Aktuelle Umfrage -
Kindergrundsicherung kann helfen
Düsseldorf/Duisburg,
25. Januar 2023 - Erst die Pandemie, dann die
wirtschaftlichen Folgen des Ukrainekriegs – zahlreiche
Menschen haben das Gefühl, in einer Dauerkrise zu stecken.
Das gilt besonders für Mütter. Sie fühlen sich gerade
finanziell deutlich stärker belastet als andere
Bevölkerungsgruppen, gleichzeitig ist ihr Vertrauen in den
Staat auf einen Tiefpunkt gesunken.
Das ist ein
Ergebnis der aktuellen Welle der Erwerbspersonenbefragung
der Hans-Böckler-Stiftung – und ein deutlicher Hinweis
darauf, dass die Situation von Familien und insbesondere von
Müttern dringend einen höheren Stellenwert in der Politik
braucht. Die von der Bundesregierung angekündigte
Kindergrundsicherung ist ein wichtiger Schritt in diese
Richtung, analysiert Prof. Dr. Bettina Kohlrausch,
wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der
Hans-Böckler-Stiftung.
„Die befragten erwerbstätigen
oder arbeitsuchenden Mütter sind deutlich unzufriedener mit
dem Krisenmanagement als der Rest der Bevölkerung“, sagt
Kohlrausch. Die Politik habe lange ignoriert, dass in der
Gesellschaft nicht nur Erwerbsarbeit, sondern auch
Sorgearbeit geleistet werden muss – und die bleibe
hauptsächlich Sache der Frauen. Für die neue Welle der
Befragung, die Kohlrausch zusammen mit den WSI-Forschern Dr.
Andreas Hövermann und Dr. Helge Emmler auswertet, wurden im
vergangenen November rund 5100 Erwerbstätige und
Arbeitsuchende zu ihrer Lebenssituation befragt.
Dieselben Personen waren seit Frühjahr 2020 mehrmals
interviewt worden, wodurch Veränderungen im Zeitverlauf
ersichtlich werden. Zwar ist der Anteil der Mütter, die sich
insgesamt stark belastet fühlen, im Vergleich zum Beginn der
Coronakrise gesunken, als Lockdowns und die Schließung von
Kitas und Schulen den Alltag prägten. Er lag im November
2022 aber immer noch bei knapp 30 Prozent – und damit höher
als bei allen anderen Gruppen. Im Durchschnitt aller
Befragten waren es zum gleichen Zeitpunkt rund 22 Prozent.
Auch
in den Bereichen Familie, Arbeit und Finanzen hatten Mütter
zuletzt höhere Belastungen als andere Gruppen. Besonders
auffällig: 40 Prozent der Mütter berichteten von starken
finanziellen Belastungen, im Durchschnitt aller Befragten
taten dies 27 Prozent. „Das ist ein Alarmzeichen, denn
finanzielle Probleme und Armut insbesondere von Müttern sind
ja besonders eng verbunden mit der Armut von Kindern und
Jugendlichen“, sagt die Soziologin Kohlrausch.
„Es
würde zwei wichtige Verbesserungen darstellen, wenn die
geplante Kindergrundsicherung erstens bessere Leistungen
ermöglicht und zweitens Hürden abräumt, damit Ansprüche auch
wirklich wahrgenommen werden können. Bislang scheitern allzu
viele Eltern an der Bürokratie. Eine schnelle Umsetzung
eines überzeugenden Konzepts könnte auch helfen, das zuletzt
erodierte Vertrauen zurückzugewinnen.“
Denn im Laufe
des letzten Jahres ist der Anteil der Mütter gestiegen, die
der Regierungspolitik misstrauen, zeigt die
Erwerbspersonenbefragung: Während im Oktober 2021 gut 16
Prozent von ihnen sagten, sie hätten „überhaupt kein
Vertrauen“ in die Bundesregierung, waren es gut ein Jahr
später 34 Prozent. Die aktuellen Daten zeigen auch:
Betreuungsausfälle zu kompensieren und die psychosozialen
Folgen der Pandemie aufzufangen, bleibt bislang überwiegend
eine Aufgabe der Mütter.
Mehr Unterstützung durch
die Männer erhalten sie offenbar nicht: Die Aufteilung der
Sorgearbeit zwischen Müttern und Vätern hat sich in etwa
wieder auf dem Niveau von vor der Corona-Pandemie
eingependelt. 63 Prozent der Mütter gaben an, den
überwiegenden Teil der Kinderbetreuung zu leisten, während
es bei den Vätern 6 Prozent waren.
„Hier lässt sich
also eine Verstetigung der schon vor der Krise sehr
ungleichen Verteilung der Sorgearbeit feststellen. Damit
wird deutlich, dass die von einigen Wissenschaftlern und
Wissenschaftlerinnen vermutete Egalisierung der
Geschlechterverhältnisse während der Pandemie nicht
stattgefunden hat“, so Kohlrausch. Der traditionelle Status
Quo in vielen Familien behindere die Erwerbschancen von
Frauen ganz erheblich, warnt die WSI-Direktorin.
„Daran etwas zu ändern, ist nicht nur Sache der Väter und
Mütter. Unternehmen und auch die Politik müssen bessere
Voraussetzungen dafür schaffen, dass eine fairere Aufteilung
der Sorgearbeit gelingt“, sagt Kohlrausch. „Hierzu gehört
auch, in den Betrieben Maßnahmen für mehr
Arbeitszeitsouveränität und Arbeitszeitverkürzung
durchzusetzen und einer zunehmenden Verdichtung von Arbeit
entgegenzuwirken. Wir müssen bei der Organisation der
Erwerbsarbeit die Sorgearbeit mitdenken und nicht
umgekehrt.“
|