Düsseldorf/Duisburg, 10. Juni 2020 - Der
nordrhein-westfälische Verfassungsschutz sieht die
Digitalisierung des Extremismus als größte Herausforderung
für alle Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen. Dies
geht aus dem am Dienstag, 9. Juni 2020, von Minister Herbert
Reul vorgestellten Verfassungsschutzbericht für das Jahr
2019 hervor.
„Das Netz ist die Dunkelkammer
eines extremistischen Welt-bildes und die Reifekammer für
Terroristen. Es ist die Radikalisierungsmaschine des 21.
Jahrhunderts. Hier wird Hass gesät, hier verbreitet er sich,
hier werden Extremisten zu Terroristen und hier gedeihen
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“, so Reul.
Ein besonderes Augenmerk legte der Minister auf den
Bereich der Verschwörungsideologien, die mitverantwortlich
dafür sind, dass extremistische Ansichten über das Internet
in die Mitte der Gesellschaft sickern und sich sogenannte
„Mischszenen“ aus ganz unterschiedlich motivierten und
sozialisierten Menschen bilden.
„Da finden sich dann
Hooligans, Rocker, Rechtsextremisten und Wutbürger. Aber
eben auch ganz normale Leute, die sich Sorgen machen,
nachdem sie so viel im Netz über die vermeintlich schlimmen
Verhältnisse gelesen haben“, so Reul. Aus ihren Reihen
kommen dann die sogenannten Einzeltäter, die im Namen einer
„höheren Sache“ handeln, eine vermeintliche Wahrheit
erkennen und sich als aufrichtige Kämpfer gegen eine
internationale Verschwörung sehen.
Reul verwies bei
der Vorstellung des Berichts beispielhaft auf den Attentäter
von Halle, der sich als ein „unfreiwillig im Zölibat
lebender“ Mann sah, dem sein „Recht“ auf Fortpflanzung durch
den Feminismus genommen wurde.
Außerdem wies er auf
den Attentäter von Hanau hin, der am 19. Februar 2020 zehn
Menschen tötete und in seiner Schriftensammlung beschreibt,
wie er angeblich als Kind Opfer einer Chip-Einpflanzung
wurde.
„Wir sprechen hier von einer echten Gefahr
für unsere Demokratie. Jemand, der glaubt, dass die
Corona-Pandemie eine große Lüge sei, um Bürgerrechte
einzuschränken, wird sich kaum mehr durch Bürgerengagement
und Teilnahme an Wahlen in den demokratischen Prozess
einbringen. Zumal wenn er glaubt, dass die Medien diese
große Lüge kollektiv mittragen“, so Reul.
Im
Vergleich zum Vorjahr ist die Politisch Motivierte
Kriminalität in Nordrhein-Westfalen insgesamt
zurückgegangen. So wurden im Jahr 2019 6.032 Politisch
Motivierte Straftaten bekannt (2018: 6.238). Das ist ein
Rückgang um 206 Delikte beziehungsweise 3,3 Prozent. Die
Anzahl der Straftaten im Phänomenbereich der Politisch
Motivierten Kriminalität von rechts ist mit 3.661 Straftaten
(2018: 3.767) im Vergleich zum Vorjahr um 106 Straftaten
gesunken. Propagandadelikte und Volksverhetzungen machen mit
79,7 Prozent (2.917 von 3.661 Straftaten) den überwiegenden
Anteil aus (2018: 75,1 Prozent). Die Anzahl der
Gewaltdelikte durch rechtsmotivierte Tatverdächtige ist mit
158 Straftaten gegenüber dem Vorjahr um 27,2 Prozent
gefallen (2018: 217 Straftaten). Überwiegend handelte es
sich hierbei um Körperverletzungen (138 Straftaten bzw. 87,4
Prozent).
Die Anzahl der Straftaten im
Phänomenbereich Links ist leicht gestiegen, um rund zwei
Prozent auf 1.424 (2018: 1.394). Ein starker Rückgang ist
bei den linksextremistisch motivierten Gewaltdelikten zu
verzeichnen, was auf die veränderte Lage im Hambacher Forst
zurückzuführen ist. Alleine dort wurden 2018 rund viermal so
viele Gewaltstraftaten wie im Jahr 2019 ver-übt. Die Anzahl
der gesamten Gewaltdelikte durch Linksextremisten in
Nordrhein-Westfalen hat sich auch deshalb im Vergleich zum
Vorjahreszeit-raum um mehr als die Hälfte verringert. Hier
zählten die Verfassungsschützer im vergangenen Jahr 200
Straftaten, 2018 waren es noch 447 Straftaten gewesen.
„Diese Zahlen sind gut, aber sie sind kein Grund zur
Entwarnung. Denn was uns Sorgen macht, ist nicht so sehr die
Quantität, sondern die Qualität. Und das bei rechts und
links motivierten Straftaten. So verzeichnen wir etwa bei
antisemitisch motivierten Straftaten einen Rückgang von 350
in 2018 auf 315 in 2019. Vor dem Hintergrund der Ereignisse
von Halle und dem Versuch, in der Synagoge Menschen zu
erschießen, wäre es aber eben fahrlässig, so zu tun, als sei
hier alles im ‚grünen Bereich‘“, so der Minister.
Für den Bereich Islamismus stellen laut des Berichtes
ausländische Kämpfer, verurteilte Jihadisten, die ihre Haft
verbüßt haben, und Rückkehrer weiterhin ein besonderes
Risiko dar. Sie werden von der Polizei in Abstimmung mit dem
Verfassungsschutz als „Gefährder“ eingestuft und mit
Überwachungsmaßnahmen belegt. Die große Missionierungswelle
im Bereich des Salafismus scheint derweil zu stagnieren. So
verzeichnet der Verfassungs-schutz 2019 nur noch einen
leichten Anstieg bei der Anzahl extremistischer Salafisten
um 100, von 3.100 im Jahr 2018 auf 3.200 im Jahr 2019.
Aller-dings befinden sich die Zahlen weiterhin auf hohem
Niveau.
„Wir müssen unsere repressiven wie
präventiven Anstrengungen auf diesem Gebiet un-vermindert
fortsetzen. Dies im Übrigen nicht nur im Islamismus, sondern
auch gegenüber Terrororganisationen wie der PKK“, sagte
Reul.
Der Minister nutzte die Vorstellung zudem für
einen Appell. „Ich verstehe, wenn sich Bürgerinnen und
Bürger angesichts der Einschränkungen durch die
Corona-Pandemie Sorgen machen und demonstrieren wollen. Man
kann auch unterschiedlicher Meinung darüber sein, welche
Maßnahmen gerechtfertigt oder überzogen sind. Aber
jeder sollte sich anschauen, wer links und rechts neben ihm
auf dieser Demonstration steht. Und ob er sich damit gemein
machen will.“
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