Neue Werte
Düsseldorf/Duisburg, 15. August 2023 - Die
Wahrscheinlichkeit, dass die deutsche Wirtschaft in den
kommenden drei Monaten eine Rezession durchläuft, ist in den
letzten Wochen zwar leicht gesunken, aber weiterhin so hoch,
dass der IMK-Konjunkturindikator wie im Juli „rot“ anzeigt.
Das Frühwarninstrument des Instituts für Makroökonomie und
Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung bündelt
die neuesten verfügbaren Daten zu den wichtigsten
wirtschaftlichen Kenngrößen.
Für den Zeitraum von August bis Ende Oktober weist der
Indikator eine Rezessionswahrscheinlichkeit von 71,5 Prozent
aus, nachdem sie im Juli für die folgenden drei Monate 78,5
Prozent betrug. Auch der neue Wert liegt über der Grenze, ab
der der nach dem Ampelsystem arbeitende Indikator eine akute
Rezessionsgefahr („rot“) markiert. Zusätzlich ist die
statistische Streuung gestiegen, in der sich die
Verunsicherung der Wirtschaftsakteure ausdrückt.
„Nach wie vor bremsen verschiedene Gegenwinde die deutsche
Konjunktur. Der private Verbrauch wird durch die weiter
hohe, wenn auch inzwischen rückläufige, Inflation
beeinträchtigt. Unternehmensinvestitionen und
Wohnungsbautätigkeit leiden unter höheren
Finanzierungskosten, Preisen und Unsicherheit über die
wirtschaftliche Entwicklung. Besonders ausgeprägt ist die
konjunkturelle Schwäche bei der Produktion energieintensiver
Industriezweige, was sich in der seit der Corona-Krise nur
seitwärts verlaufenden Produktion des gesamten
Produzierenden Gewerbes bemerkbar macht“, beschreibt
IMK-Konjunkturexperte Dr. Thomas Theobald das aktuelle Bild.
Hinzu kommt, dass Stimmungsindikatoren wie der
ifo-Geschäftsklimaindex zuletzt weiter gesunken sind.
Zwar gab es jüngst auch kleine „Hoffnungsschimmer“, so
Theobald: Die Produktion im Dienstleistungssektor (ohne
Finanz- und Versicherungsdienstleistungen) und die
Auftragseingänge des Verarbeitenden Gewerbes aus dem Ausland
legten merklich zu. Allerdings ist die Entwicklung der
Auftragseingänge bislang durch Großaufträge geprägt, die
oftmals einmalige Bestellungen widerspiegeln und somit nur
eingeschränkt aussagekräftig für die konjunkturelle
Grunddynamik sind. Auf die Drei-Monats-Prognose des
Konjunkturindikators hat diese positive Entwicklung daher
zunächst kaum Einfluss.
Dass das Rezessionsrisiko trotzdem leicht gesunken ist, geht
wesentlich auf die Stabilisierung einiger
Finanzmarktindikatoren zurück. So ist der
„Finanzmarktstress“, den das IMK anhand von zahlreichen
Daten misst, aktuell auf einem moderaten Niveau. Auch der
Zinsunterschied zwischen Unternehmens- und Staatsanleihen
hat sich leicht reduziert. Allerdings verhindere die erneute
Leitzinserhöhung durch die Europäische Zentralbank (EZB) im
Juli, dass sich die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen
wirklich spürbar verbesserten, analysiert der IMK-Experte.
Ein „klassisches Konjunkturpaket mit kurzzeitigen
Maßnahmen“, die die Nachfrage ankurbeln, sei in der
gegenwärtigen wirtschaftlichen Konstellation wenig sinnvoll,
sagt Theobald. Auch Steuersenkungsvorschläge, die aktuell
kursieren, hält der Ökonom nicht für zielführend. Was es
brauche, sei „ein zusätzlicher transformativer Impuls für
die Investitionen“. Aus konjunktureller Sicht sei es gut,
wenn der möglichst zeitnah komme, bevor der Arbeitsmarkt
ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen wird. Und: „Auch eine
baldige Einführung von ohnehin geplanten Maßnahmen, die
zielgerichtet entlang der Einkommensverteilung den Konsum
stabilisieren, wie die Kindergrundsicherung und das
Klimageld, kann konjunkturell hilfreich sein“, sagt
Theobald.
In den IMK-Konjunkturindikator fließen zahlreiche Daten aus
der Real- und der Finanzwirtschaft zum jeweils vorliegenden
Veröffentlichungszeitpunkt ein. Darüber hinaus
berücksichtigt das Instrument Stimmungsindikatoren. Das IMK
nutzt die Industrieproduktion als Referenzwert für eine
Rezession, weil diese rascher auf einen Nachfrageeinbruch
reagiert als das Bruttoinlandsprodukt. Der
Konjunkturindikator wird monatlich aktualisiert.
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