Duisburg, 27. November 2014 - Es sind die
Außenseiter im Leben, die Nicht-Normalen, die im Schauspiel
das Publikum fesseln: Dustin Hofmann sahnte für die Rolle
eines Autisten in „Rainman“ 1988 einen Oscar ab und Leonardo
di Caprio wurde für die Nebenrolle des Arnie Grape, als
geistig behinderter Bruder von Johnny Depp, in dem
Familendrama „Irgendwo in Iowa“ zumindest für den höchsten
Filmpreis nominiert. Es sind Charaktere, die die Herzen der
Zuschauer eroberten.
Die Seele des Publikums traf
Laia Sanmartin mit ihrem Auftritt in dem Theaterstück „Licht
im Dunkel“ von William Gibson, das unter der Regie von
Volker Hesse in der Homberger Glückaufhalle aufgeführt
wurde. Die junge Schauspielerin lebt die Rolle der Helen
Keller, die weder hört noch sieht, natürlich nicht sprechen
kann - also wie ein „Wolfskind“ in einer Welt völlig im
Dunkeln lebt.
Die 300 Zuschauer sind überwältigt, wie
Laia Sanmartin dieses junge Mädchen verkörpert: Mit
flimmernden Wimpern und halb verdrehten Pupillen, weit
ausgestreckten Armen, die Halt suchend in die Richtung
schwenken, in die sich ihr ständig schwankender Körper
bewegt – es ist einfach beeindruckend zu sehen, wie die
Hauptdarstellerin die vollkommene Orientierungslosigkeit
expressiv darstellt. Die Zuschauer rufen schon „Stopp“, wenn
sich die Akteurin an den Rand der Bühne tastet – allein, sie
hört es nicht.
Emotional aufgefangen wird Helen zwar
von den Eltern Kate Keller (Übermutter: Magdalena Artelt)
und Captain Keller (Patriarch: Uwe Zerwer) – nur die beiden
haben dem hilflosen Mädchen rein gar keine Manieren
beigebracht – und so räumt Helen in dem pittoresken
Südstaaten-Landhaus so ziemlich alles ab, was auf der Bühne
herumsteht: Tische und Stühle kippen, Essensreste fliegen
ins Gesicht der Darsteller. Das vollkommene Chaos herrscht,
als die neue Erzieherin Annie Sullivan (gestreng:
Birge Schade) ankommt und dem nur nach Emotionen agierendem
Kind versucht die Taubblindensprache beizubringen.
Dabei setzt sie auf Abnabelung von den Eltern und
„vollkommene Kontrolle über Helen“. Nach dem Try-and-Error-Prinzip
gelingt das auch irgendwie, aber dabei entstehen so schöne
emotionale Momente der Hass-Liebe zwischen den beiden, die
schon fast an Figuren des Tanztheaters erinnern, wenn
sich Helen und Annie zu wilder Musik über den Boden wälzen,
während Helens Halbbruder James (tolle Blues-Stimme: Daniel
Heck) desinteressiert den Nirvana-Klassiker „My Girl“ mit
der Klampfe dazu trällert.
Das Publikum kommt aus dem
Staunen nicht heraus, als sich Laia Sanmartin in einem hohen
Kleiderschrank nur mit Schultern und Beine gegen
die Innenwand in die Höhe drückt und oben an der
Kleiderstange eine „Rolle rückwärts“ dreht und wie ein
Klammeräffchen nach unten purzelt. Ergreifendster Moment
sicherlich: Helen versteht, dass sie imstande ist zu lernen,
als sie ihre Hand in die von Erzieherin Anne legt und die
Taubblindensprache ertastet und von nun ab, die Welt mit
anderen Fingern sieht...
Es gab drei Vorhänge für die
Darsteller, die Zuschauer stampften mit den Beinen besonders
für das Oscar-verdächtige Spiel von Laia Sanmartin -
und die Hauptakteurin öffnete endlich ihre Augen und hörte
den Beifall. Nur schade, dass zeitgleich ein anderes Stück
in der Rheinhausenhalle lief.
Das Stück spielt kurz
nach den Sezessionskriegen in Alabama und beruht auf der
wahren Geschichte von Helen Keller und Blindenlehrerin Annie
Sullivan, die eine innige Beziehung verband. Annie Sullivan
hatte ihre Lebensaufgabe als Lehrerin gefunden: „Ich
weiß, dass Helen erstaunliche Kräfte hat und ich glaube,
dass ich diese freisetzen kann“, schrieb sie in einem
Brief. Helen feierte den 3. März, den Tag als Annie
1887 zu den Kellers kam, als „Geburtstag meiner Seele“.
Helen starb 1968.
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