Düsseldorf/Duisburg, 1. April 2023 -
Die deutsche Wirtschaft ist 2023 schwach gestartet und
dürfte auch im weiteren Jahresverlauf wenig Dynamik
entfalten. Immerhin bleibt der Bundesrepublik eine
tiefere Rezession erspart, was unter anderem der
Anti-Krisenpolitik der Regierung und der Entspannung auf
den Energiemärkten zu verdanken ist. Unter dem Strich
dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr
stagnieren (0,0 Prozent Veränderung im
Jahresdurchschnitt) und im kommenden Jahr um
durchschnittlich 1,2 Prozent zulegen.
Das
ergibt die neue Konjunkturprognose des Instituts für
Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der
Hans-Böckler-Stiftung. Die Lage am Arbeitsmarkt bleibt
trotz einer leichten Rezession im Winterhalbjahr
2022/2023, von der das IMK ausgeht, und der eher
schwachen wirtschaftlichen Entwicklung bis Ende 2024
stabil: Sowohl 2023 als auch 2024 nimmt die Zahl der
Erwerbstätigen etwas zu (Detaildaten unten und in der
Tabelle).
Die Arbeitslosenquote steigt im
Durchschnitt dieses Jahres geringfügig auf 5,4 Prozent,
2024 geht sie wieder auf 5,3 Prozent zurück. Die
Inflationsrate wird im Jahresdurchschnitt 2023 hohe 5,3
Prozent betragen, im Jahresverlauf verringert sich der
Preisauftrieb aber. 2024 dürfte die Teuerungsrate mit
2,4 Prozent wieder deutlich näher am Inflationsziel der
Europäischen Zentralbank (EZB) liegen.
Gegenüber seiner vorherigen Prognose
hebt das IMK seine Erwartung für 2023 leicht an: Im
Dezember hatten die Forschenden noch einen BIP-Rückgang
um 0,3 Prozent veranschlagt. Für 2024 geben sie zum
ersten Mal eine Wachstumserwartung ab.
Zwar sei die Unsicherheit angesichts des Krieges in der
Ukraine, der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und
China sowie der Finanzmarktturbulenzen nach dem
Zusammenbruch der Silicon Valley Bank und der Krise der
Credit Suisse sehr groß, skizzieren die Fachleute des
IMK das aktuelle Konjunkturbild. Gleichzeitig hätten
sich die Aussichten aber seit Ende letzten Jahres
deutlich aufgehellt. Eine sich, wenn auch verhalten,
erholende Weltwirtschaft, die hohen Auftragsbestände in
der Industrie – hier sticht unter anderem die
Rüstungsbranche hervor – sowie der langsam anlaufende
Umbau zu einer CO2-neutralen Wirtschaft stützten die
deutsche Wirtschaft.
Im Rahmen der Prognose haben die Forschenden auch die
aktuellen Entwicklungen im Bankensektor analysiert. Sie
kommen zu dem Ergebnis, dass aktuell wenig dafür
spricht, dass sich daraus größere wirtschaftliche
Verwerfungen ergeben werden. Die Notenbanken seien in
der Lage, die Probleme unter Kontrolle zu halten, wenn
sie ihre Geldpolitik entsprechend umsichtig gestalten,
so die Analyse (mehr im Abschnitt „Weitere
Zinserhöhungen aktuell unnötig…“).
Die Rezession im Winterhalbjahr 2022/2023 sei trotz
massiver Preisschocks bei Energie und Nahrungsmitteln
vergleichsweise mild ausgefallen, weil die
Bundesregierung mit der Energiepreisbremse und anderen
Maßnahmen sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch
Unternehmen entlastet hat. Zudem hätten der milde
Winter, gut gefüllte Gasspeicher und die Lieferung
großer Mengen von Flüssiggas dazu beigetragen, dass die
Energiepreise seit Jahresbeginn deutlich gesunken sind.
Damit seien auch die Produktions- und Transportkosten
gefallen. Auch die Lieferengpässe bei wichtigen
Vorprodukten hätten an Bedeutung verloren. Die hohen
Auftragsbestände würden nun sukzessive abgearbeitet.
Den größten Beitrag zum Wirtschaftswachstum leisten in
diesem Jahr die Exporte. Sie dürften im
Jahresdurchschnitt um 3,8 Prozent steigen. Für das
kommende Jahr rechnet das IMK mit einem Exportwachstum
von 2,0 Prozent. Die Ausrüstungsinvestitionen nehmen
moderat zu. Der private Konsum, der im vergangenen Jahr
trotz der starken Teuerung zunächst kräftig zugelegt
hatte, dürfte dagegen 2023 um 1,0 Prozent zurückgehen –
inflationsbedingte Kaufkraftverluste machen vielen
Haushalten zu schaffen. Für das kommende Jahr rechnen
die Ökonominnen und Ökonomen dann mit einer gewissen
Entspannung und einem Anstieg des privaten Konsums um
1,4 Prozent. Deutliche Einbußen in beiden Jahren
verzeichnen die Bauinvestitionen.
Weitere Zinserhöhungen aktuell unnötig und potenziell
schädlich
Das IMK empfiehlt eine „Geld- und
Fiskalpolitik mit Augenmaß“ als zentralen Beitrag, den
EZB und Bundesregierung für eine wirtschaftliche
Erholung leisten können. Der Notenbank attestieren sie
einen „überfälligen Kurswechsel“, weil sie als Reaktion
auf die Finanzmarktturbulenzen in den USA und der
Schweiz zunächst keine weiteren Leitzinserhöhungen mehr
angekündigt hat. Mit Verweis auf ihre Prognose eines
nachlassenden Preisdrucks – den auch die EZB selber
erwartet –, sehen die Forschenden aktuell keinerlei
Bedarf für weitere geldpolitische Straffungen.
Im Gegenteil: „Die Wirtschaft weiter zu dämpfen, um das
Inflationsziel ein halbes Jahr früher zu erreichen, wäre
angesichts der Risiken für die Konjunktur, die
Finanzmarktstabilität und die klimapolitisch
erforderlichen Investitionen nicht zu rechtfertigen“,
warnen sie. Die Bundesregierung könne und solle in
dieser Situation, in der die Preisschocks abklingen, die
sozial-ökologische Transformation, Klimaschutz und die
Vermeidung sozialer Härten in den Vordergrund ihrer
Fiskalpolitik stellen.
Kerndaten der Prognose für 2023 und 2024

Arbeitsmarkt
Die geringe konjunkturelle Dynamik
bremst die Entwicklung der Erwerbstätigkeit, die
gleichwohl positiv bleibt. Die Zahl der Erwerbstätigen
legt 2023 jahresdurchschnittlich um 0,7 Prozent und 2024
um 0,6 Prozent zu. Bei den Arbeitslosenzahlen
prognostiziert das IMK im Jahresdurchschnitt 2023 einen
Anstieg um knapp 100.000 Personen, so dass im
Jahresmittel knapp 2,52 Millionen Menschen arbeitslos
sein werden. Das entspricht einer Quote von 5,4 Prozent,
ein Anstieg um 0,1 Prozentpunkte gegenüber 2022. Für
2024 veranschlagen die Forschenden dann wieder einen
geringfügigen Rückgang der Arbeitslosigkeit auf rund
2,49 Millionen Arbeitslose. Das entspricht einer Quote
von 5,3 Prozent.
Weltwirtschaft und Außenhandel
Die Weltwirtschaft wächst verhalten,
aber mit insgesamt leicht positiver Tendenz. Von
wichtigen Handelspartnern kommen zwar eher schwache
Impulse, die deutsche Exportwirtschaft legt aber
vergleichsweise stark zu, weil sie erstens ihren hohen
Auftragsbestand abarbeiten kann und zweitens Rückenwind
von den Exportpreisen bekommt: Diese geben bei
rückläufigen Kosten für Energie merklich nach. 2023
legen die Ausfuhren um 3,8 Prozent im Jahresmittel zu,
2024 um 2,0 Prozent.
Die Importe wachsen 2023 jahresdurchschnittlich um 2,5
Prozent und um 2,2 Prozent 2024 Dabei spielt unter
anderem eine erhebliche Rolle, dass Urlaubsreisende aus
Deutschland wieder mehr für Auslandsreisen ausgeben. Der
Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz steigt nach
der IMK-Prognose wieder deutlich an und wird in beiden
Jahren bei etwa sechs Prozent liegen.
Investitionen
Die Ausrüstungsinvestitionen
entwickeln sich laut IMK-Prognose recht robust: 2023
steigen sie um 1,4 Prozent im Jahresmittel, 2024 um 2,6
Prozent. Dabei schlagen sowohl Ausgaben von Unternehmen
für den klimafreundlichen Umbau ihrer Produktion zu
Buche als auch die steigenden staatlichen Ausgaben für
Verteidigung. Die lange Zeit kräftigen Bauinvestitionen
brechen hingegen wegen erhöhter Kosten und Zinsen weiter
ein. Nach einem drastischen Rückgang um 5,7 Prozent im
Jahresdurchschnitt 2023 fallen sie 2024 um
jahresdurchschnittlich 2,0 Prozent zurück.
Privater Konsum
Die starke Teuerung drückt in diesem
Jahr deutlich auf die realen Einkommen. Für 2024
erwartet das IMK dann wieder eine Erholung, weil bei
sinkender Inflation Löhne und Beschäftigung zunehmen.
Die privaten Konsumausgaben sinken dementsprechend im
Jahresmittel 2023 real deutlich um 1,0 Prozent. Der
Rückgang wird etwas dadurch gemildert, dass auch die
Sparquote spürbar reduziert wird. 2024 wachsen die
realen privaten Konsumausgaben bei weiter sinkender
Sparquote wieder um 1,4 Prozent.
Inflation und öffentliche Finanzen
Nach 6,9 Prozent Inflation im Vorjahr
prognostiziert das IMK für 2023 eine Teuerungsrate, die
mit 5,3 Prozent rückläufig ist, aber erneut weit über
dem Inflationsziel der EZB liegt. 2024 beruhigt sich das
Inflationsgeschehen dann stärker, im Jahresdurchschnitt
beträgt die Teuerungsrate 2,4 Prozent.
Die Steuereinnahmen entwickeln sich
2023 etwas schwächer, nicht zuletzt als Folge
verschiedener steuerlicher Entlastungen.
Zugleich setzt der Staat zur Krisenbekämpfung viel Geld
ein, unter anderem für die Strom- und Gaspreisbremse,
für höhere Verteidigungsausgaben sowie zur
Flüchtlingsaufnahme. Zudem steigen Transferzahlungen wie
das Kinder- und das Wohngeld. Das trägt zur
Stabilisierung der Konjunktur bei, führt aber auch dazu,
dass das öffentliche Budget 2023 ein Defizit von 2,9
Prozent aufweisen wird.
Für das kommende Jahr geht das IMK davon aus, dass „die öffentlichen
Finanzen durch den Ausstieg aus dem Krisenmodus geprägt“
sein werden. Das gilt vor allem für die Ausgaben,
beispielsweise, weil bei niedrigeren Strom- und
Gaspreisen die staatlich subventionierten Verbilligungen
für Privathaushalte und Unternehmen weniger in Anspruch
genommen werden. Daher prognostiziert das IMK für 2024
einen Rückgang des Defizits auf 2,0 Prozent.