Neues
Rechtsgutachten

Düsseldorf/Duisburg, 7. März 2023 - Eine
Vermögensteuer ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Angesichts einer hohen Ungleichheit bei der
Vermögensverteilung und erheblicher finanzieller
Herausforderungen, denen sich die Bundesrepublik
ausgesetzt sieht, ist ihre Einführung nicht nur gut
begründbar, sie trüge auch zur Verwirklichung
grundlegender verfassungsrechtlicher Prinzipien bei.
Zu diesem Ergebnis kommt ein neues, von der
Hans-Böckler-Stiftung gefördertes Rechtsgutachten.*
Bei der Ausgestaltung einer Vermögensteuer hat der
Gesetzgeber einen erheblichen Spielraum, zeigt die
Untersuchung von Prof. Dr. Alexander Thiele,
Professor für Staatstheorie und Öffentliches Recht
an der Business & Law School der Hochschule für
Management und Recht in Berlin. In Deutschland ist
der Anteil der Armen in der letzten Dekade deutlich
gewachsen – das ergibt der aktuelle
Verteilungsbericht des Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der
Hans-Böckler-Stiftung.
Gleichzeitig sind die privaten Vermögen im Vergleich
zu anderen EU- und OECD-Ländern mit ähnlicher
Einkommenssituation besonders ungleich verteilt. Die
untere Hälfte der Bevölkerung hat nach Daten des
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung keine
nennenswerten Vermögen. Dagegen besitzen die
reichsten zehn Prozent rund zwei Drittel des
gesamten Privatvermögens, das reichste Prozent der
Bevölkerung bis zu 35 Prozent und allein die
reichsten 0,1 Prozent der Bevölkerung verfügen über
bis zu 20 Prozent. Zudem halten vor allem Reiche
jene Vermögensarten, die in den vergangenen Jahren
die höchsten Renditen abgeworfen haben, etwa Aktien,
Immobilien und Betriebsvermögen.
Haushalte mit weniger Habe konzentrieren sich
hingegen auf risikoarme Anlagen, die aber besonders
stark von einer hohen Inflation betroffen sind.
Hinzu kommen erhebliche finanzielle
Herausforderungen an den Staat. So müssen nicht nur
die Milliardenkredite, die in den vergangenen Jahren
zur Bewältigung der multiplen Krisen aufgenommen
wurden, bedient werden. Zusätzlich besteht riesiger
Investitionsbedarf, um eine erfolgreiche
sozial-ökologische Transformation zu ermöglichen.
Angesichts dieser Entwicklungen gewinnt die Debatte
über eine Wiedereinführung der Vermögensteuer wieder
an Fahrt.
Manche meinen, eine solche Steuer verstoße gegen die
Verfassung, und halten die Debatte damit für
beendet. In seinem Gutachten kommt Juraprofessor
Thiele zum gegenteiligen Ergebnis. Nach Prüfung der
verfassungsrechtlichen Lage unter Berücksichtigung
der aktuellen Situation von Staat und Gesellschaft
gelangt er zu dem Schluss: Eine
Vermögensteuer ist nicht nur nicht verfassungswidrig.
Im Gegenteil habe die Ungleichheit in Deutschland
ein Ausmaß erreicht, das die Einführung einer
Vermögensteuer auch verfassungsrechtlich eher
nahelegt.
Richtig ist zwar, dass das Bundesverfassungsgericht
im Jahr 1995 die damalige Vermögensteuer für
verfassungswidrig erklärt hat. Ebenso richtig ist
allerdings, dass sich dieser Beschluss keineswegs
gegen eine Besteuerung von Vermögen an sich, sondern
lediglich gegen die damalige konkrete Ausgestaltung
richtete. Das Grundgesetz steht
einer Vermögensbesteuerung insofern nicht
prinzipiell entgegen, betont Thiele, zumal sie dort
sogar „ausdrücklich als eine prinzipiell zulässige
Steuerart aufgelistet“ wird. Darüber hinaus würde
die Vermögensteuer dazu beitragen, das
Fundamentalprinzip gerechter Besteuerung, das
Prinzip der Leistungsfähigkeit, besser zu
verwirklichen: Gleich Leistungsfähige müssen danach
gleich, unterschiedlich Leistungsfähige
unterschiedlich besteuert werden.
Es liege auf der Hand, dass eine Person, die
beispielsweise monatlich 5000 Euro verdient,
zusätzlich aber ein Vermögen von einer Million Euro
besitzt, leistungsfähiger ist als jemand, der „nur“
5000 Euro im Monat verdient. Die Einkommensteuer
allein bildet diese unterschiedlichen
Leistungsfähigkeiten insofern nicht angemessen ab.
Mit Blick auf das Fundamentalprinzip der
Leistungsfähigkeit sei es daher auch kein
Widerspruch, wenn der Staat sowohl eine progressive
Einkommenssteuer als auch eine Vermögenssteuer
erhebt.
Eine Doppelbesteuerung könne darin nicht gesehen
werden. Auch das Sozialstaatsprinzip in Artikel 20
des Grundgesetzes liefert nach Thieles Analyse
verfassungsrechtlich jedenfalls dann Argumente für
eine Besteuerung von Vermögen, wenn die Ungleichheit
ein nicht mehr zu rechtfertigendes Ausmaß erreicht
hat. Eine zu hohe soziale Ungleichheit ist in einer
demokratischen Ordnung ein Problem. Wenn die
Vermögen derart ungleich verteilt sind, „droht die
soziale Ungleichheit aufgrund der damit
einhergehenden kränkenden Wirkung das einigende Band
der Gemeinschaft zu zerreißen, da deren Mitglieder
nicht mehr in der Lage sind, sich als politisch
gleich und folglich als Angehörige der gleichen
politischen Gemeinschaft (noch) zu erkennen“,
schreibt der Rechtswissenschaftler.
In diesem Fall sei der Gesetzgeber
verfassungsrechtlich gehalten, Maßnahmen zu
ergreifen, um die Ungleichheit auf ein
begründungsfähiges Niveau zu bringen. Der
Gesetzgeber hat bei der Erhebung einer
Vermögensteuer allerdings einen großen Spielraum, so
Thiele. Eigentum ist zwar durch das Grundgesetz
besonders geschützt, allerdings nicht
uneingeschränkt. Steuern stellen nach weit
verbreiteter Ansicht keinen Eingriff in die
Eigentumsfreiheit dar, schon gar keine Enteignung.
Schließlich heißt es auch im Grundgesetz:
„Eigentum verpflichtet“. Jeder soll,
gemessen an seiner Leistungsfähigkeit, einen Beitrag
zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten.
Allenfalls die Frage, wie hoch dieser ausfallen
darf, ist unter Expertinnen und Experten umstritten.
Steuern dürfen indes keine „erdrosselnde Wirkung“
haben. Verfassungsrechtlich unproblematisch ist nach
diesen Maßstäben die Besteuerung von Sollerträgen
aus Vermögenswerten, analysiert der Juraprofessor.
Besteuerungsgrundlage wären danach die aus dem
Vermögen erzielbaren Erträge, zum Beispiel
potenzielle Mieteinnahmen und Zinseinkünfte, nicht
hingegen die Vermögenssubstanz.
Aber auch eine darüber hinaus gehende
Substanzbesteuerung sei nicht per se
ausgeschlossen – zu rechtfertigen sei sie „in Zeiten
erheblicher und nur schwer begründungsfähiger
Vermögensungleichheit“ – wenn durch die Ungleichheit
also eine Gefährdung des demokratischen Versprechens
der demokratischen Gleichheit drohe. Bei der
Ausgestaltung der Vermögensteuer sind jedoch
weitergehende verfassungsrechtliche Vorgaben zu
beachten, zeigt Thiele: So müssen neben den privaten
Vermögen im Grundsatz auch Betriebsvermögen
einbezogen werden.
Allerdings müssen Betriebsvermögen nicht zwingend in
der gleichen Höhe wie private Vermögen besteuert
werden. Es sei möglich, Betriebsvermögen zu
privilegieren, da diesem eine besondere Bedeutung
für die Prosperität einer Gesellschaft zukomme, so
der Rechtswissenschaftler. Essenziell ist außerdem,
dass Vermögensgegenstände so erfasst werden, dass
sie annähernd dem Marktwert entsprechen. Werden bei
der Erfassung unterschiedliche Maßstäbe angelegt,
stünde dies im Konflikt mit dem Gleichheitsgrundsatz
– genau hier lag das Problem der bis in die
1990er-Jahre erhobenen Vermögensteuer, über die das
Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hatte.
Eine Schwierigkeit damals wie heute: Bei Bargeld
oder Aktien ist die Bewertung vergleichsweise
einfach, komplizierter wird es beispielsweise bei
Kunstgegenständen und anderen Sachgütern, ebenso bei
Immobilien. Hier ist der Staat auf die Ehrlichkeit
der Steuerpflichtigen angewiesen, wobei allerdings
zu betonen ist, dass die unzutreffende Angabe von
relevanten Steuersachverhalten eine Straftat
darstellt. Zudem seien gewisse „Unschärfen“ bei der
Bewertung von Vermögensgegenständen
verfassungsrechtlich zulässig: Abweichungen von bis
zu 20 Prozent vom „tatsächlichen“ Wert seien
verfassungsrechtlich denkbar, so Thiele.
Außerdem ist es im Steuerrecht nicht unüblich, dass
mit Pauschalierungen gearbeitet wird. Auch ist die
Tatsache, dass eine Steuer nicht leicht zu erheben
ist, kein sachgerechter Grund, sie nicht zu erheben,
betont der Gutachter. Abgesehen davon lassen sich
die verfassungsrechtlichen Probleme entschärfen,
wenn man lediglich eine Sollertragsteuer einführt,
da sich zum einen Einkünfte einfacher ermitteln und
besser bewerten lassen als Gesamtvermögen. Zum
anderen bleibt dabei die Vermögenssubstanz dann
prinzipiell unangetastet, sodass der damit bewirkte
Eingriff in die Eigentumsfreiheit
verfassungsrechtlich keine Probleme bereite.
*Alexander Thiele Der grundgesetzliche Rahmen für
die Wiedereinführung einer Vermögensteuer,
Kurzgutachten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung,
Februar 2023
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