Medizinische Versorgung  Sonderseiten

BZ-Sitemap BZ- 'Coronavirus' Klinik Krankenhäuser Klinik Apotheken Klinik Notdienste

28. Februar, Tag der seltenen Erkrankungen
„Eine seltene Erkrankung ist das Gegenteil von ärztlicher Routine“

Duisburg, 25. Februar 2025 - Ein Großteil der seltenen Erkrankungen tritt im Kindesalter auf. Und mit den meisten davon müssen die Betroffenen ein Leben lang zurechtkommen, auch wenn sie erwachsen sind. Der Übergang kommt bei der medizinischen Versorgung manchmal einem Neuanfang gleich. Deshalb profitieren Patienten wie Matthias Henke von der lebenslangen Anbindung an ein spezialisiertes Zentrum, wo die Besonderheiten seines seltenen Gendefekts bekannt sind.  

Matthias Henke hat ein freundliches Gesicht und volles graues Haar, ungewöhnlich für seine 34 Jahre, typisch für seine Erkrankung. Er gehört zu den Betroffenen des seltenen William-Beuren-Syndroms (WBS), das nur bei etwa einer von 8000 Geburten auftritt.
Die Ursache liegt in einem spontanen Gendefekt, ein Stückverlust am langen Arm des Chromosoms 7. Damit fehlen den Betroffenen rund 28 benachbarte Gene, unter anderem das für die Bildung des Proteins Elastin. Diese Veränderung kann schwere Herz- und Gefäßfehlbildungen sowie die Entwicklung eines Bluthochdrucks begünstigen und hat neben den organischen Veränderungen auch kognitive Beeinträchtigungen und besondere optische Merkmale zur Folge, wie einen kleineren Kopf, pausbäckige Wangen und eine geringere Körpergröße. Meist altern die Betroffenen vorzeitig, deshalb hat auch Matthias Henke schon seit vielen Jahren graue Haare.  

Der Bochumer wird gerade aufgenommen in der Helios St. Johannes Klinik Duisburg, wo auch das einzige Williams-Beuren-Zentrum Deutschlands beheimatet ist. Ein Routineeingriff in der Allgemeinchirurgie steht an, Matthias Henke hat einen Leistenbruch, der behandelt werden muss. Auf der Station in Empfang nimmt den Mittdreißiger aber Kinderärztin und Zentrumsleiterin Dr. Elke Reutershahn (Foto rechts), die ihn seit vielen Jahren kennt. Sie legt ihm auch den notwendigen Zugang und koordiniert die Behandlung, denn WBS-Betroffene sind vor allem bei Operationen sogenannte High-Risk-Patienten. Sie vertragen die Nebenwirkungen der Narkose oft schlechter, müssen länger überwacht werden.

Die zuständigen Anästhesistinnen und Anästhesisten sollten sich daher bestmöglich mit den Besonderheiten auskennen. In Duisburg wissen alle Beteiligten Bescheid. Deshalb kommen Matthias und seine Mutter Angelika Henke, die ihn oft begleitet, für solche Prozeduren aus Bochum hierher, viele andere Betroffene noch von deutlich weiter.
Aus gutem Grund: „Mit einer seltenen Erkrankung gerät man fast bei jedem neuen Arztkontakt in einen Erklärungsstrudel, weil diejenigen das Syndrom nicht kennen oder nur wenig darüber wissen. Das macht vielen Patienten und ihren Familien zu schaffen und birgt natürlich auch Risiken.“

Angelika Henke (links) weiß genau, wovon sie spricht, zum einen durch die Erfahrung mit ihrem Sohn, aber auch als sogenannter „Transitionscoach“ für den WBS-Bundesverband. Hier ist sie Ansprechpartnerin für betroffene Jugendliche im Übergang zum Erwachsenenalter.  

Denn genau dieser Übergang von der kinder- und jugendmedizinischen Versorgung in die Erwachsenenmedizin stellt für viele Betroffene seltener Erkrankungen und ihre Familien eine große Herausforderung dar. In der Pädiatrie besteht häufig eine enge, vertrauensvolle Beziehung zwischen Ärzte und Ärztinnen und Patienten, die über viele Jahre aufgebaut wird, die betreuenden Mediziner und -innen wissen nahezu alles über die individuellen Bedürfnisse und die Geschichten ihrer Schützlinge. Der Wechsel in die Erwachsenenmedizin geht dann oft mit einer neuen Umgebung, unbekannten Ärzten und -innen und dem Fehlen eines spezialisierten Netzwerks, das den besonderen Bedürfnissen gerecht wird, einher. Zusätzlich können sich die Gesundheitsanforderungen im Erwachsenenalter ändern, was eine Anpassung der Therapie und der Betreuung erfordert.

„Das betrifft zwar auch Kinder mit chronischen Erkrankungen, aber hier gibt es oftmals bekannte Standards und deutlich mehr Therapieoptionen. Eine seltene Erkrankung aber ist quasi das Gegenteil von allgemeiner ärztlicher Routine und erfordert eine Menge spezielles Wissen“, erläutert die Duisburger Oberärztin Elke Reutershahn. Diese Fachkompetenz ist in einem Zentrum wie in Duisburg dauerhaft gebündelt und auch Therapien oder Eingriffe können, eingebettet in die Strukturen einer großen Klinik, entsprechend sicherer geplant werden. „Wir stimmen mit den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fachbereiche den Aufenthalt so ab, dass es möglichst stressfrei abläuft und die Besonderheiten von WBS überall gegenwärtig sind.“
Dass sie als Kinderärztin dann auch erwachsene Patienten wie Matthias Henke betreut, gehört für sie dazu, die lebenslange Anbindung der Betroffenen ist ein wichtiger Teil der Versorgung.  

Matthias ist dankbar dafür, vor dem Eingriff vertraute Gesichter zu sehen, es beruhigt ihn. Auch seine Mutter hat volles Vertrauen in Elke Reutershahn und ihr Team. Ohnehin strahlt die ehemalige Lehrerin eine besondere Herzlichkeit und Entspanntheit aus. Nicht selbstverständlich nach allem, was Betroffenen mit seltenen Erkrankungen und ihre Angehörigen zum Teil im Laufe der Zeit erleben: Lange Leidenswege bis zur Diagnose, begrenzte Therapieansätze oder zu wenige Spezialistinnen und Spezialisten.
„Wir hatten insofern Glück, als dass eine aufmerksame Ärztin beim Gesundheitsamt Matthias‘ Besonderheiten früh bemerkte. Da war er noch kein Jahr alt. So hatten wir auch schnell eine umfassende Diagnose.“

Vielen betroffenen Familien aber ergeht es anders. Um ihnen zu helfen, setzt sich Angelika Henke aktiv im WBS-Bundesverband ein und absolvierte zusätzlich die besondere Coach-Ausbildung für den Übergang. Matthias selbst braucht mittlerweile nur noch wenig Hilfe im Alltag, auch wenn er dauerhaft bei seinen Eltern wohnt. Er arbeitet über eine Werkstatt in einem Lager für Biobedarf und ist begeisterte Karnevalist.
„Deshalb will ich unbedingt nächste Woche wieder auf den Beinen sein“, schmunzelt er. Als Teil eines Spielmannszugs sind die jecken Tage eines seiner Highlights im Jahr. „Ich spiele die Snare, eine kleine Trommel, und wir sind rund um Karneval aber auch sonst viel in der Bundesrepublik unterwegs.“ Die Begeisterung dafür merkt man ihm sofort an.
Auch Elke Reutershahn muss lächeln, als sie ihm zuhört, man spürt die Vertrautheit zwischen den beiden. Dann aber zeigt sie auf die Uhr und schaut augenzwinkernd streng, Matthias muss pünktlich in der Radiologie sein, zum CT, das für seinen Eingriff am nächsten Tag notwendig ist. Den übersteht er gut und kann nach nur einer Nacht zur Überwachung wieder nach Hause. Dort heißt es dann ausruhen bis Donnerstag, wenn das jecke Treiben an Altweiber endlich losgeht.  


10 Jahre Williams-Beuren-Zentrum an der Helios St. Johannes Klinik Duisburg
Seit 2015 befindet sich an der Helios St. Johannes Klinik Duisburg das deutschlandweit einzige Zentrum für die Diagnostik und Langzeitbetreuung von Patient:innen mit Williams-Beuren-Syndrom (WBS). Die dortige Abteilung der Kinder- und Jugendmedizin vereint alle dafür notwendigen Fachbereich unter einem Dach und übernahm damals den Staffelstab vom Heidekreis Klinikum aus Walsrode. Das Team steht Betroffenen und ihren Familien langfristig für alle Fragen rund um den seltenen Gendefekt zur Verfügung.

Leiterin und erste Ansprechpartnerin des Zentrums ist Dr. Elke Reutershahn. Die erfahrene Oberärztin sitzt auch zeitgleich dem wissenschaftlichen Beirat des WBS-Bundesverbandes vor. Eingebettet in das umfangreiche Leistungsspektrum des Maximalversorgers bietet die Abteilung Betroffenen und ihren Familien, die zumeist lebenslang in die Betreuung eingebunden sind, die gesamte Bandbreite der medizinischen Versorgung - von der internistischen über die operative bis hin zur entwicklungsdiagnostischen Betreuung.
Heilbar ist WBS bislang nicht.
Doch viele Patienten können als Erwachsene zwar ein betreutes, aber in vielen Dingen selbstständiges Leben führen.

Kontakt zum WBS-Zentrum: 0203 546 2631 // Williams-Beuren-Zentrum | Helios St. Johannes Klinik Duisburg  

Tag der seltenen Erkrankungen am 28. Februar 2025
Dieser weltweite Aktionstag findet jährlich immer am letzten Februartag statt und macht weltweit auf seltene Krankheiten und die Herausforderungen aufmerksam, mit denen Betroffene und ihre Familien konfrontiert sind. Seltene Erkrankungen betreffen weniger als 5 von 10.000 Menschen, jedoch gibt es weltweit Tausende solcher Erkrankungen. Der Tag soll das Bewusstsein für sie schärfen, den Austausch zwischen Ärzt:innen, Patient:innen und der Öffentlichkeit fördern und die Forschung unterstützen, um bessere Diagnosen und Behandlungen zu ermöglichen.