Duisburg, 24. Dezember 2017 – Nein, an
Heiligabend 1955 lag kein Schnee im östlichen Teil
Duisburgs. Vorher hatte es sogar Blitzeis gegeben, zu
Weihnachten war es kalt, aber schneefrei. Allerdings gab es
die „Frostblume“ an den damals noch einfach verglasten
Fenstern. Man musste sich ein Guckloch herauspusten. Soweit
die Erinnerungen.
Vorweg. Es lebten unterschiedliche „Schichten“ im Ort,
überwiegend aber Eisenbahner. Aber es gab Unterschiede. Da
waren die Beamten der „Bundesbahn“, die im jeweiligen
„Präsidium“ zugeordnet waren. Hinzu kamen die Arbeiter der
Bahn, die meist im AW (dem Ausbesserungswerk oder aber auch
in den Gleisbetten arbeiteten. Diese beiden Gruppierungen
waren noch unterteilt in die Evangelen und die Katholen, was
zu den jeweiligen Feiertagen oft zu skurrilen
„Nachbarschafts-Feinheiten“ im täglichen Leben führte. Dann
gab es noch eine weitere Kategorie, die Flüchtlinge.
Meistens waren es Familien, die aus den ehemaligen
Ostgebieten Deutschlands geflüchtet waren, zunächst in
Aufnahmelagern wie in Unna-Massen untergebracht waren und
wenn sie großes Glück hatten, irgendwann einen neuen
Arbeitsplatz nebst einem neuen Zuhause sprich eine Wohnung
zugewiesen bekamen. Für Beschäftigte bei der Bahn bzw. der
ehemaligen Reichsbahn hieß das oft genug Wedau oder
Bissingheim. Die alleinstehenden Männer wurden in
sogenannten „Bullenklostern“, also Häusern für
nicht-verheiratete Männer untergebracht. Die gab es in Wedau
oder Mülheim und ein kompletter Zug brachte die Arbeiter zum
AW, das übrigens nicht in Wedau sondern politisch in
Neudorf-Süd liegt.
Mitte der 1950 Jahre wurde
bekannt, dass gebaut werden sollte. Es gab damals noch kein
einziges der Hochhäuser an der Bissingheimer Straße oder am
Nordgraben, es gab überwiegend Häuser (ohne Heizung und
warmes Wasser). Das ehemalige Gelände des Eisenbahner-Turn-
und Sportverein ETuS Bissingheim lag noch in unmittelbarer
südlicher Nähe zum Blauen See. Vor der Platzanlage gab es
die huckelige „Festwiese“ für Kirmes und so. Zwei kleine
Eingangshäuschen zum Sportplatz waren die besten „Erstbesteigungsmöglichkeiten“
neben den Bäumen für wagemutige Jungs und Mädchen.
Der Dorfplatz war der Ortsmittelpunkt. Das Leben dort
florierte. Es gab ein Postamt, zwei Metzgereien (Steinkamp
und Diehl, wobei um die Tochter des einen später zwei Stars
des Meidericher SV bzw. MSV Duisburg buhlten. Die Apotheke
von Herrn Winker, der Konsum an der Hausnummer 8, die
Gaststätte Seitenhorst, eine Drogerie, Malermeister Esser,
ein kleines Textillädchen und die Bäckerei Nonn.
Zudem fuhren zwei Buslinien den zentralen Haltepunkt
Dorfplatz an. Jeden Mittwoch kam übrigens ab den 1960 Jahren
der Bücherbus, immer um 15 Uhr und er war heiß umlagert. Bei
den Jungs waren die Karl May Bücher der Hit – und wer zuerst
kam, konnte sich eines der meistens aus nur vier oder fünf
Leihgaben bestehenden Genres herauspicken.
Das alles
vor der altehrwürdigen Schule mit der über 400 Jahren alten
Buche und den damaligen Rektoren der
Gemeinschafts-Volksschule, in der oben die evangelischen und
im Erdgeschoss die katholischen Kinder lernten. Die
Schulleitung bestand aus Hermann Spillecke und „Fräulein“
Langwald. Wehe man vergaß sich und sagte Frau Langwald, dann
war ein gutmütiges Ohrläppchenziehen angesagt. Sport übriges
wurde von „Opa“ Kirchner angeboten, damals noch auf dem
schwarzen mit kleinsten Steinen belegten Untergrund beim
ETuS. Die Turnhalle wurde erst viel später gebaut.
Der Neubau der Nummer acht am Dorfplatz war 1955 der Hit für
die Eisenbahner. Zum einen wurde dort der Konsum installiert
und zum anderen hatten die sieben Familien etwas völlig
außergewöhnliches: Sie hatten einen Boilerofen mit einer
Sitzbadewanne!
Weihnachten 1955 wohnten in fünf der
Zweieinhalb-Zimmer- und den zwei Dreieinhalb-Zimmer-
Wohnungen Familien mit fünf Mädchen und nur einem Jungen. Es
wohnten Lokführer, Bahnpolizisten, Arbeiter, Handwerker und
ein Bäcker im Haus.
An jenem 24. Dezember 1955 gab es
den schleichenden Weihnachtsmann im Haus mit den zwei langen
„Durchgangs-Balkonen. Im Klappbett im Wohnzimmer schlafend
hörte ich morgens ganz früh die Schritte, die plötzlich
innehielten – und dann wieder zu hören waren bis die Tür zum
Treppenhaus benutzt wurde.
Diese Verzögerung
bedeutete: Es hatte ein Geschenk gegeben. Der
„Backstuben-Weihnachtsmann“ Bäckermeister Nonn hatte die
Gaben vor die Tür gestellt. Dies zu Zeiten, als ein Laib
Brot fünf bis sieben Groschen kostete (je nach Größe) oder
eine Kanne Milch – wurde vom Händler mit einem
Dreiradgefährt der Firma Tempo angeboten.
Eine ganze Kanne zapfen ging für zwei Groschen, für
einen Pfennig gab es am „Büdchen“ bei Wagners an der
Tankstelle oder später an der Hermann-Grothe-Straße zwei
Knöterich-Bonbons, ein kleines Döschen Kunsthonig kostete
aber fünf Groschen.
Es gibt so wunderweiße Nächte
Es gibt so wunderweiße Nächte,
Drin alle Dinge Silber sind.
Da schimmert mancher Stern so lind,
Als ob er fromme Hirten brächte
Zu einem neuem Jesuskind. Weit wie mit dichtem
Demantstaube
Bestreut, erscheinen Flur und Flut,
Und in die Herzen, traumgemut,
Steigt ein kapellenloser Glaube,
Der leise seine Wunder tut.
Rainer Maria Rilke
(1875-1926)
Tu erst das Notwendige,
dann das Mögliche,
und
plötzlich schaffst du
das Unmögliche
Franz von Assisi
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