Neue Studie
Wer suchthaft arbeitet, hat
mehr gesundheitliche Probleme, sucht aber selten ärztliche
Hilfe – rund 10% von suchthaftem Arbeiten betroffen
Düsseldorf/Duisburg, 11. April 2023 - Zehn Prozent der
Erwerbstätigen in Deutschland arbeiten suchthaft. Betroffene
arbeiten nicht nur sehr lang, schnell und parallel an
unterschiedlichen Aufgaben, sie können auch nur mit
schlechtem Gewissen freinehmen und fühlen sich oft unfähig,
am Feierabend abzuschalten und zu entspannen. Das geht auf
die Gesundheit: Suchthaft Arbeitende stufen ihren
Gesundheitszustand etwa doppelt so häufig als weniger gut
oder schlecht ein wie nicht betroffene Erwerbstätige.
Deutlich häufiger als andere haben sie körperliche oder
psychosomatische Beschwerden, suchen deswegen aber seltener
ärztliche Hilfe. Das ergibt eine neue Studie von Forschenden
des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und der
Technischen Universität Braunschweig, die die
Hans-Böckler-Stiftung gefördert hat.* Mögliche langfristige
Folgen bei suchthaftem Arbeiten sind erhöhte Risiken für
Burnout oder depressive Verstimmungen – psychische Leiden,
die zu langwierigen Arbeitsausfällen führen können.
Exzessivem und zwanghaftem Arbeiten vorzubeugen, erscheint
auch vor dem Hintergrund zunehmender Fachkräfteengpässe
angezeigt, betonen die Forschenden. Ansatzpunkte seien die
Gesundheitsförderung, Änderungen der Betriebskultur sowie
die Mitbestimmung durch Betriebsräte. Der weit verbreitete
Begriff „Workaholic“ beschreibt das, was Forschende mit
suchthaftem Arbeiten meinen, nur zum Teil. Denn im
alltäglichen Sprachgebrauch wird er oft zur Beschreibung von
Menschen genutzt, die einfach viel arbeiten – und dabei
glücklich sind.
Der zwanghafte Aspekt, der mit negativen Faktoren wie
schlechter Gesundheit einhergeht, wird dabei zu wenig
berücksichtigt. Beatrice van Berk (BIBB), Prof. Dr.
Christian Ebner (TU Braunschweig) und Dr. Daniela
Rohrbach-Schmidt (BIBB), die das Phänomen in dem
Forschungsprojekt für die Hans-Böckler-Stiftung untersucht
haben, benutzen ihn deshalb nicht. Die Wissenschaftlerinnen
und der Wissenschaftler haben ermittelt, wie viele
Erwerbstätige in Deutschland betroffen sind und wie es um
deren Gesundheit bestellt ist.
Die Studie beruht auf Daten des BIBB und der
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin,
für die in den Jahren 2017 und 2018 gut 8000 Erwerbstätige
zu ihrem Arbeitsverhalten und ihrem Wohlbefinden befragt
worden sind. Die Ergebnisse zeigen den Forschenden zufolge
„deutlich, dass suchthaftes Arbeiten in Deutschland im
Zusammenhang mit schlechterer Gesundheit steht. Dies gilt
für die subjektive Selbsteinstufung des allgemeinen
Gesundheitszustandes der Befragten genauso wie für die Zahl
der berichteten psychosomatischen und körperlichen
Beschwerden.“ Außerdem gehen die Betroffenen bei
gesundheitlichen Beschwerden seltener zu Ärztin oder Arzt.
Die Forschenden ordnen rund ein Zehntel der Befragten in die
Kategorie suchthaftes Arbeiten ein. Das heißt, diese
Erwerbstätigen arbeiten nicht nur „exzessiv“, sondern auch
„zwanghaft“ – wobei Ersteres wesentlich weiterverbreitet ist
als Letzteres. Ein zwanghaftes Verhältnis zum Job
attestieren van Berk, Ebner und Rohrbach-Schmidt
Erwerbstätigen, die Aussagen zustimmen wie: „Es ist wichtig
für mich, hart zu arbeiten, auch wenn mir das, was ich tue,
keinen Spaß macht“, „Es fällt mir schwer zu entspannen, wenn
ich nicht arbeite“ oder „Ich habe ein schlechtes Gewissen,
wenn ich mir frei nehme“ (weitere Informationen finden Sie
auch im unten verlinkten Beitrag aus unserem Infodienst
Böckler Impuls zusammengefasst).
Im nächsten Schritt haben die Forschenden Angaben der
Befragten zu ihrer Gesundheit hinzugezogen. Die befragten
Erwerbstätigen sollten sowohl eine allgemeine Einschätzung
ihrer Gesundheit abgeben – ausgezeichnet, sehr gut, gut,
weniger gut oder schlecht – als auch Angaben zu 22 konkreten
Arten von Gesundheitsbeschwerden machen. Von Kopfschmerzen
über Verdauungsprobleme und Nervosität bis zu geschwollenen
Beinen. Außerdem wurde nach Arztbesuchen und Fehltagen
gefragt. Von den suchthaft Arbeitenden gaben 28 Prozent an,
ihr allgemeiner Gesundheitsstatus sei weniger gut oder
schlecht. Bei den „gelassen“ Arbeitenden, der Mehrheit der
Erwerbstätigen, waren es hingegen nur 14 Prozent.
Erwerbstätige, die exzessiv, aber nicht zwanghaft arbeiten,
schätzen ihre Gesundheit ähnlich gut ein wie gelassen
Arbeitende. Ähnlich ist das Ergebnis bei den abgefragten
Einzelbeschwerden: Nur 8 Prozent der suchthaft Arbeitenden
gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten keine Beschwerden
gehabt zu haben, bei den gelassen Arbeitenden waren es 20
Prozent. Im Schnitt nannte die erste Gruppe 7,1 Beschwerden,
die zweite 4,3. Alle Arten von Beschwerden sind bei den
suchthaft Arbeitenden häufiger. Das gilt im Besonderen für
die psychosomatischen Beschwerden, etwa Schlafstörungen und
Niedergeschlagenheit, aber auch für Muskel- und
Skelettbeschwerden wie Rückenschmerzen.
Suchthaft Arbeitende gehen wegen ihrer Beschwerden zudem
seltener zu Ärztinnen oder Ärzten. Rund 30 Prozent von ihnen
haben mehr als sechs unbehandelte Beschwerden. Bei den
Gelassenen sind es 15 Prozent mit mehr als sechs
unbehandelten Beschwerden. Einen deutlichen Unterschied
machen die Forschenden auch bei den Fehltagen aus. Mit 45
Prozent meldete sich fast die Hälfte der suchthaft
Arbeitenden an keinem einzigen Tag im Jahr vor der Befragung
krank. Bei den Gelassenen waren es lediglich 36 Prozent. Es
deutet sich an, dass „suchthaft Arbeitende der Behandlung
und Genesung ihrer Beschwerden weniger Beachtung schenken
als gelassen Arbeitende“.
Es sei auf Grundlage der Befunde und des Forschungsstands
zudem anzunehmen, dass suchthaft Arbeitende „besonders von
einem erhöhten Risiko für Burnout und depressiven
Verstimmungen betroffen“ seien, folgern van Berk, Ebner und
Rohrbach-Schmidt. Das sei nicht nur aus Perspektive der
Betroffenen, sondern auch für Betriebe und die Gesellschaft
problematisch. Insbesondere vor dem Hintergrund von
demografischem Wandel und Fachkräftemangel seien
Arbeitskräfte schon jetzt in vielen Branchen knapp. Daher
ist es nach Analyse der Forschenden dringend geboten,
„Betriebskulturen zu etablieren, die exzessivem und
zwanghaftem Arbeiten entgegenwirken“.
Dabei spielen betriebliche Gesundheitsförderung und
Mitbestimmung der Beschäftigten wichtige Rollen, wie die
erhobenen Daten zeigen: So arbeiten in Betrieben mit
Betriebsrat 8,7 Prozent der Beschäftigten suchthaft, in
Betrieben ohne betriebliche Mitbestimmung sind es 11,9
Prozent. Eine besondere Rolle dürften in diesem Kontext
Betriebsvereinbarungen spielen – „ein wichtiges Instrument
der betrieblichen Regulierung, welches exzessivem und
zwanghaftem Arbeiten entgegenwirken kann“.
*Beatrice van Berk, Christian Ebner und Daniela
Rohrbach-Schmidt Suchthaftes Arbeiten und Gesundheit, Study
der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 482, April 2023.
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Weitere zentrale Befunde zur Verbreitung suchthaften
Arbeitens finden Sie hier zusammengefasst Böckler Impuls
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