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Loveparade 2010
Mai 2020:
Loveparade-Strafverfahren eingestellt

 

Loveparade-Strafverfahren - 04. Mai 2020:
• Beschluss des Gerichts vom 04.05.2020
• LG Duisburg erläutert seine Erkenntnisse über die Ursachen der Katastrophe in einem Gerichtstermin
Zahlen, Daten und Fakten zum Loveparade-Strafverfahren
Staatsanwaltschaft-Statement zu der Einstellung des Verfahrens

 

Duisburg, 04. Mai 2020 - Loveparade-Strafverfahren eingestellt
Landgericht Duisburg erläutert seine Erkenntnisse über die Ursachen der Katastrophe in einem Gerichtstermin

Die 6. Große Strafkammer des Landgerichts Duisburg hat das Verfahren gegen die drei verbliebenen Angeklagten im Loveparade-Strafverfahren mit Zustimmung der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft eingestellt. Mit diesem Beschluss endet das Strafverfahren.
Das Gericht hat den Verfahrensbeteiligten, insbesondere den Nebenklägern, die im Verfahren gewonnenen Erkenntnisse über die Gründe für das Unglück in einem Termin erläutert. In der Regel werden Einstellungsbeschlüsse nicht begründet. Den Richtern war es aber ein besonderes Anliegen, gerade für die Verletzten und Hinterbliebenen Aufklärungsarbeit zu leisten, die über die den Strafprozess bestimmende Frage nach der Schuld der Angeklagten hinausweist. Deshalb haben sie detailliert geschildert, was sich nach ihren Erkenntnissen von den Anfängen der Planung bis zum Ende des Unglückstages zugetragen haben könnte.

Dabei stützen sich die Richter auf die Beweisaufnahme und den Inhalt der Akten. Namentlich haben sie das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Gerlach vollumfänglich berücksichtigt.

Als wesentliche zusammenwirkende Ursachen für die Katastrophe haben sie benannt:
- Einen Veranstaltungsort, der für das Veranstalterkonzept und die erwarteten und auch die tatsächlichen Besuchermengen nicht geeignet war,
- Zugangsanlagen, die für die erwartete Besucheranzahl zu geringe Kapazität hatten,
- zu wenig Fläche zwischen dem Zugang (über die Rampe Ost) auf das Gelände und der Fläche, auf der die Musikwagen fuhren,
- die unkoordinierte Steuerung der Personenströme,
- die massiven Störungen in der Kommunikation, die notwendige Absprachen teilweise unmöglich machten,
- die fehlende Abstimmung von Maßnahmen wegen des Rückstaus vor den Zugangsbereichen sowie zwischen dem Zugang auf das Gelände und der Fläche mit den Musikwagen,
- organisatorische Entscheidungen am Veranstaltungstag entgegen vorheriger Absprachen,
- die Errichtung der (dritten) Polizeikette auf der Rampe Ost, die die Drucksituation auf der Rampe verstärkt hat,
- das nicht abgestimmte Öffnen der Zugangsanlagen trotz angeordneter Schließung,
- das Öffnen der Zaunelemente an der Zugangsanlage West um 16:31 Uhr.

Nach den Ausführungen des Gerichts hätte das Unglück auch am Veranstaltungstag noch durch eine Reihe von Maßnahmen verhindert oder zumindest in den Folgen abgemildert werden können, so etwa durch
- eine zwischen dem Veranstalter und der Polizei abgestimmte Steuerung der Personenströme und/oder
- koordinierte Maßnahmen wie zeitweilige Schließungen der Vorsperren oder der Zugangsanlagen und/oder
- den verstärkten Einsatz von Ordnern, um Personen von der Rampe weg zu leiten und auf das eigentliche Veranstaltungsgelände zu führen und/oder
- ein vorübergehendes Anhalten der Musikwagen auf der Parade-strecke, um besseren Personenfluss auf das Gelände zu ermöglichen und/oder
- den Abbruch des Besucherzuflusses auf das Gelände und/oder
- den Abbruch des Besucherzuflusses in die Stadt Duisburg insgesamt (Stopp des Bahnverkehrs).

Nach den Ausführungen der Richter dürfte das Zusammenwirken einer Vielzahl von Umständen dazu geführt haben, dass es zu dem Gedränge mit dem tödlichen Verlauf gekommen ist.

Unter Gesamtwürdigung dieser Erkenntnisse und aller Umstände der Katastrophe kommt das Gericht trotz der schwerwiegenden Folgen der Tat zu dem Schluss, dass die (mögliche) individuelle Schuld der Angeklagten an der Katastrophe zum jetzigen Zeitpunkt als gering anzusehen sei. Deshalb soll das Verfahren gegen sie nicht weitergeführt werden.

Nach Einschätzung der Richter wäre für den möglichen Fall einer Verurteilung Folgendes zu berücksichtigen:
Die Handlungen der Angeklagten haben die schrecklichen Geschehnisse nicht allein, sondern erst im Zusammenwirken mit einer Vielzahl anderer Umstände möglich gemacht.

Aus der Beweisaufnahme ist ersichtlich, dass die Angeklagten sich in der Planungsphase darum bemühten, eine für die Besucher sichere Veranstaltung zu organisieren. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Angeklagten seit fast 10 Jahren einem Strafverfahren ausgesetzt sind, das besonders großes mediales Interesse hervorgerufen hat.

Zudem mussten sie sich an 183 Verhandlungstagen einer öffentlichen Hauptverhandlung stellen. Das ganze Verfahren war vor allem für die Nebenkläger mit besonderen psychischen Belastungen verbunden. Aber auch die Angeklagten waren durch die lange Verfahrensdauer Belastungen ausgesetzt. Aus diesen Gründen hält es das Gericht für geboten, das Verfahren nach § 153 StPO einzustellen.


Beschluss des Gerichts vom 04.05.2020
Der Beschluss der 6. Großen Strafkammer des Landgerichts Duisburg zur Einstellung des Loveparade-Strafverfahrens hat – in anonymisierter Form – den nachfolgenden Wortlaut:

„Beschluss"
Das Verfahren gegen die Angeklagten T2, T3 und X1 wird gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten trägt die Staatskasse.
(44 Seiten Begründung unter dem obigen Link)



Das Loveparade-Strafverfahren in Zahlen
Zahlen, Daten und Fakten zum Loveparade-Strafverfahren


Das Loveparade-Strafverfahren ist mit dem Beschluss der 6. Großen Strafkammer vom 04.05.2020 beendet.
Der Beschluss bildet das Ende einer Hauptverhandlung, die am 08.12.2017 begonnen hatte und an insgesamt 183 Hauptverhandlungstagen geführt wurde. Das Gericht hat in der Hauptverhandlung neben einer Reihe von Sachverständigen insgesamt 116 Zeugen vernommen, vor allem Verletzte, Mitarbeiter der Stadt Duisburg, des Veranstalters der Loveparade, der Polizei und der Feuerwehr.

Dabei stand den Richtern umfangreiches Aktenmaterial zur Verfügung. Allein die Hauptakte hatte am Schluss einen Umfang von mehr als 60.000 Seiten. Hinzu kommen mehr als 1.000 Aktenordner mit ergänzendem Aktenmaterial und knapp 1.000 Stunden an Videomaterial.

An der Hauptverhandlung haben zu Beginn 10 Angeklagte teilgenommen, die von 32 Rechtsanwälten verteidigt wurden, sowie mehr als 60 Nebenkläger mit 37 Nebenklageanwälten. Auf Seiten des Gerichts waren neben dem Vorsitzenden Richter Mario Plein zwei beisitzende Richter und drei (ab Januar 2019 noch zwei) Ergänzungsrichter und neben den beiden Schöffen weitere fünf Ergänzungsschöffen an jedem Verhandlungstag anwesend. Drei Staatsanwälte haben in der Regel die Anklage vertreten.

Für die Verhandlung hat die Messe Düsseldorf das Congress Centrum Düsseldorf Ost (CCD Ost) in einen mobilen Gerichtssaal mit modernster Technik umgebaut sowie Technik- und Servicepersonal, Sanitäter und Brandwachen zur Verfügung gestellt. Die durchschnittlichen Kosten für die Räumlichkeiten und das Personal haben sich anfänglich auf ca. 29.000 EUR pro Verhandlungstag belaufen und ab Juni 2018 auf ca. 26.000 EUR reduziert. Seit Mai 2019 betrug die Saalmiete einschließlich Zusatzkosten durchschnittlich 22.000 EUR pro Verhandlungstag. Das beruht darauf, dass mit der Zeit die Kosten für externes Sicherheitspersonal, Technik, Sanitäter oder Brandwachen reduziert werden konnten.

Die Gesamtkosten des Verfahrens lassen sich derzeit noch nicht exakt beziffern.
Zu diesen Kosten zählen die Entschädigungen für die 116 vernommenen Zeugen sowie sämtliche Sachverständigen, aber auch die Gebühren der Verteidiger und nahezu aller Nebenklagevertreter. Diese Kosten werden erst in einem späteren Verfahren – dem Kostenfestsetzungsverfahren – bestimmt.

Die Landesregierung hat zugesagt, eine Kostenübernahme im Wege der Opferentschädigung für diejenigen Nebenkläger zu prüfen, die nach dem Gesetz ihre Kosten selber tragen müssen.
Aktenzeichen: Landgericht Duisburg, 36 KLs 10/17




Staatsanwaltschaft-Statement zu der Einstellung des Verfahrens
Das Landgericht Duisburg hat heute das Verfahren gegen die drei verbliebenen Angeklagten nach § 153 Abs. 2 der Strafprozessordnung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung eingestellt.
Wir sind uns bewusst, dass diese Entscheidung den Verletzten und den Angehörigen der Verstorbenen angesichts der schweren Folgen der Katastrophe und des damit verbundenen Leids – wenn überhaupt – nur schwer zu vermitteln ist.
Uns ist diese Entscheidung nicht leicht gefallen.

Auch die Staatsanwaltschaft hatte ursprünglich eine andere Vorstellung vom Ausgang des Prozesses. Sie erhebt die Anklage grundsätzlich nicht, um das Verfahren dann im Rahmen der Hauptverhandlung einzustellen. Deshalb empfinden auch wir die Einstellung des Verfahrens als unbefriedigend, sind aber zugleich davon überzeugt, dass diese Entscheidung nunmehr sachgerecht ist.

Der Prozess ist aus unserer Sicht nicht gescheitert oder mangels Verurteilung der Angeklagten umsonst gewesen.
Denn ein wesentliches Ziel des Strafprozesses, nämlich die öffentliche Aufklärung der Tatbeiträge der Angeklagten sowie der Ursachen des Unglücks und damit die Antwort auf die nur allzu berechtigte Frage der Angehörigen und Verletzten, warum ihre Nächsten gestorben beziehungsweise warum sie verletzt worden sind, ist erreicht worden. Hierzu wird der umfangreich begründete Beschluss des Landgerichts vom heutigen Tage beitragen können.

Die Fortführung des Verfahrens zum Zwecke der Anhörung des Sachverständigen in der Hauptverhandlung verspricht keinen erheblichen weiteren Erkenntnisgewinn, der das Eingehen der mit der Corona-Pandemie einhergehenden Gesundheitsrisiken für alle Verfahrensbeteiligten rechtfertigen könnte. Das gilt insbesondere, weil der Sachverständige auf Frage des Gerichts mitgeteilt hat, dass er im Wesentlichen an dem Gesamtergebnis seines vorläufigen schriftlichen Gutachtens festhält. Die Erkenntnisse aus dem Gutachten sind auch ohne mündliche Erörterung in der Hauptverhandlung sowohl durch die Staatsanwaltschaft als auch durch das Gericht bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt worden.

Zudem steht nunmehr sicher fest, dass das für ein Urteil erforderliche Beweisprogramm bis zum Eintritt der absoluten Strafverfolgungsverjährung Ende Juli jedenfalls hinsichtlich des gravierendsten Vorwurfs der fahrlässigen Tötung nicht zu absolvieren ist.

Zwar ist es möglich, dass die ebenfalls angeklagten fahrlässigen Körperverletzungen zu einem späteren Zeitpunkt verjähren. Jede weitere Aufklärung des Sachverhalts in dieser Hinsicht wäre aber mit einer deutlichen Verlängerung des Verfahrens verbunden. Zudem wäre auch der Ausgang des Verfahrens ungewiss, da nicht absehbar ist, inwieweit diese Aufklärung überhaupt gelingen würde.

Bei Würdigung dieser Gesamtumstände ist die Fortführung des Prozesses aufgrund der derzeit bestehenden Gefährdungslage und mit Blick auf die Strafe, die die Angeklagten im Falle einer Verurteilung wegen des weniger gravierenden Vorwurfs der fahrlässigen Körperverletzung noch zu erwarten hätten, nicht mehr verhältnismäßig.