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Zuwanderungsprobleme Bulgaren und Rumänen

SPD-Fraktion im Rat der Stadt Duisburg zur Sperrklausel in Höhe von 2,5 % bei Kommunalwahlen
So hilft man den Rechten, Genossen!

BZ-auf ein Wort von BZ-Redaktion

Gesetzentwurf von SPD, CDU und Bündnis 90/DIE GRÜNEN
Düsseldorf/Duisburg, 11. Januar 2016 - Die Einführung einer Sperrklausel in Höhe von 2,5 % bei Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen wird nachdrücklich begrüßt und unterstützt.
Seit dem Wegfall der Sperrklausel für Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen im Jahre 1999 ist eine zunehmende Zersplitterung des Rates der Stadt Duisburg zu beobachten. Während 1999 noch fünf Parteien in den Stadtrat eingezogen sind, waren es 2004 bereits neun Parteien. Bei der Kommunalwahl 2009 erhöhte sich die Anzahl der Parteien weiter auf 10 und bei der letzten Wahl 2014 auf 13. Unter den 2014 in den Rat eingezogenen Parteien befinden sich fünf Einzelvertreter und zwei Gruppen, die zwischen 0,9 % und 2,4 % der Stimmen erhielten. Demzufolge besaß weniger als die Hälfte der Parteien von Beginn an einen Fraktionsstatus. Darüber hinaus benötigen Einzelvertreter im Vergleich zu großen Fraktionen zum Teil erheblich weniger Stimmen, um ein Mandat zu erzielen. So hat bei der Kommunalwahl 2014 zum Beispiel die Wählergemeinschaft „Sozial-Gerecht-Unabhängig“ mit 1.344 Stimmen ein Ratsmandat erworben, wohingegen für ein Mandat der SPD 1.707 Stimmen erforderlich waren. Bei der Kommunalwahl 2004 ist die Duisburger Alternative Liste sogar mit nur 931 Stimmen (0,5 %) mit einem Mandat in den Rat eingezogen. Für die SPD sind 2.372 Stimmen für ein Ratsmandat notwendig gewesen. Dies ist aus demokratietheoretischer Warte hinsichtlich des Wertes einer Wählerstimme höchst kritisch zu beurteilen.

Nach der Kommunalwahl 2014 haben sich einzelne Gruppen und Einzelvertreter zu Fraktionen zusammengeschlossen, die zuvor um Wähler konkurriert haben. Die drei Einzelvertreter von den Parteien „Bürgerlich-Liberale“, „Sozial-Gerecht-Unabhängig“ und den Piraten haben die Fraktion „Piraten-Soziale-Liberale“ gegründet. Die Gruppe von „Junges Duisburg“ bildete eine Fraktion mit dem Einzelvertreter von der „Duisburger Alternativen Liste“. Durch die Gründung einer Fraktion entsteht der Anspruch auf Zuwendungen zu den sächlichen und personellen Aufwendungen für die Geschäftsführung.
Diese Entwicklung gibt Grund zu der Annahme, dass der Prozess der zunehmenden Zersplitterung nicht abgeschlossen ist und bei der nächsten Kommunalwahl noch weiter zunehmen wird. Demzufolge besteht dringender Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers, die weitere Zersplitterung der Stadträte durch die Einführung einer Sperrklausel zu stoppen. Sie hat erhebliche Auswirkungen auf die kommunalpolitische Arbeit. Dies trifft insbesondere für die Mehrheitsbildung im Rat sowie für den Aufwand und die Belastung des kommunalpolitischen Ehrenamtes zu.

Bei 13 Parteien wird die Mehrheitsbildung im Rat erschwert. Neben einer „Großen Koalition“ aus SPD und CDU gibt es nur die Möglichkeit eines Bündnisses aus mindestens drei Parteien.

In der aktuellen Ratsperiode gibt es infolgedessen keine feste Koalition, sondern wechselnde Mehrheiten mit einer starken Tendenz zu Entscheidungen, die gemeinsam von SPD und CDU getragen werden. Dies gilt vor allem bei Entscheidungen zum Haushalt, zu Personal und zu großen planungspolitischen Themen. Hier bedarf es kohärenten Handelns und einer
verlässlichen Zusammenarbeit mit dem Oberbürgermeister, aber auch mit Investoren und unterschiedlichen Akteuren in der Stadtgesellschaft. Bei diesen Problemstellungen können Einzelfallentscheidungen mit unterschiedlichen kleineren Fraktionen nicht getroffen werden, da entsprechende Gegenleistungen bei jeder einzelnen Entscheidung erwartet werden und sich die Verlässlichkeit von Absprachen als problematisch erweist. Eine in Nordrhein-Westfalen traditionelle Unterscheidung in Mehrheits- und Oppositionsfraktionen und folglich eine transparente Zuordnung von Entscheidungen und Verantwortlichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger kann bei wechselnden Ratsmehrheiten nur noch sehr schwer vorgenommen werden.

Eine weitere Folge eines zersplitterten Stadtrates und unklarer Mehrheitsverhältnisse ist der enorm zunehmende Aufwand für die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker. Der Gesprächs- und Koordinationsaufwand zur Mehrheitsbildung für jede einzelne Entscheidung hat insbesondere für den Fraktionsvorsitzenden, die Fachsprecher und die Ausschussvorsitzenden deutlich zugenommen. Dies ist im Rahmen eines Ehrenamtes neben der Ausübung eines Berufes und der Vereinbarkeit mit der Familie kaum mehr möglich. Hinzu kommen eine Vielzahl an Anträgen, Anfragen und Stellungnahmen von Einzelvertretern und Kleinstfraktionen in den Sitzungen der Ausschüsse und des Rates. Infolgedessen steigt auch die zeitliche Belastung für die Ratsmitglieder weiter an. Dies gilt für den Beratungs- und Mehrheitsfindungsprozess im Vorfeld und für die Dauer von Sitzungen des Rates und der Ausschüsse. Die durchschnittliche Dauer von Sitzungen des Duisburger Stadtrates in der laufenden Ratsperiode beträgt 305 Minuten, bei Haushaltsberatungen durchschnittlich 364 Minuten. Auch der im Vorfeld von Gremiensitzungen erforderliche Koordinationsaufwand mit der eigenen Fraktion, mit anderen Ratsfraktionen, mit der Stadtverwaltung und dem Oberbürgermeister bedarf immer mehr Zeit.
Die Attraktivität und die Bereitschaft, ein kommunalpolitisches Ehrenamt zu übernehmen, schwinden damit zunehmend. Dies trifft vornehmlich auf Berufstätige und Eltern sowie auf Kommunalpolitiker in Großstädten zu, in denen der Aufwand für das kommunalpolitische Ehrenamt besonders hoch ist.
Durch die Einführung einer Sperrklausel von mindestens 2,5 % bei Kommunalwahlen würde die Entscheidungsfindung und Mehrheitsbildung im Stadtrat in einem für das Ehrenamt angemessenen Aufwand ermöglicht und auf diese Weise die Zukunftsfähigkeit des kommunalpolitischen Ehrenamtes neben Beruf und Familie gesichert werden. Der Rat würde in seiner Funktionsfähigkeit gestärkt, indem es eine klare und verlässliche Ratsmehrheit gibt und infolgedessen ein zielgerichtetes und einheitliches Handeln von Rat und Oberbürgermeister möglich wird.
Alternativen zur Sperrklausel sind nicht erkennbar. Eine Verkleinerung des Stadtrates führt häufig zum gegenteiligen Effekt. So wurde der Duisburger Stadtrat bei der Kommunalwahl 2014 auf 72 Mandate reduziert. Aufgrund von Überhang- und Ausgleichsmandaten erreichte der Rat schließlich eine Größe von 84 Sitzen. Die Beschneidung von Mandatsrechten wie dem Antrags-, Rede- oder Kontrollrecht würde das Problem der Mehrheitsfindung nicht lösen. Die Allzuständigkeit des Rates als direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewähltes Vertretungsorgan hat sich bewährt. Eine Beschneidung ist aus demokratietheoretischer Sicht nicht zu favorisieren und wird von unseren Ratsvertretern abgelehnt. Auch das Rückholrecht des Rates löst die sich aus der Zersplitterung der Räte ergebenen Probleme für das Ehrenamt und die Mehrheitsfindung nicht. Aus diesen Gründen wird die Einführung einer 2,5%igen Sperrklausel ausdrücklich unterstützt.

BZ-auf ein Wort

Nach wie vor gilt: Die Politik muss dem obersten Gericht in NRW nachweisen, dass es duch die "Zersplitterung des Stadt- oder Gemeinderates" die politische Arbeit enorm erschwert bzw. gar unmöglich macht. Die von der SPD und der CDU in Duisburg angewandte Politik der großen Koalition beweist, dass eine dem Allgemeinwohl verpflichtende Politik Realität bedeutet, also in der Praxis funktioniert.

Diese Beantragung beweist einmal mehr, dass die Politik die Bürger wieder entmündigen möchte. Eine weitere politische Verdrossenheit im Land würde gefördert und dem extrem politischen Spektrum weiteren Zulauf verschafft.

Stellungnahme von Prof. Dr. Hinnerk Wißmann - Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insb. Verwaltungswissenschaften, Kultur- und Religionsverfassungsrecht
Zum Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD, CDU und Bündnis 90/DIE GRÜNEN zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen und wahlrechtlicher Vorschriften („Kommunalvertretungsstärkungsgesetz“)
LT-Drs. 16/9795
I. Übersicht und Gesamtwürdigung
Der Gesetzentwurf zur Wiedereinführung der „kommunalen Sperrklausel“ betrifft eine zentrale Grundfrage der Staatsorganisation: Die Zusammensetzung von staatlichen Vertretungskörperschaften, die „das Volk“ repräsentieren, muss das Ergebnis fairer Wahlen zutreffend abbilden. Zugleich gilt es, Parlamente und Räte arbeits- und entscheidungsfähig zu halten, damit sie ihren Aufgaben nachkommen können. Soweit zwischen beiden Aspekten eine Spannungslage droht, gibt das Verfassungsrecht folgenden Orientierungsmaßstab vor:

Weil jede Einschränkung der durch Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG gewährleisteten Wahlrechtsgrundsätze geeignet ist, die demokratische Legitimität staatlicher Herrschaft in Frage zu stellen, ist sie nur unter engen Voraussetzungen („zwingender Grund“) möglich.
Vor diesem Hintergrund ist festzustellen: Die Einführung einer Sperrklausel von 2,5% für kommunale Vertretungskörperschaften in Nordrhein-Westfalen erfüllt mit der vorliegenden Begründung nicht die Anforderungen, die in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung formuliert worden sind.

Insbesondere werden Anhaltspunkte für eine drohende Funktionsstörung der kommunalen Vertretungskörperschaften nicht hinreichend belegt. An der rechtlichen Beurteilung ändert sich nichts durch die vorgesehene Regelung in der Landesverfassung, da der einschlägige Maßstab des Bundesverfassungsrechts auch insoweit Vorrang genießt.
Die Stellungnahme formuliert zunächst die einschlägigen Vorgaben des Grundgesetzes (II.); anschließend wird der Gesetzentwurf anhand dieses Maßstabs rechtlich gewürdigt (III.). Zu Fragen des Landesverfassungsrechts und prozessualen Konsequenzen wird hier nicht Stellung genommen.

II. Bundesverfassungsrechtlicher Maßstab: Gleichheit der Wahl, Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG
Zusammenfassung: Bei der in Aussicht genommenen Änderung der Landesverfassung ist als Rechtsmaßstab insbesondere das Grundgesetz als vorrangiges Bundesrecht zu würdigen.
Bei der Sperrklausel handelt es sich um eine Einschränkung der Gleichheit der Wahl, die durch das Grundgesetz auch für die kommunale Ebene als Wahlrechtsgrundsatz vorgegeben ist (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG).
Eine solche Einschränkung ist nur zulässig, wenn für die jeweilige Vertretungskörperschaft in Hinblick auf ihre Aufgaben mit einiger Wahrscheinlichkeit eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit zu erwarten ist. Wegen der Bedeutung der Wahlrechtsgleichheit für demokratisch legimitierte Staatsorgane ist für die Prognoseentscheidung des Gesetzgebers ein strenger, dreifach gestufter Maßstab anzulegen.
Dazu ist im Einzelnen auszuführen:
a) Im Bundesstaat ist die Regelung ihrer Staatsorganisation grundsätzlich Sache der Bundesländer. Sie geben sich Verfassungen aus eigenem Recht und können insoweit auch durchaus unterschiedliche Modelle ausprägen („Verfassungsautonomie“ der Bundesländer, vgl. Art. 30 GG). Von dieser Verfassungsautonomie gibt es allerdings bedeutsame Ausnahmen, die vor allem das Grundverhältnis der Bürger zum Staat und damit letztlich die Legitimation der öffentlichen Ordnung betreffen. Hier trifft das Bundesrecht regelmäßig Entscheidungen, die dann für das Landesrecht verbindlich sind, Art. 31 GG. So sind etwa die Geltung der (Bundes-)Grundrechte für sämtliche Landesbehörden, der Gesetzesvorbehalt für Grundrechtseingriffe und die Gewaltenteilung (mit der Gewährleistung einer unabhängigen Justiz zum Schutz der Bürgerrechte) bundesrechtlich vorgegeben.
Auch die Gewährleistung einer allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl gehört zu den Vorgaben, die das Grundgesetz für die Landesebene ausdrücklich verbindlich trifft, Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG.
Die Regelungen des Landesrechts können sich insoweit nur in dem Korridor bewegen, den das Bundesverfassungsrecht eröffnet.

Genauer betrachtet sieht das Bundesverfassungsrecht zwei unterschiedliche Modelle für solche Vorgaben vor: Zum einen gibt es – eher allgemein gehaltene – Homogenitätsmaßstäbe, die unterschiedliche Ausgestaltungen und Ergebnisse zulassen. Ein Beispiel dafür ist die Bindung an die Grundsätze des „republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Sinne dieses Grundgesetzes“, Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG. Zum anderen gibt das Grundgesetz für einige Entscheidungen, die das Landesrecht zu treffen hat, exakte Zielwerte vor, bei denen ein bestimmtes Ergebnis nicht verfehlt werden darf. Hierzu zählen die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG.

Das ergibt sich bereits aus der Systematik der Regelung: Während allgemeine Anforderungen an eine demokratische Wahl bereits aus der Vorgabe des „demokratischen Rechtsstaats“ nach S. 1 (in Verbindung mit Art. 38 Abs. 1 GG) abzuleiten wären, geht die Sonderregelung des S. 2 darüber hinaus, indem sie die Wahlrechtsgrundsätze, die für die Bundesebene nach Art. 38 GG gelten, wortgleich wiederholt und für die Wahl der Vertretung des Volkes in „Ländern, Kreisen und Gemeinden“ vorgibt.
Aus dieser Regelung hat das Bundesverfassungsgericht den Schluss gezogen, dass für alle genannten Vertretungskörperschaften die Wahlrechtsgrundsätze inhaltsgleich gelten (BVerfGE 120, 82 (102)).
b)
Für die im Gesetzentwurf vorgesehene Regelung ist der Grundsatz der gleichen Wahl der entscheidende Beurteilungsmaßstab. Dafür ist zu beachten: Der Gesetzgeber ist zunächst frei, ein wahlrechtliches Grundsystem zu wählen und auszugestalten. Wenn sich Bundes- oder Landesrecht für das System der (ggfs.: gemischten) Verhältniswahl entscheiden, sind sie in Bezug auf die Gleichheit der Wahl aber daran gebunden, konsistente Anschlussentscheidungen zu treffen. Das bedeutet, dass hier nicht nur die Zählgleichheit aller abgegebenen Stimmen, sondern auch die Erfolgswertgleichheit aller Stimmen gegeben sein muss (BVerfGE 120, 82 (103)
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– stdg. Rspr.). Anders als im alternativen Modell der (echten) Mehrheitswahl müssen sich die abgegebenen Stimmen im Verhältnis zueinander auch in der Verteilung der Sitze in der jeweiligen Vertretung widerspiegeln. Eine natürliche Grenze bildet dafür zunächst nur die Größe der Vertretungskörperschaft, wonach für ein Mandat ein Mindestanteil an Gesamtstimmen gewonnen werden muss. Dies folgt zwanglos aus dem Wesen der Repräsentation. Alle anderen Einschränkungen widersprechen dem Grundansatz der Verhältniswahl und sind daher begründungspflichtig.
Eine Besonderheit ist nun, dass für solche Einschränkungen besonders scharfe Vorgaben gelten. Abweichungen werden nur ausnahmsweise akzeptiert; es gilt nicht etwa nur der allgemeine Gleichheitssatz, sondern das strikte Prinzip der formalen Gleichheit (BVerfGE 120, 82 (102) – stdg. Rspr.). Der Grund hierfür liegt in der zentralen Stellung, die die gleiche Wahl für die Legitimation der staatlichen Ordnung überhaupt hat:
Wenn sich alle Staatsgewalt vom Volk ableitet, muss die Begründung staatlicher Kompetenzen an dieser Nahtstelle unbezweifelbar auf den möglichst unverfälschten Volkswillen zurückzuführen sein.
Es handelt sich also gerade nicht um staatsinternes Organisationsrecht, das nach pragmatischen Zweckmäßigkeitserwägungen gestaltet werden kann (wie etwa Teile des Parlamentsrechts). Auch ist kein Raum für – sonst im Bundesstaat vielfach gut begründbare – „Experimente“ oder einen „Wettbewerb“ um neue und bessere Regelungsmodelle: Die scharfe Regulierung der Wahlrechtsgleichheit dient dazu, den politischen Prozess offenzuhalten und eine Selbstermächtigung parlamentarischer Gruppen durch Ausschluss oder auch nur unzulässige Erschwerung unliebsamer Konkurrenz zu verhindern.
In Vertretungen des Volkes soll sich das wählende Volk widerspiegeln, nicht die Versammlung derer, die meinen, den Staat zu repräsentieren.
c) Vor diesem Hintergrund sind Sperrklauseln grundsätzlich unzulässig. Ihre Zulässigkeit kann sich nur bei Vorliegen eines „zwingenden Grundes“ ergeben (BVerfGE 120, 82 (107)).

Als solcher stellt sich insbesondere die Gefährdung des verfassungsrechtlichen Auftrags des jeweiligen Organs dar. Diese Funktionsbeeinträchtigung muss in tatsächlicher Hinsicht mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerfGE 120, 82 (Leitsatz)). Das BVerfG hat in seiner neueren Rechtsprechung insoweit im Ergebnis zwischen Bundestag und Landtagen auf der einen Seite und kommunalen Vertretungen und dem Europaparlament auf der anderen Seite unterschieden: Während für die erstgenannten Parlamente Sperrklauseln zulässig sein sollen, wurden sie für die letztgenannten verworfen (BVerfGE 120, 82 bzw. BVerfGE 129, 300; 135, 259).
Die unterschiedliche Bewertung von Sperrklauseln setzt an der unterschiedlichen Funktion der Vertretungskörperschaften an: (Nur) Bundes- und Landesparlament haben echte Gesetzgebungskompetenzen und wählen bzw. kontrollieren eine Regierung mit weitreichenden eigenen Kompetenzen. Deswegen ist die stabile Bildung von Mehrheiten hier ein so wichtiger Belang, dass die Gewährleistung der vollständigen Wahlrechtsgleichheit zurückstehen kann, wenn der Gesetzgeber sich für die Einführung einer Sperrklausel entscheidet (BVerfGE 1, 208; 51, 222 (236) – stdg. Rspr.).
Da es an entsprechenden Aufgaben bei Europaparlament und kommunalen Vertretungskörperschaften mangelt, müsste sich eine Funktionsunfähigkeit aus anderen Gründen ergeben. Wenn sich der Gesetzgeber zur Einführung einer kommunalen Sperrklausel entschließt, hat er eine Prognoseentscheidung in Hinblick auf drei Aspekte zu treffen:
Die Wahrscheinlichkeit des Einzugs von Splitterparteien, durch sie künftig zu erwartende Funktionsstörungen und deren Gewicht für die Aufgabenerfüllung der kommunalen Vertretungsorgane (BVerfGE 120, 82 (113). Diese Prognoseentscheidung muss hinreichend begründet sein und darf sich nicht auf abstrakte Vermutungen stützen. Das BVerfG hat überdies eine Reihe möglicher Begründungen ausgeschlossen, so etwa die wünschenswerte Begrenzung extremistischer Parteien, den Ausschluss von Partikularinteressen sowie die bloße Erleichterung oder Vereinfachung der Beschlussfassung (BVerfGE 120, 82 (109 ff.)).
d) Schließlich ist die Entwicklung der Rechtsprechung besonders zu beachten. Sperrklauseln wurden durch das BVerfG zunächst in der frühen Bundesrepublik für die kommunale Ebene bzw.
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das Europaparlament akzeptiert (BVerfGE 6, 104 für kommunale Vertretungen; BVerfGE 51, 222 für das Europaparlament). Landesverfassungsgerichte haben dann die
Sperrklauseln nach dem Maßstab des Landesverfassungsrechts verworfen, so in Nordrhein-Westfalen 1999 (Urteil des VerfGH vom 6.7.1999, OVGE 47, 304).
Daraufhin hat auch das Bundesverfassungsgericht – unter deutlicher Bezugnahme auf die Argumentation des VerfGH in Münster – im Jahr 2008 seine Rechtsprechung verschärft, konkret in der Funktion als Landesverfassungsgericht für das Land-Schleswig-Holstein. Gleiches erfolgte dann auch für die europäische Ebene, woran auch der Aufgabenzuwachs für das Europäische Parlament nichts änderte. Die neuere Entwicklung der Rechtsprechung geht mit anderen Worten dahin, dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl im Verhältnis zu seiner möglichen Einschränkbarkeit größeres Gewicht zugemessen.

Die Rechtsprechung zur Verwerfung von Sperrklauseln hat dabei im Vergleich zu anderen Vorgehensweisen des Gerichts herausgehobenen Charakter: Für das Europarecht hat das BVerfG eine Verwerfung trotz Absenkung der Sperrklausel zweimal ausgesprochen (BVerfGE 129, 300; 135, 259), für den kommunalen Bereich wurde eine (ganz ungewöhnliche) Klage gegen die Ablehnung eines Gesetzentwurfs auf Abschaffung der Sperrklausel akzeptiert, um die entsprechenden Maßstäbe durchzusetzen (BVerfGE 120, 82).
III. Verfassungsrechtliche Würdigung des Gesetzentwurfs
Zusammenfassung:
Der Gesetzentwurf zur Änderung des Art. 78 Abs. 1 der Landesverfassung und des nachfolgenden Kommunalwahlrechts genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an die Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit in Bezug auf Kommunalvertretungen gestellt werden.
Die Begründung ist von einer Grundhaltung getragen, nach der die Abbildung von Wahlerfolgen unterhalb der Fraktionsgröße letztlich irregulär erscheint. Neben den normativen Vorgaben verfehlt das Vorhaben damit auch den inneren Kern demokratischer Repräsentation im Kontext der bürgerschaftlichen Selbstverwaltung, die keinesfalls ausschließlich auf „Regierungsbildung“ und arrivierte Parteien ausgerichtet ist.
Dazu ist im Einzelnen auszuführen:
a) Die Einführung einer „kommunalen Sperrklausel“ kann nicht als bloße Ausgestaltung eines Wahlrechtssystems verstanden werden. Denn sie zielt ausschließlich darauf, bei grundsätzlicher Geltung des Verhältniswahlsystems bestimmte Stimmanteile von der Mandatsverteilung auszuschließen; daher handelt es sich um eine Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit. An dieser Einordnung ändert insbesondere die Regelung in der Landesverfassung nichts. Vor dem skizzierten verfassungsrechtlichen Hintergrund ist für die Rechtfertigung der Regelung die entscheidende Frage, ob eine hinreichende Begründung der drohenden Funktionsstörung der Vertretungskörperschaften bei Abwesenheit einer Sperrklausel vorliegt.
Wie bereits ausgeführt, hat die Begründung auf drei Ebenen anzusetzen: Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit muss in Bezug auf den Einzug von Splitterparteien in die Räte (1) dargelegt werden, für dadurch künftig zu erwartende Funktionsstörungen (2) und für deren Gewicht für die Aufgabenerfüllung der kommunalen Vertretungsorgane (3).
- Zunächst legt der Gesetzentwurf für die Frage des Einzugs von Spitterparteien (1) die tatsächliche Entwicklung der Mandatsverteilung seit Abschaffung der Sperrklausel dar und verbindet dies mit der Prognose einer weiter zunehmenden Aufgliederung der Mandate auf unterschiedliche Parteien und Gruppierungen (S. 12 ff.). Tatsächlich ist die lineare Zunahme von fraktionsunfähigen Einzel- oder Gruppenmandaten über mehrere Wahlen hinweg eine deutliche Auffälligkeit. Auch ist richtig, dass angesichts der Durchschnittsgröße der Städte in NRW und der großzügigen Bemessung von Ratssitzen vergleichsweise mehr Räte vom Auftreten von
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Einzelmandaten betroffen sind als in anderen Bundesländern. Es bleibt allerdings letztlich ungeklärt, ob insoweit von einer „Zersplitterung“ gesprochen werden kann, weil dafür keine Referenzgröße entwickelt wird. Der Gesetzentwurf nimmt vielmehr das vermehrte Auftreten von Einzelmandaten als solches bereits als „Zersplitterung“ der Räte. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, dass auch in den betroffenen Räten weiterhin deutlich mehr als 90% aller Mandate in der Hand von größeren Parteien liegen.
Daher erscheinen die Kommunalvertretungen kaum als zersplittert (wenn nicht auch mittelgroße Parteien als Element der Zersplitterung angesehen werden sollen). Auch ist eine größere Schwächung bisher erfolgreicher Parteien durch die Zunahme von Kleingruppen oder Einzelbewerbern hier nicht belegt worden; zu einem guten Teil werden lediglich die dort erzielten Stimmen nunmehr auch in den Vertretungen abgebildet.
Zu beachten ist, dass durch die begrenzte Anzahl von Mandaten in kommunalen Vertretungskörperschaften das Erringen eines Einzelmandats – anders als bei den ungleich größeren Landesparlamenten oder dem Bundestag – bereits eine durchaus erhebliche Menge politischer Gefolgschaft abbildet. Schließlich fehlt es an einer begründeten Prognose, ob und wieweit die Zunahme von fraktionsunfähigen Mandatsträgern zukünftig weiter zunehmen und in der Gesamtschau aller Mandate eine erheblichere Größe einnehmen wird. Insgesamt erscheint schon der Tatbestand der Zersplitterung mangels qualitativem Maßstab nicht hinreichend nachgewiesen.
- Hinsichtlich der Prognose zu erwartender Funktionsstörungen (2) stellt der Gesetzentwurf vor allem darauf ab, dass durch die Aufgliederung der Mandate angesichts der komplexer gewordenen Aufgaben die Arbeitsabläufe und die gemeinwohlverträgliche Ausrichtung der Kommunalvertretungen gefährdet seien (S. 17 f.). Dabei wird fraktionsfreien Mandatsträgern eine „Tendenz zur Überforderung“ unterstellt; sie seien „schlechter informiert, weniger kompromissfähig und mehrheitsfähig als Fraktionen“, und so kennzeichneten „nahezu vollständige Chancenlosigkeit, Benachteiligung und ggfs. Ausschluss von Mehrheitsbildungen“ ihre Position (S. 14).
Diese nur mühsam als Fürsorge bemäntelte Geringschätzung macht sich dann folgerichtig auch nicht mehr die Mühe, spürbare konkrete Mehrbelastungen der Räte gerade durch Einzelmandatsträger – etwa verlängerte Sitzungen oder ein überladenes Antragswesen – nachzuweisen. Der Einwand gegen den überlasteten ehrenamtlichen Kommunalpolitiker trifft im Übrigen natürlich mindestens auch kleinere Fraktionen, nein: dem Grunde nach das Ehrenamt als solches. Das Idealbild des Gesetzentwurfs ist scheinbar die große kommunalvertretungsrechtliche Fraktion, die durch parteipolitische Gesamtentwürfe gesteuert wird. Die Verfassung vertraut demgegenüber mit dem Topos der Selbstverwaltung darauf, dass die Bürgerschaft die Belastung des Ehrenamtes aus eigenem Antrieb begrenzt.
Die vorgelegte Begründung weist nicht nach, dass das geltende Recht, insbesondere die Handhabung der Ausschussarbeit und der Geschäftsordnung, einem Unwesen des Einzelmandats hilflos ausgeliefert wäre. Daher sind zu erwartende Funktionsstörungen nicht mit der hinreichenden Deutlichkeit dargelegt.
- Das Gewicht der erwarteten Funktionsstörungen (3) wird vorrangig mit dem politikwissenschaftlichen Deutungsmodell der Konkurrenzdemokratie begründet, die im Kommunalrecht Nordrhein-Westfalens (im Gegensatz zu der andernorts herrschenden Konkordanzdemokratie) anzutreffen sein soll (S. 14 ff.).
Die aus den 1970er Jahren stammende Formel einer durch Parteipolitik dominierten Konkurrenzdemokratie auf lokaler Ebene übergeht die Einführung partizipativer Elemente (Bürgerbegehren, Informationsansprüche); sie will sich auch nicht dadurch irritieren lassen, dass die eigenständige Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten die Ausgangsparameter ihrer Annahmen verändert hat. Gerade auf diese Veränderung hat aber das Bundesverfassungsgericht in seiner einschlägigen Entscheidung zum Verbot der kommunalen Sperrklausel im Jahr 2008 abgehoben, weil insbesondere die Wahl und kontinuierliche Unterstützung einer Verwaltungsspitze die Ratsparteien dazu zwingen kann, in Blöcken zu agieren. Zutreffend ist, dass die vergleichsweise schwache Stellung der direkt gewählten Verwaltungsspitze („Allzuständigkeit des Rates“) die Notwendigkeit von
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Entscheidungen des Rates erhöht; freilich ist darauf hinzuweisen, dass diese durch das einfache Kommunalrecht hervorgerufene Asymmetrie (Direktwahl der Verwaltungsspitze ohne entsprechende Organkompetenzen) auch dort zu beheben wäre – dies würde im Übrigen auch die Arbeitsbelastung der Räte senken. Auch eine angemessene Verkleinerung der Räte entsprechend dem Vorbild anderer Länder würde eine legitime „natürliche“ Sperrklausel setzen, dabei aber den fragwürdigen Effekt vermeiden, dass im Ländervergleich ohnehin schon mitgliederstarke Fraktionen durch den Ausschluss von Mitbewerbern nochmals vergrößert werden.
Insgesamt sollte die auf überkommene Idealtypen ausgehende Modellbildung („NRW = kommunale Konkurrenzdemokratie“) schon wegen der Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen nicht zu einer quasi-normativen Größe erhoben werden. Die in der Gesetzesbegründung in den Mittelpunkt gestellte Schwierigkeit bei der Bildung von Mehrheiten entsteht im Übrigen faktisch vor allem durch die zwischenzeitlich größere Zahl von fraktionsfähigen Parteien, nicht durch Einzelmandate.
So ist die hier als Schreckgespenst gezeichnete Große Koalition als Dauerzustand auf der Bundesebene trotz 5%-Sperrklausel in zwei der drei letzten Legislaturperioden eingerichtet worden. Auch für die behauptete Belastung der Gremienarbeit im tatsächlichen Geschäftsgang wäre zu hinterfragen, ob diese tatsächlich von Einzelmandatsträgern ausgeht oder nicht gerade von der Konfrontation der arrivierten großen und mittelgroßen Parteien.
b) Bei einer Gesamtschau muss nicht bestritten werden, dass Einzelmandate und Kleingruppen die Arbeit der ehrenamtlichen Räte mit neuen Lästigkeiten versehen. Auch kann man kritisieren, dass für die Parlamente die Hürde zur Einführung von Sperrklauseln niedriger liegt als für die kommunale Ebene.
Gleichwohl: Die vorliegende Gesetzesbegründung erfüllt nicht die Anforderungen, die das Verfassungsrecht in der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts an eine Einführung kommunalrechtlicher Sperrklauseln stellt. Angesichts dessen wären unterschiedliche Strategien denkbar. Entweder wird eine Begründung nachgeliefert, die den Anforderungen entspricht – dies setzte aber einen entsprechenden Realbefund voraus. Möglich ist auch, auf eine Änderung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben zu setzen und diese offensiv einzufordern – damit ist freilich verbunden, sich des entsprechenden rechtlichen und politischen Risikos bewusst zu sein. Naheliegender wäre es, dass die antragstellenden Fraktionen überprüfen, ob sie mit der hier betriebenen Verfassungsänderung nicht an der falschen Stelle ansetzen – und damit der demokratischen Sache schaden.
Münster, 10.1.2016 gez. Prof. Dr. Hinnerk Wißmann