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Februar 2025

Unwirksamkeit von Klauseln zu Verwahrentgelten ("Negativzinsen") in Verträgen über Giro-, Tagesgeld- und Sparkonten und von Klauseln zu Entgelten für eine Ersatz-BankCard und eine Ersatz-PIN

Karlsruhe, Urteile vom 4. Februar 2025 - XI ZR 61/23, XI ZR 65/23, XI ZR 161/23 und XI ZR 183/23
Der u.a. für das Bank- und Börsenrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit vier Urteilen vom 4. Februar 2025 entschieden, dass die von verschiedenen Banken und einer Sparkasse gegenüber Verbrauchern verwendeten Klausen zu Entgelten für die Verwahrung von Einlagen auf Giro-, Tagesgeld- und Sparkonten unwirksam sind. Er hat in dem Verfahren XI ZR 161/23 außerdem entschieden, dass die von einer Bank gegenüber Verbrauchern verwendeten Klauseln zu Entgelten für die Ausstellung einer Ersatz-BankCard und einer Ersatz-PIN unwirksam sind.

Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf:
Die Kläger in den vier Verfahren sind seit über vier Jahren als qualifizierte Einrichtungen in die Liste nach § 4 UKlaG eingetragene Verbraucherschutzverbände.

Die in dem Verfahren XI ZR 61/23 beklagte Sparkasse verwendete im Zeitraum vom 1. bis zum 13. Februar 2020 auf ihrer Internetseite im Zusammenhang mit von ihr angebotenen Giroverträgen folgende Klausel:
"Verzinsung
Zinssatz für Guthaben (täglich fällige Gelder) 0,00 %
Verwahrentgelt für Guthaben ab 5.000,01 € (Freibetrag 5.000 €)*- 0,70 % p.a.
*Das Verwahrentgelt auf allen Privatgirokonten, die ab dem 01.02.2020 neu eröffnet werden, beträgt ab einer Einlagenhöhe von 5.000,01 € 0,70 % p.a. (Freibetrag 5.000,00 €). Die gleiche Regelung gilt für Kontomodellwechsel ab dem 01.02.2020."

Die in dem Verfahren XI ZR 65/23 beklagte Bank verwendet in ihrem Preis- und Leistungsverzeichnis folgende Klausel:
"Privatkonten
[…]
Entgelt für die Verwahrung von Einlagen über 10.000 EURpro Jahr 0,50 % p.a.
Freibetrag¹4
¹4 Vom Kunden zu zahlendes Verwahrentgelt bei Neuanlage/Neuvereinbarung ab 01.04.2020 für Einlagen über 10.000 EUR Freibetrag auf das auf dem Konto verwahrte Guthaben, das den aktuellen Freibetrag übersteigt."

Die in dem Verfahren XI ZR 161/23 beklagte Bank verwendet in ihrem Preis- und Leistungsverzeichnis für die von ihr angebotenen Girokonten folgende Klausel:
"3.2Entgelt für die Verwahrung von Einlagen
Girokonten […] – Verträge ab 01.08.2020¹6
Einlagen bis 25.000,00 EUR0,00 % p.a.
Einlagen über¹7 25.000,00 EUR0,50 % p.a.
[…]
Die Berechnung erfolgt taggenau. Die Belastung der Gebühr erfolgt monatlich nachträglich zulasten des jeweiligen Kontos.
[…]
¹6 Für Verträge mit Abschlussdatum vor dem 01.08.2020 erfolgt die Bepreisung ab Unterzeichnung der individuellen Zusatzvereinbarung.
¹7 Bepreisung erfolgt auf den übersteigenden Betrag."

Sie bietet Verbrauchern unter der Bezeichnung "SpardaCash" und "SpardaCash Online" außerdem Tagesgeldkonten an. In ihrem Preis- und Leistungsverzeichnis heißt es hierzu wie folgt:
"SpardaCash – Verträge ab 01.08.2020¹6
Ein SpardaCash¹8
Einlagen bis50.000,00 EUR0,00 % p.a.
Einlagen über¹7 50.000,00 EUR0,50 % p.a.
Jedes weitere SpardaCash¹8
Einlagen über¹7 0,00 EUR0,50 % p.a.
SpardaCash Online – Verträge ab 01.08.2020¹6
Ein SpardaCash Online¹8
Einlagen bis50.000,00 EUR0,00 % p.a.
Einlagen über¹7 50.000,00 EUR0,50 % p.a.
Jedes weitere SpardaCash Online¹8
Einlagen über¹7 0,00 EUR0,50 % p.a.

Die Berechnung erfolgt taggenau. Die Belastung der Gebühr erfolgt monatlich nachträglich zulasten des jeweiligen Kontos.
[…]
¹6 Für Verträge mit Abschlussdatum vor dem 01.08.2020 erfolgt die Bepreisung ab Unterzeichnung der individuellen Zusatzvereinbarung.
¹7 Bepreisung erfolgt auf den übersteigenden Betrag.
¹8 Erstes bestehendes Konto gemäß Eröffnungsdatum je Kundenstamm; bei gleichem Eröffnungsdatum ist die niedrigere Kontonummer entscheidend."

In dem Kapitel über die Erbringung von Zahlungsdiensten für Privatkunden ihres Preis- und Leistungsverzeichnisses verwendet die Beklagte außerdem folgende Klauseln:
"4.4Kartengestützter Zahlungsverkehr
4.4.1Debitkarten
4.4.1.1BankCard
[…] - Ersatzkarte²8 12,00 EUR
- Ersatz-PIN²8 auf Wunsch des Kunden 5,00 EUR
[…]
²8 Wird nur berechnet, wenn der Kunde die Umstände, die zum Ersatz der Karte/PIN geführt haben, zu vertreten hat und die Bank nicht zur Ausstellung einer Ersatzkarte/Ersatz-PIN verpflichtet ist."

Die in dem Verfahren XI ZR 183/23 beklagte Bank verwendete in den Jahren 2020 bis 2022 in ihrem Preis- und Leistungsverzeichnis im Kapitel über den Geschäftsverkehr mit Verbrauchern unter den Überschriften "Sichteinlagen" und "Spareinlagen" jeweils folgende Klausel:

"Verwahrung von Einlagen oberhalb des Freibetrags für alle Einlagen- & Girokonten
Verwahrentgelt 0,5 % p.a."

In einer Fußnote verwies die Klausel auf das Kapitel über die Verwahrung von Einlagen für alle Kunden, in dem für verschiedene Zeiträume Freibeträge in Höhe von 50.000 €, 100.000 € und 250.000 € genannt waren.

Der Preisaushang der Beklagten, in dem die Konditionen für Spar-, Tagesgeld- und Girokonten wiedergegeben sind, enthielt folgende Klauseln:
"Verwahrentgelt für die Verwahrung von Einlagen auf allen Einlagen- & Girokonten
- für ab dem 01.07.2020 bis einschließlich 30.09.2020
neu eingerichtete Kundennummern oberhalb Freibetrag von 250.000,00 € 0,5 % p.a.
- für ab dem 01.10.2020 bis einschließlich 09.05.2021 neu eingerichtete Kundennummern oberhalb Freibetrag von 100.000,00 € 0,5 % p.a.
- für ab dem 10.05.2021 neu eingerichtete Kundennummern oberhalb Freibetrag von 50.000,00 € 0,5 % p.a."

Mit Bestandskunden vereinbarte die Beklagte ab Anfang des Jahres 2021 die Zahlung eines "Guthabenentgelts" für auf Euro lautende Einlagen. In diesen Vereinbarungen hieß es u.a. wie folgt:

"1. Die [Bank] erhebt ab dem […] für die auf Euro lautenden Einlagen (inklusive Spareinlagen) auf den Konten des Kunden, die unter seiner Kundennummer […] gegenwärtig und zukünftig geführt werden (im folgenden "Kundenkonten") ein monatliches Guthabenentgelt.

[…]
3. […] Dieser Kostensatz entspricht dem von der Europäischen Zentralbank (EZB) für die Einlagenfazilität im jeweiligen Berechnungsmonat festgelegten Zinssatz (aktuell 0,50 % p.a.)."

Die Kläger in den vier Verfahren halten die vorbezeichneten Klauseln für unwirksam, da sie die Verbraucher entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligten. Sie nehmen die Beklagten jeweils darauf in Anspruch, es zu unterlassen, diese oder inhaltsgleiche Klauseln gegenüber Verbrauchern zu verwenden.

Die Kläger in den Verfahren XI ZR 65/23 und XI ZR 161/23 begehren darüber hinaus von der jeweiligen Beklagten als Folgenbeseitigung die Rückzahlung der auf der Grundlage der Verwahrentgeltklauseln vereinnahmten Entgelte an die betroffenen Verbraucher und Auskunft über deren Vornamen, Zunamen und Anschriften. Der Kläger in dem Verfahren XI ZR 183/23 begehrt als Folgenbeseitigung ebenfalls Auskunft über die betroffenen Verbraucher und die Versendung eines von ihm formulierten Berichtigungsschreibens durch die Beklagte an diese Verbraucher.

Die Berufungsgerichte in den Verfahren XI ZR 61/23 und XI ZR 65/23 haben die Klage jeweils abgewiesen, weil die Klauseln über das Verwahrentgelt eine von der Beklagten erbrachte Hauptleistung aus dem Girovertrag bepreisten und daher keiner AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle unterlägen.

Auch das Berufungsgericht in dem Verfahren XI ZR 161/23 hat die Klage betreffend die Klauseln über das Verwahrentgelt mit der Begründung abgewiesen, mit den Klauseln werde eine von der Beklagten erbrachte Hauptleistung aus dem Girovertrag bzw. aus dem Vertrag über das Tagesgeldkonto bepreist, so dass die Klauseln keiner AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle unterlägen. Die Klauseln, mit denen die Bank für die Ausstellung einer Ersatz-BankCard bzw. einer Ersatz-PIN ein Entgelt verlange, seien demgegenüber unwirksam, weil sie gegen das Transparenzgebot verstießen.

Das Berufungsgericht in dem Verfahren XI ZR 183/23 hat die Klage ebenfalls abgewiesen. Bei der Vereinbarung über das von Neukunden auf Spareinlagen zu entrichtende Verwahrentgelt handele es sich um eine die Hauptleistung betreffende Preisabrede, die keiner AGB-rechtlichen Kontrolle unterliege. Die Regelungen über das Verwahrentgelt im Preis- und Leistungsverzeichnis sowie im Preisaushang hätten nur für Neukunden, nicht hingegen für Bestandskunden gegolten.

Das mit Bestandskunden vereinbarte "Guthabenentgelt" stelle ebenfalls eine Preishaupt-abrede dar und unterliege nicht der Inhaltskontrolle. Es handele sich um ein Entgelt für die einseitige Verpflichtung der Bank, das Sparguthaben sicher zu verwahren und dem Sparer den gleichen Betrag zurückzugewähren.

Die Kläger in den Verfahren XI ZR 61/23, XI ZR 65/23 und XI ZR 183/23 verfolgen mit ihrer jeweils vom Berufungsgericht zugelassenen Revision ihre Klageanträge weiter. In dem Verfahren XI ZR 161/23 verfolgt der Kläger mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision seine Klageanträge weiter, soweit das Berufungsgericht die Klage abgewiesen hat. Die Beklagte verfolgt mit der Revision ihren Klageabweisungs-antrag weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in den Verfahren XI ZR 61/23, XI ZR 65/23 und XI ZR 161/23 entschieden, dass mit dem Verwahrentgelt eine Hauptleistung aus dem Girovertrag bepreist wird und die in Giroverträgen vereinbarten Klauseln über Verwahrentgelte damit zwar keiner AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle unterliegen, die Klauseln aber gegen das sich gemäß § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB auch auf das Hauptleistungsversprechen erstreckende Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstoßen und damit gegenüber Verbrauchern unwirksam sind.

Giroverträge sind typengemischte Verträge, bei denen die von der Bank erbrachten Leistungen Elemente des Zahlungsdiensterechts, des Darlehnsrechts und der unregelmäßigen Verwahrung aufweisen können. Eine unregelmäßige Verwahrung nach § 700 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. §§ 488 ff. BGB liegt vor, wenn auf dem Girokonto ein Guthaben vorhanden ist.


Die Verwahrung von Guthaben auf Girokonten stellt neben der Erbringung von Zahlungsdiensten eine den Girovertrag prägende Leistung und damit eine Hauptleistung aus dem Girovertrag dar. Wie die in der Vergangenheit nicht unübliche Vertragspraxis der Banken, auf Girokonten bestehende Guthaben geringfügig zu verzinsen, belegt, dient das Guthaben auf Girokonten nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien zudem nicht ausschließlich der Teilnahme am Zahlungsverkehr.

Die Kreditwirtschaft kann mit dem sogenannten "Bodensatz" der Guthaben wirtschaften, die sie auf Girokonten verwahrt. 10% dieser Guthaben können von der Bankwirtschaft nach dem Aufsichtsrecht für die Unterlegung von Risiken im Aktivgeschäft verwendet werden. Die Kunden haben ebenfalls ein Interesse an der Nutzung der Girokonten als "Verwahrstelle" für ihr Geld. Sie können ihr Bargeld mithilfe des Girokontos sicher aufbewahren und Guthaben auf Girokonten belassen, ohne sich um eine Weiterverwendung kümmern zu müssen.

Darüber hinaus sind Gutschriften auf Girokonten als Sichteinlagen durch die gesetzlichen Einlagensicherungssysteme geschützt und für Kunden jederzeit verfügbar. Diese Gesichtspunkte rechtfertigen es bei einer Gesamtschau, die Verwahrung von Guthaben auf Girokonten als von der Bank im Rahmen des Girovertrags erbrachte Hauptleistung anzusehen. Aus den Regelungen der § 700 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB ergibt sich weiter, dass ein Verwahrentgelt keine gesetzlich nicht vorgesehene Gegenleistung des Kunden darstellt.

Die Verwahrentgeltklauseln in Giroverträgen in den Verfahren XI ZR 61/23, XI ZR 65/23 und XI ZR 161/23 sind allerdings intransparent und aus diesem Grund unwirksam. Sie sind hinsichtlich der Höhe des Verwahrentgelts nicht bestimmt genug, so dass Verbraucher ihre mit den Klauseln verbundenen wirtschaftlichen Belastungen nicht hinreichend erkennen können.

Die Klauseln informieren nicht hinreichend genau darüber, auf welches Guthaben sich das Verwahrentgelt in Höhe von 0,7% p.a. (so im Verfahren XI ZR 61/23) bzw. in Höhe von 0,5% p.a. (so in den Verfahren XI ZR 65/23 und XI ZR 161/23) bezieht. Die auf Girokonten bestehenden Guthaben können sich infolge der Verbuchung von Gutschriften und Belastungen innerhalb eines Tages mehrfach ändern.

Die in den Klauseln verwendeten Formulierungen lassen allerdings offen, welcher konkrete Guthabenstand auf den Girokonten für die Berechnung des Verwahrentgelts jeweils maßgebend sein soll. Unklar ist dabei vor allem, ob die Berechnung des Verwahrentgelts taggenau erfolgen soll und bis zu welchem Zeitpunkt Tagesumsätze auf den Girokonten bei der Berechnung des maßgebenden Guthabensaldos berücksichtigt werden sollen.

Die Klauseln über Verwahrentgelte für Einlagen auf Tagesgeldkonten (XI ZR 161/23) und für Spareinlagen (XI ZR 183/23) unterliegen demgegenüber einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle, weil sie die von der Bank geschuldete Hauptleistung abweichend von der nach Treu und Glauben geschuldeten Leistung verändern.

Sie halten der Inhaltskontrolle nicht stand, weil sie von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweichen und die Verbraucher entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB). Einlagen auf Tagesgeldkonten und Sparkonten dienen nicht nur der sicheren Verwahrung von Geldern, sondern darüber hinaus auch Anlage- und Sparzwecken.

Gelder auf Tagesgeldkonten werden in der Regel in Höhe der Marktzinsen am Geldmarkt variabel verzinst. Dementsprechend hat die Beklagte in dem Verfahren XI ZR 161/23 die von ihr angebotenen Tagesgeldkonten unter der Rubrik "Anlegen und Sparen" damit beworben, dass täglich über die Gelder verfügt werden könne und diese mit einer "attraktiven" Rendite angelegt würden.

Mit der Erhebung eines laufzeitabhängigen Verwahrentgelts in Höhe von 0,5% p.a. verlieren die Tagesgeldkonten allerdings gänzlich ihren Spar- und Anlagezweck. Denn bei einer gleichzeitigen Verzinsung der Einlage mit 0,001% p.a. reduziert sich das auf den Tagesgeldkonten eingelegte Kapital täglich, bis die Einlage den in den Klauseln genannten Freibetrag von 50.000 € erreicht. Hierdurch wird der Charakter des Vertrags über ein Tagesgeldkonto nach Treu und Glauben verändert.

Zweck von Spareinlagen ist es, das Vermögen von natürlichen Personen mittel- bis langfristig aufzubauen und durch Zinsen vor Inflation zu schützen. Dieser Charakter des Sparvertrags wird durch die Erhebung eines Verwahr- oder eines Guthabenentgelts entgegen den Geboten von Treu und Glauben verändert, da das laufzeitabhängige Verwahr- oder Guthabenentgelt mit dem den Sparvertrag kennzeichnenden Kapitalerhalt nicht zu vereinbaren ist.

Denn auch das Verwahr- bzw. Guthabenentgelt in dem Verfahren XI ZR 183/23 führt dazu, dass die Höhe der Spareinlagen fortlaufend bis zu dem vereinbarten Freibetrag sinkt. Die Erhebung des Verwahrentgelts reduziert die auf die Sparverträge eingezahlten Spareinlagen, was von dem Vertragszweck "Kapitalerhalt und Sparen" abweicht, nach dem das eingezahlte Kapital mindestens zu erhalten ist.

Diese Abweichung stellt eine unangemessene Benachteiligung der Verbraucher dar. Soweit Kreditinstitute im Euroraum im Zeitraum vom 11. Juni 2014 bis 26. Juli 2022 auf bestimmte Einlagen, die sie bei ihrer nationalen Zentralbank unterhielten, "negative Zinsen" zu zahlen hatten, rechtfertigt dies nicht, die vertraglich berechtigten Erwartungen von Verbrauchern, ihre auf Tagesgeld- und auf Sparkonten verbuchten Einlagen mindestens zu erhalten, durch die Einführung eines Verwahr- oder Guthabenentgelts zu enttäuschen, das die Einlage bis zu einem Freibetrag fortlaufend reduziert.

Soweit die klagenden Verbraucherschutzverbände in den Verfahren XI ZR 65/23 und XI ZR 161/23 von der jeweiligen Beklagten als Folgenbeseitigung die Rückzahlung der auf der Grundlage der unwirksamen Verwahrentgeltklauseln vereinnahmten Entgelte an die betroffenen Verbraucher und Auskunft über deren Vornamen, Zunamen und Anschriften verlangen, hat der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Klage abgewiesen.

Wie der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit Urteil vom 11. September 2024 (I ZR 168/23) bereits entschieden hat, ist eine solche Klage hinsichtlich des Zahlungsbegehrens bereits unzulässig, weil der Kläger mit seinem Antrag die Kunden der Beklagten nicht individualisiert, an die die Rückzahlung erfolgen soll, so dass es an der nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erforderlichen Bestimmtheit des Klageantrags fehlt.

Die begehrte Auskunft können die Kläger nicht beanspruchen, weil einem Verbraucherschutzverband im Rahmen eines Klageverfahrens nach dem Unterlassungsklagengesetz kein Beseitigungsanspruch auf Rückzahlung rechtsgrundlos vereinnahmter Entgelte an die betroffenen Verbraucher gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UWG unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs gemäß §§ 3, 3a UWG i.V.m. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB zusteht, so dass auch der insoweit als Hilfsanspruch anzusehende Auskunftsanspruch nicht besteht.

Soweit der Kläger in dem Verfahren XI ZR 183/23 als Folgenbeseitigung Auskunft über die betroffenen Verbraucher und die Versendung eines von ihm formulierten Berichtigungsschreibens durch die Beklagte an die betroffenen Verbraucher verlangt, hat der XI. Zivilsenat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

In dem Verfahren XI ZR 161/23 hat der XI. Zivilsenat schließlich entschieden, dass die Klauseln zu einem Entgelt für die Ausstellung einer Ersatz-BankCard bzw. einer Ersatz-PIN unwirksam sind, da sie gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstoßen. Der Verbraucher kann nicht hinreichend erkennen, in welchen Fällen die Beklagte zur Ausstellung einer Ersatzkarte bzw. einer Ersatz-PIN verpflichtet ist, und damit nicht, ob er das Entgelt von 12 € bzw. 5 € tatsächlich zahlen muss.

Der durchschnittliche, rechtlich nicht gebildete, verständige Verbraucher erkennt zwar, dass er nach den Klauseln nur dann zur Zahlung verpflichtet sein soll, wenn weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Verpflichtung der Bank zur Ausstellung einer Ersatzkarte bzw. einer Ersatz-PIN besteht.

In den Klauseln fehlt aber jegliche Konkretisierung, wann eine solche Verpflichtung der Bank besteht. Ausführungen über die typischen Fälle, in denen der Verbraucher eine Ersatzkarte bzw. eine Ersatz-PIN benötigt (Verlust, Diebstahl und Missbrauch), enthalten die Klauseln nicht. Die Entgeltklauseln versetzen den Verbraucher damit nicht in die Lage, die Reichweite der beabsichtigten Entgeltpflicht in seinem praktischen Geltungsbereich zu bestimmen.

Vorinstanzen:
XI ZR 61/23
Landgericht Leipzig - Urteil vom 8 Juli 2021 - 5 O 640/20
Oberlandesgericht Dresden - Urteil vom 30. März 2023 - 8 U 1389/21
und XI ZR 65/23
Landgericht Düsseldorf - Urteil vom 22. Dezember 2021 - 12 O 34/21
Oberlandesgericht Düsseldorf - Urteil vom 30. März 2023 - 20 U 16/22
und XI ZR 161/23
Landgericht Berlin - Urteil vom 28. Oktober 2021 - 16 O 43/21
Kammergericht Berlin - Urteil vom 9. August 2023 - 26 U 129/21
und XI ZR 183/23
Landgericht Frankfurt am Main - Urteil vom 18. November 2022 - 2-25 O 228/21
Oberlandesgericht Frankfurt am Main - Urteil vom 5. Oktober 2023 - 3 U 286/22
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
§ 307 BGB
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
[…]
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.

§ 488 Abs. 1 Satz 2 BGB
(1) […]. Der Darlehensnehmer ist verpflichtet, einen geschuldeten Zins zu zahlen und bei Fälligkeit das zur Verfügung gestellte Darlehen zurückzuzahlen.

§ 700 Abs. 1 Satz 1 BGB
(1) Werden vertretbare Sachen in der Art hinterlegt, dass das Eigentum auf den Verwahrer übergehen und dieser verpflichtet sein soll, Sachen von gleicher Art, Güte und Menge zurückzugewähren, so finden bei Geld die Vorschriften über den Darlehensvertrag, bei anderen Sachen die Vorschriften über den Sachdarlehensvertrag Anwendung. Gestattet der Hinterleger dem Verwahrer, hinterlegte vertretbare Sachen zu verbrauchen, so finden bei Geld die Vorschriften über den Darlehensvertrag, bei anderen Sachen die Vorschriften über den Sachdarlehensvertrag von dem Zeitpunkt an Anwendung, in welchem der Verwahrer sich die Sachen aneignet. […].

§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO
(2) Die Klageschrift muss enthalten:
1. […]
2. die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs, sowie einen bestimmten Antrag.
§ 3 UWG
(1) Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig.

(2) Geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, sind unlauter, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen.

(3) Die im Anhang dieses Gesetzes aufgeführten geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern sind stets unzulässig.

(4) Bei der Beurteilung von geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern ist auf den durchschnittlichen Verbraucher oder, wenn sich die geschäftliche Handlung an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, auf ein durchschnittliches Mitglied dieser Gruppe abzustellen. Geschäftliche Handlungen, die für den Unternehmer vorhersehbar das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die auf Grund von geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese geschäftlichen Handlungen oder die diesen zugrunde liegenden Waren oder Dienstleistungen besonders schutzbedürftig sind, sind aus der Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe zu beurteilen.

§ 3a UWG
Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

§ 8 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UWG
Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung […] in Anspruch genommen werden.


Fünftes Organstreitverfahren wegen Änderung des Kommunalwahlgesetzes eingegangen

Münster, 4. Februar 2025 - Verfassungsgerichtshof: Die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative, Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V., hat am 30. Januar 2025 ein Organstreitverfahren gegen den Landtag Nordrhein-Westfalen wegen der Änderung des Kommunalwahlgesetzes hinsichtlich des Sitzverteilungsverfahrens eingeleitet.

Die Ersetzung des bisher bei Kommunalwahlen angewendeten Sitzungsverteilungsverfahrens nach Sainte-Laguë durch ein Quotenverfahren mit prozentualem Restausgleich verletze sie in ihren Rechten auf Chancengleichheit als politische Partei und auf Gleichheit der Wahl. VerfGH 7/25



Januar 2025

Unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen Abkühlungsphase beim Abschluss von Restschuldversicherungen zu Allgemein-Verbraucherdarlehen
Karlsruhe,  29. Januar 2025 - Beschluss vom 20. Dezember 2024 - 1 BvR 1779/24
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde von 22 Unternehmen der Versicherungswirtschaft nicht zur Entscheidung angenommen.

Die Beschwerdeführerinnen wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen eine Änderung von § 7a Abs. 5 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG), mit der beim Abschluss von Restschuldversicherungen zu Allgemein-Verbraucherdarlehen eine sogenannte Abkühlungsphase eingeführt wird.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da sie unter anderem den Grundsatz der Subsidiarität nicht wahrt. Die Beschwerdeführerinnen hätten zunächst den Rechtsweg vor den Fachgerichten beschreiten müssen.

Sachverhalt:
Die 22 Beschwerdeführerinnen, die als Versicherer oder Versicherungsnehmer Restschuldversicherungen als Einzel- oder Gruppenversicherungen abschließen oder diese vermitteln, wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen den zum 1. Januar 2025 in Kraft getretenen Art. 32 Nr. 2 des Gesetzes zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen (Zukunftsfinanzierungsgesetz – ZuFinG).

Dieser ändert § 7a Abs. 5 VVG dahin, dass der Abschluss von Restschuldversicherungsverträgen zu Allgemein-Verbraucherdarlehen erst eine Woche nach Abschluss des Verbraucherdarlehensvertrags zulässig ist (Abkühlungsphase).

Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da sie unzulässig ist.

I. Die Verfassungsbeschwerde der in- und ausländischen Versicherungsunternehmen wahrt nicht den Grundsatz der Subsidiarität.

1. Es ist den beschwerdeführenden Versicherungsunternehmen zuzumuten, eine verbindliche Auskunft in Gestalt einer Weisung der Aufsichtsbehörde darüber einzuholen, ob sie § 7a Abs. 5 VVG n.F. ab dem 1. Januar 2025 anzuwenden haben und ob die Vorschrift auch über den 20. November 2026 hinaus anzuwenden ist. Die Beschwerdeführerinnen haben nicht dargelegt, dass das Anrufen der Aufsichtsbehörde und gegebenenfalls der Fachgerichte erkennbar aussichtslos wäre.

Sie rügen, § 7a Abs. 5 VVG n.F. sei nicht anwendbar, weil die Vorschrift gegen sekundäres Unionsrecht verstoße. Zur Klärung dieser Frage hätte zunächst eine aufsichtliche Weisung eingeholt und bei Bejahung der Anwendbarkeit der fachgerichtliche Rechtsweg beschritten werden müssen. Denn es ist vornehmlich Aufgabe der Fachgerichte, entscheidungserhebliche unionsrechtliche Fragen aufzuarbeiten und zu prüfen, ob eine Normenkollision mit unionsrechtlichem Fachrecht besteht. Es ist noch nicht geklärt, ob die nach Art. 14 der ab 20. November 2026 anzuwendenden Richtlinie (EU) 2023/2225 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Oktober 2023 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 2008/48/EG eröffnete Zulässigkeit von Bündelungsgeschäften und die Möglichkeit des Verzichts auf Einhaltung der unionsrechtlich vorgesehenen Abkühlungsphase von „mindestens drei Tagen“ der in § 7a Abs. 5 VVG n.F.geregelten Abkühlungsphase entgegensteht. Auch bei der Auslegung des § 7a Abs. 5 VVG n.F. stellen sich fachrechtliche Auslegungsfragen.

2. Eine Unzumutbarkeit kann sich auch nicht (mehr) daraus ergeben, dass die Normadressaten zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen gezwungen sind. Die Beschwerdeführerinnen haben nach ihrem Vorbringen bereits seit Anfang 2024 umfangreiche Vorbereitungen getroffen, um die angegriffene Vorschrift ab 1. Januar 2025 einzuhalten. Soweit sie eine erneute Umstellung ihrer Vertragsabschlusspraxis ab Ablauf der Umsetzungsfrist am 20. November 2026 besorgen, tragen sie selbst vor, dass ihre bisherigen Dispositionen umkehrbar sind und folglich in Zukunft korrigiert werden können.

II. Die Verfassungsbeschwerde ist auch im Hinblick auf die Beschwerdeführerinnen unzulässig, die als Versicherungsnehmerin von Gruppenversicherungsverträgen („Gruppenspitze“) beziehungsweise als Vermittlerin von Beitritten zu diesen Gruppenversicherungsverträgen nicht der Versicherungsaufsicht unterliegen.

1. Sie haben nicht dargelegt, dass ihnen die vorherige Anrufung der Fachgerichte unzumutbar wäre und ihre Verfassungsbeschwerde dem Subsidiaritätsgrundsatz genügt. Mit der Möglichkeit einer negativen Feststellungsklage vor den Verwaltungsgerichten nach § 43 der Verwaltungsgerichtsordnung setzen sie sich nicht auseinander. Auf Grundlage des Vorbringens in der Verfassungsbeschwerde lässt sich auch nicht beurteilen, ob den Beschwerdeführerinnen die Erhebung einer Leistungsklage oder einer (negativen) Feststellungsklage vor den Zivilgerichten möglich und zumutbar ist.

2. Die Verfassungsbeschwerdeschrift verhält sich im Übrigen nicht zu der Frage, ob diese Beschwerdeführerinnen selbst von § 7a Abs. 5 Satz 1 VVG n.F. betroffen sind. Die Annahme, dass § 7a Abs. 5 Satz 3 VVG n.F. dahin auszulegen ist, dass der Beitritt zum Gruppenversicherungsvertrag nur unter den Voraussetzungen des § 7a Abs. 5 Satz 1 VVG n.F. zulässig ist, ist jedenfalls nicht zwingend. Mit der Auslegung dieser Vorschrift setzen sich die Beschwerdeführerinnen jedoch nicht auseinander.



Bundesgerichtshof entscheidet zu den Folgen eines Reiserücktritts wegen Covid 19
- Urteile vom 28. Januar 2025 - X ZR 53/21, X ZR 3/22, X ZR 55/22

Karlsruhe, 28. Januar 2025 - Der unter anderem für das Pauschalreiserecht zuständige X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute auf der Grundlage einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union entschieden, welche Umstände für die Beurteilung der Frage maßgeblich sind, ob ein Reisender, der vor Beginn der Reise vom Vertrag zurückgetreten ist, von der Zahlung einer Entschädigung an den Reiseveranstalter gemäß § 651h Abs. 3 BGB befreit ist.

Sachverhalt:
Im Verfahren X ZR 53/21 buchte der Kläger bei der Beklagten im Januar 2020 eine Reise nach Japan im Zeitraum vom 3. bis 12. April 2020 zu einem Gesamtpreis von 6.148 Euro. Im Februar 2020 beschloss die japanische Regierung unter anderem, für die kommenden Wochen sämtliche Großveranstaltungen abzusagen und alle Schulen bis mindestens Anfang April zu schließen.

Der Kläger trat am 1. März 2020 von der Reise zurück. Die Beklagte berechnete Stornokosten in Höhe von insgesamt 1.537 Euro (25 % des Reisepreises), die der Kläger bezahlte. Am 26. März 2020 erging für Japan ein Einreiseverbot. Der Kläger verlangte daraufhin die Rückzahlung des geleisteten Betrags.

Im Verfahren X ZR 3/22 buchte der Kläger eine Ostseekreuzfahrt im Zeitraum vom 22. bis 29. August 2020 für 8.305,10 Euro. Am 31. März 2020 trat er von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der von ihm geleisteten Anzahlung in Höhe von 3.194 Euro. Die Kreuzfahrt wurde von der Beklagten am 10. Juli 2020 abgesagt.

Im Verfahren X ZR 55/22 buchten die Kläger im Juni 2019 eine Pauschalreise nach Mallorca vom 16. bis 30. Mai 2020 für 1.753 Euro und im Juli 2019 eine Flusskreuzfahrt "Wolga-Wunder und Zarenzauber" vom 5. bis 15. September 2020 für 2.376 Euro. Am 14. April 2020 traten sie telefonisch von beiden Reisen zurück. Die Beklagte behielt die geleisteten Anzahlungen in Höhe von insgesamt 650 Euro ein und verlangte zusätzlich 548,50 Euro als Entschädigungspauschale. Beide Reisen konnten wegen der Pandemie nicht stattfinden.

Bisheriger Prozessverlauf:
Im ersten Verfahren hat das Amtsgericht die Beklagte antragsgemäß zur Rückzahlung von 1.537 Euro nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 255,85 Euro verurteilt.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht den zu zahlenden Betrag auf 14,50 Euro zuzüglich vorgerichtlicher Kosten in Höhe von 83,54 Euro reduziert und die weitergehende Klage abgewiesen. Zu Begründung hat es ausgeführt, im Zeitpunkt des Rücktritts habe man noch nicht vom Vorliegen unvermeidbarer außergewöhnlicher Umstände ausgehen können, die gemäß § 651h Abs. 3 BGB zu einem Ausschluss des Entschädigungsanspruchs führen. Das Einreiseverbot dürfe nicht berücksichtigt werden, weil es erst nach dem Rücktritt erlassen worden sei.

Der Bundesgerichtshof hat dieses Verfahren mit Beschluss vom 2. August 2022 (RRa 2022, 278) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage vorgelegt, ob nur diejenigen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände maßgeblich sind, die im Zeitpunkt des Rücktritts bereits aufgetreten sind, oder ob auch Umstände zu berücksichtigen sind, die nach dem Rücktritt, aber noch vor dem geplanten Beginn der Reise tatsächlich aufgetreten sind (s. Pressemitteilung Nr. 118/2022).

Im zweiten Verfahren hatte die Klage in den beiden Vorinstanzen Erfolg. Amts- und Landgericht haben offengelassen, ob die Voraussetzungen von § 651h Abs. 3 BGB bereits im Zeitpunkt des Rücktritts vorlagen, und einen Rückzahlungsanspruch schon aufgrund der später erfolgten Absage der Reise bejaht.

Dieses Verfahren hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 30. August 2022 in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO bis zur Entscheidung des EuGH im ersten Verfahren ausgesetzt (s. Pressemitteilung Nr. 128/22).

Im dritten Verfahren waren die Kläger ebenfalls in den beiden Vorinstanzen erfolgreich. Auch in diesem Verfahren hatten Amts- und Landgericht offengelassen, ob die Voraussetzungen von § 651h Abs. 3 BGB schon im Zeitpunkt des Rücktritts vorlagen.

Der EuGH hat mit Urteil vom 29. Februar 2024 (C-584/22, RRa 2024, 62 - Kiwi Tours) entschieden, dass nach der für die unionsrechtliche Beurteilung maßgeblichen Regelung in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 (Pauschalreiserichtlinie) nur die Situation zu berücksichtigen ist, die im Zeitpunkt des Rücktritts bestand.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der X. Zivilsenat hat nunmehr in allen drei Fällen das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Aufgrund der Vorabentscheidung des EuGH dürfen weder das Einreiseverbot noch die Absage der Reise bei der Beurteilung berücksichtigt werden, weil diese Ereignisse erst nach dem Zeitpunkt des Rücktritts stattgefunden haben.

In allen drei Verfahren hat das Landgericht nach der Zurückverweisung die Frage zu beurteilen, ob bereits im Zeitpunkt des Rücktritts die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB bestand. Der Bundesgerichtshof kann über diese Frage nicht abschließend entscheiden, weil es an hierfür maßgeblichen tatrichterlichen Feststellungen fehlt.

Im zweiten und im dritten Verfahren hat das Landgericht diese nunmehr entscheidungserhebliche Frage - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - nicht behandelt.

Im ersten Verfahren ist das Landgericht zwar zu dem Ergebnis gelangt, im Zeitpunkt des Rücktritts sei noch nicht vom Vorliegen unvermeidbarer außergewöhnlicher Umstände auszugehen gewesen. Wie der Bundesgerichtshof bereits in seiner Vorlageentscheidung vom 2. August 2022 ausgeführt hat, ist diese Beurteilung jedoch rechtsfehlerhaft.

Die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung darf nicht allein deshalb verneint werden, weil es im Zeitpunkt des Rücktritts noch nicht zu einer erheblichen Zahl von Infektionen in Japan gekommen war und die dort getroffenen Maßnahmen vor allem der Verhinderung von Infektionen gedient haben. Das Berufungsgericht hätte sich vielmehr mit der Frage befassen müssen, ob die ungewöhnliche Art und Anzahl dieser Maßnahmen schon damals hinreichende Anhaltspunkte dafür begründeten, dass eine erhebliche Infektionsgefahr bestand, und nicht sicher war, ob die getroffenen Maßnahmen ausreichen würden, um diese Gefahr abzuwenden. Diese Frage wird es nach der Zurückverweisung zu klären haben.

Im dritten Verfahren hat der Bundesgerichtshof ergänzend entschieden, dass die Kläger nicht schon dann zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet sind, wenn sie zunächst keine Gründe für ihren Rücktritt angegeben haben. Maßgeblich ist allein, ob im Zeitpunkt des Rücktritts tatsächlich unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände vorgelegen haben, die die Durchführung der Reise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.
Vorinstanzen X ZR 53/21:
Amtsgericht München - Urteil vom 8. Dezember 2020 - 243 C 10984/20
Landgericht München I - Urteil vom 22. Juni 2021 - 13 S 669/21
und X ZR 3/22:
Amtsgericht Hersbruck - Urteil vom 21. Mai 2021 - 1 C 804/20
Landgericht Nürnberg-Fürth - Urteil vom 17. Dezember 2021 - 5 S 3127/20
und X ZR 55/22:
Amtsgericht Frankfurt am Main - Außenstelle Höchst - Urteil vom 5. November 2021 - 385 C 459/20 (70)
Landgericht Frankfurt am Main - Urteil vom 28. April 2022 - 2 - 24 S 240/21
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
§ 651h BGB - Rücktritt vor Reisebeginn
(1) Vor Reisebeginn kann der Reisende jederzeit vom Vertrag zurücktreten. Tritt der Reisende vom Vertrag zurück, verliert der Reiseveranstalter den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis. Der Reiseveranstalter kann jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen.

(2) …
(3) Abweichend von Absatz 1 Satz 3 kann der Reiseveranstalter keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Umstände sind unvermeidbar und außergewöhnlich im Sinne dieses Untertitels, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären.

Artikel 12 Pauschalreiserichtlinie - Beendigung des Pauschalreisevertrags und Recht zum Widerruf vor Beginn der Pauschalreise

(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Reisende vor Beginn der Pauschalreise jederzeit vom Pauschalreisevertrag zurücktreten kann. Tritt der Reisende gemäß diesem Absatz vom Pauschalreisevertrag zurück, so kann der Reiseveranstalter die Zahlung einer angemessenen und vertretbaren Rücktrittsgebühr verlangen. …

(2) Ungeachtet des Absatzes 1 hat der Reisende das Recht, vor Beginn der Pauschalreise ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Pauschalreisevertrag zurückzutreten, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.

Im Fall des Rücktritts vom Pauschalreisevertrag gemäß diesem Absatz hat der Reisende Anspruch auf volle Erstattung aller für die Pauschalreise getätigten Zahlungen, jedoch auf keine zusätzliche Entschädigung.


Letzte Klageverfahren in Sachen CO-Pipeline ebenfalls erfolglos
Oberverwaltungsgericht Münster, 27. Januar 2025 - Die letzten beiden noch anhängigen, von der Stadt Hilden betriebenen Klageverfahren gegen den Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Düsseldorf, mit dem diese die Errichtung und den Betrieb einer Rohrfernleitungsanlage zum Transport von gasförmigem Kohlenmonoxid (CO) von Köln-Worringen nach Krefeld-Uerdingen zugelassen hatte, sind durch Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts vom 24.01.2025 nun rechtskräftig abgeschlossen.


Damit sind sämtliche Verfahren in Sachen CO-Pipeline erfolglos geblieben. Die CO-Pipeline soll die linksrheinisch gelegenen Chemieparks der früheren Bayer Material Science AG, nunmehr Covestro Deutschland AG, in Krefeld-Uerdingen und Dormagen verbinden, ist etwa 67 km lang und verläuft überwiegend rechtsrheinisch. Die Errichtung und den Betrieb dieser Pipeline hatte die Bezirksregierung Düsseldorf mit Planfeststellungsbeschluss vom 14.02. 2007, der in der Folgezeit mehrfach geändert wurde, zugelassen.


Das Oberverwaltungsgericht hatte durch Urteil vom 31.08. 2020 in einem Leitverfahren, das durch vier Privatkläger geführt worden war, die Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss einschließlich der bis dahin erteilten Änderungsgenehmigungen abgewiesen.


Dieses Urteil ist seit dem 14.12. 2021 rechtskräftig, nachdem das Bundesverwaltungsgericht die dagegen eingelegten Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen hatte. Die Stadt Hilden hatte in den jetzt entschiedenen Verfahren gegen zwei Planänderungsbeschlüsse vom 02.03.2009 und vom 18.08.2009 geklagt, die auch schon Gegenstand des vom Oberverwaltungsgerichts entschiedenen Verfahrens waren.


Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat mit Urteilen vom 13.06.2023 die Klagen der Stadt Hilden gegen die Planänderungsbeschlüsse abgewiesen und sich zur Begründung auf die genannte rechtskräftige Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts bezogen, in der sämtliche in diesem Verfahren in Rede stehenden rechtlichen und tatsächlichen Fragen bereits abschließend entschieden worden seien. Die hiergegen eingelegten Rechtsmittel der Stadt Hilden hatten keinen Erfolg.


Das Oberverwaltungsgericht hat mit den Beteiligten heute bekanntgegebenen Beschlüssen vom 24.01.2025 die Anträge der Stadt Hilden auf Zulassung der Berufung gegen die Urteile des Verwaltungsgerichts Düsseldorf abgelehnt. Damit sind sämtliche Verfahren in Sachen der CO-Pipeline erfolglos geblieben und nunmehr rechtskräftig abgeschlossen.
Aktenzeichen: 20 A 1371/23 und 20 A 1372/23 (I. Instanz: VG Düsseldorf 3 K 5632/09 und 3 K 6200/09)



Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Tübinger Verpackungssteuersatzung
Beschluss vom 27. November 2024 - 1 BvR 1726/23
Tübinger Verpackungssteuer

Karlsruhe, 22. Januar 2025 - Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde gegen die Satzung der Universitätsstadt Tübingen über die Erhebung einer Verpackungssteuer (Verpackungssteuersatzung) zurückgewiesen.

Mit der Verpackungssteuersatzung erhebt die Universitätsstadt Tübingen seit dem 1. Januar 2022 eine Steuer auf den Verbrauch nicht wiederverwendbarer Verpackungen sowie nicht wiederverwendbaren Geschirrs und Bestecks, sofern Speisen und Getränke darin bzw. damit für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle oder als mitnehmbares take-away-Gericht oder -Getränk verkauft werden. Zur Entrichtung der Steuer ist der Endverkäufer von entsprechenden Speisen und Getränken verpflichtet.

Die Beschwerdeführerin betrieb ein Schnellrestaurant im Gebiet der Universitätsstadt Tübingen. Gegen die Besteuerung des Verbrauchs der von ihr verwendeten Einwegartikel stellte sie einen Normenkontrollantrag, den das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 24. Mai 2023 im Wesentlichen abgelehnt hat.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Verfassungsbeschwerde blieb ohne Erfolg. Insbesondere handelt es sich bei der Verpackungssteuer auch insoweit um eine „örtliche“ Verbrauchsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 Grundgesetz (GG), als der Verbrauch von Einwegartikeln beim Verkauf von „mitnehmbaren take-away-Gerichten oder -Getränken“ besteuert wird. Der mit der Verpackungssteuersatzung bezweckte Anreiz zur Verwendung von Mehrwegsystemen widerspricht auch keiner seit ihrem Inkrafttreten maßgeblichen Konzeption des bundesrechtlichen Abfallrechts.

Sachverhalt:

Nach der am 1. Januar 2022 in Kraft getretenen Verpackungssteuersatzung erhebt die Universitätsstadt Tübingen eine Verbrauchsteuer auf nicht wiederverwendbare Verpackungen sowie nicht wiederverwendbares Geschirr und Besteck, sofern Speisen und Getränke darin bzw. damit für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle oder als mitnehmbares take-away-Gericht oder -Getränk verkauft werden. Zur Entrichtung der Steuer ist der Endverkäufer von entsprechenden Speisen und Getränken verpflichtet.

Die Beschwerdeführerin, welche ein Schnellrestaurant im Gebiet der Universitätsstadt Tübingen betrieb, stellte einen Normenkontrollantrag, auf welchen der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Verpackungssteuersatzung mit Urteil vom 29. März 2022 für unwirksam erklärte. Soweit die Steuer auf die für den Verkauf von Speisen und Getränken „als mitnehmbares take-away-Gericht oder -Getränk“ verwendeten Einwegartikel erhoben werde, fehle es an der „Örtlichkeit“ des Verbrauchs dieser Artikel im Sinne des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG und damit an der Gesetzgebungskompetenz. Dies habe die Gesamtunwirksamkeit der Satzung zur Folge.

Mit Urteil vom 24. Mai 2023 hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs abgeändert und den Normenkontrollantrag im Wesentlichen abgelehnt. Die normative Gestaltung des Steuertatbestands gewährleiste bei sachgerechtem Verständnis den verfassungsrechtlich geforderten örtlichen Bezug des Verbrauchs auch insoweit, als die Steuerpflicht an den Verkauf von Speisen und Getränken „als mitnehmbares take-away-Gericht oder -Getränk“ anknüpfe. Die Verpackungssteuer sei auch im Übrigen mit der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsausübungsfreiheit der Endverkäufer vereinbar.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Zwar greift die Erhebung der als Lenkungsteuer ausgestalteten Verpackungssteuer in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Endverkäufer ein. Dieser Eingriff ist jedoch formell und materiell verfassungsgemäß.

I. Die Universitätsstadt Tübingen kann sich für die Verpackungssteuersatzung auf die Steuergesetzgebungskompetenz der Länder für die Erhebung örtlicher Verbrauchsteuern nach Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG, § 9 Abs. 4 Kommunalabgabengesetz Baden-Württemberg berufen. Insbesondere handelt es sich bei der Verpackungssteuer um eine „örtliche“ Verbrauchsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG.

1. Nach § 1 Abs. 1 Alt. 1 Verpackungssteuersatzung knüpft die Steuerpflicht an die Abgabe von Einwegmaterial an, das beim Verkauf von Speisen und Getränken „für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle“ Verwendung findet und stellt insoweit den notwendigen Ortsbezug des Verbrauchs ohne weiteres her. Danach ist zwar nicht ausgeschlossen, dass Speisen und Getränke in atypischen Fällen bestimmungswidrig in räumlicher Entfernung vom Verkaufsort außerhalb des Gemeindegebiets verzehrt werden, solche atypischen Verhaltensweisen stellen jedoch nicht in Frage, dass mit der Tatbestandsvoraussetzung eines Verkaufs „zum Verbrauch an Ort und Stelle“ der typische Fall des örtlichen Verbrauchs erfasst ist.

2. a) Die Örtlichkeit kann auch bei Waren gegeben sein, die nicht „zum Verbrauch an Ort und Stelle“ des Verkaufs bestimmt sind, wenn der Verbrauch typischerweise im Gemeindegebiet erfolgt. Hierfür kann insbesondere die Beschaffenheit der Ware sprechen und sind die weiteren Gegebenheiten zu berücksichtigen wie etwa die Versorgungsstruktur oder die Größe der Gemeinde. Eine darauf bezogene Steuerpflicht setzt voraus, dass im Steuertatbestand diejenigen Waren benannt oder aufgrund konkreter Kriterien bestimmbar sind, die im Anschluss an den Verkauf typischerweise noch innerhalb der Grenzen der jeweiligen Gemeinde verbraucht werden; dem Normgeber kommt hierbei ein Einschätzungsspielraum zu.

b) Ausgehend davon ist die Örtlichkeit für die Anknüpfung der Steuerpflicht an die Abgabe von Einwegmaterial beim Verkauf von „mitnehmbaren take-away-Gerichten oder -Getränken“ nach § 1 Abs. 1 Alt. 2 Verpackungssteuersatzung ebenfalls gewahrt. Nach der von der Beschwerdeführerin nicht zulässig angegriffenen verfassungskonformen Auslegung durch das Bundesverwaltungsgericht ist steuerpflichtig danach nur die Abgabe des Einwegzubehörs für solche Speisen und Getränke, die in der Regel unmittelbar nach dem Erwerb verbraucht werden, weil sich ihre für die Verzehrqualität maßgebliche Temperatur, Konsistenz oder Frische schon nach kurzer Zeit nachteilig verändert. Anhand dieser Kriterien können diejenigen „mitnehmbaren take-away-Gerichte und -Getränke“ noch hinreichend sicher bestimmt werden, deren Verkauf die Besteuerung des dabei verwendeten Einwegzubehörs auslöst. Die auf den Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg beruhende, mindestens implizite Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, die Satzung bilde mit diesen Kriterien die Örtlichkeit realitätsgerecht ab, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Verwaltungsgerichtshof ist davon ausgegangen, dass der Verzehr von take-away-Gerichten und -Getränken „auf die Schnelle“ am häufigsten im Stadtgebiet erfolge. Die Beschwerdeführerin hat keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte vorgetragen, die diese Annahme erschüttern könnten.

II. Die Verpackungssteuer der Universitätsstadt Tübingen verletzt keine sich aus dem Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung oder aus dem Grundsatz der Bundestreue abzuleitenden Schranken.

1. Nach dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ist die Ausübung der Steuergesetzgebungskompetenz zur Lenkung in einem sachgesetzlich geregelten Bereich nur zulässig, wenn dadurch die Rechtsordnung nicht widersprüchlich wird.

Es kann offenbleiben, welche Reichweite oder konkrete Bedeutung dem Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung in seiner Ausprägung als Schranke für die Ausübung der Steuergesetzgebungskompetenz zur Lenkung in einem sachgesetzlich geregelten Bereich zukommt. Denn die mit der Verpackungssteuer verfolgten Lenkungszwecke stehen zu dem seit Inkrafttreten der Verpackungssteuersatzung am 1. Januar 2022 geltenden Abfallrecht des Bundes weder hinsichtlich dessen Gesamtkonzeption noch hinsichtlich konkreter Einzelregelungen in Widerspruch.

2. Der Erhebung der Verpackungssteuer steht auch nicht mit Blick auf die Erhebung der Einwegkunststoffabgabe nach der bundesgesetzlichen Regelung des § 12 Einwegkunststofffondsgesetz der Grundsatz der Bundestreue in seiner Ausprägung als Kompetenzausübungsschranke entgegen. Denn jedenfalls entzieht die Verpackungssteuer dem Einwegkunststofffonds nicht missbräuchlich die finanzielle Grundlage.

III. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die zur Erzielung von Einnahmen geeignete und erforderliche Verpackungssteuer der Universitätsstadt Tübingen die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit unzumutbar beeinträchtigt. Es gibt keine Anhaltspunkte für eine die Geschäftsaufgabe erzwingende Wirkung der Verpackungssteuer in Bezug auf durchschnittlich ertragsstarke Betriebe im Gebiet der Universitätsstadt Tübingen. Im Verfassungsbeschwerdeverfahren sind keine Anhaltspunkte für verstärkte Geschäftsaufgaben betroffener Unternehmen im Anschluss an das Inkrafttreten der Verpackungssteuersatzung vorgebracht worden.

Auch der Eingriff in die Berufsfreiheit der Endverkäufer durch ihre Indienstnahme als Zahlstelle ist verhältnismäßig. Die Indienstnahme ist geeignet und erforderlich, um die Verpackungssteuer vereinnahmen zu können. Die mildere Alternative einer nicht indirekt an den Verkauf, sondern direkt an den Verbrauch der Einwegartikel durch die Endverbraucher als dem eigentlichen Steuergegenstand anknüpfenden Steuerpflicht wäre nicht praktikabel und daher kein gleich geeignetes Mittel zur Zielerreichung.


Bundesgerichtshof zum Schadensersatzanspruch eines Fußballvereins nach Zwangsabstieg

Karlsruhe, 21. Januar 2025 - Der unter anderem für das Vereinsrecht zuständige II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die gegen den im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO ergangenen Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 13. März 2024 (2 U 42/23) von dem Kläger eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen.

Sachverhalt:
Der Kläger, ein Sportverein, nimmt den beklagten regionalen Fußballverband wegen eines zu Unrecht angeordneten Zwangsabstiegs seiner 1. Fußballmannschaft (Herren) aus der Regionalliga Nord zum Ende der Spielzeit 2013/2014 auf Ersatz von Vermögensschäden in Anspruch.

Im Dezember 2013 beschloss das Präsidium des Beklagten in Umsetzung einer entsprechenden, über den DFB weitergegebenen Aufforderung der FIFA Disziplinarkommission den Zwangsabstieg der 1. Herrenmannschaft des Klägers nach der Saison 2013/2014 als Sanktion dafür, dass der Kläger eine von der FIFA Dispute Resolution Chamber im Dezember 2008 nach dem FIFA Entschädigungsreglement festgesetzte Ausbildungsentschädigung für einen übernommenen Spieler nicht gezahlt hatte. Diesen Zwangsabstiegsbeschluss hat der Senat mit Urteil vom 20. September 2016 mangels satzungsmäßiger Grundlage für die Anordnung einer solchen Sanktion für nichtig erklärt (II ZR 25/15, BGHZ 212, 70; siehe auch Pressemitteilung Nr. 163/2016).

Die anschließend erhobene Klage des Klägers auf Schadensersatz wegen des unrechtmäßig angeordneten Zwangsabstiegs in Form der Wiederzulassung seiner 1. Herrenmannschaft zum Spielbetrieb der Regionalliga Nord zur nächsten Spielzeit (sogenannte Naturalrestitution) hatte in beiden Instanzen keinen Erfolg. Die dagegen eingelegte Revision des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 24. April 2020 gemäß § 552a ZPO zurückgewiesen (II ZR 417/18, WM 2020, 1251; siehe auch Pressemitteilung Nr. 062/2020).

Mit der vorliegenden Teilklage hat der Kläger nun Schadensersatz in Geld wegen des zu Unrecht angeordneten Zwangsabstiegs in Höhe von 750.000 € geltend gemacht.

Bisheriger Prozessverlauf:
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger habe den ihm obliegenden Nachweis nicht zu führen vermocht, dass der rechtswidrige Zwangsabstiegsbeschluss die von ihm geltend gemachten Vermögensschäden verursacht habe, da seine Herrenmannschaft am Ende der Saison auf dem 16. Tabellenplatz gestanden habe, mithin auch aus sportlichen Gründen abgestiegen wäre, und ein Leistungsabfall der Mannschaft nach Bekanntgabe des Abstiegsbeschlusses im Laufe der Spielzeit 2013/2014 nicht erkennbar sei. Das Oberlandesgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Bundesgerichtshof hat die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Das gilt insbesondere hinsichtlich der vom Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfenen unionsrechtlichen Fragen. Eine diesbezügliche Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 1, 3 AEUV ist nicht veranlasst.
Vorinstanzen:
LG Bremen - Urteil vom 24. Februar 2023 - 4 O 674/21
OLG Bremen - Beschluss vom 13. März 2024 - 2 U 42/23



Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Polizeikosten bei Hochrisikospielen

Karlsruhe, 14. Januar 2025 - Mit heute verkündetem Urteil hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Erhebung einer Gebühr für den polizeilichen Mehraufwand bei „Hochrisikospielen“ der Fußball-Bundesliga in der Freien Hansestadt Bremen mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Verfassungsbeschwerde der DFL Deutsche Fußball Liga GmbH blieb daher erfolglos.

Nach dem im November 2014 in Kraft getretenen § 4 Abs. 4 des Bremischen Gebühren- und Beitragsgesetzes (BremGebBeitrG) wird bei Veranstalterinnen und Veranstaltern für den polizeilichen Mehraufwand bei gewinnorientierten, erfahrungsgemäß gewaltgeneigten Großveranstaltungen mit mehr als 5.000 Personen eine Gebühr erhoben, welche nach dem Mehraufwand zu berechnen ist, der aufgrund der Bereitstellung zusätzlicher Polizeikräfte entsteht.

Diese Regelung greift in die durch Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützte Berufsfreiheit der Veranstalterinnen und Veranstalter zwar ein. Der Eingriff ist aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt, da die Norm formell und materiell verfassungsgemäß ist. Die Norm genügt als Berufsausübungsregelung insbesondere den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit. Die Regelung ist auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

Sachverhalt:

Gemäß § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG wird bei Veranstalterinnen und Veranstaltern für den polizeilichen Mehraufwand bei gewinnorientierten, erfahrungsgemäß gewaltgeneigten Großveranstaltungen mit mehr als 5.000 Personen eine Gebühr erhoben, welche nach dem Mehraufwand zu berechnen ist, der aufgrund der Bereitstellung zusätzlicher Polizeikräfte entsteht.

Im Hinblick auf das am 19. April 2015 angesetzte Spiel der Fußball-Bundesliga zwischen dem SV Werder Bremen und dem Hamburger SV im Bremer Weserstadion unterrichtete die Polizei Bremen die Beschwerdeführerin unter Verweis auf § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG über ihre voraussichtliche Gebührenpflicht als Veranstalterin. Nach den damaligen Erkenntnissen und Informationen sei am Spieltag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Fans der Vereine zu rechnen, wenn dem nicht durch den Einsatz von starken Polizeikräften und durch entsprechende Einsatzmaßnahmen effektiv begegnet werde.


Am Spieltag selbst verlief der Gesamteinsatz, bei dem die Bremer Polizei von Einsatzkräften aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Hessen und der Bundespolizei unterstützt wurde, nach Bewertung der Polizeiführung insgesamt reibungslos. Die Polizei Bremen erließ gegenüber der Beschwerdeführerin als Veranstalterin des Spiels einen Bescheid über die Erhebung von Gebühren in Höhe eines mittleren sechsstelligen Eurobetrags für den erforderlichen Einsatz zusätzlicher Polizeikräfte.

Nachdem der hiergegen erhobene Widerspruch der Beschwerdeführerin erfolglos geblieben war, hob das Verwaltungsgericht den angefochtenen Gebührenbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids auf die Klage der Beschwerdeführerin auf.

Auf die Berufung der Freien Hansestadt Bremen hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage der Beschwerdeführerin abgewiesen. Die Gebührenregelung des § 4 Abs. 4 Sätze 1 und 2 BremGebBeitrG sei verfassungsgemäß. In der gegen dieses Urteil gerichteten Revision hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Oberverwaltungsgerichts zwar aufgehoben, in der Sache aber weitgehend die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts bestätigt.

Nach der Zurückverweisung hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts erneut aufgehoben und die Klage der Beschwerdeführerin abgewiesen.

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts sowie vorrangig gegen die Gebührenregelung selbst und rügt unter anderem eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG.

Wesentliche Erwägungen des Senats:
Die nur teilweise zulässige Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.

I. § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG greift zwar in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Veranstalterinnen und Veranstalter ein. Der Eingriff ist aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

1. Die Norm ist formell verfassungsgemäß, insbesondere steht dem Land insoweit die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 70 GG zu. Gebühren fallen in die Kategorie der nichtsteuerlichen Abgaben und weisen als Vorzugslasten Merkmale auf, die sie verfassungsrechtlich notwendig von der Steuer unterscheiden.

Als Gebühren lassen sich danach öffentlich-rechtliche Geldleistungen verstehen, die aus Anlass individuell zurechenbarer Leistungen durch eine öffentlich-rechtliche Norm oder eine sonstige hoheitliche Maßnahme auferlegt werden und insbesondere dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistungen deren Kosten ganz oder teilweise zu decken oder deren Vorteil oder deren Wert auszugleichen.
Bei der durch § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG begründeten Geldleistungspflicht handelt es sich um eine nichtsteuerliche Abgabe in Form einer Gebühr, da sie für die öffentliche Leistung der konkreten Bereitstellung zusätzlicher Polizeikräfte deren Kosten (also den Mehraufwand) den Veranstalterinnen und Veranstaltern auferlegt.

2. § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG ist auch materiell verfassungsgemäß. Insbesondere genügt die Norm als Berufsausübungsregelung den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit und dem Bestimmtheitsgebot.

a) Die Regelung zielt darauf ab, die durch die Durchführung der näher beschriebenen Veranstaltungen entstandenen Mehrkosten der Polizei auf die Veranstalterinnen und Veranstalter abzuwälzen, wobei die Kosten an die Stelle verlagert werden sollen, an der die Gewinne anfallen. Auf diese Weise sollen die Mehrkosten der Polizeieinsätze nicht durch die Gesamtheit der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, sondern jedenfalls auch durch die (un)mittelbaren wirtschaftlichen Nutznießerinnen und Nutznießer der Polizeieinsätze geschultert werden. Dies ist ein legitimes Ziel.

Der Legitimität des mit § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG verfolgten Ziels steht kein verfassungsrechtlich verbürgtes generelles Gebührenerhebungsverbot im Polizeirecht entgegen. Die Verfassung kennt keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem die polizeiliche Sicherheitsvorsorge durchgängig kostenfrei zur Verfügung gestellt werden muss. Die Gefahrenvorsorge ist keine allgemeine staatliche Tätigkeit, die zwingend ausschließlich aus dem Steueraufkommen zu finanzieren ist.

b) Die Gebührenpflicht ist zur Erreichung des Ziels auch geeignet und erforderlich.
c) Die mit der Gebührenerhebung verbundenen Einschränkungen der nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten beruflichen Freiheit sind angemessen.
aa) Die Gebühr wird insbesondere als Gegenleistung für eine individuell zurechenbare Leistung erhoben.

(1) Es besteht ein hinreichendes Näheverhältnis der Gebührenpflichtigen zur öffentlichen Leistung, also dem Mehraufwand des Polizeieinsatzes. Die Zurechenbarkeit rechtfertigt sich dabei aus einer Gesamtschau mehrerer Gesichtspunkte, die überwiegend dem Veranlasserprinzip zuzuordnen sind.

(a) Indem sie eine Veranstaltung durchführen, bei der erfahrungsgemäß Gewalthandlungen in erheblichem Maße zu erwarten sind (Hochrisikoveranstaltung), veranlassen die Veranstalterinnen und Veranstalter eine deutlich gesteigerte staatliche Sicherheitsvorsorge, nehmen damit begrenzte öffentliche Ressourcen in deutlich übermäßigem Umfang in Anspruch und begründen so ein Näheverhältnis zu der erbrachten staatlichen Leistung, welche ohne die Hochrisikoveranstaltung nicht notwendig wäre.

Zwischen dem Aufwand und der Verursachung besteht dabei auch bei wertender Betrachtung ein Näheverhältnis. Die Nähe zum gebührenpflichtigen Mehraufwand wird im vorliegenden Fall auch durch den besonderen Umfang des Aufwands begründet, der in abgrenzbarer Weise durch die Veranstaltung und gerade nicht durch die Allgemeinheit verursacht wird.

Die sicherheitsrechtliche Lage in einer Stadt, in der eine Hochrisikoveranstaltung durchgeführt wird, unterscheidet sich von einer Normallage in einer Weise, die bei wertender Betrachtung die Einschätzung des Gesetzgebers, hier liege eine quantitative Sondernutzung der Sicherheitsgewährleistung vor, hinreichend trägt. So wurde bei dem Hochrisikospiel, das dem vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren zugrunde liegt, ein Vielfaches an Polizeikräften im Vergleich zu „Nicht-Hochrisikospielen“ eingesetzt.

Die besondere Nähe zu der kostenverursachenden Bereitstellung zusätzlicher Polizeikräfte ist weiter auch deshalb gegeben, weil die Durchführung einer Hochrisikoveranstaltung eine besondere Gefahrträchtigkeit in sich birgt und dadurch übermäßig die begrenzten öffentlichen Ressourcen bindet. Insbesondere bei Hochrisikofußballspielen ist die Bereitstellung zusätzlicher Polizeikräfte wegen der besonderen Gefahrträchtigkeit plausibel und wird durch langjährige Erfahrungen gestützt.

(b) Die von § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG erfassten staatlichen Maßnahmen besitzen weiter deshalb einen spezifischen Bezug zu den in der Vorschrift genannten Veranstaltungen, weil sie gerade deren Durchführung ermöglichen. Die Veranstalterinnen und Veranstalter sind objektiv, ohne es beantragt oder ausdrücklich erwünscht zu haben, Nutznießerinnen und Nutznießer dieser Bereitstellung von Polizeikräften. Die hierdurch ermöglichte Risikominimierung kommt ihnen zugute, weil sie ohne diese ihre Veranstaltung nicht oder zumindest nicht in der gewählten Form ausrichten könnten.

(2) Die individuelle Zurechnung setzt auch nicht die polizeiliche Verantwortlichkeit der Veranstalterinnen und Veranstalter voraus. Das Grundgesetz kennt keinen entsprechenden Grundsatz.

(3) Die durch eine gefahrträchtige Großveranstaltung veranlasste erhöhte Sicherheitsvorsorge bleibt den Veranstalterinnen und Veranstaltern zurechenbar, auch wenn die Realisierung der Gefahr von einem – gegebenenfalls rechtswidrigen – Verhalten Dritter abhängt. Ein vorsätzliches Dazwischentreten Dritter führt jedenfalls dann nicht zwingend zu einer Unterbrechung der Zurechnung des Mehraufwandes, wenn die Veranstaltung in Kenntnis ihrer Gefahrträchtigkeit durchgeführt wird.

bb) Die Bremer Veranstaltungsgebühr beeinträchtigt die Berufsfreiheit der Veranstalterinnen und Veranstalter auch in einer Gesamtschau nicht unangemessen. Grundsätzlich steht das Ziel der Gebühr, nicht die Allgemeinheit mit dem der Polizei entstandenen Mehraufwand bei Hochrisikoveranstaltungen zu belasten, sondern deren Veranstalterinnen und Veranstalter, die den Mehraufwand veranlassen und mit der Veranstaltung einen Gewinn erzielen wollen, nicht außer Verhältnis zu der aus der Gebührenpflicht folgenden Beeinträchtigung beruflicher Freiheit. Insbesondere ist eine unangemessene Belastung oder eine erdrosselnde Wirkung durch § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG nicht erkennbar. Bezogen auf die finanzielle Belastungswirkung ist auch zu berücksichtigen, dass § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG nur einen kleinen Teil von kommerziellen Veranstaltungen betrifft.

d) § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG genügt zudem dem Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit. Die in der Verfassungsbeschwerde bezeichneten Merkmale auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite werfen keine Auslegungsprobleme auf, die nicht mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können. Auch der Umstand, dass die Gebührenhöhe von den Veranstalterinnen und Veranstaltern selbst im Voraus nicht genau berechnet werden konnte, ändert hieran nichts. Das Bestimmtheitsgebot verlangt nicht, dass sich aus den Regelungen zur Bemessung der Gebühr vorab deren exakte Höhe ermitteln lässt.

II. § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG ist auch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

Indem die Norm die Gebührenlast für die Bereitstellung zusätzlicher Polizeikräfte nicht allen Veranstalterinnen und Veranstaltern, sondern nur denjenigen auferlegt, die die in § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG genannten Kriterien erfüllen, differenziert die Norm zwischen verschiedenen Gruppen.

Wegen des vorliegenden Eingriffsgewichts in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG ist für die hier relevanten Ungleichbehandlungen nicht nur ein sachlicher Grund erforderlich, vielmehr muss das Verhältnis des durch die Ungleichbehandlung beabsichtigten Gemeinwohlgewinns angemessen zu der damit verbundenen Ungleichheit sein. Dies ist der Fall.

1. Die Differenzierungen dienen gerade dazu, den mit dem Eingriff verfolgten Zweck zu realisieren. Der Aufwand soll dorthin verlagert werden, wo die Gewinne hinfließen und wo sie typischerweise auch vorhanden sind. Indem an die Gewinnorientierung angeknüpft wird, wird die Belastung gerade auf den Bereich verlagert, in dem die Schuldnerinnen und Schuldner einen Vorteil erzielen. Der Unterschied im daraus erwachsenden Vorteil zwischen gewinnorientierten, einen monetären Vorteil ziehenden Veranstaltungen und nicht gewinnorientierten Veranstaltungen ist so groß, dass er die Nichteinbeziehung der nicht gewinnorientierten Veranstaltungen rechtfertigt.

2. Die Beschränkung auf Veranstaltungen mit voraussichtlich mehr als 5.000 zeitgleich teilnehmenden Personen verfolgt das Ziel, nur diejenigen Veranstaltungen zu erfassen, die einen deutlichen polizeilichen Mehraufwand hervorrufen. Das Merkmal verfolgt daher partiell das gleiche Ziel wie das der besonderen Gefahrträchtigkeit. Es soll nur die Veranstaltung, die eine administrativ und finanziell erhebliche Sondernutzung der Gefahrenvorsorge bewirkt, erfasst werden. Darüber hinaus unterstützt die Konzentration auf die Größe der Veranstaltung auch das gleiche Ziel wie das Kriterium der Gewinnorientierung. Es ist anzunehmen, dass eine Veranstaltung umso gewinnbringender ist, je größer sie ist. Die Differenzierung soll gerade das Ziel des Eingriffs ermöglichen und steht nicht außer Verhältnis zur bewirkten Belastung.


Unzulässige abstrakte Normenkontrolle zum Haushaltsgesetz 2023
Aktenzeichen: VerfGH 34/23

Die Einhaltung der – für den Haushaltsgesetzgeber des Landes Nordrhein-Westfalen verbindlichen – Schuldenbremse unterliegt nicht der Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof. Das hat der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster mit einem heute verkündeten Urteil entschieden und einen Normenkontrollantrag zum Haushaltsgesetz 2023 als unzulässig verworfen. Eine inhaltliche Entscheidung darüber, ob der Landeshaushalt für das Jahr 2023 gegen die Anforderungen der Schuldenbremse verstößt, ist deshalb nicht ergangen.


Der Landtag Nordrhein-Westfalen stellte in seiner Plenarsitzung vom 20. Dezember 2022 durch Beschluss fest, dass die durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöste Krisensituation im Jahr 2023 eine außergewöhnliche Notsituation begründe, die sich der Kontrolle des Staates entziehe und die Finanzlage des Landes Nordrhein-Westfalen erheblich beeinträchtige. Am selben Tag beschloss der Landtag das Haushaltsgesetz 2023.


In seiner Sitzung vom 21. Dezember 2022 verabschiedete der Landtag das NRW-Krisenbewältigungsgesetz. Dadurch wurde das Sondervermögen „Bewältigung der Krisensituation in Folge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine“ errichtet. Das Haushaltsgesetz 2023 enthält in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 die Ermächtigung des Ministeriums der Finanzen zur Aufnahme von Kreditmitteln bis zum Höchstbetrag von 5 Mrd. Euro zur Finanzierung der Aufgaben dieses Sondervermögens.


Damit verbunden ist in § 2 Abs. 1 Satz 3 Haushaltsgesetz 2023 die Regelung, dass die danach aufgenommenen Kreditmittel ab dem Jahr 2024 innerhalb von 25 Jahren konjunkturgerecht getilgt werden. 2 Die Mitglieder der NRW-Landtagsfraktionen der SPD und FDP haben einen Normenkontrollantrag zur verfassungsgerichtlichen Überprüfung dieser Kreditermächtigung und Tilgungsregelung gestellt. Sie machen geltend, die beanstandete Norm des Haushaltsgesetzes 2023 sei verfassungswidrig, weil sie mit den maßgeblichen Regelungen zur Schuldenbremse unvereinbar sei.


Die Voraussetzungen der „Notlagenausnahme“ seien nicht erfüllt. Der Verfassungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag als unzulässig verworfen. In ihrer mündlichen Urteilsbegründung hat die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs Prof. Dr. Dr. h.c. Dauner-Lieb unter anderem ausgeführt: Dem Verfassungsgerichtshof ist eine Überprüfung, ob das Haushaltsgesetz 2023 gegen die Schuldenbremse verstößt, nicht zugänglich. Die landeshaushaltsrechtlichen Bestimmungen können vom Verfassungsgerichtshof im Wege der abstrakten Normenkontrolle nur am Maßstab der Landesverfassung überprüft werden. Eine Kontrolle anhand von Regelungen des Grundgesetzes oder einfachgesetzlicher Vorschriften ohne Verfassungsrang ist unzulässig.


Eine landesverfassungsrechtliche Regelung der Schuldenbremse, anhand derer der Verfassungsgerichtshof das Haushaltsgesetz überprüfen könnte, gibt es aber nicht. Das in Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG enthaltene grundsätzliche Verbot der Nettokreditaufnahme gilt seit dem 1. Januar 2020 zwar unmittelbar auf Basis des Grundgesetzes und ist damit auch für die Länder verbindlich.


Die in Art. 109 Abs. 3 Satz 5 GG vorgesehene nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder erfolgte in NordrheinWestfalen aber nicht in der Landesverfassung, sondern in der Landeshaushaltsordnung (§§ 18 bis 18h LHO) und damit durch einfaches Gesetz ohne Verfassungsrang. Beim Verfassungsgerichtshof sind zwei weitere Verfahren im Zusammenhang mit dem NRW-Landeshaushalt 2023 noch anhängig, über die in diesem Jahr entschieden werden soll (VerfGH 32/23 und VerfGH 33/23). Einzelheiten zum Gegenstand der Verfahren können der Pressemitteilung vom 6. April 2023 entnommen werden.