Neue
Studie

Düsseldorf(Duisburg, 17. Mai 2023 - Das
Entgelttransparenzgesetz soll die Benachteiligung von Frauen
beseitigen. Doch es entfaltet bislang nur wenig Wirkung.
Zwar haben im Zeitraum von 2019 bis 2021 in mehr Betrieben
Beschäftigte ihren individuellen Auskunftsanspruch genutzt
als im Vergleichszeitraum kurz nach Inkrafttreten des
Gesetzes 2018.
Allerdings ist der Anteil der Betriebe, in denen mindestens
eine Auskunftsanfrage gestellt wurde, mit gut einem Viertel
bei mitbestimmten Betrieben der Privatwirtschaft und etwa
zehn Prozent im Öffentlichen Dienst weiter niedrig. Und nur
bei knapp der Hälfte der Betriebe in Unternehmen ab 501
Beschäftigten und mit Betriebsrat haben bislang die
Arbeitgeber die gesetzliche Aufforderung umgesetzt, die
Entgelte von Frauen und Männern auf Ungleichheit zu prüfen.
Dabei spielt die betriebliche Mitbestimmung ganz
offensichtlich eine positive Rolle. Denn Betriebe tun
beispielsweise deutlich mehr, wenn es Betriebsvereinbarungen
zu Gleichstellung oder verwandten Themen zwischen Management
und Betriebsrat gibt und wenn das Verhältnis von Betriebsrat
und Geschäftsführung generell gut ist. Es ist daher
wahrscheinlich, dass die Situation in Betrieben ohne
Betriebsräte und effektive Mitbestimmung noch deutlich
schlechter ist. Das ergibt eine neue Studie des Wirtschafts-
und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der
Hans-Böckler-Stiftung.*
Um die bislang geringe Wirkung des Gesetzes zu erhöhen, sind
strengere Auflagen, spürbare Sanktionen sowie niedrigere
Hürden bei der Wahrnehmung des Transparenzanspruchs nötig,
schreiben die Forschenden Dr. Helge Emmler und Dr. Christina
Klenner. Die neue EU-Richtlinie zur Lohntransparenz –
kürzlich beschlossen, aber noch nicht in Kraft getreten –
sei sinnvoll, um der im Koalitionsvertrag der
Bundesregierung vorgesehenen Reform für ein wirksameres
Gesetz Schub zu geben. „Gerade in Deutschland mit seinem
hohen Gender Pay Gap erscheint das dringlich“, so Emmler und
Klenner.
Frauen müssen im gleichen Betrieb für gleiche und
gleichwertige Arbeit den gleichen Lohn erhalten wie Männer.
Diesen Grundsatz soll das seit Mitte 2017 geltende
Entgelttransparenzgesetz fördern. In Betrieben mit mehr als
200 Beschäftigten – also für etwa ein Drittel aller
Arbeitnehmer*innen in Deutschland – gilt ein „individueller
Auskunftsanspruch“, der in einem zweiten Schritt Anfang 2018
in Kraft getreten ist. Danach können Beschäftigte verlangen,
dass ihnen der Arbeitgeber das durchschnittliche Gehalt der
Kolleginnen oder Kollegen des jeweils anderen Geschlechts
nennt, die eine ähnliche Arbeit leisten. Dadurch sollen
bestehende Ungerechtigkeiten offengelegt und schließlich
beseitigt werden.
Für privatwirtschaftliche Unternehmen mit mehr als 500
Beschäftigten gelten weitere Vorgaben: Dort soll der
Arbeitgeber regelmäßig überprüfen, wie es um die
Entgeltgleichheit im Unternehmen steht. Diese Aufforderung
gilt nicht für den Öffentlichen Dienst. Generell sieht das
Gesetz keine Sanktionen bei Nichtbefolgung vor. Wie es um
die betriebliche Umsetzung des Entgelttransparenzgesetzes
steht, haben Emmler und Klenner auf Basis der WSI-Betriebs-
und Personalrätebefragung 2021 analysiert.
Die Befragung unter Mitgliedern von knapp 3900 Betriebs- und
Personalräten ist repräsentativ für Betriebe mit Betriebsrat
und mindestens 20 Beschäftigten. Die Forschenden vergleichen
die Befunde aus 2021 mit denen aus der vorausgegangenen
Befragungswelle im Jahr 2018. Damals wurden Betriebs-, aber
keine Personalräte befragt. Auf Basis der
Betriebsrätebefragung können die Forschenden natürlich
keinen direkten Vergleich mit der Situation in Betrieben
ohne Mitbestimmung anstellen.
Doch die Befragungsergebnisse zeigen: Aktive, für
Geschlechterungerechtigkeiten sensibilisierte Betriebsräte
sind ein wichtiger positiver Faktor bei der Umsetzung des
Entgelttransparenzgesetzes. Das Gesetz wird signifikant
häufiger umgesetzt in Betrieben, in denen Betriebsrat und
Management Betriebsvereinbarungen (BV) zu Themen wie
Antidiskriminierung oder Gleichstellung der Geschlechter
abgeschlossen haben (knapp 59 Prozent gegenüber knapp 42
Prozent ohne BV). Das legt nach Analyse der Forschenden
nahe, „dass die Betriebsräte eine sehr wichtige Rolle bei
der Umsetzung des Entgelttransparenzgesetzes spielen
können.“
Dazu bräuchten sie aber auch angemessene Ressourcen,
beispielsweise zusätzliche Freistellungen. Weitere
Kernergebnisse:
- In der Mehrheit der privaten Betriebe mit Betriebsrat, in
denen Beschäftigte den gesetzlichen Auskunftsanspruch haben,
hat zwischen 2019 und 2021 niemand diesen Anspruch genutzt.
Allerdings ist der Anteil der Betriebe, in denen mindestens
ein*e Beschäftigte*r Auskunft begehrte, gestiegen: von 17
Prozent 2018 auf nun 26 Prozent.
- Im öffentlichen Dienst berichten nur zehn Prozent der
befragten Personalräte, dass Beschäftigte ihrer Dienststelle
Anfragen zur Überprüfung ihres Entgelts gestellt haben.
- Eine betriebliche Prüfung der Entgelte von Frauen und
Männern auf Ungleichheit durch den Arbeitgeber wurde nach
Angaben der Betriebsräte in rund 49 Prozent aller Betriebe
durchgeführt. Das ist zwar spürbar mehr als 2018, als das
nur für knapp 37 Prozent der Betriebe galt, gleichwohl
weiterhin die Minderheit. Zudem lässt sich mit der Befragung
nicht klären, ob die Prüfung aussagekräftig, umfangreich und
systematisch oder nur oberflächlich war, betonen Klenner und
Emmler.
- Die Instrumente des Gesetzes werden häufiger genutzt, wenn
im Betrieb der Anteil von hochqualifizierten und/oder von
jungen Beschäftigten überdurchschnittlich ist. Auf Basis
ihrer Untersuchung halten Emmler und Klenner die politischen
Initiativen für sehr wichtig, das Entgelttransparenzgesetz
wirksamer und verbindlicher auszugestalten. Dazu gehört für
die Forschenden, die Prüfung der betrieblichen
Gehaltsstrukturen nicht nur zu empfehlen, sondern
verpflichtend zu machen und dabei valide Prüfungsverfahren
vorzuschreiben, für die es mittlerweile auch
Zertifizierungen gibt.
Zweitens müsse der individuelle Auskunftsanspruch künftig
auch für Beschäftigte in kleineren Betrieben gelten. Heute
hohe Hürden für dessen Durchsetzung müssten abgesenkt
werden, etwa durch die Möglichkeit zu Sammelklagen und ein
Verbandsklagerecht. Für Verstöße gegen die gesetzlichen
Verpflichtungen müsse ein novelliertes Gesetz wirksame
Sanktionen vorsehen, die es bisher überhaupt nicht gebe.
*Helge Emmler, Christina Klenner Wie
wird das Entgelttransparenzgesetz in Betrieben umgesetzt?
Antworten Betriebs- und Personalräte 2021, WSI-Report Nr.
84, Mai 2023
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