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							Rechtsgutachten
  Düsseldorf/Duisburg, 
							6. Februar 2023 - Die 
							Europäische Union will die öffentliche finanzielle 
							Förderung von Investitionen in klimafreundliche 
							Technologien ausbauen und vereinfachen. Damit soll 
							auch verhindert werden, dass europäische Unternehmen 
							ihre Zukunftsinvestitionen und Produktion in die USA 
							verlegen, weil dort massive Unterstützung nach dem 
							„Inflation Reduction Act“ (IRA) winkt. Wie die EU 
							und ihre Mitgliedsländer auf den IRA antworten 
							können, wird in dieser Woche auf einem Sondergipfel 
							des Europäischen Rats beraten.
 
 Aber lassen die strengen EU-Subventionsregeln 
							gezielte Beihilfen für eine ökologische 
							Produktionsweise überhaupt zu? Oder bremsen sie eine 
							sozial-ökologische Transformation aus?
 Das hat Prof. Dr. Andreas Fisahn von der Universität 
							Bielefeld in einem von der Hans-Böckler-Stiftung 
							geförderten Gutachten untersucht. Es zeigt: Die 
							Spielräume sind längst deutlich größer als gedacht. 
							Dennoch besteht grundlegender Anpassungsbedarf im 
							europäischen Recht.*
 
 Die europäischen Regeln berühren zwei Ebenen, zeigt 
							die Untersuchung des Professors für öffentliches 
							Recht, Umwelt- und Technikrecht. Großzügig sind die 
							Bestimmungen für Subventionen, die ausschließlich 
							von der EU kommen beziehungsweise inhaltlich von ihr 
							bestimmt werden. Diese fallen nicht unter den 
							Begriff der Beihilfe, da von einer 
							diskriminierungsfreien Vergabe ausgegangen wird, so 
							dass der wirtschaftliche Wettbewerb zwischen den 
							Mitgliedsstaaten nicht verzerrt wird. Deutlich 
							restriktiver sehen die Vorschriften für Mittel aus, 
							bei denen den Mitgliedstaaten 
							Entscheidungsspielräume bleiben.
 
 Das gilt in der Regel, wenn der Mitgliedstaat als 
							Kofinanzier von Subventionen fungiert und deshalb 
							etwa die einzelnen Projekte auswählt, die Zuschüsse 
							erhalten. In solchen Fällen sieht der Vertrag über 
							die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) 
							strenge Prüfungen vor. Über viele Jahre betonten die 
							EU-Kommission und der Europäische Gerichtshof dabei 
							„den Grundsatz an sich, also das Verbot von 
							Beihilfen, weil diese, so das Dogma, zu 
							Wettbewerbsverzerrungen führten“, skizziert Fisahn 
							die ursprünglich herrschende Auslegung. Allerdings 
							hat sich diese Haltung in den vergangenen anderthalb 
							Jahrzehnten deutlich geändert, angefangen mit der 
							weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008.
 
 Diese offenbarte gravierende Dysfunktionalitäten von 
							liberalisierten (Finanz-)Märkten, deren Folgen nur 
							durch entschlossenes staatliches Handeln abgemildert 
							werden konnten. Danach verabschiedete die 
							EU-Kommission als Reaktion auf die verschiedenen 
							Krisen, die Europa und die Welt seit 2008 
							erschütterten, immer weiter reichende Ausnahmen vom 
							grundsätzlichen Beihilfe-Verbot. Bis hin zu den 
							großangelegten Programmen im Zuge der 
							Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs. „Inzwischen 
							kann man sogar von einer Umkehr der ursprünglichen 
							Regelungsabsicht durch sekundäres und tertiäres 
							Recht sprechen“, schreibt Fisahn.
 
 Und das gelte auch mit Blick auf die 
							Herausforderungen der nahen Zukunft: „Die 
							Ausführungsvorschriften zum Green Deal und zu den 
							wichtigen Vorhaben von gemeinsamem europäischen 
							Interesse (Important Projects of Common European 
							Interest, kurz IPCEI) deuten darauf hin, dass diese 
							Spielräume auch weiterhin für den ökologischen Umbau 
							genutzt werden sollen“, analysiert der 
							Rechtswissenschaftler. Durch die veränderte 
							Auslegung des AEUV ist zwar eine Blockade von 
							dringend nötigen Investitionen für eine 
							sozial-ökologische Transformation unwahrscheinlicher 
							geworden. Dennoch bestehe grundlegender 
							Korrekturbedarf im europäischen Recht, mahnt der 
							Juraprofessor.
 
 Denn die zahlreichen Ausnahmen durch sekundäres oder 
							tertiäres EU-Recht, sprich: durch konkrete 
							Einzelbestimmungen, stoßen „auf rechtsstaatliche und 
							demokratische Bedenken“. Schließlich ist der 
							Wortlaut des Primärrechts, also der 
							Grundlagen-Verträge, in Beihilfefragen weiterhin 
							unverändert – und extrem restriktiv. Solche 
							Widersprüchlichkeiten zwischen europäischem Primär- 
							und Sekundärrecht führten „zu Unsicherheiten und 
							Konflikten und mindern die Durchsetzungskraft der 
							Regeln auf der politischen Ebene“, warnt Fisahn.
 
 Auf Basis der gegenwärtigen Auslegung und der 
							bestehenden Ausnahmen biete das EU-Recht zwar 
							kurzfristig genügend Spielraum für eine aktive und 
							klimafreundliche Gestaltung der europäischen 
							Wirtschaft in Anlehnung an den US-amerikanischen 
							IRA. Um für den Wettbewerb mit Großmächten wie den 
							USA und China dauerhaft gerüstet zu sein und eine 
							wirkungsvolle klimafreundliche europäische 
							Industriepolitik betreiben zu können, brauche es 
							aber eine rechtlich stabile Grundlage. Die 
							Kommission sollte sich daher daran machen, die 
							verfassungsrechtlichen Grundlagen der EU an die 
							veränderte Realität anzupassen.
 
 *Andreas Fisahn Bremst EU-Recht die 
							sozial-ökologische Transformation aus? Working Paper 
							der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung 
							Nr. 267, Januar 2023
							
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