Neue Studie des IMK
Düsseldorf/Duisburg, 1. Oktober 2023 - Ein kräftiges
Wachstum bei den Gewinnen von Unternehmen in einigen
Branchen ist ein wichtiger Grund dafür, dass die Inflation
in Deutschland seit Anfang 2021 stark angestiegen ist und
das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) weit
überschreitet. Neben den Preisschocks von den
internationalen Energie- und Nahrungsmittelmärkten nach dem
russischen Überfall auf die Ukraine hat eine
„Gewinninflation“ damit wesentlich dazu beigetragen, dass
die Teuerungsraten im vergangenen und in diesem Jahr sehr
hoch waren und sind.
Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Instituts für
Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der
Hans-Böckler-Stiftung.* Trotz der deutlichen
gesamtwirtschaftlichen Wirkung konzentriert sich das
Phänomen auf einen relativ kleinen Teil der Wirtschaft.
Auffällig ist der Anstieg der nominalen Stückgewinne in vier
Wirtschaftsbereichen verlaufen: Am Bau, im von der
volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) so
zusammengefassten Großbereich „Handel, Verkehr und
Gastgewerbe“ sowie etwas abgeschwächt im Bereich
„Produzierendes Gewerbe ohne Bau- und Verarbeitendes
Gewerbe“, zu dem die Energieerzeugung gehört, und in der
Landwirtschaft.
Vor allem in den ersten beiden Bereichen sind nach der neuen
Analyse des IMK nicht nur die Gewinne stark gewachsen, sie
stiegen auch stärker als in anderen europäischen Ländern und
ihre Entwicklung lief jener der Löhne voraus, sodass man
hier von einer durch Gewinnsteigerungen induzierten
Inflation sprechen kann. In anderen Branchen, etwa weiten
Teilen der Industrie, stiegen die Gewinnmargen dagegen
lediglich moderat, so dass von ihnen kein besonderer
Inflationsdruck ausging.
Eindeutige Ursachen für die
außergewöhnlichen Gewinnanstiege lassen sich bislang noch
nicht identifizieren, weil dafür noch nicht genügend
aktuelle Daten aus der VGR vorliegen.
Weitgehend ausschließen können die Forschenden des IMK
allerdings die These einer Überschussnachfrage als zentrale
Ursache für die gestiegenen nominalen Stückgewinne. Danach
hätten Konsumentinnen und Konsumenten Produkte kurzfristig
so stark nachgefragt, dass sich durch den „normalen“
Preisbildungsmechanismus deutlich höhere Preise ergeben.
Dieser These widerspreche die Nachfrageentwicklung in den
besonders durch Gewinnanstiege geprägten
Wirtschaftsbereichen, betonen die Studienautor*innen Prof.
Dr. Sebastian Dullien, Dr. Ulrike Stein und Prof. Dr.
Alexander Herzog-Stein.
In ihrer Untersuchung durchleuchten die
Forschenden die Gewinnentwicklung in der
deutschen Wirtschaft erstmalig über den gesamten Zeitraum
von Anfang 2021, als die zuvor sehr schwache
Preisentwicklung anzog, bis inklusive des 2. Quartals 2023,
dem jüngsten, für das aktuell VGR-Daten verfügbar sind. Als
relevante Größe betrachten die Wissenschaftler*innen die
nominalen Stückgewinne von Unternehmen als Gegenstück zu den
nominalen Lohnstückkosten.
Inflationstreibend sind
Stückgewinne oder -kosten, wenn ihr Zuwachs die
EZB-Zielinflationsrate von jährlich zwei Prozent deutlich
überschreitet, und das nicht nur kurzfristig. Um die Trends
besser einordnen zu können, vergleichen die Forschenden die
Daten für Deutschland aus der aktuellen Krise mit denen
anderer EU-Staaten sowie mit der Entwicklung in der
weltweiten Finanzkrise ab 2008.
In der Analyse zeigt sich, dass die
nominalen Stückgewinne gesamtwirtschaftlich ab Mitte 2021
deutlich angezogen haben und dann ab Anfang 2022 noch einmal
sehr stark zulegten.
Im Ergebnis lagen sie am Ende des 2. Quartals 2023
fast 25 Prozent höher als im wirtschaftlich
„normalen“ Vergleichsjahr 2019, bevor die Corona-Krise
begann. Vereinbar mit dem Inflationsziel der EZB wäre in dem
Zeitraum ein Anstieg von weniger als 8 Prozent gewesen. Bei
systematischer Betrachtung der unterschiedlichen
Wirtschaftsbereiche erweisen sich vier Bereiche als
wesentliche Treiber der gesamtwirtschaftlichen „Gewinninflation“:
Baugewerbe/Bau, Handel, Verkehr, Gastgewerbe sowie
„Produzierendes Gewerbe ohne Bau- und Verarbeitendes
Gewerbe“, zu der die Energieerzeugung gehört, und
Landwirtschaft.
Gemeinsam haben die vier Branchen
auffällig starke Gewinnsteigerungen, bei denen die Profite
in der Spitze um knapp 50 bis fast 100 Prozent gegenüber
2019 hochschnellten (siehe Abbildung 2 in der Studie). Im
Detail unterscheidet sich die Gewinnentwicklung zwischen
diesen Branchen dabei im zeitlichen Ablauf sowie in der
Stärke zum Teil erheblich. So hat sich in der Landwirtschaft
der drastische Ausschlag relativ früh und stark
zurückgebildet. In den drei übrigen Wirtschaftsbereichen
dauerte die Gewinnrallye deutlich länger, sie scheint
mittlerweile ihren Höhepunkt aber ebenfalls überschritten zu
haben.
Verschiedene Forschende, die für
Deutschland, Europa oder die USA ebenfalls eine
„Gewinninflation“ beobachten, haben diverse Hypothesen zur
Erklärung aufgestellt. Dazu zählen, bezogen vor allem auf
die USA, ein Nachfrageüberschuss, der auch aus einer zu
starken staatlichen Stützung der Nachfrage in der Krise
resultieren soll. Ein anderer Erklärungsansatz geht aus von
implizit koordinierten Preiserhöhungen zwischen
einflussreichen Unternehmen.
Das heißt dass diese, ohne formale
Absprache, ausnutzen, dass sich viele Verbraucher*innen
angesichts von Lieferkettenproblemen in der Corona- und von
Energiepreisschüben in der Ukrainekrise auf steigende Preise
eingestellt haben. In diesem Klima dehnen die Konzerne
zusätzlich ihre Margen aus. Eine weitere Hypothese basiert
auf dem Phänomen der asymmetrischen Preissetzung:
Unternehmen geben Preiserhöhungen bei Vorprodukten oder
Energie schneller und stärker an ihre Kund*innen weiter als
Preissenkungen.
Dullien, Stein und Herzog Stein prüfen
die verschiedenen Ansätze anhand der vorliegenden VGR-Daten
auf ihre Plausibilität. Für die Hypothese der
Überschussnachfrage finden sie keinerlei empirischen Beleg.
Die asymmetrische Preissetzung kann nach Analyse der
IMK-Fachleute allenfalls einen Teil des Gewinnschubs
erklären, weil dieser schon einsetzte, bevor die
Energiepreise im Frühjahr 2022 explodierten.
Die These von den impliziert koordinierten Preiserhöhungen
von Unternehmen mit einer gewissen Marktmacht, für die Prof.
Dr. Isabella Weber und ihr Ko-Autor Evan Wasner in den USA
einige Indizien gefunden haben, stehe in Deutschland
„durchaus mit den aggregierten Daten in Einklang“, schreiben
die IMK-Expert*innen. Allerdings stelle sich die Frage,
„warum dieser Kanal insbesondere bei jenen
Wirtschaftsbereichen wirken sollte, die jetzt besonders hohe
Gewinnanstiege zu verbuchen haben.“ Denn während etwa der
Einzelhandel tatsächlich stark konzentriert ist, sind
Gastgewerbe oder Baubranche eher durch kleine Unternehmen
geprägt.
Generell fehlten für eine vertiefte
Analyse noch die nötigen Daten, konstatieren die
Forschenden. Ihr Fazit daher: Die „Gewinninflation“ ist eine
Realität, auch wenn sie sich langsam abzuschwächen scheint.
Wie sie zustande kommt, lässt sich derzeit noch nicht
befriedigend erklären.
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