Duisburg, 01. Juni 2015 - Es war eigentlich ein
unmerkliches Jubiläum, denn zehn Jahre hat Reiner Michalke
inzwischen die musikalische Leitung über das Moers-Festival.
Der künstlerisch Verantwortliche heimste nicht umsonst den
Preis „Award for Adventurous Programming“ für seine
weltoffene und im positiven Sinne abenteuerliche
Programmgestaltung ein, der ihm von der Präsidentin des
European Jazz Network, Ros Rigby, verliehen wurde.
Und auch das Moerser Publikum
feierte den künstlerischen Leiter am Pfingstmontag
gebührend, der das Festival in neue musikalische Dimensionen
geöffnet hat, sich aber bescheiden gab und lieber Colin
Stetson, den „Artist in Residence“, im Solokonzert hören
wollte, als selbst auf der Bühne große Reden zu schwingen.
Bürgermeister Christoph Fleischhauer betonte in der
Festivalhalle die Wichtigkeit des Events: „Das Festival hat
inzwischen Weltruhm erlangt und wir in Moers sind
verantwortlich dafür.“
Über 10000 Besucher habe das Festival
an den vier Tagen gehabt, die dieses Mal eine größere
Händlermeile mit Getränke- und Essensständen vorfanden als
ihm Vorjahr. An dieser solle aber weiter gearbeitet werden,
damit sie ähnliches Flair versprühe, wie die einstige
Flaniermeile im Moerser Schlosspark.
Lange hat Leiter Reiner Michalke
am Programm zur musikalischen Speerspitze der
zeitgenössischen Avantgarde gefeilt, sich einige zischende
Pfeile in den Köcher gelegt, die gezielt den Nerv des
Publikums trafen. Bei der 44. Ausgabe des Moers-Festivals
waren es vor allen Dingen die Gegensätze, die die Zuschauer
in dieses musikalische Abenteuer über vier Tage eintauchen
ließen: Schon zum Einstieg gab es feinste orchestrale
Kammermusik vom „Improviser in Residence“, Hayden
Chisholm, am Saxophon mit dem filigranen „Lucerne Jazz
Orchestra“. Hier wurden schwierigste Harmonien durch das
Mitschwingen von Obertönen erzeugt, die sich in der feinen
Akustik der Festivalhalle verselbstständigten.
Eine Symphonie im Jazz Der „Artist in Residence“, Colin
Stetson,hingegen verselbstständigte sich in den vier Tagen
mit je einem Konzert pro Tag. Im Zusammenspiel mit der
Geigerin Sarah Neufeld lieferte er am Freitag eine brodelnde
Bassmasse mit seinem Saxophon, über die sie exzentrische
Soli legte und dabei noch so anmutig wirkte wie die
klassische Musikerin Anne Sophie Mutter - selbst in
wildesten Momenten. Der 38-jährige Ausnahmesaxophonist aus
Michigan hätte eigentlich in einem Sauerstoffzelt
übernachten müssen, durch seine durchgehende
Zirkulationsatmung beim Spiel gelangte er wohl an die
Grenzen seines Lungenvolumens und verbot sich wohl deshalb
sämtliche Interviews. Er lieferte einen der Höhepunkte des
Festivals mit dem Projekt: „Sorrow, a reimagining of
Gorecki's 3rd Symphony“. Der 2010 verstorbene,
polnische Komponist Henryk Gorecki hatte diese Symphonie
1976 als Auftragsarbeit für den SWF komponiert. Alle drei
Sätze bestehen aus melancholischen Klageliedern, Colin
Stetson hatte diese für sein Jazz-Orchester bearbeitet,
„allerdings keine Note verändert“.
Neues von der New Yorker
Avantgarde konnte auch vermeldet werden: Erstmals spielten
der Trompeter Peter Evans, der im letzten Jahr mit „Mostly
other people do the killing“ die Leute zum Schmunzeln
brachte, und Bassist Tim Dahl zusammen. Sie dekonstruierten
mit ihrem Projekt „Pulverize the Sound“ sämtliche
Songstrukturen und atomisierten den Klang. Großen Beifall
erntete auch der Kölner Saxophonist Christoph Clöser mit dem
Projekt „The Nest“. Tanzbare Samples, die mal wie
Kirchenglocken oder klirrende Gläser klangen, wurden
überpinselt von orientalisch anmutenden Solis auf dem
Altsaxophon, dazu ein Percussionist, der den italienischen
Schlager „Amore, amore, amore“ anstimmte.
Applaus für das Publikum Daneben gab es Altbewährtes, das
an die Ursprünge des Festivals erinnerte: The Jones
Family Singers pflegten traditionellen Blues und Gospel. Und
die Formation Bassekou Kouyté knüpfte am Montagabend mit
ihrem Auftritt an die African Dance Night an, die lange Zeit
eine wichtige Komponente war, als die Fans im Innenraum der
Halle bei afrikanischen Klängen abtanzten. Am Samstag
sorgten drei DJ-Projekte in „The Night“ für die
Bewegung der Zuschauer.
Den größten Applaus, und darin
waren sich alle Musiker, die auf der Bühne standen, einig,
hatten die Zuschauer verdient. Mit seiner Weltoffenheit und
Toleranz habe sich das Moerser Publikum, genauso wie die
auftretenden Musiker, einen internationalen Ruf erarbeitet.
So wird das Event, durch die Spezialisierung des
Festivalleiters, der mit seinem Programm versucht, nahe an
den aktuellen Strömungen zu bleiben, auch 2016 einen hohen
Stellenwert in der Stadt haben.
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