„Beitrag zu Stabilisierung der Wirtschaft und Brücke zu
Klimaneutralität“
Düsseldorf/Duisburg, 25. September 2023 - Eine Modifizierung
und Verlängerung der Strompreisbremse bis maximal 2030
könnte ein wichtiger Beitrag sein, um zu verhindern, dass
die deutsche Wirtschaft schwere Schäden erleidet und um den
notwendigen Umstieg auf klimafreundliche Produktionsweisen
abzusichern. Eine solche Maßnahme wäre eine Alternative zu
dem vom Bundeswirtschaftsministerium vorgeschlagenen
Brückenstrompreis und „ein zentraler Baustein einer
übergreifenden wirtschaftspolitischen Stärkung der deutschen
Wirtschaft“, schreibt Prof. Dr. Tom Krebs von der
Universität Mannheim, der das neue Konzept entwickelt hat.
Eine klug auf unterschiedliche Zielgruppen zugeschnittene,
zeitlich begrenzte und an Bedingungen gekoppelte verlängerte
Strompreisbremse setzt Anreize für Unternehmen, in einer
schwierigen Übergangsphase mit krisenbedingt übersteigerten
Energiepreisen die notwendigen Investitionen in
strombasierte Produktionsanlagen rasch zu tätigen.
Gleichzeitig bietet sie den Privathaushalten eine wichtige
„Rückversicherung“ gegen eine erneute Explosion der
Strompreise, die aktuell zwar unwahrscheinlich, aber möglich
ist.
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Sie kann helfen, zentrale medizinische und
soziale Infrastruktur wie Krankenhäuser und Pflegeheime zu
stärken. Zu diesem Ergebnis kommt Krebs´ neue Studie, die
von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert und heute in der
Bundespressekonferenz vorgestellt wird.* „Die
Bundesregierung muss jetzt die wirtschaftspolitischen
Weichen stellen, um eine langjährige Stagnationsphase zu
vermeiden. Dazu müssen die wirtschaftlichen Folgen der
Energiekrise abgefedert und die transformativen
Investitionen gestärkt werden“, umreißt der Ökonom die
aktuelle Herausforderung.
Deren Tragweite hat Krebs in seiner Studie ebenfalls
berechnet: Der kurzfristige Produktionsverlust durch die
Energiekrise beträgt bislang rund vier Prozent des
Bruttoinlandsprodukts. Zudem sind die Reallöhne stärker
gefallen als in jeder anderen Krise der deutschen
Nachkriegsgeschichte. Darüber hinaus drohen langfristige
wirtschaftliche Schäden, die sich bis Ende 2024 auf rund
zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 390
Milliarden Euro belaufen (mehr unten).
•
Um gegenzusteuern, schlägt Krebs im Kontext der Diskussion um
Brücken- oder Transformationsstrompreise ein passgenaues
Konzept mit vier zentralen Elementen vor: • Verlängerung der
Strompreisbremse, perspektivisch bis 2030 bei
zwischenzeitlicher Evaluation. • Modifikation I:
Garantierter Nettopreis von 10 Cent pro Kilowattstunde (kwh,
netto bedeutet ohne Netzentgelte, Steuern, Abgaben und
Umlagen) für Stromkunden mit einem Jahresverbrauch über
30.000 kWh (meist kleine und mittlere Unternehmen) sowie ein
garantierter Bruttostrompreis von 35 Cent/kWh für
Stromkunden mit einem Jahresverbrauch unter 30.000 kWh
(meist Privathaushalte und Kleingewerbe).
• Modifikation II: Garantierter Nettopreis von 6 Cent/kWh
für energieintensive Unternehmen, wenn diese eine
Transformationsverpflichtung eingehen und eine Standort- und
Beschäftigungsgarantie abgeben. Eine Sonderregelung im
Energie-Einspeisegesetz umfasst aktuell rund 2000
energieintensive Unternehmen in Deutschland, die dafür in
Frage kämen. Neben klassischen Grundstoffbranchen wie
Baustoffe, Chemie, Glas, Nichteisen-Metallen, Papier und
Stahl, die wichtige Vorprodukte für weitere Branchen
erzeugen, nennt Krebs die Wasserstoffelektrolyse,
Batterieproduktion und Chipherstellung. Denn: Diese
energieintensive Produktion sei „zentral für die
erfolgreiche Dekarbonisierung der Wirtschaft“.
• Modifikation III: Zusätzliche Reduktion des
Nettostrompreises um 1 Cent/kWh für Unternehmen mit
Tarifbindung. Dieser Zusatzbonus kann nach Krebs´ Überlegung
einen wichtigen Beitrag leisten, die starken
Reallohnverluste, die Beschäftigte durch den Inflationsschub
2022/2023 erlitten haben, längerfristig wieder
auszugleichen. Er steht im Einklang mit dem Ansatz der
EU-Kommission, die Tarifbindung zu stärken.
Ähnliche Regelungen finden sich im
Inflation Reduction Act der US-Regierung. „Die Verlängerung
einer modifizierten Strompreisbremse ist keine
Dauersubvention“, betont der Ökonomieprofessor. Berechnungen
auf Basis der Stromgestehungskosten ergeben nach Krebs´
Analyse einen langfristigen Strompreis zwischen 5 Cent/kWh
und 8 Cent/kWh. Damit könne die deutsche Wirtschaft
arbeiten. Der aktuelle Börsenstrompreis übersteige aber
krisenbedingt diesen langfristigen Wert deutlich, „und es
wird voraussichtlich noch einige Zeit dauern, bis der
Strompreis auf sein langfristiges Gleichgewichtsniveau
gefallen ist“, schreibt Krebs.
„Die hier vorgeschlagene Strompreisbremse soll
Planungssicherheit für diese Übergangsphase schaffen.“
Insbesondere mit Blick auf die energieintensive Wirtschaft
sei das Modell weitaus wirksamer als eine allgemeine
Absenkung der Stromsteuer, „die energieintensive Unternehmen
nicht entlasten würde“. In der konkreten Ausgestaltung hält
es Krebs für sinnvoll, dass sich die modifizierte
Strompreisbremse am aktuellen Stromverbrauch, und nicht am
vergangenen Stromverbrauch, orientiert. Nur so setze die
Strompreisbremse Anreize für Unternehmen, in strombasierte
und somit klimafreundliche Anlagen zu investieren.
Zudem ist die vom Bundesministerium für Wirtschaft und
Klimaschutz (BMWK) angeregte Idee, geförderten Unternehmen
die Differenz zwischen durchschnittlichem Marktpreis und dem
durch die Bremse garantierten Preis auszuzahlen, nach Krebs´
Analyse vernünftig. Denn nur so bleibe der Anreiz erhalten,
Strom möglichst kostengünstig zu beziehen. Die aktuelle
Strompreisbreme gewährt Krankenhäusern und stationären
Pflegeeinrichtungen dieselben Konditionen wie der Industrie.
Darüber hinaus gibt es für Krankenhäuser und
Pflegeeinrichtungen besondere Hilfsfonds, um die
flächendeckende Versorgung sicherzustellen.
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Dazu hat der Bund bisher acht Milliarden Euro zur Verfügung
gestellt. Diese Maßnahmen sollen in Krebs´ Konzept
verlängert und der Hilfsfonds entsprechend aufgestockt
werden, um die gesundheitliche Versorgung in Deutschland zu
gewährleisten. Finanzierung aus WSF angemessen und
finanziell kein Problem „Die Verlängerung einer
modifizierten Strompreisbremse ist eine Maßnahme zur
Bekämpfung von Krisenfolgen, die gleichzeitig eine Brücke
zur klimaneutralen Zukunft schlägt“, fasst der
Ökonomieprofessor den doppelten Nutzen des Instruments
zusammen.
Den finanziellen Aufwand kalkuliert Krebs auf insgesamt 20
bis 60 Milliarden Euro für den Zeitraum bis 2030, je nachdem
wie hoch die Marktpreise für Strom sein werden. Finanziert
werden sollte die modifizierte Preisbremse aus Mitteln des
Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), der bereits zur
Finanzierung der aktuellen Gas- und Strompreisbremsen
verwendet wird, so Krebs. Das sei bei aktuell rund 140
Milliarden Euro Volumen im WSF gut machbar, und es sei
gerechtfertigt, weil es sich um eine zeitlich befristete
Maßnahme zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der
Energiekrise handelt.
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Indem sie nicht nur private Haushalte und Unternehmen
entlaste, sondern auch die Wirtschaft stabilisiere und
Arbeitsplätze schütze, „erfüllt die Verlängerung einer
modifizierten Strompreisbremse genau den ursprünglichen
Zwecks des WSF“, betont Krebs. Das sei wichtig, wenn es zu
einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht komme
und auch mit Blick auf EU-Beihilferegeln. Krebs geht davon
aus, dass das vorgeschlagene Instrument mit den EU-Vorgaben
vereinbar gestaltet werden kann. Um es für Unternehmen aber
handhabbarer und wirkungsvoller zu machen als die aktuell
gültige Version der Strompreisbremse, sollte es dabei
„unbürokratischer und großzügiger“ als diese wirken.
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Mittelfristig rechnet Krebs mit einer Normalisierung der
Strompreise. Wichtige Voraussetzung sei der zügige Ausbau
der erneuerbaren Energien und die Umsetzung der bereits
angekündigten Reform des EU-Strommarktdesigns. Integraler
Bestandteil einer solchen Reform ist für Krebs die
staatliche Absicherung langfristiger Preisrisiken über
zweiseitige Differenzverträge (CfD) für die Produzenten
erneuerbaren Stroms. Diese Maßnahme könne zügig umgesetzt
werden, indem die staatlichen Auktionen für den Bau von
Windkraft- oder Photovoltaikanlagen leicht modifiziert
werden: Die Auktion legt nicht nur einen Mindestpreis für
produzierten Strom fest, wie es zurzeit der Fall ist,
sondern auch einen Höchststrompreis.
•
Gegensteuern, um langfristige Wachstumsschwäche zu verhindern
Die Bundesregierung habe beim Management der Energiekrise
nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im vergangenen
Jahr vieles richtig gemacht, betont Krebs. Wenn sie in der
aktuellen Übergangsphase hoher Unsicherheit aber auf eine
adäquate Fortsetzung der Stabilisierungspolitik verzichte,
drohe „ein wirtschaftspolitisches Debakel“, warnt der
Ökonom. Dabei gehe es keineswegs darum, überkommene
Strukturen und Techniken zu konservieren, sondern im
Gegenteil zu verhindern, dass anstehende oder bereits
eingeleitete Transformationsprozesse abgebrochen werden.
„Eine energiepolitische Schocktherapie in Kombination mit
einer Transformationspolitik, die der Größe der
Herausforderung nicht gerecht wird, könnte zu einer
wirtschaftlich verlorenen Dekade in Deutschland führen, weil
Unternehmen mit an sich tragfähigem Geschäftsmodell die
Produktion einstellen oder ins (nicht-europäische) Ausland
verlegen“, schreibt der Ökonom.
Die aktuelle Wachstumsschwäche als
direkte Folge der Schocks im vergangenen Jahr könne sich zu
einer so genannten „Hysterese“ auswachsen – einem
chronischen Zustand, in dem das Wachstum dauerhaft hinter
dem Produktionspotenzial einer Volkswirtschaft zurückbleibt.
Etwa, weil Unternehmen auf Investitionen verzichten oder
Qualifikationen von Beschäftigten durch Arbeitslosigkeit
entwertet werden. So habe die amerikanische Wirtschaft noch
knapp 10 Jahre nach der internationalen Finanzkrise von 2008
unter Hysterese-Effekten gelitten, weil die Politik nicht
mit den richtigen Mitteln und im notwendigen Umfang
gegengesteuert habe.
Der langfristige Schaden einer
chronischen Wachstumsschwäche sei kaum abzuschätzen. Aber
schon die aktuell drohenden Verluste rechtfertigten einen
hohen Aufwand, analysiert Krebs. Um deren Ausmaß zu
verstehen, sei die aktuelle Wirtschaftsentwicklung – auf den
ersten Blick eine eher leichte Rezession – kein guter
Indikator. Aussagekräftiger ist es laut Krebs, wenn man das
vor der Energiekrise für 2022 und 2023 prognostizierte
Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) mit der
tatsächlichen Entwicklung nach dem russischen Angriff auf
die Ukraine vergleicht.
Dabei zeigt sich, dass der BIP-Verlust im Einjahreszeitraum
zwischen dem 2. Quartal 2022 und dem 1. Quartal 2023 gut 4
Prozent betragen hat. Im gleichen Zeitraum erlitten die
Beschäftigten durch die hohe Inflation die höchsten
Reallohnverluste seit Beginn der Statistik 1950. Aktuelle
Konjunkturanalysen deuten darauf hin, dass die
entsprechenden Produktionsverluste weder in der zweiten
Hälfte 2023 noch in 2024 durch entsprechend starkes Wachstum
kompensiert werden können. Bleibe es dabei, würden sich die
Gesamtkosten der Energiekrise allein bis Ende 2024 auf rund
390 Milliarden Euro belaufen, kalkuliert Krebs. Und
unterstreicht: „Die Verlängerung einer modifizierten
Strompreisbremse ist ein wichtiger wirtschaftspolitischer
Baustein, um ein solches Negativ-Szenario zu verhindern.“
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