Neue Studie –
Qualität nicht immer klar
Düsseldorf/Duisburg, 2. März 2023 - Soziale und
ökologische Kriterien haben bei der
Vorstandsvergütung erheblich an Bedeutung gewonnen,
zeigt eine neue Studie, die das Institut für
Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der
Hans-Böckler-Stiftung gefördert hat.* „Die Zahl der
Unternehmen mit sozialen und ökologischen Kriterien
in der Vorstandsvergütung ist regelrecht
explodiert“, schreiben Dr. Judith Beile und Katrin
Schmid, die die Vergütungspraxis in großen deutschen
Kapitalgesellschaften untersucht haben.
Im Geschäftsjahr 2021 hatten alle Unternehmen im DAX
und 41 von 50 MDAX-Unternehmen „nichtfinanzielle
beziehungsweise nachhaltige Kriterien in ihre
Vergütungssysteme integriert oder die Einführung für
das Geschäftsjahr 2022 angekündigt“. Eine frühere
Untersuchung aus dem Jahr 2013 kam lediglich auf 10
Unternehmen im DAX und 6 im MDAX. Wie gehaltvoll die
verwendeten Kennzahlen sind, muss der Aufsichtsrat
überprüfen.
Vertreterinnen und Vertreter von Beschäftigten sehen
bei Aussagekraft und Transparenz allerdings nicht
selten noch Verbesserungsbedarf. Die Vergütung der
Vorstandsmitglieder orientierte sich bis vor wenigen
Jahren fast ausschließlich an „klassischen
finanziellen Kennzahlen“ wie dem operativen Gewinn
oder dem Aktienkurs, so Beile und Schmid. Noch immer
stehen solche Faktoren im Mittelpunkt, wenn es darum
geht, die Leistung des Managements zu bewerten. Doch
die Expertinnen betonen, dass andere Faktoren heute
„kein Nischendasein mehr fristen“.
Soziale Themen wie die Zufriedenheit der
Belegschaft, Personalentwicklung, Diversity oder
Frauenförderung kommen bei den Vergütungskriterien
ebenso vor wie CO2-Emissionen, der Einsatz
erneuerbarer Energien und Umweltschutz. Zudem gibt
es weitere Kriterien nichtfinanzieller Art, zum
Beispiel Kundenzufriedenheit, Investitionen oder der
Aufbau neuer Geschäftsfelder. Die Analyse
konzentriert sich auf soziale und ökologische
Aspekte. Hierzu wurden die Vergütungsberichte aller
DAX- und MDAX-Unternehmen im Geschäftsjahr 2021
ausgewertet und Aufsichtsratsmitglieder
verschiedener Unternehmen befragt.
Insgesamt haben sich 34 Vertreterinnen und Vertreter
der Beschäftigten in Aufsichtsräten beteiligt. Die
gewachsene Bedeutung von Nachhaltigkeitsindikatoren
hat verschiedene Gründe. Einer deutete sich bereits
in der Vorgängeruntersuchung von 2013 an: „In fast
allen der damals befragten Unternehmen ging die
Initiative zur Implementierung von der
Arbeitnehmerseite aus.“ Die gesellschaftliche
Debatte hat inzwischen jedoch auch zu neuen
Richtlinien der EU geführt, die die Unternehmen
verpflichten, über nichtfinanzielle Tatbestände
Auskunft zu geben, sowie zu Änderungen im
Aktienrecht und im Corporate-Governance-Kodex.
Nachhaltigkeit als Kompetenz der
Beschäftigten
Seit Juni 2022 ist über den Kodex die Anforderung an
soziale und ökologische Nachhaltigkeit in der
Unternehmensführung verankert. „Das war ein
wichtiger Schritt in die richtige Richtung. In der
praktischen Umsetzung kommt es aber auf eine
ambitionierte Zielsetzung bei nichtfinanziellen
Komponenten an. Oftmals ist die Mitbestimmung hier
die treibende Kraft “, sagt Dr. Daniel Hay, der
wissenschaftliche Direktor des I.M.U. „Denn vor
allem soziale Nachhaltigkeit ist und bleibt eine
genuine Kompetenz der Beschäftigten. Und sie wird
immer wichtiger, wenn eine sozial-ökologische
Transformation gelingen soll“
Eine zentrale Frage ist, welche Bedeutung Nachhaltigkeitsziele wirklich
haben. Sind sie relevant für das Handeln der
Unternehmensspitze? Oder handelt es sich nur um das
Erfüllen lästiger Nebenpflichten oder – im Falle der
Ökologie – sogar um „Greenwashing“? Zumindest
bestätigt die Untersuchung, dass die
Vorstandsvergütung ein zentraler Ansatzpunkt ist.
Gespräche mit Aufsichtsratsmitgliedern bekräftigen
den Expertinnen zufolge immer wieder die Faustregel:
„Themen, nach denen vergütet wird, bekommen mehr
Aufmerksamkeit“.
Im nächsten Schritt analysieren die Forscherinnen,
welchen quantitativen Einfluss die Erreichung
sozialer und ökologischer Ziele auf die Gehälter des
Top-Managements hat. Im Durchschnitt hängen der
Auswertung zufolge im DAX etwa 22 Prozent der
variablen Vorstandsvergütung von nachhaltigen
Kriterien ab, im MDAX sind es 20 Prozent. Wobei der
variable Anteil im Schnitt gut die Hälfte der
Vergütung von Vorstandsmitgliedern ausmacht.
Am häufigsten ist ein fester Bestandteil der
variablen Vorstandsbezüge von nichtfinanziellen
Indikatoren abhängig. Andere Unternehmen arbeiten
mit Multiplikatoren. Dann wird die anhand
betriebswirtschaftlicher Indikatoren ermittelte
Vergütung mit einem Faktor multipliziert, der sich
nach der sozialen und ökologischen Performance
richtet. In wieder anderen Fällen stecken
Nachhaltigkeitskriterien in individuellen
Zielvereinbarungen mit Vorständen – ein
vergleichsweise intransparentes Vorgehen, dessen
Steuerungswirkung begrenzt sein dürfte, so die
Studie. Bei zwei Unternehmen im DAX und vier im MDAX
sind die Aussagen zum Einfluss nachhaltiger
Kriterien so vage, dass die Expertinnen keine
Systematik angeben können.
Indikatoren müssen nachvollziehbar sein
Was wird gemessen und in welchem Verhältnis stehen
soziale und ökologische Fragen? Meistens werden
soziale und ökologische Indikatoren in einem Atemzug
genannt. Bei Unternehmen, die beides getrennt
ausweisen, überwiegen die ökologischen Kennzahlen
ein wenig; ganz vorn steht das Thema CO2-Ausstoß
beziehungsweise Emissionsreduktion.
Beschäftigtenvertreterinnen und -vertreter im
Aufsichtsrat neigen dazu, größeres Gewicht auf die
sozialen Themen zu legen. Wichtig ist ihnen zudem,
dass Vergütungskriterien möglichst einfach,
transparent und nachvollziehbar gestaltet sind. Das
ist bei einigen Unternehmen der Fall, bei anderen
weniger.
Zuweilen werden sehr viele Zielsetzungen formuliert
und in einem komplizierten Berechnungsverfahren
zusammengeführt. So lassen sich zwar viele Aspekte
berücksichtigen, aber am Ende ist „nicht mehr auf
einen Blick erkennbar, wofür das Vorstandsmitglied
eigentlich vergütet wurde“. Ein ähnliches Problem
kann es laut Beile und Schmid bei der Verwendung von
Multiplikatoren geben: Wenn einem sozialen oder
ökologischen Ziel bei der Berechnung der Vergütung
ein oder mehrere finanzielle Ziele „vorgeschaltet“
sind, wird es leicht von anderen Faktoren
überlagert. Weiterhin sollten Zielwerte messbar sein
und sich nicht widersprechen.
Am besten sollten nach Auffassung der Expertinnen
für alle Vorstandsmitglieder dieselben Ziele
ausgegeben werden, es wäre wenig hilfreich, etwa für
Finanzvorstand und Arbeitsdirektor gegensätzliche
Anreize zu konstruieren. Außerdem sollten die
gewählten Messgrößen nach Möglichkeit nicht anfällig
für Manipulationen sein. Wenn beispielsweise
Qualifizierung der Beschäftigten als soziales Ziel
vereinbart wurde, darf das Management sein formales
Soll nicht einfach durch das Angebot vieler
Mini-Onlineschulungen erfüllen können.
Die Formulierung von Nachhaltigkeitskriterien für
die Vorstandsvergütung ist also nicht einfach. Umso
wichtiger ist es aus Sicht von Beile und Schmid,
dass Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigten
sich dabei möglichst früh einschalten. In der Regel
bekommen sie vom Aufsichtsratsvorsitzenden einen –
oft von Vergütungsberatern ausgearbeiteten –
Vorschlag zur Zustimmung präsentiert. Dann sollten
sie gewappnet sein und eigene Vorstellungen
einbringen.
Auch Navid Armeli, Wirtschaftsexperte aus dem
I.M.U., bekräftigt, dass „die Vergütungskompetenz
des Aufsichtsrats für Arbeitnehmervertreter eine
Chance darstellt, aktiv auf das Thema Nachhaltigkeit
Einfluss zu nehmen. Dafür sollte sich die
Arbeitnehmerbank aber so früh wie möglich mit dem
Thema Vorstandsvergütung beschäftigen und eigene
Impulse, Ideen und Prioritäten in die
Ausschussarbeit tragen.“
In vielen kleineren und nicht an der Börse notierten
Kapitalgesellschaften steht die Einführung sozialer
und ökologischer Kriterien noch bevor. Aber auch
dort, wo bereits neue Vergütungsmodelle verankert
sind, gibt es weiterhin genug zu tun. „Um echte
Wirkung zu entfalten“, sollte das Gewicht
nachhaltiger Faktoren in der Vergütung
„kontinuierlich erhöht werden“, raten die
Expertinnen.
*Judith Beile, Katrin Schmid
Nachhaltigkeitskriterien in der Vorstandsvergütung,
Mitbestimmungsreport Nr. 75, Februar 2023
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