Duisburg, 08. Juni 2016 - Seit elf Jahren sitzt der
36-jährige Musikfan Thijs Hendriks im Rollstuhl – Diagnose:
Querschnittslähmung. Nur mit dem Kopf steuert er sein
Gefährt, drei Pflegekräfte Marion, Anna und Oli betreuen ihn
rund um die Uhr. „Ich war damals mit Studenten auf einem
Festival in Lingen. Ich saß auf den Schultern eines
Kommilitonen beim Tanzen“, erinnert sich Thijs Hendriks. Im
Gedränge des Rockkonzerts fiel er auf den Boden, so
unglücklich, dass er ab dem Zeitpunkt nur noch den Kopf
bewegen kann. Die Liebe zur Musik lässt er sich nicht
nehmen. „Ich finde es ein tolles Festival in meinem
Heimatort, bin seit längerem wieder hier“, sagt der
Friemersheimer, der privat am liebsten Vinylschallplatten
hört. „Meine Betreuer machen dann immer das DJTeam für mich,
wenn ich die Rolling Stones hören möchte“, scherzt Thijs
Hendriks.
Sein Favorit am Freitagabend beim „Rage
against Racism-Festival“ rund um die Friemersheimer Mühle
ist die Band „Kärbholz“. Aus dem kleinen „Kaff“
Ruppichteroth nahe Siegburg kommt die vierköpfige
Punkmetal-Formation. „Bei uns gibt es sonst nur
traditionelle Schützenfeste, da mussten wir Gegenkultur
betreiben“, sagt Gitarrist Adrian Kühn. Sechs Alben hat die
Band, die auch schon in Wacken gespielt hat, an den
Start gebracht, am Freitag tanzt ein großer Teil der mehr
als 1500 Zuschauer bei ihren „Anti-Naziliedern“ im punkigen
Gewande wie „Timi halts Maul“ oder „Kein Rockn Roll“.
„Ja, wir stellen uns voll hinter die Idee „Rage against
Racism“, ergänzt Sänger Torben Höffgen.
Zuvor hatte
die dreiköpfige Thrash-Metal-Formation „Skeleton Pit“ aus
der Stuttgarter Ecke richtig abgeräumt. Gerade Bassist Doyle
Festinator liefert eine fetzige Bühnenshow ab, dreht sich
beim Spielen seines Instruments immer wieder um sich selbst.
„Wir machen eine Mischung zwischen Slayer und den Misfits“,
sagt Sänger und Gitarrist Patrick Options. Viele Songs ihres
aktuellen Albums „Chaos at the Mosh-Reactor“ prasseln auf
die mitmoshenden Fans ein, Gitarren-Riffs mit einer
Geschwindigkeit von 250 bpm.
Das „Rage against
Racism“ ist wieder mit deutschlandweit bekannten Bands
besetzt, manche Zuschauer halten es für das „kleine
Dong-Festival“, was in Kürze in Neukirchen-Vluyn an der
Halde Norddeutschland laufen wird. Einige der Bands des
Friemersheimer Events sind auch in Dong am Start: So die
Duisburger Formation „Ignition“ mit Mastermind Dennis
Marschallik am Gesang. Sie präsentieren auch gleichzeitig
ihr neues Album „We are the force“, das sie kürzlich
herausgebracht haben. Und Dennis Marschallik wird richtig
lyrisch mit seinen Tenor-Phrasen, die er ins Publikum
schweben lässt, und beim Titelsong recken alle ihre Hände in
den Himmel – bevor sich der Sänger die Schürze umschnürt und
wieder beim Würstchenstand aushilft: „Ich hab hier
schließlich als Helfer angefangen“, lächelt „Schally“.
An den zwei Tagen waren mehr als 3000
Besucher da, es blieb friedlich wie immer, es gab sogar
freie Umarmungen „free hugs“ von zwei Studenten – freie
Umarmungen, ist eine Bewegung, bei der Fremde unbekannte
Menschen umarmen, sie existiert seit Anfang des Jahrtausends
als Hippie-Relikt. Eine andere schöne Anekdote: die Kinder
der Anlieger transportierten mit Bobby-Cars als
„Leergut-Taxi“ vergessene Flaschen im Vorfeld ab.
Etwa 60 freiwillige Helfer haben sich um das Orga-Team
versammelt. „Ohne die wäre das gar nicht zu stemmen“, so
Dirk Diegler, der für die Vorauswahl der Bands zuständig
ist. Die Einnahmen über den Bier- und Wüstchenverkauf dienen
ausschließlich zur Refinanzierung des Festivals. „Wir wollen
den Fans ja auch im nächsten Jahr tolle Bands präsentieren“,
sagt er.
Am Samstag abend rockten noch Black Messiah
mit okkultem Folk-Metal ab, sowie die Thrash-Combo Dust Bolt
aus München, denn ihr Bassist wird spielend durch das
Publikum getragen.
„Hoffentlich passiert da nichts“,
denkt Thijs Hendriks und freut sich schon auf sein
Betthupferl – denn die „Nachtschicht“, sein Pfleger Oli,
soll ihm noch die gute LP „Aftermath“ von den Stones
auflegen – und die klingen, verglichen mit den am Festival
gehörten Bands, richtig harmlos ...
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