Neue Studie
Düsseldorf/Duisburg, 8. Mai 2023 - Die Vier-Tage-Woche wird
öffentlich viel diskutiert. Positive Zwischenergebnisse von
Pilotprojekten in Großbritannien haben Schlagzeilen gemacht:
Beschäftigte sind mit der verkürzten Arbeitszeit
produktiver, weniger gestresst und seltener krank. Auch in
Deutschland halten viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
eine Verkürzung ihrer Arbeitswoche unter bestimmten
Voraussetzungen für sinnvoll, zeigt eine neue Studie der
Hans-Böckler-Stiftung.
Darin untersuchen Dr. Yvonne Lott vom Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Stiftung und Dr.
Eike Windscheid auf Basis aktueller Befragungsdaten, ob
Vollzeiterwerbstätige eine Vier-Tage-Woche möchten oder
nicht, und aus welchen Gründen. Kernergebnis: Rund 81
Prozent der Vollzeiterwerbstätigen wünschen sich eine
Vier-Tage-Woche mit entsprechend niedrigerer
Wochenarbeitszeit.
Knapp 73 Prozent geben dabei an, eine Arbeitszeitverkürzung
nur bei gleichem Lohn zu wollen. Acht Prozent der
Erwerbstätigen würden ihre Arbeitszeit auch reduzieren, wenn
dadurch das Entgelt geringer ausfiel. 17 Prozent der
Befragten lehnen eine Vier-Tage-Woche ab, zwei Prozent haben
ihre Vollzeittätigkeit bereits auf vier Tage verteilt. Die
Befragten, die sich eine Vier-Tage-Woche wünschten, gaben
an, mehr Zeit für sich selbst und für ihre Familie haben zu
wollen (knapp 97 bzw. 89 Prozent; Mehrfachnennungen
möglich).
Lott und Windscheid schlussfolgern daraus, dass eine bessere
Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Beschäftigte einen
sehr hohen Stellenwert hat und viele eine Vier-Tage-Woche
als Instrument ansehen, das ihnen dabei hilft. Mehr Zeit für
Hobbies, Sport und Ehrenamt möchten 87 Prozent der
Befragten. Eine Vier-Tage-Woche könnte also auch dabei
helfen, zivilgesellschaftliches Engagement zu stärken, so
die Forschenden.
„Zeit für Muße hat damit einen besonderen Stellenwert für
gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Stabilität von
Demokratie.“ Rund 75 Prozent der Befragten möchten ihre
Arbeitsbelastung verringern. Knapp 31 Prozent der
Vollzeiterwerbstätigen möchten ihre Arbeitszeit aufgrund von
gesundheitlichen Problemen verkürzen. Wer eine
Vier-Tage-Woche grundsätzlich ablehnt, hat sehr oft das
Gefühl, dass sich an den Arbeitsabläufen nichts ändern würde
(82 Prozent der 17 Prozent, die mit Nein geantwortet haben;
auch hier waren Mehrfachantworten möglich) oder die Arbeit
in kürzerer Zeit nicht zu schaffen wäre (rund 77 Prozent).
Etwa 86 Prozent wollen ihre Arbeitszeit nicht verkürzen,
weil sie Spaß an der Arbeit haben. Bei circa 69 Prozent der
Befragten ohne Interesse kann die Arbeit nach eigener
Einschätzung nicht einfach einen Tag ruhen. Knapp 38 Prozent
lehnen eine Vier-Tage-Woche ab, weil sie häufig für Kollegen
einspringen müssten, rund 34 Prozent haben das Gefühl, bei
verkürzten Arbeitszeiten beruflich nicht voranzukommen.
Die Untersuchung basiert auf Daten von 2.575
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die in Vollzeit
arbeiten und vertraglich geregelte Arbeitszeiten haben. Sie
nahmen im November 2022 an der Erwerbspersonenbefragung der
Hans-Böckler-Stiftung teil. Das ist eine
Online-Panelbefragung, bei der seit April 2020 in bislang
neun Wellen Berufstätige zu ihrer Arbeits- und
Lebenssituation befragt werden. Die Auswahl der Befragten
basiert auf strukturellen Merkmalen wie Alter, Geschlecht,
Bundesland und Bildung. Deren Verteilung in der Stichprobe
entspricht der Verteilung in der amtlichen Statistik, sodass
die Ergebnisse repräsentativ für die deutsche
Erwerbsbevölkerung sind.
Produktivitätsgewinne durch kürzere Arbeitszeiten
Dass die große Mehrheit der Vollzeitbeschäftigten sich eine
Vier-Tage-Woche bei gleichbleibendem Lohn wünscht, ist nach
Einschätzung der Forschenden keine grundsätzliche Hürde für
eine Arbeitszeitverkürzung. Bisherige Forschung weist darauf
hin, dass Arbeitnehmer bei einer Vier-Tage-Woche produktiver
arbeiten, wodurch ein Lohnausgleich kompensiert werden
könne, betonen Lott und Windscheid.
„Insofern handelt es sich bei der Vier-Tage-Woche um ein
Arbeitszeitarrangement, das nicht nur betriebliche Gewinne
verspricht, sondern auch individuell breit favorisiert
wird“, schreiben die Forschenden. „Eine Verbesserung der
subjektiven Zeitautonomie stellt dabei zugleich als
wichtiger Aspekt von Arbeitgeberattraktivität einen Mehrwert
bei der Gewinnung von Fachkräften dar.“
Weitere Vorteile sehen Lott und Windscheid für die
Gesellschaft insgesamt – darin, dass sich Beschäftigte
besser regenerieren können, Familie und Beruf besser
miteinander vereinbaren und eher gesund bleiben. „Es spricht
daher viel dafür, dass Entscheidungsträger*innen in Politik,
bei den Sozialpartnern sowie in Betrieben das Modell der
Vier-Tage-Woche als Instrument zur Behebung des
Fachkräftemangels, zur Stabilisierung von Sozialkassen, zur
Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie zur
Gesunderhaltung von Beschäftigten in Erwägung ziehen und den
verbreiteten Wunsch danach unter den Erwerbstätigen ernst
nehmen sollten“, schreiben die Forschenden.
Jedoch müssen bei einer Vier-Tage-Woche auch die
Arbeitsmenge und die Arbeitsabläufe angepasst werden.
Ansonsten könnte sich eine Arbeitszeitverkürzung negativ auf
die Motivation und das Wohlergehen der Beschäftigten
auswirken. „Für eine wirkungsvolle Umsetzung braucht es
verbindliche Vertretungsregelungen, mehr Personal sowie eine
angepasste Arbeitsorganisation, z.B. Erreichbarkeitsregeln
im Kundenkontakt, und eine verringerte Arbeitsmenge, z.B.
durch Automatisierungsprozesse“, schreiben Lott und
Windscheid. Ein weiterer wichtiger Punkt: Mehr und
verlässliche öffentliche Kinderbetreuung sei auch dann
nötig, wenn künftig deutlich mehr Beschäftigte vier Tage die
Woche arbeiten.
Yvonne Lott, Eike Windscheid Vorteile für Beschäftigte und
betriebliche Voraussetzungen, WSI Policy Brief Nr. 79, Mai
2023
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