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Abenteuer Moers-Festival
Applaus für das Publikum

Stephan Sadowski

Duisburg, 01. Juni 2015 - Es war eigentlich ein unmerkliches Jubiläum, denn zehn Jahre hat Reiner Michalke inzwischen die musikalische Leitung über das Moers-Festival. Der künstlerisch Verantwortliche heimste nicht umsonst den Preis „Award for Adventurous Programming“ für seine weltoffene und im positiven Sinne abenteuerliche Programmgestaltung ein, der ihm von der Präsidentin des European Jazz Network, Ros Rigby, verliehen wurde.

Und auch das Moerser Publikum feierte den künstlerischen Leiter am Pfingstmontag gebührend, der das Festival in neue musikalische Dimensionen geöffnet hat, sich aber bescheiden gab und lieber Colin Stetson, den „Artist in Residence“, im Solokonzert hören wollte, als selbst auf der Bühne große Reden zu schwingen. Bürgermeister Christoph Fleischhauer betonte in der Festivalhalle die Wichtigkeit des Events: „Das Festival hat inzwischen Weltruhm erlangt und wir in Moers sind verantwortlich dafür.“

Über 10000 Besucher habe das Festival an den vier Tagen gehabt, die dieses Mal eine größere Händlermeile mit Getränke- und Essensständen vorfanden als ihm Vorjahr. An dieser solle aber weiter gearbeitet werden, damit sie ähnliches Flair versprühe, wie die einstige Flaniermeile im Moerser Schlosspark.

Lange hat Leiter Reiner Michalke am Programm zur musikalischen Speerspitze der zeitgenössischen Avantgarde gefeilt, sich einige zischende Pfeile in den Köcher gelegt, die gezielt den Nerv des Publikums trafen. Bei der 44. Ausgabe des Moers-Festivals waren es vor allen Dingen die Gegensätze, die die Zuschauer in dieses musikalische Abenteuer über vier Tage eintauchen ließen: Schon zum Einstieg gab es feinste orchestrale Kammermusik vom  „Improviser in Residence“, Hayden Chisholm, am Saxophon mit dem filigranen „Lucerne Jazz Orchestra“. Hier wurden schwierigste Harmonien durch das Mitschwingen von Obertönen erzeugt, die sich in der feinen Akustik der Festivalhalle verselbstständigten.

Eine Symphonie im Jazz
Der „Artist in Residence“, Colin Stetson,hingegen verselbstständigte sich in den vier Tagen mit je einem Konzert pro Tag. Im Zusammenspiel mit der Geigerin Sarah Neufeld lieferte er am Freitag eine brodelnde Bassmasse mit seinem Saxophon, über die sie exzentrische Soli legte und dabei noch so anmutig wirkte wie die klassische Musikerin Anne Sophie Mutter - selbst in wildesten Momenten. Der 38-jährige Ausnahmesaxophonist aus Michigan hätte eigentlich in einem Sauerstoffzelt übernachten müssen, durch seine durchgehende Zirkulationsatmung beim Spiel gelangte er wohl an die Grenzen seines Lungenvolumens und verbot sich wohl deshalb sämtliche Interviews. Er lieferte einen der Höhepunkte des Festivals mit dem Projekt: „Sorrow, a reimagining of Gorecki's 3rd Symphony“. Der 2010 verstorbene, polnische Komponist Henryk Gorecki hatte diese Symphonie 1976 als Auftragsarbeit für den SWF komponiert. Alle drei Sätze bestehen aus melancholischen Klageliedern, Colin Stetson hatte diese für sein Jazz-Orchester bearbeitet, „allerdings keine Note verändert“.

Neues von der New Yorker Avantgarde konnte auch vermeldet werden: Erstmals spielten der Trompeter Peter Evans, der im letzten Jahr mit „Mostly other people do the killing“ die Leute zum Schmunzeln brachte, und Bassist Tim Dahl zusammen. Sie dekonstruierten mit ihrem Projekt „Pulverize the Sound“ sämtliche Songstrukturen und atomisierten den Klang. Großen Beifall erntete auch der Kölner Saxophonist Christoph Clöser mit dem Projekt „The Nest“. Tanzbare Samples, die mal wie Kirchenglocken oder klirrende Gläser klangen, wurden überpinselt von orientalisch anmutenden Solis auf dem Altsaxophon, dazu ein Percussionist, der den italienischen Schlager „Amore, amore, amore“ anstimmte.

Applaus für das Publikum
Daneben gab es Altbewährtes, das an die Ursprünge des Festivals erinnerte:  The Jones Family Singers pflegten traditionellen Blues und Gospel. Und die Formation Bassekou Kouyté knüpfte am Montagabend mit ihrem Auftritt an die African Dance Night an, die lange Zeit eine wichtige Komponente war, als die Fans im Innenraum der Halle bei afrikanischen Klängen abtanzten. Am Samstag sorgten drei DJ-Projekte in „The Night“  für die Bewegung der Zuschauer.

Den größten Applaus, und darin waren sich alle Musiker, die auf der Bühne standen, einig, hatten die Zuschauer verdient.
Mit seiner Weltoffenheit und Toleranz habe sich das Moerser Publikum, genauso wie die auftretenden Musiker, einen internationalen Ruf erarbeitet. So wird das Event, durch die Spezialisierung des Festivalleiters, der mit seinem Programm versucht, nahe an den aktuellen Strömungen zu bleiben, auch 2016 einen hohen Stellenwert in der Stadt haben.