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Mitten aus dem Leben
- Urteile und Tipps zu §§
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Archiv 2022
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Dezember 2022 |
Verjährung von
Urlaubsansprüchen Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.
Dezember 2022 – 9 AZR 266/20 –
Erfurt, 20. Dezember 2022 -
Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt bei
einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB
jedoch nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres, sondern
erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den
Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die
Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub
dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
Der
Senat hat damit die Vorgaben des Gerichtshofs der
Europäischen Union aufgrund der Vorabentscheidung vom 22.
September 2022 (- C-120/21 -)umgesetzt. Nach der
Rechtsprechung des Gerichtshofs tritt der Zweck der
Verjährungsvorschriften, die Gewährleistung von
Rechtssicherheit, in der vorliegenden Fallkonstellation
hinter dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte
der Europäischen Union zurück, die Gesundheit des
Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme zu
schützen.
Die Gewährleistung der Rechtssicherheit
dürfe nicht als Vorwand dienen, um zuzulassen, dass sich der
Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis berufe, den
Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf
bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben. Der Arbeitgeber
könne die Rechtssicherheit gewährleisten, indem er seine
Obliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachhole.
Der Beklagte hat die Klägerin nicht durch Erfüllung der
Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage
versetzt, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Die Ansprüche
verfielen deshalb weder am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs.
3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen
Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG) noch konnte
der Beklagte mit Erfolg einwenden, der nicht gewährte Urlaub
sei bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach
Ablauf von drei Jahren verjährt. Den Anspruch auf Abgeltung
des Urlaubs hat die Klägerin innerhalb der Verjährungsfrist
von drei Jahren erhoben. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.
Dezember 2022 – 9 AZR 266/20 – Vorinstanz:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 21. Februar 2020
– 10 Sa 180/19 –
Am
Schneeschieben führt kein Weg vorbei - Wann ist der Griff
zu Schaufel und Besen nötig - Wie oft muss geräumt werden
- Welche Streumittel sind richtig
Coburg/Duisburg, 20.12.2022 „Endlich Schnee“, freuen sich die
einen. „Wieder früher aufstehen und Schnee schaufeln“, murren
die anderen. Richtig ist: Winterliche Straßenverhältnisse
bringen Fußgänger leicht ins Rutschen. Ein Bein ist schnell
gebrochen. Passiert das vor der eigenen Haustür, können
Mieter oder Eigentümer eines Hauses eventuell zur
Verantwortung gezogen werden. Warum? Das erklärt die
HUK-COBURG.
Beide sind
im Winter verpflichtet, für einen eisfreien Fußweg zu sorgen.
Mieter müssen immer dann zu Schneeschieber und Streumittel
greifen, wenn ihnen per Mietvertrag die Räum- und
Streupflicht übertragen wurde und das ist eher die Regel als
die Ausnahme. Passiert ein Unfall, weil die Winterpflichten
nur ungenügend erledigt oder gleich ganz vergessen wurden,
kann der Säumige für die Folgen verantwortlich gemacht
werden.
HUK-COBURG
Ohne private Haftpflichtversicherung ein
teures Vergessen: Neben Behandlungskosten lassen sich vom
Geschädigten auch Verdienstausfall oder Schmerzensgeld
geltend machen. Räum- und Streupflicht Wann und wie oft
Schnee schieben oder Streuen angesagt sind? Auf diese Frage
gibt es keine Auskunft von der Stange: Ausschlaggebend ist
immer die jeweilige Satzung, mit der jede Kommune den
Winterdienst regelt. Oftmals kann man sich auf den Websites
von Städten und Gemeinden schlaumachen.
Ein anderer
Weg ist ein Anruf beim örtlichen Bau- oder Ordnungsamt. Hier
lässt sich erfragen, in welchem Zeitraum der Griff zum
Schneeschieber erforderlich ist und wie breit der freie
Gehweg sein muss. Die Häufigkeit des Räumens hängt letztlich
von der Witterung und der Verkehrsbedeutung eines Weges ab.
Bei extremem Schneefall oder heftiger Glatteisbildung ist
gerade auf stark frequentierten Wegen außergewöhnlicher
Einsatz gefordert.
Nur wenn Räumen und Streuen
witterungsbedingt zwecklos sind, kann man warten, bis
beispielsweise der Schneefall nachlässt oder ganz aufhört.
Auch müssen Wege meist nicht in ihrer gesamten Breite geräumt
werden. In der Regel genügt es, einen Streifen frei zu
schaufeln oder auf einer bestimmten Breite zu streuen.
Eine Faustregel besagt: Zwei Fußgänger müssen auf dem
geräumten Weg aneinander vorbeigehen können. Kommunen können
diese Frage aber auch klar in ihrer Satzung regeln. Dort
lässt sich auch nachlesen, zu welchen Streumitteln man
greifen sollte. Salz ist oft gar nicht oder nur bei extremer
Glätte zugelassen. Allerdings kann niemand im Winter einen
durchgängig eis- oder schneefreien Bürgersteig erwarten.
Wer in der
kalten Jahreszeit unterwegs ist, muss mit winterlichen
Straßenverhältnissen rechnen und sich entsprechend vorsichtig
bewegen. Dazu gehört auch das Tragen von Winterschuhen, die
ein entsprechend tiefes und rutschfestes Profil haben.
Weitere Informationen unter
https://www.huk.de/presse/nachrichten/verbrauchertipps/schneeraeumen.html
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November 2022 |
Mit Balkonkraftwerk Energiekosten
senken - Mieter dürfen Balkonkraftwerk installieren
In der Hausratversicherung und Wohngebäudeversicherung
eingeschlossen
Coburg/Duisburg, 03. November 2022 - Aktuell
explodieren die Energiepreise. Laut den aktuellen Zahlen des
Statistischen Bundesamtes stiegen sie von August 2021 bis
August 2022 um 35,6 Prozent. Lange Zeit hatten Mieter keine
Möglichkeit, ihre Energiekosten durch den Einbau von
Photovoltaik selbst zu reduzieren. Der Vermieter bestimmte,
ob eine Photovoltaikanlage auf das Dach kam. Seit es
Balkonkraftwerke gibt, sieht das anders aus. Mieter können
diese Mini-Photovoltaikanlagen jederzeit auf ihrem Balkon
oder ihrer Terrasse aufstellen.
Nachdem die Anlagen
im Sommer oft nicht verfügbar waren, rüsten viele Menschen
auch jetzt noch nach. Die Erlaubnis ihres Vermieters
benötigen sie nicht. Nur bei Anlagen, die an der
Balkonaußenseite oder der Fassade befestigt werden, sieht das
anders aus. Hier kann der Vermieter mitreden.
Auf dem
Balkon sind die Module Naturgewalten wie Sturm, Hagel und
Blitzschlag ausgesetzt. Schäden, die dadurch entstehen am
Kraftwerk entstehen, deckt – wie die HUK-COBURG mitteilt -
die Hausratversicherung ab. Gerade im Herbst, wenn Stürme
über das Land ziehen, ist der Versicherungsschutz wichtig.
Aber auch im Winter bei Eis und Schnee können sie bedenkenlos
draußen bleiben.
Eine andere Konstellation: Die
Minisolaranlage brennt wegen eines technischen Defekts und
schädigt einen Dritten. Solche Schäden reguliert die
Privathaftpflichtversicherung. Voraussetzung ist, dass die
Anlage zu einer selbst bewohnten Immobilie gehört. Dazu
gehören nicht nur Eigentumshäuser und -wohnungen, sondern
auch Mietimmobilien.
Art und Umfang des
Versicherungsschutzes können variieren: Ein persönliches
Gespräch mit dem eigenen Versicherer sorgt für Klarheit. Doch
Balkonkraftwerke – an Außenwänden oder auf Garagendächern –
sind auch für viele Immobilienbesitzer inzwischen eine
Option. Hängen sie an der Außenwand, sind sie in der
Wohngebäudeversicherung mitversichert. Ausschlaggebend für
den Umfang des Versicherungsschutzes ist, welche Gefahren in
der eigenen Police versichert wurden. Am besten bespricht man
auch diese Frage mit seinem Versicherer.
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die
Übermittlung mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhobener
personenbezogener Daten
Karlsruhe, 03. November 2022 - Das Bundesverfassungsgericht
hat eine neue Pressemitteilung veröffentlicht. Hierzu lautet
der Kurztext: Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der
Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass
die Übermittlungsbefugnisse der Verfassungsschutzbehörden in
Angelegenheiten des Staats- und Verfassungsschutzes nach dem
Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) mit dem Grundrecht
auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht
vereinbar sind.
Dies gilt, soweit sie zur Übermittlung personenbezogener
Daten verpflichten, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln
erhoben wurden. Die betreffenden Vorschriften verstoßen gegen
die Normenklarheit und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Zudem fehlt es an einer spezifisch normierten
Protokollierungspflicht. Die angegriffenen Normen gelten -
mit Blick auf die betroffenen Grundrechte jedoch nach
einschränkenden Maßgaben - bis zum 31. Dezember 2023
vorübergehend fort.
Haltung von Hängebauchschweinen im
Wohngebiet bleibt untersagt Münster, 02.
November 2022 - Zwei Hängebauchschweine dürfen nicht weiter
im Garten eines Wohngrundstücks in Recklinghausen gehalten
werden. Das hat das Oberverwaltungsgericht heute entschieden
und damit einen Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts
Gelsenkirchen bestätigt. Die Stadt Recklinghausen ist gegen
die Schweinehaltung unter anderem eingeschritten, weil
insbesondere die Belästigung der Nachbarn durch Gerüche ein
öffentliches Interesse an einer sofortigen
Nutzungsuntersagung begründe.
Das
Verwaltungsgericht hielt diese Verfügung für rechtmäßig, weil
die Halterin der Schweine (Antragstellerin) nicht im Besitz
einer Baugenehmigung für die Nutzung von Anlagen und
Einrichtungen zur Tierhaltung auf ihrem Grundstück sei. Zur
Begründung hat es ausgeführt: Das Grundstück der
Antragstellerin liegt in einem Wohngebiet, in dem nur eine
Kleintierhaltung als Annex zum Wohnen zulässig ist. Das setzt
voraus, dass die Tierhaltung in dem betreffenden Baugebiet
üblich und ungefährlich ist und den Rahmen der für eine
Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht übersteigt.
Hobbymäßig gehaltene
Hängebauchschweine sind keine Kleintiere in diesem Sinne,
weil die Haltung von Schweinen typischerweise zu Geräusch-
und Geruchsbelästigungen führt, die in Wohngebieten nicht
üblich sind. Die dagegen gerichtete Beschwerde der
Antragstellerin bleibt ohne Erfolg.
Zur Begründung hat
der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts ausgeführt: Der
Einwand der Antragstellerin, die zwingend zu prüfenden
Belange des Wohls der beiden Tiere seien nicht hinreichend
berücksichtigt worden, ist unzutreffend. Die Antragstellerin
hat keine Gesichtspunkte dafür aufgezeigt, dass entgegen der
Annahme des Verwaltungsgerichts die Haltung von
Hängebauchschweinen bei typisierender Betrachtung eine in
einem Wohngebiet zulässige Kleintierhaltung ist
Ob die Haltung der Schweine durch die Antragstellerin
tatsächlich zu einer
Belästigung der Nachbarn durch Gerüche führt, ist insoweit
letztlich unerheblich. Die
der Antragstellerin in der angefochtenen Ordnungsverfügung
gesetzte Frist von circa
drei Wochen ist in Würdigung der offensichtlichen
Baurechtswidrigkeit
verhältnismäßig, zumal die Antragstellerin etwa einen Monat
vor Erlass der
Verfügung dazu angehört worden ist und seitdem damit rechnen
musste, die
Schweine nicht länger in ihrem Garten halten zu können.
Der Senat hat keine Zweifel
daran, dass es möglich war, die Schweine innerhalb dieses
Zeitraums
gegebenenfalls gegen Bezahlung anderweitig unterzubringen. Es
bestehen
allerdings Zweifel daran, dass sich die Antragstellerin
ernsthaft um eine anderweitige
Unterbringung der Tiere bemüht hat und bemüht. Denn sie hält
die Schweine trotz
der angeordneten und vollziehbaren Nutzungsuntersagung auch
nach mehr als
einem halben Jahr noch immer auf ihrem Grundstück.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
Aktenzeichen: 10 B 1092/22 (I. Instanz: VG Gelsenkirchen 9 L
608/22)
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Oktober 2022 |
Herbst: Wer muss Bürgersteig vom Laub freihalten?
Reinigungspflicht kann übertragen werden. Wer haftet bei
Unfällen? Coburg, Duisburg, 27.10.2022 Viele
genießen den goldenen Herbst, wenn das Laub sich langsam
verfärbt. Mit sinkenden Temperaturen verlieren Bäume aber
auch ihre Blätter, Niederschläge nehmen zu. Beides zusammen
verwandelt Bürgersteige in Rutschbahnen. Ohne Räumen ist ein
Unfall schnell passiert.
Wer zum Besen greifen muss,
regeln die meisten Kommunen in ihren Satzungen. Hier
schreiben sie fest, ob und in welchem Umfang sich
Hauseigentümer um die Reinigung der Bürgersteige kümmern
müssen. Wer sich der Reinigungspflicht dauerhaft entzieht,
begeht eine Ordnungswidrigkeit. Den Eigentümern eines
Mietshauses steht es offen, die Reinigungspflicht über den
Mietvertrag an die Mieter weiterzugeben. Ereignet sich ein
Unfall, hat der nicht nur eine strafrechtliche Seite.
Hier geht es, wie die HUK-COBURG mitteilt, auch um
persönliche Haftung. Bricht sich ein Passant beispielsweise
das Bein, weil vergessen wurde, die Blätter wegzufegen, muss
der Verantwortliche für den Schaden aufkommen. Ohne
Haftpflichtversicherung kann das teuer werden: Im
geschilderten Fall können dem Geschädigten Schmerzensgeld und
falls er arbeitet auch eine Entschädigung für seinen
Verdienstausfall zustehen.
Bleiben
nach einem Unfall dauerhafte Schäden zurück, können sogar
lebenslange Rentenzahlungen fällig werden. Ob und in welchem
Umfang ein säumiger Laubräumer haftet, hängt allen Regeln zum
Trotz oft von den speziellen Umständen des Einzelfalls ab.
Sollte der Geschädigte den Rechtsweg beschreiten, steht die
Haftpflichtversicherung ihrem Kunden zur Seite.
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September 2022 |
Zur Zulässigkeit einer negativen
Bewertung bei eBay (hier: "Versandkosten Wucher!!") VIII ZR
319/20
Karlsruhe, 28. September 2022 -
Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über die Frage
entschieden, unter welchen Voraussetzungen der Verkäufer, der
ein Produkt über die Internetplattform eBay verkauft, einen
Anspruch gegen den Käufer auf Entfernung einer von diesem
abgegebenen negativen Bewertung hat.
Sachverhalt: Der
Beklagte erwarb von der Klägerin über die Internetplattform
eBay vier Gelenkbolzenschellen für 19,26 € brutto. Davon
entfielen 4,90 € auf die dem Beklagten in Rechnung gestellten
Versandkosten. Der Verkauf erfolgte auf der Grundlage der zu
diesem Zeitpunkt maßgeblichen Allgemeinen
Geschäftsbedingungen von eBay, denen die Parteien vor dem
Geschäft zugestimmt hatten. Dort heißt es auszugsweise: "§ 8
Bewertungen […] 2. Nutzer sind verpflichtet, in den
abgegebenen Bewertungen ausschließlich wahrheitsgemäße
Angaben zu machen.
Die von Nutzern abgegebenen
Bewertungen müssen sachlich gehalten sein und dürfen keine
Schmähkritik enthalten. […]". Nach Erhalt der Ware bewertete
der Beklagte das Geschäft in dem von eBay zur Verfügung
gestellten Bewertungsprofil der Klägerin mit dem Eintrag
"Ware gut, Versandkosten Wucher!!".
Bisheriger
Prozessverlauf: Das Amtsgericht hat die auf Entfernung dieser
Bewertung und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten
gerichtete Klage abgewiesen. Nach Auffassung des Amtsgerichts
handele es sich bei der Bezeichnung der Versandkosten als
"Wucher" um ein Werturteil, das nur dann unzulässig sei, wenn
es sich um eine Schmähkritik handele. Eine solche liege
jedoch nicht vor. Die Bewertung weise einen Sachbezug auf,
weil sie in einen Zusammenhang mit den Versandkosten gestellt
sei. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht das
erstinstanzliche Urteil abgeändert und den Beklagten
antragsgemäß zur Entfernung der Bewertung und zum Ersatz
vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt.
Aus Sicht des Berufungsgerichts habe der Beklagte eine
nachvertragliche Nebenpflicht verletzt (§ 280 Abs. 1, § 241
Abs. 2 BGB). Die Bewertung verstoße gegen das
Sachlichkeitsgebot aus § 8 Nr. 2 Satz 2 der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen von eBay (nachfolgend: eBay-AGB). Daraus
ergebe sich ein über die Abwehr von Schmähkritik
hinausgehender Schutz. Bei der Bewertung "Versandkosten
Wucher!!" handele es sich um eine überspitzte Beurteilung
ohne sachlichen Bezug, die nicht gerechtfertigt sei, weil für
einen objektiven Leser nicht erkennbar sei, warum sich die
Versandkosten aus Sicht des Käufers als "Wucher" darstellten.
Mit seiner vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die
Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Entscheidung
des Bundesgerichtshofs: Die Revision des Beklagten hatte
Erfolg. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf Entfernung
der Bewertung "Versandkosten Wucher!!" nicht zusteht, auch
nicht unter dem vom Berufungsgericht herangezogenen
Gesichtspunkt einer (nach-)vertraglichen
Nebenpflichtverletzung. Anders als das Berufungsgericht es
gesehen hat, enthält die Regelung des § 8 Abs. 2 Satz 2 der
eBay-AGB über die bei Werturteilen ohnehin allgemein geltende
(deliktsrechtliche) Grenze der Schmähkritik hinaus keine
strengeren vertraglichen Beschränkungen für die Zulässigkeit
von Werturteilen in Bewertungskommentaren.
Zwar ist der Wortlaut der Klausel nicht
eindeutig. Für das Verständnis, dem Sachlichkeitsgebot in § 8
Abs. 2 Satz 2 der eBay-AGB solle gegenüber dem Verbot der
Schmähkritik ein eigenständiges Gewicht nicht zukommen,
spricht aber bereits der Umstand, dass hier genaue
Definitionen zu dem unbestimmten Rechtsbegriff "sachlich" in
den Allgemeinen Geschäftsbedingungen fehlen.
Es liegt
in diesem Fall im wohlverstandenen Interesse aller
Beteiligten, die Zulässigkeit von grundrechtsrelevanten (Art.
2 Abs. 1, Art. 12 GG [beim Verkäufer], Art. 5 Abs. 1 Satz 1
GG [beim Käufer]) Bewertungen eines getätigten Geschäfts an
den gefestigten Grundsätzen der höchstrichterlichen
Rechtsprechung zur Schmähkritik auszurichten und hierdurch
die Anforderungen an die Zulässigkeit von
Bewertungskommentaren für die Nutzer und eBay selbst
möglichst greifbar und verlässlich zu konturieren.
Zudem hätte es der gesonderten Erwähnung
der Schmähkritikgrenze nicht bedurft, wenn dem Nutzer schon
durch die Vorgabe, Bewertungen sachlich zu halten, eine
deutlich schärfere Einschränkung hätte auferlegt werden
sollen. Außerdem würde man der grundrechtlich verbürgten
Meinungsfreiheit des Bewertenden von vorherein ein geringeres
Gewicht beimessen als den Grundrechten des Verkäufers, wenn
man eine Meinungsäußerung eines Käufers regelmäßig bereits
dann als unzulässig einstufte, wenn sie herabsetzend
formuliert ist und/oder nicht (vollständig oder überwiegend)
auf sachlichen Erwägungen beruht.
Eine solche, die grundrechtlichen
Wertungen nicht hinreichend berücksichtigende Auslegung
entspricht nicht dem an den Interessen der typischerweise
beteiligten Verkehrskreise ausgerichteten Verständnis
redlicher und verständiger Vertragsparteien. Die Grenze zur
Schmähkritik ist durch die Bewertung "Versandkosten Wucher!!"
nicht überschritten.
Wegen seiner das Grundrecht auf
Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG beschränkenden
Wirkung ist der Begriff der Schmähkritik nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eng auszulegen. Auch
eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht
eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung.
Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr
die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung
des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits
polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und
gleichsam an den Pranger gestellt werden soll. Daran fehlt es
hier.
Bei der Bewertung "Versandkosten Wucher!!"
steht eine Diffamierung der Klägerin nicht im Vordergrund.
Denn der Beklagte setzt sich - wenn auch in scharfer und
möglicherweise überzogener Form - kritisch mit einem
Teilbereich der gewerblichen Leistung der Klägerin
auseinander, indem er die Höhe der Versandkosten beanstandet.
Die Zulässigkeit eines Werturteils hängt nicht davon ab, ob
es mit einer Begründung versehen ist.
Vorinstanzen: AG Weiden in der Oberpfalz –
1 C 140/20 – Urteil vom 22. Juni 2020 LG Weiden in der
Oberpfalz – 22 S 17/20 – Urteil vom 28. Oktober 2020 Die
maßgeblichen Vorschriften lauten: Grundgesetz Artikel 2
[Freie Entfaltung der Persönlichkeit, Recht auf Leben,
körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person]
(1) Jeder hat das Recht auf die freie
Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte
anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige
Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. […] Artikel 5 [Recht
der freien Meinungsäußerung, Medienfreiheit, Kunst- und
Wissenschaftsfreiheit] Jeder hat das Recht, seine Meinung in
Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und
sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu
unterrichten. […]
Bürgerliches Gesetzbuch § 241 Pflichten
aus dem Schuldverhältnis (1) Kraft des Schuldverhältnisses
ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung
zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen
bestehen. (2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt
jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und
Interessen des anderen Teils verpflichten. § 280
Schadensersatz wegen Pflichtverletzung (1) Verletzt der
Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der
Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens
verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die
Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
Oberverwaltungsgericht weist Klage
der Gemeinde Hünxe gegen die Erdgasfernleitung ZEELINK ab
Münster, 23. September 2022 - Das
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat
heute die Klage der Gemeinde Hünxe gegen den
Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Düsseldorf
für den Bau und Betrieb der Erdgasfernleitung ZEELINK
abgewiesen. Die Erdgasfernleitung ZEELINK dient der
Gasversorgung mit sogenanntem H-Gas (hochkalorisches Gas).
Sie hat eine Länge von ca. 215 km und verläuft in drei
Abschnitten durch die Regierungsbezirke Köln, Düsseldorf und
Münster.
Für jeden dieser Leitungsabschnitte ist ein
eigenständiger Planfeststellungsbeschluss der jeweils
zuständigen Bezirksregierung ergangen. Die klagende Gemeinde
rügte im Wesentlichen Sicherheitsdefizite im Hinblick auf die
Leitung und den Trassenverlauf und machte eine damit
einhergehende Verletzung ihres gemeindlichen
Selbstverwaltungsrechtes geltend. Diesen Einwänden ist der
21. Senat nicht gefolgt.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat
der Senat seine bereits in zuvor entschiedenen einstweiligen
Rechtsschutzverfahren (vgl. dazu die Pressemitteilungen vom
13. September 2019 und 14. Oktober 2019) gegen die
Erdgasfernleitung ZEELINK dargelegte Rechtsauffassung
bestätigt und im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt: Der
angefochtene Planfeststellungsbeschluss stellt in nicht zu
beanstandender Weise fest, dass die technische Sicherheit der
Erdgasfernleitung gewährleistet ist, was zugleich
sicherstellt, dass schädliche Einwirkungen auf den Menschen
und die Umwelt vermieden werden.
Die Erdgasfernleitung erfüllt die
Anforderungen der Verordnung über Gashochdruckleitungen.
Zudem wird gesetzlich vermutet, dass sie dem Stand der
Technik entspricht, weil sie die Regeln der Deutschen
Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e. V. (DVGW) einhält.
Dass die Vermutung widerlegt ist, weil das vorgenannte
DVGW-Regelwerk nicht mehr den Stand der Technik wiedergibt,
hat die Gemeinde, die (unbestimmte) einzuhaltende
Sicherheitsabstände zu bebauten oder zur Bebauung
vorgesehenen Gebieten forderte, nicht dargelegt und ist auch
sonst nicht ersichtlich.
Es sind keine
Stellungnahmen fachkundiger Stellen ersichtlich, die im
Hinblick auf Erdgasfernleitungen der in Rede stehenden Art
unter Sicherheitsgesichtspunkten die Einhaltung bestimmter
Mindestabstände zu bebauten oder zur Bebauung vorgesehenen
Gebieten fordern. Im Hinblick auf die geltend gemachte
Verletzung ihres gemeindlichen Selberverwaltungsrechts ist
eine Verletzung der Klägerin in ihren eigenen Belangen,
insbesondere eine Beeinträchtigung ihrer Planungshoheit,
nicht ersichtlich.
Angesichts einer von der
Klägerin selbst Anfang des Jahres 2021 in sozialen Medien
veröffentlichen Mitteilung ist davon ausgehen, dass ein
geplantes, in der Nähe der Leitung gelegenes Baugebiet ohne
Weiteres realisiert werden kann. Der Senat hat die Revision
nicht zugelassen. Dagegen kann Nichtzulassungsbeschwerde
erhoben werden, über die das Bundesverwaltungsgericht
entscheidet. Aktenzeichen: 21 D 12/19.AK
Eine weitere, ebenfalls den zuvor
behandelten Planfeststellungsbeschluss betreffende Klage
einer Erbengemeinschaft aus Hünxe wurde aus formalen Gründen
abgewiesen (Aktenzeichen 21 D 14/19.AK).
Gutgläubiger Erwerb eines
gebrauchten Fahrzeugs Urteil vom 23. September
2022 – V ZR 148/21
Karlsruhe, 23. September 2022 -
Der unter anderem für Ansprüche aus Besitz und Eigentum an
beweglichen Sachen zuständige V. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass dann, wenn sich der
Erwerber eines gebrauchten Fahrzeugs auf den gutgläubigen
Erwerb von einem Nichtberechtigten beruft, der bisherige
Eigentümer beweisen muss, dass der Erwerber sich die
Zulassungsbescheinigung Teil II (früher: Kraftfahrzeugbrief)
nicht hat vorlegen lassen.
Sachverhalt: Die Klägerin, eine
Gesellschaft italienischen Rechts, die Fahrzeuge in Italien
vertreibt, kaufte im März 2019 unter Einschaltung eines
Vermittlers ein Fahrzeug von einem Autohaus, bei dem das
Fahrzeug stand. Eigentümerin des Fahrzeugs war die Beklagte,
die es an das Autohaus verleast hatte und die auch im Besitz
der Zulassungsbescheinigung Teil II ist. Nach Zahlung des
Kaufpreises von 30.800 € holte der Vermittler Anfang April
2019 das Auto bei dem Autohaus ab und verbrachte es zu der
Klägerin nach Italien.
Zwischen den Parteien ist
streitig, ob dem Vermittler eine hochwertige Fälschung der
Zulassungsbescheinigung Teil II vorgelegt wurde, in der das
Autohaus als Halter eingetragen war. Als die Klägerin ein
weiteres Fahrzeug von dem Autohaus kaufen wollte, war es
geschlossen. Gegen den Geschäftsführer wurde ein
strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Betrugsverdachts
in über 100 Fällen eingeleitet.
Bisheriger
Prozessverlauf: Das Landgericht hat die auf Herausgabe der
Zulassungsbescheinigung Teil II gerichtete Klage der Klägerin
abgewiesen und auf die Widerklage der Beklagten die Klägerin
verurteilt, das Fahrzeug herauszugeben. Das Oberlandesgericht
hat umgekehrt entschieden und die Beklagte verurteilt, die
Zulassungsbescheinigung Teil II an die Klägerin
herauszugeben. Die Widerklage hat es abgewiesen. Entscheidung
des Bundesgerichtshofs: Der V. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat die hiergegen gerichtete Revision der
Beklagten zurückgewiesen.
Die Klägerin kann von
der Beklagten die Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil
II verlangen, weil sie Eigentümerin des Fahrzeugs geworden
ist (§ 985 BGB i.V.m. § 952 BGB analog). Ursprüngliche
Eigentümerin des Fahrzeugs war zwar die Beklagte. Zwischen
der Klägerin und dem Autohaus hat aber eine Einigung und
Übergabe im Sinne von § 929 Satz 1 BGB stattgefunden. Weil
das Fahrzeug dem Autohaus als Veräußerer nicht gehörte,
konnte die Klägerin das Eigentum durch diesen Vorgang
allerdings nur gutgläubig erwerben (§ 932 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Dass die Klägerin nicht in gutem Glauben war,
muss die Beklagte beweisen. Der Gesetzgeber hat die fehlende
Gutgläubigkeit im Verkehrsinteresse bewusst als
Ausschließungsgrund ausgestaltet. Derjenige, der sich auf den
gutgläubigen Erwerb beruft, muss die Erwerbsvoraussetzungen
des § 929 BGB beweisen, nicht aber seine Gutgläubigkeit.
Diese Beweislastverteilung gilt auch, wenn die fehlende
Gutgläubigkeit des Erwerbers - wie hier - darauf gestützt
wird, bei dem Erwerb des Fahrzeugs habe die
Zulassungsbescheinigung Teil II nicht vorgelegen.
Zwar gehört es nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig zu den
Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines
gebrauchten Kraftfahrzeugs, dass sich der Erwerber die
Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lässt, um die
Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Wird dem Erwerber
eine gefälschte Bescheinigung vorgelegt, treffen ihn, sofern
er die Fälschung nicht erkennen musste und für ihn auch keine
anderen Verdachtsmomente vorlagen, keine weiteren
Nachforschungspflichten.
Diese Rechtsprechung ist
aber nicht so zu verstehen, dass die Vorlage der
Zulassungsbescheinigung Teil II von demjenigen zu beweisen
wäre, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft. Denn für
die von dem Erwerber zu beweisenden Erwerbsvoraussetzungen
nach § 929 Satz 1 BGB spielt die Vorlage der Bescheinigung
keine Rolle. Sie hat rechtliche Bedeutung nur im Zusammenhang
mit dem guten Glauben des Erwerbers; dessen Fehlen muss der
gesetzlichen Regelung zufolge der bisherige Eigentümer
beweisen.
Allerdings trifft den Erwerber, der
sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft, regelmäßig eine
sogenannte sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Vorlage
und Prüfung der Zulassungsbescheinigung Teil II. Er muss also
seinerseits vortragen, wann, wo und durch wen ihm die
Bescheinigung vorgelegt worden ist und dass er sie überprüft
hat. Dann muss der bisherige Eigentümer beweisen, dass diese
Angaben nicht zutreffen. Die Annahme des Berufungsgerichts,
die Klägerin habe mit dem Vortrag zu der Vorlage einer
hochwertigen Fälschung ihre sekundäre Darlegungslast erfüllt
und die Beklagte habe den Beweis für die fehlende
Gutgläubigkeit der Klägerin nicht geführt, ist nicht zu
beanstanden.
Das gilt insbesondere für die
Auffassung, der gute Glaube der Klägerin sei nicht deshalb
ausgeschlossen, weil das Autohaus dem Vermittler die
Zulassungsbescheinigung Teil II nicht ausgehändigt habe. Das
Berufungsgericht sieht einen plausiblen Grund für den
Einbehalt der Bescheinigung darin, dass - wie in dem
Kaufvertrag vereinbart - auf diese Weise sichergestellt
werden sollte, dass die Klägerin die Gelangensbestätigung (§
17a Abs. 2 Nr. 2 UStDV) übersendet, mit der bei
innergemeinschaftlichen Lieferungen die Umsatzsteuerfreiheit
nachgewiesen werden kann.
Das hält der eingeschränkten
revisionsrechtlichen Kontrolle stand. Weil die Klägerin
Eigentümerin geworden ist, ist die auf die Herausgabe des
Fahrzeugs gerichtete Widerklage der Beklagten unbegründet.
Vorinstanzen: LG Stuttgart – Urteil vom
26. Februar 2021 – 14 O 43/20 OLG Stuttgart – Urteil vom 21.
Juli 2021 – 9 U 90/21
Die maßgeblichen Vorschriften
lauten: § 929 BGB Zur Übertragung des Eigentums an einer
beweglichen Sache ist erforderlich, dass der Eigentümer die
Sache dem Erwerber übergibt und beide darüber einig sind,
dass das Eigentum übergehen soll. Ist der Erwerber im Besitz
der Sache, so genügt die Einigung über den Übergang des
Eigentums.
§ 932 BGB Gutgläubiger Erwerb vom
Nichtberechtigten (1) Durch eine nach § 929 erfolgte
Veräußerung wird der Erwerber auch dann Eigentümer, wenn die
Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zu
der Zeit, zu der er nach diesen Vorschriften das Eigentum
erwerben würde, nicht in gutem Glauben ist. In dem Falle des
§ 929 Satz 2 gilt dies jedoch nur dann, wenn der Erwerber den
Besitz von dem Veräußerer erlangt hatte.
(2) Der
Erwerber ist nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder
infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache
nicht dem Veräußerer gehört. § 952 BGB Eigentum an
Schuldurkunden (1) Das Eigentum an dem über eine Forderung
ausgestellten Schuldschein steht dem Gläubiger zu. (…)
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August 2022 |
Verteilung des im
Gebäudeversicherungsvertrag vereinbarten Selbstbehalts auf
die Wohnungseigentümer – V ZR 69/21
Bundesgerichtshof, Karlsruhe, 16. September 2022 - Der V.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass
bei einem Leitungswasserschaden, der im räumlichen Bereich
des Sondereigentums eingetreten ist, der im
Gebäudeversicherungsvertrag vereinbarte Selbstbehalt –
vorbehaltlich einer abweichenden Regelung - von allen
Wohnungseigentümern gemeinschaftlich zu tragen ist.
Sachverhalt: Die Parteien bilden eine
Wohnungseigentümergemeinschaft. Zu der Anlage gehören die
Wohnungen der Beklagten und die gewerbliche Einheit der
Klägerin. Die Gemeinschaft unterhält eine
Gebäudeversicherung, die neben anderen Risiken auch
Leitungswasserschäden abdeckt (sog. verbundene
Gebäudeversicherung). Der Versicherungsschutz besteht für das
gesamte Gebäude, ohne dass zwischen Sonder- und
Gemeinschaftseigentum unterschieden wird.
In der
Vergangenheit traten aufgrund mangelhafter Leitungen
(Kupferrohre) wiederholt Wasserschäden in den Wohnungen der
Beklagten auf, die sich allein im Jahr 2018 auf rd. 85.000 €
beliefen. Die Gemeinschaft macht deshalb bereits seit
geraumer Zeit vor Gericht Ansprüche gegen das Unternehmen
geltend, das die Leitungen verlegt hat. Bislang ist die
Praxis in der Gemeinschaft so, dass die Verwalterin bei einem
Wasserschaden ein Fachunternehmen mit der Schadensbeseitigung
beauftragt und die Kosten von dem Gemeinschaftskonto
begleicht.
Sie nimmt die Versicherung in Anspruch
und legt die Kosten unter Abzug der Versicherungsleistung
nach Miteigentumsanteilen um, und zwar auch insoweit, als die
Schäden im Bereich des Sondereigentums entstanden sind.
Aufgrund der Schadenshäufigkeit beträgt der in jedem
Schadensfall verbleibende Selbstbehalt inzwischen 7.500 €.
Dies hat zur Folge, dass die Versicherung nur noch ca. 25 %
der Schäden erstattet.
Gestützt auf die
Behauptung, die Mängel an den Leitungen seien jeweils hinter
den Absperreinrichtungen in den betroffenen Wohneinheiten
aufgetreten, verlangt die Klägerin mit ihrer auf zwei Anträge
gestützten Beschlussersetzungsklage eine von der bisherigen
Praxis abweichende Verteilung des Selbstbehalts. Sie will
erreichen, dass sie nicht aufgrund des im
Versicherungsvertrag vereinbarten Selbstbehalts anteilig an
den Kosten für die Beseitigung von Leitungs- und Folgeschäden
beteiligt wird, die nach ihrer Ansicht ausschließlich an dem
Sondereigentum der Beklagten entstanden sind; auch verweist
sie darauf, dass in ihrer Einheit bislang kein Schaden
aufgetreten ist.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der
Klägerin vor dem Landgericht ist erfolglos geblieben. Dagegen
hat sich die Klägerin mit der zugelassenen Revision gewandt.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Keinen Erfolg hatte die
Revision, soweit sich die Klägerin mit dem Antrag zu 1 gegen
die Rechtmäßigkeit der derzeitigen Verwaltungspraxis wendet.
Anders verhält es sich im Hinblick auf den Antrag zu 2, der
einen Anspruch der Klägerin auf die künftige Änderung des
Kostenverteilungsschlüssels zum Gegenstand hat. Insoweit hat
der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die
Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das
Landgericht zurückverwiesen.
Dem liegen folgende
Erwägungen zu Grunde: Die für den Erfolg einer
Beschlussersetzungsklage erforderliche Beschlusskompetenz der
Wohnungseigentümer betreffend den Antrag zu 1 ist gegeben.
Kommt es für die Beurteilung, ob eine Verwaltungsmaßnahme
ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, - wie hier - auf eine
umstrittene und höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage an,
ist die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer berechtigt, durch
Mehrheitsbeschluss zu entscheiden, welche Auffassung für die
künftige Verwaltungspraxis maßgeblich sein soll.
Dass der Rechtsstreit gegen das Unternehmen, das die
Kupferrohrleitungen verlegt hatte, noch nicht abgeschlossen
ist, lässt den Regelungsbedarf für die
Beschlussersetzungsklage nicht entfallen. Hierauf muss sich
die Klägerin nicht verweisen lassen, zumal die Dauer des
Verfahrens nicht absehbar ist. Da die in der Gemeinschaft
derzeit praktizierte Verteilung des Selbstbehalts bei einem
Leitungswasserschaden nach Miteigentumsanteilen rechtmäßig
ist, kann die Klägerin nicht verlangen, dass ein ihrer
Rechtsauffassung entsprechender Beschluss durch das Gericht
ersetzt wird.
Hierauf zielt der Antrag zu 1.
Tritt in einer Wohnungseigentumsanlage aufgrund einer
defekten Wasserleitung ein Schaden ein, ist ein von der
Gemeinschaft der Wohnungseigentümer in der verbundenen
Gebäudeversicherung vereinbarter Selbstbehalt, durch den der
Versicherer einen bestimmten Teil des ansonsten versicherten
Interesses nicht zu ersetzen hat, wie die Versicherungsprämie
nach dem gesetzlichen bzw. vereinbarten Verteilungsschlüssel
zu verteilen. Dies gilt unabhängig davon, ob der
Leitungswasserschaden an dem Gemeinschaftseigentum oder –
ausschließlich oder teilweise - an dem Sondereigentum
entstanden ist.
Zwar stellt nach
versicherungsrechtlichen Maßstäben die Vereinbarung eines
Selbstbehalts im Versicherungsvertrag, bei dem der
Versicherer einen bestimmten Betrag des versicherten Schadens
nicht ersetzen muss, einen Fall der bewussten
Unterversicherung dar. Es würde jedoch der Interessenlage der
Wohnungseigentümer bei Abschluss einer verbundenen
Gebäudeversicherung nicht gerecht, wenn der geschädigte
Sondereigentümer den Selbstbehalt alleine tragen müsste.
Die Entscheidung für einen Selbstbehalt im
Versicherungsvertrag ist regelmäßig damit verbunden, dass die
Gemeinschaft als Versicherungsnehmerin eine herabgesetzte
Prämie zu zahlen hat. Das ist für die Wohnungseigentümer
wegen der damit einhergehenden Verringerung des Hausgeldes
wirtschaftlich sinnvoll. Von sonstigen Fällen einer bewussten
Unterversicherung unterscheidet sich der Selbstbehalt wegen
des typischerweise überschaubaren und genau festgelegten
Risikos.
Grundlage der Entscheidung zugunsten
eines Selbstbehalts ist dabei die Erwartung der
Wohnungseigentümer, dass dieses durch Mehrheitsentscheidung
eingegangene Risiko für alle vom Versicherungsumfang
erfassten Sachen gemeinschaftlich getragen wird. An dem
Ergebnis ändert sich nichts, wenn der Versicherer – wie hier
- die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses in einer
schadengeneigten Wohnungseigentumsanlage von der Vereinbarung
eines Selbstbehaltes abhängig macht.
Auch dann
kommt die Vereinbarung eines Selbstbehalts allen
Wohnungseigentümern zugute, und zwar deshalb, weil
andernfalls deren Anspruch gegen die Gemeinschaft auf
angemessene Versicherung des gemeinschaftlichen Eigentums zum
Neuwert nicht erfüllt werden könnte. Im Ergebnis stellt daher
der im Schadensfall in der verbundenen Gebäudeversicherung
verbleibende Selbstbehalt bei wertender Betrachtung wie die
Versicherungsprämie einen Teil der Gemeinschaftskosten gemäß
§ 16 Abs. 2 Satz 1 WEG dar.
Diese Überlegungen
rechtfertigen allerdings nicht die Abweisung des Antrags zu
2. Mit diesem Antrag will die Klägerin erreichen, dass
der Selbstbehalt bei einem Schaden am Sondereigentum der
Wohneinheiten allein von den Eigentümern der Wohneinheiten
getragen wird, während sie ihrerseits für den Selbstbehalt
bei einem Schaden am Sondereigentum der gewerblichen Einheit
aufkommen muss. Das ist so zu verstehen, dass der derzeit
maßgebliche Verteilungsschlüssel für die Zukunft geändert
werden soll. Hierzu sind die Wohnungseigentümer gemäß § 16
Abs. 2 Satz 2 WEG befugt.
Ein Anspruch eines
einzelnen Wohnungseigentümers (wie der Klägerin) auf eine
solche Beschlussfassung ist aber nur dann gegeben, wenn gemäß
§ 10 Abs. 2 WEG ein Festhalten an der geltenden Regelung aus
schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände
des Einzelfalls, insbesondere der Rechte und Interessen der
anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint. Da es
insoweit an hinreichenden Feststellungen fehlt, hat der
Bundesgerichtshof die Sache an das Berufungsgericht
zurückverwiesen.
Für das weitere Verfahren hat er
darauf hingewiesen, dass eine – im Vergleich zu den übrigen
Eigentümern – unbillige Belastung der Klägerin in Betracht
kommen könnte, wenn das (alleinige bzw. jedenfalls
überwiegende) Auftreten der Leitungswasserschäden im Bereich
der Wohneinheiten auf baulichen Unterschieden des
Leitungsnetzes in den Wohneinheiten einerseits und der
Gewerbeeinheit andererseits beruhen sollte. Nicht ausreichend
wäre es demgegenüber, wenn die Ursache bei gleichen baulichen
Verhältnissen in einem unterschiedlichen Nutzungsverhalten
läge.
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
§ 10 WEG Allgemeine Grundsätze (1) […] (2) Jeder
Wohnungseigentümer kann eine vom Gesetz abweichende
Vereinbarung oder die Anpassung einer Vereinbarung verlangen,
soweit ein Festhalten an der geltenden Regelung aus
schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände
des Einzelfalls, insbesondere der Rechte und Interessen der
anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint.
(3)
[…] § 16 WEG Nutzungen und Kosten (1) […] (2) Die Kosten der
Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, insbesondere der
Verwaltung und des gemeinschaftlichen Gebrauchs des
gemeinschaftlichen Eigentums, hat jeder Wohnungseigentümer
nach dem Verhältnis seines Anteils (Absatz 1 Satz 2) zu
tragen. Die Wohnungseigentümer können für einzelne Kosten
oder bestimmte Arten von Kosten eine von Satz 1 oder von
einer Vereinbarung abweichende Verteilung beschließen.
Zum Rücktritt von
vorgesehenen Pauschalreisen wegen Covid 19 Urteile vom
30. August 2022 – X ZR 66/21 und X ZR 84/21 – X ZR 3/22
Karlsruhe, 30. August 2022 - Der unter anderem für
Pauschalreiserecht zuständige X. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat über Ansprüche auf Rückzahlung des
Reisepreises nach Rücktritt von Pauschalreiseverträgen wegen
Covid 19 entschieden.
Sachverhalt:
In den drei Verfahren nimmt die jeweilige Klagepartei die
jeweilige Beklagte auf Erstattung der Anzahlung für eine
Pauschalreise in Anspruch, nachdem sie vor Antritt der Reise
wegen der Covid-19-Pandemie von dem Vertrag zurückgetreten
ist. Im Verfahren X ZR 66/21 buchte die Klägerin im Januar
2020 eine Donaukreuzfahrt im Zeitraum vom 22. bis 29. Juni
2020 zu einem Gesamtpreis von 1.599,84 Euro.
Die Klägerin trat am 7. Juni 2020
von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der
bereits geleisteten Anzahlung von 319,97 Euro. Die Beklagte
berechnete weitere Stornokosten in Höhe von insgesamt 999,89
Euro (85 % des Reisepreises, unter Abzug einer Gutschrift).
Die Klägerin bezahlte diesen Betrag nicht. Die
Flusskreuzfahrt wurde mit einem angepassten Hygienekonzept
und einer von 176 auf 100 verringerten Passagierzahl
durchgeführt. Im Verfahren X ZR 84/21 buchte der Kläger im
Februar 2020 eine Pauschalreise nach Mallorca im Zeitraum vom
5. bis 17. Juli 2020 für 3.541 Euro.
Der Kläger trat
am 3. Juni 2020 von der Reise zurück und verlangte die
Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung von 709 Euro.
Die Beklagte berechnete Stornokosten in Höhe von insgesamt
886 Euro (25 % des Reisepreises) und belastete die
Kreditkarte des Klägers um weitere 177 Euro. Das vom Kläger
gebuchte Hotel war zum Zeitpunkt seines Rücktritts und im
Reisezeitraum geschlossen.
Im Verfahren X ZR 3/22
buchte der Kläger eine Ostseekreuzfahrt im Zeitraum vom 22.
bis 29. August 2020 für 8.305,10 Euro. Der Kläger trat am 31.
März 2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung
der von ihm geleisteten Anzahlung in Höhe von 3.194 Euro. Die
Kreuzfahrt wurde von der Beklagten am 10. Juli 2020 abgesagt.
Bisheriger Prozessverlauf: Die
Klagen hatten in den Vorinstanzen Erfolg. Im ersten Verfahren
sind das Amtsgericht und das Landgericht zu dem Ergebnis
gelangt, schon im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung sei
aufgrund der erhöhten Ansteckungsgefahr eine erhebliche
Beeinträchtigung der Reise durch die Covid-19-Pandemie als
unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h
Abs. 3 BGB hinreichend wahrscheinlich gewesen. I
m zweiten Verfahren hat das
Landgericht einen Rückzahlungsanspruch bejaht, weil das vom
Kläger gebuchte Hotel im fraglichen Zeitraum geschlossen war
und schon dieser Umstand dazu führe, dass der Kläger ohne
Entschädigungspflicht vom Vertrag habe zurücktreten können.
Im dritten Verfahren haben die Vorinstanzen offen gelassen,
ob die Voraussetzungen von § 651h Abs. 3 BGB im Zeitpunkt des
Rücktritts vorlagen, und einen Rückzahlungsanspruch schon
aufgrund der später erfolgten Absage der Reise bejaht.
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs: In den drei Verfahren
kam es zu unterschiedlichen Entscheidungen.
Die
Begründetheit der Klagen hing in allen drei Verfahren davon
ab, ob die jeweils beklagte Reiseveranstalterin dem Anspruch
der jeweiligen Klagepartei auf Rückzahlung des Reisepreises
einen Anspruch auf Entschädigung nach § 651h Abs. 1 Satz 3
BGB entgegenhalten kann. Einen solchen Entschädigungsanspruch
sieht das Gesetz als regelmäßige Folge für den Fall vor, dass
der Reisende vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktritt.
Der Anspruch ist
nach § 651h Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn am Bestimmungsort
oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare,
außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der
Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den
Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Eine erhebliche
Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB liegt nicht
nur dann vor, wenn feststeht, dass die Durchführung der Reise
nicht möglich ist oder zu einer erheblichen Beeinträchtigung
der Gesundheit oder sonstiger Rechtsgüter des Reisenden
führen würde. Sie kann vielmehr schon dann zu bejahen sein,
wenn die Durchführung der Reise aufgrund von
außergewöhnlichen Umständen mit erheblichen und nicht
zumutbaren Risiken in Bezug auf solche Rechtsgüter verbunden
wäre.
Die Beurteilung, ob solche Risiken bestehen,
erfordert regelmäßig eine Prognose aus der Sicht eines
verständigen Durchschnittsreisenden. Im ersten Verfahren
blieb die Revision erfolglos. Nach Auffassung des
Bundesgerichtshofs ist die Covid-19-Pandemie im Reisezeitraum
(Sommer 2020) als Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB zu
bewerten, der grundsätzlich geeignet war, die Durchführung
der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen. Eine
Anwendung von § 651h Abs. 3 BGB ist nicht deshalb
ausgeschlossen, weil die Covid-19-Pandemie weltweit wirkte
und dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im
vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort der Reisenden
vorgelegen haben.
Das Berufungsgericht ist im Rahmen
seiner tatrichterlichen Würdigung zu dem Ergebnis gelangt,
dass im Zeitpunkt des Rücktritts eine erhebliche
Beeinträchtigung der Reise aufgrund der Covid-19-Pandemie
hinreichend wahrscheinlich war. Diese Würdigung hat
der Bundesgerichtshof als rechtsfehlerfrei bewertet. Das
Berufungsgericht hat eine unzumutbare Gesundheitsgefährdung
der Klägerin insbesondere wegen der räumlichen Verhältnisse
an Bord eines Flusskreuzfahrtschiffs, der nicht bestehenden
Impfgelegenheit und der nicht vorhandenen Therapien gegen
Covid 19 bejaht. Es hat dabei das Hygienekonzept der
Beklagten und den Umstand, dass die im Zeitpunkt des
Rücktritts bestehende Reisewarnung befristet war und noch vor
Beginn der Reise ablief, berücksichtigt.
Zulässigerweise hat es auch auf das Alter der Klägerin Bezug
genommen. Dies ist jedenfalls dann möglich, wenn erst solche
Umstände, die bei Vertragsschluss noch nicht absehbar waren,
und die daraus resultierenden Risiken dazu führen, dass die
Reisende zu einer Personengruppe gehört, für die die Reise
mit besonderen Gefahren verbunden ist. Nach den Umständen bei
Vertragsschluss hätte das Alter der Klägerin einer Teilnahme
an der Reise nicht entgegengestanden – erst die Pandemie und
die aus ihr folgenden Risiken haben den Charakter der Reise
verändert.
Im zweiten Verfahren führte die Revision
zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das
Berufungsgericht. Zutreffend hat das Berufungsgericht
angenommen, dass der Vortrag des Klägers zu der durch
Unsicherheit und Unwägbarkeiten geprägten pandemischen Lage
in Europa ab Frühjahr 2020 und zu allgemeinen Maßnahmen zur
Herabsetzung der Infektionswahrscheinlichkeit sowie die
Bezugnahme auf ein für den Verbraucherzentrale Bundesverband
(vzbv) erstelltes Gutachten nicht den Schluss auf eine
erhebliche Beeinträchtigung zulassen, weil daraus nicht
hervorgeht, welche konkreten Infektionsrisiken im
maßgeblichen Zeitraum (Juli 2020) auf Mallorca bestanden.
Eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Abs.
3 BGB ergibt sich nach den bisher getroffenen Feststellungen
auch nicht daraus, dass das vom Kläger gebuchte Hotel im
Reisezeitraum geschlossen war. Zwar kann die Unterbringung in
einem anderen als dem gebuchten Hotel trotz Zuweisung einer
gleichwertigen Ersatzunterkunft am gleichen Ort einen zur
Minderung berechtigenden Reisemangel darstellen. Ein zur
Minderung berechtigender Reisemangel begründet aber nicht
ohne weiteres eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von §
651h Abs. 3 BGB.
Ob eine solche Beeinträchtigung
gegeben ist, ist aufgrund einer an Zweck und konkreter
Ausgestaltung der Reise sowie an Art und Dauer der
Beeinträchtigung orientierten Gesamtwürdigung zu beurteilen.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist eine solche
Würdigung auch dann erforderlich, wenn der Reisende in einem
anderen Hotel untergebracht werden soll. Die danach
erforderliche Gesamtwürdigung hat das Landgericht im
Streitfall unterlassen. Der Senat kann diese im Wesentlichen
dem Tatrichter überlassene Würdigung nicht selbst vornehmen.
Das dritte Verfahren hat der Bundesgerichtshof
entsprechend § 148 ZPO bis zu einer Entscheidung des
Gerichtshofs der Europäischen Union in dem dort anhängigen
Verfahren C-477/22 (X ZR 53/21, Pressemitteilungen Nr.
085/2022 und Nr. 118/2022) ausgesetzt. Die Entscheidung des
Rechtsstreits hängt von der Beantwortung der dem Gerichtshof
der Europäischen Union bereits vorliegenden Frage ab.
Vorinstanzen: X ZR 66/21: Amtsgericht Stuttgart-Bad
Cannstatt - Urteil vom 20. November 2020 - 12 C 1596/20
Landgericht Stuttgart - Urteil vom 22. Juli 2021 - 5 S 217/20
X ZR 84/21: Amtsgericht Düsseldorf - Urteil vom 7. Januar
2021 - 27 C 37/20 Landgericht Düsseldorf - Urteil vom 6.
September 2021 - 32 S 31/21 X ZR 3/22: Amtsgericht Hersbruck
- Urteil vom 21. Mai 2021 - 1 C 804/20 Landgericht
Nürnberg-Fürth - Urteil vom 17. Dezember 2021 - 5 S 3127/20
Die maßgeblichen Vorschriften
lauten: § 651h BGB Rücktritt vor Reisebeginn (1) Vor
Reisebeginn kann der Reisende jederzeit vom Vertrag
zurücktreten. Tritt der Reisende vom Vertrag zurück, verliert
der Reiseveranstalter den Anspruch auf den vereinbarten
Reisepreis. Der Reiseveranstalter kann jedoch eine
angemessene Entschädigung verlangen. (2) … (3) Abweichend
von Absatz 1 Satz 3 kann der Reiseveranstalter keine
Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in
dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche
Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise
oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort
erheblich beeinträchtigen. Umstände sind unvermeidbar und
außergewöhnlich im Sinne dieses Untertitels, wenn sie nicht
der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf
beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden
lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden
wären. § 148 ZPO (1)
Das Gericht kann, wenn die
Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem
Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses
abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen
Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde
festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur
Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur
Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. (2) Das
Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits
von Feststellungszielen abhängt, die den Gegenstand eines
anhängigen Musterfeststellungsverfahrens bilden, auf Antrag
des Klägers, der nicht Verbraucher ist, anordnen, dass die
Verhandlung bis zur Erledigung des
Musterfeststellungsverfahrens auszusetzen sei.
Erfolglose
Verfassungsbeschwerden gegen die Pflicht zum Nachweis einer
Impfung gegen Masern
Karlsruhe, 18. August 2022 -
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts mehrere
Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen, die sich gegen
Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) über die
Pflicht zum Auf- und Nachweis einer Masernimpfung sowie über
die bei Ausbleiben des Nachweises eintretende Folgen richten,
wie etwa das Verbot, Kinder in bestimmten Einrichtungen zu
betreuen.
Die Zurückweisung erfolgt allerdings mit der
Maßgabe einer verfassungskonformen Auslegung, die an die zur
Durchführung der Masernimpfung im Inland verfügbaren
Impfstoffe anknüpft. Stehen - wie derzeit in Deutschland -
ausschließlich Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung, ist § 20
Abs. 8 Satz 3 IfSG verfassungskonform so zu verstehen, dass
die Pflicht, eine Masernimpfung auf- und nachzuweisen, nur
dann gilt, wenn es sich um Kombinationsimpfstoffe handelt,
die keine weiteren Impfstoffkomponenten enthalten als die
gegen Masern, Mumps, Röteln oder Windpocken.
Die
Beschwerdeführenden sind jeweils gemeinsam sorgeberechtigte
Eltern sowie ihre minderjährigen Kinder, die kommunale
Kindertagesstätten besuchen oder von einer Tagesmutter mit
Erlaubnis zur Kindertagespflege nach § 43 Achtes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB VIII) betreut werden sollten. Sie
wenden sich im Wesentlichen gegen die Bestimmungen des
Infektionsschutzgesetzes, die eine solche Betreuung lediglich
dann gestatten, wenn die betroffenen Kinder gegen Masern
geimpft sind und diese Impfung auch nachgewiesen wird.
Die angegriffenen Vorschriften berühren sowohl das die
Gesundheitssorge für ihre Kinder umfassende Grundrecht der
beschwerdeführenden Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 des
Grundgesetzes (GG) als auch und vor allem das durch Art. 2
Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Grundrecht der
beschwerdeführenden Kinder auf körperliche Unversehrtheit.
Beide Grundrechtspositionen sind hier in spezifischer Weise
miteinander verknüpft.
Sowohl die Eingriffe
in das Elternrecht als auch die in die körperliche
Unversehrtheit sind unter Berücksichtigung der
verfassungskonformen Auslegung verfassungsrechtlich
gerechtfertigt. Ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht hat der
Gesetzgeber dem Schutz durch eine Maserninfektion gefährdeter
Menschen den Vorrang vor den Interessen der
beschwerdeführenden Kinder und Eltern eingeräumt.
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Juli 2022 |
Wenn der Flieger
zu spät abhebt Welche Rechte haben Passagiere? Welche Fakten
zählen?
Coburg/Duisburg, 5. Juli
2022 -
Die vermeintlich schönste Zeit im Jahr birgt trotzdem immer
noch Tücken. Gerade in diesem Jahr heben viele Flugzeuge
verspätet ab. Was ist zu tun, woran müssen Betroffene denken?
Mit welchen Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen
betroffene Passagiere rechnen können, regelt die EU-
Fluggastrechteverordnung. Sie greift, wenn die Airline für
die Verspätung verantwortlich ist.
Erreicht
das Flugzeug mit mehr als dreistündiger Verspätung den
Zielflughafen, haben Passagiere in der EU einen Anspruch auf
Ausgleichszahlungen. Die Entschädigungssummen bewegen sich in
einem Rahmen von 250 bis 600 Euro. Wie hoch die Entschädigung
ausfällt, hängt allein von der Länge der Flugstrecke ab. Der
Ticketpreis spielt keine Rolle. Die Fluggastrechteverordnung
ist, wie die HUK-COBURG-Rechtsschutzversicherung mitteilt,
bei Flügen anwendbar, die in der EU landen oder starten.
Für ankommende Flüge gilt, dass die Airline ihren
Firmensitz in der EU haben muss. Liegt er in einem Drittland,
beispielsweise in den USA, gilt die Regelung nicht. Hin- und
Rückflug sowie jede Teilstrecke sind gesondert zu betrachten.
Ab einer dreistündigen Verspätung können Passagiere also mit
einer Ausgleichszahlung rechnen, wenn nicht außergewöhnliche
Umstände, wie beispielsweise extreme Wetterbedingungen oder
Streik, den Start unmöglich gemacht haben. Doch selbst, wenn
die Ausgleichszahlungen entfallen, sieht die
Fluggastrechteverordnung vor, dass die Airline den Passagier
mit Mahlzeiten, Getränken und kostenlosen Telefonaten
unterstützt bzw. ihm eine Kontaktaufnahme über andere
Kommunikationskanäle ermöglicht.
Die Unterstützung
durch die Fluggastrechteverordnung schließt notfalls auch
eine kostenlose Hotelunterbringung mit ein. Um seine Rechte
im Nachhinein durchsetzen zu können, muss ein Passagier
Fakten auf den Tisch legen. Darum rät die
HUK-COBURG-Rechtsschutzversicherung, Mängel detailliert zu
dokumentieren. Neben dem Festhalten von Datum und Uhrzeiten
gehört dazu die Begründung der Airlines für die Verspätung
des Fluges. Zudem sind die Adressen von Zeugen hilfreich.
Wer keine Fakten vergessen will, kann auf ein
EU-Beschwerdeformular für Fluggastrechte (http://europa.eu/youreurope/citizens/travel/passenger-rights/air/index_de.htm)
zurückgreifen. Auch Pauschalreisenden stehen die
Ansprüche nach der EU-Fluggastrechteverordnung zu. Zusätzlich
steht es Passagieren offen, vom Reiseveranstalter noch eine
Entschädigung für entgangene Urlaubsfreuden zu verlangen. Bei
der Durchsetzung beider Ansprüche hilft die
Rechtsschutzversicherung. Gerade Letzteres lässt sich oft nur
mit Hilfe eines Anwalts durchsetzen.
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Juni 2022 |
Marders
Lieblingsspeise: Kabel und Schläuche
- Teilkasko-Versicherung deckt Marderschäden und deren Folgen
- HUK COBURG: Marderschäden kosteten 16,3 Millionen Euro
Coburg, 28. Juni 2022 - Jetzt wird zugebissen: Die
Marder sind wieder unterwegs. Die kleinen Raubtiere lieben
den engen Platz unter der Motorhaube: Eine kuschelige Höhle
zum Wohlfühlen. Allein der Geruch eines vermeintlichen
Konkurrenten, der seine Duftmarke hinterlässt, kann ihr
Wohlgefühl trüben. In diesem Moment sind wilde Beißattacken
vorprogrammiert.
Autofahrer mit Straßengarage müssen damit rechnen, dass sich
Marder zum Beispiel an den Kabeln ihrer Zündkerzen oder an
den Brems- und Kühlwasserschläuchen ihrer Pkw vergehen. Das
kann, wie die HUK-COBURG mitteilt, teuer werden. Knapp 46.000
Mal bissen die kleinen Raubtiere im vergangenen Jahr bei den
Autos von HUK-COBURG-Kunden zu. Die Beseitigung der Attacken
kostete durchschnittlich 465 Euro. In der Spitze waren sogar
Reparaturen von mehr als 2500 Euro nötig.
Insgesamt
beliefen sich die Regulierungskosten des oberfränkischen
Versicherers auf rund 16,3 Mio. Euro. Aber ein Marderbiss
kann nicht nur teuer, sondern auch gefährlich werden. Oft
bleiben die Schäden unentdeckt, da die spitzen, kleinen Zähne
der Raubtiere nur stecknadelgroße Einstiche hinterlassen.
Während der Fahrt kann es recht schnell zu Folgeschäden
kommen, zum Beispiel am Motor. Ein Blick auf die
Temperaturanzeige des Kühlwassers hilft: Geht der Zeiger in
den roten Bereich, ist ein Blick unter die Motorhaube
unerlässlich.
Einziger Trost: Marderschäden
sind oft – aber nicht immer – in der Teilkasko mitversichert.
Meist greift der Versicherungsschutz nicht allein bei Marder-
sondern generell bei Tierbissschäden. Wichtig für den
Versicherungsschutz: Er sollte nicht nur die unmittelbaren
Schäden, also die zerbissenen Schläuche, abdecken.
Teuer werden meist die Folgeschäden, wenn der Motor oder
die Bremsen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Manche
Versicherer, wie zum Beispiel die HUK-COBURG, versichern
diese Folgeschäden bis zu einer Summe von 20.000 Euro mit.
Wer unsicher ist, sollte bei seinem Kfz-Versicherer
nachfragen. Hat sich das kleine Raubtier an den
Schläuchen und Kabeln von Autos, Campingfahrzeugen oder
Krafträdern vergangen, greift natürlich auch die
Vollkasko-Versicherung.
Allerdings gilt hier: Wer einen Schaden meldet,
verschlechtert sich in der Schadenfreiheitsklasse. Vorbeugen
ist besser als reparieren Ein Wundermittel, das den Marder
vom Motorraum fernhält, gibt es nicht. Autobesitzer, die sich
den ganzen Ärger mit Panne und Reparatur ersparen wollen,
können dem Marder das Zubeißen aber zumindest erschweren.
Wirkungsvoll und günstig sind stabile Kabelummantelungen für
gefährdete Bauteile aus dem Fachhandel. Zudem verderben
spezielle Vorrichtungen zum Abschotten des Motorraums – wie
sie manche Autofirmen anbieten – dem kleinen Raubtier den
Spaß mit Kabeln, Dämmmatten und Wasserschläuchen. Auch
gelegentliche Motorwäschen sollen helfen. Sie entfernen alle
Geruchsspuren aus dem Motorraum, die andere Marder anlocken.
Äußerungen von
Bundeskanzlerin Merkel zur Ministerpräsidentenwahl in
Thüringen 2020 verletzen das Recht auf Chancengleichheit der
Parteien
Karlsruhe, 15. Juni 2022 -Mit
Urteil vom heutigen Tag hat der Zweite Senat entschieden,
dass Bundeskanzlerin Angela Merkel durch eine im Rahmen einer
Pressekonferenz mit dem Präsidenten der Republik Südafrika am
6. Februar 2020 in Pretoria getätigte Äußerung zur
Ministerpräsidentenwahl in Thüringen und deren anschließende
Veröffentlichung auf den Internetseiten der Bundeskanzlerin
und der Bundesregierung die Partei Alternative für
Deutschland (AfD) in ihrem Recht auf Chancengleichheit der
Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt hat. Im
Februar 2020 war Thomas Kemmerich (FDP) im dritten Wahlgang
zum Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen gewählt
worden.
An der Wahl wurde wegen der angenommenen
Mitwirkung von Abgeordneten sowohl der AfD- als auch der
CDU-Landtagsfraktion heftige öffentliche Kritik geübt. Die
Bundeskanzlerin äußerte sich dazu am Tag nach der Wahl im
Rahmen eines Staatsempfangs mit dem Präsidenten der Republik
Südafrika dahingehend, dass die Ministerpräsidentenwahl mit
einer „Grundüberzeugung“ gebrochen habe, „für die CDU und
auch für mich“, wonach mit „der AfD“ keine Mehrheiten
gewonnen werden sollten.
Der Vorgang sei
„unverzeihlich“, weshalb das Ergebnis rückgängig gemacht
werden müsse. Es sei „ein schlechter Tag für die Demokratie“
gewesen.
Bundeskanzlerin Merkel hat mit der
getätigten Äußerung in amtlicher Funktion die Antragstellerin
negativ qualifiziert und damit in einseitiger Weise auf den
Wettbewerb der politischen Parteien eingewirkt. Der damit
verbundene Eingriff in das Recht auf gleichberechtigte
Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung aus
Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ist weder durch den Auftrag des
Bundeskanzlers zur Wahrung der Stabilität der Bundesregierung
sowie des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland in der
Staatengemeinschaft gerechtfertigt, noch handelt es sich um
eine zulässige Maßnahme der Öffentlichkeitsarbeit der
Bundesregierung.
Durch die anschließende
Veröffentlichung der Äußerung auf den Internetseiten der
Bundeskanzlerin und der Bundesregierung haben die
Antragsgegnerinnen außerdem auf Ressourcen zurückgegriffen,
die allein ihnen zur Verfügung standen. Indem sie auf diese
Weise das in der Äußerung enthaltene negative Werturteil über
die Antragstellerin verbreitet haben, haben sie die
Antragstellerin eigenständig in ihrem Recht auf
gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb
verletzt. Die Richterin Wallrabenstein hat ein Sondervotum
abgegeben. Sie können den Text im Internet über folgende URL
erreichen:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/bvg22-053.html
Zur Haftung von "YouTube"
und "uploaded" für Urheberrechtsverletzungen I ZR 140/15,
I ZR 53/17, I ZR 54/17, I ZR 55/17, I ZR 56/17, I ZR 57/17
und I ZR 135/18:
Karlsruhe, 2. Juni 2022 -
Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in einem Verfahren über
die Haftung des Betreibers der Internetvideoplattform
"YouTube" und in sechs weiteren Verfahren über die Haftung
des Betreibers des Internetsharehosting-Dienstes "uploaded"
für von Dritten auf der Plattform bzw. unter Nutzung des
Dienstes begangene Urheberrechtsverletzungen entschieden.
Zum Verfahren I ZR 140/15: Sachverhalt: Der Kläger ist
Musikproduzent. Er hat mit der Sängerin Sarah Brightman im
Jahr 1996 einen Künstlerexklusivvertrag geschlossen, der ihn
zur Auswertung von Aufnahmen ihrer Darbietungen berechtigt.
Im November 2008 erschien das Studioalbum "A Winter Symphony"
mit von der Sängerin interpretierten Musikwerken. Zugleich
begann die Künstlerin die Konzerttournee "Symphony Tour", auf
der sie die auf dem Album aufgenommenen Werke darbot. Die
Beklagte zu 3 betreibt die Internetplattform "YouTube", auf
die Nutzer kostenlos audiovisuelle Beiträge einstellen und
anderen Internetnutzern zugänglich machen können.
Die
Beklagte zu 1 ist alleinige Gesellschafterin der Beklagten zu
3. Anfang November 2008 waren bei "YouTube" Videos mit
Musikwerken aus dem Repertoire von Sarah Brightman
eingestellt, darunter private Konzertmitschnitte und
Musikwerke aus ihren Alben. Nach einem anwaltlichen Schreiben
des Klägers sperrte die Beklagte zu 3 jedenfalls einen Teil
der Videos. Am 19. November 2008 waren bei "YouTube" erneut
Tonaufnahmen von Darbietungen der Künstlerin abrufbar, die
mit Standbildern und Bewegtbildern verbunden waren.
Der Kläger hat die Beklagten auf Unterlassung,
Auskunftserteilung und Feststellung ihrer
Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen. Bisheriger
Prozessverlauf: Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich
dreier Musiktitel stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen.
Das Oberlandesgericht hat die Beklagten verurteilt, es zu
unterlassen, Dritten in Bezug auf sieben näher bezeichnete
Musiktitel zu ermöglichen, Tonaufnahmen oder Darbietungen der
Künstlerin Sarah Brightman aus dem Studioalbum "A Winter
Symphony" öffentlich zugänglich zu machen. Ferner hat es die
Beklagten zur Erteilung der begehrten Auskunft über die
Nutzer der Plattform verurteilt, die diese Musiktitel unter
Pseudonymen auf das Internetportal hochgeladen haben. Im
Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Mit den vom
Bundesgerichtshof zugelassenen Revisionen verfolgt der Kläger
seine Klageanträge weiter und erstreben die Beklagten die
vollständige Abweisung der Klage. Der Bundesgerichtshof hat
das Verfahren mit Beschluss vom 13. September 2018 (YouTube
I) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union
Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG zur
Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der
verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, der
Richtlinie 2000/31/EG über bestimmte rechtliche Aspekte der
Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des
elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt und der
Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des
geistigen Eigentums vorgelegt.
Der
Gerichtshof der Europäischen Union hat über die Fragen durch
Urteil vom 22. Juni 2021 - C-682/18 und C-683/18 (YouTube und
Cyando) entschieden.
Entscheidung des
Bundesgerichtshofs Der
Bundesgerichtshof hat der Revision des Klägers stattgegeben,
soweit das Berufungsgericht hinsichtlich der Musiktitel auf
dem Studioalbum "A Winter Symphony" und einiger auf der
"Symphony Tour" dargebotener Musiktitel die gegenüber beiden
Beklagten geltend gemachten Unterlassungsansprüche und die
gegen die Beklagte zu 3 geltend gemachten Ansprüche auf
Schadensersatzfeststellung und Auskunftserteilung abgewiesen
hat.
Der Revision der
Beklagten hat der Bundesgerichtshof stattgegeben, soweit das
Berufungsgericht sie zur Unterlassung und zur Auskunft über
die E-Mail-Adressen von Nutzern verurteilt hat. Hinsichtlich
der Ansprüche auf Unterlassung und Schadensersatzfeststellung
hat der Bundesgerichtshof die Sache zur erneuten Verhandlung
und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die geltend gemachten
Unterlassungsansprüche sind nur begründet,
wenn die Bereitstellung von Nutzern hochgeladener
rechtsverletzender Inhalte auf der von der Beklagten zu 3
betriebenen Plattform sowohl im Handlungszeitpunkt als auch
nach der im Entscheidungszeitpunkt bestehenden Rechtslage
eine die Rechte des Klägers verletzende öffentliche
Wiedergabe darstellt. Das nach der Rechtslage im
Handlungszeitpunkt maßgebliche Recht der öffentlichen
Wiedergabe ist nach Art. 3 Abs. 1 und 2 Buchst. a und b der
Richtlinie 2001/29/EG harmonisiert, so dass die
entsprechenden Bestimmungen des deutschen
Urheberrechtsgesetzes richtlinienkonform auszulegen sind.
Der Gerichtshof der Europäischen
Union hat auf Vorlage des Senats entschieden, dass der
Betreiber einer Video-Sharing-Plattform, der weiß oder wissen
müsste, dass Nutzer über seine Plattform im Allgemeinen
geschützte Inhalte rechtswidrig öffentlich zugänglich machen,
selbst eine öffentliche Wiedergabe der von Nutzern
hochgeladenen rechtsverletzenden Inhalt im Sinne von Art. 3
Abs. 1 und 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29/EG
vornimmt, wenn er nicht die geeigneten technischen Maßnahmen
ergreift, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden
Wirtschaftsteilnehmer in seiner Situation erwartet werden
können, um Urheberrechtsverletzungen auf dieser Plattform
glaubwürdig und wirksam zu bekämpfen.
Lediglich
reaktive technische Maßnahmen, die Rechtsinhabern das
Auffinden von bereits hochgeladenen rechtsverletzenden
Inhalten oder die Erteilung von darauf bezogenen Hinweisen an
den Plattformbetreiber erleichtern, genügen für die
Einstufung als Maßnahmen zur glaubwürdigen und wirksamen
Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen nicht. Der
Gerichtshof hat weiter ausgeführt, dass die allgemeine
Kenntnis des Betreibers von der rechtsverletzenden
Verfügbarkeit geschützter Inhalte auf seiner Plattform für
die Annahme einer öffentlichen Wiedergabe des Betreibers
nicht genügt, dass es sich aber anders verhalte, wenn der
Betreiber, obwohl er vom Rechtsinhaber darauf hingewiesen
wurde, dass ein geschützter Inhalt über seine Plattform
rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht wurde, nicht
unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den
Zugang zu diesem Inhalt zu verhindern.
Der
Bundesgerichtshof hält vor diesem Hintergrund für den durch
Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/29/EG
vollharmonisierten Bereich nicht an seiner Rechtsprechung
fest, nach der in dieser Konstellation keine Haftung als
Täter einer rechtswidrigen öffentlichen Wiedergabe, sondern
allenfalls eine Haftung als Störer in
Betracht kam. Hier tritt nun die Haftung als Täter an die
Stelle der bisherigen Störerhaftung. Dabei sind die schon
bisher für die Störerhaftung geltenden, an den Hinweis auf
eine klare Rechtsverletzung zu stellenden Anforderungen auf
die Prüfung der öffentlichen Wiedergabe übertragbar.
Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass der Betreiber
einer Sharehosting-Plattform, der allgemeine
Kenntnis von der Verfügbarkeit von Nutzern hochgeladener
rechtsverletzender Inhalte hat oder haben müsste, selbst eine
öffentliche Wiedergabe der von Nutzern hochgeladenen
rechtsverletzenden Inhalte vornimmt, wenn er ein solches
Verhalten seiner Nutzer dadurch wissentlich fördert, dass er
ein Geschäftsmodell gewählt hat, das die Nutzer seiner
Plattform dazu anregt, geschützte Inhalte auf dieser
Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich zu machen.
Das Berufungsgericht hat keine hinreichenden
Feststellungen zu der Frage getroffen, ob die Beklagte zu 3
die geeigneten technischen Maßnahmen zur Bekämpfung von
Urheberrechtsverletzungen auf ihrer Plattform ergriffen hat,
die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden
Wirtschaftsteilnehmer erwartet werden können. Die vom
Berufungsgericht bislang getroffenen Feststellungen
rechtfertigen auch nicht die Annahme, die Beklagte habe ihre
durch einen Hinweis auf die klare Verletzung der Rechte des
Klägers ausgelöste Pflicht verletzt, unverzüglich die
erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugang zu
diesen Inhalten zu verhindern.
Sofern das
Berufungsgericht aufgrund der im wiedereröffneten
Berufungsverfahren zu treffenden Feststellungen zur Annahme
einer öffentlichen Wiedergabe durch die Beklagte zu 3
gelangt, wird es weiter zu prüfen haben, ob die
Voraussetzungen einer öffentlichen Wiedergabe auch nach dem
seit dem 1. August 2021 geltenden Gesetz über die
urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für
das Teilen von Online-Inhalten (BGBl. I 2021 S. 1204)
vorliegen. Zu den Verfahren I ZR 53/17, I ZR 54/17, I ZR
55/17, I ZR 56/17, I ZR 57/17 und I ZR 135/18: Sachverhalt:
Die Beklagte betreibt den Sharehosting-Dienst
"uploaded" im Internet. Dieser Dienst bietet
jedermann kostenlos Speicherplatz für das Hochladen von
Dateien beliebigen Inhalts. Für jede hochgeladene Datei
erstellt die Beklagte automatisch einen elektronischen
Verweis (Download-Link) auf den Dateispeicherplatz und teilt
diesen dem Nutzer automatisch mit. Die Beklagte bietet für
die bei ihr abgespeicherten Dateien weder ein
Inhaltsverzeichnis noch eine entsprechende Suchfunktion.
Allerdings können Nutzer die Download-Links in sogenannte
Linksammlungen im Internet einstellen. Diese werden von
Dritten angeboten und enthalten Informationen zum Inhalt der
auf dem Dienst der Beklagten gespeicherten Dateien.
Auf diese Weise können andere Nutzer auf die auf den Servern
der Beklagten abgespeicherten Dateien zugreifen. Der Download
von Dateien von der Plattform der Beklagten ist kostenlos
möglich. Allerdings sind Menge und Geschwindigkeit für nicht
registrierte Nutzer und solche mit einer kostenfreien
Mitgliedschaft beschränkt. Zahlende Nutzer haben, bei Preisen
zwischen 4,99 € für zwei Tage bis 99,99 € für zwei Jahre, ein
tägliches Downloadkontingent von 30 GB bei unbeschränkter
Downloadgeschwindigkeit. Zudem zahlt die Beklagte den
Nutzern, die Dateien hochladen, Downloadvergütungen, und zwar
bis zu 40 € für 1.000 Downloads.
Der Dienst der
Beklagten wird sowohl für legale Anwendungen genutzt als auch
für solche, die Urheberrechte Dritter verletzen. Die Beklagte
erhielt bereits in der Vergangenheit in großem Umfang
Mitteilungen über die Verfügbarkeit rechtsverletzender
Inhalte von im Auftrag der Rechtsinhaber handelnden
Dienstleistungsunternehmen. Nach den Allgemeinen
Geschäftsbedingungen der Beklagten ist es den Nutzern
untersagt, über die Plattform der Beklagten
Urheberrechtsverstöße zu begehen.
Die Klägerinnen in
den Verfahren I ZR 53/17 und I ZR 54/17 sind Verlage, die
Klägerinnen in den Verfahren I ZR 55/17 und I ZR 135/18 sind
Musikunternehmen, die Klägerin im Verfahren I ZR 56/17 ist
die GEMA und die Klägerin im Verfahren I ZR 57/17 ist ein
Filmunternehmen. Die Klägerinnen sehen jeweils
Rechtsverletzungen darin, dass über die externen
Linksammlungen Dateien auf den Servern der Beklagten
erreichbar seien, die Werke enthielten, an denen ihnen
beziehungsweise im Verfahren I ZR 56/17 den Rechtsinhabern,
deren Rechte die GEMA wahrnehme, Nutzungsrechte zustünden.
Außer in den Verfahren I ZR 57/17 und I ZR 135/18
haben die Klägerinnen die Beklagte in erster Linie als
Täterin, hilfsweise als Teilnehmerin und weiter hilfsweise
als Störerin auf Unterlassung sowie auf Auskunftserteilung in
Anspruch genommen und die Feststellung ihrer
Schadensersatzpflicht beantragt. Im Verfahren I ZR 57/17 wird
die Beklagte nur auf Auskunftserteilung und Feststellung der
Schadensersatzpflicht und im Verfahren I ZR 135/18 auf
Unterlassung und Erstattung von Rechtsanwaltskosten in
Anspruch genommen.
Abhängigkeit
sozialrechtlichen Verwertungsschutzes für selbst bewohntes
Wohneigentum von der aktuellen Bewohnerzahl verstößt nicht
gegen den Gleichheitsgrundsatz Karlsruhe, 2.
Juni 2022 - Das Bundesverfassungsgericht hat eine neue
Pressemitteilung veröffentlicht. Mit heute veröffentlichtem
Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts
auf eine Vorlage entschieden, dass § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4
in Verbindung mit Satz 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB
II) mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Vorlage betrifft
die im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung anzuwendende Regelung
des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 in Verbindung mit Satz 2 SGB II,
wonach selbst bewohntes Wohneigentum angemessener Größe einem
Bezug von Grundsicherungsleistungen nicht als anrechenbares
Vermögen entgegensteht, also in der Sache vor Verwertung
geschützt ist.
Die angemessene Größe richtet sich
dabei nach der aktuellen Bewohnerzahl. Die Regelung
berücksichtigt daher nicht, wenn Eltern gegenwärtig gerade
deshalb über größeren Wohnraum verfügen, weil sie zuvor noch
den Wohnbedarf ihrer mittlerweile ausgezogenen Kinder decken
mussten. Dass die Vorschrift für die Frage des
Verwertungsschutzes von Wohneigentum nicht nach dessen
familiärer Vorgeschichte differenziert, ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Vorschrift
dient der Realisierung des Bedarfsdeckungsprinzips, wonach im
System der Grundsicherung staatliche Leistungen allgemein
nachrangig gewährt werden. Das steht zu der Belastung der
Betroffenen nicht außer Verhältnis.
Keine Kürzung des
Heimentgelts bei coronabedingten Besuchs- und
Ausgangsbeschränkungen
Karlsruhe, 1. Juni 2022 - Der III.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. April 2022 über
die Frage entschieden, ob Bewohner einer stationären
Pflegeeinrichtung wegen Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen,
die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie hoheitlich
angeordnet wurden, zu einer Kürzung des Heimentgelts
berechtigt sind. Sachverhalt: Die Parteien streiten über
rückständige Heimkosten sowie die Räumung und Herausgabe
eines Zimmers in einem Seniorenwohnheim.
Die Parteien
schlossen im Jahr 2017 einen Vertrag über die Unterbringung
und vollstationäre Pflege der Beklagten in einem vom Kläger
betriebenen Seniorenwohn- und Pflegeheim. Die Beklagte war in
den Pflegegrad 3 eingestuft. Seit dem 19. März 2020 hielt sie
sich nicht mehr in der Pflegeeinrichtung auf, da ihr Sohn sie
im Hinblick auf die durch das neuartige SARS-CoV-2-Virus
verursachte Pandemie zu sich nach Hause geholt hatte. Das ihr
in dem Pflegeheim zugewiesene Zimmer räumte sie allerdings
nicht. Für die Monate Mai bis August 2020 erbrachte sie auf
das sich inzwischen auf 3.294,49 € belaufende beziehungsweise
im August 2020 auf 3.344,07 € angestiegene Monatsentgelt
lediglich Zahlungen in Höhe von insgesamt 1.162,18 €.
Nachdem die Klägerin die Beklagte vergeblich unter
Fristsetzung zur Zahlung aufgefordert hatte, erklärte sie mit
Schreiben vom 20. Juli 2020 die Kündigung des Pflegevertrags
aus wichtigem Grund zum 31. August 2020.
Bisheriger
Prozessverlauf: Das Landgericht hat die Beklagte zur Räumung
und Herausgabe des von ihr weiterhin belegten Zimmers sowie –
unter Anrechnung der vertraglich vereinbarten Pauschale von
25 Prozent für ersparte Aufwendungen ab dem vierten
Abwesenheitstag – zur Zahlung von 8.877,13 € nebst Zinsen
verurteilt. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg
gehabt. Die Beklagte beabsichtigt, gegen die Entscheidung des
Berufungsgerichts "das Rechtsmittel der
Nichtzulassungsbeschwerde" einzulegen, und begehrt dafür
gemäß § 78b Abs. 1 ZPO die Bestellung eines Notanwalts, da
auf ihre Anfrage keiner der beim Bundesgerichtshof
zugelassenen Rechtsanwälte zu einer Vertretung bereit gewesen
sei.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der
III. Zivilsenat hat den Antrag der Beklagten, ihr einen
Notanwalt beizuordnen, abgelehnt. Die Beiordnung eines
Notanwalts für die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde
scheidet aus, weil ein Revisionszulassungsgrund im Sinne des
§ 543 Abs. 2 ZPO offensichtlich nicht vorliegt. Die Zulassung
der Revision ist insbesondere nicht wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Sache nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO
geboten. Der von der Beklagten geltend gemachte
Entgeltkürzungsanspruch besteht unzweifelhaft nicht.
Nach § 7 Abs. 2 des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes
(WBVG) i.V.m. Nr. 2.1 des Pflegevertrages war die Klägerin
verpflichtet, der Beklagten ein bestimmtes Zimmer als
Wohnraum zu überlassen sowie die vertraglich vereinbarten
Pflege- und Betreuungsleistungen nach dem allgemein
anerkannten Stand fachlicher Erkenntnisse zu erbringen. Diese
den Schwerpunkt des Pflegevertrags bildenden Kernleistungen
konnten trotz pandemiebedingt hoheitlich angeordneter
Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen weiterhin in vollem
Umfang erbracht werden.
Eine Entgeltkürzung gemäß §
10 Abs. 1 WBVG wegen Nicht- oder Schlechtleistung scheidet
daher von vornherein aus. Es kommt aber auch keine
Herabsetzung des Heimentgelts wegen Störung der
Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB in Betracht. Durch
die Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen hat sich die
Geschäftsgrundlage für den zwischen den Parteien bestehenden
Pflegevertrag nicht schwerwiegend geändert (siehe zu den
Voraussetzungen einer Vertragsanpassung bei einer
pandemiebedingten schwerwiegenden Änderung der
Geschäftsgrundlage BGH, Urteile vom 12. Januar 2022 – XII ZR
8/21, MDR 2022, 147 Rn. 41 ff; vom 16. Februar 2022 – XII ZR
17/21, ZIP 2022, 532 Rn. 27 ff und vom 2. März 2022 – XII ZR
36/21, juris Rn. 28 ff [jeweils Gewerberaummiete]).
Die Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen dienten primär dem
Gesundheitsschutz sowohl der (besonders vulnerablen)
Heimbewohner als auch der Heimmitarbeiter, ohne den
Vertragszweck in Frage zu stellen. Ein Festhalten am
unveränderten Vertrag war der Beklagten daher zumutbar, zumal
die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie angeordneten
Einschränkungen sozialer Kontakte ("Lockdown") das gesamte
gesellschaftlichen Zusammenleben, also auch
Nichtheimbewohner, erfassten.
Vorinstanzen:
Landgericht Amberg - Urteil vom 30. März 2021 – 12 O 725/20
Oberlandesgericht Nürnberg - Beschluss vom 11. Oktober 2021 –
4 U 129/21
Die maßgeblichen Vorschriften lauten: §
78b ZPO – Notanwalt (1) Insoweit eine Vertretung durch
Anwälte geboten ist, hat das Prozessgericht einer Partei auf
ihren Antrag durch Beschluss für den Rechtszug einen
Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, wenn
sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht
findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht
mutwillig oder aussichtslos erscheint. § 313 Abs. 1 BGB –
Störung der Geschäftsgrundlage (1)
Haben sich
Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach
Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die
Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt
geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten,
so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem
Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls,
insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen
Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag
nicht zugemutet werden kann. § 10 WBVG – Nichtleistung
oder Schlechtleistung (1) Erbringt der Unternehmer die
vertraglichen Leistungen ganz oder teilweise nicht oder
weisen sie nicht unerhebliche Mängel auf, kann der
Verbraucher unbeschadet weitergehender zivilrechtlicher
Ansprüche bis zu sechs Monate rückwirkend eine angemessene
Kürzung des vereinbarten Entgelts verlangen.
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Mai 2022 |
Weitergehende
Berücksichtigung des wirtschaftlichen
Kindererziehungsaufwands nur im Beitragsrecht der sozialen
Pflegeversicherung geboten
Karlsruhe, 25. Mai 2022 - Mit heute
veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts auf die Vorlage eines
Sozialgerichts und zwei Verfassungsbeschwerden entschieden,
dass § 55 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Sätze 1 und 2 sowie § 57
Abs. 1 Satz 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI)
insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sind, als
beitragspflichtige Eltern in der sozialen Pflegeversicherung
unabhängig von der Zahl der von ihnen betreuten und erzogenen
Kinder mit gleichen Beiträgen belastet werden.
Weitergehende Verfassungsbeschwerden wurden zurückgewiesen,
soweit sie die Frage der Berücksichtigung der Betreuung und
Erziehung von Kindern bei der Bemessung des Beitrags zur
gesetzlichen Rentenversicherung und zur gesetzlichen
Krankenversicherung betrafen. Im gegenwärtigen System der
sozialen Pflegeversicherung werden Eltern mit mehr Kindern
gegenüber solchen mit weniger Kindern in spezifischer Weise
benachteiligt, weil der mit steigender Kinderzahl anwachsende
Erziehungsmehraufwand im geltenden Beitragsrecht keine
Berücksichtigung findet.
Die gleiche
Beitragsbelastung der Eltern unabhängig von der Zahl ihrer
Kinder ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Der
Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31. Juli 2023 eine
Neuregelung zu treffen. Das Beitragsrecht der gesetzlichen
Renten- und Krankenversicherung verletzt Art. 3 Abs. 1 GG
hingegen nicht dadurch, dass Mitglieder mit Kindern mit einem
gleich hohen Versicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder
belastet werden. Insoweit fehlt es an einer Benachteiligung
der Eltern, weil der wirtschaftliche Erziehungsaufwand im
System der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung
jeweils hinreichend kompensiert wird.
Ablehnung von Beratungshilfe für sozialrechtliches
Widerspruchsverfahren verfassungswidrig
Karlsruhe, 24. Mai 2022 - Mit heute veröffentlichtem
Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Ablehnung von
Beratungshilfe für ein sozialrechtliches
Widerspruchsverfahren verfassungswidrig war. Der Antrag des
Beschwerdeführers auf die Bewilligung von Beratungshilfe
wurde vom zuständigen Amtsgericht in mehreren Entscheidungen
wegen Mutwilligkeit abgelehnt.
Cabrio: Im
Zweifelsfall das Dach schließen Wer einen Diebstahl
leichtfertig ermöglicht, riskiert Versicherungsschutz
Coburg/Duisburg, 20. Mai 2022 - Autofahren mit offenem
Verdeck, für viele ist es gelebte Freiheit. Knapp 2,2
Millionen Cabrios sind auf Deutschlands Straßen unterwegs
(KBA, 1.1.2022). Doch irgendwann endet jede Autofahrt und die
Parkplatzsuche beginnt. Damit der Zweisitzer nicht zur
leichten Beute für Diebe wird, rät die HUK-COBURG
Cabriofahrern darauf zu achten, wo sie parken: Knapp 3,2
Millionen Euro zahlt Deutschlands größter Autoversicherer
jedes Jahr für gestohlene Cabrios bzw. für Diebstähle aus dem
Cabrio.
Letztlich entscheidet der Abstellplatz
darüber, ob das Verdeck offen bleiben kann oder geschlossen
werden sollte. Autobesitzer mit abschließbarer Einzelgarage
können das Thema Verdeck getrost vergessen, wenn sie ihren
Pkw dort parken. Mehr Vorsicht ist bei Tiefgaragen geboten,
die für viele Personen frei zugänglich sind. Hier gelten
dieselben Regeln wie auf der Straße: Wer sein Cabrio
abstellt, um schnell etwas zu besorgen, kann das Verdeck
offen lassen. Wer aber mehrere Stunden parkt, sollte das Dach
schließen. Gleiches gilt bei Fahrten in Länder, in denen
besonders häufig Autos gestohlen werden wie zum Beispiel in
Italien oder Polen.
Fans
offener Verdecke - Foto: HUK-COBURG - sollten keine Taschen,
Handys oder Ähnliches im Auto liegen lassen. Fest ein- oder
angebaute Teile wie z.B. die Bordelektronik oder
Fahrzeugassistenz- oder Infotainmentsysteme sind über die
Teilkasko-Versicherung mitversichert.
Macht ein
Dieb dort lange Finger, stellt sich aber auch hier die Frage,
wo und wie lange der Wagen geparkt wurde. Fazit:
Cabriofahrer, die ihr Verdeck schließen, können in punkto
Versicherungsschutz nie etwas falsch machen.
Wer es
offen lässt und leichtfertig einen Autodiebstahl ermöglicht,
muss mit Konsequenzen rechnen. Es kann sein, dass die
Teilkasko-Versicherung den Schaden nicht in vollem Umfang
übernimmt. Es gibt auch pragmatischen Grund für ein
geschlossenes Verdeck: Nach einem Regenguss Sitze und
Teppichboden des Zweisitzers zu trocknen, macht deutlich
weniger Spaß als eine Spritztour an schönen Sommertagen.
Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die
Pflicht zum Nachweis einer Impfung gegen COVID-19 (sogenannte
„einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht“)
Karlsruhe, 19. Mai 2022 - Mit heute veröffentlichtem
Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts
eine Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen, die sich gegen
§ 20a, § 22a und § 73 Abs. 1a Nr. 7e bis 7h des Gesetzes zur
Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim
Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) richtet.
Darin ist die auf bestimmte Einrichtungen und Unternehmen des
Gesundheitswesens und der Pflege bezogene Pflicht geregelt,
eine COVID-19-Schutzimpfung, eine Genesung von der
COVID-19-Krankheit oder eine medizinische Kontraindikation
für eine Impfung nachzuweisen (sogenannte „einrichtungs- und
unternehmensbezogene Nachweispflicht“). Die angegriffenen
Vorschriften verletzen die Beschwerdeführenden nicht in ihren
Rechten insbesondere aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 12
Abs. 1 GG.
Soweit die Regelungen in die genannten
Grundrechte eingreifen, sind diese Eingriffe
verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat im
Rahmen des ihm zustehenden Einschätzungsspielraums einen
angemessenen Ausgleich zwischen dem mit der Nachweispflicht
verfolgten Schutz vulnerabler Menschen vor einer Infektion
mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 und den
Grundrechtsbeeinträchtigungen gefunden. Trotz der hohen
Eingriffsintensität müssen die grundrechtlich geschützten
Interessen der im Gesundheits- und Pflegebereich tätigen
Beschwerdeführenden letztlich zurücktreten.
Abwassergebühren zu hoch
Münster, 17. Mai 2022 - Die Abwassergebührenkalkulation der
Stadt Oer-Erkenschwick für das Jahr 2017 ist rechtswidrig,
weil die konkrete Berechnung von kalkulatorischen
Abschreibungen und Zinsen zu einem Gebührenaufkommen führt,
das die Kosten der Anlagen überschreitet. Das hat das
Oberverwaltungsgericht heute in einem Musterverfahren
entschieden und damit seine langjährige Rechtsprechung zur
Kalkulation von Abwassergebühren geändert.
Ein Bürger
aus Oer-Erkenschwick hatte gegen die Festsetzung von Schmutz-
und Regenwassergebühren für das Jahr 2017 in Höhe von 599,85
Euro geklagt. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen wies die
Klage im Jahr 2020 ab. Die Berufung des Klägers hatte nun
Erfolg - das Oberverwaltungsgericht hob den Gebührenbescheid
auf. Zur Begründung hat der 9. Senat des
Oberverwaltungsgerichts ausgeführt: Die Satzung über die
Erhebung von Abwassergebühren in der Stadt Oer-Erkenschwick
aus November 2016, die dem Gebührenbescheid für 2017 zugrunde
liegt, ist unwirksam.
Die Gebühren waren insgesamt um
rund 18 % überhöht. Neben einem geringfügigen Rechenfehler
(doppelter Ansatz der Abschreibungen für Fahrzeuge und
Geräte) liegen nach der nun erfolgten Änderung der
bisherigen, 1994 begründeten Rechtsprechung des
Oberverwaltungsgerichts zwei grundlegende Kalkulationsfehler
vor. Der gleichzeitige Ansatz einer Abschreibung der
Entwässerungsanlagen mit ihrem Wiederbeschaffungszeitwert
(Preis für die Neuanschaffung einer Anlage gleicher Art und
Güte) sowie einer kalkulatorischen Verzinsung des
Anlagevermögens mit dem Nominalzinssatz (einschließlich
Inflationsrate) ist unzulässig.
An der bisherigen
anderslautenden Rechtsprechung wird nicht mehr festgehalten.
Diese Kombination von Abschreibungen und Zinsen ist nach dem
vom Gericht eingeholten Gutachten zwar betriebswirtschaftlich
vertretbar, worauf das Kommunalabgabengesetz zunächst
abstellt. Aus der Gemeindeordnung für das Land
Nordrhein-Westfalen ergibt sich aber der Zweck der
Gebührenkalkulation, durch die Abwassergebühren nicht mehr
als die dauerhafte Betriebsfähigkeit der öffentlichen
Einrichtung der Abwasserbeseitigung sicherzustellen.
Die Gebühren dürfen nur erhoben werden, soweit sie zur
stetigen Erfüllung der Aufgaben der Abwasserbeseitigung
erforderlich sind. Der gleichzeitige Ansatz einer
Abschreibung des Anlagevermögens auf der Basis seines
Wiederbeschaffungszeitwertes sowie einer kalkulatorischen
Nominalverzinsung widerspricht diesem Kalkulationszweck, weil
er einen doppelten Inflationsausgleich beinhaltet. Außerdem
ist der von der Stadt in der Gebührenkalkulation - ebenfalls
auf Basis der bisherigen Rechtsprechung - angesetzte Zinssatz
von 6,52 % sachlich nicht mehr gerechtfertigt.
Der
hier gewählte einheitliche Nominalzinssatz für Eigen- und
Fremdkapital, der aus dem fünfzigjährigen Durchschnitt der
Emissionsrenditen für festverzinsliche Wertpapiere
inländischer öffentlicher Emittenten zuzüglich eines
pauschalen Zuschlags von 0,5 Prozentpunkten für höhere
Fremdkapitalzinsen ermittelt wurde, geht über eine
angemessene Verzinsung des für die
Abwasserbeseitigungsanlagen aufgewandten Kapitals hinaus.
Das Oberverwaltungsgericht hält es bei einer
einheitlichen Verzinsung für angemessen, den zehnjährigen
Durchschnitt dieser Geldanlagen ohne einen Zuschlag zugrunde
zu legen. Daraus ergäbe sich für das Jahr 2017 bei der von
der Stadt Oer-Erkenschwick ansonsten gewählten Methode ein
Zinssatz von 2,42 %. Das Oberverwaltungsgericht hat die
Revision nicht zugelassen. Dagegen kann die Stadt Beschwerde
einlegen, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.
Aktenzeichen: 9 A 1019/20 (I. Instanz: VG Gelsenkirchen 13 K
4705/17)
Bettensteuer: Örtliche
Übernachtungsteuern in Beherbergungsbetrieben mit dem
Grundgesetz vereinbar Karlsruhe, 17. Mai 2022 -
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts vier Verfassungsbeschwerden
zurückgewiesen, die die Erhebung einer Steuer auf
entgeltliche Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben
(Übernachtungsteuer) in der Freien und Hansestadt Hamburg, in
der Freien Hansestadt Bremen sowie in der Stadt Freiburg im
Breisgau betreffen.
Eine Vielzahl von Städten und
Gemeinden erhebt seit dem Jahr 2005 von den ansässigen
Beherbergungsbetrieben eine Übernachtungsteuer, die sich
zumeist auf einen niedrigen Prozentsatz des
Übernachtungspreises (Nettoentgelt) beläuft. Das
Bundesverwaltungsgericht entschied mit – nicht
verfahrensgegenständlichem – Grundsatzurteil vom 11. Juli
2012 - BVerwG 9 CN 1.11 -, dass beruflich veranlasste
Übernachtungen aus verfassungsrechtlichen Gründen von der
Steuer auszunehmen seien.
Seither nehmen deutschlandweit
sämtliche Übernachtungsteuergesetze solche Übernachtungen von
der Besteuerung aus. Gegenstand der Verfassungsbeschwerden
waren Entscheidungen der Fachgerichte, denen die mittelbar
angegriffenen Regelungen der Übernachtungsteuer zu Grunde
lagen. Der Erste Senat hat nun entschieden, dass die
Vorschriften mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Die Länder
haben die der Besteuerung zugrundeliegenden Gesetze
kompetenzgemäß erlassen.
Die Übernachtungsteuer ist
eine örtliche Aufwandsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a
Satz 1 GG, die bundesgesetzlich geregelten Steuern nicht
gleichartig ist. Die Gesetzgebungsbefugnis der Länder ist
insbesondere nicht durch eine gleichartige Bundessteuer
gesperrt. Die Übernachtungsteuerregelungen sind auch
materiell mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie belasten die
betroffenen Beherbergungsbetriebe nicht übermäßig. Der
Gesetzgeber kann zudem beruflich veranlasste Übernachtungen
von der Aufwandbesteuerung ausnehmen, muss dies aber nicht.
Verfassungsbeschwerde gegen die
Gastronomiebeschränkungen durch die „Bundesnotbremse“
erfolglos Karlsruhe, 10. Mai 2022 - Mit heute
veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten
Senats des Bundesverfassungsgerichts eine
Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die
sich gegen die in § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 IfSG in der
Fassung des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei
einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22.
April 2021 (§ 28b IfSG a. F.) geregelte Untersagung der
Öffnung von Gaststätten zur Eindämmung der Corona-Pandemie
richtete.
In Anknüpfung an die Entscheidung des
Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. -
zur sogenannten „Bundesnotbremse“ hat die Kammer entschieden,
dass auch die vorübergehende Beschränkung des Betriebs der
Gaststätten auf die Auslieferung und den Außer-Haus-Verkauf
von Speisen und Getränken als Maßnahme zur Pandemiebekämpfung
verfassungsrechtlich gerechtfertigt war. Der Gesetzgeber hat
den ihm zustehenden Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum
auch insoweit nicht überschritten.
Pflicht zur Beteiligung von Anwohnern und standortnahen
Gemeinden an Windparks im Grundsatz zulässig
Karlsruhe, 5. Mai 2022 - Mit heute veröffentlichtem Beschluss
hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts
entschieden, dass das Gesetz über die Beteiligung von
Bürgerinnen und Bürgern sowie Gemeinden an Windparks in
Mecklenburg-Vorpommern (Bürger- und
Gemeindenbeteiligungsgesetz - BüGembeteilG) ganz überwiegend
mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Dieses Gesetz
verpflichtet die Betreiber von Windenergieanlagen
(Vorhabenträger), Windparks nur durch eine eigens dafür zu
gründende Projektgesellschaft zu betreiben und Anwohnerinnen
und Anwohner sowie standortnahe Gemeinden durch den Erwerb
von Gesellschaftsanteilen oder stattdessen durch den Erwerb
von Sparprodukten durch die Anwohner und die Zahlung einer
Abgabe an die Gemeinde mit insgesamt mindestens 20 % an deren
Ertrag zu beteiligen.
Dadurch soll die Akzeptanz für
neue Windenergieanlagen verbessert und so der weitere Ausbau
der Windenergie an Land gefördert werden. Die damit
verfolgten Gemeinwohlziele des Klimaschutzes, des Schutzes
von Grundrechten vor Beeinträchtigungen durch den Klimawandel
und der Sicherung der Stromversorgung sind hinreichend
gewichtig, um den mit der Beteiligungspflicht verbundenen
schwerwiegenden Eingriff in die Berufsfreiheit der
Vorhabenträger aus Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigen zu können.
Zahlungspflicht bei coronabedingter Schließung
eines Fitnessstudios
Bundesgerichtshof, Karlsruhe, 4. Mai 2022 Urteil vom 4. Mai
2022 – XII ZR 64/21 Der u.a. für das gewerbliche
Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
hatte die Frage zu entscheiden, ob die Betreiberin eines
Fitness-Studios zur Rückzahlung von Mitgliedsbeiträgen
verpflichtet ist, welche sie in der Zeit, in der sie ihr
Fitnessstudio aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur
Bekämpfung der COVID-19-Pandemie schließen musste, von einem
Kunden per Lastschrift eingezogen hat.
Die Parteien
schlossen am 13. Mai 2019 einen Vertrag über die
Mitgliedschaft im Fitnessstudio der Beklagten mit einer
Laufzeit von 24 Monaten, beginnend ab dem 8. Dezember 2019.
Der monatliche Mitgliedsbeitrag, der im Lastschriftverfahren
eingezogen wurde, betrug 29,90 € nebst einer halbjährigen
Servicepauschale. Aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der
COVID-19-Pandemie musste die Beklagte das Fitnessstudio in
der Zeit vom 16. März 2020 bis 4. Juni 2020 schließen. Die
Monatsbeiträge für diesen Zeitraum zog sie weiterhin vom
Konto des Klägers ein. Eine vom Kläger mit Schreiben vom 7.
Mai 2020 erklärte Kündigung seiner Mitgliedschaft zum 8.
Dezember 2021 wurde von der Beklagten akzeptiert.
Mit
Schreiben vom 15. Juni 2020 verlangte der Kläger von der
Beklagten die Rückzahlung der per Lastschrift eingezogenen
Mitgliedsbeiträge für den Zeitraum vom 16. März 2020 bis 4.
Juni 2020. Nachdem eine Rückzahlung nicht erfolgte, forderte
der Kläger die Beklagte auf, ihm für den Schließungszeitraum
einen Wertgutschein über den eingezogenen Betrag
auszustellen. Die Beklagte händigte dem Kläger keinen
Wertgutschein aus, sondern bot ihm eine "Gutschrift über
Trainingszeit" für den Zeitraum der Schließung an.
Dieses Angebot nahm der Kläger nicht an. Das Amtsgericht hat
die Beklagte zur Rückzahlung der Monatsbeiträge für den
Schließungszeitraum in Höhe von 86,75 € nebst Zinsen und
außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt. Ihre
hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht
zurückgewiesen. Die vom Landgericht zugelassene Revision, mit
der die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen
wollte, hatte keinen Erfolg.
Der
Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Kläger
gemäß §§ 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, § 346
Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung der für den
Zeitraum der Schließung entrichteten Monatsbeiträge hat.
Diesem Rückzahlungsanspruch des Klägers kann die Beklagte
nicht entgegenhalten, der Vertrag sei wegen Störung der
Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB dahingehend
anzupassen, dass sich die vereinbarte Vertragslaufzeit um die
Zeit, in der das Fitnessstudio geschlossen werden musste,
verlängert wird. Gemäß § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf
Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder
für jedermann unmöglich ist.
Rechtliche Unmöglichkeit
ist gegeben, wenn ein geschuldeter Erfolg aus Rechtsgründen
nicht herbeigeführt werden kann oder nicht herbeigeführt
werden darf. So liegt der Fall hier. Während des Zeitraums,
in dem die Beklagte aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur
Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ihr Fitnessstudio schließen
musste, war es ihr rechtlich unmöglich, dem Kläger die
Möglichkeit zur vertragsgemäßen Nutzung des Fitnessstudios zu
gewähren und damit ihre vertraglich geschuldete
Hauptleistungspflicht zu erfüllen.
Obwohl die
Beklagte das Fitnessstudio im Hinblick auf die zeitliche
Befristung der Corona-Schutzmaßnahmen lediglich vorübergehend
schließen musste, liegt kein Fall einer nur vorübergehenden
Unmöglichkeit vor, die von § 275 Abs. 1 BGB nicht erfasst
würde. Ein nur zeitweiliges Erfüllungshindernis ist dann
einem dauernden gleichzustellen, wenn durch das Hindernis die
Erreichung des Vertragszwecks in Frage gestellt ist und der
einen oder anderen Partei bei billiger Abwägung der
beiderseitigen Belange nicht mehr zugemutet werden könnte,
die Leistung dann noch zu fordern oder zu erbringen.
Wird - wie im vorliegenden Fall - für einen
Fitnessstudiovertrag eine mehrmonatige feste Vertragslaufzeit
gegen Zahlung eines monatlich fällig werdenden Entgelts
vereinbart, schuldet der Betreiber des Fitnessstudios seinem
Vertragspartner die Möglichkeit, fortlaufend das Studio zu
betreten und die Trainingsgeräte zu nutzen. Der Zweck eines
Fitnessstudiovertrags liegt in der regelmäßigen sportlichen
Betätigung und damit entweder in der Erreichung bestimmter
Fitnessziele oder zumindest der Erhaltung von Fitness und
körperlicher Gesundheit.
Aufgrund dessen sind für den
Vertragspartner gerade die regelmäßige und ganzjährige
Öffnung und Nutzbarkeit des Studios von entscheidender
Bedeutung. Kann der Betreiber des Fitnessstudios während der
vereinbarten Vertragslaufzeit dem Vertragspartner die
Nutzungsmöglichkeit des Studios zeitweise nicht gewähren,
etwa weil er - wie hier - das Fitnessstudio aufgrund der
hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie
schließen muss, kann dieser Vertragszweck für den Zeitraum
der Schließung nicht erreicht werden. Die von dem Betreiber
geschuldete Leistung ist deshalb wegen Zeitablaufs nicht mehr
nachholbar.
Zu Recht hat das Berufungsgericht auch
angenommen, dass die Beklagte dem Rückzahlungsanspruch des
Klägers nicht entgegenhalten kann, der Vertrag sei wegen
Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB
dahingehend anzupassen, dass sich die vereinbarte
Vertragslaufzeit um die Zeit, in der das Fitnessstudio
geschlossen werden musste, verlängert wird. Eine solche
Vertragsanpassung wird zwar in der instanzgerichtlichen
Rechtsprechung teilweise vertreten. Diese Auffassung verkennt
jedoch das Konkurrenzverhältnis zwischen § 275 Abs. 1 BGB und
§ 313 BGB. Eine Anpassung vertraglicher Verpflichtungen an
die tatsächlichen Umstände kommt grundsätzlich dann nicht in
Betracht, wenn das Gesetz in den Vorschriften über die
Unmöglichkeit der Leistung die Folge der Vertragsstörung
bestimmt.
Daher scheidet eine Anwendung des § 313 BGB
aus, soweit - wie im vorliegenden Fall - der Tatbestand des §
275 Abs. 1 BGB erfüllt ist. Ein Anspruch der Beklagten auf
die begehrte Vertragsanpassung scheidet auch deshalb aus,
weil mit Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB eine speziellere
Vorschrift besteht, die im vorliegenden Fall einem Rückgriff
auf die allgemeinen Grundsätze zur Vertragsanpassung wegen
Störung der Geschäftsgrundlage entgegensteht. Grundsätzlich
ist eine Vertragsanpassung wegen Störung der
Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB nicht möglich, wenn der
Gesetzgeber das Risiko einer Geschäftsgrundlagenstörung
erkannt und zur Lösung der Problematik eine spezielle
gesetzliche Vorschrift geschaffen hat.
Bei der durch
Art. 1 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der
COVID-19-Pandemie im Veranstaltungsrecht und im Recht der
Europäischen Gesellschaft (SE) und der Europäischen
Genossenschaft (SCE) vom 15. Mai 2020 mit Wirkung vom 20. Mai
2020 (BGBl. I S. 948) eingeführten Vorschrift des Art. 240 §
5 EGBGB handelt es sich um eine solche spezialgesetzliche
Regelung, die in ihrem Anwendungsbereich dem § 313 BGB
vorgeht. Zur Zeit der Schaffung dieser Vorschrift mussten
aufgrund der umfangreichen Maßnahmen zur Bekämpfung der
COVID-19-Pandemie und der damit verbundenen
Veranstaltungsverbote und Kontaktbeschränkungen eine Vielzahl
von Veranstaltungen abgesagt und Freizeiteinrichtungen
vorübergehend geschlossen werden.
Daher konnten
vielfach bereits erworbene Eintrittskarten nicht eingelöst
werden. Ebenso konnten Inhaber einer zeitlichen
Nutzungsberechtigung für eine Freizeiteinrichtung diese für
eine gewisse Zeit nicht nutzen. Der Gesetzgeber befürchtete,
dass die rechtliche Verpflichtung der Veranstalter oder
Betreiber, bereits erhaltene Eintrittspreise oder
Nutzungsentgelte zurückerstatten zu müssen, bei diesen zu
einem erheblichen Liquiditätsabfluss führen würde, der für
viele Unternehmen im Veranstaltungsbereich eine
existenzbedrohende Situation zur Folge haben könnte. Zudem
sah der Gesetzgeber die Gefahr, dass Insolvenzen von
Veranstaltungsbetrieben auch nachteilige Folgen für die
Gesamtwirtschaft und das kulturelle Angebot in Deutschland
haben könnten.
Um diese unerwünschten Folgen nach
Möglichkeit zu verhindern, wollte der Gesetzgeber mit Art.
240 § 5 EGBGB für Veranstaltungsverträge, die vor dem 8. März
2020 abgeschlossen wurden, eine Regelung schaffen, die die
Veranstalter von Freizeitveranstaltungen vorübergehend dazu
berechtigt, den Inhabern von Eintrittskarten statt der
Erstattung des Eintrittspreises einen Gutschein in Höhe des
Eintrittspreises auszustellen (Art. 240 § 5 Abs. 1 EGBGB),
sofern die Veranstaltung aufgrund der Maßnahmen zur
Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden konnte.
Durch Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB wurde dem Betreiber einer
Freizeiteinrichtung ebenfalls das Recht eingeräumt, dem
Nutzungsberechtigten einen Gutschein zu übergeben, der dem
Wert des nicht nutzbaren Teils der Berechtigung entspricht.
Durch diese "Gutscheinlösung" hat der Gesetzgeber
unter Berücksichtigung der Interessen sowohl der Unternehmer
im Veranstaltungs- und Freizeitbereich als auch der
Interessen der Kunden eine abschließende Regelung getroffen,
um die Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der
COVID-19-Pandemie im Veranstaltungs- und Freizeitbereich
abzufangen. Eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen über
die Störung der Geschäftsgrundlage findet daneben nicht
statt. Die maßgeblichen Normen lauten wie folgt: § 275
des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) (1) Der Anspruch auf
Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner
oder für jedermann unmöglich ist. (4) Die Rechte des
Gläubigers bestimmen sich nach den §§ 280, 283 bis 285, 311a
und 326. § 313 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)
Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden
sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten
die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt
geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten,
so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem
Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls,
insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen
Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag
nicht zugemutet werden kann. […] § 326 des Bürgerlichen
Gesetzbuches (BGB) (1)
Braucht der Schuldner nach §
275 Abs. 1 bis 3 nicht zu leisten, entfällt der Anspruch auf
die Gegenleistung; bei einer Teilleistung findet § 441 Abs. 3
entsprechende Anwendung. Satz 1 gilt nicht, wenn der
Schuldner im Falle der nicht vertragsgemäßen Leistung die
Nacherfüllung nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu erbringen
braucht. [...] (4)
Soweit die nach dieser Vorschrift
nicht geschuldete Gegenleistung bewirkt ist, kann das
Geleistete nach den §§ 346 bis 348 zurückgefordert werden.
Art 240 § 5 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen
Gesetzbuch (1) Wenn eine Musik-, Kultur-, Sport- oder
sonstige Freizeitveranstaltung aufgrund der COVID-19-Pandemie
nicht stattfinden konnte oder kann, ist der Veranstalter
berechtigt, dem Inhaber einer vor dem 8. März 2020 erworbenen
Eintrittskarte oder sonstigen Teilnahmeberechtigung anstelle
einer Erstattung des Eintrittspreises oder sonstigen Entgelts
einen Gutschein zu übergeben.
[...] (2) Soweit eine
Musik-, Kultur-, Sport- oder sonstige Freizeiteinrichtung
aufgrund der COVID-19-Pandemie zu schließen war oder ist, ist
der Betreiber berechtigt, dem Inhaber einer vor dem 8. März
2020 erworbenen Nutzungsberechtigung anstelle einer
Erstattung des Entgelts einen Gutschein zu übergeben.
(5) Der Inhaber eines nach den Absätzen 1 oder 2
ausgestellten Gutscheins kann von dem Veranstalter oder
Betreiber die Auszahlung des Wertes des Gutscheins verlangen,
wenn 1. der Verweis auf einen Gutschein für ihn angesichts
seiner persönlichen Lebensumstände unzumutbar ist oder 2. er
den Gutschein bis zum 31. Dezember 2021 nicht eingelöst hat.
Vorinstanzen: LG Osnabrück - 2 S 35/21 - Urteil vom 9. Juli
2021 AG Papenburg - 3 C 337/20 - Urteil vom 18. Dezember 2020
Kiesabbau: Planaussagen im
Landesentwicklungsplan unwirksam Münster, 3. Mai
2022 - Das Oberverwaltungsgericht hat heute
Normenkontrollanträgen der Kreise Viersen und Wesel sowie der
Kommunen Kamp-Lintfort, Neukirchen-Vluyn, Rheinberg und Alpen
stattgegeben, die sich gegen die Anhebung der Versorgungs-
und Fortschreibungszeiträume für Rohstoffe um jeweils fünf
Jahre im Landesentwicklungsplan richteten, und die
Planaussagen für unwirksam erklärt.
Im
Koalitionsvertrag 2017 hatten CDU NRW und FDP NRW vereinbart,
die Ausweisung von Versorgungs- und Reservezeiträumen für die
Rohstoffsicherung zu verlängern. Im Februar 2019 beschloss
die Landesregierung, die Versorgungszeiträume für die
Sicherung und den Abbau oberflächennaher Bodenschätze (wie
den insbesondere am Niederrhein vorkommenden Kies) von 20 auf
25 Jahre anzuheben. Hinsichtlich der Verpflichtung der
Regionalplaner, diese Zeiträume fortzuschreiben, wurde der
Zeitraum von 10 auf 15 Jahre erhöht. Die Gemeinden und Kreise
haben dagegen eingewandt, dies werde voraussichtlich zu einem
höheren Flächenbedarf führen und damit dazu, dass die - den
Landesentwicklungsplan umsetzende - Regionalplanung auf ihrem
Gebiet weitere Kies-Abgrabungsbereiche festlegen werde.
Damit erhalte die Rohstoffsicherung zu Unrecht
Vorrang vor anderen Belangen wie dem Umweltschutz, dem
Städtebau oder der Land- und Forstwirtschaft. Das
Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollanträgen
stattgegeben. Zur Begründung hat der 11. Senat im
Wesentlichen ausgeführt: Bei den angegriffenen Planaussagen
handelt es sich um verbindliche Ziele der Raumordnung, die
für nachgeordnete Planungsbehörden verbindlich und einer
Abwägung nicht mehr zugänglich sind.
Die
Antragsteller sind als Behörden befugt, dagegen mit
Normenkontrollanträgen vorzugehen. Denn sie müssen die
verbindlichen Ziele der Raumordnung bei der Landschafts- und
Bauleitplanung beachten. Dabei ist es unerheblich, dass es
sich bei den streitigen Zielbestimmungen lediglich um
textliche Festlegungen handelt, die einer weiteren sachlichen
und räumlichen Konkretisierung durch die Träger der
Regionalplanung bedürfen. Denn einerseits ist die
Notwendigkeit entsprechender Veränderungen dem Grunde nach
durch die Zielbestimmungen verbindlich vorgegeben,
andererseits ergeben sich hieraus auch bereits räumliche
Konsequenzen, jedenfalls im Hinblick auf die schon bisher
regionalplanerisch festgelegten Abgrabungsbereiche.
Außerdem kann die Klärung der Gültigkeit der angegriffenen
Ziele im Landesentwicklungsplan dazu führen, dass keine
weiteren Rechtsstreitigkeiten, wie etwa spätere
Normenkontrollverfahren gegen die die verbindlichen Ziele
umsetzenden Regionalpläne, geführt werden müssen. Die
geänderten Planaussagen verstoßen gegen das Abwägungsgebot.
Für die Anhebung der Versorgungs- und
Fortschreibungszeiträume um jeweils fünf Jahre fehlt es
bereits an einer hinreichenden Ermittlung der hierdurch
berührten gegenläufigen Belange als wesentliche Grundlage für
die Abwägung.
Das beklagte Land hat seiner
Abwägung tragend zugrunde gelegt, dass die maßvolle
Verlängerung der Zeiträume eine bessere Planungssicherheit
für die abbauenden Betriebe ermögliche. Tatsächliche
Erkenntnisse zum Bedarf für die Verlängerung liegen aber
nicht vor. Konkrete Sachverhaltsermittlungen fehlen auch,
soweit die Änderung mit mehr Sicherheit für die
Rohstoffversorgung der Bevölkerung begründet worden ist.
Weder aus der Abwägungsentscheidung selbst noch aus dem
Abwägungsmaterial ergeben sich eindeutige Informationen,
welche „durch den Rohstoffabbau ausgelösten Konflikte“ in der
Entscheidung berücksichtigt worden sind.
Zu den von
den Antragstellern geltend gemachten Befürchtungen einer
erhöhten Flächeninanspruchnahme und zu den durch die
Planänderungen betroffenen Umweltbelangen fehlen ebenfalls
Ermittlungen oder sind jedenfalls unzureichend. Auch wenn
beides auf der Ebene der Landesplanung noch nicht
mathematisch genau bzw. gebietsscharf ermittelt werden kann,
war eine Verortung der Betroffenheit, heruntergebrochen auf
konkrete Teilräume des Landes NordrheinWestfalen, möglich.
Schließlich sind die vorhandenen Abgrabungsbereiche für Kies
bekannt, wie sich aus einem Entschließungsantrag der
Fraktionen der CDU und der FDP vom Mai 2019 ergibt, der
ausdrücklich auf „Niederrhein“ als „besonders belasteten
Teilraum“ hinweist.
Das Oberverwaltungsgericht hat
die Revision nicht zugelassen. Dies kann durch Beschwerde
angefochten werden, über die das Bundesverwaltungsgericht
entscheidet. Aktenzeichen: 11 D 109/19.NE, 11 D 2/20.NE
und 11 D 135/20.NE
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April 2022 |
Flughafen Düsseldorf muss während
der Sicherheitskontrolle von Fluggästen nicht genutzte
Kontrollspuren baulich-technisch sichern
Münster, 06. April 2022 - Nicht die
Bundespolizei, sondern die Flughafen Düsseldorf GmbH als
Betreiberin des Flughafens Düsseldorf hat an den
Fluggastkontrollstellen die Kontrollspuren, die während der
Sicherheitskontrolle nicht genutzt werden, durch
baulich-technische Maßnahmen zu sichern, um ein Umgehen der
Kontrolle zu verhindern. Das hat das Oberverwaltungsgericht
mit Urteil vom heutigen Tage entschieden.
Der Flughafen Düsseldorf verfügt über
mehrere Fluggastkontrollstellen. Dort werden die Fluggäste
vor Betreten der sogenannten Luftseite des Flughafens, die
besonderen Sicherheitsanforderungen unterliegt, von der
Bundespolizei bzw. von einem damit betrauten
Sicherheitsdienst einer Sicherheitskontrolle unterzogen. Von
den dafür zur Verfügung stehenden Kontrollspuren werden
während der Kontrolle nicht stets alle genutzt. Bislang
werden die nicht genutzten Kontrollspuren während der
Kontrolle lediglich durch Absperrbänder geschlossen.
Das Verkehrsministerium
NordrheinWestfalen hat der Betreiberin des Flughafens deshalb
aufgegeben, baulich-technische Vorkehrungen zu treffen, die
ein Umgehen der Sicherheitskontrolle an den nicht genutzten
Kontrollspuren verhindern. Bis zur endgültigen Mängelbehebung
hat es zudem eine personelle Sicherung durch den Flughafen
angeordnet. Die dagegen gerichtete Klage des Flughafens hat
das Oberverwaltungsgericht abgewiesen.
Zur Begründung hat der 20. Senat im
Wesentlichen ausgeführt: Der Bundespolizei obliegt es nach
der Aufgabenverteilung im Luftsicherheitsgesetz zwar
insbesondere, die Fluggäste vor dem Betreten der Luftseite
des Flughafens zu kontrollieren. Zu diesem Kontrollvorgang
gehört es jedoch nicht, während der Sicherheitskontrolle
nicht genutzte Kontrollspuren durch baulich-technische
Maßnahmen zu sichern. Dies ist vielmehr Bestandteil der
Eigensicherungspflichten, die dem Flughafenbetreiber zum
Schutz des Flughafenbetriebs vor Angriffen auf die Sicherheit
des Luftverkehrs gesetzlich auferlegt sind.
Nach dem
Luftsicherheitsgesetz besteht für den Flughafenbetreiber eine
umfassende Verpflichtung, die Flughafenanlagen, Bauwerke,
Räume und Einrichtungen entsprechend den
Sicherheitserfordernissen zu erstellen und zu gestalten. Ein
Defizit in dieser Hinsicht besteht am Flughafen Düsseldorf
darin, dass bislang keine baulich-technischen Maßnahmen
getroffen worden sind, die ein Umgehen der
Sicherheitskontrolle an den nicht genutzten Kontrollspuren
verhindern.
Zu der umfassenden Verpflichtung zur
Bereitstellung der baulich-technischen
Sicherheitsinfrastruktur tritt die Eigensicherungspflicht des
Flughafenbetreibers nach einer weiteren Regelung im
Luftsicherheitsgesetz hinzu, die ausdrücklich bestimmt, dass
der Flughafenbetreiber die Luftseite vor einem unberechtigten
Zugang zu sichern hat. Das Oberverwaltungsgericht hat die
Revision gegen das Urteil nicht zugelassen. Dagegen kann
Nichtzulassungsbeschwerde erhoben werden, über die das
Bundesverwaltungsgericht entscheidet. Aktenzeichen: 20 D
7/20.AK
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März 2022 |
Umziehen: Welche Versicherungen sind nötig
- Private
Haftpflichtversicherung hilft Umziehenden und Helfern
- Hausratversicherung für neue Wohnung fit machen
Coburg/Duisburg, 24. März 2022 - Alles dreht sich um Anpacken
und Erledigen. Doch ein paar Minuten sollte man sich nehmen,
damit diese kostengünstige Lösung für die Beteiligten nicht
überraschend teuer wird.
Was ist beispielsweise, wenn die Waschmaschine beim
Heruntertragen auf der Treppenhauswand hässliche Schrammen
hinterlässt? Für diesen Fehler steht der Mieter beim
Vermieter gerade, unabhängig davon, ob er oder die Helfer die
Maschine transportiert haben. Eine private
Haftpflichtversicherung kümmert sich um die Regulierung.
Nächster Knackpunk, das Umzugsgut ist unsachgemäß
gesichert. Im ganzen Tohuwabohu hat einer der Helfenden zum
Beispiel vergessen, die Türen eines Schrankes zu
verschließen. Während des Transports öffnet sich eine Tür und
quetscht die Hand eines anderen Helfers. Eventuell muss die
Wunde im Krankenhaus versorgt werden und der Verletzte kann
wochenlang nicht arbeiten.
Konsequenz: Die
Krankenkasse wird sich die Behandlungskosten, der Arbeitgeber
die Kosten für die Lohnfortzahlung vom Verursacher
zurückholen. Außerdem kann der Geschädigte Schmerzensgeld
verlangen: ein klassischer Fall für eine private
Haftpflichtversicherung – genau wie eine andere
Schadenkonstellation: Freunde, die beim Umzug mit anpacken,
sind keine Profis. Dass da mal etwas herunterfällt oder
beschädigt wird, ist nicht auszuschließen. Schadenersatz
durch die Versicherung verhindert, dass neben dem Umzugsgut
vielleicht auch noch eine Freundschaft in die Brüche geht.
Hausrat nicht vergessen Spätestens wenn die
ersten Umzugskartons in die neue Wohnung einziehen, sollte
der Hausratversicherer informiert werden. Bei längerer
Umzugsdauer besteht meist für zwei bis drei Monate
Versicherungsschutz für beide Wohnungen. Und falls vorhanden,
zieht selbst der Unterversicherungsschutz mit um. Davon
spricht man, wenn der Versicherer im Schadenfall nicht prüft,
ob eine Unterversicherung besteht und er bei einem
Totalschaden bis zur vereinbarten Versicherungssumme leistet.
Doch reicht die Versicherungssumme im Schadenfall in der
neuen Wohnung noch? Oft werden beim Wohnungswechsel neue
Möbel oder Geräte angeschafft, die den Wert des Hausrats
steigen lassen. Selbst bei gleicher Wohnungsgröße ist die
alte Versicherungssumme vielleicht nicht mehr hoch genug. Ein
Gespräch mit dem Hausratversicherer bringt Klarheit und
Sicherheit.
Der Elementarschadenschutz zieht zum Beispiel nie mit um. War
dieses Zusatzangebot mitversichert, muss es nach dem Umzug
neu vereinbart werden. Beim Nachdenken über die Hausratpolice
stellen sich noch andere Fragen, zum Beispiel ob der
Diebstahl des neuen Mountainbikes mitversichert ist. – Was
bei Umzügen innerhalb Deutschlands recht ist, muss für Umzüge
ins Ausland nicht billig sein. Wie es beim
grenzüberschreitenden Umzug um den Versicherungsschutz
bestellt ist, sollte mit dem Hausratversicherer vorab
besprochen werden.
Keine Duldungspflicht für unerlaubte Spielhallen
Münster, 24. März 2022 - Eine
Betreiberin von Spielhallen, für die am 30.6.2021 keine
Erlaubnis erteilt war, kann in Nordrhein-Westfalen
grundsätzlich nicht verlangen, dass der Spielhallenbetrieb
geduldet wird, bis über einen Erlaubnisantrag entschieden
ist. Das hat das Oberverwaltungsgericht mit zwei
Eilbeschlüssen vom 24.3.2022 entschieden. Die Beteiligten
streiten in zwei Beschwerdeverfahren über die Duldung von
Spielhallen in Pulheim - davon eine Verbundspielhalle, also
nebeneinanderliegende, baulich verbundene Spielhallen mit
eigenen Eingängen -, für die bis 2017 Erlaubnisse erteilt
waren und die die Antragstellerin seitdem ohne eine
spielhallenrechtliche Erlaubnis betreibt.
Die Antragstellerin hatte im
Jahr 2017 Erlaubnisanträge nach dem bis zum 30.6.2021
geltenden Glücksspielstaatsvertrag gestellt, über die die
Stadt Pulheim bis zum Außerkrafttreten der alten Rechtslage
nicht entschieden hatte. Die Antragstellerin hatte nicht
versucht, eine vorherige Erlaubniserteilung gerichtlich zu
erstreiten. Anträge für die Erteilung von Erlaubnissen nach
dem Glücksspielstaatsvertrag 2021 sind ebenfalls noch nicht
beschieden. Die Antragstellerin begehrt mit Blick auf die
Strafbarkeit illegalen Glücksspiels von der Stadt die aktive
Duldung ihrer Spielhallen bis zur Entscheidung über ihre
Erlaubnisanträge.
Ihre Anträge auf Erlass
einstweiliger Anordnungen blieben beim Verwaltungsgericht
Köln und jetzt auch beim Oberverwaltungsgericht ohne Erfolg.
Zur Begründung führte der 4. Senat aus: Die Antragstellerin
hat keinen Duldungsanspruch. Vor der Aufnahme einer
erlaubnispflichtigen Gewerbetätigkeit ist regelmäßig der
reguläre Abschluss des Erlaubnisverfahrens abzuwarten. Dies
gilt auch und gerade mit Blick auf die Strafbarkeit der
unerlaubten Veranstaltung eines Glücksspiels.
Nach neuer Rechtslage kann eine
Duldung aus Gründen effektiven Rechtsschutzes - über die
gesetzlich vorgesehenen Fälle hinaus - etwa dann geboten
sein, wenn Konkurrenzsituationen vor dem 1.7.2021 nicht mehr
abschließend aufgelöst werden konnten, obwohl der die Duldung
begehrende Spielhallenbetreiber das ihm Mögliche zur
Erlangung einer eigenen Spielhallenerlaubnis getan,
insbesondere rechtzeitig um gerichtlichen Rechtsschutz
nachgesucht hat.
Ferner kann sich im Einzelfall
aus dem Verhältnismäßigkeitsgebot eine Pflicht ergeben, eine
ohne Erlaubnis und damit formell illegal betriebene
Spielhalle bis zu einer Entscheidung über den Erlaubnisantrag
zu dulden. Dies ist aber allenfalls dann anzunehmen, wenn die
formell illegale Tätigkeit die materiellen
Erlaubnisvoraussetzungen erfüllte und dies offensichtlich, d.
h. ohne weitere Prüfung erkennbar wäre.
Hier liegt kein Ausnahmefall
vor, in dem ein Spielhallenbetrieb ohne die hierfür
erforderliche Erlaubnis zu dulden sein könnte. Weder ist eine
Duldung aus Gründen effektiven Rechtsschutzes geboten noch
sind die materiellen Erlaubnisvoraussetzungen offensichtlich
erfüllt. In einem Verfahren (4 B 1520/21) steht der
Erlaubniserteilung schon entgegen, dass der gesetzlich zu
einer Schule einzuhaltende Mindestabstand unterschritten
wird.
Von der Einhaltung des Mindestabstandes kann
auch nicht abgesehen werden, weil die ursprünglich erlaubten
Spielhallen nach dem 1.12.2012 baulich verändert worden sind.
In dem anderen Verfahren betreffend eine Verbundspielhalle (4
B 1522/21) sind die Antragsunterlagen noch nicht vollständig
eingereicht. Zudem bedarf es einer Auswahlentscheidung
zwischen zwei Spielhallen, die etwa 160 Meter voneinander
entfernt liegen, weil die Voraussetzungen nicht erfüllt sind,
unter denen nur ein Mindestabstand von 100 Meter einzuhalten
ist. Die Beschlüsse sind unanfechtbar. Aktenzeichen: 4 B
1520/21 (I. Instanz: VG Köln 24 L 1199/21) und 4 B 1522/21
(I. Instanz: VG Köln 24 L 1198/21)
Weder Entschädigungs- noch Schadensersatzansprüche für
coronabedingte flächendeckende Betriebsschließungen im
Frühjahr 2020 BGH-Urteil vom 17. März 2022 – III ZR 79/21
Karlsruhe, 17. März 2022 - Der III.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über die Frage
entschieden, ob der Staat für Einnahmeausfälle haftet, die
durch flächendeckende vorübergehende Betriebsschließungen
oder Betriebsbeschränkungen auf Grund von staatlichen
Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 und der
dadurch verursachten COVID-19-Krankheit entstanden sind.
Sachverhalt: Der Kläger ist Inhaber eines Hotel- und
Gastronomiebetriebs.
Am 22.
März 2020 erließ das beklagte Land Brandenburg eine
Corona-Eindämmungsverordnung, wonach Gaststätten für den
Publikumsverkehr zu schließen waren und den Betreibern von
Beherbergungsstätten untersagt wurde, Personen zu
touristischen Zwecken zu beherbergen. Der Betrieb des Klägers
war in dem Zeitraum vom 23. März bis zum 7. April 2020 für
den Publikumsverkehr geschlossen, ohne dass die
COVID-19-Krankheit zuvor dort aufgetreten war. Der Kläger
erkrankte auch nicht. Während der Zeit der Schließung seiner
Gaststätte bot er Speisen und Getränke im Außerhausverkauf
an.
Im Rahmen eines staatlichen Soforthilfeprogramms
zahlte die Investitionsbank Brandenburg 60.000 € als
Corona-Soforthilfe an ihn aus. Der Kläger hat geltend
gemacht, es sei verfassungsrechtlich geboten, ihn und andere
Unternehmer für die durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der
COVID-19-Pandemie erlittenen Umsatz- und Gewinneinbußen zu
entschädigen.
Prozessverlauf: Das Landgericht hat die auf Zahlung
von 27.017,28 € (Verdienstausfall, nicht gedeckte
Betriebskosten, Arbeitgeberbeiträge zur Kranken-, Renten- und
Pflegeversicherung) nebst Prozesszinsen sowie auf
Feststellung der Ersatzplicht des Beklagten für alle weiteren
entstandenen Schäden gerichtete Klage abgewiesen. Die
Berufung des Klägers ist vor dem Oberlandesgericht erfolglos
geblieben.
Die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs: Der III. Zivilsenat hat die
Revision des Klägers zurückgewiesen. Die
Entschädigungsvorschriften des Infektionsschutzgesetzes
(IfSG) gewähren Gewerbetreibenden, die im Rahmen der
Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als
infektionsschutzrechtliche Nichtstörer durch eine auf § 28
Abs. 1 IfSG gestützte flächendeckende Schutzmaßnahme,
insbesondere eine Betriebsschließung oder
Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten
haben, weder in unmittelbarer noch in entsprechender
Anwendung einen Anspruch auf Entschädigung. § 56 Abs. 1 IfSG
ist von vornherein nicht einschlägig, weil die hier im
Verordnungswege nach § 32 IfSG angeordneten Verbote gegenüber
einer unbestimmten Vielzahl von Personen ergangen sind und
der Kläger nicht gezielt personenbezogen als
infektionsschutzrechtlicher Störer in Anspruch genommen
wurde.
Ein Anspruch auf Zahlung einer
Geldentschädigung ergibt sich auch nicht aus § 65 Abs. 1
IfSG. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut ist die
Vorschrift nur bei Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer
Krankheiten einschlägig. Im vorliegenden Fall dienten die
Corona-Eindämmungsverordnung vom 22. März 2020 sowie die
Folgeverordnungen vom 17. April 2020 und 24. April 2020
jedoch der Bekämpfung der COVID-19-Krankheit. Diese hatte
sich bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung vom
22. März 2020 deutschlandweit ausgebreitet. § 65 Abs. 1 IfSG
kann auch nicht erweiternd dahingehend ausgelegt werden, dass
der Anwendungsbereich der Norm auf Bekämpfungsmaßnahmen, die
zugleich eine die Ausbreitung der Krankheit verhütende
Wirkung haben, erstreckt wird.
Eine verfassungskonforme
Auslegung der beiden Regeln dahingehend, dass auch in der
vorliegenden Fallgestaltung eine Entschädigung zu gewähren
ist, wie es in einem gestern veröffentlichten Beschluss einer
Kammer des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 10.
Februar 2022 – 1 BvR 1073/21) kursorisch in Erwägung gezogen
wurde, scheidet aus. Die verfassungskonforme Auslegung einer
Norm setzt voraus, dass mehrere Deutungen möglich sind. Sie
findet ihre Grenze an dem klaren Wortlaut der Bestimmung und
darf nicht im Widerspruch zu dem eindeutig erkennbaren Willen
des Gesetzes stehen. Der Wortlaut von § 56 und § 65 IfSchG
ist klar und lässt eine ausdehnende Auslegung nicht zu.
Zudem würde der eindeutige Wille des Gesetzgebers
konterkariert, nur ausnahmsweise aus Gründen der Billigkeit
eine Entschädigung für Störer im infektionsschutzrechtlichen
Sinn vorzusehen. Der Kläger kann den geltend gemachten
Entschädigungsanspruch auch nicht auf eine analoge Anwendung
von § 56 Abs. 1 oder § 65 Abs. 1 IfSG stützen. Es fehlt
bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Den
infektionsschutzrechtlichen Entschädigungstatbeständen liegt,
was sich insbesondere aus ihrer Entstehungsgeschichte und der
Gesetzgebungstätigkeit während der Corona-Pandemie ergibt,
die abschließende gesetzgeberische Entscheidung zugrunde,
Entschädigungen auf wenige Fälle punktuell zu begrenzen und
Erweiterungen ausdrücklich ins Gesetz aufzunehmen ("Konzept
einer punktuellen Entschädigungsgewährung").
Darüber
hinaus fehlt es auch an der Vergleichbarkeit der
Interessenlage zwischen den Entschädigungsregelungen nach §§
56, 65 IfSG und flächendeckenden Betriebsschließungen, die
auf gegenüber der Allgemeinheit getroffenen Schutzmaßnahmen
beruhen. Das Berufungsgericht hat einen
Entschädigungsanspruch aus § 38 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. § 18
des Ordnungsbehördengesetzes für das Land Brandenburg zu
Recht abgelehnt.
Als spezialgesetzliche
Vorschriften der Gefahrenabwehr haben die
Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes Anwendungsvorrang
und entfalten eine Sperrwirkung gegenüber den Regelungen des
allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts. Ansprüche aus dem
richterrechtlich entwickelten Haftungsinstitut des
enteignenden Eingriffs scheitern daran, dass das den §§ 56,
65 IfSG zugrundeliegende und gesetzgeberisch als abschließend
gedachte Konzept einer punktuellen Entschädigung im Bereich
der Eigentumseingriffe nicht durch die Gewährung
richterrechtlicher Ansprüche unterlaufen werden darf.
Unabhängig davon ist der Anwendungsbereich des
Rechtinstituts des enteignenden Eingriffs nicht eröffnet,
wenn es darum geht, im Rahmen einer Pandemie durch
flächendeckende infektionsschutzrechtliche Maßnahmen, die als
Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1
Satz 2 GG anzusehen sind, verursachte Schäden auszugleichen.
Es stünde – wie der Senat wertungsmäßig vergleichbar bereits
in dem Waldschädenurteil vom 10. Dezember 1987 (III ZR
220/86, BGHZ 102, 350, 361 ff) ausgesprochen hat – in einem
offenen Widerspruch zum Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der
Entschädigung, wenn die Gerichte – gestützt auf das
richterrechtliche Institut des enteignenden Eingriffs – im
Zusammenhang mit einer Pandemiebekämpfung im
Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG massenhafte
und großvolumige Entschädigungen zuerkennen würden.
Ebenso wenig kann dem Kläger unter dem rechtlichen
Gesichtspunkt der sogenannten ausgleichspflichtigen
Inhaltsbestimmung des Eigentums eine Entschädigung zuerkannt
werden. Es erscheint dem Senat bereits sehr zweifelhaft, ob
dieses Rechtsinstitut, das bislang vor allem auf Härtefälle
bei unzumutbaren Belastungen einzelner Eigentümer angewandt
worden ist, geeignet ist, auf Pandemielagen sachgerecht im
Sinne einer gerechten Lastenverteilung zu reagieren.
Jedenfalls wäre es im Hinblick auf den Grundsatz der
Gesetzmäßigkeit der Entschädigung nicht zulässig, dem Kläger
vorliegend einen Ausgleichsanspruch kraft Richterrechts unter
dem Gesichtspunkt der ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung
zu gewähren.
Hilfeleistungen für von einer Pandemie
schwer getroffene Wirtschaftsbereiche sind keine Aufgabe der
Staatshaftung. Vielmehr folgt aus dem Sozialstaatsprinzip
(Art. 20 Abs. 1 GG), dass die staatliche Gemeinschaft Lasten
mitträgt, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden
Schicksal entstanden sind und nur zufällig einen bestimmten
Personenkreis treffen. Hieraus folgt zunächst nur die Pflicht
zu einem innerstaatlichen Ausgleich, dessen nähere Gestaltung
weitgehend dem Gesetzgeber überlassen ist. Erst eine solche
gesetzliche Regelung kann konkrete Ausgleichsansprüche der
einzelnen Geschädigten begründen.
Dieser
sozialstaatlichen Verpflichtung kann der Staat zum Beispiel
dadurch nachkommen, dass er – wie im Fall der
COVID-19-Pandemie geschehen – haushaltsrechtlich durch die
Parlamente abgesicherte Ad-hoc-Hilfsprogramme auflegt
("Corona-Hilfen"), die die gebotene Beweglichkeit aufweisen
und eine lageangemessene Reaktion zum Beispiel durch
kurzfristige existenzsichernde Unterstützungszahlungen an
betroffene Unternehmen erlauben. Ansprüche aus Amtshaftung (§
839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG) und
enteignungsgleichem Eingriff sowie nach § 1 Abs. 1 des
Staatshaftungsgesetzes des Landes Bandenburg hat das
Berufungsgericht zu Recht abgelehnt.
Die
Corona-Eindämmungsverordnung vom 22. März 2020 und die
Folgeverordnungen vom 17. und 24. April 2020 waren als solche
rechtmäßig. Die getroffenen Schutzmaßnahmen, insbesondere die
angeordneten Betriebsschließungen, waren erforderlich, um die
weitere Ausbreitung der COVID-19-Krankheit zu verhindern.
Dies wurde von der Revision auch nicht in Frage gestellt.
Vorinstanzen: Landgericht Potsdam - Urteil vom 24. Februar
2021 – 4 O 146/20 Brandenburgisches Oberlandesgericht -
Urteil vom 1. Juni 2021 – 2 U 13/21 Die maßgeblichen
Vorschriften lauten: Art. 14 GG – Eigentum, Erbrecht und
Enteignung 1Das Eigentum und das Erbrecht werden
gewährleistet. 2Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze
bestimmt. § 28 IfSG - Schutzmaßnahmen (1) 1Werden Kranke,
Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder
Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein
Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider
war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen
Schutzmaßnahmen, insbesondere die in § 28a und in den §§ 29
bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der
Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie
kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie
sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu
verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte
nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.
Unter den
Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde
Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen
beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33
genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon
schließen. § 32 IfSG – Erlass von Rechtsverordnungen 1Die
Landesregierungen werden ermächtigt, unter den
Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28, 28a und 29
bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen
entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer
Krankheiten zu erlassen.
Die Landesregierungen können
die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen
übertragen. § 56 IfSG – Entschädigung (1) 1Wer auf Grund
dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger,
Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von
Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der
Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder
unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet,
erhält eine Entschädigung in Geld. § 65 IfSG – Entschädigung
bei behördlichen Maßnahmen (1)
Soweit auf Grund einer
Maßnahme nach den §§ 16 und 17 Gegenstände vernichtet,
beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert
werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher
Vermögensnachteil verursacht wird, ist eine Entschädigung in
Geld zu leisten; eine Entschädigung erhält jedoch nicht
derjenige, dessen Gegenstände mit Krankheitserregern oder mit
Gesundheitsschädlingen als vermutlichen Überträgern solcher
Krankheitserreger behaftet oder dessen verdächtig sind. 2§
254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist entsprechend anzuwenden.
§ 18 Ordnungsbehördengesetz des Landes Brandenburg –
Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Personen (1)
Die Ordnungsbehörde kann Maßnahmen gegen andere Personen als
die nach den §§ 16 oder 17 Verantwortlichen richten, wenn 1.
eine gegenwärtige erhebliche Gefahr abzuwehren ist, 2.
Maßnahmen gegen die nach den §§ 16 oder 17 Verantwortlichen
nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg
versprechen, 3. die Ordnungsbehörde die Gefahr nicht oder
nicht rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte abwehren kann
und 4. die Personen ohne erhebliche eigene Gefährdung und
ohne Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen
werden können. § 38 Ordnungsbehördengesetz des Landes
Brandenburg – Zur Entschädigung verpflichtende Maßnahmen (1)
Ein Schaden, den jemand durch Maßnahmen der Ordnungsbehörden
erleidet, ist zu ersetzen, wenn er a) infolge einer
Inanspruchnahme nach § 18 oder b) durch rechtswidrige
Maßnahmen, gleichgültig, ob die Ordnungsbehörden ein
Verschulden trifft oder nicht, entstanden ist.
Straftatbestand „Verbotene Kraftfahrzeugrennen (§ 315d Abs. 1
Nr. 3 StGB)“ mit dem Grundgesetz vereinbar
Karlsruhe, 01. März 2022 - Mit heute veröffentlichtem
Beschluss hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts
§ 315d Abs. 1 Nr. 3 des Strafgesetzbuches (StGB), der
sogenannte Einzelrennen unter Strafe stellt, für mit dem
Grundgesetz vereinbar erklärt. Nach Auffassung des
vorlegenden Amtsgerichts verstößt die Norm gegen den in Art.
103 Abs. 2 GG verankerten Bestimmtheitsgrundsatz.
Der
Zweite Senat hat nun entschieden, dass der Gesetzgeber den
Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB hinreichend
konkretisiert und so dem aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz
folgenden Bestimmtheitsgebot Genüge getan hat. Insbesondere
das subjektive Tatbestandsmerkmal „um eine höchstmögliche
Geschwindigkeit zu erreichen“ ist einer methodengerechten
Auslegung durch die Fachgerichte zugänglich.
|
Februar 2022 |
Bundesgerichtshof bejaht einen Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB
bei Erwerb eines vom sogenannten Dieselskandal betroffenen
Neuwagens Urteile vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 8/21 und
VIa ZR 57/21
Karlsruhe, 21. Februar 2022 - Der
vom Präsidium des Bundesgerichtshofs vorübergehend als
Hilfsspruchkörper eingerichtete VIa. Zivilsenat (vgl.
Pressemitteilung Nr. 141/2021 vom 22.07.2021) hat am
21.02.2022 entschieden, dass Käufern von vom sogenannten
Dieselskandal betroffenen Neuwagen, deren Anspruch nach § 826
BGB verjährt ist, ein Anspruch gegen den Hersteller aus § 852
Satz 1 BGB zusteht. Sachverhalt: In beiden Verfahren nehmen
die Kläger die beklagte Volkswagen AG auf Schadensersatz nach
Erwerb eines Kraftfahrzeugs in Anspruch.
Der
Kläger im Verfahren VIa ZR 8/21 erwarb im April 2013 zu einem
Kaufpreis von 30.213,79 € einen Neuwagen VW Golf Cabrio
"Life" TDI von der Beklagten als Herstellerin, der mit einem
Dieselmotor der Baureihe EA 189 versehen war. Das Fahrzeug
war bei Erwerb mit einer Software ausgestattet, die erkannte,
ob es sich auf einem Prüfstand befand, und in diesem Fall vom
regulären Abgasrückführungsmodus in einen
Stickoxid-optimierten Modus wechselte. Die Klägerin im
Verfahren VIa ZR 57/21 erwarb im Juli 2012 zu einem Kaufpreis
von 36.189 € einen von der Beklagten hergestellten Neuwagen
VW EOS 2.0 l TDI von einem Händler. Dieser Neuwagen war
ebenfalls mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 versehen.
Das Fahrzeug war wiederum bei Erwerb mit einer
Software ausgestattet, die erkannte, ob es sich auf einem
Prüfstand befand, und in diesem Fall vom regulären
Abgasrückführungsmodus in einen Stickoxid-optimierten Modus
wechselte. Ab September 2015 wurde - ausgehend von einer
Pressemitteilung der Beklagten vom 22. September 2015 - über
den sogenannten Abgasskandal betreffend Motoren des Typs EA
189 in den Medien berichtet. Beide Kläger ließen ein von der
Beklagten entwickeltes Software-Update aufspielen.
Bisheriger Prozessverlauf: Das Landgericht hat auf die im
Jahr 2020 erhobene Klage im Verfahren VIa ZR 8/21 die
Beklagte wegen einer sittenwidrig vorsätzlichen Schädigung
des Klägers unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung und
Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zur Rückzahlung des
Kaufpreises nebst Zinsen und zur Erstattung vorgerichtlich
verauslagter Anwaltskosten verurteilt. Die weitergehende
Klage auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten hat
das Landgericht abgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten
hat das Oberlandesgericht die vom Landgericht zugesprochenen
Klageanträge abgewiesen und die Anschlussberufung des
Klägers, mit der er seinen Antrag auf Feststellung des
Annahmeverzugs der Beklagten weiterverfolgt hat,
zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Oberlandesgericht
ausgeführt: Zwar bestehe dem Grunde nach ein Anspruch des
Klägers nach § 826 BGB gegen die Beklagte. Dieser Anspruch
sei indessen verjährt. Wenn der Kläger im Jahr 2015 keine
Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom
sogenannten Dieselskandal erlangt habe, habe seine Unkenntnis
auf grober Fahrlässigkeit beruht. Ihm sei eine Klage gegen
die Beklagte auch zumutbar gewesen.
Die Beklagte
dürfe sich in zweiter Instanz auf die Einrede der Verjährung
berufen, obwohl sie in der ersten Instanz in der mündlichen
Verhandlung vor dem Landgericht die Einrede der Verjährung
zunächst fallen gelassen habe. Einen (unverjährten) Anspruch
auf Gewährung von Restschadensersatz nach § 852 Satz 1 BGB
könne der Kläger gegen die Beklagte nicht geltend machen.
Zwar habe der Kläger das Fahrzeug als Neuwagen direkt von der
Beklagten erworben.
Der Schutzzweck des § 852 Satz 1
BGB sei indessen zugunsten des Klägers nicht eröffnet. Die
Vorschrift setze voraus, dass dem Geschädigten eine
Rechtsverfolgung vor Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB
erschwert oder unmöglich gewesen sei. Dies sei hier nicht der
Fall gewesen, zumal der Kläger Ansprüche in einem
Musterfeststellungsverfahren habe anmelden können. Mangels
des Bestehens eines Schadensersatzanspruchs scheide die
Feststellung des Annahmeverzugs aus. Das Berufungsgericht hat
die Revision "hinsichtlich des Herausgabeanspruchs nach
Eintritt der Verjährung gemäß § 852 BGB" zugelassen.
Mit seiner Revision hat der Kläger, der eine wirksame
Zulassungsbeschränkung in Zweifel gezogen hat, sein
Klagebegehren im Umfang der zuletzt gestellten Anträge
weiterverfolgt. Im Verfahren VIa ZR 57/21 hat das Landgericht
die im Jahr 2020 erhobene Klage auf Rückzahlung des
Kaufpreises und Erstattung von Finanzierungskosten abzüglich
einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Überlassung des
Fahrzeugs, auf Feststellung des Annahmeverzugs und auf
Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten
abgewiesen.
Die dagegen gerichtete Berufung
hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat
es ausgeführt: Zwar lägen die Voraussetzungen eines
Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB vor. Dieser Anspruch
sei jedoch mit Ablauf des 31. Dezember 2019 verjährt, weil
die Klägerin im Februar 2016 aufgrund eines
Informationsschreibens der Beklagten Kenntnis nicht nur von
dem "sogenannten Diesel- oder Abgasskandal allgemein",
sondern auch von der individuellen Betroffenheit ihres
Fahrzeugs erlangt habe und ihr ab dem Jahr 2016 eine Klage
gegen die Beklagte zumutbar gewesen sei.
Die Beklagte habe sich auf die
Einrede der Verjährung berufen und berufen dürfen, ohne dass
ihr ein Verstoß gegen Treu und Glauben zur Last falle. Der
Klägerin stehe nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs aus
§ 826 BGB kein Anspruch auf "Restschadensersatz" aus § 852
BGB zu. Zwar sei § 852 BGB grundsätzlich auch dann anwendbar,
wenn der Geschädigte schon vor Eintritt der Verjährung in der
Lage gewesen sei, seinen Schadensersatzanspruch gerichtlich
geltend zu machen. Die Klägerin habe indessen trotz eines
entsprechenden Hinweises bis zum Schluss der mündlichen
Verhandlung in der Berufungsinstanz keine Angaben zu dem von
der Beklagten aus dem Verkauf des Fahrzeugs an den Händler
erzielten Gewinn gemacht.
Das Berufungsgericht hat
die Revision "in Anbetracht der divergierenden
obergerichtlichen Rechtsprechung zum Umfang des im Fall des
Neuwagenkaufs über einen Vertragshändler im Sinne des § 852
Satz 1 BGB Erlangten" zugelassen. Mit ihrer Revision hat die
Klägerin, die eine wirksame Zulassungsbeschränkung in Zweifel
gezogen hat, ihr Klagebegehren weiterverfolgt. Die
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der VIa. Zivilsenat hat
in beiden Verfahren auf die Revisionen der Kläger die
Berufungsurteile insoweit aufgehoben, als die
Berufungsgerichte einen Anspruch auf Schadensersatz auf der
Grundlage des von den Klägern verauslagten Kaufpreises
verneint und den Anträgen auf Feststellung des Annahmeverzugs
nicht entsprochen haben.
Soweit die Kläger Ersatz
vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten begehrt haben, hat
der VIa. Zivilsenat die klageabweisenden Entscheidungen
bestätigt. Das galt in der Sache VIa ZR 57/21 auch, soweit
die Klägerin dort Ersatz der von ihr aufgewandten
Finanzierungskosten beansprucht hat. Dabei waren folgende
Erwägungen für die Entscheidungen leitend: Der VIa.
Zivilsenat ist davon ausgegangen, die Revision könne nicht
wirksam auf die Frage des Bestehens eines Anspruchs aus § 852
Satz 1 BGB beschränkt werden. Vielmehr sei in beiden
Verfahren nicht nur zu überprüfen, ob die Berufungsgerichte
einen Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB rechtsfehlerfrei verneint
hätten, sondern vorrangig auch, ob ihre Überlegungen zu einer
Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB zuträfen.
Im
Verfahren VIa ZR 57/21 war von einer Verjährung des Anspruchs
aus § 826 BGB schon deshalb auszugehen, weil die Klägerin im
Jahr 2016 über die konkrete Betroffenheit ihres Fahrzeugs
durch ein Schreiben unterrichtet worden war und ein
Software-Update hatte aufspielen lassen. Im Verfahren VIa ZR
8/21 hat sich der VIa. Zivilsenat der Auffassung des VII.
Zivilsenats angeschlossen, den Kläger habe jedenfalls ab dem
Jahr 2016 jedenfalls der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis
von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sogenannten
Dieselskandal getroffen (vgl. Pressemitteilung Nr. 18/2022).
Da beiden Klägern die Klageerhebung noch im Jahr 2016
zumutbar gewesen sei, habe die dreijährige Verjährung des
Anspruchs aus § 826 BGB mit dem Schluss des Jahres 2016
begonnen und sei am 31. Dezember 2019 abgelaufen, so dass sie
durch die Erhebung der Klagen im Jahr 2020 nicht mehr wirksam
habe gehemmt werden können. Der VIa. Zivilsenat hat weiter
entschieden, dass sich die Beklagte auch im Verfahren VIa ZR
8/21 auf die Einrede der Verjährung des Anspruchs aus § 826
BGB berufen könne, obwohl sie auf diese Einrede in erster
Instanz "verzichtet" habe.
Diesen Verzicht habe das
Berufungsgericht zutreffend nicht als endgültigen
materiell-rechtlichen Verzicht gewertet. Richtig hätten beide
Berufungsgerichte auch entschieden, dass es der Beklagten
nach Treu und Glauben nicht verwehrt sei, sich auf die
Einrede der Verjährung zu berufen. Nach Verjährung des
Anspruchs aus § 826 BGB stehe den Klägern in beiden Verfahren
aber ein Anspruch auf Restschadensersatz nach § 852 Satz 1
BGB zu. Dieser Anspruch bestehe ohne Rücksicht darauf, dass
die Beklagte auch vor Ablauf der Verjährung ohne
Schwierigkeiten als Schädigerin hätte in Anspruch genommen
werden können.
Der Geltendmachung eines
Anspruchs aus § 852 Satz 1 BGB stehe auch nicht entgegen,
dass sich die Kläger nicht an einem
Musterfeststellungsverfahren gegen die Beklagte beteiligt
hätten. Nach § 852 Satz 1 BGB müsse die Beklagte, die die
Kläger durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs geschädigt
habe, das von ihr Erlangte herausgeben. Erlangt habe die
Beklagte im Verfahren VIa ZR 8/21 zunächst einen Anspruch
gegen den Kläger aus dem Kaufvertrag. Nach Erfüllung der
Forderung aus dem Kaufvertrag durch den Kläger habe die
Beklagte als Ersatz im Sinne des § 818 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB
den Kaufpreis erlangt.
Im Verfahren VIa ZR 57/21 habe
die Beklagte eine Forderung gegen den Händler aus Kaufvertrag
erlangt. Ihre Bereicherung setze sich nach Erfüllung dieser
Forderung am Händlereinkaufspreis fort, der geringer war als
der von der Klägerin später gezahlte Kaufpreis und dessen
Höhe zwischen den Parteien im konkreten Fall nicht in Streit
stand. Nicht "erlangt" habe die Beklagte dagegen Leistungen
an die von den Klägern vorgerichtlich mandatierten
Rechtsanwälte und von der Klägerin im Verfahren VIa ZR 57/21
verauslagte Finanzierungskosten, so dass sich der Anspruch
aus § 852 Satz 1 BGB - anders als der verjährte Anspruch aus
§ 826 BGB - nicht auf solche Schäden erstrecke.
Von dem erlangten Kaufpreis (VIa ZR 8/21) bzw.
Händlereinkaufspreis (VIa ZR 57/21) könne die Beklagte
Herstellungs- und Bereitstellungskosten nach § 818 Abs. 3 BGB
nicht abziehen, weil sie sich im Sinne der § 818 Abs. 4, §
819 BGB bösgläubig bereichert habe. Allerdings reiche der
Anspruch auf Restschadensersatz aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB
nicht weiter als der Anspruch auf Schadensersatz aus § 826
BGB, der grundsätzlich der Vorteilsausgleichung unterliege.
Die Kläger müssten sich deshalb
eine Nutzungsentschädigung für die von ihnen mit den
Fahrzeugen gefahrenen Kilometer anrechnen lassen und könnten
Zahlung nur Zug um Zug gegen Herausgabe der Fahrzeuge
verlangen. Da die Vorinstanzen – von ihrem Rechtsstandpunkt
aus folgerichtig – keine Feststellungen zur Höhe einer
anzurechnenden Nutzungsentschädigung getroffen haben, hat der
VIa. Zivilsenat die Sachen zur Klärung der Höhe
anzurechnender Vorteile an die Berufungsgerichte
zurückverwiesen.
Bundesgerichtshof verneint einen Anspruch nach § 852 Satz 1
BGB bei Erwerb eines vom sogenannten Dieselskandal
betroffenen Gebrauchtwagens Urteile vom 10.
Februar 2022 – VII ZR 365/21, VII ZR 396/21, VII ZR 679/21,
VII ZR 692/21 und VII ZR 717/21
Der unter anderem für
Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen, die den
Vorwurf einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei einem
Kraftfahrzeug mit Dieselmotor zum Gegenstand haben,
zuständige VII. Zivilsenat hat in fünf gleichzeitig
verhandelten "Dieselverfahren" betreffend die Volkswagen AG,
denen jeweils der Erwerb eines Gebrauchtwagens zugrunde lag,
entschieden, dass nach Eintritt der Verjährung des gegen den
Hersteller gerichteten Schadensersatzanspruchs des Erwerbers
aus § 826 BGB kein Anspruch des Erwerbers gegen den
Hersteller gemäß § 852 Satz 1 BGB besteht. In den fünf
Verfahren nahm die jeweilige Klagepartei die beklagte
Volkswagen AG als Fahrzeug- bzw. Motorherstellerin auf
Zahlung von Schadensersatz wegen der Verwendung einer
unzulässigen Abschalteinrichtung in Anspruch.
Die
von den Klageparteien jeweils gebraucht bei einem Autohändler
bzw. einem Dritten erworbenen Fahrzeuge sind mit
Dieselmotoren der Baureihe EA 189 (EU 5) ausgestattet. Diese
verfügten zum Zeitpunkt des Kaufs über eine Software, welche
erkannte, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befand,
und in diesem Fall vom regulären Abgasrückführungsmodus in
einen Stickoxid-optimierten Modus wechselte. Die
Klageparteien verlangen jeweils im Wesentlichen - unter
Anrechnung einer Nutzungsentschädigung - die Erstattung des
für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um
Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.
Die Beklagte hat
jeweils die Einrede der Verjährung erhoben. Zu den Verfahren
VII ZR 365/21 und VII ZR 396/21 Sachverhalt: Der Kläger im
Verfahren VII ZR 365/21 erwarb im September 2015 einen
gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw VW Sharan
TDI zum Preis von 24.400 €. Er hat im Juni 2020 Klage
eingereicht. Der Kläger im Verfahren VII ZR 396/21 erwarb im
August 2011 einen gebrauchten, von der Beklagten
hergestellten Pkw VW Tiguan TDI zum Preis von 25.150 €. Er
hat im Dezember 2019 Klage eingereicht, die im Februar 2020
zugestellt wurde. Bisheriger Prozessverlauf: Die Klagen
hatten in den Vorinstanzen keinen Erfolg.
Das
Berufungsgericht (Oberlandesgericht Stuttgart) hat
angenommen, dem Anspruch der Kläger aus § 826 BGB stehe die
von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen.
Die dreijährige Verjährungsfrist habe gemäß § 199 Abs. 1 Nr.
2 BGB jeweils mit dem Schluss des Jahres 2015 zu laufen
begonnen und daher mit Ablauf des Jahres 2018, also jeweils
vor Klageerhebung, geendet. Den Klägern stehe auch kein
Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB zu, da sie die Fahrzeuge als
Gebrauchtwagen erworben hätten und die Beklagte nichts auf
ihre Kosten erlangt habe. Zu den Verfahren VII ZR 679/21, VII
ZR 692/21 und VII ZR 717/21
Sachverhalt:
Die Klägerin im Verfahren VII ZR 679/21 erwarb im April 2014
einen gebrauchten, von einer Tochtergesellschaft der
Beklagten hergestellten Pkw Audi A1 Ambition 1,6 l TDI zum
Preis von 19.800 €. Sie hat im Juli 2020 Klage eingereicht.
Der Kläger im Verfahren VII ZR 692/21 erwarb im Februar 2015
einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw VW
Tiguan Sport & Style zum Preis von 19.400 €. Er hat im
September 2020 Klage eingereicht.
Der Kläger im
Verfahren VII ZR 717/21 erwarb im März 2015 einen
gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw VW Passat
zum Preis von 13.000 €. Er hat im September 2020 Klage
eingereicht. Bisheriger Prozessverlauf: Das Landgericht hatte
den Klagen jeweils überwiegend stattgegeben, das
Berufungsgericht (Oberlandesgericht Koblenz) hat sie
abgewiesen. Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte aus §
826 BGB seien verjährt. Die dreijährige Verjährungsfrist habe
gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB mit dem Schluss der Jahre
2015 bzw. 2016 zu laufen begonnen und daher mit Ablauf der
Jahre 2018 bzw. 2019, also jeweils vor Klageerhebung,
geendet.
Die von der Beklagten jeweils in erster
Instanz "fallen gelassene" und in zweiter Instanz erneut
erhobene Einrede der Verjährung sei zu beachten. Die
Klageparteien hätten gegen die Beklagte auch keine Ansprüche
aus § 852 Satz 1 BGB, da sie die Fahrzeuge als Gebrauchtwagen
erworben hätten und die von ihnen entrichteten Kaufpreise der
Beklagten nicht zugutegekommen seien. Mit ihren in allen fünf
Verfahren jeweils vom Berufungsgericht zugelassenen
Revisionen haben die Klageparteien ihre Klagebegehren
weiterverfolgt.
Die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs: Der VII. Zivilsenat hat in vier
Verfahren die Revisionen zurückgewiesen; im fünften Verfahren
(VII ZR 396/21) führte die Revision des dortigen Klägers zur
Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der
Sache an das Berufungsgericht. Schadensersatzansprüchen der
Klageparteien gemäß § 826 BGB stand in den Verfahren VII ZR
365/221, VII ZR 679/21, VII ZR 692/21 und VII ZR 717/21 die
von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede entgegen, weil
die insoweit maßgebliche dreijährige Verjährungsfrist nach §
195 BGB jeweils vor Klageerhebung abgelaufen war.
Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt es in Fällen der
vorliegenden Art für den Beginn der Verjährung gemäß § 199
Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom
sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen, von der konkreten
Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser
Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere
Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern
naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist (BGH, Urteil vom
21. Dezember 2021 - VI ZR 212/20 Rn. 14; Beschluss vom 15.
September 2021 - VII ZR 294/20 Rn. 6; Urteil vom 17. Dezember
2020 - VI ZR 739/20 Rn. 20 ff.).
Dass die
jeweilige Klagepartei allgemeine Kenntnis vom sogenannten
Dieselskandal hatte, war in den Verfahren VII ZR 365/21 und
VII ZR 679/21 unstreitig; in den drei übrigen Verfahren
hatten die Berufungsgerichte dies aufgrund der gebotenen
tatrichterlichen Würdigung rechtsfehlerfrei festgestellt. In
den Verfahren VII ZR 365/21 und VII ZR 717/21 konnte auf sich
beruhen, ob den dortigen Klägern infolge grober
Fahrlässigkeit die konkrete Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom
sogenannten Dieselskandal im Jahr 2015 unbekannt geblieben
war. Denn die Klageparteien hatten jedenfalls im Jahr 2016
aufgrund eines Kundenanschreibens der Beklagten, aus dem sich
die Betroffenheit ihrer Fahrzeuge ergab, positive Kenntnis
hiervon.
Da ihnen
die Klageerhebung noch im Jahr 2016 zumutbar war, konnte die
erst 2020 eingereichte Klage die schon mit Ende des Jahres
2019 abgelaufene dreijährige Verjährungsfrist für den
Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB nicht mehr hemmen. In
den Verfahren VII ZR 679/21 und VII ZR 692/21 ist der
Bundesgerichtshof davon ausgegangen, dass die Klageparteien,
die im Jahr 2015 allgemeine Kenntnis vom Dieselskandal
erlangt und die sich bis Ende 2016 keine Kenntnis von der
Betroffenheit ihres Fahrzeugs verschafft hatten, obwohl dies
anhand öffentlich zugänglicher Informationsquellen wie der
von der Beklagten gestellten Online-Plattform leicht möglich
gewesen wäre, der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis von
dieser Betroffenheit im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2
BGB trifft und den Parteien die Klageerhebung noch im Jahr
2016 auch zumutbar war.
Daher lief die dreijährige
Verjährungsfrist auch hier jeweils Ende des Jahres 2019 ab.
Soweit im Verfahren VII ZR 396/21 das Berufungsgericht von
einer solchen grob fahrlässigen Unkenntnis des dortigen
Klägers schon im Jahre 2015 ausgegangen ist, erwies sich dies
als rechtsfehlerhaft. Selbst wenn es dem Kläger noch in dem
verbleibenden - kurzen - Zeitraum seit Bekanntwerden des
sogenannten Dieselskandals und der Freischaltung der
betreffenden Online-Plattform im Oktober 2015 bis zum
Jahresende möglich gewesen sein sollte, die Betroffenheit des
eigenen Fahrzeugs zu ermitteln, liegt darin, dass er in dem
genannten Zeitraum hiervon keinen Gebrauch machte, kein
schwerwiegender Obliegenheitsverstoß in eigenen
Angelegenheiten.
Mit Rücksicht darauf, dass die
Beklagte seit September 2015 mit zahlreichen Informationen an
die Öffentlichkeit getreten war und auch weitere Erklärungen
angekündigt hatte, war ein Zuwarten des Klägers zumindest bis
zum Ende des Jahres 2015 nicht schlechterdings
unverständlich. Die Annahme des Berufungsgerichts, ein
Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB sei
verjährt, konnte daher keinen Bestand haben. Soweit - mit
Ausnahme des Verfahrens VII ZR 396/21 - die jeweils mit der
Klage geltend gemachten Ansprüche der Klageparteien aus § 826
BGB verjährt waren, haben die Berufungsgerichte einen
Anspruch der Klageparteien gemäß § 852 Satz 1 BGB zu Recht
verneint.
Nach Sinn und Zweck der Vorschrift sollen
demjenigen, der einen anderen durch unerlaubte Handlung
schädigt und dadurch sein Vermögen mehrt, auch bei Verjährung
des Schadensersatzanspruchs nicht die auf diese Weise
erlangten Vorteile verbleiben. Die dem Anspruch
zugrundeliegende Vermögensverschiebung kann auch durch einen
oder mehrere Dritte vermittelt werden, solange sie in einem
ursächlichen Zusammenhang mit der unerlaubten Handlung steht.
Wenn ein Vermögensverlust beim Geschädigten einen
entsprechenden Vermögenszuwachs beim Schädiger zur Folge
gehabt hat, ist er daher nach § 852 Satz 1 BGB auch dann
herauszugeben, wenn diese Vermögensverschiebung dem Schädiger
durch Dritte vermittelt worden ist. Unberührt bleibt davon
die Notwendigkeit, dass der Vermögenszuwachs auf dem
Vermögensverlust des Geschädigten beruhen muss. Daher setzt
ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB jedenfalls voraus, dass die
Herstellerin im Verhältnis zum Geschädigten etwas aus dem
Fahrzeugverkauf an diesen erlangt hat.
Jedenfalls
in mehraktigen Fällen wie bei dem Kauf eines von der
Herstellerin mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in
den Verkehr gebrachten und von dem Geschädigten erst später
von einem Dritten erworbenen Gebrauchtwagens führt der
letztgenannte Erwerbsvorgang indes zu keiner
Vermögensverschiebung im Verhältnis zwischen dem Geschädigten
und der Herstellerin. Denn der Herstellerin, die einen
etwaigen Vorteil bereits mit dem Inverkehrbringen des
Fahrzeugs als Neuwagen realisiert hat, fließt im Zusammenhang
mit dem im Abschluss des ungewollten Vertrags liegenden
Vermögensschaden des Geschädigten durch ihre unerlaubte
Handlung nichts - mehr - zu.
Bei einem
Gebrauchtwagenverkauf, der - wie hier - zwischen dem
klagenden Geschädigten und einem Dritten abgeschlossen wird,
partizipiert die Herstellerin weder unmittelbar noch
mittelbar an einem etwaigen Verkäufergewinn aus diesem
Kaufvertrag, sei es, dass der Gebrauchtwagen von einer
Privatperson oder von einem Händler an den Geschädigten
verkauft wurde. Deshalb scheidet in diesen Fällen ein
Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB aus.
2Gplus-Regelung für die gemeinsame Sportausübung in
Innenräumen vorläufig außer Vollzug gesetzt - Land NRW
korrigierte umgehd seine Corona-Schutzverordnung
Münster, 8. Februar 2022 -
Das Oberverwaltungsgericht hat heute auf den
Eilantrag eines Fitnessstudiobetreibers aus Bochum die
2Gplus-Regelung für die gemeinsame Sportausübung in
Innenräumen vorläufig außer Vollzug gesetzt. Für
Sporteinrichtungen im öffentlichen Raum, wozu auch
Fitnessstudios gehören, gilt allerdings weiterhin die in
diesem Verfahren nicht angegriffene 2G-Regelung.
Zur
Begründung hat der 13. Senat ausgeführt: Die
Zugangsbeschränkung verstößt voraussichtlich gegen das aus
dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit resultierende Gebot der
Klarheit und Widerspruchsfreiheit gesetzlicher Regelungen.
Danach muss ein gesetzliches Verbot in seinen Voraussetzungen
und in seinem Inhalt so klar formuliert sein, dass die davon
Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach
bestimmen können. Diesen Anforderungen wird die Regelung
zu den Zugangsbeschränkungen für die gemeinsame Sportausübung
in Innenräumen nicht gerecht. Die Zugangsbeschränkung knüpft
an eine gemeinsame Sportausübung an.
Laut Begründung
der Coronaschutzverordnung will der Verordnungsgeber hiermit
in diesem Zusammenhang nicht nur die Sportausübung erfassen,
bei der Menschen zielgerichtet zum Sporttreiben
zusammenkommen, sondern auch eine gleichzeitige Sportausübung
in einer Räumlichkeit ohne eine innere Verbindung der
Sportlerinnen und Sportler untereinander. Hiermit legt er ein
weiteres Begriffsverständnis zugrunde als bei der Verwendung
dieses Begriffs im Zusammenhang mit der gemeinsamen
Sportausübung im Freien, für die die 2G-Regel gilt. Unter
gemeinsamer Sportausübung versteht der Verordnungsgeber - dem
natürlichen Wortsinn entsprechend - laut
Verordnungsbegründung hier nur sportliche Betätigungen von
mehreren Personen, die mit dem Ziel einer gemeinschaftlichen
Sportausübung erfolgen.
Für den
Normadressaten ist es aber eher fernliegend, dass der
Verordnungsgeber in Einzelregelungen derselben Norm dem
gleichen Begriff unterschiedliche Bedeutungen beimisst. Damit
kann dieser letztlich nicht rechtssicher feststellen,
inwieweit die Sportausübung in Innenräumen
Zugangsbeschränkungen unterliegt. Der Beschluss ist
unanfechtbar. Aktenzeichen: 13 B 1986/21.NE
2Gplus-Regelung für Sonnenstudios in NRW vorläufig außer
Vollzug gesetzt Münster, 03. Februar 2022 - Das
Oberverwaltungsgericht hat heute auf die Eilanträge zweier
Sonnenstudiobetreiber die 2Gplus-Regelung für Sonnenstudios
vorläufig außer Vollzug gesetzt. Nach der geltenden
nordrhein-westfälischen Coronaschutzverordnung dürfen
Hallenschwimmbäder, Wellnesseinrichtungen, zu denen neben
Saunen unter anderem auch Sonnenstudios zählen, sowie
vergleichbare Freizeiteinrichtungen, bei deren Nutzung das
Tragen von Masken überwiegend nicht möglich ist, nur von
geimpften Personen besucht werden, die zusätzlich über einen
negativen Testnachweis verfügen oder als getestet gelten.
Zur Begründung hat der 13. Senat ausgeführt: Die
Zugangsbeschränkung verstößt voraussichtlich gegen den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, weil sie schon nach den in der
Verordnungsbegründung zu Grunde gelegten Prämissen des
Verordnungsgebers nicht erforderlich ist. Das besondere, das
zusätzliche Testerfordernis begründende Gefährdungspotential
sieht der Verordnungsgeber für die von der streitigen
Regelung erfassten Einrichtungen darin, dass es dort zum
einen regelhaft nicht möglich ist, eine Maske zu tragen, und
es zum anderen bei der Inanspruchnahme von
Hallenschwimmbädern, Wellnesseinrichtungen und vergleichbaren
Freizeiteinrichtungen regelmäßig tätigkeitsbedingt zu einem
erhöhten Aerosolausstoß kommt.
Diese vom
Verordnungsgeber für die Anwendung der 2Gplus-Regelung zu
Grunde gelegte besonders risikobehaftete Situation liegt beim
Betrieb von Sonnenstudios nicht vor. Zwar muss in
Sonnenstudios während der eigentlichen Nutzung der Sonnenbank
keine Maske getragen werden. Bei der Nutzung kommt es jedoch
nicht tätigkeitsbedingt zu einem erhöhten Aerosolausstoß.
Auch ansonsten dürfte ein solcher nicht zu befürchten sein.
Die Annahme, dass bei der Nutzung der Sonnenbank
Temperaturen erzeugt werden, die bereits während der relativ
kurzen Nutzungszeiten für sich genommen zu einer spürbar
erhöhten Atemfrequenz führen, entspricht jedenfalls nicht der
allgemeinen Lebenserfahrung. Stützt der Verordnungsgeber die
besonders hohe Infektionsgefahr nicht nur auf das
(vorübergehende) Fehlen einer Maske, sondern zusätzlich auf
einen – in Sonnenstudios nicht feststellbaren –
tätigkeitsbedingten erhöhten Aerosolausstoß, muss er sich
hieran bei der Überprüfung, ob die Schutzmaßnahme
erforderlich ist, grundsätzlich messen lassen.
Es ist
auch nicht feststellbar, dass der Verordnungsgeber den Besuch
von Sonnenstudios auch ohne die Annahme eines
tätigkeitsbedingt erhöhten Aerosolausstoßes der
2Gplus-Regelung unterworfen hätte. Dagegen spricht, dass für
körpernahe Dienstleistungen (lediglich) 2G gilt, obwohl auch
dort etwa bei kosmetischen Behandlungen des Gesichts nicht
durchgängig eine Maske getragen werden kann. Angesichts
dessen überwiegt das Aussetzungsinteresse der
Antragstellerinnen.
Mit der vorläufigen
Außervollzugsetzung der 2Gplus-Regelung für Sonnenstudios
entsteht insbesondere keine gegebenenfalls nicht hinnehmbare
Regelungslücke, da diese auch ohne eine Neuregelung durch den
Verordnungsgeber weiterhin der 2G-Regelung unterfallen
dürften. Die Beschlüsse sind unanfechtbar. Aktenzeichen:
13 B 2002/21.NE und 13 B 24/22.NE
Kein Zugang
zum Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital zum Zweck der
Selbsttötung Münster, 02. Februar 2022 - Das
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
in Bonn ist nicht verpflichtet, schwerkranken Menschen, die
den Entschluss zum Suizid gefasst haben, hierfür den Erwerb
des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital zu erlauben. Das
hat das Oberverwaltungsgericht heute in drei Verfahren
entschieden und damit Urteile des Verwaltungsgerichts Köln
bestätigt.
Die Kläger - zwei Männer aus
Rheinland-Pfalz und Niedersachsen und eine Frau aus
Baden-Württemberg - leiden an verschiedenen schwerwiegenden
Erkrankungen (u. a. Multiple Sklerose, Krebs). Sie verlangen
vom BfArM, ihnen jeweils eine Erlaubnis zum Erwerb von 15
Gramm Natrium-Pentobarbital zu erteilen, um mithilfe dieses
Betäubungsmittels ihr Leben zu beenden. Zur Begründung der
Urteile hat die Vorsitzende des 9. Senats ausgeführt: Der
Erteilung der begehrten Erlaubnis steht der zwingende
Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 des
Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) entgegen.
Eine
Erwerbserlaubnis, die auf eine Nutzung von Betäubungsmitteln
zur Selbsttötung gerichtet ist, dient nicht dazu, die
notwendige medizinische Versorgung sicherzustellen. Das ist
bei Anwendungen eines Betäubungsmittels nach
höchstrichterlicher Rechtsprechung nur der Fall, wenn diese
eine therapeutische Zielrichtung haben, also dazu dienen,
Krankheiten oder krankhafte Beschwerden zu heilen oder zu
lindern. Grundrechte von Suizidwilligen werden durch diese
Auslegung des Betäubungsmittelgesetzes derzeit nicht
verletzt.
Der mittelbare Eingriff in das Recht auf
selbstbestimmtes Sterben ist verfassungsrechtlich
gerechtfertigt. Der Versagungsgrund schützt das legitime
öffentliche Interesse der Suizidprävention und dient der
staatlichen Schutzpflicht für das Leben. Diese Schutzpflicht
kann gegenüber dem Freiheitsrecht des Einzelnen den Vorrang
erhalten, wo die Selbstbestimmung über das eigene Leben
gefährdet ist. Vorkehrungen, die eine selbstbestimmte
Entscheidung des Suizidenten gewährleisten, sieht das
Betäubungsmittelgesetz nicht vor. Sie können auch nicht in
das Gesetz hineingelesen werden. Ob ein Zugang zu
Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung ermöglicht werden
soll, muss der demokratisch legitimierte Gesetzgeber
entscheiden, der dann auch ein diesbezügliches Schutzkonzept
entwickeln müsste.
Die Fragen, welche Anforderungen
an den freien Willen, die Dauerhaftigkeit des
Selbsttötungsentschlusses oder die Information über
Handlungsalternativen zu stellen wären und wie Miss- oder
Fehlgebrauch verhindert werden könnte, müssen gesetzlich
beantwortet werden. Die Beschränkung Suizidwilliger durch § 5
Abs. 1 Nr. 6 BtMG führt nicht dazu, dass sie ihr Recht auf
Selbsttötung nicht wahrnehmen können. Nach aktueller
Rechtslage ist vielmehr ein zumutbarer Zugang zu freiwillig
bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet.
Infolge
des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar
2020 (zur Verfassungswidrigkeit des in § 217 StGB geregelten
Verbots der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung) hat
sich die Möglichkeit, den Wunsch nach selbstbestimmtem
Sterben zu verwirklichen, wesentlich verbessert. Das
ärztliche Berufsrecht steht der Suizidhilfe nicht mehr
generell entgegen. Es gibt Ärzte, die tödlich wirkende
Arzneimittel verschreiben und andere Unterstützungshandlungen
vornehmen. Dabei ist es zumutbar, die Suche auf ein Gebiet
jenseits des eigenen Wohnorts oder Bundeslands zu erstrecken.
Infolge der Nichtigkeit des § 217 StGB sind auch
geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe wieder verfügbar.
Die Inanspruchnahme der Hilfe eines Arztes oder einer
Sterbehilfeorganisation ist auch zumutbar. Das Grundrecht auf
selbstbestimmtes Sterben beinhaltet keinen Leistungsanspruch
gegenüber dem Staat. Soweit Ärzte und
Sterbehilfeorganisationen in Deutschland bisher wohl nicht
Natrium-Pentobarbital als Mittel zur Selbsttötung einsetzen,
stehen andere verschreibungspflichtige Arzneimittel zur
Verfügung. Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die
Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.
Aktenzeichen: 9 A 146/21 (I. Instanz: VG Köln 7 K 13803/17),
9 A 147/21 (VG Köln 7 K 14642/17), 9 A 148/21 (VG Köln 7 K
8560/18)
Moped, E-Scooter und
S-Pedelecs brauchen neues Versicherungskennzeichen
- Versicherungsjahr für Kleinkrafträder, S-Pedelecs und
E-Scooter beginnt am 1. März
- Versicherungsschutz nur mit gültigem grünen Kennzeichen
Coburg/Duisburg, 02. Februar 2022 -
Grün ist die Farbe des Jahres: Ab 1. März müssen alle
Kleinkrafträder statt einem blauen ein grünes
Versicherungskennzeichen tragen. Zu den Fahrzeugen, die ein
Versicherungskennzeichen führen müssen, gehören zum Beispiel
Mofas, Mopeds oder Roller, Leichtmofas, Segways oder leichte
Quads. Letztgenannte dürfen nicht mehr als 50 Kubikzentimeter
Hubraum haben und nicht schneller als 45 Kilometer pro Stunde
fahren. Ein korrektes Kennzeichen ist wichtig. Ohne erlischt
der Versicherungsschutz und man macht sich strafbar.
Wer sein Kleinkraftrad erst aus der Garage holt, wenn es warm
und sonnig ist, kann das
Versicherungskennzeichen
später kaufen. Die Prämienhöhe richtet sich nach dem
tatsächlichen Nutzungszeitraum. Wer ab Mai fährt, zahlt nicht
für zwölf sondern für zehn Monate, also bis zum Ende des
laufenden Verkehrsjahrs.
Kaufen lassen sich die
Kennzeichen direkt bei der Versicherung: sowohl online oder
vor Ort. Die kleinen Verwandten der Motorräder sind
nicht nur oft in Unfälle verwickelt, sie werden auch häufig
gestohlen.
Beides
zeigt: Umfassender Versicherungsschutz ist nötig. Dies gilt
besonders für Personenschäden. Wird beispielsweise ein gut
verdienender, junger Familienvater bei einem Verkehrsunfall
durch die Schuld eines Rollerfahrers schwer verletzt und
behält bleibende Schäden, sind Entschädigungen in
Millionenhöhe durchaus realistisch. Deshalb empfiehlt die
HUK-COBURG grundsätzlich eine Kfz-Haftpflichtversicherung mit
100 Millionen € Versicherungssumme für Personen-, Sach- und
Vermögensschäden.
Die bietet
sie im Bereich der Kleinkrafträder ab 34 € und die
Teilkasko-Versicherung mit 150 € Selbstbeteiligung ab 25 €
an. Versicherungskennzeichen für E-Fahrzeuge Mittlerweile
sind E-Scooter auf unseren Straßen ein vertrauter Anblick.
Auch sie brauchen jedes Jahr eine neue Versicherungsplakette.
Die Kfz-Haftpflichtversicherung ist ab 17 € und die
Teilkasko-Versicherung mit 150 € Selbstbeteiligung ab 16 € zu
haben. S-Pedelecs müssen ebenfalls ein
Versicherungskennzeichen tragen: Bei diesen schnellen
Pedelecs wird die Motorunterstützung erst bei 45
Stundenkilometern abgeschaltet und die Motorleistung liegt
bei 500 Watt. In diesem Segment bietet die HUK-COBURG eine
Kfz-Haftpflichtversicherung ab 25 € und eine
Teilkasko-Versicherung mit 150 Selbstbeteiligung bei
Totalentwendung ab 37 € an.
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Januar 2022 |
Bundesgerichtshof entscheidet
über Schadensersatzansprüche gegen die Volkswagen AG
im Zusammenhang mit Fragen der Verjährung Urteil
vom 27. Januar 2022 – VII ZR 303/20
Karlsruhe, 27. Januar 2022 - Der
unter anderem für Schadensersatzansprüche aus
unerlaubten Handlungen, die den Vorwurf einer
unzulässigen Abschalteinrichtung bei einem
Kraftfahrzeug mit Dieselmotor zum Gegenstand haben,
zuständige VII. Zivilsenat hatte erneut darüber zu
entscheiden, ob die Verjährungsfrist für
Schadensersatzansprüche des Fahrzeugkäufers gegen
die Volkswagen AG durch die Anmeldung der
klägerischen Ansprüche zum Klageregister der am OLG
Braunschweig geführten Musterfeststellungsklage
gehemmt wurde.
Sachverhalt: Der Kläger nimmt die beklagte
Volkswagen AG wegen der Verwendung einer
unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz
in Anspruch. Der Kläger erwarb 2011 bei einer
Kfz-Händlerin ein von der Beklagten hergestelltes
Neufahrzeug VW Golf VI 2.0 TDI zu einem Preis von
22.607 €. In dem mit einem Dieselmotor des Typs EA
189 (EU 5) ausgestatteten Fahrzeug war eine
Motorsteuerungssoftware verbaut, durch die auf dem
Prüfstand bessere Stickoxidwerte erzielt wurden als
im realen Fahrbetrieb.
Mit seiner im Oktober
2019 eingegangenen Klage hat der Kläger im
Wesentlichen die Erstattung des Kaufpreises
abzüglich einer Nutzungsentschädigung sowie die
Zahlung von Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und
Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des
Annahmeverzugs der Beklagten sowie den Ersatz
vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt. Die
Beklagte hat unter anderem die Einrede der
Verjährung erhoben. Der Kläger behauptet, er habe
sich im Dezember 2018 zur Musterfeststellungsklage
an- und im September 2019 wieder abgemeldet.
Bisheriger Prozessverlauf: Das Landgericht
hat der Klage überwiegend stattgegeben, das
Oberlandesgericht hat sie auf die Berufung der
Beklagten abgewiesen und die Berufung des Klägers
zurückgewiesen. Einem Anspruch des Klägers auf
Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger
Schädigung stehe die von der Beklagten erhobene
Verjährungseinrede entgegen. Es sei keine Hemmung
der Verjährung vor Ablauf der dreijährigen
Verjährungsfrist erfolgt, die nach § 199 Abs. 1 Nr.
2 BGB mit dem Schluss des Jahres 2015 in Gang
gesetzt worden sei.
Die rechtzeitige Anmeldung zum Klageregister der
Musterfeststellungsklage noch im Jahr 2018 habe der
Kläger nicht bewiesen. Eine Anmeldung zum
Klageregister erst nach Ablauf der Verjährungsfrist
wirke nicht auf den Zeitpunkt der Erhebung der
Musterfeststellungsklage zurück. Mit der vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision hat der
Kläger sein Klagebegehren weiterverfolgt.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das
Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die
Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an
das Berufungsgericht zurückverwiesen. Mit der vom
Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Klage
nicht wegen Verjährung abgewiesen werden. Allerdings
musste die Beklagte, wie das Berufungsgericht
rechtsfehlerfrei angenommen hat, die von ihr
erstinstanzlich erhobene Einrede der Verjährung in
der Berufungsinstanz nicht wiederholen. Für die
Annahme eines diesbezüglich unterlassenen
Berufungsangriffs oder gar eines Verzichts der
Beklagten auf diese Einrede ist im Streitfall kein
Raum.
Abgesehen davon, dass das Berufungsgericht
unangegriffen festgestellt hat, die Beklagte habe
zur Begründung ihrer Berufung auch die Verjährung
eines etwa bestehenden Anspruchs vorgebracht,
gelangt nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs mit der zulässigen Berufung
grundsätzlich auch die erstinstanzlich erhobene
Verjährungseinrede ohne Wiederholung in der
Berufungsbegründung in die Berufungsinstanz. Die
Revision hat aber erfolgreich die Annahme des
Berufungsgerichts beanstandet, die Verjährung der
Klageforderung sei mit dem Schluss des Jahres 2018 -
und daher vor der 2019 erfolgten Klageeinreichung -
eingetreten.
Auf der Grundlage der
bisherigen Feststellungen kann die Hemmung der
Verjährung durch Anspruchsanmeldung zum
Klageregister der gegen die Beklagte geführte
Musterfeststellungsklage im Jahre 2018 nicht
verneint werden. Für die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs konnte daher dahinstehen, ob die
Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres 2015 zu
laufen begonnen hat.
Die Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB
im Falle eines wirksam angemeldeten Anspruchs tritt
- wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des
Berufungsurteils entschieden hat - grundsätzlich
bereits mit Erhebung der Musterfeststellungsklage
und nicht erst mit wirksamer Anmeldung des Anspruchs
zur Eintragung in deren Register ein, auch wenn die
Anspruchsanmeldung selbst erst nach Ablauf der
ursprünglichen Verjährungsfrist erfolgt (BGH, Urteil
vom 29. Juli 2021 - VI ZR 1118/20 Rn. 24 ff.).
Nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden
Klägervortrag wurde vor Ablauf des Jahres 2018 eine
Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte erhoben,
hat der Kläger die streitgegenständlichen Ansprüche
jedenfalls ab Beginn des Jahres 2019 wirksam zur
Eintragung im entsprechenden Klageregister
angemeldet (§ 608 ZPO) und liegt den Ansprüchen
derselbe Lebenssachverhalt zugrunde wie den
Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage.
Unter diesen Voraussetzungen war die Erhebung
der Musterfeststellungsklage gemäß § 204 Abs. 1 Nr.
1a BGB grundsätzlich geeignet, die Verjährung der
klägerischen Ansprüche zu hemmen, und zwar auch
dann, wenn - wie vom Berufungsgericht angenommen -
eine Anmeldung zum Klageregister noch im Jahr 2018
nicht bewiesen ist. Der Kläger hat nach Rücknahme
der Anmeldung zudem auf der Grundlage einer von ihm
zweitinstanzlich vorgelegten Urkunde innerhalb der
Sechs-Monats-Frist des § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB die
vorliegende Individualklage erhoben.
Dem
Kläger ist es nicht verwehrt, sich auf die Hemmung
der Verjährung zu berufen. Der Hemmungstatbestand
des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB findet grundsätzlich
auch dann Anwendung, wenn der Gläubiger seine
Anmeldung zum Klageregister im weiteren Verlauf des
Musterfeststellungsverfahrens wieder zurücknimmt, um
im Anschluss Individualklage zu erheben. Der
Gesetzgeber hat dem Gläubiger bewusst die
Möglichkeit der Abmeldung vom Klageregister bis zu
dem in § 608 Abs. 3 ZPO geregelten Zeitpunkt und der
anschließenden Geltendmachung der Ansprüche im Wege
der Individualklage eingeräumt und für diesen Fall
eine spezifische Regelung über eine nachlaufende
sechsmonatige Verjährungshemmung getroffen (§ 204
Abs. 2 Satz 2 BGB).
Nutzt der Gläubiger
diese ihm ausdrücklich eingeräumte Möglichkeit der
Anmeldungsrücknahme, handelt es sich daher
grundsätzlich um einen einfachen Rechtsgebrauch und
nicht um einen Rechtsmissbrauch (BGH, Urteil vom 29.
Juli 2021 - VI ZR 1118/20 Rn. 39 ff.; Urteil vom 19.
Oktober 2021 - VI ZR 189/20 Rn. 16). Die Umstände
des Streitfalles gaben keinen Anlass, hiervon
abzuweichen.
Vorinstanzen: Landgericht Ellwangen - Urteil vom
11. Februar 2020 - 5 O 363/19 Oberlandesgericht
Stuttgart - Urteil vom 17. November 2020 - 10 U
86/20 Die maßgeblichen Vorschriften lauten: § 195
des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) Die regelmäßige
Verjährungsfrist beträgt drei Jahre. § 199 des
Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) (1) Die
regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht
ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem
Schluss des Jahres, in dem 1. der Anspruch
entstanden ist und 2. der Gläubiger von den den
Anspruch begründenden Umständen und der Person des
Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe
Fahrlässigkeit erlangen müsste. […] § 204 des
Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) (1) Die Verjährung
wird gehemmt durch […] 1a. die Erhebung einer
Musterfeststellungsklage für einen Anspruch, den ein
Gläubiger zu dem zu der Klage geführten
Klageregister wirksam angemeldet hat, wenn dem
angemeldeten Anspruch derselbe Lebenssachverhalt
zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der
Musterfeststellungsklage, […]
(2) Die Hemmung nach Absatz 1 endet sechs Monate
nach der rechtskräftigen Entscheidung oder
anderweitigen Beendigung des eingeleiteten
Verfahrens. Die Hemmung nach Absatz 1 Nummer 1a
endet auch sechs Monate nach der Rücknahme der
Anmeldung zum Klageregister. […] § 826 des
Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) Wer in einer gegen
die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen
vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum
Ersatz des Schadens verpflichtet. § 606 der
Zivilprozessordnung (ZPO) Mit der
Musterfeststellungsklage können qualifizierte
Einrichtungen die Feststellung des Vorliegens oder
Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen
Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen
von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen
(Feststellungszielen) zwischen Verbrauchern und
einem Unternehmen begehren. […] § 608 der
Zivilprozessordnung (ZPO) (1) Bis zum Ablauf des
Tages vor Beginn des ersten Termins können
Verbraucher Ansprüche oder Rechtsverhältnisse, die
von den Feststellungszielen abhängen, zur Eintragung
in das Klageregister anmelden. […] (3) Die
Anmeldung kann bis zum Ablauf des Tages des Beginns
der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz
zurückgenommen werden. […]
Saisonkennzeichen: Versicherungsschutz
während Ruhephase Kfz-Haftpflichtversicherung
und Kasko inklusive: Richtiger Stellplatz zum
Überwintern Coburg/Duisburg,
26. Januar 2022 - Spätestens ab November
verschwinden die meisten Cabrios, Motorräder und
Wohnmobile von den Straßen. Erst wenn die
Temperaturen steigen, werden sie wieder
hervorgeholt. Für ein paar Monate Fahrvergnügen das
ganze Jahr Steuern und Versicherung zu zahlen? Keine
gute Idee. Mittlerweile nutzen laut
Kraftfahrt-Bundesamt fast ein 1 Million Pkw-, mehr
als 1,3 Millionen Motorradfahrer und rund 150.000
Wohnmobilbesitzer Saisonkennzeichen. Das spart Zeit
und Geld: Das Fahrzeug muss nicht an- und abgemeldet
werden.
Steuern
und Kfz-Versicherung werden nur für den
Nutzungszeitraum, mindestens zwei – maximal elf
Monate – gezahlt. Doch selbst während der
Ruhemonate besteht Versicherungsschutz, wie die
HUK-COBURG mitteilt. Die Ruheversicherung kann
wichtig werden, wenn zum Beispiel Öl oder Benzin
auslaufen und das Erdreich verschmutzen, vielleicht
sogar ins Grundwasser sickern. Fordern der Vermieter
oder die Kommune Schadenersatz, ist das ein
klassischer Fall für die
Kfz-Haftpflichtversicherung.
Die
Ruheversicherung kann auch eine Kasko-Versicherung
miteinschließen, vorausgesetzt sie war schon vor der
Stilllegung Vertragsbestandteil. Sollten also zum
Beispiel Stürme schwere Äste durch die Luft wirbeln
und das Fahrzeug beschädigen, tritt die Teilkasko
ein. Gleiches gilt bei Motorbrand durch Kurzschluss
in der Elektronik oder Diebstahl.
Versicherungsfälle, die in der Ruheversicherung
immer wieder vorkommen. Vandalismusschäden sind
dagegen über die Vollkasko-Versicherung gedeckt.
Achtung Stellplatz Ob die
Ruheversicherung greift, hängt vom Winterquartier
ab. Das Fahrzeug muss entweder in einem Raum oder
zumindest auf einem umfriedeten Abstellplatz
überwintern. Umfriedung heißt, der Platz ist von
einem Zaun oder einer Hecke umschlossen. Wer ein
Carport nutzt, sollte die freien Seiten wenigstens
mit einer Kette sichern. Der Stellplatz interessiert
nicht nur die Versicherung, sondern auch die
Polizei. Dauerparken auf öffentlichen Straßen oder
Plätzen ist keine Option. Hier drohen 40 Euro
Bußgeld und Abschleppen.
Bundesgerichtshof entscheidet erneut
zum Anspruch des Käufers auf "kleinen"
Schadensersatz in "Dieselsachen" Urteil vom 24.
Januar 2022 – VIa ZR 100/21 Karlsruhe,
24. Januar 2022 - Der vom Präsidium des
Bundesgerichtshofs vorübergehend als
Hilfsspruchkörper eingerichtete VIa. Zivilsenat hat
sich heute im Anschluss an die Entscheidung des VI.
Zivilsenats vom 6. Juli 2021 – VI ZR 40/20 mit der
Gewährung von kleinem Schadensersatz in den
sogenannten "Dieselfällen" befasst.
Sachverhalt: Der Kläger
kaufte im September 2013 für 12.999 € von einem
Dritten einen Gebrauchtwagen Seat Leon, der mit
einem von der beklagten Volkswagen AG hergestellten
Dieselmotor der Baureihe EA 189 versehen war. Bei
Erwerb wies das Kraftfahrzeug eine Laufleistung von
60.400 km auf. Es war mit einer Software
ausgestattet, die erkannte, ob es sich auf einem
Prüfstand befand, und in diesem Fall vom regulären
Abgasrückführungsmodus in einen
Stickoxid-optimierten Modus wechselte. Nach
Bekanntwerden des sogenannten Abgasskandals ließ der
Kläger ein von der Beklagten entwickeltes
Software-Update aufspielen. Zum 31. Dezember 2019
betrug die Laufleistung des Kraftfahrzeugs nach
Angaben des Klägers rund 275.000 km.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Amtsgericht hat die auf Leistung des
vorgerichtlich verlangten "kleinen" Schadensersatzes
nebst Zinsen und auf Erstattung vorgerichtlich
verauslagter Anwaltskosten gerichtete Klage
abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung
gegen das amtsgerichtliche Urteil zurückgewiesen.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des
Klägers hatte überwiegend Erfolg. Der VIa.
Zivilsenat hat im Anschluss an die Entscheidung des
VI. Zivilsenats vom 6. Juli 2021 bekräftigt, dass
der Käufer eines vom "Dieselskandal" betroffenen
Fahrzeugs ein Wahlrecht hat. Er kann gegen Rückgabe
des Fahrzeugs und Anrechnung von Nutzungsvorteilen
den gesamten Kaufpreis zurückverlangen ("großer"
Schadensersatz). Er kann aber auch das Fahrzeug
behalten und lediglich als "kleinen" Schadensersatz
die Differenz zwischen einem höheren Kaufpreis und
einem gegebenenfalls niedrigeren Wert des Fahrzeugs
bei Abschluss des Kaufvertrags beanspruchen.
Für diese zweite Möglichkeit hat sich der Kläger
entschieden, dessen Klage deshalb nicht ohne weitere
Prüfung der Höhe seines Anspruchs hätte abgewiesen
werden dürfen. Im konkreten Fall besteht allerdings
die Besonderheit, dass der Kläger das mit einem
Kilometerstand von 60.400 km gebraucht gekaufte
Fahrzeug bei Klageerhebung schon über weitere
200.000 km bis zu einem Kilometerstand von rund
275.000 km gefahren hatte. Damit steht im Raum, dass
der Käufer sich im Wege der Vorteilsausgleichung den
Wert von Nutzungen auf den "kleinen" Schadensersatz
in dem Umfang anrechnen lassen muss, in dem der Wert
der Nutzungen den Wert des Fahrzeugs bei
Vertragsschluss übersteigt.
Da das
Berufungsgericht – aus seiner Sicht konsequent –
weder Feststellungen zum Wert des Fahrzeugs bei
Vertragsschluss noch zum Wert der vom Kläger
gezogenen Nutzungen getroffen hat, hat der VIa.
Zivilsenat das Berufungsurteil im Ausspruch zum
"kleinen" Schadensersatz aufgehoben und die Sache
zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht
zurückverwiesen. Das Berufungsurteil hatte im
Ergebnis nur insoweit Bestand, als das
Berufungsgericht den Anspruch auf Erstattung
vorgerichtlich entstandener Anwaltskosten verneint
hat.
Vorinstanzen: Amtsgericht Bonn - Urteil vom 19.
Januar 2021 - 106 C 7/20 Landgericht Bonn -
Urteil vom 6. Juli 2021 - 5 S 28/21 Die
maßgeblichen Vorschriften des Bürgerlichen
Gesetzbuchs (BGB) lauten: § 826 Sittenwidrige
vorsätzliche Schädigung Wer in einer gegen die guten
Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich
Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des
Schadens verpflichtet. § 249 Art und Umfang des
Schadensersatzes (1) Wer zum Schadensersatz
verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der
bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende
Umstand nicht eingetreten wäre.
Maskenpflicht und 3G-Regel bei Versammlungen im
Freien bleiben bestehen
Münster, 14. Januar 2022 - Das
Oberverwaltungsgericht hat heute einen Eilantrag
gegen die aufgrund der Coronaschutzverordnung in
Nordrhein-Westfalen bei Versammlungen im Freien
geltenden Schutzmaßnahmen abgelehnt. Nach der
aktuellen nordrhein-westfälischen
Coronaschutzverordnung dürfen an Versammlungen im
Freien bei gleichzeitig mehr als 750 Teilnehmenden
nur immunisierte oder getestete Personen teilnehmen
(sogenannte 3G-Regel).
Haben nur
getestete oder immunisierte Personen Zugang zu der
Versammlung, ist nur bei einer Unterschreitung des
Mindestabstands von 1,5 Metern mindestens eine
medizinische Maske zu tragen. Haben alle Personen
unabhängig von einem Test- oder
Immunisierungsnachweis Zugang zu der Versammlung –
das können also solche Versammlungen sein, an denen
nicht gleichzeitig mehr als 750 Personen teilnehmen
–, ist unabhängig von der Einhaltung eines
Mindestabstands stets mindestens eine medizinische
Maske zu tragen.
Durch diese Regelungen
sieht sich ein aus Lohmar stammender Antragsteller,
der nach eigenem Bekunden in Nordrhein-Westfalen
regelmäßig Versammlungen veranstaltet, um gegen die
Corona-Politik zu demonstrieren, in seinen
Grundrechten der Versammlungsfreiheit, des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie des Rechts
auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Er hat
insbesondere geltend gemacht, dass den
Demonstrierenden die Befolgung von Maßnahmen
auferlegt werde, gegen die sie gerade demonstrieren
wollten. Außerdem tendiere die Wahrscheinlichkeit
einer Ansteckung mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 im
Freien gegen Null.
Dem ist das
Oberverwaltungsgericht nicht gefolgt. Nach
Auffassung des zuständigen 13. Senats sind die für
Versammlungen im Freien geltenden Schutzmaßnahmen
voraussichtlich verhältnismäßig. Die Maskenpflicht
bei Versammlungen im Freien ist geeignet,
Ansteckungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu
verhindern und so Leben und Gesundheit der
Bevölkerung zu schützen sowie die Funktionsfähigkeit
des Gesundheitssystems zu erhalten. Auch im Freien
besteht bei direktem Kontakt ohne weiteren Schutz
ein hohes Infektionsrisiko.
Die Maskenpflicht gibt einer Versammlung
grundsätzlich auch kein Gepräge, das ihrem Zweck
oder ihrer Zielsetzung zuwiderläuft. Den
Versammlungsteilnehmern wird durch das Tragen der
Maske die Äußerung bestimmter Meinungen weder
verboten noch aufgezwungen. Die für die
Versammlungen im Freien bei gleichzeitig mehr als
750 Teilnehmenden aufgestellte Zugangsbeschränkung
(sogenannte 3G-Regel) ist ebenfalls voraussichtlich
verhältnismäßig.
Jedenfalls bei dieser Größe
ist typischerweise zu erwarten, dass die Einhaltung
des Mindestabstands und die Beachtung der
Maskenpflicht nicht verlässlich gewährleistet werden
können. Indem mit Hilfe der Testnachweispflicht
infizierten nicht immunisierten Personen der Zugang
zu Versammlungen verwehrt werden kann, wird die
Ansteckung mit einer potentiell tödlich verlaufenden
Krankheit vermieden und werden medizinische
Versorgungskapazitäten geschont.
Daran
ändert nichts, dass immunisierte Personen von der
Testnachweispflicht bei derartigen Versammlungen
befreit sind, weil die COVID-19-Impfung weiterhin
zumindest einer Belastung des Gesundheitssystems
entgegenwirkt. Auch wenn nach den Erkenntnissen des
Robert Koch-Instituts die Wirksamkeit der einzelnen
Impfstoffe gegen die – inzwischen bundesweit und
auch in Nordrhein-Westfalen – dominierende
Omikronvariante noch nicht endgültig zu beurteilen
ist, belegen die jüngst erhobenen Inzidenzen nach
Impfstatus gleichwohl die ausgeprägte Wirksamkeit
der COVID-19-Impfung in Bezug auf die Verhinderung
einer symptomatischen COVID-19-Erkrankung sowie
einer mit COVID-19 assoziierten Hospitalisierung.
Der Beschluss ist unanfechtbar. Aktenzeichen: 13
B 33/22.NE
Für das Jahr 2007
erfolgte steuerliche Privilegierung von
Gewinneinkünften gegenüber Überschusseinkünften
verfassungswidrig Karlsruhe, 12. Januar
2022 - Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der
Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts
entschieden, dass eine auf Gewinneinkünfte
beschränkte Begrenzung des Einkommensteuertarifs
durch Regelungen im Steueränderungsgesetz 2007 und
im Jahressteuergesetz 2007 mit dem allgemeinen
Gleichheitssatz unvereinbar ist. Die
Vorschriften bewirken eine nicht gerechtfertigte
Begünstigung von Gewinneinkünften gegenüber den
Überschusseinkünften. Der Gesetzgeber ist
verpflichtet, spätestens bis zum 31. Dezember 2022
rückwirkend für das Veranlagungsjahr 2007 eine
Neuregelung zu treffen.
Mietzahlungspflicht bei coronabedingter
Geschäftsschließung
XII ZR 8/21
Karlsruhe, 12. Januar 2022 - Der u.a. für das
gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hatte die Frage
zu entscheiden, ob ein Mieter von gewerblich
genutzten Räumen für die Zeit einer behördlich
angeordneten Geschäftsschließung während der
COVID-19-Pandemie zur vollständigen Zahlung der
Miete verpflichtet ist.
Sachverhalt: Die Beklagte hat von der Klägerin
Räumlichkeiten zum Betrieb eines
Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art sowie
Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs gemietet.
Aufgrund des sich im März 2020 in Deutschland
verbreitenden SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie)
erließ das Sächsische Staatsministerium für Soziales
und Gesellschaftlichen Zusammenhalt am 18. und am
20. März 2020 Allgemeinverfügungen, aufgrund derer
die Beklagte ihr Textileinzelhandelsgeschäft im
Mietobjekt vom 19. März 2020 bis einschließlich 19.
April 2020 schließen musste.
Infolge der
behördlich angeordneten Betriebsschließung
entrichtete die Beklagte für den Monat April 2020
keine Miete.
Bisheriger Prozessverlauf: Das
Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung der Miete
für den Monat April 2020 in Höhe von 7.854,00 €
verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das
Oberlandesgericht die erstinstanzliche Entscheidung
aufgehoben und die Beklagte - unter Abweisung der
Klage im Übrigen - zur Zahlung von nur 3.720,09 €
verurteilt.
Infolge des Auftretens der COVID-19-Pandemie und
der staatlichen Schließungsanordnung auf Grundlage
der Allgemeinverfügungen sei eine Störung der
Geschäftsgrundlage des Mietvertrags i.S.v. § 313
Abs. 1 BGB eingetreten, die eine Anpassung des
Vertrags dahin gebiete, dass die Kaltmiete für die
Dauer der angeordneten Schließung auf die Hälfte
reduziert werde.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Auf die Revisionen der Klägerin, die nach
wie vor die volle Miete verlangt, und der Beklagten,
die ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt, hat
der Bundesgerichtshof das Urteil des
Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache an
dieses zurückverwiesen. Der Bundesgerichtshof hat
entschieden, dass im Fall einer Geschäftsschließung,
die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur
Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt,
grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von
gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete
wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313
Abs. 1 BGB in Betracht kommt.
Die Anwendbarkeit der mietrechtlichen
Gewährleistungsvorschriften und der Regelungen des
allgemeinen schuldrechtlichen
Leistungsstörungsrechts, insbesondere des § 313 BGB
zum Wegfall der Geschäftsgrundlage, ist nicht durch
die für die Zeit vom 1. April 2020 bis zum 30.
September 2022 geltende Vorschrift des Art. 240 § 2
EGBGB ausgeschlossen.
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass diese
Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut und ihrem
Gesetzeszweck allein eine Beschränkung des
Kündigungsrechts des Vermieters zum Ziel hat und
nichts zur Höhe der geschuldeten Miete aussagt. Die
auf den Allgemeinverfügungen des Sächsischen
Staatsministeriums beruhende Betriebsschließung hat
jedoch nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands
i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB geführt, weshalb das
Oberlandesgericht zu Recht eine Minderung der Miete
nach § 536 Abs. 1 BGB abgelehnt hat.
Ergeben sich aufgrund von gesetzgeberischen
Maßnahmen während eines laufenden Mietverhältnisses
Beeinträchtigungen des vertragsmäßigen Gebrauchs
eines gewerblichen Mietobjekts, kann dies zwar einen
Mangel i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB begründen.
Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die durch die
gesetzgeberische Maßnahme bewirkte
Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten
Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des
Mietobjekts in Zusammenhang steht. Die mit der
Schließungsanordnung verbundene
Gebrauchsbeschränkung der Beklagten erfüllt diese
Voraussetzung nicht.
Die behördlich
angeordnete Geschäftsschließung knüpft allein an die
Nutzungsart und den sich daraus ergebenden
Publikumsverkehr an, der die Gefahr einer
verstärkten Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus
begünstigt und der aus Gründen des
Infektionsschutzes untersagt werden sollte. Durch
die Allgemeinverfügung wird jedoch weder der
Beklagten die Nutzung der angemieteten
Geschäftsräume im Übrigen noch der Klägerin
tatsächlich oder rechtlich die Überlassung der
Mieträumlichkeiten verboten. Das Mietobjekt stand
daher trotz der Schließungsanordnung weiterhin für
den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung.
Das Vorliegen eines Mangels i.S.v. § 536 Abs. 1
Satz 1 BGB ergibt sich auch nicht aus dem im
vorliegenden Fall vereinbarten Mietzweck der
Räumlichkeiten zur "Nutzung als Verkaufs- und
Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für
Textilien aller Art, sowie Waren des täglichen Ge-
und Verbrauchs". Die Beklagte konnte nicht davon
ausgehen, dass die Klägerin mit der Vereinbarung des
konkreten Mietzwecks eine unbedingte
Einstandspflicht auch für den Fall einer hoheitlich
angeordneten Öffnungsuntersagung im Falle einer
Pandemie übernehmen wollte.
Dem Mieter von
gewerblich genutzten Räumen kann jedoch im Fall
einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer
hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der
COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein
Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der
Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB zustehen.
Dies hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt
zutreffend erkannt; seine Erwägungen zu einer
möglichen Vertragsanpassung sind jedoch nicht frei
von Rechtsfehlern.
Aufgrund der vielfältigen
Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie
Geschäftsschließungen, Kontakt- und
Zugangsbeschränkungen und der damit verbundenen
massiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche und
wirtschaftliche Leben in Deutschland während des
ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 ist im
vorliegenden Fall die sogenannte große
Geschäftsgrundlage betroffen. Darunter versteht man
die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass
sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen
und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht
ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert
werde.
Diese Erwartung der Parteien wurde dadurch
schwerwiegend gestört, dass die Beklagte aufgrund
der zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erlassenen
Allgemeinverfügungen ihr Geschäftslokal in der Zeit
vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020
schließen musste. Dafür, dass bei einer zur
Bekämpfung der COVID-19-Pandemie behördlich
angeordneten Betriebsschließung die tatsächliche
Voraussetzung des § 313 Abs. 1 Satz 1 BGB einer
schwerwiegenden Störung der Geschäftsgrundlage
erfüllt ist, spricht auch die neu geschaffene
Vorschrift des Art. 240 § 7 EGBGB.
Danach
wird vermutet, dass sich ein Umstand im Sinne des §
313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags
geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend
verändert hat, wenn vermietete Grundstücke oder
vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge
staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der
COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht
oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar
sind.
Allein der Wegfall der
Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB berechtigt
jedoch noch nicht zu einer Vertragsanpassung.
Vielmehr verlangt die Vorschrift als weitere
Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner
unter Berücksichtigung aller Umstände des
Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder
gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am
unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Beruht die enttäuschte Gewinnerwartung des
Mieters wie im vorliegenden Fall auf einer
hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der
COVID-19-Pandemie wie einer Betriebsschließung für
einen gewissen Zeitraum, geht dies über das
gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus.
Denn die wirtschaftlichen Nachteile, die ein
gewerblicher Mieter aufgrund einer pandemiebedingten
Betriebsschließung erlitten hat, beruhen nicht auf
unternehmerischen Entscheidungen oder der
enttäuschten Vorstellung, in den Mieträumen ein
Geschäft betreiben zu können, mit dem Gewinne
erwirtschaftet werden.
Sie sind vielmehr
Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das
wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur
Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, für die keine der
beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht
werden kann. Durch die COVID-19-Pandemie hat sich
letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht,
das von der mietvertraglichen Risikoverteilung ohne
eine entsprechende vertragliche Regelung nicht
erfasst wird. Das damit verbundene Risiko kann
regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen
werden.
Dies bedeutet aber nicht, dass der
Mieter stets eine Anpassung der Miete für den
Zeitraum der Schließung verlangen kann. Ob dem
Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag
unzumutbar ist, bedarf auch in diesem Fall einer
umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des
Einzelfalls zu berücksichtigen sind (§ 313 Abs. 1
BGB). Eine pauschale Betrachtungsweise wird den
Anforderungen an dieses normative Tatbestandsmerkmal
der Vorschrift nicht gerecht.
Deshalb kommt
die vom Oberlandesgericht vorgenommene
Vertragsanpassung dahingehend, dass ohne
Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete
für den Zeitraum der Geschäftsschließung
grundsätzlich um die Hälfte herabgesetzt wird, weil
das Risiko einer pandemiebedingten
Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der beiden
Mietvertragsparteien allein trifft, nicht in
Betracht.
Es bedarf vielmehr einer
umfassenden und auf den Einzelfall bezogenen
Abwägung, bei der zunächst von Bedeutung ist, welche
Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung
und deren Dauer entstanden sind. Diese werden bei
einem gewerblichen Mieter primär in einem konkreten
Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung bestehen,
wobei jedoch nur auf das konkrete Mietobjekt und
nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen
ist.
Zu berücksichtigen kann auch sein,
welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder
ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während
der Geschäftsschließung zu vermindern. Da eine
Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung
der Geschäftsgrundlage aber nicht zu einer
Überkompensierung der entstandenen Verluste führen
darf, sind bei der Prüfung der Unzumutbarkeit
grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu
berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen
Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten
Nachteile erlangt hat.
Dabei können auch
Leistungen einer ggf. einstandspflichtigen
Betriebsversicherung des Mieters zu berücksichtigen
sein. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur
auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, bleiben
hingegen bei der gebotenen Abwägung außer Betracht,
weil der Mieter durch sie keine endgültige
Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreicht.
Eine tatsächliche Gefährdung der
wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist nicht
erforderlich. Schließlich sind bei der gebotenen
Abwägung auch die Interessen des Vermieters in den
Blick zu nehmen. Das Oberlandesgericht hat nach der
Zurückverweisung nunmehr zu prüfen, welche konkreten
wirtschaftlichen Auswirkungen die
Geschäftsschließung in dem streitgegenständlichen
Zeitraum für die Beklagte hatte und ob diese
Nachteile ein Ausmaß erreicht haben, das eine
Anpassung des Mietvertrags erforderlich macht.
Am Schneeschieben führt kein Weg
vorbei Wann ist der Griff zu Schaufel und Besen
nötig
Coburg/Duisburg, 11. Januar 2022 - Wie
oft muss geräumt werden Welche Streumittel sind
richtig Coburg, den 11.01.2022 „Endlich
Schnee“, freuen sich die einen. „Wieder früher
aufstehen und Schnee schaufeln“, murren die anderen.
Richtig ist: Winterliche Straßenverhältnisse bringen
Fußgänger leicht ins Rutschen. Ein Bein ist schnell
gebrochen. Passiert das vor der eigenen Haustür,
können Mieter oder Eigentümer eines Hauses eventuell
zur Verantwortung gezogen werden. Warum?
Beide sind im Winter verpflichtet, für einen
eisfreien Fußweg zu sorgen. Mieter müssen immer dann
zu Schneeschieber und Streumittel greifen, wenn
ihnen per Mietvertrag die Räum- und Streupflicht
übertragen wurde und das ist eher die Regel als die
Ausnahme. Passiert ein Unfall, weil die
Winterpflichten nur ungenügend erledigt oder gleich
ganz vergessen wurden, kann der Säumige für die
Folgen verantwortlich gemacht werden. Ohne private
Haftpflichtversicherung ein teures Vergessen: Neben
Behandlungskosten lassen sich vom Geschädigten auch
Verdienstausfall oder Schmerzensgeld geltend machen.
Räum- und Streupflicht Wann und wie oft Schnee
schieben oder Streuen angesagt sind? Auf diese Frage
gibt es keine Auskunft von der Stange:
Ausschlaggebend ist immer die jeweilige Satzung, mit
der jede Kommune den Winterdienst regelt. Oftmals
kann man sich auf den Websites von Städten und
Gemeinden schlaumachen. Ein anderer Weg ist ein
Anruf beim örtlichen Bau- oder Ordnungsamt. Hier
lässt sich erfragen, in welchem Zeitraum der Griff
zum Schneeschieber erforderlich ist und wie breit
der freie Gehweg sein muss.
Die Häufigkeit des Räumens hängt letztlich von
der Witterung und der Verkehrsbedeutung eines Weges
ab. Bei extremem Schneefall oder heftiger
Glatteisbildung ist gerade auf stark frequentierten
Wegen außergewöhnlicher
Einsatz gefordert. Nur wenn Räumen und Streuen
witterungsbedingt zwecklos sind, kann man warten,
bis beispielsweise der Schneefall nachlässt oder
ganz aufhört. Auch müssen Wege meist nicht in ihrer
gesamten Breite geräumt werden.
Bei Eis und
Schnee müssen Bürgersteige geräumt werden. Foto:
HUK-COBURG
In der Regel genügt es, einen
Streifen frei zu schaufeln oder auf einer bestimmten
Breite zu streuen. Eine Faustregel besagt: Zwei
Fußgänger müssen auf dem geräumten Weg aneinander
vorbeigehen können. Kommunen können diese Frage aber
auch klar in ihrer Satzung regeln. Dort lässt sich
auch nachlesen, zu welchen Streumitteln man greifen
sollte. Salz ist oft gar nicht oder nur bei extremer
Glätte zugelassen. Allerdings kann niemand
im Winter einen durchgängig eis- oder schneefreien
Bürgersteig erwarten. Wer in der kalten Jahreszeit
unterwegs ist, muss mit winterlichen
Straßenverhältnissen rechnen und sich entsprechend
vorsichtig bewegen. Dazu gehört auch das Tragen von
Winterschuhen, die ein entsprechend tiefes und
rutschfestes Profil haben.
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