ansprüchen des Käufers an die
Finanzierungsbank (hier: Unwirksamkeit der Abtretungsklausel
auch gegenüber Unternehmern)
Urteil, Karlsruhe, Juli 2023 – VIa ZR
155/23 Der vom Präsidium des Bundesgerichtshofs
vorübergehend als Hilfsspruchkörper eingerichtete VIa.
Zivilsenat (vgl. Pressemitteilung Nr. 141/2021 vom 22. Juli
2021) hat entschieden, dass die in den Allgemeinen
Geschäftsbedingungen einer Finanzierungsbank enthaltene
Klausel über die Sicherungsabtretung von Ansprüchen des
Käufers und Darlehensnehmers gegen den Hersteller eines
Dieselfahrzeugs Ansprüche auf Schadensersatz aus unerlaubter
Handlung erfasst und auch dann unwirksam ist, wenn der Käufer
nicht Verbraucher, sondern Unternehmer ist.
Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf Der Kläger nimmt
die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung
unzulässiger Abschalteinrichtungen in zwei Kraftfahrzeugen
auf Schadensersatz in Anspruch. Am 20. August 2018 und am 11.
März 2019 kaufte der Kläger unter seiner Firma von der
Beklagten jeweils einen Neuwagen. Die Fahrzeuge sind mit
Dieselmotoren der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse: EURO 6)
ausgestattet. Den Kaufpreis finanzierte der Kläger in beiden
Fällen mittels eines Darlehens bei einer Bank. Den
Darlehensverträgen lagen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen
der Bank für Unternehmer zugrunde.
Dort hieß es unter
anderem: "II. Sicherheiten Der Darlehensnehmer räumt der Bank
zur Sicherung aller gegenwärtigen und bis zur Rückzahlung des
Darlehens noch entstehenden sowie bedingten und befristeten
Ansprüche der Bank aus der Geschäftsverbindung einschließlich
einer etwaigen Rückabwicklung, gleich aus welchem
Rechtsgrund, Sicherheiten gemäß nachstehenden Ziffern 1 und 2
ein. […] […]
2. Abtretung von sonstigen Ansprüchen
Der Darlehensnehmer tritt ferner hiermit
folgende - gegenwärtige und zukünftige - Ansprüche an die
Bank ab, die diese Abtretung annimmt: - […] - […] - gegen den
Verkäufer für den Fall einer Rückgängigmachung des
finanzierten Vertrages oder Herabsetzung der Vergütung. -
gegen die […] [Beklagte], […], gleich aus welchem
Rechtsgrund. Ausgenommen von der Abtretung sind
Gewährleistungsansprüche aus Kaufvertrag des Darlehensnehmers
gegen die […] [Beklagte] oder einen Vertreter der […]
[Beklagten].
Der Darlehensnehmer hat der Bank auf
Anforderung jederzeit die Namen und Anschriften der
Drittschuldner mitzuteilen. […] 5. Rückgabe der
Sicherheiten Die Bank verpflichtet sich, nach Wegfall des
Sicherungszweckes (alle Zahlungen unanfechtbar erfolgt)
sämtliche Sicherungsrechte (Abschnitt II. Ziff. 1, 2)
zurückzuübertragen […]
Bestehen mehrere Sicherheiten,
hat die Bank auf Verlangen des Darlehensnehmers schon vorher
nach ihrer Wahl einzelne Sicherheiten oder Teile davon
freizugeben, falls deren realisierbarer Wert 120% der
gesicherten Ansprüche der Bank überschreitet. […]"
Der Kläger hat die Beklagte in erster Instanz in erster Linie
unter dem Gesichtspunkt des Rücktritts vom Kaufvertrag und in
zweiter Linie unter dem Gesichtspunkt einer deliktischen
Schädigung wegen des Inverkehrbringens der Fahrzeuge auf
Zahlung an sich, Freistellung von seinen
Darlehensverbindlichkeiten, Feststellung des Annahmeverzugs
und Erstattung vorgerichtlich verauslagter
Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen.
Das
Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht
hat die Berufung des Klägers, der zu dem ersten Termin zur
mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht
erschienen ist, durch Versäumnisurteil zurückgewiesen.
Dagegen hat der Kläger Einspruch eingelegt und den
Rechtsstreit nach Veräußerung der Fahrzeuge an einen Dritten
mit Ausnahme seiner Anträge auf Erstattung vorgerichtlicher
Rechtsanwaltskosten für erledigt erklärt.
Das
Berufungsgericht hat das Versäumnisurteil aufrechterhalten.
Mit seiner vom Berufungsgericht insoweit zugelassenen
Revision verfolgt der Kläger seine zuletzt gestellten Anträge
weiter, soweit er sie auf seine deliktische Schädigung durch
das Inverkehrbringen der Fahrzeuge stützt. Die Beklagte hat
sich im Verlauf des Revisionsverfahrens der
Teilerledigungserklärung des Klägers angeschlossen.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs Der
Bundesgerichtshof hat das Urteil des Berufungsgerichts zu den
noch rechtshängigen Anträgen auf Erstattung vorgerichtlicher
Rechtsanwaltskosten wegen zulasten des Klägers begangener
unerlaubter Handlungen aufgehoben und die Sache insoweit zur
neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
zurückverwiesen. Das Berufungsgericht hat zwar
rechtsfehlerfrei erkannt, bei den Sicherungsabtretungen von
Ansprüchen gegen die Beklagte "gleich aus welchem
Rechtsgrund" handele es sich um vorformulierte Allgemeine
Geschäftsbedingungen, die Bestandteil der Darlehensverträge
geworden seien.
Weiter im Ergebnis rechtsfehlerfrei
hat das Berufungsgericht die Klauseln als nach § 307 Abs. 3
Satz 1 BGB kontrollfähig erachtet. Nach § 307 Abs. 3 Satz 1
BGB sind Gegenstand der Inhaltskontrolle solche Bestimmungen
in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von
Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende
Regelungen vereinbart werden. Die Klauseln, die der
Bundesgerichtshof ohne Bindung an die Auslegung des
Berufungsgerichts selbst auslegen kann, sind so zu verstehen,
mit Ausnahme von Gewährleistungsansprüchen aus Kaufvertrag
erfassten sie sämtliche mit dem Erwerb des Fahrzeugs in
Zusammenhang stehende Ansprüche des Klägers gegen die
Beklagte.
Einbezogen sind auch Ansprüche aus
unerlaubter Handlung und Ansprüche nach dem
Produkthaftungsgesetz, die dem Kläger und Darlehensnehmer bei
der Verwendung der gekauften Fahrzeuge entstehen. Die
Klauseln erfassen damit in Abweichung von der gesetzlichen
Regelung auch Rentenansprüche aus § 843 BGB bzw. aus § 9
ProdHaftG, § 843 Abs. 2 bis 4 BGB im Falle einer aus der
Verwendung der Fahrzeuge entstehenden Körperverletzung oder
Gesundheitsbeschädigung.
Solche Ansprüche sind nach §
850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO bis zu einer anderslautenden
Entscheidung durch das Vollstreckungsgericht nicht pfändbar
und damit nach § 400 BGB nicht abtretbar. Das
Berufungsgericht hat aber unzutreffend angenommen, die
Abtretungsklauseln seien wirksam, so dass der Kläger nicht
aktivlegitimiert sei.
Das Berufungsgericht hat dabei
übersehen, dass die Klauseln einer Inhaltskontrolle nach §
307 Abs. 1 und 2 Nr. 1, §§ 134, 400 BGB, § 850b Abs. 1 Nr. 1
ZPO ohne Wertungsmöglichkeit nicht standhalten. Sie weichen
zulasten des Klägers von zwingenden Vorschriften ab.
Unerheblich ist, ob der Kläger als Unternehmer oder als
Verbraucher gehandelt hat. Die § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 400
BGB sind zwingendes Recht. § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist auch
auf Renten anwendbar, die Selbständigen gezahlt werden.
Insoweit ist der persönliche Schutzbereich weiter als
sonst bei Regeln über die Pfändung von Arbeitseinkommen. Die
wegen ihrer Abweichung von § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 400 BGB
ohne Wertungsmöglichkeit unwirksamen formularmäßigen
Sicherungsabtretungen sämtlicher Ansprüche gegen die Beklagte
mit Ausnahme solcher aus kaufrechtlicher Gewährleistung
können nicht mit der Maßgabe aufrechterhalten werden, dass
andere Ansprüche als solche auf Zahlung von Renten, die wegen
einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu
entrichten sind, wirksam abgetreten sind.
Ein solches
Verständnis liefe auf eine geltungserhaltende Reduktion
hinaus, die nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs unzulässig ist. Die Klauseln können auch
nicht in einen inhaltlich zulässigen und einen inhaltlich
unzulässigen Teil zerlegt werden. Das Berufungsgericht wird
nach Zurückverweisung nunmehr in der Sache zu klären haben,
ob die Beklagte dem Kläger aus unerlaubter Handlung haftet.
Die maßgeblichen Vorschriften des
Bürgerlichen Gesetzbuchs lauten: § 134 Gesetzliches
Verbot Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot
verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein
anderes ergibt. § 307 Inhaltskontrolle (1)
1Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind
unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders
entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen
benachteiligen.
2Eine unangemessene Benachteiligung kann
sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und
verständlich ist. (2) Eine unangemessene Benachteiligung ist
im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung 1. mit
wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der
abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder 2. wesentliche
Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags
ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des
Vertragszwecks gefährdet ist. (3) 1Die Absätze 1 und 2 sowie
die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen
Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften
abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart
werden.
2Andere Bestimmungen können nach Absatz 1
Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein. §
400 Ausschluss bei unpfändbaren Forderungen Eine Forderung
kann nicht abgetreten werden, soweit sie der Pfändung nicht
unterworfen ist. § 843 Geldrente oder Kapitalabfindung (1)
Wird infolge einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit
die Erwerbsfähigkeit des Verletzten aufgehoben oder gemindert
oder tritt eine Vermehrung seiner Bedürfnisse ein, so ist dem
Verletzten durch Entrichtung einer Geldrente Schadensersatz
zu leisten.
(2) 1Auf die Rente finden die
Vorschriften des § 760 Anwendung. 2Ob, in welcher Art und für
welchen Betrag der Ersatzpflichtige Sicherheit zu leisten
hat, bestimmt sich nach den Umständen.
(3) Statt der
Rente kann der Verletzte eine Abfindung in Kapital verlangen,
wenn ein wichtiger Grund vorliegt. (4) Der Anspruch wird
nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein anderer dem Verletzten
Unterhalt zu gewähren hat. Die maßgebliche Vorschrift des
Produkthaftungsgesetzes lautet: § 9 Schadensersatz durch
Geldrente (1) Der Schadensersatz wegen Aufhebung oder
Minderung der Erwerbsfähigkeit und wegen vermehrter
Bedürfnisse des Verletzten sowie der nach § 7 Abs. 2 einem
Dritten zu gewährende Schadensersatz ist für die Zukunft
durch eine Geldrente zu leisten.
(2) § 843 Abs. 2 bis
4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist entsprechend anzuwenden.
Die maßgebliche Vorschrift der Zivilprozessordnung lautet: §
850b Bedingt pfändbare Bezüge (1) Unpfändbar sind ferner 1.
Renten, die wegen einer Verletzung des Körpers oder der
Gesundheit zu entrichten sind; [… (
2) Diese Bezüge können nach den für
Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften gepfändet werden,
wenn die Vollstreckung in das sonstige bewegliche Vermögen
des Schuldners zu einer vollständigen Befriedigung des
Gläubigers nicht geführt hat oder voraussichtlich nicht
führen wird und wenn nach den Umständen des Falles,
insbesondere nach der Art des beizutreibenden Anspruchs und
der Höhe der Bezüge, die Pfändung der Billigkeit entspricht.
(3) Das Vollstreckungsgericht soll vor seiner
Entscheidung die Beteiligten hören. Vorinstanzen: Landgericht
Stuttgart – Urteil vom 18. Oktober 2021 – 18 O 58/21
Oberlandesgericht Stuttgart – Urteil vom 1. Februar 2023 – 23
U 4323/21
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Juni 2023 |
Das neue BGH-Urteil zum
Dieselskandal wird eine Klagewelle auslösen!
Das aktuelle BGH-Urteil vom 26.06.2023 stärkt erneut die
Rechte der Verbraucher: Die Richter haben die Hürden
für Schadensersatzklagen von Dieselkäufern in Deutschland
deutlich herabgesenkt.
Köln/Duisburg, 29. Juni 2023 - So viel
ist klar: Es ist ein Urteil mit Signalwirkung!
Diesel-Fahrzeugbesitzer können nun grundsätzlich
Schadensersatzansprüche gegenüber den Autoherstellern geltend
machen, wenn es sich bei den Fahrzeugen mit Thermofenstern
um illegale Einrichtungen zur Abschaltung der Abgasreinigung
handelt. Dies entschied nun der Bundesgerichtshof, welcher
somit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im März
folgte.
Die Höhe des Schadensersatzes wird sich
zwischen fünf und 15 Prozent des Kaufpreises bewegen, welcher
auch ohne ein Gutachten zugesprochen werden soll. Betroffen
sind alle Diesel-Fahrzeuge, bei denen unzulässige
Abschalteinrichtungen verbaut worden sind. Unter anderem sind
Autos des Volkswagen-Konzerns, Mercedes-Benz, Audi, Fiat, BMW
oder Opel betroffen.
Die Kanzlei Mingers.
Rechtsanwälte prüft kostenfrei die Betroffenheit der
Fahrzeughalter. Interessierte können sich unter
office@mingers.law
melden, oder über das
Formular mit Mingers. Rechtsanwälte in Kontakt treten.
Weitere wissenswerte Tipps zu alltäglichen Rechtsfragen oder
weitere Informationen zum Diesel-Abgasskandal gibt es
übrigens auch in dem 5-Sterne Ratgeber "Ich hab aber Recht!"
von Markus Mingers.
Bundesgerichtshof
entscheidet zum Differenzschaden in "Dieselverfahren" nach
dem Urteil des EuGH vom 21. März 2023 (C-100/21)
Kaarlsruhe, 26. Juni 2023 - Der vom Präsidium des
Bundesgerichtshofs vorübergehend als Hilfsspruchkörper
eingerichtete VIa. Zivilsenat (vgl. Pressemitteilung Nr.
141/2021 vom 22. Juli 2021) hat am 26. Juni 2023 im Anschluss
an die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union
(EuGH) vom 21. März 2023 (C-100/21, NJW 2023, 1111)
entschieden, unter welchen Voraussetzungen Käufer von
Dieselfahrzeugen in "Dieselverfahren" den Ersatz eines
Differenzschadens vom Fahrzeughersteller verlangen können.
Sachverhalte und bisheriger Prozessverlauf In dem
Verfahren VIa ZR 335/21 verlangt der Kläger von der beklagten
Volkswagen AG Schadensersatz wegen eines von ihr
hergestellten VW Passat Alltrack 2.0 l TDI, der mit einem
Motor der Baureihe EA 288 ausgerüstet ist. Die
EG-Typgenehmigung wurde für die Schadstoffklasse Euro 6
erteilt. Der Kläger erwarb das im Juli 2016 erstmals
zugelassene Fahrzeug am 15. November 2017 von einem Händler.
Die Abgasrückführung erfolgt bei dem Fahrzeug in Abhängigkeit
von der Temperatur (Thermofenster). Ferner ist eine
Fahrkurvenerkennung installiert.
Der Kläger verlangt
von der Beklagten im Wesentlichen, ihn im Wege des
Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den das Fahrzeug
betreffenden Kaufvertrag und einen Finanzierungsvertrag nicht
abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das
Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des
Klägers zurückgewiesen. Gegen die Zurückweisung der Berufung
richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision
des Klägers.
In dem Verfahren VIa ZR 533/21 kaufte
der Kläger im Mai 2018 von einem Vertragshändler der
beklagten Audi AG einen Audi SQ5 Allroad 3.0 TDI, der mit
einem Motor der Baureihe EA 896Gen2BiT ausgerüstet ist. Die
EG-Typgenehmigung wurde für die Schadstoffklasse Euro 6
erteilt. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hatte bereits vor
Abschluss des Kaufvertrags bei einer Überprüfung des auch in
das Fahrzeug des Klägers eingebauten Motors eine unzulässige
Abschalteinrichtung in Form einer sogenannten
Aufheizstrategie festgestellt und durch Bescheid vom 1.
Dezember 2017 nachträgliche Nebenbestimmungen für die der
Beklagten erteilte EG-Typgenehmigung angeordnet.
Der
Kläger verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn im
Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den das
Fahrzeug betreffenden Kaufvertrag mit dem Vertragshändler und
einen Finanzierungsvertrag nicht abgeschlossen. Das
Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht
hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers
zurückgewiesen. Gegen die Zurückweisung der Berufung richtet
sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des
Klägers, mit der er seine zweitinstanzlichen Anträge
weiterverfolgt.
In dem Verfahren VIa ZR 1031/22 kaufte
der Kläger im Oktober 2017 von der beklagten Mercedes-Benz
Group AG einen Mercedes-Benz C 220 d, der mit einem Motor der
Baureihe OM 651 ausgerüstet ist. Die EG-Typgenehmigung wurde
für die Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Die Abgasrückführung
erfolgt bei dem Fahrzeug unter anderem temperaturgesteuert
und wird beim Unterschreiten einer Schwellentemperatur
reduziert. Weiter verfügt das Fahrzeug über eine
Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, bei der die verzögerte
Erwärmung des Motoröls zu niedrigeren NOx-Emissionen führt.
Der Kläger verlangt von der Beklagten im
Wesentlichen, ihn so zu stellen, als habe er den das Fahrzeug
betreffenden Kaufvertrag und einen Finanzierungsvertrag nicht
abgeschlossen. Das Landgericht hat der Klage unter dem
Gesichtspunkt einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung
des Klägers überwiegend stattgegeben. Auf die Berufung der
Beklagten hat das Berufungsgericht die auf das Recht der
unerlaubten Handlung gestützte Klage und darüber hinaus das
auf kaufrechtliche Ansprüche gestützte Begehren des Klägers
abgewiesen.
Mit der vom Berufungsgericht unter
Verweis auf die Frage, ob die
EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung ein Schutzgesetz im Sinne
von § 823 Abs. 2 BGB sei, zugelassenen Revision möchte der
Kläger, der nur noch deliktische Ansprüche geltend macht, die
Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.
Entscheidung des
Bundesgerichtshofs Der Bundesgerichtshof hat auf
die Revisionen der Kläger die Berufungsurteile in allen drei
Verfahren – in der Sache VIa ZR 1031/22 allerdings nicht
bezogen auf Ansprüche aus Kaufrecht, die nicht mehr
Gegenstand des Revisionsverfahrens waren - aufgehoben und die
Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die
Berufungsgerichte zurückverwiesen, damit die
Berufungsgerichte eine Haftung der beklagten
Fahrzeughersteller aus unerlaubter Handlung weiter aufklären.
Dabei hat der Bundesgerichtshof im Verfahren VIa ZR
335/21 bestätigt, dass die Tatbestandswirkung der
EG-Typgenehmigung einem Anspruch aus §§ 826, 31 BGB gegen den
Fahrzeughersteller nicht entgegengehalten werden kann. Im
Verfahren VIa ZR 533/21 hat er die höchstrichterliche
Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer
haftungsausschließenden Verhaltensänderung des
Fahrzeugherstellers bekräftigt.
Außerdem hat er –
ausführlich begründet im Verfahren VIa ZR 335/21 – für eine
Haftung der Fahrzeughersteller nach § 823 Abs. 2 BGB in
Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des
Differenzschadens im Anschluss an das Urteil des EuGH vom 21.
März 2023 (C-100/21, NJW 2023, 1111) folgende Grundsätze
aufgestellt: Der EuGH hat in seinem Urteil vom 21. März
2023 aus dem Gesamtzusammenhang des unionsrechtlichen
Regelungsgefüges gefolgert, dass der Käufer beim Erwerb eines
Kraftfahrzeugs, das zur Serie eines genehmigten Typs gehört
und mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist,
vernünftigerweise erwarten kann, dass die Verordnung (EG) Nr.
715/2007 und insbesondere deren Art. 5 eingehalten ist.
Wird er in diesem Vertrauen
enttäuscht, kann er von dem Fahrzeughersteller, der die
Übereinstimmungsbescheinigung ausgegeben hat, Schadensersatz
nach Maßgabe des nationalen Rechts verlangen. Zu gewähren ist
allerdings, wenn der Fahrzeughersteller den Käufer nicht
sittenwidrig vorsätzlich geschädigt hat, in Übereinstimmung
mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, die zu
ändern der Bundesgerichtshof keine Veranlassung hat, nicht
großer Schadensersatz.
Der Käufer kann auf der
Grundlage der § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1,
§ 27 Abs. 1 EG-FGV im Falle der Enttäuschung seines auf
die Richtigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung
gestützten Vertrauens – anders als bei einer
sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung durch den
Fahrzeughersteller und auf der Grundlage der §§ 826, 31 BGB –
nicht verlangen, dass der Fahrzeughersteller das Fahrzeug
übernimmt und den Kaufpreis abzüglich vom Käufer erlangter
Vorteile erstattet.
Ein solcher Anspruch, der im Kern
nicht den Vermögensschaden, sondern die freie
Willensentschließung des Käufers schützt, kommt nur bei einem
im Sinne von §§ 826, 31 BGB arglistigen Verhalten des
Fahrzeugherstellers in Betracht. Für § 823 Abs. 2
BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bleibt
es bei dem allgemeinen Grundsatz, dass ein
Schadensersatzanspruch nach dem maßgeblichen nationalen Recht
eine Vermögensminderung durch die enttäuschte
Vertrauensinvestition bei Abschluss des Kaufvertrags über das
Kraftfahrzeug voraussetzt.
Da der EuGH bei der
Ausgestaltung des Schadensersatzanspruchs auf das nationale
Recht verwiesen hat, konnte der Bundesgerichtshof auf die
allgemeinen Grundsätze des deutschen Schadensrechts
zurückgreifen, die auch bei einem fahrlässigen Verstoß gegen
das europäische Abgasrecht einen effektiven und
verhältnismäßigen Schadensersatzanspruch gewähren. Dabei
hatte der Bundesgerichtshof davon auszugehen, dass die
jederzeitige Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs Geldwert hat.
Deshalb erleidet der Käufer eines Fahrzeugs, das mit einer
unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Unionsrechts
versehen ist, stets einen Schaden, weil aufgrund einer
drohenden Betriebsbeschränkung oder Betriebsuntersagung die
Verfügbarkeit des Fahrzeugs in Frage steht.
Zugunsten
des Käufers greift der Erfahrungssatz, dass er im Falle der
Ausstattung des Fahrzeugs mit einer unzulässigen
Abschalteinrichtung das Fahrzeug nicht zu dem vereinbarten
Preis gekauft hätte. Das Vorhandensein der
Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung
(EG) Nr. 715/2007 als solcher muss im Prozess der Käufer
darlegen und beweisen, während die ausnahmsweise Zulässigkeit
einer festgestellten Abschalteinrichtung aufgrund des
Regel-Ausnahme-Verhältnisses in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung
(EG) Nr. 715/2007 der Fahrzeughersteller darlegen und
beweisen muss.
Stellt der Tatrichter das
Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung fest,
muss der Fahrzeughersteller darlegen und beweisen, dass er
bei der Ausgabe der Übereinstimmungsbescheinigung weder
vorsätzlich gehandelt noch fahrlässig verkannt hat, dass das
Kraftfahrzeug den unionsrechtlichen Vorgaben nicht
entspricht. Beruft sich der Fahrzeughersteller zu seiner
Entlastung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum, gelten
dafür die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung allgemein
entwickelten Grundsätze. Kann sich der Fahrzeughersteller von
jedem Verschulden entlasten, haftet er nach § 823 Abs. 2 BGB
in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht.
Das deutsche Recht der unerlaubten Handlung setzt für
eine deliktische Haftung des Schädigers stets ein Verschulden
voraus. Eine verschuldensunabhängige deliktische Haftung
können deutsche Gerichte, die auch nach den Vorgaben des EuGH
im Rahmen des geltenden nationalen Rechts zu entscheiden
haben, nicht anordnen. Der dem Käufer zu gewährende
Schadensersatz muss nach den Vorgaben des EuGH einerseits
eine effektive Sanktion für die Verletzung des Unionsrechts
durch den Fahrzeughersteller darstellen. Andererseits muss
der zu gewährende Schadensersatz – so die zweite Vorgabe des
EuGH – den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren.
Dem einzelnen Käufer ist daher stets und ohne, dass das
Vorhandensein eines Schadens als solches mittels eines
Sachverständigengutachtens zu klären wäre oder durch ein
Sachverständigengutachten in Frage gestellt werden könnte,
ein Schadensersatz in Höhe von wenigstens 5% und
höchstens 15% des gezahlten Kaufpreises zu gewähren.
Innerhalb dieser Bandbreite obliegt die genaue Festlegung dem
Tatrichter, der sein Schätzungsermessen ausüben kann, ohne
sich vorher sachverständig beraten lassen zu müssen. Auf den
vom Tatrichter geschätzten Betrag muss sich der Käufer
Vorteile nach Maßgabe der Grundsätze anrechnen lassen, die
der Bundesgerichtshof für die Vorteilsausgleichung auf der
Grundlage der Gewähr kleinen Schadensersatzes nach §§ 826, 31
BGB entwickelt hat.
Die Kläger werden in allen
Verfahren Gelegenheit haben, ihre Anträge anzupassen, soweit
sie einen Differenzschaden nach diesen Maßgaben geltend
machen wollen. Die Parteien haben nach einer Zurückverweisung
der Sachen Gelegenheit, zu den Voraussetzungen einer Haftung
nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs.
1 EG-FGV ergänzend vorzutragen.
Die maßgeblichen
Vorschriften lauten: Bürgerliches Gesetzbuch: § 826
Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung Wer in einer gegen die
guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich
Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens
verpflichtet. § 823 Schadensersatzpflicht (1) Wer vorsätzlich
oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die
Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen
widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des
daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die
gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein
den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist
nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch
ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im
Falle des Verschuldens ein. Artikel 5 Abs. 1 und 2 der
Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von
Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten
Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) (1)
Der Hersteller rüstet das Fahrzeug so aus, dass die
Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich
beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind,
dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser
Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. (2)
Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von
Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig.
Dies ist nicht der Fall, wenn: a)die Einrichtung
notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu
schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu
gewährleisten; b)die Einrichtung nicht länger arbeitet, als
zum Anlassen des Motors erforderlich ist; c)die Bedingungen
in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und
der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen
enthalten sind. § 6 Abs. 1 Satz 1
EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung
Für jedes dem
genehmigten Typ entsprechende Fahrzeug hat der Inhaber der
EG-Typgenehmigung eine Übereinstimmungsbescheinigung nach
Artikel 18 in Verbindung mit Anhang IX der Richtlinie
2007/46/EG auszustellen und dem Fahrzeug beizufügen. § 27
Abs. 1 Satz 1 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (1) Neue
Fahrzeuge, selbstständige technische Einheiten oder Bauteile,
für die eine Übereinstimmungsbescheinigung nach Anhang IX der
Richtlinie 2007/46/EG, nach Anhang IV der Richtlinie
2002/24/EG oder nach Anhang III der Richtlinie 2003/37/EG
vorgeschrieben ist, dürfen im Inland zur Verwendung im
Straßenverkehr nur feilgeboten, veräußert oder in den Verkehr
gebracht werden, wenn sie mit einer gültigen
Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind.
Tipps für den Alltag Cabrio: Im
Zweifelsfall beim Parken das Dach schließen
Coburg, 16. Juni 2023 - Wer einen Diebstahl
leichtfertig ermöglicht, riskiert Versicherungsschutz Coburg,
16.06.2022 Autofahren mit offenem Verdeck, für viele ist es
gelebte Freiheit. Knapp 2,2 Millionen Cabrios sind auf
Deutschlands Straßen unterwegs (KBA). Doch irgendwann endet
jede Autofahrt und die Parkplatzsuche beginnt.
Damit der Zweisitzer nicht zur
leichten Beute für Diebe wird, rät die HUK-COBURG
Cabriofahrern darauf zu achten, wo sie parken: Knapp 2,2
Millionen Euro zahlt Deutschlands größter Autoversicherer
jedes Jahr für gestohlene Cabrios bzw. für Diebstähle aus dem
Cabrio. Letztlich entscheidet der Abstellplatz darüber, ob
das Verdeck offen bleiben kann oder geschlossen werden
sollte. Autobesitzer mit abschließbarer Einzelgarage können
das Thema Verdeck getrost vergessen, wenn sie ihren Pkw dort
parken.
Mehr Vorsicht ist bei Tiefgaragen geboten,
die für viele Personen frei zugänglich sind. Hier gelten
dieselben Regeln wie auf der Straße: Wer sein Cabrio
abstellt, um schnell etwas zu besorgen, kann das Verdeck
offen lassen. Wer aber mehrere Stunden parkt, sollte das Dach
schließen. Gleiches gilt bei Fahrten in Länder, in denen
besonders häufig Autos gestohlen werden wie zum Beispiel in
Italien oder Polen. Fans offener Verdecke sollten keine
Taschen, Handys oder Ähnliches im Auto liegen lassen. Fest
ein- oder angebaute Teile wie z.B. die Bordelektronik oder
Fahrzeugassistenz- oder Infotainmentsysteme sind über die
Teilkasko-Versicherung mitversichert.
Macht ein Dieb
dort lange Finger, stellt sich aber auch hier die Frage, wo
und wie lange der Wagen geparkt wurde. Fazit: Cabriofahrer,
die ihr Verdeck schließen, können in puncto
Versicherungsschutz nie etwas falsch machen. Wer es offen
lässt und leichtfertig einen Autodiebstahl ermöglicht, muss
mit Konsequenzen rechnen. Es kann sein, dass die
Teilkasko-Versicherung den Schaden nicht in vollem Umfang
übernimmt. Es gibt auch pragmatischen Grund für ein
geschlossenes Verdeck: Nach einem Regenguss Sitze und
Teppichboden des Zweisitzers zu trocknen, macht deutlich
weniger Spaß als eine Spritztour an schönen Sommertagen.
EU-Kommission legt Maßnahmenpaket
zu der Reduktion von Straßenverkehrstoten bis 2050 und der
Einführung eines digitalen Führerscheins vor.
Brüssel/Berlin, 5. Juni 2023 - Sogenanntes
Road Safety Package enthält Vorschläge zur Modernisierung der
Führerscheinrichtlinie. TÜV-Verband und DEKRA verfassen
gemeinsame Stellungnahme. ie EU-Kommission hat mit dem
Road Safety Package Vorschläge zur Modernisierung der
Führerscheinvorschriften vorgelegt. Mit den neuen
Vorschriften will die Kommission dem Ziel „Null
Straßenverkehrstote“ bis 2050 näher kommen. Außerdem sollen
Autofahrer:innen besser auf emissionsfreie Fahrzeuge und auf
das Fahren in der Stadt vorbereitet werden. Darüber hinaus
plant die Kommission die Einführung eines EU-weit gültigen
digitalen Führerscheins.
Die Pläne der EU-Kommission
kommentiert Marc-Philipp Waschke, Referent
Verkehrssicherheit, Fahrerlaubnis und Fahreignung beim
TÜV-Verband: „Grundsätzlich begrüßen wir die Vorschläge der
Kommission zur Überarbeitung der EU-Führerscheinrichtlinie,
einschließlich der Einführung eines unionsweit gültigen
digitalen Führerscheins sehr. Das Road Safety Package hat das
Potenzial, die Zahl der Verkehrstoten in Europa endlich
nachhaltig im Sinne der Vision Zero zu reduzieren. Bei
jährlich mehr als 20.000 Menschen auf europäischen Straßen
sollte das oberste Priorität sein.“
„Viele der
Maßnahmen, die nun EU-weit eingeführt werden sollen, sind in
Deutschland bereits Praxis. Die Maßnahmen haben sich in
Deutschland bewährt und konnten das Fahranfängerrisiko In den
letzten zehn Jahren senken. Beispielsweise durch das
Begleitete Fahren mit 17, die Optimierungen der theoretischen
und praktischen Fahrerlaubnisprüfung und die Ausbildung im
kompetenten Umgang mit Fahrerassistenzsystemen in der
Fahrerlaubnisprüfung. Wir unterstützen die EU-Kommission bei
den Plänen für eine europaweite Einführung.“
Einführung eines digitalen Führerscheins „Erstrebenswert
ist auch die schnelle Einführung eines EU-weit gültigen
digitalen Führerschein. Die Bürger:innen sollen in ihrem
täglichen Leben von den Vorteilen der europäischen
Gemeinschaft profitieren. Eine digitale Lösung muss aber
robust und im Blick auf Datenschutz und Datensicherheit
belastbar sein. Als TÜV-Verband arbeiten wir mit unseren
Mitgliedern bereits an einer Möglichkeit, nach bestandener
Prüfung einen digitalen Nachweis der Fahrberechtigung zu
erstellen. Diese könnte bereits im Vorgriff des EU-weiten
digitalen Führerscheins zeitnah umgesetzt werden.“
„Essenziell bleibt, dass die Fahrerlaubnisprüfung nicht dem
Wettbewerb preisgegeben wird, um das hohe Qualitätsniveau
auch in Zukunft zu sichern. Die EU-Kommission geht hier mit.
Für die Akzeptanz und das Vertrauen in die Prüfung bestätigt
die EU-Kommission ebenfalls den Trennungsgrundsatz Ausbildung
und Prüfung. Das heißt auch in Zukunft, wer ausbildet, prüft
nicht und wer prüft, bildet nicht aus. Für den Erhalt und die
weitere Verbesserung der Verkehrssicherheit sind dies
wichtige Punkte.“
Fahrerlaubnisprüfung nicht am
Wohnort Der neue Vorschlag der Kommission ermöglicht es,
die Fahrerlaubnisprüfung innerhalb der EU nicht im Land
seines Wohnortes abzulegen, wenn die dortige Amtssprache
nicht beherrscht wird. In Zukunft könnte der Führerschein von
dem Mitgliedstaat ausgestellt werden, dessen
Staatsangehörigkeit der Bewerber besitzt, wenn die Prüfung im
Land des ordentlichen Wohnsitzes nicht in einer der
Amtssprachen des Landes angeboten wird, dessen
Staatsangehörigkeit der Prüfling besitzt. Marc-Philipp
Waschke sagt dazu: „Wir sehen die Pläne der EU-Kommission
kritisch, die Fahrerlaubnisprüfung innerhalb der EU nicht im
Land seines Wohnortes ablegen zu müssen.
Nach Ansicht
des TÜV-Verbands sollten Fahrerlaubnisbewerber die Praktische
Prüfung grundsätzlich wohnortnah ablegen. Damit wird
gewährleistet, dass die Bewerber:innen ihre Fahrkompetenzen
insbesondere im Straßenverkehrsgeschehen ihres Lebensumfeldes
unter Beachtung regionaler Besonderheiten in Infrastruktur
und Verkehrsdichte nachweisen. Dort werden sie in aller Regel
auch ausgebildet. Die neue Möglichkeit umgeht dieses Prinzip
und kann das ohnehin hohe Fahranfängerrisiko steigern. Ein
solches Verfahren wäre aus unserer Sicht nur bei
gegenseitiger Anerkennung zwischen den betroffenen
Mitgliedsstaaten durchführbar.“
Feedbackfahrten für
ältere Fahrerlaubnisinhaber:innen „Ältere Fahrzeugführer
spielen als Unfallverursacher in der Unfallstatistik bisher
nur eine untergeordnete Rolle. Daher ist die von der
EU-Kommission vorgesehene generelle verpflichtende
Überprüfung der Fahreignung im Alter – ohne Vorliegen
konkreter Anhaltspunkte für Defizite zu Fahrkompetenz und
Fahreignung – aus Sicht des TÜV-Verbandes nicht zwangsläufig
erforderlich.“
„Um die Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben zu gewährleisten, müssen ältere
Menschen für eine sichere Teilnahme am Verkehrsgeschehen
intensiv in Bezug auf ihre Leistungsfähigkeit hinsichtlich
Fahrkompetenz und Fahreignung aufgeklärt werden. Gleichwohl
muss der Blick auf die Entwicklung der Unfallzahlen gerichtet
bleiben, denn in den Unfallstatistiken ist das
Unfallgeschehen für Fahrzeugführer ab dem 75. Lebensjahr
auffällig. Wir begrüßen und empfehlen daher, dass die
EU-Mitgliedsstaaten für Fahrerlaubnisinhaber ab 75 Jahre
geeignete Maßnahmen ergreifen und rechtliche Rahmen schaffen,
um regelmäßige Feedbackfahrten anbieten zu können. Im Rahmen
dieser Feedbackfahrten würden Experten die Fahrkompetenz der
Senioren feststellen und notwendige Potenziale zur
Wiederherstellung der Fahrfähigkeiten zurückmelden – im
Bedarfsfall würde auch eine Rückmeldung zur individuellen
Fahreignung erfolgen.“
Europäische
Sorgfaltspflichtengesetz +++ Auf EU-Ebene sollen
mehr Unternehmen als im deutschen Gesetz in die Pflicht
genommen und auch ökologische Sorgfaltspflichten
berücksichtigt werden +++ Unabhängige Prüfungen stärken
Umsetzung Berlin, 01. Juni 2023 – Zur heutigen Abstimmung
des EU-Parlaments über das EU-Sorgfaltspflichtengesetz
(Corporate Sustainability Due Diligence Directive) sagt
Juliane Petrich, Referentin Politik und Nachhaltigkeit des
TÜV-Verbands: „Das EU-Sorgfaltspflichtengesetz kann ein
echter Game-Changer werden, um Ungerechtigkeiten in den
globalen Wertschöpfungsketten zu reduzieren, Menschenrechte
in den Produktionsländern zu stärken und die Umwelt- und
Klimakrise einzudämmen.
Auf EU-Ebene sollen mehr
Unternehmen als im deutschen Gesetz in die Pflicht genommen
und auch ökologische Sorgfaltspflichten berücksichtigt
werden. Das sorgt für einheitliche Wettbewerbsbedingungen und
schützt diejenigen Unternehmen, die schon heute hohe soziale
und ökologische Standards einhalten.“ Unabhängige Prüfungen
stärken Umsetzung Für eine erfolgreiche Umsetzung des
EU-Sorgfaltspflichtengesetzes ist es wichtig, nicht nur
umfassende Anforderungen festzulegen, sondern auch
sicherzustellen, dass diese Anforderungen tatsächlich
eingehalten werden.
„Wir begrüßen nachdrücklich, dass
der Vorschlag unabhängigen Dritten, die die Einhaltung der
Sorgfaltspflichten entlang der Wertschöpfungskette
überprüfen, eine wichtige Rolle zuweist. Zertifizierungen und
Vor-Ort-Audits durch unabhängige
Konformitätsbewertungsstellen sind wichtige Instrumente, um
die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards zu
gewährleisten und für das notwendige Vertrauen in die
Aussagen der einzelnen Glieder der Wertschöpfungskette zu
sorgen. Das hilft den Unternehmen und schafft Transparenz für
Verbraucherinnen und Verbraucher. Immer mehr Menschen wollen
wissen, woher die von ihnen gekauften Produkte stammen und
unter welchen sozialen und ökologischen Bedingungen sie
hergestellt wurden“, sagt Petrich.
Mit der heutigen
Abstimmung ist der Weg für die gemeinsamen Verhandlungen mit
dem EU-Ministerrat (Trilogverhandlungen) jetzt frei. Die
beiden Co-Gesetzgeber sollten sich nun um ein schnelles
Verfahren bemühen und keine Verwässerungen zulassen, um am
Ende ein Sorgfaltspflichtengesetz auf den Weg zu bringen, das
Menschen, Umwelt und Klima auch wirklich schützt.
Das Gesetz zum Hinweisgeberschutz (HinSchG)
Das Gesetz wurde wurde am 2. Juni im Bundesgesetzblatt
verkündet und tritt somit am 2. Juli 2023 in Kraft. Das lange
Hin und Her hat ein Ende: Das Hinweisgeberschutzgesetz
(HinSchG) tritt am 2. Juli 2023 in Kraft. Mitte Mai wurde das
Gesetz vom Bundesrat verabschiedet, zuvor hatte es den
Bundestag passiert. Nach etlichen Anläufen im
Gesetzgebungsverfahren hat man sich mit rund eineinhalb
Jahren Verspätung für den Kompromissvorschlag des
Vermittlungsausschusses entschieden.
Das HinSchG ist
das nationale Umsetzungsgesetz der EU-Richtlinie zum Schutz
hinweisgebender Personen, die Verstöße im beruflichen Kontext
bei einer hierfür vorgesehenen internen oder externen
Meldestelle melden. Wer Missstände oder Regelverstöße in
Unternehmen oder Behörden angibt, wird künftig besser vor
Repressalien und beruflichen Nachteilen wie Mobbing und
Diskriminierung gesichert. Der umfassende Schutz von
Whistleblowern soll für mehr Integrität in Wirtschaft und
öffentlichem Sektor sorgen.
Wer ist betroffen und
was ist zu tun? Für Unternehmen ab 250 Beschäftigten und
Kommunen ab 10.000 Einwohnern gilt die Pflicht mit
Inkrafttreten des Gesetzes, sie müssen interne
Hinweisgebersysteme einrichten. Unternehmen ab 50
Beschäftigten haben bis Mitte Dezember 2023 etwas mehr Zeit
für die Umsetzung. Die Einrichtung eines internen
Meldekanals zur Aufdeckung von Verstößen wird verpflichtend.
Bei Nichteinrichtung und Fehlern in der Umsetzung drohen hohe
Bußgelder bis zu 50.000 Euro.
Nun gibt es zahlreiche
offene Fragen rund um den Hinweisgeberschutz: Wie schaffen
Wirtschaft und Verwaltung diese Herausforderung, kurzfristig
ein sicheres Hinweisgebersystem zu implementieren? Wie sieht
ein leicht zugänglicher, datenschutzkonformer Meldekanal aus,
über den Mitarbeiter oder andere Interessengruppen die
Regelverstöße einbringen? Wie gelingt es, die Hinweise
gesetzeskonform von nachweislich fachkundigem Personal zu
bearbeiten und wie können Ombudspersonen helfen? Wo sind die
Stolperfallen – und wo liegen die Chancen?
Sonn- und Feiertagsöffnung von
öffentlichen Bibliotheken zur Nutzung ihrer kulturellen
Funktionen an Ort und Stelle rechtmäßig - Aktenzeichen: 4 D
94/20.NE
Münster, 1. Juni 2023 - Das
Oberverwaltungsgericht hat mit heute verkündetem Urteil
entschieden, dass die durch Landesverordnung vorgesehene
Sonn- und Feiertagsöffnung von öffentlichen Bibliotheken
rechtmäßig und damit wirksam ist. Ein hiergegen gerichteter
Normenkontrollantrag der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
hatte keinen Erfolg.
Nach dem Arbeitszeitgesetz kann
die Landesregierung Ausnahmen von dem Verbot einer
Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zur
Vermeidung erheblicher Schäden unter Berücksichtigung des
Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe für
Betriebe zulassen, in denen eine solche Beschäftigung zur
Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders
hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist.
§ 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung erlaubt die
Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen in
öffentlichen Bibliotheken, soweit sie ihre Funktionen nach §
47 und § 48 Absätze 4 bis 6 des Kulturgesetzbuchs NRW vom
1.12.2021 erfüllen.
Die Einführung dieser
Verordnungsbestimmung war damit begründet worden, dass
öffentliche Bibliotheken als sog. Dritte Orte der Begegnung
dienten, der Kommunikation, der gesellschaftlichen
Integration, der Information, der (staatsbürgerlichen)
Bildung, als Stätten der Familie sowie als kulturelle
Veranstaltungsorte. Sie böten zu diesen Zwecken Menschen aus
unterschiedlichen sozialen Kontexten auch im ländlichen Raum
und in kleinen Städten einen zentralen, besonders
niederschwellig zugänglichen, nichtkommerziellen Raum für
nichtkonsumtive Freizeitgestaltung.
All diese
Nutzungsbedürfnisse vor Ort könnten an Sonntagen nur durch
eine Öffnung der Bibliotheken erfüllt werden. Insofern könne
eine Sonntagsarbeit von Bibliotheksmitarbeitern durch
zumutbare planerische Vorkehrungen der Bevölkerung nicht
vermieden werden. Der Entwurf, mit dem die Sonntagsöffnung
von Bibliotheken erstmals eingeführt werden sollte, war aus
der Mitte des Parlaments in den Landtag NRW eingebracht und
dort einstimmig angenommen worden.
Die
antragstellende Gewerkschaft hatte im Jahr 2020 gegen die
ursprünglich eingefügte Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11
Bedarfsgewerbeverordnung den hiesigen Normenkontrollantrag
gestellt und die im Jahr 2021 geänderte Fassung kürzlich auf
einen entsprechenden Hinweis des Gerichts in das Verfahren
einbezogen. Zur Begründung ihres Normenkontrollantrags führte
die Antragstellerin aus, das Bundesverwaltungsgericht habe
mit seinem Urteil vom 26.11.2014 - 6 CN 1.13 - zur hessischen
Bedarfsgewerbeverordnung bereits entscheiden, dass die
Voraussetzungen für eine sonnund feiertägliche Öffnung
öffentlicher Bibliotheken grundsätzlich nicht vorlägen, weil
Nutzer die in Bibliotheken vorgehaltenen Medien an Werktagen
für das Wochenende ausleihen könnten.
Die
angegriffene nordrhein-westfälische Regelung sei nicht anders
zu bewerten, nur weil ihr Anwendungsbereich auf bestimmte
Funktionen öffentlicher Bibliotheken beschränkt sei. Der 4.
Senat des Oberverwaltungsgerichts ist dieser Argumentation
nicht gefolgt und hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt: Nach Einschätzung des zuständigen
Landesgesetzgebers und den auf dieser Grundlage schlüssigen
und vertretbaren Annahmen des Verordnungsgebers besteht
angesichts der gewandelten kulturellen Funktionen
öffentlicher Bibliotheken als niederschwellig zugängliche,
nichtkommerzielle Orte der Kultur jedenfalls in
Nordrhein-Westfalen an Sonn- und Feiertagen ein Bedürfnis für
die Nutzung derartiger Bibliotheksräume an Ort und Stelle,
welches eine Beschäftigung von Arbeitnehmern in solchen
öffentlichen Bibliotheken an diesen Tagen als erforderlich
erscheinen lässt.
Die im ursprünglichen
Gesetzgebungsverfahren befragten Sachverständigen – mit
Ausnahme der Antragstellerin – waren einhellig der
Auffassung, dass gerade die Sonn- und Feiertagsöffnungen der
öffentlichen Bibliotheken, die ihre gesetzlich in § 47 und §
48 Absätze 4 bis 6 des Kulturgesetzbuchs NRW beschriebenen
kulturellen Funktionen erfüllen, für die (gemeinsame) Nutzung
an Ort und Stelle einen erheblichen Besucherstrom aus
verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen anziehen.
Dabei waren auch Erfahrungen mit sonntags geöffneten
Bibliotheken ausgewertet worden. Diese Einschätzung des
Verordnungsgebers ist schlüssig und vertretbar, weil der
Kreis der von der angegriffenen Regelung erfassten
öffentlichen Bibliotheken gerade auf solche Bibliotheken
beschränkt ist, die die beschriebenen Funktionen in einem so
nennenswerten Umfang anbieten, dass wegen der deswegen dort
möglichen Erfüllung des zu erwartenden Nutzungsbedürfnisses
an Ort und Stelle eine Öffnung an Sonnund Feiertagen
gerechtfertigt erscheint.
Die Einschätzung des
Verordnungsgebers über die Erforderlichkeit der Beschäftigung
von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen ist gerichtlich nur
eingeschränkt auf ihre Schlüssigkeit und Vertretbarkeit
überprüfbar; insbesondere darf das Gericht keine eigene
Einschätzung vornehmen. Der Senat hat die Revision zum
Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache im Hinblick auf die Frage zugelassen, ob für die
nachträgliche Einbeziehung einer inhaltlich unteilbar
geänderten Fassung einer Norm in ein Normenkontrollverfahren
die einjährige Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu
beachten ist.
Aktenzeichen: 4 D 94/20.NE
Weitere Informationen: § 1
Bedarfsgewerbeverordnung NRW (1) Abweichend von § 9
Arbeitszeitgesetz dürfen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
an Sonn- und Feiertagen in den folgenden Bereichen
beschäftigt werden, soweit die Arbeiten für den Betrieb
unerläßlich sind und nicht an Werktagen durchgeführt werden
können: […] 11. in öffentlichen Bibliotheken, soweit sie ihre
Funktionen nach § 47 und § 48 Absätze 4 bis 6 des
Kulturgesetzbuches vom 1. Dezember 2021 (GV. NRW. S. 1353) in
der jeweils geltenden Fassung erfüllen, bis zu 6 Stunden.
§ 47 Kulturgesetzbuch NRW (Aufgaben der Bibliotheken)
(1) Bibliotheken sind zur Benutzung bestimmte und
erschlossene Sammlungen von Büchern sowie anderen Medien- und
Informationsangeboten, auch digitaler Art. Sie tragen in
besonderer Weise zur Verwirklichung des Grundrechts aus
Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes bei, sich aus
allgemein zugänglichen Quellen ungehindert unterrichten zu
können.
(2) Als Bildungs- und
Informationseinrichtungen unterstützen Bibliotheken das
selbstbestimmte lebensbegleitende Lernen, die Leseförderung
sowie die Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz
(3) Als Kultureinrichtungen stellen sie Räume für
Begegnungen, Kommunikation, Integration und Kreativität zur
Verfügung, gestalten diese aktiv und bieten ein vielfältiges
Programm an. Sie haben auch die Funktion eines Dritten Orts
im Sinne von § 14 Absatz 4 Satz 1. (4) Als
Gedächtnisinstitutionen pflegen, bewahren und erschließen
Bibliotheken wertvolle Altbestände und Sammlungen und machen
sie der Öffentlichkeit in analoger oder digitaler Form
zugänglich. § 48 Kulturgesetzbuch NRW (Öffentliche
Bibliotheken) […]
(4) Öffentliche Bibliotheken
leisten durch ein fachlich kuratiertes Informationsangebot
einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der
Informationsfreiheit. Daher sind sie bei der Auswahl ihrer
Medien unabhängig und an Weisungen nicht gebunden.
(5) Öffentliche Bibliotheken sind unter Beachtung des
Hausrechts und im Rahmen der Benutzungsregelungen ihrer
Träger frei zugänglich. Sie ermöglichen Nutzerinnen und
Nutzern einen niedrigschwelligen und ungehinderten Zugang zu
Informationen und tragen so wesentlich zur Vermittlung von
allgemeiner, interkultureller und staatsbürgerlicher Bildung
bei. Zudem ermöglichen und unterstützen sie die demokratische
Willensbildung und gleichberechtigte Teilhabe sowie die
gesellschaftliche Integration. Das Land unterstützt die
Öffentlichen Bibliotheken bei der nutzerfreundlichen
Ausweitung der Öffnungszeiten.
(6) Als Orte der
Begegnung, der Kommunikation, des kulturellen Austausches und
der gesellschaftlichen Integration können Bibliotheken
zentrale Orte der Kultur und der außerschulischen Bildung
sein und dazu beitragen, kulturelle Aktivitäten in der Region
zu bündeln und zugänglich zu machen
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Mai 2023 |
Sechswöchige Betriebsuntersagung
für Frisörgeschäfte im Frühjahr 2020 ("erster Lockdown")
verhältnismäßig – keine verfassungsrechtliche Verpflichtung
des Staates zur Regelung von Ausgleichsansprüchen III ZR
41/22
Karsruhe. 11. Mai 2023 - Der III.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über die Frage
entschieden, ob der Staat für Einnahmeausfälle haftet, die
durch die vorübergehende landesweite Schließung von
Frisörbetrieben im Frühjahr 2020 im Rahmen der Bekämpfung des
SARS-CoV-2-Virus entstanden sind ("erster Lockdown").
Sachverhalt: Die Klägerin ist selbständig tätig und
betreibt einen Frisörsalon in gemieteten Räumlichkeiten.
Durch Verordnungen vom 17. und 20. März 2020 untersagte das
beklagte Land Baden-Württemberg vorübergehend den Betrieb
zahlreicher Einrichtungen. Dazu gehörten auch
Frisörgeschäfte. Der Betrieb der Klägerin war in dem Zeitraum
vom 23. März bis zum 4. Mai 2020 geschlossen, ohne dass die
COVID-19-Krankheit zuvor dort aufgetreten war. Die Klägerin
war auch nicht ansteckungsverdächtig.
Aus dem Soforthilfeprogramm des
beklagten Landes erhielt sie 9.000 €, die sie allerdings
zurückzahlen muss. Die Klägerin hat geltend gemacht, das
beklagte Land schulde ihr eine Entschädigung in Höhe von
8.000 € für die mit der Betriebsschließung verbundenen
erheblichen finanziellen Einbußen (Verdienstausfall,
Betriebsausgaben). Die Maßnahme sei zum Schutz der
Allgemeinheit nicht erforderlich gewesen.
Prozessverlauf: Das Landgericht hat
die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist vor dem
Oberlandesgericht erfolglos geblieben. Die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs: Der III. Zivilsenat hat die Revision der
Klägerin zurückgewiesen. Er hat seine Rechtsprechung (Urteil
vom 17. März 2022- III ZR 79/21, BGHZ 233, 107) bestätigt,
wonach Gewerbetreibenden, die im Rahmen der Bekämpfung der
COVID-19-Pandemie als infektionsschutzrechtliche Nichtstörer
durch eine flächendeckende, rechtmäßig angeordnete
Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betriebsschließung oder
Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten
haben, weder nach den Vorschriften des
Infektionsschutzgesetzes noch nach dem allgemeinen Polizei-
und Ordnungsrecht oder kraft Richterrechts
Entschädigungsansprüche zustehen.
Die sechswöchige
Betriebsuntersagung für Frisöre war auch unter
Berücksichtigung der aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden
Berufsfreiheit und des von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten
Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb
verhältnismäßig. Die landesrechtlichen Regelungen, die
Betriebsschließungen anordneten, verfolgten das Ziel, die
Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und die durch die
Corona-Pandemie hervorgerufenen Gefahren, insbesondere auch
die der Überlastung des Gesundheitssystems, zu bekämpfen.
Damit erfüllte der Staat seine Schutzpflicht für Leben
und Gesundheit der Bürger und verfolgte mithin einen
legitimen Zweck. Das Gewicht des Eingriffs in die
vorgenannten Grundrechtspositionen wurde durch die
verschiedenen und umfangreichen staatlichen Hilfsmaßnahmen
für die von der Betriebsuntersagung betroffenen Unternehmen
entscheidend relativiert. Allein die "Soforthilfe Corona",
die ab dem 25. März 2020 zur Verfügung stand, und für
Betriebe mit bis zu fünf Beschäftigen bis zu 9.000 € betragen
konnte, führte in Baden-Württemberg zu 245.000 Bewilligungen
mit einem Gesamtvolumen von 2,1 Milliarden Euro.
Der
Verordnungsgeber hatte zudem von Anfang an eine
"Ausstiegs-Strategie" im Blick und verfolgte ein
schrittweises Öffnungskonzept. Der Umstand, dass die
infektionsschutzrechtlichen Betriebsuntersagungen aus dem
ersten Lockdown im Frühjahr 2020 nach dem geltenden Recht (§
32 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 56, 65 IfSG) keine
Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche begründen, ist
auch im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG ebenfalls nicht zu
beanstanden.
Der Gesetzgeber war verfassungsrechtlich
nicht verpflichtet, für Belastungen, wie sie für die Klägerin
mit der in den Betriebsuntersagungen liegenden Inhalts- und
Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG
einhergingen, Ausgleichsansprüche zu regeln. Eine
Betriebsschließung von sechs Wochen war angesichts der
gesamten wirtschaftlichen, sozialen und sonstigen
Auswirkungen der Pandemie und unter Berücksichtigung des
grundsätzlich von der Klägerin zu tragenden
Unternehmerrisikos nicht unzumutbar.
Die finanzielle
Leistungsfähigkeit des Staates ist begrenzt. Dementsprechend
muss der Staat in Pandemiezeiten sich gegebenenfalls auf
seine Kardinalpflichten zum Schutz der Bevölkerung
beschränken.
Vorinstanzen: Landgericht Heilbronn -
Urteil vom 17. Dezember 2020 – I 4 O 83/20 Oberlandesgericht
Stuttgart - Urteil vom 9. Februar 2022 – 4 U 28/21
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
Art. 12 GG – Berufsfreiheit (1) 1 Alle Deutschen haben
das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu
wählen. 2 Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf
Grund eines Gesetzes geregelt werden. Art. 14 GG – Eigentum,
Erbrecht und Enteignung 1 Das Eigentum und das Erbrecht
werden gewährleistet.
2 Inhalt und Schranken werden
durch die Gesetze bestimmt. § 28 IfSG - Schutzmaßnahmen (1) 1
Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige
oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein
Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider
war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen
Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 28a, 28b und 29
bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der
Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie
kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie
sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu
verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte
nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.
2 Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die
zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen
von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten
oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile
davon schließen. § 32 IfSG – Erlass von Rechtsverordnungen 1
Die Landesregierungen werden ermächtigt, unter den
Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 28b und
29 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen
entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer
Krankheiten zu erlassen.
2 Die Landesregierungen
können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere
Stellen übertragen. § 56 IfSG – Entschädigung (1) 1 Wer auf
Grund dieses Gesetzes als Ausscheider,
Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als
sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31
Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen
Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch
einen Verdienstausfall erleidet, erhält eine Entschädigung in
Geld. § 65 IfSG – Entschädigung bei behördlichen Maßnahmen
(1)
1 Soweit auf Grund einer Maßnahme nach
den §§ 16 und 17 Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in
sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein
anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht
wird, ist eine Entschädigung in Geld zu leisten; eine
Entschädigung erhält jedoch nicht derjenige, dessen
Gegenstände mit Krankheitserregern oder mit
Gesundheitsschädlingen als vermutlichen Überträgern solcher
Krankheitserreger behaftet oder dessen verdächtig sind. 2 §
254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist entsprechend anzuwenden.
Bundesgerichtshof zur
Endgerätewahlfreiheit bei einem Mobilfunkvertrag mit
Internetnutzung
Karlsruhe, 4. Mai 2023 - III
ZR 88/22 - Der für Rechtsstreitigkeiten über
Dienstverhältnisse zuständige III. Zivilsenat hat
entschieden, dass in einem Mobilfunkvertrag die Klausel in
Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines
Telekommunikationsunternehmens unwirksam ist, mit der der
Gebrauch des Internetzugangs auf Endgeräte beschränkt wird,
die eine mobile Nutzung unabhängig von einem permanenten
kabelgebundenen Stromanschluss ermöglichen. Sachverhalt: Der
Kläger ist in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4
UKlaG eingetragen.
Das beklagte
Telekommunikationsunternehmen verwendet in seinen Allgemeinen
Geschäftsbedingungen für Mobilfunkverträge mit
Internetnutzung u.a. die folgende Bestimmung: "Der mobile
Internetzugang kann/darf nur mit Smartphones, Tablets oder
sonstigen Geräten genutzt werden, die eine mobile Nutzung
unabhängig von einem permanenten kabelgebundenen
Stromanschluss ermöglichen (nicht z.B. in stationären
LTE-Routern)."
Der Kläger nimmt die Beklagte darauf
in Anspruch, es zu unterlassen, in Bezug auf
Telekommunikationsverträge mit Verbrauchern diese oder eine
inhaltsgleiche Klausel zu verwenden. Bisheriger
Prozessverlauf: Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung
der Beklagten zurückgewiesen. Die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs: Der III. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat die vom Berufungsgericht zugelassene
Revision der Beklagten zurückgewiesen.
Die von der
Beklagten verwendete Klausel hält einer Inhaltskontrolle
nicht stand. Sie verstößt gegen die in Art. 3 Abs. 1 der
Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 25. November 2015 über Maßnahmen zum Zugang zum
offenen Internet und zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG
über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen
Kommunikationsnetzen und -diensten sowie der Verordnung (EU)
Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen
in der Union normierte Endgerätewahlfreiheit und ist daher
gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.
Die
gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV in allen ihren Teilen verbindliche
und in jedem Mitgliedstaat unmittelbar geltende Verordnung
(EU) 2015/2120 bestimmt in ihrem Art. 3 Abs. 1, dass
Endnutzer eines Internetzugangsdienstes das Recht haben, den
Internetzugang mit Endgeräten ihrer Wahl zu nutzen.
Der Umfang dieser Endgerätewahlfreiheit richtet sich nicht
danach, ob dem Internetzugangsdienst ein Mobilfunkvertrag,
ein Festnetzvertrag oder ein anderer Vertragstyp zugrunde
liegt. Anknüpfungspunkt für die Endgerätewahlfreiheit ist der
Internetzugangsdienst und damit unabhängig von der
verwendeten Netztechnologie und den verwendeten Endgeräten
der durch den Dienst bereitgestellte Zugang zum Internet.
Bei der Nutzung dieses Zugangs kann der Endnutzer
grundsätzlich frei unter den zur Verfügung stehenden
Endgeräten wählen. Die Endgerätewahlfreiheit kann nicht
wirksam abbedungen werden. Eine Regelung im Sinne der von der
Beklagten verwendeten Klausel, die die Nutzung bestimmter
Endgeräte ausschließt, obwohl sie technisch zur Herstellung
einer Internetverbindung über das Mobilfunknetz geeignet
sind, ist daher unwirksam.
Die maßgeblichen
Vorschriften lauten: § 307 Abs. 1 und 2 BGB (1) Bestimmungen
in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie
den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von
Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine
unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben,
dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung
ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung 1. mit
wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der
abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder 2. wesentliche
Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags
ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des
Vertragszwecks gefährdet ist. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 VO (EU)
2015/2120
Endnutzer haben das Recht, über ihren
Internetzugangsdienst, unabhängig vom Standort des Endnutzers
oder des Anbieters und unabhängig von Standort, Ursprung oder
Bestimmungsort der Informationen, Inhalte, Anwendungen oder
Dienste, Informationen und Inhalte abzurufen und zu
verbreiten, Anwendungen und Dienste zu nutzen und
bereitzustellen und Endgeräte ihrer Wahl zu nutzen.
Vorinstanzen: LG München I - Urteil vom 28. Januar 2021 - 12
O 6343/20 OLG München - Urteil vom 17. Februar 2022 - 29 U
747/21
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April 2023
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Unfall oder Diebstahl – Pedelec richtig versichern Wer
braucht ein Versicherungskennzeichen? Hausratversicherung mit
Zusatzbaustein Coburg, 26.04.2023 - Vorbei die
Zeiten, in denen allein Kondition entschied, wer mit wem
Radfahren geht. Dem Pedelec sei Dank: Heute können Trainierte
und Untrainierte ganz entspannt miteinander radeln. Wer nicht
allein mit Muskelkraft fährt, sollte aber im Hinterkopf
haben, dass es oft schwerfällt, ein normales Rad von der
motorunterstützten Variante zu unterscheiden. Wenn
Geschwindigkeiten falsch eingeschätzt werden, ist ein Unfall
schnell passiert. Dann ist der richtige Versicherungsschutz
wichtig.
Welche Variante die richtige ist, hängt von
der Geschwindigkeit des jeweiligen Modells ab. Beim Großteil
der Pedelecs handelt es sich um Räder mit elektrischer
Tretunterstützung, die sich ab 25 Stundenkilometern
abschaltet. Wie die HUK-COBURG mitteilt, sind diese Pedelecs
den Fahrrädern gleichgestellt. Sie lassen sich ohne
Zulassung, Führerschein und Versicherungskennzeichen fahren.
Das Unfallrisiko ist oft – aber nicht immer – in einer
bestehenden Privathaftpflicht-Versicherung kostenlos
miteingeschlossen.
Ein Blick in die Bedingungen oder
ein Gespräch mit dem Versicherer klärt, ob die kostenfreie
Mitversicherung wirklich besteht. Andere Spielregeln gelten
für Fahrer:innen schneller S-Pedelecs, deren
Motorunterstützung erst bei 45 Kilometern pro Stunde endet.
Wer sich auf den Sattel eines S-Pedelecs setzt, muss
mindestens 16 Jahre alt sein, einen Führerschein der Klasse
AM und eine Kfz-Haftpflichtversicherung besitzen, das dafür
notwendige Versicherungskennzeichen gibt es direkt bei der
Kfz-Versicherung. Diebstahl nicht ausgeschlossen Genau wie
ihre allein mit Muskelkraft betriebenen Pendants, die
Fahrräder, werden auch S-Pedelecs gerne gestohlen.
Um
dagegen versichert zu sein, brauchen die
S-Pedelec-Fahrer:innen neben der Kfz-Haftpflichtversicherung
noch eine Teilkasko-Versicherung. Doch auch für Fahrer:innen
der langsameren Varianten ist Diebstahlschutz ein Thema:
Verschwinden solche Pedelecs nach einem Einbruch in den
verschlossenen Keller oder die Einzelgarage, ist das in der
Hausratversicherung kostenlos mitversichert. Anders sieht es
beim einfachen Diebstahl aus: Wenn also ein abgeschlossenes
Pedelec von der Straße weggestohlen wird. Hier kann in der
Regel nur der auf seinen Hausratversicherer zählen, der den
Zusatzbaustein Fahrraddiebstahl in seinen Vertrag
miteingeschlossen hat.
Bis zu welcher Summe die
Versicherung im Schadenfall leistet, hat jeder selbst in der
Hand. Dieser Schutz greift im Allgemeinen nicht nur 24
Stunden am Tag, sondern im Rahmen der Außenversicherung auch
weltweit und er bezieht alle, fest mit dem Fahrrad
verbundenen Teile, wie beispielsweise Sattel oder Räder, mit
ein. Lose verbundenes Zubehör, wie Anstecklampe oder
Fahrradkorb, ist normalerweise nur mitversichert, wenn es
zusammen mit dem Pedelec gestohlen wird. Allerdings können
solche Regelungen von Versicherer zu Versicherer variieren.
An dieser Stelle bringt ein Gespräch mit dem eigenen
Hausratversicherer Sicherheit.
Organstreitverfahren und abstrakte Normenkontrollen im
Zusammenhang mit dem NRW-Landeshaushalt eingegangen
Münster, 5. April 2023 - Am 5. April 2023 sind beim
Verfassungsgerichtshof in Münster ein Organstreitverfahren
sowie zwei Verfahren zur abstrakten Normenkontrolle im
Zusammenhang mit dem nordrhein-westfälischen Landeshaushalt
eingegangen.
Das von
den Fraktionen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
(SPD) und der Freien Demokratischen Partei (FDP) im Landtag
Nordrhein-Westfalen gegen das Ministerium der Finanzen des
Landes Nordrhein-Westfalen und die Landesregierung des Landes
Nordrhein-Westfalen eingeleitete Organstreitverfahren richtet
sich dagegen, dass der Landesfinanzminister auf der Grundlage
des im März 2020 errichteten "Sondervermögens zur
Finanzierung aller direkten und indirekten Folgen der
Bewältigung der Corona-Krise" (NRW-Rettungsschirmgesetz) im
Oktober und November 2022 Kredite aufgenommen hat.
Die Antragsteller sehen dadurch das Budgetrecht des Landtags
aus Art. 81 und 83 der Landesverfassung verletzt. Darüber
hinaus wenden sich die Mitglieder der Landtagsfraktionen der
SPD und der FDP im Wege der abstrakten Normenkontrolle zum
einen gegen die Errichtung des "Sondervermögens zur
Bewältigung der Krisensituation in Folge des russischen
Angriffskrieges in der Ukraine"
(NRW-Krisenbewältigungsgesetz) und zum anderen gegen die
Kreditermächtigung im "Gesetz über die Feststellung des
Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das
Haushaltsjahr 2023" (Haushaltsgesetz 2023).
Sie
machen eine Verletzung des Budgetrechts des Landtags bzw.
einen Verstoß gegen die im Grundgesetz verankerte
"Schuldenbremse" geltend.
VerfGH 32/23, VerfGH 33/23,
VerfGH 34/23
Befugnis des Insolvenzverwalters
zur Löschung eines Wohnungsrechts des Insolvenzschuldners am
eigenen Grundstück
Karlsruhe, 5. April 2023 -
BundesgerichtshofBeschluss vom 2. März 2023 – V ZB 64/21 Der
unter anderem für Rechtsbeschwerden in Grundbuchsachen
zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
entschieden, dass ein Wohnungsrecht, das am eigenen
Grundstück besteht, stets pfändbar ist und bei Insolvenz des
wohnungsberechtigen Grundstückseigentümers von dem
Insolvenzverwalter gelöscht werden kann.
Sachverhalt: Der
Beteiligte zu 1 war eingetragener Eigentümer eines bebauten
Grundstücks. An dem Grundstück bestellte er sich selbst ein
auf das Gebäude bezogenes Wohnungsrecht mit der Bestimmung,
dass die Ausübung des Wohnungsrechts dritten Personen nicht
überlassen werden könne, und brachte das Grundstück in eine
Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) als Einlage ein. Die
GbR wurde als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen,
ebenso erfolgte die Eintragung des Wohnungsrechts.
Über das Vermögen des Beteiligten zu 1 wurde einige Monate
später das Insolvenzverfahren eröffnet; der Beteiligte zu 4
wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser nahm im Wege
der Insolvenzanfechtung die GbR erfolgreich auf Rückgewähr in
Anspruch und erklärte die Auflassung des Grundbesitzes an den
Beteiligten zu 1. Er bewilligte und beantragte zudem die
Löschung des Wohnungsrechts. Daraufhin wurde der Beteiligte
zu 1 wieder als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen; das
Wohnungsrecht wurde gelöscht.
Gegen die Löschung des
Wohnungsrechts hat der Beteiligte zu 1 Beschwerde eingelegt
mit dem Ziel der Eintragung eines Amtswiderspruchs. Das
Kammergericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen
wendet sich der Beteiligte zu 1 mit der zugelassenen
Rechtsbeschwerde. Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der V.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Rechtsbeschwerde
des Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
Dem liegen
folgende Erwägungen zugrunde: Das Beschwerdegericht lehnt es
zu Recht ab, das Grundbuchamt zur Eintragung eines
Widerspruchs gegen die Löschung des Wohnungsrechts
anzuweisen, weil durch die Löschung des Wohnungsrechts keine
gesetzlichen Vorschriften verletzt worden sind. Der
Beteiligte zu 4 war als Insolvenzverwalter befugt, die
Löschung des Wohnungsrechts zu bewilligen.
Mit der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Verfügungsbefugnis
über die Insolvenzmasse auf den Insolvenzverwalter über. Dem
Insolvenzschuldner wird, soweit die Insolvenzmasse betroffen
ist, auch die Bewilligungsbefugnis entzogen; sie wird durch
den Insolvenzverwalter ausgeübt. Die Bewilligungsbefugnis des
Insolvenzverwalters umfasst dagegen nicht das Vermögen, das
nicht der Zwangsvollstreckung unterliegt (§ 36 Abs. 1 Satz 1
InsO).
Grundsätzlich gehören beschränkte persönliche
Dienstbarkeiten und damit auch das Wohnungsrecht (§ 1093 BGB)
als Sonderfall der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit
allerdings nicht zur Insolvenzmasse, weil sie gemäß § 1092
Abs. 1 Satz 1 BGB nicht übertragbar und deshalb nicht
pfändbar sind (§ 851 Abs. 1, § 857 Abs. 1 ZPO). Etwas anderes
gilt gemäß § 857 Abs. 3 ZPO dann, wenn die Überlassung der
Ausübung an einen anderen nach § 1092 Abs. 1 Satz 2 BGB
gestattet ist. Daran fehlt es hier.
Gleichwohl ist
das Wohnungsrecht des Beteiligten zu 1 pfändbar und fällt in
die Insolvenzmasse, weil der Beteiligte zu 1 das Eigentum an
dem Grundstück zurückerlangt hat und das Wohnungsrecht
dadurch zum Eigentümerwohnungsrecht geworden ist. Der V.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat bereits 1964
entschieden, dass eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit
dann pfändbar ist, wenn der Eigentümer des Grundstücks und
der Berechtigte personenidentisch sind. Er hält an dieser
Ansicht, die auch für das Wohnungsrecht gilt, fest.
Das Gesetz geht in den §§ 1090 ff. BGB davon aus, dass die
beschränkte persönliche Dienstbarkeit an einem fremden
Grundstück besteht, Eigentümer und Berechtigter also
personenverschieden sind. Für das Wohnungsrecht kommt das in
§ 1093 Abs. 1 Satz 1 BGB zum Ausdruck. Nach dieser Vorschrift
berechtigt das Wohnungsrecht zu einer Nutzung der umfassten
Räume durch den Wohnungsberechtigten "unter Ausschluss des
Eigentümers". Zwar erlaubt der Bundesgerichtshof die
Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit und
damit auch die Bestellung eines Wohnungsrechts am eigenen
Grundstück.
Das hat seinen Grund darin, dass dafür im
Zusammenhang mit der Vertragsgestaltung, insbesondere bei der
Veräußerung des Grundstücks, ein praktisches Bedürfnis
bestehen kann, ändert aber nichts daran, dass nach dem
gesetzlichen Leitbild Grundstückseigentümer und Berechtigter
personenverschieden sind. Dieses gesetzliche Leitbild liegt
gerade auch der Vorschrift der § 1092 Abs. 1 BGB zugrunde,
die zum Ausschluss der Pfändbarkeit führen kann. Auf ein
Eigentümerwohnungsrecht kann sich der Ausschluss der
Pfändbarkeit nach Sinn und Zweck der Vorschrift nicht
erstrecken.
Die Vorschrift des § 1092 Abs. 1 BGB
dient dem Schutz des Eigentümers. Sie trägt dem persönlichen
Vertrauensverhältnis zwischen Eigentümer und Berechtigtem
Rechnung und schließt es aus, dass der Berechtigte ohne
Mitwirkung des Eigentümers ausgetauscht werden kann. Das
zeigt, dass der Ausschluss der Pfändbarkeit ein Fremdrecht
voraussetzt. Für die beschränkte persönliche Dienstbarkeit
und insbesondere das Wohnungsrecht an eigenen Grundstücken
ist § 1092 Abs. 1 BGB deshalb teleologisch einzuschränken.
Der Berechtigte, der zugleich Eigentümer
ist, muss sich so behandeln lassen, als habe er es gemäß §
1092 Abs. 1 Satz 2 BGB gestattet, die Ausübung einem anderen
zu überlassen. Infolgedessen ist ein Eigentümerwohnungsrecht
stets – und damit auch hier –pfändbar. Hierfür spielt es
keine Rolle, ob das Wohnungsrecht von Anfang an als
Eigentümerwohnungsrecht bestellt wird oder ob es nachträglich
zu einer Vereinigung von Wohnungsrecht und Eigentum in einer
Person kommt.
Aufgrund der Pfändbarkeit fällt das
Eigentümerwohnungsrecht bei Insolvenz des
wohnungsberechtigten Grundstückseigentümers in die
Insolvenzmasse und ist von dem Insolvenzverwalter zu
verwerten. Der Insolvenzverwalter ist befugt, im Rahmen der
Verwertung die Löschung des Wohnungsrechts zu bewilligen,
etwa um das Grundstück lastenfrei veräußern zu können.
Vorinstanzen: Kammergericht –
Beschluss vom 7. Oktober 2021 – 1 W 342/21 Amtsgericht
Charlottenburg – Grundbuchamt – Beschluss vom 9. September
2021 – 40 BG-2329 Die maßgeblichen Vorschriften lauten: §
1092 BGB Unübertragbarkeit; Überlassung der Ausübung (1) Eine
beschränkte persönliche Dienstbarkeit ist nicht übertragbar.
Die Ausübung der Dienstbarkeit kann einem anderen nur
überlassen werden, wenn die Überlassung gestattet ist. (…) §
1093 BGB Wohnungsrecht (1) Als beschränkte persönliche
Dienstbarkeit kann auch das Recht bestellt werden, ein
Gebäude oder einen Teil eines Gebäudes unter Ausschluss des
Eigentümers als Wohnung zu benutzen. (…) (…) § 19 GBO
[Bewilligungsgrundsatz] Eine Eintragung erfolgt, wenn
derjenige sie bewilligt, dessen Recht von ihr betroffen wird.
§ 53 GBO [Widerspruch und Löschung von Amts wegen] (1) Ergibt
sich, daß das Grundbuchamt unter Verletzung gesetzlicher
Vorschriften eine Eintragung vorgenommen hat, durch die das
Grundbuch unrichtig geworden ist, so ist von Amts wegen ein
Widerspruch einzutragen. (…) (…) § 851 ZPO Nicht
übertragbare Forderungen (1) Eine Forderung ist in
Ermangelung besonderer Vorschriften der Pfändung nur insoweit
unterworfen, als sie übertragbar ist. (…) § 857 ZPO
Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte (1) Für die
Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte, die nicht
Gegenstand der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche
Vermögen sind, gelten die vorstehenden Vorschriften
entsprechend. (…) (3) Ein unveräußerliches Recht ist in
Ermangelung besonderer Vorschriften der Pfändung insoweit
unterworfen, als die Ausübung einem anderen überlassen werden
kann. (…) § 35 InsO Begriff der Insolvenzmasse (1) Das
Insolvenzverfahren erfaßt das gesamte Vermögen, das dem
Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und
das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). (…)
§ 36 InsO Unpfändbare Gegenstände (1) Gegenstände, die
nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören nicht zur
Insolvenzmasse. (…) (…) § 80 InsO Übergang des
Verwaltungs- und Verfügungsrechts (1) Durch die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur
Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu
verfügen, auf den Insolvenzverwalter über.
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März 2023
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Organstreitverfahren wegen
Nichtvorlage von Akten an den "PUA II -
Hochwasserkatastrophe" eingegangen
Münster,
31. März 2023 - Drei Mitglieder des Parlamentarischen
Untersuchungsausschusses II der 18. Wahlperiode des Landtags
Nordrhein-Westfalen ("PUA II – Hochwasserkatastrophe") haben
am 29. März 2023 beim Verfassungsgerichtshof in Münster ein
Organstreitverfahren gegen die Ministerin für Heimat,
Kommunales, Bau und Digitalisierung (Ina Scharrenberg) des
Landes Nordrhein-Westfalen eingeleitet.
Der "PUA II – Hochwasserkatastrophe"
soll mögliche Versäumnisse, Fehleinschätzungen und mögliches
Fehlverhalten der damaligen Landesregierung, insbesondere der
zuständigen Ministerien sowie der ihnen nachgeordneten
Behörden während der Hochwasserkatastrophe untersuchen, die
sich Mitte Juli 2021 ereignet hatte.
Die Antragsteller begehren die
Feststellung, dass die Antragsgegnerin dadurch gegen Art. 41
Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 3 der Landesverfassung
verstoßen habe, dass sie dem "PUA II – Hochwasserkatastrophe"
einen Teil der auf Grundlage des Beweisbeschlusses Nr. 13 vom
4. November 2022 angeforderten und in ihrem Geschäftsbereich
geführten Akten nicht vorgelegt habe. VerfGH 31/23
Kinderehe Gesetz zur Bekämpfung
von Kinderehen mangels Regelungen zu den Folgen und zu
Fortführungsmöglichkeiten nach inländischem Recht unwirksamer
Auslandskinderehen mit dem Grundgesetz unvereinbar
Karlsruhe, 29. März 2023 - Der Gesetzgeber ist
grundsätzlich befugt, die inländische Wirksamkeit im Ausland
wirksam geschlossener Ehen von einem Mindestalter der
Beteiligten abhängig zu machen. Ihm ist es auch nicht von
vornherein verwehrt, bei Unterschreiten dieses Alters im
Zeitpunkt der Eheschließung ohne Einzelfallprüfung die
Nichtigkeit der Ehe anzuordnen.
Allerdings bedarf es
dann Regelungen über die Folgen der Unwirksamkeit, etwa über
Unterhaltsansprüche, und über eine Möglichkeit, die
betroffene Auslandsehe nach Erreichen der Volljährigkeit auch
nach deutschem Recht als wirksame Ehe führen zu können.
Da das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen derartige
Regelungen nicht enthält, hat der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem
Beschluss den im Rahmen eines Vorlageverfahrens zur
Überprüfung gestellten Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB für mit der
Ehefreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt.
Die Vorschrift bleibt jedoch zunächst mit vom Gericht
näher festgelegten Maßgaben zu Unterhaltsansprüchen in Kraft.
Der Gesetzgeber hat bis längstens 30. Juni 2024 Zeit, eine in
jeder Hinsicht verfassungsgemäße Regelung zu schaffen.
EU:
„Recht auf Reparatur“
Brüssel, 22. März 2023 - Entsorgte Produkte sind häufig noch
gebrauchsfähige Waren, die repariert werden können, aber oft
vorzeitig weggeworfen werden. Dies verursacht jährlich
35 Millionen Tonnen Abfall. Dagegen will die EU-Kommission
vorgehen. Mit einem Vorschlag zum „Recht auf Reparatur“ soll
es für Verbraucherinnen und Verbrauchern künftig einfacher
und kostengünstiger werden, Waren zu reparieren, statt sie
ersetzen zu lassen.
Frans Timmermans, Exekutiv-Vizepräsident für den
europäischen Grünen Deal, sagte: „Reparatur ist
ein entscheidender Faktor, wenn es darum geht, das Modell der
Wegwerfgesellschaft ad acta zu legen, das für unseren
Planeten, unsere Gesundheit und unsere Wirtschaft so
schädlich ist. Ein fehlerhaftes Kabel oder ein beschädigter
Ventilator muss nicht bedeuten, dass man ein ganz neues
Produkt kaufen muss. Im vergangenen Jahr haben wir
Vorschriften vorgeschlagen, um sicherzustellen, dass Produkte
grundsätzlich reparierbar sind. Heute schlagen wir vor, die
Reparatur zu einer einfachen und attraktiven Option für die
Verbraucherinnen und Verbraucher zu machen.“
Neue Maßnahmen zur Förderung
und Erleichterung von Reparatur und Wiederverwendung
Der Vorschlag sieht ein „Recht auf Reparatur“ für
Verbraucherinnen und Verbraucher sowohl innerhalb als auch
außerhalb der gesetzlichen Garantie.
Im Rahmen der gesetzlichen Garantie werden
Verkäufer Reparaturen anbieten müssen, es sei denn, diese
sind teurer als der Ersatz.
Über die gesetzliche Garantie hinaus wird
den Verbraucherinnen und Verbrauchern ein neues Paket von
Rechten und Instrumenten zur Verfügung stehen, um eine
Reparatur zu einer einfachen und verfügbaren Option zu
machen:
•
Anspruch der Verbraucher/innen gegenüber Herstellern auf
Reparatur von Produkten, die nach EU-Recht technisch
reparierbar sind, wie Waschmaschinen oder Fernsehgeräte.
Dadurch soll sichergestellt werden, dass sich
Verbraucher/innen jederzeit an jemanden wenden können, wenn
sie sich für eine Reparatur ihres Produkts entscheiden. Auch
soll es die Hersteller dazu anregen, nachhaltigere
Geschäftsmodelle zu entwickeln.
•
Verpflichtung der Hersteller zur Unterrichtung der
Verbraucher/innen über die Produkte, die sie selbst
reparieren müssen.
•
Eine Matchmaking-Reparaturplattform im Internet, um
Verbraucherinnen und Verbrauchern die Kontaktaufnahme zu
Reparaturbetrieben und Verkäufern instandgesetzter Waren in
ihrer Region zu ermöglichen. Die Plattform soll die Suche
nach Standorten und Qualitätsstandards ermöglichen, sie soll
den Verbraucherinnen und Verbrauchern helfen, attraktive
Angebote zu finden, und die Sichtbarkeit von
Reparaturbetrieben erhöhen.
•
Ein europäisches Formular für Reparaturinformationen, das die
Verbraucher/innen von jedem Reparaturbetrieb verlangen
können. Das soll Transparenz in Bezug auf die
Reparaturbedingungen und den Preis schaffen und den
Verbraucherinnen und Verbrauchern der Vergleich von
Reparaturangeboten erleichtern.
•
Ein europäischer Qualitätsstandard für
Reparaturdienstleistungen wird entwickelt. Er soll den
Verbraucherinnen und Verbrauchern dabei helfen,
Reparaturbetriebe zu ermitteln, die sich zu einer höheren
Qualität verpflichten. Dieser Standard für eine „einfache
Reparatur“ steht allen Reparaturbetrieben in der gesamten EU
offen. Sie müssen bereit sein, sich zu
Mindestqualitätsstandards zu verpflichten, etwa in Bezug auf
die Lebensdauer oder die Verfügbarkeit von Produkten.
Der Kommissionsvorschlag muss vom Europäischen Parlament und
vom Rat angenommen werden.
Deutsche Umwelthilfe begrüßt
Urteil des EuGH zu Abschalteinrichtungen bei Diesel-Pkw
21. März 2023 - Bestätigung der Illegalität von
Temperaturabschaltungen der Abgasreinigung erfolgt in den von
der Deutschen Umwelthilfe geführten Verfahren Europäischer
Gerichtshof bestätigt: Durch illegale Abschalteinrichtungen
betrogene Kunden können Anspruch auf Gewährleistung durch
Automobilhersteller haben – von diesem Urteil sind bis zu 10
Millionen Besitzer von Diesel-Pkw betroffen Voraussetzung für
die zivilrechtlichen Ansprüche ist nach der heutigen
EuGH-Entscheidung, dass die Temperaturabschaltungen
unzulässig waren.
Dies wird in den durch die Deutsche
Umwelthilfe vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit geführten
Verfahren entschieden. Die Musterentscheidung des
Verwaltungsgerichts Schleswig vom 20. Februar 2023 bestätigt
die Unzulässigkeit.
DUH-BGF Resch: „Das
Kraftfahrtbundesamt und das zuständige
Bundesverkehrsministerium haben viele Jahre die Profite der
Dieselkonzerne über das Wohl der Menschen gestellt – das
heutige Urteil verpflichtet das Kraftfahrtbundesamt, nun eine
Hardwarenachrüstung oder alternativ Stilllegung der Fahrzeuge
anzuordnen!“
Nur einen Monat nach dem Grundsatzurteil
des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 20. Februar 2023 folgt
heute der nächste Paukenschlag in der um mehr als sieben
Jahre verspäteten Dieselgate-Aufarbeitung. Der Europäische
Gerichtshof hat die Hürden für eine Schadensersatzklage für
bis zu 10 Millionen betroffene Dieselfahrer gegen die
Autohersteller erheblich gesenkt (Aktenzeichen: C-100 / 21).
Während der Bundesgerichtshof (BGH) zuvor noch den
Nachweis einer „vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung“
verlangte, ist jetzt nur noch der Nachweis einer fahrlässigen
Pflichtverletzung notwendig. „Dieses Urteil ist ein großer
Erfolg für den Verbraucherschutz. Entscheidend wird nun sein,
dass die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtungen
abschließend gerichtlich festgestellt wird. Dazu sind bereits
Verfahren zu über 100 Typgenehmigungen gegen das KBA
anhängig.
Alles spricht dafür, dass diese
abschließend so ausgehen, wie das Verwaltungsgericht
Schleswig zuletzt in dem Musterfall entschieden hat. Die
Zivilgerichte müssen diese verwaltungsgerichtlichen
Weichenstellungen übernehmen“, so Rechtsanwalt Remo Klinger,
der die Deutsche Umwelthilfe (DUH) in allen
Dieselgate-Verfahren vertritt.
Das
Kraftfahrtbundesamt (KBA) hatte diverse Betrugsdiesel durch
Freigabebescheide nach einem Software-Update wieder auf die
Straße gelassen. Die DUH hatte diesbezüglich geklagt und am
20. Februar 2023 in einem Musterverfahren an einem VW Golf
mit dem Motor EA189 gewonnen: Der Freigabebescheid wurde
aufgehoben, da nach wie vor unzulässige Abschalteinrichtungen
vorhanden sind.
Insgesamt hat die DUH 119
Freigabebescheide für Betrugsdiesel verschiedener Hersteller
beklagt. Mittelbar sind bis zu 10 Millionen Autos in
Deutschland betroffen. DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch
kommentiert: „Das KBA und das zuständige
Bundesverkehrsministerium haben viele Jahre die Profite der
Dieselkonzerne über das Wohl der Menschen gestellt. Wir
werden mit unseren weiteren Klageverfahren gegen das
Kraftfahrtbundesamt sicherstellen, dass alle Betrugsdiesel
entweder stillgelegt oder mit einer funktionierenden
Abgasanlage nachgerüstet werden.“
Bundesgerichtshof bejaht
"Beschlusszwang" für bauliche Veränderungen des
Gemeinschaftseigentums nach neuem Wohnungseigentumsrecht
Urteil vom 17. März 2023 - V ZR 140/22
Karlsruhe, 17. März 2023 - Der Bundesgerichtshof hat sich
heute mit dem neuen Wohnungseigentumsrecht befasst und
entschieden, dass ein Wohnungseigentümer, der eine in der
Gemeinschaftsordnung nicht vorgesehene bauliche Veränderung
vornehmen will, einen Gestattungsbeschluss notfalls im Wege
der Beschlussersetzungsklage herbeiführen muss, ehe mit der
Baumaßnahme begonnen wird.
Sachverhalt: Die Parteien
bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft mit zwei
Doppelhaushälften auf einem im Gemeinschaftseigentum
stehenden Grundstück. Nach der Gemeinschaftsordnung von 1971
bestimmt sich das Verhältnis der Wohnungseigentümer
untereinander nach dem Gesetz, wobei jedem Wohnungseigentümer
ein Sondernutzungsrecht an dem an die jeweilige Haushälfte
anschließenden Gartenteil zusteht. Ausweislich einer späteren
Ergänzung der Teilungserklärung sind sie insoweit allein für
Reparaturen und Instandhaltungen verantwortlich und
kostenpflichtig.
Die Beklagten beabsichtigen gegen den
Willen der Klägerin den Bau eines Swimmingpools in der von
ihnen genutzten Hälfte des Gartens. Bisheriger
Prozessverlauf: Nachdem die Beklagten mit dem Bau des
Swimmingpools begonnen hatten, hat die Klägerin
Unterlassungsklage erhoben, die bei Amts- und Landgericht
Erfolg gehabt hat. Mit der von dem Landgericht zugelassenen
Revision wollten die Beklagten weiterhin die Abweisung der
Klage erreichen.
Die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs: Der unter anderem für das
Wohnungseigentumsrecht zuständige V. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat die Revision zurückgewiesen. Das
Landgericht hat der Unterlassungsklage zu Recht stattgegeben.
Dabei ist es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
entsprechend davon ausgegangen, dass die
Prozessführungsbefugnis der Klägerin fortbesteht, da die
Klage noch unter dem alten Recht erhoben worden ist.
Im Ausgangspunkt steht der Klägerin ein Unterlassungsanspruch
gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB zu. Bauliche Veränderungen
müssen nämlich gemäß § 20 Abs. 1 WEG durch einen Beschluss
der Wohnungseigentümer gestattet werden. Daran fehlt es hier.
Die Wohnungseigentümer haben das Beschlusserfordernis auch
nicht gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 WEG abbedungen. Dies ergibt
sich insbesondere nicht aus der Gemeinschaftsordnung nebst
Ergänzung.
Zwar steht den Beklagten ein
Sondernutzungsrecht an dem hälftigen Grundstück zu. Ein
solches Sondernutzungsrecht berechtigt aber nicht zu
grundlegenden Umgestaltungen der jeweiligen
Sondernutzungsfläche, die wie der Bau eines Swimmingpools
über die übliche Nutzung hinausgehen. Hierbei handelt es sich
auch nicht um eine Reparatur oder Instandsetzung.
Ebenso wenig bestehen Anhaltspunkte
für eine konkludente, von dem grundsätzlichen
Beschlusserfordernis bei baulichen Veränderungen abweichende
Vereinbarung. Dies lässt sich insbesondere nicht etwaigen
baulichen Veränderungen entnehmen, die die Klägerin selbst
ohne das Einverständnis der Beklagten vorgenommen haben soll.
Diesem Unterlassungsanspruch können die Beklagten einen
eventuellen Anspruch auf Gestattung der baulichen Veränderung
gemäß § 20 Abs. 3 WEG nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB)
entgegenhalten.
Zwar kann gemäß § 20 Abs. 3 WEG jeder
Wohnungseigentümer verlangen, dass ihm eine bauliche
Veränderung gestattet wird, wenn alle Wohnungseigentümer,
deren Rechte durch die bauliche Veränderung über das bei
einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus
beeinträchtigt werden, einverstanden sind oder wenn kein
anderer Wohnungseigentümer beeinträchtigt wird.
Die
fehlende Beeinträchtigung der Klägerin und damit einen
Gestattungsanspruch der Beklagten musste der
Bundesgerichtshof für die Revisionsinstanz unterstellen, weil
das Landgericht diese Frage offengelassen und keine
Feststellungen insbesondere zu der Grundstücksgröße und den
baulichen Verhältnissen vor Ort getroffen hatte. Auch wenn
ein bestehender Gestattungsanspruch unterstellt wird, muss
die Gestattung durch Beschluss der Wohnungseigentümer
erfolgen.
Die vor Inkrafttreten des
Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes zum 1. Dezember 2020
umstrittene Frage, ob bauliche Veränderungen eines
Beschlusses bedürfen, hat der Gesetzgeber in Kenntnis dieses
Streits nunmehr eindeutig entschieden, um
Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden und die vielfältigen
Zweifelsfragen im Zusammenhang mit baulichen Veränderungen zu
beseitigen. Danach bedarf jede von einem einzelnen
Wohnungseigentümer beabsichtigte bauliche Veränderung des
gemeinschaftlichen Eigentums eines legitimierenden
Beschlusses, auch wenn kein Wohnungseigentümer in rechtlich
relevanter Weise beeinträchtigt wird.
So wird
sichergestellt, dass die Wohnungseigentümer über alle
baulichen Veränderungen des Gemeinschaftseigentums informiert
werden. Damit ist das Verfahren bei beabsichtigter baulicher
Veränderung durch einen einzelnen Wohnungseigentümer
vorgezeichnet. Es ist Sache des bauwilligen
Wohnungseigentümers, einen Gestattungsbeschluss
gegebenenfalls im Wege der Beschlussersetzungsklage (§ 44
Abs. 1 Satz 2 WEG) herbeizuführen, ehe mit der Baumaßnahme
begonnen wird.
Handelt er dem zuwider, haben die
übrigen Wohnungseigentümer einen Unterlassungsanspruch. Dass
der bauwillige Wohnungseigentümer dem Unterlassungsanspruch
seinen Gestattungsanspruch nicht unter Berufung auf Treu und
Glauben entgegenhalten kann, ist keine bloße Förmelei. Es ist
gerade Sache des bauwilligen Wohnungseigentümers, den
gesetzlich geforderten Beschluss über die bauliche
Veränderung herbeizuführen. Notfalls muss er
Beschlussersetzungsklage erheben.
Demgegenüber sollen
die übrigen Wohnungseigentümer nicht in die Rolle gedrängt
werden, auf die Erhebung einer Klage durch die Gemeinschaft
hinwirken zu müssen. Vorteil dieses nunmehr eindeutig
geregelten Verfahrens ist außerdem, dass mit Bestandskraft
eines gestattenden Beschlusses (bzw. Rechtskraft eines
Urteils, das einen Gestattungsbeschluss ersetzt) zwischen den
Wohnungseigentümern ebenso wie im Verhältnis zu deren
Rechtsnachfolgern feststeht, dass die bauliche Veränderung
zulässig ist.
Die maßgeblichen Vorschriften lauten: §
20 WEG: Abs. 1: "Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige
Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen
(bauliche Veränderungen), können beschlossen oder einem
Wohnungseigentümer durch Beschluss gestattet werden".
Abs. 2 (…) Abs. 3: "Unbeschadet des Absatzes 2 kann jeder
Wohnungseigentümer verlangen, dass ihm eine bauliche
Veränderung gestattet wird, wenn alle Wohnungseigentümer,
deren Rechte durch die bauliche Veränderung über das bei
einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus
beeinträchtigt werden, einverstanden sind".
Eilantrag gegen die Auswahl der
Abfertigungsdienstleister am Flughafen Düsseldorf abgelehnt
Münster, 3. März 2023 - Die Entscheidung vom 19. Dezember
2022, mit welcher das Verkehrsministerium des Landes
Nordrhein-Westfalen drei Anbieter zur Erbringung von
Bodenabfertigungsdiensten am Flughafen Düsseldorf für die
Dauer von sieben Jahren beginnend ab dem 1. April 2023
ausgewählt hat, bleibt sofort vollziehbar.
Das hat
das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 2. März 2023
entschieden.
Nach Ausschreibung der Konzessionen zur
Erbringung von Bodenabfertigungsdiensten am Flughafen
Düsseldorf hat das Verkehrsministerium mit seiner
Auswahlentscheidung drei Anbieter ausgewählt. Dagegen hat ein
unterlegener Mitbewerber, der bisher die Leistungen am
dortigen Flughafen erbracht hat, Klage erhoben und im
Hinblick auf die behördlich angeordnete sofortige Vollziehung
der Auswahlentscheidung Eilrechtsschutz beantragt.
Diesen Eilantrag, mit dem das Unternehmen (Antragstellerin)
erreichen wollte, vorläufig bis zur Entscheidung über die
Klage weiterhin am Flughafen Düsseldorf tätig sein zu dürfen,
hat das Oberverwaltungsgericht mit seinem Beschluss
abgelehnt. Zur Begründung hat der - erstinstanzlich
zuständige - 20. Senat im Wesentlichen ausgeführt: Die
Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind offen.
Die
deshalb gebotene Abwägung der widerstreitenden Interessen
fällt zulasten der Antragstellerin aus. Ein öffentliches
Vollziehungsinteresse resultiert unter Berücksichtigung der
großen verkehrlichen Bedeutung des Flughafens in hohem Maße
aus dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung
seiner Betriebs- und Funktionsfähigkeit ab dem 1. April 2023,
die rechtlich und tatsächlich durch die Vollziehbarkeit der
Auswahlentscheidung gewährleistet wird.
Außerdem
fällt insofern ins Gewicht, dass die sofortige Vollziehung
der Auswahlentscheidung der vom Recht der Europäischen Union
vorgesehenen Marktöffnung auf dem Gebiet der
Bodenabfertigungsdienste Rechnung trägt. Gegenüber dem
demnach erheblichen öffentlichen Vollziehungsinteresse sowie
den Vollziehungsinteressen des Flughafenbetreibers und der
ausgewählten Bewerber tritt das vordringlich wirtschaftlich
begründete Interesse der Antragstellerin zurück, vorläufig
weiterhin die Leistungen erbringen zu dürfen.
Der
Beschluss ist unanfechtbar. Aktenzeichen: 20 B 71/23.AK
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Januar 2023 |
Alkohol im Blut: Hände weg vom Steuer - Mitfahrt bei
Betrunkenem kann Konsequenzen haben - Promillegrenzen
gelten auch beim Radfahren
Coburg/Duisburg im Januar 2023 -
Nach zwei Jahren Pandemie können alle Narren und Jecken
endlich wieder feiern. Die fünfte Jahreszeit hat begonnen und
nähert sich langsam ihrem Höhepunkt. Für viele Narren gehört
ein guter Schluck genauso zum Fasching wie die gute Laune.
Doch schon geringe Alkoholmengen genügen, um die
Reaktionsfähigkeit drastisch einzuschränken. Bei
Fahrauffälligkeiten – wie dem Fahren von Schlangenlinien oder
zu dichtem Auffahren – drohen bereits ab 0,3 Promille ein
Fahrverbot, Punkte und ein Bußgeld.
Wer mit 0,5
Promille in eine Polizeikontrolle gerät, wird mit mindestens
500 Euro zur Kasse gebeten, darf sich mindestens einen Monat
nicht ans Steuer setzen und kassiert zwei Punkte in
Flensburg. Sind Autofahrer:innen mit mehr als 1,1 Promille
unterwegs, geht der Gesetzgeber automatisch von absoluter
Fahruntüchtigkeit aus. Personen, die die Polizei so antrifft,
müssen sich für mindestens sechs Monate von ihrem
Führerschein verabschieden. Weitere Konsequenzen sind drei
Punkte in Flensburg und eine Geldstrafe. Zudem wird bei solch
einer Trunkenheitsfahrt der Führerschein entzogen. Seine
Rückgabe muss bei der Straßenverkehrsbehörde beantragt
werden.
Alkohol im Blut: Hände weg vom Steuer Foto: HUK-Coburg
Fahranfänger:innen sollten berücksichtigen: Bis zum 21.
Geburtstag beziehungsweise während der Probezeit ist Alkohol
am Steuer tabu. Auch Radfahren und Alkohol passen nicht
zusammen: Wer angetrunken einen Unfall verursacht, läuft ab
0,3 Promille ebenfalls Gefahr, seinen Führerschein verlieren.
Ab 1,6 Promille müssen auch Radfahrer:innen mit einem
Verfahren rechnen - unabhängig davon, ob sie einen
Führerschein besitzen.
Nicht mit Versicherungsschutz
spielen Soweit die strafrechtliche Seite. War bei einem
Unfall Alkohol im Spiel, kann sich das, wie die HUK-COBURG
mitteilt, auch auf den Versicherungsschutz auswirken.
Inwiefern hängt vom Blutalkoholspiegel und der individuellen
Fahrtüchtigkeit ab. Also davon, ob Fahrer oder Fahrerin eine
Situation erkannt und angemessen reagiert haben. Wer
Schlangenlinien gefahren, von der Straße Nach zwei Jahren
Pandemie können alle Narren und Jecken endlich wieder
feiern. Die fünfte Jahreszeit hat begonnen und nähert sich
langsam ihrem Höhepunkt.
Für viele Narren gehört ein
guter Schluck genauso zum Fasching wie die gute Laune. Doch
schon geringe Alkoholmengen genügen, um die
Reaktionsfähigkeit drastisch einzuschränken. Bei
Fahrauffälligkeiten – wie dem Fahren von Schlangenlinien oder
zu dichtem Auffahren – drohen bereits ab 0,3 Promille ein
Fahrverbot, Punkte und ein Bußgeld. Wer mit 0,5 Promille in
eine Polizeikontrolle gerät, wird mit mindestens 500 Euro zur
Kasse gebeten, darf sich mindestens einen Monat nicht ans
Steuer setzen und kassiert zwei Punkte in Flensburg.
Sind Autofahrer:innen mit mehr als 1,1 Promille
unterwegs, geht der Gesetzgeber automatisch von absoluter
Fahruntüchtigkeit aus. Personen, die die Polizei so antrifft,
müssen sich für mindestens sechs Monate von ihrem
Führerschein verabschieden. Weitere Konsequenzen sind drei
Punkte in Flensburg und eine Geldstrafe. Zudem wird bei solch
einer Trunkenheitsfahrt der Führerschein entzogen. Seine
Rückgabe muss bei der Straßenverkehrsbehörde beantragt
werden. Fahranfänger:innen sollten berücksichtigen: Bis zum
21. Geburtstag beziehungsweise während der Probezeit ist
Alkohol am Steuer tabu.
Auch Radfahren und Alkohol
passen nicht zusammen: Wer angetrunken einen Unfall
verursacht, läuft ab 0,3 Promille ebenfalls Gefahr, seinen
Führerschein verlieren. Ab 1,6 Promille müssen auch
Radfahrer:innen mit einem Verfahren rechnen - unabhängig
davon, ob sie einen Führerschein besitzen. Nicht mit
Versicherungsschutz spielen Soweit die strafrechtliche Seite.
War bei einem Unfall Alkohol im Spiel, kann sich das, wie die
HUK-COBURG mitteilt, auch auf den Versicherungsschutz
auswirken. Inwiefern hängt vom Blutalkoholspiegel und der
individuellen Fahrtüchtigkeit ab. Also davon, ob Fahrer oder
Fahrerin eine Situation erkannt und angemessen reagiert
haben.
Wer Schlangenlinien gefahren, von der Straße
abgekommen ist oder Autos gerammt hat, hat diese Grenze
überschritten. Wie viel Alkohol zu Ausfallerscheinungen
führt, ist bei jedem verschieden. Im Extremfall genügt ein
Glas Sekt. Lässt sich der Unfall eindeutig auf Alkoholkonsum
zurückführen, greift in der Kfz-Haftpflichtversicherung die
Trunkenheitsklausel. Sie befreit den Versicherer von seiner
Leistungspflicht. Das heißt: Die Versicherung reguliert den
Schaden des Opfers, nimmt aber den Unfallverursacher in
Regress.
Maximal 5.000 Euro kann sie sich vom
Schädiger oder der Schädigerin zurückholen. In der
Kasko-Versicherung kann sich der Versicherer auf
Leistungsfreiheit berufen und nur einen Teil des Schadens
oder gar nichts bezahlen. Bei 1,1 Promille gilt der
Alkoholgenuss automatisch als unfallursächlich. Allerdings
genügen auch geringere Mengen, um den Versicherungsschutz ins
Wanken zu bringen. Die Gretchenfrage ist und bleibt, ob der
Alkohol ursächlich für die Karambolage war. Beifahrer:innen
mit in der Verantwortung Auch wer bei seinem alkoholisierten
Trinkkumpan ins Auto steigt, muss bei einem Unfall mit
Konsequenzen rechnen.
Werden Mitfahrende verletzt,
können ihre Ansprüche gekürzt werden, die sie im Normalfall
gegen den Verursacher gehabt hätten. Dies gilt zum Beispiel
für das Schmerzensgeld. Die Rechtsprechung unterstellt hier,
dass Mitfahrende, die sich zu einem Betrunkenen ins Auto
setzen, sich selbst gefährden und die Verletzungsfolgen
dadurch mit verursacht haben. Selbst am Morgen nach einer
fröhlich durchzechten Nacht ist der Alkohol immer noch ein
Thema. Schließlich dauert es um die zehn Stunden, bis ein
Promille Alkohol im Körper abgebaut wird. Im Zweifelsfall
empfiehlt sich der Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel.
Zur wettbewerbsrechtlichen Haftung
für Affiliate-Partner - I ZR 27/22
Karlsruhe, 26. Januar 2023 - Der unter
anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der Betreiber eines
Affiliate-Programms nicht für die irreführende
Werbung eines Affiliate-Partners haftet, wenn dieser
im Rahmen eines eigenen Produkt- oder Dienstleistungsangebots
tätig geworden ist und es deshalb an einer Erweiterung des
Geschäftsbetriebs des Betreibers des Affiliate-Programms
fehlt.
Sachverhalt: Die Klägerin ist eine
Matratzenherstellerin. Die Beklagten sind Gesellschaften der
Amazon-Gruppe und in unterschiedlichen Funktionen am Betrieb
der Online-Verkaufsplattform "Amazon" beteiligt. Im Rahmen
des von der Beklagten zu 1 betriebenen
Amazon-Partnerprogramms steht es Dritten, sogenannten
Affiliates, frei, auf der eigenen Webseite Links auf Angebote
der Verkaufsplattform zu setzen.
Wird dadurch ein
Verkauf vermittelt, erhält der Affiliate als Provision einen
prozentualen Anteil am Kaufpreis. Im Jahr 2019 warb ein
Affiliate auf seiner Webseite, die sich im weitesten Sinne
mit den Themen Schlaf und Matratzen befasste und zumindest
optisch einem redaktionellen Online-Magazin entsprach, unter
anderem für Matratzen unter Verwendung von Links auf
entsprechende Angebote auf der Verkaufsplattform.
Die
Klägerin hält die Werbung des Affiliates für irreführend und
hat die Beklagten, denen der Wettbewerbsverstoß ihres
Affiliates gemäß § 8 Abs. 2 UWG zuzurechnen sei, auf
Unterlassung in Anspruch genommen.
Bisheriger
Prozessverlauf: Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das
Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin
zurückgewiesen. Die beanstandete Werbung sei zwar irreführend
und daher wettbewerbswidrig. Die Beklagten hafteten für
diesen Wettbewerbsverstoß des Affiliates aber nicht als Täter
oder Teilnehmer. Auch die Voraussetzungen einer Haftung des
Unternehmensinhabers für Beauftragte nach § 8 Abs. 2 UWG
lägen nicht vor.
Entscheidung des
Bundesgerichtshofs Der Bundesgerichtshof hat die
Revision der Klägerin zurückgewiesen. Der innere Grund für
die Zurechnung der Geschäftstätigkeit des Beauftragten gemäß
§ 8 Abs. 2 UWG liegt vor allem in einer dem Betriebsinhaber
zugutekommenden Erweiterung des Geschäftsbetriebs und einer
gewissen Beherrschung des Risikobereichs durch den
Betriebsinhaber.
Unter Berücksichtigung der
Ausgestaltung des Amazon-Partnerprogramms sowie der
beanstandeten Webseite des Affiliates fehlt es im Streitfall
an einer solchen Erweiterung des Geschäftsbetriebs der
Beklagten zu 1 und damit am inneren Grund der Zurechnung
gemäß § 8 Abs. 2 UWG. Entwickeln Affiliates eigene Produkte
oder Dienstleistungen - hier eine Internetseite mit
redaktionell gestalteten Beiträgen zu den Themen Schlaf und
Matratzen -, deren Inhalt sie nach eigenem Ermessen gestalten
und zum Verdienst von Provisionen bei verschiedenen Anbietern
einsetzen, ist die Werbung über den Affiliate-Link ein Teil
des Produkts, das inhaltlich von den Affiliates in eigener
Verantwortung und im eigenen Interesse gestaltet wird.
Die Links werden von ihnen nur gesetzt, um damit zu ihren
Gunsten Provisionen zu generieren. Ein solcher eigener
Geschäftsbetrieb eines Affiliates stellt keine Erweiterung
des Geschäftsbetriebs der Beklagten zu 1 dar. Es fehlt im
Streitfall auch an der für eine Haftung nach § 8 Abs. 2 UWG
erforderlichen Beherrschung des Risikobereichs durch die
Beklagte zu 1.
Der Affiliate wird bei der Verlinkung
nicht in Erfüllung eines Auftrags beziehungsweise der mit
Amazon geschlossenen Vereinbarung tätig, sondern im Rahmen
des von ihm entwickelten Produkts und allein im eigenen Namen
und im eigenen Interesse. Die Beklagte zu 1 musste sich einen
bestimmenden und durchsetzbaren Einfluss auch nicht sichern,
weil sie mit dem Produkt des Affiliates ihren
Geschäftsbetrieb nicht erweitert hat.
Vorinstanzen: LG Köln - Urteil vom 20. Mai
2021 - 81 O 62/20 OLG Köln - Urteil vom 11. Februar 2022 - 6
U 84/21
Die maßgeblichen Vorschriften lauten: § 3
Abs. 1 UWG Unlautere geschäftliche Handlungen sind
unzulässig. § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 UWG (1) Wer eine nach §
3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann
auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung
in Anspruch genommen werden. …
(2) Werden die
Zuwiderhandlungen in einem Unternehmen von einem Mitarbeiter
oder Beauftragten begangen, so sind der Unterlassungsanspruch
und der Beseitigungsanspruch auch gegen den Inhaber des
Unternehmens begründet.
Körperschaftsteuerminderungspotenzial II
Karlsruhe, 26. Januar 2023 - Mit heute veröffentlichtem
Beschluss hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts
entschieden, dass die Übergangsregelung des § 36 Abs. 4
Körperschaftsteuergesetz (KStG) in der Fassung von § 34
Abs. 13f KStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010
(im Folgenden: § 36 Abs. 4 KStG) mit Art. 14 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)
teilweise unvereinbar ist.
Sie führt bei
einer bestimmten Eigenkapitalstruktur zu einem Verlust von
Körperschaftsteuerminderungspotenzial. Dieses unterfällt,
soweit es im Zeitpunkt des Systemwechsels vom Anrechnungs-
zum Halbeinkünfteverfahren realisierbar war, dem
Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG. Der Eingriff in dieses
Schutzgut ist nicht gerechtfertigt.
Nach dem bis Ende
2000 geltenden Anrechnungsverfahren wurden nicht
ausgeschüttete steuerbare Gewinne von Körperschaften mit
(zuletzt) 40 % Körperschaftsteuer belastet (Tarifbelastung).
Kam es später zu Gewinnausschüttungen, reduzierte sich der
Steuersatz auf (zuletzt) 30 % (Ausschüttungsbelastung). Für
die Körperschaft entstand so ein
Körperschaftsteuerminderungspotenzial in Höhe der Differenz
zwischen Tarif- und Ausschüttungsbelastung, also in Höhe von
zuletzt 10 Prozentpunkten.
Beim Anteilseigner
erfolgte die Besteuerung der Ausschüttung mit dem
individuellen Einkommensteuersatz des Steuerpflichtigen unter
Anrechnung der von der Kapitalgesellschaft entrichteten
Körperschaftsteuer. Nach dem Halbeinkünfteverfahren wird auf
der Ebene der Körperschaft für Gewinne nur noch eine
einheitliche und endgültige Körperschaftsteuer in Höhe von
(seit 2008) 15 % erhoben. Auf der Ebene des Anteilseigners
unterliegt der ausgeschüttete Kapitalertrag nur zur Hälfte
(seit 2009 zu 60 %) der Einkommensteuer. § 36 KStG ist Teil
der Übergangsvorschriften, die den Wechsel vom Anrechnungs-
zum Halbeinkünfteverfahren regeln.
Danach wurden die
unter dem Anrechnungsverfahren gebildeten, unterschiedlich
mit Körperschaftsteuer belasteten und die nicht belasteten
Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals in mehreren
Schritten zusammengefasst und umgegliedert. Das in den
verbleibenden belasteten Eigenkapitalteilen enthaltene
Körperschaftsteuerminderungspotenzial wurde in ein
Körperschaftsteuerguthaben umgewandelt, das während einer
mehrjährigen Übergangszeit abgebaut werden konnte.
Bei der Verrechnung der nicht steuerbelasteten Teilbeträge
des verwendbaren Eigenkapitals untereinander blieb der in
§ 30 Abs. 2 Nr. 4 KStG 1999 bezeichnete Teilbetrag des
verwendbaren Eigenkapitals (EK 04), in dem offene und
verdeckte Einlagen der Gesellschafter erfasst waren,
unberücksichtigt. Dies führt in bestimmten Fällen zu einem
Verlust von Körperschaftsteuerminderungspotenzial. Die davon
betroffene Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer
Verfassungsbeschwerde gegen auf § 36 Abs. 4 KStG beruhende
finanzbehördliche und finanzgerichtliche Entscheidungen sowie
mittelbar gegen die Vorschrift selbst.
Die
Verfassungsbeschwerde ist begründet. § 36 Abs. 4
KStG ist mit Art. 14 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1
des Grundgesetzes (GG) unvereinbar, soweit die Regelung zu
einem Verlust von Körperschaftsteuerminderungspotenzial
führt, weil sie den in § 30 Abs. 2 Nr. 4 KStG 1999
bezeichneten Teilbetrag des verwendbaren Eigenkapitals nicht
in die Verrechnung der unbelasteten Teilbeträge einbezieht.
Die Entscheidung ist mit 6:1 Stimmen ergangen.
Bundesgerichtshof entscheidet
erneut über Revisionen im Musterfeststellungsverfahren zu
Prämiensparverträgen - XI ZR 257/21
Karlsruhe, 24. Januar 2023 - Der u.a. für
das Bank- und Kapitalmarktrecht zuständige XI. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 24. Januar 2023 erneut
über Revisionen des Musterklägers, eines
Verbraucherschutzverbands, und der Musterbeklagten, einer
Sparkasse, gegen ein Musterfeststellungsurteil des
Oberlandesgerichts Dresden über die Wirksamkeit von
Zinsänderungsklauseln in Prämiensparverträgen entschieden.
Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf Die
beklagte Sparkasse schloss seit Anfang der 1990er-Jahre mit
Verbrauchern sogenannte Prämiensparverträge ab, die eine
variable Verzinsung der Spareinlage und ab dem dritten
Sparjahr eine der Höhe nach - bis zu 50% der jährlichen
Spareinlage ab dem 15. Sparjahr - gestaffelte verzinsliche
Prämie vorsehen. In den Vertragsformularen heißt es u.a.:
"Die Spareinlage wird variabel, z.Zt. mit …% p.a. verzinst."
oder "Die Sparkasse zahlt neben dem jeweils gültigen
Zinssatz, z.Zt. ...%, am Ende eines Kalender-/Sparjahres
[…]."
In den in die Sparverträge einbezogenen
"Bedingungen für den Sparverkehr" heißt es weiter: "Soweit
nichts anderes vereinbart ist, vergütet die Sparkasse dem
Kunden den von ihr jeweils durch Aushang im Kassenraum
bekannt gegebenen Zinssatz. Für bestehende Spareinlagen tritt
eine Änderung des Zinssatzes, unabhängig von einer
Kündigungsfrist, mit der Änderung des Aushangs in Kraft,
sofern nichts anderes vereinbart ist."
Der Musterkläger hält die Regelungen
zur Änderung des variablen Zinssatzes für unwirksam und die
während der Laufzeit der Sparverträge von der Musterbeklagten
vorgenommene Verzinsung der Spareinlagen für zu niedrig. Er
verfolgt mit seiner Musterfeststellungsklage sieben
Feststellungsziele. Mit diesen macht er die Unwirksamkeit der
Zinsänderungsklausel, die Bestimmung eines Referenzzinssatzes
und eines monatlichen Zinsanpassungsintervalls sowie die
Verpflichtung der Beklagten geltend, die Zinsanpassungen nach
der Verhältnismethode vorzunehmen.
Vorsicht,
juristischer Schachtelsatz: Darüber hinaus möchte
er festgestellt wissen, dass die Ansprüche der Verbraucher
auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen frühestens ab der
wirksamen Beendigung der Sparverträge fällig werden, dass mit
der Kenntnis der Höhe der tatsächlich vorgenommenen
Zinsgutschriften im Sparbuch keine den Verjährungslauf in
Gang setzende Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der
den Anspruch auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen
begründenden Umstände verbunden ist und dass die
widerspruchslose Hinnahme der Zinsgutschriften im Sparbuch
nicht dazu führt, dass das Umstandsmoment für eine Verwirkung
der Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren
Zinsbeträgen gegeben ist.
Das Oberlandesgericht hat der
Musterfeststellungsklage teilweise stattgegeben. Der
Musterkläger verfolgt seine Feststellungsziele mit der
Revision weiter, soweit das Oberlandesgericht die Klage
betreffend die Bestimmung eines Referenzzinssatzes und die
Vornahme der Zinsanpassungen nach der Verhältnismethode
abgewiesen hat.
Die Musterbeklagte verfolgt mit der
Revision ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage
betreffend die Bestimmung eines Referenzzinssatzes weiter.
Entscheidung des
Bundesgerichtshofs Der Bundesgerichtshof hat
seine - nach Erlass des hier angefochtenen
Musterfeststellungsurteils des Oberlandesgerichts – mit
Urteil vom 6. Oktober 2021 (XI ZR 234/20) ergangene
Rechtsprechung in dem heute verkündeten Urteil bestätigt.
Dementsprechend hat er auf die Revision des Musterklägers
das Musterfeststellungsurteil des Oberlandesgerichts
aufgehoben, soweit dieses keinen für die Höhe der variablen
Verzinsung maßgebenden Referenzzinssatz bestimmt hat.
Insoweit hat er die Sache zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Darüber hinaus hat er entschieden, dass die
Zinsanpassungen von der Musterbeklagten unter Beibehaltung
des anfänglichen relativen Abstands des Vertragszinssatzes
zum Referenzzinssatz (Verhältnismethode) vorzunehmen sind.
Das Oberlandesgericht ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen,
es könne einen Referenzzinssatz deswegen nicht im Wege der
ergänzenden Vertragsauslegung bestimmen, weil im Verfahren
über die Musterfeststellungsklage nicht auszuschließen sei,
dass einzelne Sparverträge individuelle Vereinbarungen
enthielten.
Solche Individualvereinbarungen sind nur
in den Klageverfahren zwischen den Verbrauchern und der
Musterbeklagten zu berücksichtigen und schließen die
Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils nach § 613
Abs. 1 ZPO, nicht aber die Vornahme einer ergänzenden
Vertragsauslegung im Musterfeststellungsverfahren aus.
Da das Oberlandesgericht - von seinem rechtlichen
Standpunkt aus folgerichtig - bislang keine Feststellungen zu
einem geeigneten Referenzzinssatz getroffen hat, wird es dies
nach Zurückverweisung des Musterverfahrens nachzuholen haben.
Nach dem Konzept der auf ein langfristiges Sparen angelegten
Sparverträge ist es interessengerecht, als Referenz für die
Verzinsung der Spareinlagen einen Zinssatz oder eine
Umlaufrendite mit langer Fristigkeit heranzuziehen.
Bei der Bestimmung des Referenzzinssatzes wird das
Oberlandesgericht außerdem zu berücksichtigen haben, dass es
sich bei den Sparverträgen um eine risikolose
Anlageform handelt. Nach der vom Senat
vorgenommenen ergänzenden Vertragsauslegung ist bei den
Zinsanpassungen der anfängliche relative Abstand des
Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz beizubehalten. Nur
eine solche Auslegung gewährleistet, dass das Grundgefüge der
Vertragskonditionen über die gesamte Laufzeit der
Sparverträge erhalten bleibt, so dass günstige
Zinskonditionen günstig und ungünstige Zinskonditionen
ungünstig bleiben.
Dass sich die absolute Zinsmarge der
Musterbeklagten bei Anwendung der Verhältnismethode im Fall
eines Anstiegs des Referenzzinssatzes erhöht und im Fall
eines Absinkens des Referenzzinssatzes reduziert, verstößt
nicht gegen die Grundsätze des Preisanpassungsrechts, weil
die Musterbeklagte keinen Einfluss auf die Höhe der
Zinsanpassungen hat.
Das Oberlandesgericht wird erneut über
die in einem Eventualverhältnis stehenden Anträge des
Musterklägers betreffend den Referenzzinssatz zu entscheiden
und dabei mit sachverständiger Hilfe im Wege der ergänzenden
Vertragsauslegung einen Referenzzinssatz zu bestimmen haben.
Dabei wird es zu bedenken haben, dass zur
Verfahrensbeschleunigung gemäß § 411a ZPO ein bereits
erstelltes Sachverstän-digengutachten dann verwertet werden
kann, wenn es in einem anderen Gerichtsverfahren eingeholt
worden ist.
Vorinstanz: OLG Dresden -
Musterfeststellungsurteil vom 31. März 2021 - 5 MK 2/20 Die
maßgeblichen Vorschriften lauten: § 411a ZPO Die schriftliche
Begutachtung kann durch die Verwertung eines gerichtlich oder
staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens
aus einem anderen Verfahren ersetzt werden.
§ 613
Abs. 1 Satz 1 ZPO (1) Das rechtskräftige
Musterfeststellungsurteil bindet das zur Entscheidung eines
Rechtsstreits zwischen einem angemeldeten Verbraucher und dem
Beklagten berufene Gericht, soweit dessen Entscheidung die
Feststellungsziele und den Lebenssachverhalt der
Musterfeststellungsklage betrifft.
Anhebung der „absoluten
Obergrenze“ für die staatliche Parteienfinanzierung ist
verfassungswidrig
Karlsruhe, 24. Januar 2023
- Mit heute verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des
Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Erhöhung des
jährlichen Gesamtvolumens staatlicher Mittel für die
Finanzierung politischer Parteien auf 190 Millionen Euro mit
Art. 21 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar und
damit nichtig ist.
Mit ihrem Normenkontrollantrag
wenden sich 216 Mitglieder des 19. Deutschen Bundestages aus
den Fraktionen von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE
gegen Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes
und anderer Gesetze vom 10. Juli 2018 (PartGuaÄndG 2018),
durch den das jährliche Gesamtvolumen staatlicher Mittel, das
allen politischen Parteien im Wege der staatlichen
Teilfinanzierung höchstens ausgezahlt werden darf (sogenannte
„absolute Obergrenze“), für die im Jahr 2019 vorzunehmende
Festsetzung auf 190 Millionen Euro angehoben wurde.
Die angegriffene Norm verfehlt die verfassungsrechtlichen
Vorgaben für die staatliche Parteienfinanzierung. Sie
verstößt gegen den Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien,
weil der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren nicht
ausreichend dargelegt hat, dass der zusätzliche, aus eigenen
Mitteln nicht aufzubringende Finanzbedarf der politischen
Parteien eine Anhebung der absoluten Obergrenze der
staatlichen Parteienfinanzierung um knapp 25 Millionen Euro
erfordert.
Die Entscheidung ist mit Blick auf die
letztlich offen gelassene Frage, ob die angegriffene
Vorschrift formell ordnungsgemäß zustande gekommen ist, mit
6:1 Stimmen und im Übrigen einstimmig ergangen.
Unzulässige Verfassungsbeschwerde
gegen das gesetzgeberische Unterlassen der Einführung eines
allgemeinen Tempolimits auf Bundesautobahnen
Karlsruhe, 17. Januar 2023 - Die 3. Kammer des Ersten Senats
des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute veröffentlichtem
Beschluss eine Verfassungsbeschwerde mangels ausreichender
Begründung nicht zur Entscheidung angenommen, mit welcher
sich die Beschwerdeführenden gegen die
Klimaschutzgesetzgebung der Bundesrepublik und insbesondere
gegen die Nichteinführung eines allgemeinen Tempolimits auf
Bundesautobahnen richteten.
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde
einer Zeitungsherausgeberin gegen die gerichtliche
Untersagung einer Meinungsäußerung
Achtung: Gerichtliche
Formulierung: Bundesverfassungsgericht
Karlsruhe, 13. Januar 2023 - Mit heute veröffentlichtem
Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die
Beschwerdeführerin – Herausgeberin einer Tageszeitung – in
ihrer Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 des
Grundgesetzes (GG) verletzt ist, indem ihr die Äußerung „Den
Staat lehne [der Antragsteller] (…) ab“ mit der Begründung
gerichtlich untersagt wurde, dass für diese Meinung kein
Mindestbestand an tatsächlichen Anknüpfungstatsachen
festzustellen sei.
Die Berichterstattung betrifft
einen Beitrag über eine aus Sicht ehemaliger Mitglieder
sektenähnliche Gemeinschaft, der der Antragsteller des
Ausgangsverfahrens vorstehe.
Eilverfahren gegen
Allgemeinverfügung zur Räumung von Lützerath erfolglos
Oberverwaltungsgericht Münster, 09. Januar 2023 - Die
Allgemeinverfügung des Landrats des Kreises Heinsberg zur
Räumung der Ortslage Lützerath vom 20. Dezember 2022 hat
weiterhin Bestand. Das darin ausgesprochene Aufenthalts- und
Betretensverbot ist voraussichtlich rechtmäßig. Dies hat
heute das Oberverwaltungsgericht entschieden und damit einen
Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Aachen bestätigt.
Der Landrat des Kreises Heinsberg hat mit
Allgemeinverfügung vom 20. Dezember 2022 für konkret
bezeichnete Flächen der Ortschaft Lützerath den Aufenthalt,
das Betreten und Befahren bis zum 13. Februar 2023 untersagt
und darauf hingewiesen, dass ab dem 10. Januar 2023 mit
Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung durch Ausübung von
unmittelbarem Zwang zu rechnen sei.
Die
Antragstellerin, die dort für das Bündnis „Die Kirche im Dorf
lassen“ Mahnwachen veranstaltet, sieht sich hierdurch in
ihren Rechten verletzt und beantragte beim Verwaltungsgericht
Aachen vorläufigen Rechtsschutz. Die Antragstellerin machte
im Wesentlichen geltend, der Landrat sei für den Erlass der
Allgemeinverfügung nicht zuständig gewesen. Auch gebe es für
einen mehrwöchigen Platzverweis keine Rechtsgrundlage.
Der Kreis Heinsberg habe zudem ermessensfehlerhaft
gehandelt und die Rechtspositionen der vom Platzverweis
betroffenen Personen nicht hinreichend berücksichtigt. Das
Verwaltungsgericht lehnte den Antrag ab. Die gegen diese
Entscheidung eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist
ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung seiner Entscheidung hat
der 5. Senat des Oberverwaltungsgerichts ausgeführt: Die
Allgemeinverfügung ist bei vorläufiger Prüfung rechtmäßig.
Der Landrat durfte sie erlassen,
nachdem der Bürgermeister der Stadt Erkelenz ein Einschreiten
endgültig abgelehnt hatte. Der Platzverweis ist vom
nordrhein-westfälischen Polizeiund Ordnungsrecht gedeckt. Der
unberechtigte Aufenthalt von Personen auf den betroffenen
Flächen ist ohne Einwilligung der berechtigten RWE Power AG
zivilrechtlich rechtswidrig und stellt damit eine
Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar.
Soweit die
Antragstellerin mit der Beschwerde erstmals vertragliche
(Betretens-) Rechte für Teilflächen auf dem Gelände
behauptet, ist dies nicht glaubhaft gemacht. Die sich in
Lützerath aufhaltenden Personen können sich außerdem nicht
auf einen Rechtfertigungsgrund des „zivilen Ungehorsams“
berufen. Das staatliche Gewaltmonopol als Grundpfeiler
moderner Staatlichkeit ist einer Relativierung durch jegliche
Formen des zivilen Ungehorsams grundsätzlich nicht
zugänglich.
Zur Beendigung des Rechtsverstoßes durfte
der Platzverweis angeordnet werden; die zulässige Dauer eines
Platzverweises nach dem nordrhein-westfälischen Polizeigesetz
(„vorübergehend“) ist von der im Einzelfall konkret in Rede
stehenden Gefahr abhängig. Auf die Frage, ob die
Allgemeinverfügung auch mit einer Gewährleistung der
Energieversorgungssicherheit gerechtfertigt werden kann,
kommt es nicht an, weil bereits der Schutz der
Rechtspositionen der im Verfahren beigeladenen RWE Power AG
den Platzverweis trägt.
Der Beschluss ist
unanfechtbar. Aktenzeichen: 5 B 14/23 (I. Instanz:
VG Aachen 6 L 2/23)
Verfassungsbeschwerden gegen
Versammlungsgesetz NRW eingegangen
Verfassungsgerichshoft Münster, 4. Januar 2023 - Mehrere
Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer haben
Verfassungsbeschwerde gegen das Versammlungsgesetz NRW (VersG
NRW) eingelegt. Die Beschwerdeführer im Verfahren VerfGH
117/22.VB-2 sehen sich durch das Versammlungsverbot auf
Autobahnen in ihrem Grundrecht der Versammlungsfreiheit
verletzt.
Die Beschwerdeführerinnen und
Beschwerdeführer im Verfahren VerfGH 3/23.VB-1 beanstanden
neben dem Versammlungsverbot auf Autobahnen auch das
Störungsverbot, die Vorschrift über Aufnahmen und
Aufzeichnungen von Bild und Ton, das Vermummungs- und
Schutzausrüstungsverbot und das Gewalt- und
Einschüchterungsverbot sowie daran anknüpfende Straf- bzw.
Ordnungswidrigkeitentatbestände.
Sie sehen sich in ihrem Grundrecht der
Versammlungsfreiheit und auf informationelle Selbstbestimmung
verletzt. Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer im
Verfahren VerfGH 3/23.VB-1 haben zugleich einen Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt (VerfGH
4/23.VB-1).
VerfGH 117/22.VB-2 - VerfGH 3/23.
- VB-1 VerfGH 4/24.VB-1
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