Duisburg, 14. September 2015 - Die
EU-Richtlinie zur Anregung kosteneffektiver
Emissionssenkungen und die EEG-Richtlinie mit Berliner
Fingerabdruck bereiten Duisburgs Stahlunternehmen
Kopfschmerzen.
Das integrierte Hüttenwerk Krupp
Mannesmannin (HKM) im Duisburger Süden mit 3100 Mitarbeitern
- darunter 240 Azubis - ist ein bedeutender Arbeitgeber
Duisburgs mit derzeit 2.5 Mrd Euro Umsatz, eigenem Hafen in
Duisburg und einem Teilhafen in Rotterdam. HKM versteht sich
als ein modernes Stahlunternehmen mit optimierten
Arbeitsprozessen und Umweltschutzmaßnahmen.
Die Duisburger SPD-Landtagsabgeordneten
Rainer Bischoff, Frank Börner, Ralf Jäger und Sarah Philipp
besuchten heute die Hüttenwerke Krupp Mannesmann - HKM-Bild
- in Duisburg. Bei dem Termin standen aktuelle Fragen der
Stahlindustrie zur Diskussion, da NRW-Wirtschaftsminister
Garreit Duin zudem am 21. September Industrie und Politik
zum "Stahlgipfel" nach Düsseldorf eingeladen hat. Die Gäste
wurden von den Geschäftsführern Dr. Rolf Höffken, Dr.
Gerhard Erdmann, Peter Gasse, dem Umweltschutzbeauftragten
Dr. Udo Kalina sowie Betriebsrat Norbert Keller über das
Unternehmen und die Herausforderungen der Stahlbranche
informiert.
V.l.: Duisburgs SPD-Landtags-Quartett
Sarah Philipp, Rainer Bischoff, Innenminister Ralf Jäger und
Frank Börner im Gespräch mit HKM-Geschäftsführer Dr. Rolf
Höffken.
Peter Gasse (Foto), seit 2004
Arbeitsdirektor der Hüttenwerke Krupp-Mannesmann und
Bundesverdienstkreuzträger nahm kein Blatt vor den Mund:
"Wir sind im Tal der Tränen, aber wir sind nicht das Übel.
Übel ist 1. Die EEG-EEG-Richtlinie und 2. der
Zertifikatshandel mit Regelungen des Emissionsrechtehandels
für die vierte Handelsperiode von 2021 bis 2030. Das ist
eine reine Vernichtungsattacke. Neu dabei ist, dass es
erstmals zu Werksschließungen durch die Politik kommt. Das
ist wirklich einmalig!"
Es hängen abertausende Arbeitsplätze in
allen Branchen von einer Politik ab, die enorm
subventionierten aus China - von zweistelligen Millionen
Euro ist die Rede - nach Italien importierten Stahlprodukte
mit nur 285 Euro Stahl je Tonne nichts entgegen setzt.
"Umgerechnet hieße das", so HKM-Geschäftsführer Dr. Rolf
Höffken depremiert und aufgebracht zugleich, "dass wir hier
mit weniger als 30 Cent arbeiten müssten, um überhaupt
konkurrenzfähig zu sein. Das aber ist unmöglich. Einen Liter
Wasser bekommt man ja auch nicht für 30 Cent!"
Und dabei investiert HKM weiter. So rund
400 Millionen Euro in eine erweiterte Kokerei, der
Sinteranlage und in die zwei Hochöfen. Hier sind in 2016
(Hochofen A, bei dem im Weltfinanz-Krisenjahr 2009 nur
notwendige Maßnahmen anfielen) und in 2018 Hochofen B
Investitionen notwendig, obwohl ein Hochofen nur als Notofen
vorgesehen war.
Beispielsgrafik zum weltweiten Protektionismus und
Handelshemmnisse
"Der immer wieder platte Spruch der
Politik, dass bei so viel Investitionen die schon nicht
dicht machen, trifft nicht immer zu", lautete die Devise
nicht nur die HKM-Mitarbeiter. Und dabei konzentrieren sich
die Handelsströme eindeutig nach Deutschland, sind
eigentlich erhebliche Investitionen in die Zukunft angesagt.
"Aber noch einmal deutlich gesagt", wiederholte Dr. Höffken:
"Wenn China weiter mit 285 Euro auftritt, taumelt hier der
Markt. Es geht bei der Wertschöpfung zu allen namhaften
Vertretern der Fahrzeughersteller insgesamt um 70 000
Stahlarbeiterplätze!"
Die Bucholzer Landtagsabgeordnete Sarah
Philipp - im Bild mit Peter Gasse - betonte: "Wir werden uns
gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium dafür einsetzen,
dass die anstehenden Beschlüsse nicht so hart ausfallen."
Es wird eine Resolution in Richtung
Brüssel, aber auch nach Berlin geben, hier die
Stahlstandorte und die damit eingebundene Metallindustrie
und Autobranche entsprechend zu berücksichtigen.
Was macht bzw. will Brüssel? Was
verbirgt sich hinter der EU-Richtlinie?
Ein Ausarbeitung Team des
HKM-Umweltschutzbeauftragten Dr. Udo Kalina, gleichzeitig
auch Stellungnahme an die EU-Komission.
Es geht um die Richtlinie 2003/87/EC zur
Anregung kosteneffektiver Emissionssenkungen und
gering-kohlenstoffintensiver Investitionen, COM(2015) 337
final und 2015/148.
Die Europäische Kommission hat am 15. Juli 2015 einen
Vorschlag zur Überarbeitung der Richtlinie 2003/87/EC
vorgelegt, mit dem die Regelungen des Emissionsrechtehandels
für die vierte Handelsperiode von 2021 bis 2030 überarbeitet
werden sollen. Sie bittet nun die Stakeholder um ihre
Bewertung dieses Vorschlags.
Mit der Richtlinie sollen die Beschlüsse des Europäische
Rates vom 23. / 24. Oktober 2014 umgesetzt werden. Dies ist
aus Sicht der Stahlindustrie in Deutschland in dieser Form
jedoch nicht gegeben. Die
vorgeschlagenen Regelungen sind nicht geeignet, der Gefahr
einer Verlagerung von CO2-Emissionen aufgrund der
Klimapolitik vorzubeugen.
Der Vorschlag liefe für die Stahlindustrie sogar bei den
effizientesten Anlagen auf existenzbedrohende
Kostenbelastungen hinaus,
die die internationale Wettbewerbsfähigkeit massiv
beschädigen würden und bereits heute die
Investitionsperspektiven für die Branche deutlich
beeinträchtigen.
Insbesondere sieht der Entwurf vor:
eine pauschale Kürzung der zuteilungsrelevanten Benchmarks
um jährlich 1 Prozent, also letztlich um 22 Prozent bis
2030.
einen zusätzlichen Korrekturfaktor, der nach vorliegenden
Schätzungen bis 2030 eine Höhe von 20 bis über 30 Prozent
annehmen kann. Zusammen mit dem
unberechtigt um 10 Prozent unter den tatsächlich
erreichbaren Emissionen liegenden Roheisenbenchmark würde
die Zuteilung bis 2030 somit deutlich unterhalb der
Emissionen der Stahlindustrie liegen, mit der Folge
existenzbedrohender Zusatzbelastungen.
Diese werden durch die absehbar
steigenden CO2-Preise in Folge der Ende der dritten
Handelsperiode einzuführenden Marktstabilisierungsreserve
verstärkt.
Auch mittel- und längerfristig wird es in Drittländern
außerhalb der Europäischen Union keine vergleichbaren
Auflagen und Kosten für die konkurrierenden Stahlerzeuger
geben. Auf Dauer würde dem Stahlstandort Deutschland und den
weiteren EU-Mitgliedsstaaten mit Stahlherstellung somit eine
Abkehr von Investitionen und Produktion drohen, mit der
Folge des Verlustes von Wertschöpfung, Innovationskraft und
Arbeitsplätzen.
Die Ausgestaltung des
EU-Emissionshandelssystems (EU-ETS) muss auf Basis eines
internationalen Klimaabkommens erfolgen und darf keine
europäische Insellösung bleiben. Der Erhalt der eigenen
Wettbewerbsfähigkeit hängt von der verpflichtenden
Einbindung der globalen Wettbewerber bei der Erreichung der
Klimaschutzziele ab.
Mit Blick auf ein internationales Klimaabkommen ist zudem
kritisch anzumerken, dass der Vorschlag der Kommission keine
nennenswerte Einbeziehung von Emissionsmin- derungen
außerhalb der EU vorsieht und damit ein wesentlicher Hebel
zur Kostensenkung ungenutzt bleibt. Die etablierten
Verfahren der Stahlerzeugung sind mittlerweile so
ausgereift, dass die CO2-Emissionen an den
naturwissenschaftlich-verfahrenstechnischen Grenzen liegen
und nicht weiter verringerbar sind.
Dies gilt durchweg für prozessbedingte Emissionen.
Minderungsverpflichtungen könnten daher nur durch den Kauf
von Zertifikaten erfüllt werden. Der für den
Emissionsrechtehandel konstitutive „Make or Buy“-Ansatz,
käme für die Stahlindustrie nicht zum Tragen.
Der Emissionshandel wäre so de facto nichts anderes als eine
weitreichende Produktionsbesteuerung. Die Stahlindustrie
forscht in vielfältiger Weise an neuen Verfahren zur
CO2-Minderung. Ergebnisse, die auch wirtschaftlich und
großindustriell umsetzbar sind, stehen nicht vor 2030 zur
Verfügung.
Die Stahlindustrie bittet daher die EU-Kommission und die
europäischen Institutionen um eine grundlegende
Überarbeitung des Richtlinienvorschlages. Leitschnur muss
die Forderung des Europäischen Rates sein, dass die
effizientesten Anlagen durch den Emissionsrechtehandel nicht
durch unangemessene Kosten belastet werden dürfen.
Im Einzelnen kommentieren wir den
Richtlinienvorschlag wie folgt:
- Aktualisierung der Benchmarks
Der vorgeschlagenen pauschalen Verringerung der Benchmarks
um jährlich
1 Prozent bzw. je nach Ergebnis der Datenerhebung um 0,5
Prozent bzw. 1,5 Prozent ist nachdrücklich zu widersprechen.
In der Stahlindustrie spiegeln
die CO2-Emissionen der zehn Prozent effizientesten Anlagen
bereits heute das prozessbedingte Minimum wieder, welches
schon aus naturwissenschaftlich-verfahrenstechnischen
Gründen nicht unterschritten werden kann.
Es kann daher nicht pauschal von
einer Verringerung ausgegangen werden.
Die Stahlindustrie plädiert für eine neue Erhebung
der CO2- Emissionen unter Einbeziehung der Industrie als
Grundlage für die Festlegung der Richtwerte. Auf die
Emissionen der zehn Prozent besten Anlagen darf keinerlei
Abschlag erhoben werden. Andernfalls würde gegen
die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 23./24.
Oktober 2014 verstoßen. Die Datenerhebung kann für jede
Handelsperiode wiederholt werden.
- Korrekturfaktor
Um eine fundierte politische Diskussion zu ermöglichen, muss
die EU-Kommission ihre Berechnungsgrundlagen für die
Prognose des von ihr geplanten Korrekturfaktors transparent
machen. Trotz der geplanten Einschnitte bei der
Carbon-Leakage-Liste, der Absenkung der Benchmarks sowie der
Aktualisierung der Basisperiode ist nach unserer
Einschätzung davon auszugehen, dass der Korrekturfaktor eine
erhebliche Höhe erreichen dürfte und damit für die
Stahlindustrie zu starken Einschnitten und Kosten führen
wird.
Eine Eindämmung des Korrekturfaktors durch pauschale
Kürzungen der Benchmarks liefe im Übrigen lediglich auf eine
Verlagerung dieser Verknappung auf die Anlagenebene hinaus.
Die Unsicherheit über die künftige Höhe des
Korrekturfaktors geht zudem erheblich zu Lasten der
Planungs- und Investitionssicherheit. Fällt er
höher aus als erwartet, kommt es zu deutlichen
Zusatzbelastungen. Läge die Kommission mit ihrer Prognose
hingegen wider Erwarten richtig, wäre der Korrekturfaktor
ohnehin vernachlässigbar. Um im Zweifel Spielraum für
erforderliche Anpassungen zu erhalten, sollte die starre
Grenze von 57 Prozent für den Anteil der auktionierten
Zertifikate auf- gehoben oder flexibler gestaltet werden.
Die erforderliche freie Zuteilung an die Industrie muss
Vorrang vor der Auktionierung haben. Die Lesart der
EU-Kommission, dass die Höhe der kostenfreien Zuteilung sich
aus einem gesetzten Versteigerungsbudget ableitet, ist
unzutreffend, wie auch die Rechtsanwaltskanzlei
Luther in einem Gutachten vom 7. April 2015 dargelegt hat.
Der Kor- rekturfaktor ist deshalb ersatzlos zu streichen.
- Carbon-Leakage-Einstufung von Sinter und anderen
Vorprodukten der Stahlerzeugung
Während einige Bereiche der Stahlerzeugung im engeren Sinne
den bisher vor- gesehenen Schwellwert von 0,2 überschreiten
dürften, gilt dies unter anderem nicht für die Produktion
von Sinter, einem wesentlichen Vorprodukt zur
Erzvorbereitung, das einen erheblichen Anteil an den
Emissionen eines Hüttenwerkes ausmacht. Sinteranlagen sind
im allgemeinen unmittelbar den Hochofenwerken zugeordnet.
Unter NACE 7.10 (Eisenerzbergbau) eingruppiert, liegen keine
Daten für die Bruttowertschöpfung vor.
Fiele die Sintererzeugung jedoch aus der freien Zuteilung
heraus, drohen der Stahl- industrie hohe Mehrbelastungen.
Gleiches gilt für gebrannten Kalk. Beide bedürfen der
Einstufung als Carbon-Leakage-gefährdet.
- Roheisenbenchmark
Der Benchmark für Roheisen und Stahl liegt bereits
in der dritten Handelsperiode rund 10 Prozent unterhalb des
naturwissenschaftlich-verfahrenstechnischen Minimums.
Der Roheisenbenchmark sollte
daher die Emissionen aus der Stromerzeugung aus Kuppelgasen
in vollem Umfang berücksichtigen und auf das Niveau der
effizientesten Anlagen von derzeit 1475 kg CO2 je Tonne
Roheisen korrigiert werden, so wie es die
Emissionshandelsrichtlinie in Art. 10a Abs. 1 ausdrücklich
vorsieht. Auch der ebenfalls von der Stahlindustrie
kritisierte, zu niedrig angesetzte Benchmark für Sinter
bedarf dringend der Korrektur.
- Anpassung der Zuteilung an die
Produktionsentwicklung
Die Zuteilung sollte sich aus Sicht der Stahlindustrie nach
der aktuellen Pro- duktionshöhe richten. Dies ermöglicht
industrielles Wachstum und vermeidet Dis- kussionen über
Anpassungen an unvorhergesehene Entwicklungen. Zudem wäre
ein solches System für eine Internationalisierung des
Emissionshandels besser geeignet.
- Strompreiskompensation
Nach Artikel 1, Absatz 5 d sollen die
Mitgliedstaaten für jene
Branchen, die aufgrund indirekter CO2-Kosten einem
Carbon-Leakage-Risiko ausgesetzt sind, auch in der vierten
Handelsperiode eine Kompensation der
emissionshandelsbedingten Strompreissteigerungen gewähren.
Dies ist zu begrüßen.
Mit steigenden Zertifikatspreisen wird die Dämpfung der
Strompreiseffekte stark an Bedeutung gewinnen, um die
stromintensiven Produktionsprozesse der Stahlindustrie
wettbewerbsfähig zu halten. Allerdings muss die Bestimmung
gestrichen werden, dass dies nur teilweise geschehen soll.
Es bedarf einer vollumfänglichen Kompensation. Schon heute
begrenzen die Beihilfeleitlinien die Kompensationshöhe
erheblich.
Eine weitere Abschmelzung würde dazu führen, dass die nur
unvollständige Kompensation in Bezug auf
Carbon-Leakage-Schutz wirkungslos wird. Zudem ist die bisher
unberücksichtigte Sauerstoffproduktion in die Lis- te
aufzunehmen, die ein wesentliches und unmittelbar in die
Prozesskette integriertes Vorprodukt der Stahlproduktion
darstellt.
- Delegierte Rechtsakte
Die detaillierte Ausgestaltung
der vierten Handelsperiode soll gemäß Vorschlag der
Kommission frühestens 2019
bekanntgegeben werden. Dies umfasst die Höhe der
Benchmark-Abschmelzung, den Umfang der Carbon-Leakage-Liste,
die bei der Zuteilung anzulegenden Produktionsniveaus und
den sektorenübergreifenden Korrekturfaktor. Dies
beeinträchtigt die Investitions-und Planungssicherheit der
Industrie und wird zu einer weiteren
Investitionszurückhaltung führen.
Ein frühzeitig transparentes und bereits jetzt bekanntes
EU-Emissionshandelssystem ist erforderlich. Der Vorschlag,
zahlreiche Details der konkreten Ausgestaltung des
Emissionshandels- systems erst ab 2019 durch delegierte
Rechtsakte zu regeln, ist aufgrund der wirtschaftlichen
Bedeutung der Regelungen für zahlreiche Branchen abzulehnen.
Stattdessen müssen Parlament und Rat diese Entscheidungen
treffen.
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