| Neue Studie
					
  
 Düsseldorf/Duisburg 23. März 2023 - 
					Deutschland muss mehr erneuerbare Energie gewinnen. Der 
					Ausbau der Windenergie stockt jedoch. Um die Windindustrie 
					wieder zu stärken, sind neben mehr Flächenausweisungen oder 
					schnelleren Genehmigungsverfahren insbesondere bessere 
					Arbeitsbedingungen zentral, auch um die benötigten 
					Fachkräfte für den Ausbau gewinnen zu können. Der Staat kann 
					unter anderem mit weiterentwickelten 
					Ausschreibungsbedingungen für Windprojekte auch dazu einen 
					wichtigen Beitrag leisten. Das ergibt eine neue, von der 
					Hans-Böckler-Stiftung geförderte Untersuchung.* Ohne mehr Windräder keine Energiewende, ohne Energiewende 
					wären die gesteckten Klimaziele Makulatur. Die Windindustrie 
					ist daher eine Schlüsselbranche, die prosperieren sollte. 
					Davon ist sie jedoch weit entfernt: „Der deutsche Markt ist 
					seit dem Jahr 2017 massiv eingebrochen. Die Ausbauzahlen 
					sind sowohl an Land als auch auf See in den vergangenen 
					Jahren stark zurückgegangen. In der Folge hat auch die 
					Windindustrie in Deutschland deutlich an Substanz verloren. 
					Ein signifikanter Teil der Unternehmen der Branche ist in 
					den vergangenen Jahren vom Markt verschwunden.“ Das schreibt 
					ein Forschungsteam von der Bremer Agentur für Struktur- und 
					Personalentwicklung in der neuen Branchenanalyse, die die 
					Hans-Böckler-Stiftung in Kooperation mit der IG Metall 
					gefördert hat.
 Politische Entscheidungen wie die auf möglichst niedrige 
					Preise ausgerichtete Ausschreibungspolitik für Windprojekte 
					ab 2017 und strenge Abstandsregelungen in verschiedenen 
					Bundesländern haben deutliche Spuren hinterlassen. In den 
					Jahren 2017 bis 2019 hat die Branche über 40.000 
					Arbeitsplätze verloren – und damit auch viel Knowhow. Die 
					Fertigungstiefe hat stark abgenommen, seit dem vergangenen 
					Jahr werden in Deutschland zum Beispiel keine Rotorblätter 
					für Windräder mehr hergestellt. Größere, international 
					tätige Firmen haben wichtige Teile der Produktion ins 
					Ausland verlagert, unter anderem weil bei Ausschreibungen in 
					etlichen Ländern gefordert wird, dass wesentliche Teile der 
					Wertschöpfung vor Ort („local content“) stattfinden.
 Fortschritt durch Osterpaket, doch weiter erheblicher 
					Verbesserungsbedarf
 Was muss geschehen, damit es mit der 
					deutschen Windbranche wieder bergauf geht? Das Bremer 
					Expertenteam macht in seiner Analyse eine Reihe von Faktoren 
					aus. Zunächst müssten mehr neue Flächen ausgewiesen und 
					Projekte schneller genehmigt werden. Dazu gehöre auch, für 
					mehr Personal und eine bessere technische Ausstattung in den 
					Behörden zu sorgen. Mit den Oster- und Sommerpaketen von 
					2022 setzt die Bundesregierung bereits bei Flächenausweisung 
					und Genehmigungsverfahren an, die politischen 
					Rahmenbedingungen, Förderungsregularien und 
					Vergabekriterien, seien aber weiterhin 
					verbesserungsbedürftig, so die Forschenden.  
 Denn die Branche steht, wie etwa viele Betriebsräte 
					monieren, seit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 
					von 2017 unter enormem Kostendruck. In der Folge werde 
					häufig gespart statt investiert. Staatliche Unterstützung 
					und weitere Forschungsförderung wäre auch bei der 
					Entwicklung neuer Technologien hilfreich. Hier geht es vor 
					allem um schwimmende Windräder, die weit vor der Küste 
					installiert werden könnten, oder Anlagen, die den vom 
					Windrad erzeugten Strom unmittelbar zur Erzeugung grünen 
					Wasserstoffs nutzen.
 
 Zudem wäre es laut den Experten und Expertinnen sinnvoll, 
					Allianzen zwischen Windbranche und Werftindustrie zu bilden, 
					wenn es um Off-Shore-Projekte geht. Ein anderes Feld, auf 
					dem noch viel zu tun ist, wäre die Verbesserung der 
					Ökobilanz der Windindustrie selbst. Hier geht es 
					insbesondere um das Recycling der riesigen Rotorblätter, die 
					aus schwer zu trennenden Verbundmaterialien hergestellt 
					sind.
 Bezahlung nach Tarif, lokale Wertschöpfung als zusätzliche 
					Kriterien bei Ausschreibungen
 Der letztlich entscheidende Faktor ist 
					der Untersuchung zufolge aber die menschliche Arbeit: Die 
					Branche braucht hoch qualifizierte Beschäftigte, die sie nur 
					bekommt, wenn sie gute Arbeitsbedingungen bieten kann. In 
					dieser Hinsicht steht die Windindustrie jedoch eher 
					bescheiden da. Es ist zu konstatieren, „dass Tarifverträge 
					und Mitbestimmung in der Branche nicht die Regel sind“. Nach 
					einer Befragung von Betriebsräten liegt die Tarifbindung 
					unter 40 Prozent. Auch bei der Qualifizierung und 
					Nachwuchsgewinnung hapert es. Die Ausbildungsquote liegt bei 
					gerade einmal 3,6 Prozent – verglichen mit rund 6 Prozent im 
					gesamten Maschinenbau. Die Autorinnen und Autoren der Branchenstudie schlagen daher 
					vor, eine „Arbeitsmarktstrategie zur Erreichung der 
					Energiewende-Ziele“ zu initiieren. Neben Aus- und 
					Weiterbildung müsste es dabei um eine Stärkung der 
					Tarifbindung gehen. Zum Beispiel könnte die Bezahlung nach 
					Tarif als zusätzliches Kriterium bei Ausschreibungen von 
					Windkraftanlagen berücksichtigt werden. Ein weiteres 
					Kriterium könnte der Anteil regionaler Wertschöpfung sein – 
					als Reaktion auf „local-content“-Bestimmungen in vielen 
					anderen Ländern.
 Genauso wichtig wie die Arbeitsbedingungen in der Produktion 
					sind diejenigen im Bereich Wartung und Betrieb. Auch für 
					diese Jobs sind hoch qualifizierte Fachkräfte nötig – die 
					nicht nur mit der komplexen Technik zurechtkommen müssen, 
					sondern dies auch in mehr als hundert Metern Höhe bei 
					eisigem Wind und im Offshore-Sektor über dem tosenden Meer. 
					Und das alles bei vergleichsweise unattraktiven 
					Arbeitszeitmodellen, in denen sich mehrtägige Arbeits- und 
					Freizeitphasen abwechseln, weil die Entfernungen für eine 
					tägliche Heimreise zu groß sind.
 
 Die Forschenden empfehlen, für bessere und attraktivere Jobs 
					an zwei Stellen anzusetzen: Erstens mit einer kritischen 
					Evaluation der Offshore-Arbeitszeitverordnung, bei der 
					insbesondere Beschäftigte zu Wort kommen sollten, die in 
					Offshore-Services arbeiten. Zweitens durch eine Stärkung der 
					– bislang niedrigen – Tarifbindung.
 *Thorsten Ludwig, Stefan Timm u.a. Die Windindustrie in 
					Deutschland, Working Paper der Forschungsförderung der 
					Hans-Böckler-Stiftung Nr. 273, März 2023
					
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