Düsseldorf/Duisburg, 1. Oktober
2023 - Die durch die
Energiepreisschocks geschwächte
deutsche Wirtschaft kommt auch in
den kommenden Monaten nicht richtig
in Gang, weil hohe Zinsen und eine
verhaltene Weltkonjunktur bremsen.
Bei abnehmender Inflation und
stärkeren Lohnsteigerungen erholt
sich zwar ab dem dritten Quartal
2023 der private Konsum, diese
positive Entwicklung kommt aber so
spät, dass sie die Rezession im
Gesamtjahr 2023 nur etwas mildern
kann, nicht verhindern.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sinkt
im Jahresdurchschnitt um 0,5
Prozent. Im kommenden Jahr wächst
die Wirtschaft wieder, allerdings
nur verhalten: Das BIP dürfte 2024
um durchschnittlich 0,7 Prozent
zulegen. Das ergibt die neue
Konjunkturprognose des Instituts für
Makroökonomie und
Konjunkturforschung (IMK) der
Hans-Böckler-Stiftung.* Die
Arbeitslosenquote steigt im
Jahresmittel 2023 auf 5,7 Prozent.
Das entspricht rund 2,6 Millionen
Menschen ohne Job – etwa 190.000
mehr als
2022. 2024
steigt die Arbeitslosenquote erneut
leicht auf dann 5,9 Prozent.
Die Inflationsrate wird im
Jahresdurchschnitt 2023 noch hohe
6,0 Prozent betragen, im
Jahresverlauf verringert sich der
Preisauftrieb aber. 2024 dürfte die
Teuerungsrate mit durchschnittlich
2,4 Prozent wieder relativ nahe am
Inflationsziel der Europäischen
Zentralbank (EZB) liegen. Angesichts
dieser Aussichten empfiehlt das IMK
eine Pause bei den EZB-Leitzinsen
sowie eine stärkere staatliche
Unterstützung der
sozial-ökologischen Transformation
der Wirtschaft mit dem Schwerpunkt
auf einer Absicherung gegen
weiterhin hohe und volatile
Strompreise.
Gegenüber seiner vorherigen Prognose
vom Juni bestätigt das IMK seine
Erwartung zur BIP-Entwicklung für
2023. Die Wachstumsprognose für 2024
nehmen die Konjunkturfachleute
hingegen spürbar um 0,5
Prozentpunkte zurück. Dabei gehen
sie davon aus, dass es zu keinen
weiteren Energiepreisschüben kommt
und sich der aktuell hohe Rohölpreis
etwas zurückbildet. Ein erhebliches
Risiko sehen sie darin, dass die
Wirkung der geldpolitischen
Straffung stärker ausfällt als
bisher erwartet, wobei auch eine
Finanzkrise weiterhin eine relevante
Gefahr darstellt.
Die deutsche Wirtschaft ist durch
die Folgen der Energiepreisschocks
und den globalen geldpolitischen
Restriktionskurs geschwächt und wird
sich auch 2024 nur schleppend
erholen. Denn die Zinserhöhungen
wirken sich auf unterschiedlichen
Wegen negativ auf die Konjunktur
aus: Einmal dämpfen sie das Wachstum
der Weltwirtschaft, das die
Konjunkturexpert*innen bis Ende 2024
als „verhalten“ einstufen. Das gilt
vor allem für den Euroraum, dessen
Wirtschaft in diesem Jahr um 0,5 und
im kommenden Jahr um 0,9 Prozent
wächst. Aber auch für die USA, wo
das BIP in diesem Jahr zwar um 1,8
Prozent zulegt, im kommenden Jahr
aber nur um 0,8 Prozent.
Aus China kommen ebenfalls wenig
Impulse für die deutsche
Exportwirtschaft. Im Inland sinken
die Bauinvestitionen drastisch, auch
weil sich Kredite stark verteuert
haben. Gleichzeitig wird
insbesondere die energieintensive
Industrie weiter von hohen
Energiepreisen behindert, gegen die
die Leitzinserhöhungen wenig
bewirken.
Der deutsche Staat steuert mit
seinen Ausgaben in diesem Jahr
weniger stark gegen die schwächelnde
Konjunktur an als noch vor einigen
Monaten erwartet. 2024 werden die
fiskalischen Impulse sogar leicht
negativ ausfallen, weil finanzielle
Anti-Krisen-Maßnahmen zurückgefahren
werden, während etwa die Beiträge
zur Kranken- und zur
Pflegeversicherung steigen.
Auf der konjunkturellen Habenseite
steht eine langsame Erholung beim
privaten Konsum. Nach den heftigen
Kaufkrafteinbußen im vergangenen
Jahr lässt die Inflation langsam
nach, zugleich „werden die Einkommen
von deutlich höheren
Tariflohnabschlüssen als in den
Vorjahren profitieren“, schreiben
die Konjunkturfachleute des IMK. In
diesem Jahr dürften die verfügbaren
Einkommen zwar preisbereinigt noch
einmal leicht zurückgehen. Im
kommenden Jahr wachsen sie nach der
aktuellen Prognose aber spürbar.
Der private Konsum entwickelt sich
nach dem gleichen Muster (alle
Zahlen unten). Stabilisierend auf
die Konjunktur wirken auch die
kontinuierlich wachsenden
Ausrüstungsinvestitionen. Gründe
dafür sind unter anderem die
ökologische Transformation der
Wirtschaft und höhere
Rüstungsausgaben des Staates.
Um die wirtschaftlichen Aussichten
zu verbessern, haben die
Expert*innen zwei zentrale
Empfehlungen: Erstens solle die
Europäische Zentralbank (EZB)
vorläufig unbedingt von weiteren
Zinserhöhungen absehen. „Der
aktuelle Kurs der EZB birgt
angesichts der bereits deutlich
geschwächten Wirtschaft das Risiko
einer übermäßigen Straffung, zumal
sich die Auswirkungen der bisherigen
Zinserhöhungen angesichts der
erheblichen Wirkungsverzögerungen
geldpolitischer Maßnahmen erst noch
voll entfalten werden“, warnt das
IMK.
Zweitens empfehlen die Ökonom*innen
der Bundesregierung: „Angesichts der
geldpolitisch verschärften
Wirtschaftsflaute und den davon
ausgehenden Risiken für die
Beschäftigung und die künftigen
Produktionsmöglichkeiten sollte sie
nun den Schwerpunkt auf die
klimapolitisch erforderliche
Transformation der Wirtschaft legen
und für den Mittelstand und die
Industrie Konzepte umsetzen, die die
hiesige Produktion sichert, bis der
deutlich ausgeweitete Anteil der
erneuerbaren Energien an der
Stromerzeugung den Strompreis
hinreichend senkt.“
Kerndaten der Prognose für
2023 und 2024
Arbeitsmarkt
Die schwache konjunkturelle Dynamik
bremst die Entwicklung der
Erwerbstätigkeit, die gleichwohl
positiv bleibt. Die Zahl der
Erwerbstätigen legt 2023
jahresdurchschnittlich um 0,7
Prozent zu und 2024 noch geringfügig
um 0,1 Prozent. Gleichzeitig wächst
allerdings auch die Arbeitslosigkeit
leicht. Bei den Arbeitslosenzahlen
prognostiziert das IMK im
Jahresdurchschnitt 2023 einen
Anstieg um knapp 190.000 Personen,
so dass im Jahresmittel rund 2,61
Millionen Menschen arbeitslos sein
werden. Das entspricht einer Quote
von 5,7 Prozent, ein Anstieg um 0,4
Prozentpunkte gegenüber 2022. Für
2024 veranschlagen die Forschenden
eine weitere leichte Zunahme der
Arbeitslosigkeit und eine Quote von
5,9 Prozent.
Weltwirtschaft und
Außenhandel
Die Weltwirtschaft wächst verhalten.
Von wichtigen Handelspartnern kommen
nur schwache Impulse. 2023 gehen die
deutschen Ausfuhren um 1,5 Prozent
im Jahresmittel zurück. Trotzdem
leistet der Außenhandel per saldo in
diesem Jahr rechnerisch einen
kleinen positiven Wachstumsbeitrag,
weil die Importe
jahresdurchschnittlich noch stärker
sinken: um 2,2 Prozent. 2024 wachsen
die Exporte leicht um 0,5 Prozent,
die Importe kräftiger um 1,8
Prozent, der Außenbeitrag ist mit
-0,6 Prozent negativ.
Investitionen
Die Ausrüstungsinvestitionen
entwickeln sich laut IMK-Prognose
robust: 2023 steigen sie um 3,5
Prozent im Jahresmittel, 2024 um 3,3
Prozent. Dabei schlagen sowohl
Ausgaben von Unternehmen für den
klimafreundlichen Umbau ihrer
Produktion zu Buche als auch die
steigenden staatlichen Ausgaben für
Verteidigung. Die lange Zeit
kräftigen Bauinvestitionen brechen
hingegen wegen erhöhter Kosten und
Zinsen weiter ein. Nach einem
Rückgang um 2,2 Prozent im
Jahresdurchschnitt 2023 fallen sie
2024 um jahresdurchschnittlich 4,3
Prozent zurück.
Privater Konsum
Die starke Teuerung drückt in diesem
Jahr weiter auf die realen
Einkommen, auch wenn sich die
nominalen Löhne spürbar kräftiger
entwickeln als in den Vorjahren. Für
2024 erwartet das IMK dann wieder
eine Erholung, weil bei niedrigerer
Inflation wieder reale Lohngewinne
zu verzeichnen sind. Die privaten
Konsumausgaben sinken
dementsprechend im Jahresmittel 2023
real um 0,5 Prozent. 2024 wachsen
die realen privaten Konsumausgaben
dann wieder um 1,6 Prozent.
Inflation und öffentliche
Finanzen
Nach 6,9 Prozent Inflation im
Vorjahr prognostiziert das IMK für
2023 eine Teuerungsrate von 6,0
Prozent. 2024 beruhigt sich das
Inflationsgeschehen dann stärker, im
Jahresdurchschnitt beträgt die
Teuerungsrate 2,4 Prozent.
Die Steuereinnahmen entwickeln sich
2023 etwas schwächer, nicht zuletzt
als Folge verschiedener steuerlicher
Entlastungen. Zugleich setzt der
Staat zur Krisenbekämpfung noch
erhebliche Mittel ein. Das trägt zur
Stabilisierung der Konjunktur bei,
führt aber auch dazu, dass das
öffentliche Budget 2023 ein Defizit
von 2,2 Prozent aufweisen wird. Für
das kommende Jahr geht das IMK für
die öffentlichen Finanzen von einem
restriktiveren Kurs aus. Das bremst
die Konjunktur, führt aber auch zu
einem prognostizierten Rückgang des
Defizits auf 1,8 Prozent im
Jahresdurchschnitt 2024.
|