Duisburg, 21. Dezember 2010 - Die Initiative
Spendentrauermarsch hat von Vorwürfen erfahren, dass der Entwurf des
Künstlers Jürgen Meister für eine Skulptur in Erinnerung an die
Opfer des Loveparade-Unglücks einer vorher existierenden Vorlage
nachempfunden wurde. Die Mitglieder der Initiative werden sich nun
mit dem Künstler in Verbindung zu setzen.
Jürgen Meister hat in einer schriftlichen Stellungnahme alle
Vorwürfe zurückgewiesen. Er versichert darin, dass er Inhaber der
Rechte an dem Motiv sei. Die Vertreterin der Angehörigen der Opfer
des Loveparade-Unglücks ist über die Entwicklung informiert. Die
Jury unter Leitung von Altoberbürgermeister Josef Krings setzt sich
am morgigen Mittwoch zusammen, damit über das weitere Vorgehen
entscheiden werden kann.
Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidung für die Skulptur
unabhängig von der Person des Künstlers einstimmig und in Anlehnung
der Kriterien zur Ausschreibung vorgenommen wurde. Die eingereichten
39 Entwürfe prüfte die achtköpfige Jury in anonymisierter Form. „Es
war das Kunstwerk, das uns überzeugt hat, unabhängig, vom dem der es
geschaffen hat“, sagt Josef Krings als Vorsitzender der Jury. Dies
gelte auch weiterhin.
Die Jury hatte auch nach Aussprache mit Jürgen Meister vor der
Vergabe keine Hinweise, dass das Motiv möglicherweise nicht eine
originäre Entwicklung des Künstlers sein könnte. Die Frage, ob es
von Jürgen Meister oder einem anderen Gestalter stammt, schränkt
zunächst nicht die Qualität des Werks selbst ein.
Die Initiative Spendentrauermarsch bedauert zugleich zutiefst, dass
es in Zusammenhang mit der Gestaltung des Gedenkzeichens, das im
Wesentlichen aus Spendenmitteln Duisburger Bürgerinnen und Bürger
finanziert wurde, zu einer solchen Irritation gekommen ist. Die
Initiative Spendentrauermarsch erklärt
dazu: „Wir werden uns deshalb bemühen, so schnell als möglich,
Klarheit zu schaffen, und gleichzeitig unsere Arbeit an dem Projekt
Gedenkzeichen fortführen.“
Gleichzeitig sehe man es positiv, dass zu diesem frühen Zeitpunkt
das Thema zur Sprache komme, weil so rechtzeitig Aufklärung zum
Sachverhalt erreicht werden kann.
Zur Initiative Spendentrauermarsch haben sich der Stadtsportbund
Duisburg, der Lions Club Duisburg-Rhenania, das Bürgerhaus Steinhof
in Huckingen und die 1910 gegründete bürgerschaftliche Vereinigung
proDUISBURG e.V.
zusammengeschlossen. In der Jury arbeiteten Vertreter dieser
Organisationen sowie ein Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Duisburger
Künstler, Vertreter der Angehörigengruppen von Opfern der Loveparade
zusammen. Den Vorsitz hatte der Duisburger Alt-Oberbürgermeister
Josef Krings.
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Juryvorsitzender
Altoberbürgermeister Josef
Krings gab einstimmigen
Beschluss bekannt:
- Entwurf von Jürgen Meister aus
39 Vorschlägen ausgewählt
- Umsetzung bis Frühjahr 2011
geplant
- 26.200 Euro aus Spenden
finanzieren das Projekt
Duisburg, 20. Dezember 2010 -
Die Jury der Initiative
Spendentrauermarsch hat am
Montag ihren Entscheid über den
künstlerischen Entwurf für die
Gedenkstele aus Anlass der
Loveparade-Tragödie am 24. Juli
2010 in Duisburg bekannt
gegeben. Nach einstimmigem
Willen des Gremiums soll der
Vorschlag des in Duisburg
aufgewachsenen und zur
Duisburger Sezession gehörenden
Künstlers Jürgen Meister aus
Grevenbroich umgesetzt werden.
Das Stahlrelief mit Betonfuß
zeigt gegenständlich die
Silhouetten von Menschen, die
ihre Hände in die Höhe recken.
Das Gedenkzeichen ist etwa 2,50
Meter hoch und hat eine Länge
von ca. 6 Metern. Finanziert
wird das Gedenkzeichen aus
Spenden in Höhe von 26.200 Euro.
Die Umsetzung des Entwurfs soll
bis Frühjahr 2011 erfolgen.
Zur Initiative
Spendentrauermarsch haben sich
der Stadtsportbund Duisburg, der
Lions Club Duisburg-Rhenania,
das Bürgerhaus Steinhof in
Huckingen und die 1910
gegründete bürgerschaftliche
Vereinigung proDUISBURG e.V.
zusammengeschlossen. In der Jury
arbeiteten Vertreter dieser
Organisationen sowie ein
Mitglied der Arbeitsgemeinschaft
Duisburger Künstler, Vertreter
der Angehörigengruppen von
Opfern der Loveparade zusammen.
Den Vorsitz hatte der Duisburger
Alt-Oberbürgermeister Josef
Krings. Die Vertreter trafen
ihre Entscheidung aus insgesamt
39 eingereichten Entwürfen. Alle
Vorschläge zur Errichtung einer
Gedenkstele sollen Anfang des
Jahres in einer eigenen
Ausstellung zu sehen sein. Das
Erinnerungszeichen wird den
Glaskubus in einem Park nahe des
Tunnels Karl-Lehr-Straße
ersetzen.
Ausgewählter Entwurf entspricht
Bedürfnissen der Angehörigen
Nach Meinung der Jury entsprach
der Vorschlag von Jürgen Meister
in besonderer Weise den
Vorstellungen und Bedürfnissen
vor allem der Angehörigen der
Opfer des Loveparade-Unglücks,
bei dem 21 Menschen ums Leben
kamen und mehr als 500 Menschen
zum Teil schwerste Verletzung
erlitten.
In der Begründung für den
Entscheid heißt es: „Das Objekt
zeigt eine Gruppe junger,
fröhlicher und tanzender
Menschen, wie sich die
Angehörigen an sie erinnern.
Andererseits spiegelt es aber
auch die Angst und Hilflosigkeit
der Opfer, Verletzten und
Teilnehmer der Loveparade wider
und lässt Raum für
Interpretation. So stehen die
zum Himmel ausgestreckten Arme
auch als Zeichen für Hilfe
suchende Menschen, die in Panik
und Lebensangst geraten, ihre
Hände zur Rettung nach oben
reichen.“
Über die Materialfrage sagte die
Jury:
„Das vom Künstler für das
Mahnmal gewählte Material
„Stahl“ schafft darüber hinaus
eine deutliche Verbindung zu
Duisburg und zur Region, die
über Jahrzehnte hinweg von der
Stahlindustrie geprägt war und
noch immer ist.“´ Nach der
Bekanntgabe des Juryentscheids
prüft die Initiative nun den
bestmöglichen Standort in
unmittelbarer Nähe des
Unglücksorts. Darüber hinaus
sind in Abstimmung mit der Stadt
Duisburg und ihren politischen
Gremien planungsrechtliche
Auflagen zu erfüllen. Die
Initiative geht aber davon aus,
dass sich alle anstehenden
Aufgaben bis zum April 2011
bewältigen lassen. Nach Willen
der Angehörigen soll das
Gedenkzeichen möglichst deutlich
vor dem ersten Jahrestag des
Unglücks aufgestellt worden
sein.
Spendentrauermarsch fand am 1.
August 2010 statt Zum
Hintergrund: Nach der Tragödie
der Loveparade hatten sich
bürgerschaftliche Institutionen
zusammengeschlossen. Am 1.
August 2010 veranstalteten sie
einen Trauermarsch, an dem sich
etwa 800 Bürgerinnen und Bürger
beteiligten. Aus den dabei sowie
in der Zeit danach gesammelten
Spenden soll das Gedenkzeichen,
geschaffen von einem Duisburger
Künstler, finanziert werden. Die
offizielle Ausschreibung wurde
im Oktober 2010 veröffentlicht.
Einreichungsschluss war der 15.
November 2010.
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Duisburg, 17. November 2010 - Am Montag
(15.11.) endete die Bewerbungsfrist für die Gestaltung der
Gedenkstele, die an die Opfer der Loveparade-Tragödie am 24. Juli
2010 erinnern. An dem Aufruf der „Initiative Spendentrauermarsch“
beteiligten sich 37 Duisburger Künstlerinnen und Künstler. Über ihre
Vorschläge für das Erinnerungszeichen, das in der Nähe des Tunnels
an der Karl-Lehr-Straße gesetzt werden soll, entscheidet jetzt eine
Jury. Das erste Treffen ist für den 1. Dezember 2010 geplant. Eine
Entscheidung wird noch im Dezember erwartet. Die Stele selbst soll
im Frühjahr 2011 errichtet werden. Mit der Stele wird dann der Kubus
auf einem Parkgrundstück in der Nähe des Tunnels abgebaut.
Bis dahin sind unter anderem planungsrechtliche Auflagen zu erfüllen
sowie die Zustimmung der politischen Gremien einzuholen. In der
„Initiative Spendentrauermarsch“ arbeiten der Lions Club
Duisburg-Rhenania, der Stadtsportbund Duisburg, der Steinhof
Duisburg und die bürgerschaftliche Vereinigung proDUISBURG e.V.
zusammen. Gemeinsam hatte man unmittelbar nach der Loveparade
Tragödie einen Trauermarsch organisiert und Spenden für ein
Erinnerungszeichen der Duisburger Bürger gesammelt. Insgesamt kamen
dabei mehr als 25.000 Euro zusammen. Die Ausschreibung mit dem
Aufruf an Duisburger Künstlerinnen und Künstler erfolgte im Oktober
2010. Die Bewerbungsfrist endete am Montag, 15. November.
An den Jurysitzungen nehmen Vertreter der Initiative teil. Darüber
hinaus sind zwei Mitglieder aus dem Kreis der Angehörigen der
Loveparade-Opfer vertreten. Die Interessensgemeinschaft Duisburger
Künstler ist ebenfalls vertreten. Alt-Oberbürgermeister Josef
Krings, der auch die weithin beachtete Rede beim Spendentrauermarsch
hielt, ist ein weiteres Mitglied der Jury. Sie nimmt nun ihre Arbeit
auf.
Franz Hering, Vorsitzender des Stadtsportbundes, sagte zur Resonanz
auf die Ausschreibung: „Ich bin zutiefst beeindruckt. Nicht nur die
Vielzahl der Bewerbungen, sondern auch das hohe Einfühlungsvermögen
der Künstlerinnen und Künstler, das sich an den Entwürfen ablesen
lässt, ist ein bewegendes Zeichen.“ Den Stadtsportbund - als
Adressat für die Bewerbungen - erreichten Skizzen, ausführliche
Beschreibungen und zudem Modelle für die Gedenkstele. Arno Eich,
Geschäftsführer des Kulturzentrums Steinhof in Huckingen, sagte:
„Auf uns als Jury kommt nun die schwierige Aufgabe zu, einen Entwurf
aus dieser großen Zahl an Gestaltungsideen auszuwählen. Wir sehen
die große Verantwortung. Wir sehen aber auch die Chance, ein
wirklich wichtiges Zeichen des würdigen Erinnerns an die Tragödie
des 24. Juli setzen zu können.“
Jörg Bunert, Mitorganisator des Trauermarschs und Mitglied des Lions
Club Rhenania, sagte: „Ich bedanke mich beim Kulturbüro, das uns bei
der Formulierung der Ausschreibung geholfen hat. Ich bedanke mich
ebenfalls beim Kulturdezernat der Stadt Duisburg. Uns wurde
Unterstützung bei der Umsetzung der Verwaltungsvorgaben zugesagt,
die wir benötigen, um unser Vorhaben möglichst schnell umsetzen zu
können.“
Hermann Kewitz, der Vorsitzende der 1910 gegründeten
bürgerschaftlichen Vereinigung proDUISBURG e.V.: „Wir denken darüber
nach, eine Ausstellung mit allen Skizzen, Modellen und Entwürfen zu
organisieren. Denn aus unserer Sicht verdienen es auch die
Künstlerinnen und Künstler, deren Idee nicht berücksichtigt werden
können, dass ihre Idee für die Gedenkstele gesehen und wahrgenommen
wird.“
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Duisburg, 3. November 2010 - Bei dem Besuch im
Oktober in der Redaktion der Bürgerzeitung kam der Vorschlag auf,
mit der Gründung einer Selbsthilfegruppe bzw. Verein den Betroffenen
zum einen eine Anlaufstelle und zum anderen eine dauerhafte
Einrichtung zu bieten. Dieser Vorschlag wurde nun mit dem heutigen
Termin beim Notar umgesetzt.
Vorsitzender der bürgerschaftlichen
Vereinigung "Massenpanik Selbsthilfeverein" wurde Jürgen Hagemann,
der für rund 50 Betroffene der Ansprechpartner der letzten Monat in
Hinblick auf klärende Gespräche, das offene Ohr schlechthin und der
Initiator, beim ehemaligen Minister und dessen Kanzlei in Düsseldorf
die Rechtsberatung zu bündeln.
Vorstand des Vereins:
Vorsitzender Jürgen Hagemann (Foto)
Lidija Vujnic (Schatzmeisterin)
Janine Marsollek (Schriftführerin)
Evelyn Hagemann
Der wesentliche
Teil der Satzung:
1.
Ausschließlicher Zweck des Vereins ist die Hilfe für Opfer,
Geschädigte und deren Angehörige von Massenpanikereignissen.
2. Der Zweck
wird insbesondere verwirklicht durch
- gegenseitige
Selbsthilfe und den Austausch untereinander durch Opfer- und
Angehörigentreffen,
- Austausch im
Internet durch Bereitstellung einer geschützten
Kommunikationsplattform, die Unterstützung durch Vernetzung mit
seelsorgerischen, psychosozialen und sozialen Einrichtungen,
- Hilfe bei der
Suche nach Rechtsanwälten, die über Erfahrungen bei
Großschadensereignissen verfügen,
-
Öffentlichkeitsarbeit zur Thematik und öffentliches Eintreten für
die Belange der Betroffenen und deren Angehörigen. |
Ich will meine altes Leben zurück
Duisburg,
20. Oktober 2010 -
Wer am 24. Juli in diesem Panikbereich bei der Loveparade war,
auch wenn mittlerweile die körperlichen Blessuren mehr oder weniger
verheilt sein mögen, kann nicht einfach da weiter machen, wo er oder
sie vor diesem Tag aufgehört haben.
Es ist richtig, für uns, die nicht direkt betroffen waren, geht das
Leben weiter.
„Nach dem Tod meines Mannes, wollte ich mit dem Besuch der
Loveparade wieder ein Stückchen Normalität und Spaß in mein Leben
bringen“. 31 Jahre ist sie und wird vielleicht nie wieder richtig
mit ihrem kleinen Sohn toben können, weil die Verletzung so
gravierend war.
Das ist die eine, die äußerliche Verletzung, diese sehen wir, sind
betroffen und verstehen, dass der Alltag nicht mehr normal läuft.
Aber das, was im Inneren zerrissen wurde, die extreme Angst, die
Hilflosigkeit, ja Panik, werden wir, die nicht um Luft, Platz, Leben
und Freunde gekämpft haben, nie auch nur ansatzweise nachvollziehen
können. Nur weil wir die Wunden der Seele nicht sehen, dürfen wir
nicht davon ausgehen, dass mittlerweile für die Betroffenen alles
überstanden ist.
„Ich möchte wieder schlafen, ich habe Angst, meine Familie leidet,
was ist, wenn ich nicht mehr arbeiten kann, weil ich keine
Menschenansammlungen und Kinderschreien ertrage“, diese Ängste
werden mittlerweile nur untereinander ausgetauscht, weil das große
Verständnis schwindet und andere Katastrophen sich in den
Vordergrund schieben.
Bei mir haben diese Worte Hilflosigkeit ausgelöst und dann ist
daraus eine tiefe Wut geworden, als ich hörte, dass weder die Stadt
noch der Veranstalter ein persönliches Wort, ein Schreiben des Bedauerns
geschickt haben.
Der Schrei um Hilfe
Duisburg, 20. Oktober 2010 - Fünf Betroffene sind
zu uns gekommen. Nach der Begrüßung wird zunächst versucht
auszuloten, was der gegenüber möchte, was ihn bedrückt oder
andersherum, was kann dieser Mensch für mich tun? Es dauert eine
ganze Zeit, bis die ersten Worte gefunden sind, sich der Mensch
etwas lösen und vor allem mitteilen kann. Was erst stockend beginnt, wird dann zur erneuten Aufarbeitung der Tragödie. Was für beide
Seiten wieder schlimm wird, aber auch als notwendig angesehen wird.
"Es ist gar nichts besser geworden. Ganz im
Gegenteil!" Wie bitte? Die Zeit hat die ganz schlimmen Wunden
überhaupt nicht bessern können. "Nein. Auf gar keinen Fall. Im
Gegenteil", erfolgt die Bekräftigung richtig und heftig anklagend.
Warum?
"Es ist eben so", schildert Maren (Name
geändert) "dass die Mitmenschen es nicht mehr verstehen wollen.
Deshalb wird es schlimmer." Gerd nickt zustimmend. "Die Menschen,
die wissen was uns passiert ist, erwarten, dass es jetzt doch nicht
mehr so schlimm sein kann. Man sieht ja keine Verletzung bei mir. Was
innen in mir los ist, sieht doch keiner. Ich habe gedacht, nein
gehofft, dass meine Arbeit mich ablenken wird. Das war nicht so. Ich
konnte weiterhin an nichts anderes denken und habe mich auch deshalb
- was nie zuvor in meinem Berufsleben vorkam, sogar verletzt. Was
mache ich nun? Ich weiß wirklich nicht mehr weiter. Meine
Lebensgefährtin hat es noch schlimmer getroffen und wir ziehen uns
beide immer mehr runter. Wie soll es weitergehen?"
Der Schrei um Hilfe ist überlaut. Deutlich und
bedrückend. So schlimm steht es. Ich werde eines Besseren belehrt:
es geht sogar noch schlimmer. So bei Christina.
"Mein Arzt sagt zu mir, dass ich mit dieser Sache zu ihm gar nicht
mehr kommen brauche. Das macht mich fertig. Selbst ein Arzt will mir
nicht mehr helfen. Wer bleibt denn dann noch." Wieso will der Arzt nicht
helfen frage ich fassungslos.
"Es ist so, dass ich in meinen Beruf
mit Kindern zu tun habe. Wenn die Kinder aber lauter werden oder
schlimmer noch, schreien, zieht
mich das total runter. Dann ist im Kopf nur noch das Erlebte
allgegenwärtig. Ich höre nur noch das Schreien der Menschen und mich
selbst im Tunnel. Dann geht gar nichts mehr. Ich muss
zuhause ein fünfjähriges Kind betreuen. Aber mein Arzt schreibt mich
nicht mehr krank und ich werde möglicherweise den Job verlieren. Wer hilft mir
jetzt?" Die Frau ist am Ende. Die Tränen kommen, die
Stimme versagt, der Mensch sackt in sich zusammen.
Halt. Stopp. Da muss es doch Möglichkeiten
geben. Nicht aufgeben. Es muss ein klarer Kopf her. Wir haben doch
Seelsorger, Mediziner, Psychologen, Therapeuten, Sozialdienste und Anwälte.
Mit Manfred diskutieren wir ganz sachlich, so
weit das überhaupt geht, die Situation.
Er hat sich der Menschen angenommen nach dem
Schock der ersten Tage, als die Tochter seiner Frau mit
Christina zur Parade ging, aber nur Christina wieder heimkam. Das junge
Mädchen lebt nicht mehr. Christina fühlt sich gegenüber der
Freundin, der Ehefrau von Manfred verantwortlich, wurde aber auch
noch selbst schwer verletzt.
So geht es auch Maren. Auch ihr Schicksal ist
bedrückend. Sie verlor ein Kind und etwas später ihren
34-jährigen Mann. Der junge Mann starb beim Sport an einen
Hinterwandinfarkt. Jetzt ist sie mit ihrem kleinen Sohn allein auf
der Welt, wollte sich bei der Loveparade ablenken und wurde fast zu
Tode gequetscht. Ihr Bein ist dermaßen verletzt worden, dass sie
immer noch an Krücken geht. "Ich wurde zum Krüppel. Am Oberschenkel und
innerlich sowieso", sagt sie ohne Umschweife.
Das sind Momentaufnahmen. Sie gehen ganz heftig
an die Nieren. Aber: ich bin betroffen, aber nicht Betroffener.
Also muss ich in Ruhe überlegen, wie man diesen Menschen helfen
kann. Als Mitmensch ist es eindeutig, dass auch ich hier
vielleicht intensiver als bisher aktiv werden muss. Helfen, aber
wie?
Und: Wollen diese Betroffenen das überhaupt?
"Ja unbedingt," bekräftigen alle unisono. "Es ist uns sehr
wichtig, dass wir
nicht vergessen werden. Wir wollen, dass dies alles in der Öffentlichkeit
bekannt wird. Wir haben Angst, dass dies keiner mehr hören will. Das
würde und ganz runter ziehen."
Manfred hat aber auch Positives zu berichten.
Die finanziellen Sofortmaßnahmen des Landes bei Überführung und
Bestattungen haben durchaus gegriffen. Die Kontakte zu den
Seelsorgern waren erstens willkommen und zweitens hilfreich.
...
Nach diesem Gespräch bleiben wir
zurück und hoffen, dass mit Hilfe von Therapeuten, Nachbarn und
Freunden in naher oder ferner Zukunft nicht mehr das Unglück
"Loveparade" das Leben der Betroffenen bestimmt, sondern dass die
Freude am Leben wieder überwiegt.
Barbara und Harald Jeschke
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