Neue Studie des IMK
Düsseldorf/Duisburg, 16. Dezember 2023 - Der CO2-Preis wird
ab 2027 stark steigen, auch weil die Politik dann keinen
direkten Einfluss mehr auf die Höhe hat. Oftmals wird ein
Klimageld vorgeschlagen, um zu verhindern, dass Haushalte
überfordert werden. Die Bundesregierung hat dazu eine
Pro-Kopf-Pauschale angekündigt, mit der die Einnahmen aus
der CO2-Bepreisung an die Bürger*innen zurückgegeben werden
sollen.
Unter der Voraussetzung, dass alle Einnahmen nach diesem
Modell vollständig ausgeschüttet werden, würden 49 Prozent
der Haushalte in Deutschland (20,7 Millionen) davon
profitieren: Die Auszahlung ist für sie höher als die
zusätzliche Belastung. Das gilt vor allem für Haushalte mit
geringen Einkommen, mit niedrigem bis mittlerem
Energieverbrauch und eher für Mieter*innen als für Menschen
mit selbst genutzten eigenen Immobilien. Dagegen bekämen 44
Prozent (18,6 Millionen) aller deutschen Haushalte nur ein
Klimageld, das nicht ausreicht, um ihre Zusatzbelastung zu
kompensieren.
Darunter sind knapp 4,7 Millionen
Haushalte besonders stark betroffen: Selbst unter
Einrechnung des Klimageldes müssten sie noch mehr als zwei
Prozent ihres Nettoeinkommens aufwenden, um den steigenden
CO2-Preis zu bezahlen. Dabei handelt es sich häufig um
Haushalte mit mittlerem Einkommen, die auf dem Land als
Eigentümer*innen in älteren Immobilien wohnen. Zu diesen
Ergebnissen kommt eine neue Studie des Instituts für
Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der
Hans-Böckler-Stiftung*.
„Die Ergebnisse zeigen, dass ein
Pro-Kopf-Klimageld alleine nicht ausreicht, um soziale
Verwerfungen aus einem steigenden CO2-Preis zu vermeiden“,
sagt Prof. Dr. Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher
Direktor des IMK. „Um die Dekarbonisierung sozialverträglich
hinzubekommen, braucht man neben diesen Instrumenten ganz
klar weitere Fördermaßnahmen, etwa für eine beschleunigte
Sanierung von Gebäuden und den Ausbau des
Personennahverkehrs, gerade auch auf dem Land.
Vor diesem Hintergrund ist es sehr
problematisch, dass dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
nun viele Förderprogramme aus dem Klima- und
Transformationsfonds zum Opfer fallen könnten.“
2027 startet unter dem Namen EU-ETS2 die
nächste Stufe des europäischen CO2-Emissionshandels. Statt
politisch gesetzter Preise greift dann ein Marktmechanismus.
Das bedeutet höhere Abgaben auf Brennstoffe wie Öl, Gas oder
Benzin. Während in den Sektoren Gebäude und Verkehr aktuell
nur 30 Euro pro Tonne CO2 fällig sind, rechnen Expert*innen
mit bis zu 300 Euro in wenigen Jahren, wenn an die Stelle
der heutigen CO2-Steuer ein Preis tritt, der sich an einer
Börse für CO2-Zertifikate bildet. Um die Belastung für
Privathaushalte zu mildern, plant die Bundesregierung,
zumindest einen Teil der jährlichen Einnahmen aus dem
Zertifikatehandel in Form einer Pro-Kopf-Pauschale an die
Bürger*innen zurückzugeben.
Die Idee hinter dieser Konstruktion: Durch hohe CO2-Preise
sollen alle einen Anreiz zum Energiesparen haben, aber
niemand soll insgesamt finanziell überfordert werden. Ob die
Rechnung in sozialer Hinsicht aufgeht, hat Lukas Endres vom
IMK untersucht. Unter der Annahme, dass der Preis auf 275
Euro je emittierter Tonne CO2 steigt und alle daraus
erzielten Einnahmen über eine Pauschale pro Kopf
zurückgegeben werden, berechnet er die Verteilungswirkungen
anhand von Daten aus der repräsentativen Einkommens- und
Verbrauchstichprobe des Statistischen Bundesamts (EVS).
Im ersten Schritt kalkuliert der Forscher die
Zusatzbelastungen von Haushalten verschiedener
Einkommensgruppen, die mit Öl oder Gas heizen – noch ohne
Anrechnung möglicher Ausgleichszahlungen. Berücksichtigt
wird dabei, dass Vermieter*innen nach dem
CO2-Kostenaufteilungsgesetz einen großen Teil der CO2-Kosten
tragen müssen, wenn die Energieeffizienz der Wohnung zu
wünschen übriglässt. Daher stehen Mieter*innen in der Regel
besser da als Eigentümer*innen, die den vollen Preis zahlen
müssen.
Je nach Einkommen unterscheiden sich die Miet- und
Eigentumsquoten stark: Im untersten, dem ersten Zehntel der
Einkommensverteilung sind gerade einmal acht Prozent
Eigentümer*innen ihrer Wohnräume, in der Mitte, dem fünften
Einkommens-Zehntel, 51 Prozent und im obersten Zehntel 79
Prozent. Ohne Kompensation hätten viele Haushalte mit
niedrigen bis mittleren Einkommen drastische
Einkommenseinbußen.
Dennoch müsste nach der Modellrechnung
des IMK ohne Kompensation durch das Klimageld auch im
untersten Zehntel der Verteilung mehr als die Hälfte der
Haushalte deutlich über zwei Prozent ihres Nettoeinkommens
für CO2-Abgaben aufwenden, die für Wärmeenergie anfallen.
Bis in den mittleren Einkommensbereich
bleibt ohne Ausgleichszahlung „die relative Belastung sehr
hoch“, so IMK-Forscher Endres. So müsste im fünften Zehntel
knapp ein Viertel der Haushalte mehr als drei Prozent des
Nettoeinkommens ausgeben. Am oberen Ende nimmt die am
Einkommen gemessene Belastung ab: Haushalte im reichsten
Zehntel mit mittleren Ausgaben kommen auf ein Prozent des
Nettoeinkommens.
Ähnlich, aber nicht ganz identisch, ist
das Bild beim Blick auf den Verkehrssektor: Viele Haushalte
mit niedrigen Einkommen können sich kein Auto leisten und
sind daher von höheren Benzin- und Dieselpreisen nicht
betroffen. Mit dem Einkommen steigen dann die zusätzlichen
Ausgaben deutlich. Für Haushalte mit mittlerem Verbrauch
wäre die Belastung im Verhältnis zum Einkommen in der Mitte
der Verteilung, beim fünften und sechsten Zehntel, am
höchsten. Ab dem siebten Zehntel nehmen die absoluten
Ausgaben durch den CO2-Preis zwar weiter zu, relativ zum
Einkommen gehen sie aber wieder zurück. „Auch im Bereich des
Verkehrs ist also die Mitte der Verteilung am stärksten
belastet“, konstatiert Endres.
Im dritten Schritt seiner Analyse stellt
der Forscher den kumulierten Belastungen durch den höheren
CO2-Preis für Wärme und Mobilität die Entlastungen durch
eine pauschale Ausgleichszahlung gegenüber. Mit den Daten
aus der EVS kann er kalkulieren, wie viele Haushalte unter
dem Strich durch eine Kompensation wirksam entlastet werden
und wie viele nicht. Zudem lassen sich Profile der Haushalte
beschreiben, die profitieren oder trotz Klimageld
draufzahlen.
Pauschales Klimageld wirkt zum Teil –
aber „wenig zielgenau“
Ergebnis: Auch mit Kompensation durch ein
pauschales Pro-Kopf Klimageld hätte nach Endres´ Analyse
„noch eine Vielzahl der Haushalte in Deutschland hohe
Zusatzkosten durch die CO2-Bepreisung in den Sektoren
Verkehr und Wärme“ zu tragen. Das Konzept der Pauschale
verfolgt zwar grundsätzlich einen sozialen Ansatz, und
tatsächlich wird ein großer Anteil der Mieter*innenhaushalte
mit geringeren bis mittleren Einkommen wirksam entlastet. So
wohnen von den 20,7 Millionen Haushalten, die durch die
Pauschale mehr Geld erhalten als sie für den CO2-Preis
aufwenden müssen, 69 Prozent zur Miete, nur 31 Prozent sind
Eigentümer*innen. Wer profitiert, lebt häufiger in kleineren
und neueren Wohnungen in der Stadt, was dazu beiträgt, dass
sowohl beim Heizen als auch für die Mobilität weniger CO2
ausgestoßen wird.
Doch die Abweichungen von einer sozialen
„Ideallinie“ bei der Verteilungswirkung sind so groß, dass
der IMK-Forscher das Pro-Kopf-Klimageld letztendlich als
„wenig zielgenau“ bewertet. Einerseits zählen durchaus auch
Haushalte aus hohen Einkommensgruppen zu den Profiteuren.
Andererseits ist die Gruppe derer, die beträchtliche
Einkommenseinbußen haben, schlicht sehr groß. Insgesamt
würden rund 18,6 Millionen Haushalte nur ein Klimageld
erhalten, das nicht ausreicht, um die zusätzlichen Kosten
durch die CO2-Bepreisung zu decken. Davon müssten knapp 4,7
Millionen – das entspricht rund elf Prozent aller Haushalte
in Deutschland – trotz Kompensation sogar mehr als zwei
Prozent ihres Haushaltsnettoeinkommens für den CO2-Preis
aufwenden.
70 Prozent dieser stark belasteten
Haushalte sind zwar Eigentümer*innen und mit Blick auf die
Einkommen gehören etliche zur oberen Mitte. Allerdings
zählen auch mehr als 50 Prozent in die Einkommenszehntel
eins bis sechs, sie haben also ein niedriges bis mittleres
Einkommen. Nicht selten dürfte es sich um Rentner*innen
handeln, die alleine in älteren Häusern auf dem Land leben
und denen „oft kaum finanzielle Mittel zur
Emissionsreduktion durch Sanierung oder Heizungstausch zur
Verfügung stehen dürften“, so Endres. Entsprechend
ausgeprägt ist das Stadt-Land-Gefälle: In ländlichen
Regionen fallen knapp 15 Prozent der Haushalte in die Gruppe
der stark belasteten, während es in städtischen Gebieten
knapp 8,5 Prozent sind.
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