Neue Werte des IMK
Inflationsmonitors
Düsseldorf/Duisburg, 15. November 2023 - Die Inflationsrate
in Deutschland ist im Oktober auf 3,8 Prozent gesunken.
Damit war die Teuerung einerseits fast doppelt so stark wie
von der Europäischen Zentralbank (EZB) in ihrer
Zielinflationsrate angestrebt, andererseits weniger als halb
so hoch wie im Oktober 2022 (8,8) Prozent. Ebenfalls stark
zurückgegangen ist die Spanne der Inflationsbelastung
zwischen verschiedenen Haushaltstypen, die sich nach
Einkommen und Personenzahl unterscheiden. Der Unterschied
zwischen der höchsten und der niedrigsten
haushaltsspezifischen Rate betrug im Oktober 2023 0,6
Prozentpunkte, während es 3,1 Prozentpunkte ein Jahr zuvor
waren.
Nach September 2023 zum zweiten Mal seit Beginn der
drastischen Teuerungswelle waren dabei ärmere Haushalte,
unabhängig von ihrer Größe, nicht mehr am oberen Rand der
haushaltsspezifischen Inflationsraten zu verorten, sondern
nun im unteren Bereich. Familien mit niedrigen Einkommen
hatten im Oktober eine Inflationsrate von 3,0 Prozent zu
tragen, bei Alleinlebenden mit niedrigen Einkommen waren es
3,2 Prozent. Da ärmere Singles und ärmere Familien über den
größeren Teil des Jahres 2023 mit zum Teil deutlich
überdurchschnittlichen Teuerungsraten konfrontiert waren,
dürfte trotzdem auch ihre Jahresrate vergleichsweise hoch
ausfallen.
Und wenn, wie aktuell von der
Bundesregierung geplant, die Mehrwertsteuer auf Gas und
Fernwärme schon ab Januar statt ab April 2024 wieder auf 19
Prozent steigt, würde das Haushalte mit niedrigen Einkommen
überproportional betreffen. Da Haushaltsenergie bei ihren
monatlichen Ausgaben eine relativ große Rolle spielt,
„öffnet sich dann die soziale Schere wieder“, schreiben Dr.
Silke Tober und Prof. Dr. Sebastian Dullien im neuen IMK
Inflationsmonitor, den das Institut für Makroökonomie und
Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung
vorlegt.*
Die Inflationsexpertin und der wissenschaftliche Direktor
des IMK berechnen seit Anfang 2022 jeden Monat spezifische
Teuerungsraten für neun repräsentative Haushaltstypen, die
sich nach Zahl und Alter der Mitglieder sowie nach dem
Einkommen unterscheiden.
•
Ärmere Haushalte waren während der aktuellen Teuerungswelle bis
in den Herbst hinein besonders stark durch die Inflation
belastet, weil sie einen großen Teil ihres schmalen Budgets
für Güter des Grundbedarfs wie Nahrungsmittel und
Haushaltsenergie ausgeben müssen. Diese waren die stärksten
Preistreiber. Im Laufe der letzten Monate hat die
Preisdynamik dort aber nachgelassen, so dass sich die
einkommensspezifischen Differenzen seit dem Höhepunkt im
Oktober 2022 stark verändert haben. Damals hatten Familien
mit niedrigen Einkommen die höchste Inflationsrate im
Haushaltsvergleich mit 11,0 Prozent.
•
Dagegen waren es bei Alleinlebenden mit sehr hohen Einkommen
7,9 Prozent. Doch auch wenn die Inflationsraten seitdem
stark gesunken sind und die Werte für die verschiedenen
Haushalte sich angenähert haben, wird das Problem steigender
Preise vor allem für Menschen mit niedrigen Einkommen
dadurch verschärft, dass viele nur geringe finanzielle
Rücklagen haben und die Alltagsgüter, die sie vor allem
kaufen, kaum zu ersetzen sind.
•
Dass die allgemeine Inflationsrate von September auf Oktober um
0,7 Prozentpunkte zurückgegangen ist, liegt unter anderem
daran, dass die Energiepreise geringfügig niedriger lagen.
Das ist darauf zurückzuführen, dass die Preise für
Haushaltsenergie kaum gestiegen sind und die
Kraftstoffpreise deutlich geringer ausfielen. Zudem
verteuerten sich Lebensmittel zwar noch einmal um gut sechs
Prozent gegenüber dem Vorjahr, das stellt aber eine
deutliche Verlangsamung gegenüber den Monaten zuvor dar.
Auch bei den übrigen untersuchten Haushaltstypen wirkte sich
die nachlassende Preisdynamik im Grundbedarf aus, allerdings
weniger stark als bei den ärmeren: So betrug die
Preissteigerung bei Familien mit hohen Einkommen im Oktober
3,6 Prozent, bei Paaren ohne Kinder mit mittleren Einkommen
3,5 Prozent und bei Alleinlebenden mit sehr hohen Einkommen
3,4 Prozent.
•
Familien mit mittleren Einkommen sowie Singles mit höheren
Einkommen verzeichneten Teuerungsraten von jeweils 3,3
Prozent. Bei Alleinlebenden und bei Alleinerziehenden mit
jeweils mittleren Einkommen schlug die Inflation mit je 3,2
Prozent zu Buche (siehe auch die Abbildung in der
pdf-Version). Dass aktuell die spezifischen Inflationsraten
der einzelnen Haushaltstypen etwas unter der allgemeinen
Rate liegen, beruht darauf, dass das IMK bei der Gewichtung
der Warenkörbe die repräsentative Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe (EVS) heranzieht, während das
Statistische Bundesamt seit Jahresanfang auf die
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung zurückgreift.
„Höchste Zeit, dass EZB Zinserhöhungszyklus beendet hat“
Für die kommenden Monate erwarten Tober und Dullien einen
weiteren Rückgang der Inflationsrate, wobei der Dezember
wegen der staatlichen Abschlagsübernahme für Erdgas- und
Fernwärme-Haushalte im Vorjahr einen Ausreißer darstellen
wird. Die Fachleute des IMK rechnen auch mit einer sinkenden
Kerninflation, weil die niedrigeren Energie- und
Rohstoffpreise mit einigem Zeitverzug über die
Produktionsketten hinweg auch bei den Endkund*innen
ankommen. Zudem wirke die Auflösung von Lieferengpässen
dämpfend.
•
Die sinkende Tendenz bei der Teuerung dürfte sich zunächst
abschwächen, analysieren die Fachleute. Bremsend wirkten zum
Jahresanfang die Normalisierung des Mehrwertsteuersatzes auf
Speisen in Gaststätten sowie die Anhebung des CO2-Preises.
Sollte die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer bei Gas und
Fernwärme tatsächlich ebenfalls auf Januar vorgezogen
werden, würde allein deswegen die Inflationsrate zwischen
Januar und März um 0,2 Prozentpunkte höher ausfallen. All
das dürfte den Trend zu niedrigeren Teuerungsraten aber
nicht drehen, betonen Tober und Dullien, zumal die hohen
Preissteigerungen der Vergangenheit sukzessive aus der
Inflationsberechnung fallen.
•
Unter dem Strich dürfte sich 2024 die Inflationsrate „dem
Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von zwei
Prozent deutlich annähern“, schreiben sie. Vor diesem
Hintergrund und angesichts der wirtschaftlichen Schwäche im
Euroraum und insbesondere in Deutschland „war es höchste
Zeit, dass die EZB ihren Zinserhöhungszyklus beendet hat“,
so die IMK-Fachleute. Die „Normalisierung“ der Geldpolitik
im vergangenen Jahr sei bei Aufwärtsrisiken für die
Inflation und den damals noch recht positiven
Wirtschaftsaussichten angebracht gewesen.
•
Seitdem habe die EZB aber überzogen agiert: „Da die
Zweitrundeneffekte durch erhöhte Lohnsteigerungen
überschaubar bleiben, war die deutliche geldpolitische
Restriktion zur Inflationsbekämpfung nicht nur unnötig,
sondern riskiert eine Verzögerung der klimapolitisch
erforderlichen Investitionen und ein erneutes Unterschreiten
des Inflationsziels wie in den fünf Jahren vor der
Pandemie.“
•
Informationen zum Inflationsmonitor
Für den IMK Inflationsmonitor werden auf Basis der
Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen
Bundesamts die für unterschiedliche Haushalte typischen
Konsummuster ermittelt. So lässt sich gewichten, wer für
zahlreiche verschiedene Güter und Dienstleistungen – von
Lebensmitteln über Mieten, Energie und Kleidung bis hin zu
Kulturveranstaltungen und Pauschalreisen – wie viel ausgibt
und daraus die haushaltsspezifische Preisentwicklung
errechnen. Die Daten zu den Haushaltseinkommen stammen
ebenfalls aus der EVS.
Im Inflationsmonitor werden neun repräsentative
Haushaltstypen betrachtet: Paarhaushalte mit zwei Kindern
und niedrigem (2000-2600 Euro), mittlerem (3600-5000 Euro),
höherem (mehr als 5000 Euro) monatlichem
Haushaltsnettoeinkommen; Haushalte von Alleinerziehenden mit
einem Kind und mittlerem (2000-2600 Euro) Nettoeinkommen;
Singlehaushalte mit niedrigem (unter 900 Euro), mittlerem
(1500-2000 Euro), höherem (2000-2600 Euro) und hohem (mehr
als 5000 Euro) Haushaltsnettoeinkommen sowie Paarhaushalte
ohne Kinder mit mittlerem Haushaltsnettoeinkommen zwischen
3600 und 5000 Euro monatlich. Der IMK Inflationsmonitor wird
monatlich aktualisiert.
*Sebastian Dullien, Silke Tober IMK Inflationsmonitor:
Erdgas und Strom trotz Preisbremsen im Oktober 2023 immens
teurer als 2019 – Inflation weiter im Sinkflug. IMK Policy
Brief Nr. 160, November 2023.
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