Wann wurden Sie geboren? Geboren
wurde ich 1911. Ich habe es meinem Vater Wilhelm Lehmbruck
jedoch nicht gerade leicht gemacht, wie sich meine Mutter
Anita noch Jahrzehnte
später erinnern konnte. "Ungewöhnliche und schwere
Entscheidungen künstlerischer Art" habe ich ihm wohl
abverlangt, immer wieder sei er in dieser Zeit in den Wald
von Fontainebleau geflohen, um anschließend wie besessen
weiterzuarbeiten. Kurz vor der Geburt hätten seine
Selbstzweifel dann ihren Höhepunkt erreicht, sodass Anita
schließlich nicht nur den meine Geburt in die Wege geleitet,
sondern mich auch gleich zur Ausstellung im Salon d’Automne
hat anmelden müssen.
Wo wurden Sie geboren?
In der Avenue du Maine Nr. 127 im Pariser Quartier
Montparnasse, in einem wundervollen Hinterhofatelier.
Ist es richtig, dass Ihr Vater aus Duisburg, genau
genommen aus Meiderich stammt?
Das stimmt, dort wurde er als viertes Kind einer
Bergarbeiterfamilie geboren. Einige Zeit hat er dann in
Düsseldorf an der Kunstgewerbeschule und der Kunstakademie
verbracht, bevor er 1910 mit Anita nach Paris zog.
Wo verbrachten Sie Ihre Jugend?
Zunächst in Paris, eine wundervolle Zeit. Jedoch blieb ich
dort nur bis 1913.
Haben Sie Geschwister und wenn ja, nennen Sie uns die
Namen und die heutigen Wohnorte Ihrer Geschwister.
Geschwister? Oh ja, viele sogar. Sei es die "Große
Stehende", die ein Jahr vor mir zur Welt kam, die "Große
Sinnende", die zwei Jahre jünger ist als ich, oder auch der
"Emporsteigende Jüngling", der ebenfalls 1913 geboren wurde.
Sie alle sind heute über die ganze Welt verstreut, doch zum
Glück finden sich viele davon im LehmbruckMuseum in
Duisburg. Es ist, so könnte man sagen, so etwas wie unser
Familienmuseum.
Ihre Zwillingsschwester hat, so hört man, einen ganz
besonderen Aufenthaltsort.
Ich habe sogar mehrere Zwillingsschwestern. Eine von ihnen
können Sie im Museum of Modern Art in New York besuchen,
andere in der Metropolitan Opera oder den Staatlichen
Kunstsammlungen Dresden.
Erinnern Sie sich an herausragende Ereignisse in Ihrer
Jugend?
Nun, ab 1913 jedoch glich mein Leben eher einer Reise, unter
anderem habe ich einige Zeit in den USA verbracht, wo ich
mit der Armory Show in New York, Chicago und Boston war.
Eine Tournee, die ich nie vergessen werde!
Man sagt, dass Sie, bedingt durch Ihren Körperbau und
Ihre Größe, eine Tanzausbildung genossen haben. Ist das
richtig?
Wissen Sie, was der französische Schauspieler und Chansonier
Maurice Cheavelier, übrigens ein Zeitgenosse meines Vaters,
sagte? "Eine Frau ohne Geheimnisse ist wie eine Blume ohne
Duft."
Sie erinnern sich sicher an Ihre Ankunft in Duisburg.
Können Sie uns sagen, wann das war?
Aber sicher, das war 1925.
Dem Vernehmen nach war der Empfang nicht so sehr
freundlich durch die Duisburger Bevölkerung, besondern durch
eine bestimmte Gruppe. Erinnern Sie sich, worum es damals
ging?
Wie könnte ich das vergessen? Nach meiner Rückkehr nach
Duisburg gab es manch aufregendes Ereigniss. Viele
Duisburger wollten mich damals nicht in ihrer Stadt haben,
besonders der Hausfrauenbund fand mich wohl anstößig. Und
einmal wurde ich sogar vom Sockel gestürzt! Auch die
Nationalsozialisten haben später gegen mich gehetzt und mich
in der Ausstellung "Entartete"
Kunst gezeigt. Keine schönen Jahre.
Nun gibt es in Duisburg eine große Ausstellung mit vielen
Weggefährten anlässlich Ihres 100sten Geburtstages. Nenn Sie
uns bitte einige dieser Gefährten.
Wo soll ich da bloß anfangen? Allein die schiere Zahl mach
das schwierig.
Doch natürlich umgeben mich gerade Arbeiten von großen
Bildhauern wie Auguste Rodin und Henri Matisse, Aristide
Maillol und Constantin Brancusi, Amedeo Modiglian und
Bernhard Hoetger. Ganz besonders freue ich mich, dass auch
ein Werk von Karl Janssen gezeigt wird. Der war schließlich
der Lehrer Wilhelm Lehmbrucks.
Ist es richtig, dass ein Gefährte aus Japan angereist
ist, der sein Leben in einem Hotel dort verbringt?
Ja, das stimmt!
Worum handelt es sich und wie haben sie von seinem
Aufenthaltsort erfahren?
Ich kannte dieses Gemälde von Maurice Denis, "Rinaldo im
Garten der Armida"
von 1907, vorher auch nicht. Und wie ich hörte, scheint es
auch seit seiner Entstehung noch nie in Europa gezeigt
worden zu sein. Doch ich kann Ihnen
versichern: Sie werden es lieben! Und: Auch dieses Gemälde
zeigt eine kniende Dame. Aufgespürt hat es, nach langer
Recherche, die Kuratorin der Ausstellung, Marion
Bornscheuer. Ein unglaublicher Glücksgriff!
Wie viele Besucher haben bisher diese Ausstellung besucht?
Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich habe sie nicht gezählt.
Doch bei dem Trubel, der hier vor allem am Wochenende
herrscht, würde ich sagen: Tausende!
Und wie lange wird es diese Ausstellung in Duisburg
geben?
Bis zum 22. Januar 2012. Doch ich und alle anderen, die hier
ins LehmbruckMuseum gehören, bleiben natürlich.
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, diese
Ausstellung zu verlängern?
Ich persönlich nicht, aber wie ich höre, die
Verantwortlichen durchaus. Doch leider wird das nicht
möglich sein, im Januar müssen die meisten der Gefährten
schlicht wieder zurück in Ihre Heimat.
Nennen Sie unseren Lesern bitte ein Ereignis anlässlich
Ihres Geburtstages, das Sie berührt hat.
Da muss ich sofort an diesen Flashmob denken, der am 6.
November in Duisburg stattgefunden hat. Wissen Sie, was das
ist, ein Flashmob? An diesem Tag, es war ein Sonntag, haben
sich weit mehr als 150 Duisburger in der Innenstadt
getroffen und, wie auf ein geheimes Zeichen, gekniet, wie
ich das tue. Und das auch noch zur Musik von Claude Debussys
"Claire de lune". Gerade diesen Komponisten hat mein Vater
geliebt. Das war ein Zeichen der Duisburger, das mich
wirklich gerührt hat! Dejo
|