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"Pfusch am Bau"



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Archiv 1-3.2014
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Mitten aus dem Leben  -  Urteile und Tipps zu §§
D.A.S. Rechtsschutzexperten erläutern Rechte der Verbraucher

 

März 2014

Streik bei der Lufthansa: Flugpassagiere nicht rechtlos  
Die Piloten der Lufthansa heben – laut Ankündigung – am Donnerstag mit ihren Fliegern nicht ab. Mit ihrer Arbeitsniederlegung wollen sie Forderungen nach Anhebung der Gehälter und Beibehaltung der bisherigen Betriebsrenten bodenständig Nachdruck verleihen. Damit Reisende angesichts von streikbedingten Flugausfällen oder Verspätungen nicht aus allen Wolken fallen, erklärt die Verbraucherzentrale NRW nachfolgend die Rechte der Passagiere:
·       Streichung des Fluges: Wird der Flug wegen der Arbeitsniederlegung ganz gestrichen, muss die Airline nach der EU-Verordnung für Fluggastrechte die Passagiere per Ersatzflug zum Ziel befördern. Dies dürfte unter den gegebenen Umständen allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich sein. Alternativ kann der Reisende bei Annullierung des Fluges vom Luftbeförderungsvertrag zurücktreten und sich den Flugpreis erstatten lassen. Ausgleichszahlungen braucht die Fluggesellschaft nach bislang überwiegender Ansicht nicht zu leisten. Ob dies bei einem Streik eigener Leute zutrifft, ist umstritten.
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 21.08.2012, Az X ZR 138/11 und X ZR 146/11) ist eine Fluggesellschaft bei Streiks des eigenen Personals zu Ausgleichsleistungen nicht verpflichtet, wenn sie alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um Flugannullierungen zu vermeiden. Ob beim jetzigen Streik eine solche Entlastung möglich ist, könnte strittig werden.
·       Verspätung des Fluges: Startet die Maschine wegen des Streiks erst verspätet, haben Reisende nach der europäischen Fluggastrechte-Verordnung bei Abflugsverzögerungen von zwei Stunden (Kurzstrecken bis 1.500 Kilometer), drei (Mittelstrecken bis 3.500 Kilometer) beziehungsweise vier Stunden (Langstrecken) Anspruch auf kostenlose Betreuung. So hat die Airline auf Wunsch der Passagiere für Mahlzeiten, Erfrischungen, zwei Telefongespräche, Telexe, Faxe oder E-Mails sowie für notwendige Hotelübernachtungen inklusive Transfer zu sorgen. Wer die Reise nicht mehr antreten will, kann bei einer mindestens fünfstündigen Flugverspätung darauf pochen, das Geld dafür zurückzubekommen.

Ratgeber / Neuerscheinung                                                   
27.03.2014 Achtung, Zucker! Süße Fallen in der täglichen Ernährung
Nicht nur Kuchen, Kekse und Schokoriegel enthalten viel Zucker und gehören deshalb nicht täglich auf den Speiseplan. Auch vermeintlich gesunde Lebensmittel wie Fruchtsäfte, Müslis oder Milchprodukte entpuppen sich oft als Zuckerbomben. Denn den Zuckergehalt ihrer Produkte verschleiern viele Hersteller dadurch, dass sie neben dem Haushaltszucker Saccharose auch andere Arten wie Glukose oder Fruktose einsetzen. Oder sie nutzen Süßstoffe wie Stevia oder Austauschstoffe wie Sorbit.
Wer auf Süßes nicht verzichten, sich aber gesund ernähren möchte, findet Tipps im Ratgeber „Achtung, Zucker!“ der Verbraucherzentrale NRW.
Das neu erschienene Buch trägt den Untertitel „36 Zuckerfallen, die jeder kennen sollte, und die besten Alternativen“ und zeigt, wie viel Zucker wirklich in Fruchtjoghurts, Limonaden oder Feinkostsalaten steckt. Direkt neben diesen nach Produktgruppen geordneten Informationen findet der Leser jeweils passende Tipps und Rezepte für eine zuckerarme Ernährung. Der Ratgeber kostet 8,90 Euro und ist in der Beratungsstelle Duisburg, Friedrich-Wilhelm-Str. 30 erhältlich. Für zuzüglich 2,50 Euro (Porto und Versand) wird er auch nach Hause geliefert.
Die Lektüre gibt’s auch als E-Book für 7,49 Euro.  
Bestellmöglichkeiten: Versandservice der Verbraucherzentralen, Himmelgeister Straße 70, 40225 Düsseldorf, Internet: www.vz-nrw.de/shop, Tel: (02 11) 38 09-555, E-Mail: ratgeber@vz-nrw.de, Fax: (02 11) 38 09-235

Regeln für die Bepflanzung von Garten und Balkon
Nicht alles, was den Garten- oder Balkonbewohner erfreut, gefällt auch seinem Nachbarn. Für Mieter ist es ratsam, zuerst einen Blick in den Mietvertrag und in die Hausordnung zu werfen. Für Wohnungseigentümer empfiehlt es sich, die Teilungserklärung, die Gemeinschaftsordnung sowie die Gebrauchs- und Nutzungsregelungen nochmals zu lesen, denn: „Aus diesen Vorgaben können sich Rechte und Pflichten im Hinblick auf die Balkon- und Terrassennutzung ergeben“, so Michaela Zientek, Juristin der D.A.S. Rechtsschutzversicherung.

Schatten im Gartenparadies?

Auch junge Bäume oder Sträucher – nicht zu vergessen deren Wurzeln – werden mal groß. „Ob die Gehölze dann geschnitten oder sogar entfernt werden müssen, entscheidet das jeweilige Landesrecht“, erklärt die Rechtsexpertin der D.A.S. „Um diesen Ärger zu vermeiden, sollten sich begeisterte Gärtner daher zunächst im Nachbarrechtsgesetz ihres Bundeslandes (im Internet zu finden), bei der Gemeinde oder der Stadt nach den zulässigen Höhen für Bäume, Sträucher oder Hecken erkundigen.
Einige Nachbarrechtsgesetze gewähren dem Nachbarn einen Anspruch auf Beseitigung oder Rückschnitt von allzu grenznahen Bäumen und Sträuchern mit einer gewissen Höhe.“
Grenzabstände von Sträuchern sind in den meisten Bundesländern vorgeschrieben. Der Mindestabstand liegt zum Beispiel in Sachsen für über zwei Meter hohe Bäume oder Sträucher bei zwei Metern. Wer das nicht berücksichtigt und sich uneinsichtig zeigt, muss mit einer Klage rechnen. Zur Selbsthilfe darf der Nachbar hier aber nicht greifen. In anderen Fällen ist das Recht zur Selbsthilfe jedoch ausdrücklich vom Gesetz vorgesehen: Wenn nämlich über die Grenze wachsende Pflanzen die Nutzung des Nachbargrundstücks beeinträchtigen. Dies kann eine Verschattung oder das Anheben von Gehwegplatten durch Wurzeln sein (Paragraph 910 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Achtung: Abgeschnitten werden darf nur, was über den Zaun wächst – auf keinen Fall darf das Nachbargrundstück betreten werden. Und zuvor muss dem Eigentümer des Baumes eine angemessene Frist gesetzt werden, um das Problem selbst zu beseitigen (LG München I, Az. 15 S 7927/00). Zusätzlich ist generell beim Zurückschneiden oder Fällen von Bäumen die kommunale Baumschutzverordnung zu beachten.
Übrigens: Auch hinter Sichtschutzzäunen dürfen die Pflanzen oder Bäume nicht unbegrenzt in die Höhe wachsen: So entschied das AG München, dass Gehölze (zumindest in Bayern) auf die Höhe des Zaunes zurückgeschnitten werden müssen (Az. 173 C 19258/09)!
Eine Übersicht der Abstandsvorschriften in den einzelnen Bundesländern bietet die D.A.S. auf www.das.de/das/abstandsvorschriften.

Blumen am Balkon
Pflanzenfreunden ist es natürlich gestattet, Blumenkübel auf dem Balkon aufzustellen und Blumenkästen zu befestigen. „Die Bepflanzung darf aber die Wohnungsnachbarn nicht wesentlich beeinträchtigen. Auch die Rechte des Vermieters dürfen nicht verletzt werden“, ergänzt die D.A.S. Expertin. Das bedeutet konkret: Pflanzengitter und Rankhilfen sind auf dem Balkon einer Mietwohnung nur gestattet, solange das Mauerwerk nicht erheblich beschädigt wird. Stark wuchernde Pflanzen wie Knöterich und Geißblatt können kahle Wände zwar wunderschön begrünen, klettern aber schnell über die Rankgitter hinaus und machen sich auf Nachbars Terrain breit. Deshalb sollten sie von Zeit zu Zeit großzügig beschnitten werden.
Efeu benötigt zwar keine Kletterhilfe, die „Haftwurzeln“ an der Mauer sind aber später schwer zu beseitigen. Dies kann beim Auszug aus einer Mietwohnung zum Problem werden. Ob die Blumenkästen außerhalb oder innerhalb der Balkonbrüstung hängen dürfen, ist nicht immer eindeutig: Das Landgericht Berlin (Az. 65 S 40/12) entschied, dass der Vermieter aus Gründen der Verkehrssicherheit das Aufhängen der Kästen an der Außenseite des Balkons verbieten darf.
Das Landgericht Hamburg (Az. 316 S 79/04) dagegen erlaubte Blumenkästen außerhalb der Brüstung. Wichtig ist in diesem Fall laut der D.A.S. Juristin, „dass die Kästen auch bei einem Unwetter nicht herunterfallen und Passanten gefährden können. Außerdem sollten Balkonbesitzer vermeiden, dass die Nachbarn der darunter liegenden Balkone beim Blumengießen mit bewässert werden!“

 

Mietminderung bei Lärm?  Lärm ist nicht Lärm  
„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem Nachbarn nicht gefällt.“ Das über 200 Jahre alte Zitat von Friedrich Schiller gilt ohne Einschränkungen auch für aktuelle Nachbarschaftsverhältnisse: Knapp die Hälfte der Deutschen fühlt sich von ihren Nachbarn gestört. Lärm spielt dabei eine große Rolle. Egal, ob es sich um die staubsaugende Nachbarin, das Gitarrenspiel aus dem Dachgeschoss oder den Baulärm von der Straße handelt: Über Geräusche im Alltag lässt sich trefflich streiten. Wann Lärm von den Gerichten als Mietmangel anerkannt wird und in welcher Höhe die Miete gemindert werden darf, zeigt die D.A.S. Rechtsschutzversicherung.      
Nicht jeder Lärm ist verboten. „Kritisch wird es bei Lärm, der nicht ortsüblich ist, vermieden werden könnte oder stört, wie zum Beispiel die regelmäßige Samstagsparty der Nachbarn bis 4 Uhr früh in einem Mietshaus“, erläutert Anne Kronzucker, Juristin der D.A.S. Rechtsschutzversicherung. Doch welche Geräusche müssen Nachbarn nun ertragen und bei welchen akustischen Belästigungen liegt ein Mangel der Wohnung vor?      
Wann ist Lärm ein Mangel?   Wenn die sogenannte „Tauglichkeit“ der Wohnung gemindert ist (§ 536 BGB), dann liegt ein Wohnungsmangel vor. Solange dieser Mangel besteht, muss der Mieter auch nur eine geminderte Miete zahlen. Dies gilt jedoch nicht für sogenannte „unerhebliche Minderungen“:
„Bei der Abwägung, ob ein Mangel des Mietobjekts eine Mietminderung rechtfertigt, muss immer überlegt werden, ob ein Bagatellmangel oder eine echte Einschränkung der Benutzbarkeit der Wohnung vorliegt“, betont die D.A.S. Rechtsexpertin. So stellt nicht jeder Lärm einen Wohnungsmangel dar: Geräusche des täglichen Lebens wie Staubsaugen oder eine laufende Wasch- oder Geschirrspülmaschine müssen Nachbarn ertragen (§ 536 Abs. 1 Satz 3 BGB und AG Mönchengladbach-Rheydt, Az. 20 C 363/93).
Für Hausmusik gilt dies nur eingeschränkt: So sprach das Landgericht Berlin (Az. 65 S 59/10) Mietern das Recht auf eine Mietminderung von fünf Prozent zu, die sich durch Schlagzeug und E-Gitarre eines Nachbarkindes gestört fühlten. Allerdings ist Musikmachen nicht grundsätzlich verboten – es kommt dabei immer auf Lautstärke, Tageszeit, Häufigkeit und Ruhezeiten-Regelungen in der Hausordnung an.
     
Baulärm = Wohnungsmangel?  
Ob Baulärm ein Wohnungsmangel ist, beurteilen die Gerichte unterschiedlich. Umfangreiche Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück sah das Landgericht Berlin als gerechtfertigten Grund an, die Miete um 15 Prozent zu mindern. Auch Bauarbeiten im Dachgeschoss eines Hauses, die mit Lärm und Schmutz verbunden waren, erlaubten eine Mietminderung von 20 Prozent (AG Köln, Az. 205 C 85/02). Andererseits wertete das AG Münster (Az. 3 C 3583/05) den gedämpften Lärm durch Bauarbeiten im Inneren eines Nachbargebäudes nicht als Mangel der Mietsache. Wichtig: Bei der Beurteilung, ob Baulärm einen Mietmangel darstellt, spielt unter anderem auch eine Rolle, ob die Bauarbeiten bereits bei Abschluss des Mietvertrages bekannt waren!
Übrigens: Seit 1. Mai 2013 können Mieter in den ersten drei Monaten während des Auftretens eines Mangels die Miete nicht mindern, wenn der Mangel – in vielen Fällen Baulärm – durch eine energetische Sanierung verursacht wird (§ 536 Abs. 1a BGB)!      

Was tun bei einem Mietmangel?  
„Da der Vermieter verpflichtet ist, eine Wohnung in gebrauchsbereitem Zustand zu übergeben und zu erhalten (§ 535 Abs. 1 S. 2 BGB), ist er auch der erste Ansprechpartner bei einem Wohnungsmangel“, betont die D.A.S. Expertin. Kann der Mieter den durch Dritte verursachten Mangel – beispielsweise den Lärm durch Nachbarn oder Baulärm – nicht selber abstellen, so muss er den Mangel beim Vermieter unverzüglich schriftlich anzeigen und auffordern, diesen zu beenden. Anschließend kann er die Miete für den Zeitraum, in dem der Mangel besteht, kürzen. „Die Mietminderung setzt zwar die Mängelanzeige, nicht jedoch eine Fristsetzung mit fehlgeschlagener Beseitigung des Mangels voraus“, ergänzt Anne Kronzucker.      
Um wie viel dürfen Mieter bei einem Mangel die Miete mindern?
Die Frage, wie ein Wohnungsmangel zu bewerten ist und wie stark die Miete gemindert werden kann, ist immer schwer zu beantworten und hängt vom Einzelfall ab. „Um das herauszufinden, benötigt der Mieter meistens fachkundigen Rat wie beispielsweise von einem Anwalt für Mietrecht“, so die D.A.S. Juristin. „Die Höhe der Mietminderung reicht dabei von einem Prozent bei geringer Beeinträchtigung bis 100 Prozent der Gesamtmiete, also inklusive Nebenkosten, wenn die Wohnung gar nicht mehr bewohnbar ist – etwa bei einer umfangreichen Sanierung und Modernisierung.“
Einen Richtwert können sogenannte Mietminderungstabellen liefern, die immer wieder im Internet oder in der Presse auftauchen. Hier muss allerdings mit Vorsicht zu Werke gegangen werden, denn einen feststehenden Prozentsatz für einen bestimmten Mangel gibt es nicht. Jedes Gericht kann nach den Umständen im Einzelfall unterschiedlich entscheiden. Grundsätzlich empfiehlt sich hier eine Beratung bei einem Fachanwalt. Denn: Fällt die Minderung fälschlich zu hoch aus, kann dies ins Auge gehen – dann hat der Vermieter womöglich das Recht zur fristlosen Kündigung wegen Mietrückständen!


Urteil wegen Schwarzarbeit am Bau
Wirtschaftsstrafkammer verhängt erhebliche Freiheitsstrafen

Duisburg, 11. März 2014 - Die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Duisburg verurteilte am 10.03.2014 zwei Angeklagte wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und Steuerhinterziehung zu Freiheitsstrafen von 6 Jahren sowie 3 Jahren und 6 Monaten.
Die beiden Männer aus Oberhausen (43 Jahre) und Duisburg (52 Jahre) waren daran beteiligt, dass zwei Baufirmen aus Oberhausen und Mülheim an der Ruhr in den Jahren 2007 bis 2009 zu geringe Lohnsummen an die Sozialkassen und das Finanzamt meldeten. Der Angeklagte aus Oberhausen hatte bereits zuvor in einem anderen Unternehmen vergleichbare Straftaten begangen. Durch die Taten entgingen der Allgemeinheit insgesamt mehr als 4,2 Millionen Euro an Sozialabgaben und Lohnsteuern. Die Unternehmen waren als Nachunternehmer im Rohbau tätig und beschäftigten eine große Zahl von Maurern, Einschalern, Betonbauern, Eisenflechtern und Helfern. Die Identität der Mitarbeiter ist, soweit sie Schwarzarbeit geleistet haben, ganz überwiegend unbekannt geblieben.

Die Ermittlungen und die 19-tägige Hauptverhandlung erforderten eine aufwändige Rekonstruktion von Geschäften der beiden Bauunternehmen, deren Geschäftsunterlagen im Wesentlichen nicht sichergestellt werden konnten. Die aufgefundenen, geschredderten Unterlagen füllten 12 Müllsäcke und konnten nur zum Teil wieder hergestellt werden. Die Ermittlungen zu Baustellen im Rheinland, am Niederrhein und im Ruhrgebiet hatten das Hauptzollamt Düsseldorf und das Finanzamt für Steu- erstrafsachen und Steuerfahndung Essen unter Leitung der Staatsanwaltschaft Duisburg erfolgreich geführt. Die Unterlagen für das Verfahren füllten zusammen etwa 20 Umzugskisten.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Aktenzeichen: 34 KLs 13/13

 

Professorenbesoldung in NRW war verfassungswidrig
Eine Universitätsprofessorin und ein Universitätsprofessor aus Nordrhein-Westfalen sind bis zum 30. Juni 2008 verfassungswidrig zu niedrig besoldet worden. Dies hat der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts mit Urteilen vom 12. Februar 2014 entschieden. Für den Zeitraum vom 1. Juli 2008 bis zum 31. Dezember 2012 hat es die Verfahren ausgesetzt, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.  
Der Bundesgesetzgeber hatte im Jahr 2002 die Besoldung für neu eingestellte Professoren durch den Übergang von der C-Besoldung auf die W-Besoldung deutlich abgesenkt. Das Bundesverfassungsgericht hatte dies auf die Klage eines Professors aus Hessen bereits mit Urteil vom 14. Februar 2012 (- 2 BvL 4/10 -) für verfassungswidrig erklärt, weil Professoren damit nicht mehr amtsangemessen alimentiert seien. Es hatte den Gesetzgeber zu einer rückwirkenden Regelung für diejenigen Professoren aufgefordert, die in der Vergangenheit bereits Widerspruch eingelegt hatten.
Dem ist das Land Nordrhein-Westfalen, das seit dem 1. September 2006 für das Besoldungsrecht der Landesbeamten zuständig ist, nicht gefolgt. Es hat die W-Besoldung für Professoren erst mit Wirkung ab dem 1. Januar 2013 erhöht. Der Senat hat deshalb - dem Bundesverfassungsgericht folgend - für die Zeit bis zum 30. Juni 2008 eine verfassungswidrig zu niedrige Besoldung festgestellt.
Diesen Verstoß wird der Gesetzgeber beseitigen müssen. Für die Zeit ab dem 1. Juli 2008 sah sich der Senat an einer entsprechenden Feststellung gehindert, weil der Landesgesetzgeber nach dem Übergang der Gesetzgebungskompetenz auf die Länder allgemeine Besoldungserhöhungen vorgenommen hatte. Diese änderten zur Überzeugung des Senats zwar nichts an der Verfassungswidrigkeit der Professorenbesoldung. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit ist aber allein dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten, so dass der Senat die Verfahren aussetzen musste, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.  
Soweit durch Urteil entschieden wurde, hat das OVG die Revision nicht zugelassen.
Dagegen ist Nichtzulassungsbeschwerde möglich, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet. Aktenzeichen: 3 A 155/09, 3 A 156/09 (Urteile), 3 A 328/14 und 3 A 329/14 (Aussetzungsbeschlüsse)


Februar 2014

Drei-Prozent-Sperrklausel im Europawahlrecht ist unter den gegenwärtigen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen verfassungswidrig
Karlsruhe, 26. Februar- Die Drei-Prozent-Sperrklausel im Europawahlrecht ist verfassungswidrig. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute verkündetem Urteil entschieden. Unter den gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen ist der mit der Sperrklausel verbundene schwerwiegende Eingriff in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit nicht zu rechtfertigen.
Eine abweichende verfassungsrechtliche Beurteilung kann sich ergeben, wenn sich die Verhältnisse wesentlich ändern. Künftige Entwicklungen kann der Gesetzgeber dann maßgeblich berücksichtigen, wenn sie aufgrund hinreichend belastbarer tatsächlicher Anhaltspunkte schon gegenwärtig verlässlich zu prognostizieren sind. Die Entscheidung ist mit 5:3 Stimmen ergangen; der Richter Müller hat ein Sondervotum abgegeben. Sachverhalt und Verfahrensgang: Die Organstreitverfahren und Verfassungsbeschwerden wenden sich gegen § 2 Abs. 7 des Europawahlgesetzes (EuWG), der für die Wahl zum Europäischen Parlament eine Drei-Prozent-Sperrklausel vorsieht.
Diese Regelung wurde durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Europawahlgesetzes vom 7. Oktober 2013 (BGBl I S. 3749) eingefügt. Im europäischen Recht verlangt der sogenannte Direktwahlakt, dass die Mitglieder des Europäischen Parlaments in jedem Mitgliedstaat nach dem Verhältniswahlsystem gewählt werden. Das Wahlverfahren bestimmt sich - vorbehaltlich der sonstigen Vorschriften des Direktwahlaktes - in jedem Mitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vorschriften. Die bei der Europawahl 2009 geltende Fünf-Prozent-Sperrklausel hat das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 9. November 2011 (BVerfGE 129, 300) für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 GG und daher nichtig erklärt. Wesentliche Erwägungen des Senats: Die Anträge in den Organstreitverfahren, soweit sie zulässig sind, und die Verfassungsbeschwerden haben Erfolg.

Die Drei-Prozent-Sperrklausel im Europawahlrecht verstößt unter den gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) und der Chancengleichheit der politischen Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG). 1. Es kann hier dahingestellt bleiben, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber nach Nichtigerklärung einer Norm eine solche inhaltsgleich erneut erlassen kann, denn die abgesenkte Mindestschwelle stellt bereits keine inhaltsgleiche Normwiederholung dar. Auch ein Verstoß gegen das Gebot der Organtreue liegt nicht vor; der Gesetzgeber hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht bewusst missachtet, sondern gerade in Auseinandersetzung mit dem Urteil vom 9. November 2011 gehandelt. 2. Der Direktwahlakt gibt einen Gestaltungsrahmen für den Erlass nationaler Wahlrechtsvorschriften vor, die selbst aber den verfassungsrechtlichen Bindungen des jeweiligen Mitgliedstaates unterliegen.
Dass die im Direktwahlakt eröffnete Möglichkeit, eine Sperrklausel von bis zu 5 % der abgegebenen Stimmen festzulegen, zugleich deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit nach dem jeweiligen mitgliedstaatlichen Recht impliziert, lässt sich dem Direktwahlakt weder nach seinem Wortlaut noch durch Auslegung entnehmen. 3. Die dem Urteil vom 9. November 2011 zugrunde liegenden Maßstäbe beanspruchen Geltung auch im vorliegenden Verfahren. a) Der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit, der sich für die Wahl der deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus Art. 3 Abs. 1 GG ergibt, sichert die vom Demokratieprinzip vorausgesetzte Egalität der Bürger und ist eine der wesentlichen Grundlagen der Staatsordnung. Aus diesem Grundsatz folgt, dass die Stimme eines jeden Wahlberechtigten grundsätzlich den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance haben muss.
Bei der Verhältniswahl verlangt dieser Grundsatz darüber hinaus, dass jeder Wähler mit seiner Stimme auch den gleichen Einfluss auf die Zusammensetzung der zu wählenden Vertretung haben muss, denn Ziel des Verhältniswahlsystems ist es, dass alle Parteien in einem möglichst den Stimmenzahlen angenäherten Verhältnis in dem zu wählenden Organ vertreten sind. Der aus Art. 21 Abs. 1 GG abzuleitende Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien verlangt, dass jeder Partei grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten im gesamten Wahlverfahren und damit gleiche Chancen bei der Verteilung der Sitze eingeräumt werden. b) Zwischen Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien besteht ein enger Zusammenhang.
Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Einschränkungen folgt den gleichen Maßstäben. Beide Grundsätze unterliegen keinem absoluten Differenzierungsverbot; allerdings folgt aus ihrem formalen Charakter, dass dem Gesetzgeber nur ein eng bemessener Spielraum verbleibt. Differenzierungen im Wahlrecht können nur durch Gründe gerechtfertigt werden, die durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sind, das der Wahlrechtsgleichheit die Waage halten kann. Hierzu zählt insbesondere die Sicherung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung. c) Maßgeblich sind die aktuellen Verhältnisse. Der Gesetzgeber ist zwar nicht daran gehindert, auch konkret absehbare künftige Entwicklungen zu berücksichtigen. Maßgebliches Gewicht kann diesen jedoch nur dann zukommen, wenn die weitere Entwicklung aufgrund hinreichend belastbarer tatsächlicher Anhaltspunkte schon gegenwärtig verlässlich zu prognostizieren ist. Im vorliegenden Verfahren kann offenbleiben, inwieweit dem Ansatz des Deutschen Bundestages zu folgen ist, dass Sperrklauseln bereits unter Aspekten der Vorsorge gegen Gefahren für die Funktionsfähigkeit gerechtfertigt sind.
Dies kann allenfalls für Volksvertretungen gelten, bei denen eine Schwächung der Funktionsfähigkeit gleichbedeutend sein kann mit einer entsprechenden Schwächung der Fähigkeit, hierauf mit einer Korrektur des Wahlrechts zu reagieren. Denn bezogen auf das Europäische Parlament sind Korrekturen durch den nationalen Wahlrechtsgesetzgeber möglich. Mit einer rein vorsorglich statuierten Sperrklausel würde der schwerwiegende Eingriff in die Wahlrechtsgleichheit in unverhältnismäßiger Weise vorverlagert. d) Die Ausgestaltung des Wahlrechts unterliegt einer strikten verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Dies folgt aus der generellen Erwägung, dass die parlamentarische Mehrheit mit Regelungen, die die Bedingungen der politischen Konkurrenz berühren, gewissermaßen in eigener Sache tätig wird und gerade bei der Wahlgesetzgebung die Gefahr besteht, dass die jeweilige Parlamentsmehrheit sich statt von gemeinwohlbezogenen Erwägungen vom Ziel des eigenen Machterhalts leiten lässt.
Aus diesem Grunde kann die verfassungsgerichtliche Kontrolle auch nicht durch Zubilligung von weitgehend frei ausfüllbaren Prognosespielräumen zurückgenommen werden. 4. Nach diesen Maßstäben ist die Drei-Prozent-Sperrklausel (§ 2 Abs. 7 EuWG) mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 GG unvereinbar. Der Senat hat im Urteil vom 9. November 2011 festgestellt, dass die bei der Europawahl 2009 gegebenen und fortbestehenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse keine hinreichenden Gründe bieten, die den mit der Fünf-Prozent-Sperrklausel verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der politischen Parteien rechtfertigen. Eine maßgebliche Veränderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse ist seither nicht eingetreten. Die Drei-Prozent-Sperrklausel findet keine Rechtfertigung im Hinblick auf zu erwartende politische und institutionelle Entwicklungen und damit verbundene Änderungen der Funktionsbedingungen des Europäischen Parlaments in der nächsten Wahlperiode.
a) Der Gesetzgeber geht zutreffend davon aus, dass eine antagonistische Profilierung von Regierung und Opposition auf europäischer Ebene unter Umständen dann eine Sperrklausel im deutschen Europawahlrecht rechtfertigen kann, wenn in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht Verhältnisse gegeben sind, die denen auf nationaler Ebene vergleichbar sind, wo die Bildung einer stabilen Mehrheit für die Wahl einer handlungsfähigen Regierung und deren fortlaufende Unterstützung nötig ist. Eine dahingehende Entwicklung des Europäischen Parlaments wird zwar politisch angestrebt, steckt indes noch in den Anfängen. Tatsächliche Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments sind derzeit nicht abzusehen, so dass für die Prognose des Gesetzgebers, es drohe ohne die Drei-Prozent-Sperrklausel eine Funktionsbeeinträchtigung des Europäischen Parlaments, die Grundlage fehlt.
b) Das Europäische Parlament verfolgt ausweislich seiner Entschließung vom 22. November 2012 im Einverständnis mit der derzeitigen Kommission das Ziel einer Stärkung der politischen Legitimität beider Institutionen, deren Wahl jeweils unmittelbarer mit der Entscheidung der Wähler verknüpft werden soll. Um dies zu fördern, sollen die europäischen politischen Parteien Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten nominieren. Eine Änderung der europarechtlichen Grundlagen wird jedoch nicht angestrebt. Auch bleibt unklar, wie das politische Anliegen, die demokratische Willensbildung auf europäischer Ebene zu stärken, im Rahmen des geltenden Unionsrechts mit Relevanz für die hier zu entscheidende Frage umgesetzt werden soll. Die damit verbundenen Fragen können jedoch dahin stehen.
c) Es ist nämlich bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht konkret absehbar, dass die angestoßene politische Entwicklung ohne eine Sperrklausel im deutschen Europawahlrecht zu einer Funktionsbeeinträchtigung des Europäischen Parlaments führen könnte. aa) Derzeit lässt sich nicht einmal abschätzen, in welchem Umfang und mit welchen Auswirkungen die in der Entschließung vom 22. November 2012 zum Ausdruck gebrachte Position sich gegenüber den Vertretern der Mitgliedstaaten im Europäischen Rat und im Rat wird durchsetzen lassen. Auch der Umfang damit möglicherweise einhergehender Veränderungen im politischen Prozess innerhalb des Europäischen Parlaments in der kommenden Wahlperiode bleibt spekulativ. Soweit die Drei-Prozent-Sperrklausel danach mit der Erwägung gerechtfertigt werden sollte, der beabsichtigte „Demokratisierungsschub“ dürfe nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass von Deutschland aus eine Zersplitterung des Europäischen Parlaments in Kauf genommen werde, verfehlte dies nicht nur die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung von Eingriffen in die Wahlrechtsgleichheit und die Chancengleichheit der politischen Parteien.
Es würde auch der Offenheit des politischen Prozesses nicht gerecht, der für die parlamentarische Debatte gerade im Hinblick auf mögliche Umstrukturierungen wesentlich ist und zu dem kleine Parteien einen wichtigen Beitrag leisten können. bb) Es ist auch nicht belegbar, dass die Mehrheitsbildung im Europäischen Parlament infolge der angestrebten Politisierung strukturell beeinträchtigt wird. (1) Zwar ist nicht auszuschließen, dass die Zusammenarbeit der beiden großen Fraktionen im Europäischen Parlament in Zukunft nicht mehr oder in signifikant geringerem Umfang stattfindet. Ob und inwieweit dies der Fall sein wird, ist jedoch ungewiss; denkbar sind jedenfalls auch Entwicklungen, die die Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments unbeeinträchtigt lassen. So kann es Gründe für die Annahme geben, dass die beiden großen Fraktionen, die regelmäßig eine absolute Mehrheit der Mandate auf sich vereinen, auch weiterhin in einer Vielzahl von Fällen an einer Zusammenarbeit interessiert, wenn nicht sogar auf eine solche angewiesen sind.
(2) Darüber hinaus kann auch nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die bislang praktizierte flexible Mehrheitsbildung im Parlament durch die Zuwahl neuer Abgeordneter kleiner Parteien nennenswert erschwert würde. Möglich ist auch, dass etwaige deutlichere politische Gegensätze zwischen den einzelnen Fraktionen deren internen Zusammenhalt gerade erhöhen. Zudem ist offen, ob eine infolge stärkerer parteipolitischer Profilierung veränderte Wahrnehmung des Europäischen Parlaments nicht Wähler mehr als bislang zu strategischem Wahlverhalten veranlassen und dies einer Zunahme der im Europäischen Parlament vertretenen Parteien entgegenwirken würde.
(3) Die in der mündlichen Verhandlung genannte Zahl von künftig möglicherweise 80 kooperationsunwilligen Abgeordneten lässt sich angesichts derartiger Ungewissheiten nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit prognostizieren. Ohnehin bezogen sich die betreffenden Äußerungen nicht auf die Zahl der zu erwartenden fraktionslosen Abgeordneten kleiner Parteien mit einem oder zwei Abgeordneten, sondern auf Abgeordnete bestimmter unionskritischer Parteien, die voraussichtlich nicht an einer Sperrklausel scheitern werden. (4) Im Hinblick auf die Integrationskraft der Fraktionen ist schließlich nicht ersichtlich, dass in der kommenden Wahlperiode neu gewählte Abgeordnete kleinerer Parteien von vornherein keine Aufnahme in einer der etablierten Fraktionen oder in einer neu gegründeten weiteren Fraktion finden könnten.

Es wird allerdings zu beobachten sein, wie sich eine denkbare Wahl von Abgeordneten weiterer, in der deutschen Parteienlandschaft im Wettbewerb stehender Parteien auswirken wird. Gesicherte Einschätzungen sind derzeit auch diesbezüglich nicht möglich. Sich etwa konkret abzeichnenden Fehlentwicklungen kann der Gesetzgeber Rechnung tragen. d) Die Drei-Prozent-Sperrklausel greift zwar weniger intensiv in die Wahlrechtsgleichheit und in die Chancengleichheit der Parteien ein als die frühere Fünf-Prozent-Sperrklausel. Daraus folgt jedoch nicht, dass der auch mit der Drei-Prozent-Sperrklausel verbundene Eingriff in die Wahlrechtsgleichheit vernachlässigbar wäre und keiner Rechtfertigung bedürfte.
Ein Sitz im Europäischen Parlament kann bereits mit etwa einem Prozent der abgegebenen Stimmen errungen werden, so dass die Sperrklausel praktische Wirksamkeit entfaltet. Da eine Sperrklausel im deutschen Europawahlrecht gegenwärtig bereits nicht erforderlich ist, es also an der Rechtfertigung bereits dem Grunde nach fehlt, kommt es auf Fragen der Angemessenheit der Drei-Prozent-Klausel nicht an. Abweichende Meinung des Richters Müller: Nach meiner Überzeugung stellt der Senat zu hohe Anforderungen an die Feststellung einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments und trägt damit dem Auftrag des Gesetzgebers zur Ausgestaltung des Wahlrechts unzureichend Rechnung. Die Bewertung des Korridors zwischen der rein theoretischen Möglichkeit und dem sicheren Eintritt einer Funktionsbeeinträchtigung ist dem Gesetzgeber vorbehalten.
Es ist nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, die vertretbare Entscheidung des Gesetzgebers durch eine eigene vertretbare Entscheidung zu ersetzen. Im Ergebnis führt die Entscheidung des Senats zur Hinnahme des Risikos einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments jedenfalls für die Dauer einer Legislaturperiode. Dass dies verfassungsrechtlich geboten ist, vermag ich nicht zu erkennen.
Die Entscheidung des Senats hat die Unzulässigkeit jeglicher Sperrklausel bei der Wahl des Europäischen Parlaments zur Folge. Die verfassungsrechtliche Bewertung von § 2 Abs. 7 EuWG hat daher von der Frage auszugehen, ob bei einem unionsweiten Verzicht auf Sperrklauseln von einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments auszugehen ist. Die Prognose des Gesetzgebers, dass eine weitere Zersplitterung des Europäischen Parlaments zur Verhinderung der Bildung notwendiger Mehrheiten führen kann, ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden. Ihre Plausibilität bleibt nicht hinter der Plausibilität vergleichbarer Prognosen, die auf nationale Parlamente bezogen sind, zurück. Inwieweit die Integrationskraft der bestehenden Fraktionen einer weiteren Zersplitterung des Parlaments entgegenwirken könnte, ist ebenso wenig absehbar wie die Bildung neuer Fraktionen. Soweit auf eine Zusammenarbeit der großen Fraktionen verwiesen wird, steht dem bereits entgegen, dass der Fortbestand ihrer absoluten Mehrheit nicht gewährleistet ist. Daher durfte der Gesetzgeber bei seiner Prognoseentscheidung diese Umstände außer Betracht lassen.
Die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments ist hinreichend gewichtig, um einen Eingriff in die Grundsätze der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien zu rechtfertigen. Das Europäische Parlament ist ein Parlament eigener Art. Die Unterschiede in Aufgabenstellung und Funktion zum Deutschen Bundestag sind (noch) erheblich, rechtfertigen jedoch eine grundlegend andere Gewichtung der Bedeutung der Sicherung seiner Funktionsfähigkeit nicht. Durchgreifende Zweifel, dass § 2 Abs. 7 EuWG den Grundsätzen der Geeignetheit und Erforderlichkeit hinreichend Rechnung trägt, habe ich nicht. Unter Berücksichtigung des Befundes, dass mit Ausnahme Spaniens in allen Mitgliedstaaten das Erreichen eines Stimmenanteils von mindestens 3 % Voraussetzung der Zuteilung eines Mandats bei der Wahl zum Europäischen Parlaments ist, ist es nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber eine Sperrklausel in dieser Höhe als zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments geeignet angesehen hat.
Der Erforderlichkeit des Eingriffs kann auch die Möglichkeit einer Korrektur des Europawahlrechts durch den nationalen Gesetzgeber, die ihre Wirkung erst für die nachfolgende Wahlperiode entfalten könnte, nicht entgegengehalten werden. Stattdessen wäre der Gesetzgeber verpflichtet, § 2 Abs. 7 EuWG zu ändern, sollte sich nachträglich die Fehlerhaftigkeit seiner Prognose herausstellen.


Januar 2014

Zugunsten des Rauchers?

30. Januar - Das Landgericht Düsseldorf hat heute über die Berufung des beklagten Mieters gegen das Räumungsurteil des Amtsgerichts Düsseldorf verhandelt und Termin zur Verkündung einer Entscheidung bestimmt auf: 13. März 2014, 8:45 Uhr, Saal 2111 Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung zu erkennen gegeben, dass sie die Kündigung des Mietverhältnisses nach derzeitigem Beratungsstand für unwirksam hält.
Nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs muss ein Vermieter die Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist aussprechen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat. Hingegen habe die Vermieterin im Streitfall mehr als ein Jahr bis zur Kündigung verstreichen lassen, nachdem sie von der Geruchsbelästigung erfahren hatte.
Die auf Räumung der Wohnung klagende Vermieterin hatte das Mietverhältnis gekündigt, weil sich Hausbewohner über die vom Rauchen des Mieters ausgehende Geruchsbelästigung beschwert hätten. Das Amtsgericht hat der auf Räumung der Wohnung gerichteten Klage der Vermieterin stattgegeben. Hiergegen wendet sich der beklagte Mieter mit seiner Berufung.
(Landgericht Düsseldorf, Aktenzeichen 21 S 240/13)

 

 Grober zahnärztlicher Fehler bei der Befunderhebung - Patientin erhält 3.500 Euro Schmerzensgeld

Ein Zahnarzt, den ein Patient mit Zahnbeschwerden im Oberkieferfrontbereich aufsucht, handelt grob fehlerhaft, wenn er den Patienten zur Befunderhebung nur röntgt und eine Vitalitäts- und Perkussionsprüfung der schmerzenden Zähne versäumt.
Das hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 08.11.2013 entschieden und damit die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Arnsberg bestätigt. Die heute 64jährige Klägerin aus Wickede befand sich seit langen Jahren in der zahnärztlichen Behandlung des Beklagten aus Wickede.
Anfang Dezember 2008 suchte sie den Beklagten mit Zahnbeschwerden im Oberkieferfrontbereich auf. Der Beklagte veranlasste eine Röntgenaufnahme. Weitere Untersuchungen der schmerzenden Zähne fanden ausweislich der Krankenunterlagen nicht statt. Eine bei den Zähnen vorliegende Zahnmarkentzündung wurde erst im Februar 2009 zahnärztlich versorgt. Zwei Zähne im Oberkiefer der Patientin konnten in der Folgezeit nicht erhalten werden, sie erhielten Wurzelfüllungen.
Unter Hinweis auf die nach ihrer Ansicht unzureichende zahnärztliche Versorgung hat die Klägerin vom Beklagten Schadensersatz verlangt. Das sich auf den Oberkiefer beziehende Schadensersatzverlangen der Klägerin hatte Erfolg. Der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat nach erneuter Anhörung des zahnmedizinischen Sachverständigen die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 3.500 Euro bestätigt.
Dem Beklagten sei Anfang Dezember 2008 ein grober Behandlungsfehler unterlaufen, weil er es unterlassen habe, den Zustand der schmerzenden Zähne klinisch zu befunden. Allein mit einem Röntgenbild erhalte man kein Gesamtbild über den Zustand der Zähne. Dokumentationspflichtige Ergebnisse einer Vitalitätsprüfung und eines Perkussionsbefundes habe der Beklagte in den Krankenunterlagen nicht festgehalten, so dass für den Senat nicht feststellbar sei, dass der Beklagte diese Untersuchungen vorgenommen habe.
Allein aus dem Rönt genbild habe der Beklagte keine ausreichenden Schlüsse ziehen können, weil ein Röntgenbild erst dann Auffälligkeiten darstelle, wenn eine Entzündung bereits den Knochen angegriffen habe. Aufgrund des groben Behandlungsfehlers trage der Zahnarzt die Beweislast dafür, dass sich der weitere Krankheitsverlauf auch bei richtiger Befundung und sodann erfolgter Behandlung nicht positiv geändert hätte. Diesen Nachweis könne der Beklagte nicht führen. Deswegen hafte er für die um zwei Monate verlängerte Leidenszeit der Klägerin und den Verlust von Zähnen, die eine Neuversorgung im Oberkiefer erforderlich gemacht habe. Urteil des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 08.11.2013 (26 U 51/13)

 

 Infektion nach Injektion - Orthopäde haftet für unzureichende Kontrolle der Infektion

Einem Orthopäden kann ein grober Behandlungsfehler vorzuwerfen sein, wenn er einen Patienten, bei dem infolge einer Injektion im Bereich der Fußsohle eine Infektion auftritt, nicht zur täglichen Kontrolle einbestellt. Das hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12.11.2013 unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung des Landgerichts Detmold entschieden. Mitte Juni 2008 suchte die seinerzeit 66 Jahre alte Klägerin aus Lemgo den beklagten Orthopäden aus Lage zur Behandlung von Beschwerden im Bereich ihrer rechten Ferse auf. Der Beklagte injizierte im Bereich der Fußsohle ein Medikament zur Behandlung einer Sehnenentzündung.
Zur Behandlung einer in der Folge aufgetretenen Infektion verordnete der Beklagte der Klägerin Antibiotika. Auf Veranlassung ihres Hausarztes wurde die Klägerin sodann Ende Juni 2008 in eine Klinik eingewiesen, in der ihre infizierte Wunde operativ behandelt wurde. Zum Zwecke weiterer operativer Wundrevisionen musste sich die K lägerin bis zum September 2008 wiederholt stationär behandeln lassen. Mit der Begründung, sie sei vom Beklagten unzureichend aufgeklärt, fehlerhaft behandelt worden und leide jetzt unter einem Dauerschaden, weil sie nur noch kurze Strecken schmerzfrei gehen könne, hat die Klägerin vom Beklagten Schadensersatz verlangt, u.a. ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 Euro.
Der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat der Klage stattgegeben. Ungeachtet dessen, dass der Beklagte die Klägerin über die Risiken einer Infektion nicht hinreichend aufgeklärt habe, hafte er, weil er die Klägerin fehlerhaft behandelt habe. Die Injektion als solche habe er allerdings nicht behandlungsfehlerhaft vorgenommen. Der Beklagte habe sie nicht zu tief gesetzt und auch nicht gegen hygienische Standards verstoßen. Behandlungsfehlerhaft sei aber, dass der Beklagte die aufgetretene Infektion nicht hinreichend kontrolliert habe. Nach den Angaben des vom Senat vernommenen medizinisc hen Sachverständigen habe der Beklagte nach dem Auftreten von Entzündungsanzeichen tägliche Kontrollen durchführen und die Klägerin insoweit anleiten müssen. Dies sei unterblieben.
Vielmehr habe der Beklagte die Klägerin zu einer weiteren Kontrolle erst nach 5 Tagen aufgefordert. Das Unterlassen der hinreichenden Kontrolle stelle einen groben Behandlungsfehler dar. Deswegen gehe es zu Lasten des Beklagten, dass der Senat nicht sicher feststellen könne, ob die unterlassenen Kontrollen zu einer Befundverschlechterung geführt und ob tägliche Kontrollen die Heilungschancen verbessert hätten. Infolge der fehlerhaften Behandlung leide die Klägerin unter Bewegungseinschränkungen beim rechten Fuß und einer druckempfindlichen Narbe. Angesichts dieser Dauerfolgen, der eingetretenen Komplikationen und des langwierigen Verlaufs mit mehrfachen Revisionsoperationen sei das ausgeurteilte Schmerzensgeld gerechtfertigt. Urteil des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 1 2.11.2013 (26 U 107/11)

 

Unbegründetes Schadensersatzbegehren nach operativem Eingriff mit Entfernung der Gebärmutter

Eine 40jährige Patientin, die sich auf ärztlichen Rat im Rahmen eines operativen Eingriffs ihre Gebärmutter entfernen lässt, nach der Operation eine Infektion erleidet und sich danach weiteren Unterleibsoperationen unterziehen muss, kann wegen des ersten operativen Eingriffs keinen Schadensersatz verlangen.
Das hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 07.10.2013 entschieden und damit die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Dortmund bestätigt. Der Klägerin, einer Patientin aus Dortmund, riet die in einem Krankenhaus in Castrop-Rauxel als Gynäkologin beschäftigte, beklagte Ärztin im Rahmen eines komplexeren operativen Eingriffs u.a. die Gebärmutter entfernen zu lassen.
Den Eingriff ließ die Klägerin von der beklagten Ärztin und dem mitverklagten Chefarzt der Abteilung im Sommer 2006 durchführen. Wenige Tage nach ihrer Entlassung mussten bei der Klägerin aufgrund einer eingetretenen Entzündung ein Eierstock und ein Eileiter operativ entfernt werd en. In der Folgezeit schlossen sich 6 weitere Operationen an, weil es zu Bauchdeckendurchbrüchen und zu Entzündungen im Bauchraum gekommen war.
Mit der Begründung, die erste Operation sei behandlungsfehlerhaft und ohne ausreichende Aufklärung durchgeführt worden, hat die Klägerin von den beklagten Ärzten Schadensersatz verlangt, u.a. ein Schmerzensgeld von 30.000 ?. Das Schadensersatzbegehren der Klägerin ist erfolglos geblieben. Nach der Anhörung eines medizinischen Sachverständigen konnte der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm keinen Behandlungsfehler feststellen. Die im Sommer 2006 durchgeführte Operation sei medizinisch indiziert gewesen, nachdem bei der Klägerin eine Gebärmuttersenkung mittleren Grades und ein Darmprolaps vorgelegen habe.
Ihr sei keine unzureichende Befunderhebung durch die Beklagte vorausgegangen. Weitere konservative Maßnahmen hätten den Gesundheitszustand der Klägerin nicht verbessern können. Es sei auch nicht bewiesen, dass den Beklagte n bei der Durchführung der Operation ein Behandlungsfehler unterlaufen sei. Die vollständige Entfernung der Gebärmutter sei notwendig gewesen, eine behandlungsfehlerhafte Ausführung des operativen Eingriffs oder der operativen Nachsorge nicht feststellbar.
Die Klägerin sei vor dem operativen Eingriff auch nicht unzureichend aufgeklärt worden. Zu Unrecht beanstande sie eine fehlende Aufklärung über Behandlungsalternativen. Eine solche sei zu verlangen, wenn es mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden gebe, die wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen aufwiesen, so dass der Patient eine echte Wahlmöglichkeit habe. Das sei bei der Klägerin nicht der Fall gewesen. Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 07.10.2013 (3 U 109/11)

 

Bundesgerichthof bestätigt SCHUFA-Auskunft  
29. Januar  - Der 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute in Karlsruhe bestätigt, dass die SCHUFA-Auskunft für Verbraucher den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Die SCHUFA begrüßt, dass damit ihre besonderen Bemühungen um mehr Transparenz letztinstanzlich anerkannt werden. Jeder Verbraucher erhält von der SCHUFA Auskunft darüber, welche Daten zu seiner Person für die Berechnung von Scores verwendet werden.
Dies ermöglicht unter anderem eine Prüfung der Datengrundlage. Außerdem informiert die SCHUFA detailliert über das Zustandekommen und die Bedeutung der Scores. Der BGH erkennt an, dass es sich bei dem zu Grunde liegenden mathematisch-statistischen Berechnungsverfahren um ein schützenswertes Geschäftsgeheimnis handelt. Der BGH bekräftigt damit die bisherige Rechtsprechung aus vergleichbaren Verfahren.
Scores bilden ein anerkanntes, vertrauensbildendes und stabilisierendes Element der Konsumwirtschaft: 97,5 % der Kreditverträge in Deutschland werden vertragsgemäß zurückgezahlt. Sie ermöglichen eine Prognose für das individuelle zukünftige Kreditverhalten, wodurch Kreditgeber, z.B. Banken oder der Handel, eine valide Einschätzung über das Rückzahlverhalten eines Verbrauchers haben. Kreditnehmer können sich dadurch fair, günstig und bequem ihre Wünsche erfüllen.    
Die SCHUFA Holding AG ist Deutschlands führender Informations- und Servicepartner für die kreditgebende Wirtschaft und für Privatkunden. Insgesamt sind 8.000 Firmenkunden als Vertragspartner an unsere Dienstleistungen angeschlossen. Zudem nutzen 1,7 Millionen Privatkunden die SCHUFA-Angebote. Privat- und Geschäftskunden wie Banken, Sparkassen und Händlern bietet das Unternehmen kreditrelevante Informationen rund um Bonität und Identität. Auf Grundlage dieser wichtigen Entscheidungshilfen werden für Privat- und Geschäftskunden schnelle, kostengünstige und unbürokratische Vertragsabschlüsse möglich. Informationen rund um Produkte und Services für Privatkunden sowie eine Online-Einsicht in die eigenen, bei der SCHUFA gespeicherten Daten sind auf dem Internetportal www.meineSCHUFA.de erhältlich. Der einzigartige Datenbestand der SCHUFA umfasst 655 Millionen Informationen zu 66,2 Millionen Privatpersonen und 4 Millionen Unternehmen.

 

Erste Entscheidungen über Beschwerden in Sachen "Streaming-Abmahnung"

27. Januar 2014 - In vier Beschlüssen vom 24.01.2014 hat eine Zivilkammer des Landgerichts Köln Beschwerden von Anschlussinhabern stattgegeben, die von der "The Archive AG" wegen Ansehens eines Streaming-Videos auf der Plattform www.redtube.com abgemahnt worden waren.
Der Kammer zufolge hätte dem Antrag der "The Archive AG" auf Herausgabe der bestimmten IP-Adressen zuzuordnenden Namen und Anschriften von Kunden der Deutschen Telekom nicht entsprochen werden dürfen. Einer der Beschlüsse (Aktenzeichen 209 O 188/13) ist in anonymisierter Form unter dem vorgenannten Link abrufbar. Weitere Entscheidungen werden in Kürze erwartet.

Die Kammer hat die Abweichung von ihrer ursprünglichen Entscheidung damit begründet, dass im Antrag der "The Archive AG" (Antragstellerin) von Downloads die Rede war, während es sich tatsächlich - wie sich später herausstellte - um den Abruf von Videos auf einer Streaming- Plattform handelte. Ein bloßes Streaming einer Video-Datei bzw. deren Ansehen mittels eines Streams stellt im Gegensatz zum Download nach Auffassung der Kammer aber grundsätzlich noch keinen relevanten rechtswidrigen Verstoß im Sinne des Urheberrechts, insbesondere keine nur dem Urheber erlaubte Vervielfältigung gemäß § 16 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) dar.
Da es um Streaming ging, war zudem unklar geblieben, wie das eingesetzte Ermittlungsprogramm in der Lage war, die IP-Adresse desjenigen zu erfassen, der einen Stream von dem Server des Anbieters www.redtube.com abruft. Auch nach einem Hinweis der Kammer im Rahmen des Beschwerdeverfahrens hatte die Antragstellerin die Frage unbeantwortet gelassen, wie das Programm in diese zweiseitige Verbindung eindringen konnte.
Die Kammer hat angedeutet, dass ihre Entscheidung auch Bedeutung f ür ein Beweisverwertungsverbot in einem Hauptsacheprozess (z.B. über die Berechtigung der Abmahnkosten) haben könnte.
Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. Die Antragstellerin kann ihrerseits gegen die nunmehr getroffene Entscheidung Beschwerde einlegen.

Bis zum heutigen Tag (27.01.2014) sind beim Landgericht Köln über 110 Beschwerden gegen die Auskunft gestattende Beschlüsse in dieser Angelegenheit eingegangen. Neben der Bearbeitung dieser zahlreichen Beschwerden steht im Moment die zügige Beantwortung aller Akteneinsichtsgesuche im Vordergrund. Die Möglichkeit, schnell und unbürokratisch per Fax Einsicht in die wesentlichen Dokumente zu bekommen, wird von den Betroffenen und ihren Rechtsanwälten gut angenommen.
In einigen Verfahren hat der damals die Antragstellerin vertretende Rechtsanwalt das Mandat niedergelegt. Gründe hierfür sind nicht angegeben worden.

 

Bezeichnung als „durchgeknallte Frau“ kann ehrverletzend sein
21. Januar 2014 - Die Bezeichnung als „durchgeknallte Frau“ kann, abhängig vom Kontext, eine ehrverletzende Äußerung sein, die nicht mehr vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts in einem heute veröffentlichten Beschluss entschieden.
Damit gab sie der Verfassungsbeschwerde einer ehemaligen Landrätin und Landtagsabgeordneten teilweise statt, die sich gegen einzelne Äußerungen im Beitrag eines Online-Mediums gewandt hatte. Sachverhalt und Verfahrensgang: Die Beschwerdeführerin ist ehemalige Landrätin und war bis September 2013 Mitglied des Bayerischen Landtags.
Ende 2006 posierte sie für ein Gesellschaftsmagazin, das die Fotostrecke in einer ihrer Ausgaben veröffentlichte. Dies nahm die Beklagte des Ausgangsverfahrens zum Anlass, auf ihrer Internetseite einen Text zu veröffentlichen, der u. a. die folgende Passage enthält: „Ich sage es Ihnen: Sie sind die frustrierteste Frau, die ich kenne. Ihre Hormone sind dermaßen durcheinander, dass Sie nicht mehr wissen, was wer was ist. Liebe, Sehnsucht, Orgasmus, Feminismus, Vernunft. Sie sind eine durchgeknallte Frau, aber schieben Sie Ihren Zustand nicht auf uns Männer.“
Die Beschwerdeführerin sieht sich in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt und begehrt von der Beklagten die Unterlassung verschiedener Einzeläußerungen, u. a. der Bezeichnung als „durchgeknallte Frau“, sowie eine angemessene Geldentschädigung. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen das klagabweisende Urteil des Oberlandesgerichts.
Wesentliche Erwägungen der Kammer: Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Soweit sie die Äußerung unbeanstandet lässt, die Beschwerdeführerin sei eine „durchgeknallte Frau“, hält sich dies nicht mehr im fachgerichtlichen Wertungsrahmen. Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
1. Die Bezeichnung der Beschwerdeführerin als „durchgeknallte Frau“ beeinträchtigt sie in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht findet seine Schranken gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in der verfassungsmäßigen Ordnung einschließlich der Rechte anderer. Zu diesen Rechten gehört auch die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Gerichte haben die betroffenen unterschiedlichen Interessen und das Ausmaß ihrer Beeinträchtigung zu erfassen. Die sich gegenüberstehenden Positionen sind in Ansehung der konkreten Umstände des Einzelfalls in ein Verhältnis zu bringen, das ihnen jeweils angemessen Rechnung trägt.
2. Das Oberlandesgericht misst dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin ein zu schwaches Gewicht bei. Es übersieht die persönliche Ehre als in Art. 5 Abs. 2 GG ausdrücklich genannte Schranke. Wenn die Beschwerdeführerin von der Beklagten die Unterlassung der Äußerung begehrt, sie sei eine „durchgeknallte Frau“, so wendet sie sich gegen diese Äußerung als Zusammenfassung des vorangegangenen Absatzes. Hierin verschiebt die Beklagte die öffentliche Auseinandersetzung um die Person der Beschwerdeführerin hin zu rein spekulativen Behauptungen über den Kern ihrer Persönlichkeit als Privatperson.
Sie stützt diese Spekulationen auf Beurteilungen, die thematisch den innersten Intimbereich betreffen, ohne dass sie irgendeinen Tatsachenkern hätten. Sie knüpfen zwar an das Verhalten der Beschwerdeführerin an, die für ein Gesellschaftsmagazin posierte und eine Serie von Fotos von sich fertigen ließ, weswegen sich die Beschwerdeführerin eine Auseinandersetzung hiermit auch gefallen lassen muss. So bleibt es der Beklagten unbenommen, sich - auch zugespitzt und polemisch - zu dem Verhalten der Beschwerdeführerin zu äußern. Die Folgerungen der Beklagten, die sie mit den Worten „durchgeknallte Frau“ zusammenfasst, haben jedoch als solche keinerlei Anknüpfungspunkt in dem Verhalten der Beschwerdeführerin.
Die Beklagte zielt hier vielmehr bewusst darauf, die Beschwerdeführerin nicht nur als öffentliche Person und wegen ihres Verhaltens zu diskreditieren, sondern ihr provokativ und absichtlich verletzend jeden Achtungsanspruch gerade schon als private Person abzusprechen. Angesichts dessen kann sich die Meinungsfreiheit nicht durchsetzen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es sich vorliegend um einen bewusst geschriebenen und als Verletzung gewollten Text handelt, der nicht Ausdruck einer spontanen Äußerung im Zusammenhang einer emotionalen Auseinandersetzung ist.  1 BvR 194/13


Schlagloch auf der Autobahn - Land NRW haftet 

Für den Schaden, den ein Pkw beim Durchfahren eines Schlaglochs auf der Bundesautobahn (BAB) 52 erlitten hat, haftet das beklagte Land NRW, dies aufgrund einer Verkehrssicherungspflichtverletzung, weil das Schlagloch durch eine von ihm zu verantwortende, vermeidbare Gefahrenquelle entstanden ist. Das hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 15.11.2013 entschieden und damit die erstinstanzliche Verurteilung des Landes durch das Landgericht Essen bestätigt.
Der Kläger aus Oberhausen befuhr mit seinem Pkw Skoda im Mai 2010 nachts die BAB 52 in Gelsenkirchen im Bereich einer Baustelle, bei der der Standstreifen als Fahrbahn fungierte. Auf dem Standstreifen geriet das Fahrzeug in ein ca. 20cm tiefes Schlagloch und erlitt einen Achsschaden, für dessen Reparatur einschließlich Nebenkosten der Kläger ca. 2.200 Euro aufwenden musste.
Das Schlagloch war im Bereich eines für den Baustellenbetrieb verschlossenen Gullyschachtes entstanden. Um den Standstreifen für den Verkehr befahr-bar zu machen, hatte der für das beklagte Land handelnde Landesbetrieb Straßenbau NRW die zu überfahrenden Gullyschächte mit Eisendeckeln versehen und mit einer bituminösen Masse sowie mit einer Asphaltschicht auffüllen lassen. I
m Bereich der Unfallstelle war diese Füllung zum Teil herausgebrochen, wodurch das Schlagloch entstanden war. Nach sachverständiger Aufklärung der Umstände, die zum Entstehen des Schlaglochs geführt hatten, hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm das beklagte Land aufgrund einer Verkehrssicherungspflichtverletzung zum Schadensersatz verurteilt. Das Schlagloch sei die Folge einer vom Landesbetrieb zu verantwortenden, vermeidbaren Gefahrenquelle.
Die vom Landesbetrieb vorgegebene Ausführung zum Verschließen des Gullyschachtes habe selbst bei fachgerechter Ausführung ein nicht abschätzbares Risiko beinhaltet, dass die Schachtabdeckung durch das auf dem betreffenden Streckenabschnitt der BAB zu erwartende hohe Verkehrsaufkommen beschädigt werde. Dabei hätten andere, sichere Methoden wie das Herstellen provisorischer Schachtabdeckungen aus Schnellbeton zur Verfügung gestanden. Die Verkehrssicherungspflichtverletzung habe der Landesbetrieb zu vertreten. Die verschiedenen Möglichkeiten zur Herstellung von provisorischen Schachtabdeckungen und ihre Vor- bzw. Nachteile müssten d er Fachbehörde bekannt sein.
Ein Mitverschulden falle dem Kläger nicht zur Last, weil die unfallursächliche Schadstelle für ihn praktisch nicht zu erkennen gewesen sei. Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 15.11.2013 (11 U 52/12)

 

Fahrverbot für verbotenes Telefonieren beim Autofahren

Gegen einen u. a. wegen verbotenen Telefonierens beim Autofahren verkehrsordnungswidrig vorbelasteten Verkehrsteilnehmer kann bei einer erneuten einschlägigen Verkehrsordnungswidrigkeit ein einmonatiges Fahrverbot verhängt werden. Das hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm mit Beschluss vom 24.10.2013 entschieden und damit die Rechtsbeschwerde des 27 Jahre alten Betroffenen aus Hannover gegen das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Lemgo zurückgewiesen.
Der im Außendienst/Vertrieb beschäftigte Betroffene fuhr am 18.02.2013 mit seinem Pkw durch Bad Salzuflen und benutze während der Fahrt ein Mobil- oder Autotelefon, das er in der rechten Hand an das rechte Ohr hielt. Für diesen vorsätzlichen Verkehrsverstoß wurde er vom Amtsgericht mit einer Geldbuße von 80 Euro und einem einmonatigen Fahrverbot belegt. Dabei berücksichtigte das Amtsgericht zu Lasten des Betroffenen sieben im Verkehrszentralregister eingetragene frühere Verkehrsverstöße, u. a. 3 wegen verbotenen Telefonierens beim Autofahren. Die vom Betroffenen gegen die erstinstanzliche Verurteilung eingelegte Rechtsbeschwerde ist erfolglos geblieben.
Der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm hat insbesondere auch das gegen den Betroffenen ausgesprochene Fahrverbot bestätigt. Mit der im Bußgeldkatalog vorgesehenen Geldbuße habe der Verkehrsverstoß des Betroffenen nicht angemessen geahndet werden können. Ein Fahrverbot könne auch wegen beharrlicher Pflichtverletzung, wenn Verkehrsvorschriften aus mangelnder Rechtstreue missachtet würden, erlassen werden. Insoweit könne im Einzelfall bereits die wiederholte Begehung für sich genommen eher geringfügiger Verkehrsverstöße, wie das verbotswidrige Benutzen eines Mobil- oder Autotelefons, die Anordnung eines Fahrverbots rechtfertigen.
Beim Betroffenen sei von einer beharrlichen Pflichtverletzung auszugehen. Im engen zeitlichen Abstand von weniger als 12 Monaten sei der Betroffene dreimal wegen verbotenen Telefonierens beim Autofahren rechtskräftig ve rurteilt worden. Hinzu kämen drei weitere Verurteilungen wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen in einem Zeitraum von insgesamt nur zweieinhalb Jahren seit der ersten rechtskräftigen Verurteilung im September 2010. Bei diesen Verurteilungen sei der Betroffene zudem jeweils mit einem einmonatigen Fahrverbot belegt worden, zuletzt nur ca. 5 Monate vor der zu ahndenden Tat.
In ihrer Gesamtheit offenbarten die Taten eine auf mangelnder Verkehrsdisziplin beruhende Unrechtskontinuität, so dass das wegen beharrlicher Pflichtverletzung verhängte Fahrverbot nicht zu beanstanden sei.
Rechtskräftiger Beschluss des 3. Senats für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 24.10.2013 (3 RBs 256/13)