Loveparade Duisburg 2010  - Spendenzug


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Von Harald Jeschke, Jochem Knörzer

 

Spendenzug zur Finanzierung einer Gedenktafel

Duisburg, 01. August 2010 - Heute waren 800 Teilnehmer beim Spendengedenkmarsch. Im Gegensatz zum gestrigen Trauermarsch, der privat organisiert und mit 5.000 Menschen um einiges größer war, fand dieser Marsch nicht nur zum Gedenken an die Opfer der Loveparade statt, sondern auch um Spenden für eine Gedenktafel zu sammeln.
Rede von A
lt-Oberbürgermeister Josef Krings

Wir wollen heute, nach der gestrigen offiziellen Trauerfeier des Landes, allen Bürgern Gelegenheit geben, ihre persönliche Betroffenheit zu bekunden. Ich wurde von den Veranstaltern gebeten, Worte des Gedenkens zu sagen. Das will ich versuchen.
Ich werde nicht verurteilen und nicht anklagen. Doch ich möchte mit Ihnen nachdenken. Nachdenken über die Verstorbenen, über die Traumatisierten, über die Angehörigen. Nachdenken auch über unsere Stadt. Wie geht es weiter mit der Stadt in der wir leben?
Ich trug mich mit meiner Frau in die beiden Kondolenzbücher ein.
In das im Rathaus ausliegende Buch schrieb ich:
Alles Menschliche hat Maß. Am Samstag gab es kein Maß. Hier geschah Unmenschliches.
In das im Tunnel Kar-Lehr-Straße Buch schrieb ich:
Am Samstag verloren 21 Menschen ihr Leben. Am Samstag drohte der Stadt, ihr Gesicht zu verlieren. Es bleiben Scham und Trauer.

Bleiben wir zuerst bei den Menschen, den meist jungen Menschen, die ihr Leben verloren, Immer drängt sich beim Tod junger Menschen die Frage auf, warum muss ein so junges Leben so früh enden? Sie hatten ihr Leben noch vor sich. Sie wollten ihr Leben froh angehen. Zusammen mit anderen jungen Menschen gemeinsam Freude erleben. Den Alltag überwinden. Sich von Zwängen befreien.
Das endete katastrophal. In diese Katastrophe wurden die Eltern einbezogen, die Familie, Freundinnen und Freunde, Arbeitskolleginnen und Kollegen. Sie alle erlebten schreckliche Stunden der schließlich die Gewissheit, dass das Leben endete. Eine entsetzliche Erfahrung.
Wer auf der Rampe stand, dem werden sich Bilder eingeprägt haben, die er wahrscheinlich nie mehr vergessen kann.
Wer in den letzten Tagen in die Stadt hinein hörte, die Mahnwache besuchte, er war überrascht zu sehen, wie viele Menschen reagierten. Dieses hohe Maß an Anteilnahme hab ich noch nie erlebt.
Menschen stellten erzen auf, legten Blumen auf den Bürgersteig, schreiben in den Kondolenzbücher von ihrer Trauer.
Sie wurden aus ihrem Leben gerissen. Das ist schmerzlich, aber bei allem Schmerz auch tröstlich. Es ist offensichtlich, dass die Stadt aus ihrem Gleichgewicht geraten ist.
Was bedeutet das für die Zukunft der Stadt? Was gehört zur Substanz der Stadt? Der erhoffte Imagegewinn hat sich ins krasse Gegenteil gewendet.

Offen eingestanden, ich konnte mich für die Loveparade nie begeistern. Sie war mir zu schrill. Der Charme der Musik bleibt mir verborgen. Der Rhythmus monoton. Doch das ist mein Problem, das Problem eines 83-Jährigen. Ich erkenne, dass die Loveparade junge Menschen fasziniert. Sie erleben in großer Gemeinsamkeit Tanz und Musik.
Doch darum noch einmal die Frage, worauf können wir stolz sein? Zur Substanz der Stadt und ihrer Region gehört, dass die Menschen offen sind. Vor dem Hochofen sieht man nicht, ob der Arbeitskollege eine schwarze oder eine weiße Hautfarbe hat. An unserer Universität, im Hafen, in vielen Betrieben sind Menschen offen gegenüber Fremden. Das Wunder vom Umgang mit fremder Kultur, ist eine journalistische Überzeichnung. Die Akzeptanz fremder Kulturen gegenüber geschieht nicht durch ein Wunder. Dahinter steht Arbeit, harte Arbeit, die häufig misslingt, aber immer auch gelingt. Besser als in anderen Regionen.
Hier muss man nicht geboren werden, um akzeptiert zu werden. Akzeptiert wird der, der zupackt. Auf den ich mich verlassen kann.

Das gilt auch für die Politik. Bereit sein zur Verantwortung, das muss
die Grundlage des politischen Handelns sein. Hier braucht niemand Held zu sein. Hier werden Menschen gebraucht, die auch ihr Fehlverhalten offen bekennen und eingestehen. Ob jemand Verantwortung spürt, das ist keine politische oder
strategische Abwägung. Das ist eine Charakterfrage, ohne Schuldzuweisung, meinte der Duisburger Journalist Lothar Schröder.
Wie soll es weitergehen Wir müssen uns zu unserer eigenen Identität bekennen. Beispielsweise zur Alltagserfahrung im Bergbau. Der Bergmann untertage muss sich darauf verlassen, dass sein Kumpel den Stempel im Stollen richtig setzt, sonst gefährdet er mein Leben. Das steht hinter dem Bergmannsgruss "Glück auf“. Ein Spruch, der mehr ist als Ruhrgebietsfolklore, Dieses Denken prägte unsere Stadt und prägt sie auch heute, auch dann wenn es kaum noch Zechen gibt.
Warum stehen wir hier, einige Tage nach der großen Katastrophe? Wir trauern um den Tod von 21 Menschen. Ihre Namen sollen in Stein geschlagen werden. Wir wollen die Menschen und wir wollen den 24. Juli nicht vergessen. Wir trauern mit den Angehörigen.
Wir trauern auch um unsere Stadt. Doch wir geben sie nicht auf. Wir bekennen uns zu ihrem Alltag. Zu ihrer Fähigkeit, Fremde zu integrieren, Solidarität zu praktizieren. Diese Kundgebung ist dafür ein gutes Beispiel für Bürgersinn. Keine Großspurigkeit, Ein klares Ja und ein klares Nein.
Dass gilt für jeden Bürger. Darum stehen wir hier. Um es zu bekräftigen, gehen wir gemeinsam zum Tunnel an der Karl-Lehr-Straße. Dabei denken wir an die Toten, an ihre Angehörigen, an die vielen Helfer, an die Stadt und, an unsere Zukunft.


Harald Jeschke, Manfred Schneider (Foto)
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