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Loveparade 2010
April 2017: Eröffnung des Hauptverfahrens im Loveparade-Verfahren

 

Verurteilung der Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung bzw. fahrlässiger Körperverletzung im Amt wahrscheinlich
Verteidigung hält Verurteilung für nahezu ausgeschlossen
Oberbürgermeister Sören Link kein Rückhalt für 'seine' Verwaltung

Duisburg, 24. April 2017 - Pressemitteilungen in der Reihenfolge des Eingangs

Staatsanwaltschaft schneller als das entscheidende Oberlandesgericht Düsseldorf
Die Staatsanwaltschaft begrüßt die Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Oberlandesgericht Düsseldorf.
Die Entscheidung des Senates verschafft den Opfern und ihren Angehörigen die Gewissheit, dass es nunmehr in Kürze zu einer juristischen Aufarbeitung des Unglücks in einer öffentlichen Hauptverhandlung kommt.
Die Staatsanwaltschaft wird im Rahmen der bevorstehenden Hauptverhandlung alles daran setzen, dass die zahlreichen drängenden Fragen zur Verantwortlichkeit für das Unglück umfassend geklärt werden.

Oberlandesgericht Düsseldorf: Loveparade-Strafverfahren eröffnet
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Duisburg und verschiedener Nebenkläger hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf mit Beschluss vom 18. April 2017 im Loveparade-Strafverfahren die Anklage gegen alle zehn Angeklagten zugelassen.

Die Durchführung der Hauptverhandlung wurde vor einer anderen, und zwar der 6. Großen Strafkammer des Landgerichts Duisburg, angeordnet. Der Senat hält eine Verurteilung der Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung bzw. fahrlässiger Körperverletzung im Amt für hinreichend wahrscheinlich.

Aufgrund einer gegenteiligen Einschätzung hatte die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Duisburg im März 2016 die Zulassung der Anklage und damit die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Wegen weiterer Einzelheiten zu den Anklagevorwürfen wird auf die Presseerklärung des Landgerichts Duisburg vom 2. Juli 2014 externer Link, öffnet neues Browserfenster verwiesen.

Nach Auffassung des Senats sind die den Angeklagten vorgeworfenen Taten mit den in der Anklage aufgeführten Beweismitteln mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachweisbar. Dass die den Angeschuldigten vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen ursächlich für die Todes- und Verletzungsfolgen waren, dränge sich nach dem Ermittlungsergebnis auf. Das Ermittlungsergebnis lege nahe, dass die unzureichende Dimensionierung und Ausgestaltung des Ein- und Ausgangssystems für die Besucher und die mangelnde Durchflusskapazität planerisch angelegt und für die Angeklagten vorhersehbar zu der Katastrophe geführt haben.

Das gegenteilige Ergebnis der Kammer führt der Senat darauf zurück, dass die Kammer zu hohe Anforderungen an die Annahme eines „hinreichenden Tatverdachts“ gestellt habe. Wesentliche Elemente des ermittelten Sachverhalts seien bei der Prüfung der Kammer nicht ausreichend berücksichtigt und deshalb nicht zur Grundlage der Entscheidung gemacht worden. Alternative Ursachen für die Katastrophe seien zwar als möglich benannt, nicht aber festgestellt worden. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Still sei entgegen der Annahme des Landgerichts in der Hauptverhandlung verwertbar.

Im Einzelnen:
1. Die Kammer habe nicht den ganzen mit der Anklage vorgetragenen Sachverhalt zur Grundlage ihrer Bewertung gemacht. Gegenstand einer Anklage sei immer ein Lebenssachverhalt als Ganzer, vorliegend damit alle Aspekte im Zusammenhang mit der Planung, Genehmigung und Durchführung der Loveparade 2010. Auch wenn der Schwerpunkt der Anklagebegründung auf einer Überschreitung der maximalen Durchflusskapazität für Besucher auf der Rampe Ost gelegen habe, hätte sich die Prüfung der Kammer nicht auf diesen Aspekt beschränken dürfen, sondern alle weiteren Umstände der Planung, Genehmigung und Durchführung berücksichtigen müssen. Hierzu zählten die fehlende Gewährleistung einer begrenzenden Wirkung der Vereinzelungsanlagen, die fehlende Gewähr eines hinreichenden Personenzuflusses zur Veranstaltungsfläche am Rampenkopf und ein dort zu erwartender Rückstau, die Gegenstromproblematik mangels Trennung der Zu- und Ausgangswege sowie die unzureichende Dimensionierung und mangelnde Eignung des Ein- und Ausgangssystems insgesamt.

2. Anders als die Kammer des Landgerichts sieht der Senat auch ausreichende Anhaltspunkte für einen vorwerfbaren Zusammenhang zwischen den anzunehmenden Planungsfehlern und dem Eintritt der Katastrophe. Die Kammer begründe ihr gegenteiliges Ergebnis damit, dass auch andere Umstände möglicherweise alleinursächlich für die Katastrophe gewesen seien, so etwa die unterbliebene Schließung der Vereinzelungsanlagen, die Bildung von Polizeiketten oder die Einfahrt eines Polizeifahrzeugs in den Rampenbereich. Dies vermag den Senat nicht zu überzeugen. Weder habe die Kammer einzelne dieser Umstände als alleinige Ursache der Katastrophe festgestellt noch sei dies ersichtlich. Sofern aber solche anderen Umstände als alleinige Ursache für die Katastrophe nicht feststellbar seien, könnten diese einen hinreichenden Tatverdacht nicht entkräften.

3. Das Gutachten des Prof. Still sei entgegen der Auffassung der Kammer des Landgerichts sowohl prozessual als auch inhaltlich verwertbar. Weder sei von einer Befangenheit des Gutachters auszugehen noch weise das Gutachten durchgreifende inhaltliche oder methodische Mängel auf. Von einer Besorgnis der Befangenheit, also einer Voreingenommenheit des Gutachters, sei nicht auszugehen. Der Sachverständige habe sich zwar öffentlich in Vorlesungen und in einem Fachbuch zu seinem Ergebnis der Begutachtung geäußert. Dies sei jedoch weder grundsätzlich unzulässig noch folge hieraus die Festlegung auf bestimmte Ergebnisse bei der Erstattung seines Gutachtens in der Hauptverhandlung. Zwar habe sich der Sachverständige überspitzt und ironisch zur Planung und Durchführung der Loveparade geäußert. Dies habe jedoch didaktischen Zwecken und nicht der Herabwürdigung der Angeklagten gedient. Auch sieht der Senat keine Anhaltspunkte für eine unzulässige Einflussnahme auf den Sachverständigen durch Dritte oder eine das erforderliche Maß überschreitende Beteiligung von Hilfskräften bei der Gutachtenerstellung.

Soweit das Landgericht inhaltliche und methodische Mängel des Gutachtens anführt, teilt der Senat diese Auffassung in entscheidenden Punkten nicht. So habe der Sachverständige beispielsweise nicht nur eine erste grobe Risikoanalyse der Planungen vorgenommen, sondern konkret ausgeführt, dass das Ein- und Ausgangssystem von vornherein unzureichend dimensioniert und ausgestaltet gewesen sei. Dieses Defizit, so der Sachverständige, habe sich in der Katastrophe auch realisiert. Ihm sei ebenso wenig vorzuwerfen, dass er seiner Begutachtung aus seiner Sicht manipulierte Besucherplanzahlen zugrunde gelegt habe. Diese Zahlen lagen jedenfalls der Planung und Genehmigung zugrunde. Sollte die Kammer davon abweichende Besucherplanzahlen für maßgeblich erachtet haben, hätte sie diese dem Sachverständigen als Anknüpfungstatsache für seine Begutachtung mitteilen müssen. Darüber hinaus hätte es der Kammer oblegen, die vom Sachverständigen mitgeteilten Ergebnisse seines Gutachtens nach deutschem Recht zu bewerten. Deshalb stelle es die Eignung des Gutachtens nicht in Frage, dass der britische Sachverständige diesem ein nicht dem deutschen Strafrecht entsprechendes Rechtsverständnis zu Fragen von Kausalität und Zurechenbarkeit zugrunde gelegt oder deutsche Rechtsnormen möglicherweise nicht ausreichend berücksichtigt habe.
Az.: OLG Düsseldorf, III - 2 Ws 528/16 bis III - 2 Ws 577/16

Oberbürgermeister Sören Link kein Rückhalt für 'seine' Verwaltung
„Vor gut einem Jahr, am 5. April 2016, haben die Öffentlichkeit und ich erfahren, dass die Loveparade-Anklage nicht zum Hauptverfahren zugelassen wurde. Ich habe schon damals gesagt, dass ich kein Jurist bin und diese Entscheidung nicht fachlich werten kann. Genauso wenig will ich heute die anderslautende Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf juristisch bewerten.

Was ich verstehen und nachfühlen kann, ist der Wunsch der Angehörigen, der Betroffenen, Verletzten und Traumatisierten, Antworten auf ihre Fragen zu finden. Für sie ist die heutige Entscheidung des Oberlandesgerichts ein wichtiger Schritt.

Ich hoffe sehr, dass der nun folgende Weg zu einem Ergebnis führt, welches vor allem den Angehörigen der Toten der Loveparade nach so vielen Jahren irgendwann etwas Frieden bringt.

Die Angehörigen haben ein Recht auf Aufklärung. Nur so kann es für Sie - aber auch für die Stadt Duisburg - einen Abschluss mit den unfassbaren Geschehnissen geben.“

Römermann Rechtsanwälte AG, Hamburg, für die Verteidigung
„Eine Verurteilung erscheint nach allem, was bislang vorliegt, nahezu ausgeschlossen.“

Das Oberlandesgericht ist in seiner Betrachtung zu der Einschätzung gekommen, dass das Landgericht die Tatsachen nicht umfassend gewürdigt habe. In Wirklichkeit hat sich das Landgericht Duisburg in seinem Beschluss vom 30.03.2016 auf 460 Seiten in einer Weise mit allen Details des Sachverhalts auseinandergesetzt, wie sie in der deutschen Rechtsgeschichte nahezu einmalig ist. Die Umstände, die das OLG zum Beleg für seine Behauptung aufführt, betreffen sämtlich Aspekte, die der Gutachter Prof. Still in seiner Stellungnahme erörtert hat. Das hat das Landgericht aber zu Recht für ungenügend gehalten.
Hierzu Stellungnahmen von drei Verteidigern:
„In der Pressemitteilung des OLG vom heutigen Tage heißt es, dass das Landgericht die alleinige Schuld von dritten Personen nicht festgestellt habe. Mit anderen Worten: Es könne sein, dass die hier Angeklagten ursächlich oder mit ursächlich für die Katastrophe seien. Warum die anderen möglicherweise Mitverantwortlichen nicht auf der Anklagebank sitzen sollen, bleibt weiterhin offen. Richtig ist: Die wahren Schuldigen – wenn es sie überhaupt gab – sind gar nicht angeklagt.
Ist es nicht auch denkbar, dass eine Katastrophe eintritt, die viele Ursachen, aber keine strafrechtlich Schuldigen hat?" Rechtsanwalt Prof. Dr. Volker Römermann von der Römermann Rechtsanwälte AG

„Das Gutachten des Professor Still mag allenfalls – wenn überhaupt – für einen Verdacht reichen, für eine Verurteilung aber sicher nicht. Mit diesen soll sich nun das Landgericht in neuer Besetzung auseinandersetzen. Das wird hochproblematisch werden, weil es auf dem Gebiet der Veranstaltungsplanung keine gesicherten Erkenntnisse gibt. Es ist auch erstaunlich, dass das Oberlandesgericht mit seiner Entscheidung nicht abgewartet hat, bis das neue – von der Staatsanwaltschaft selbst in Auftrag gegebene – Gutachten vorliegt. Dass das Oberlandesgericht nicht abgewartet hat, liegt vermutlich daran, dass der öffentliche Druck, auch von Seiten der Politik, enorm war, innerhalb der Verjährungsfrist noch irgendein Verfahren durchzuführen.“
Rechtsanwalt Dr. Philip von der Meden von der Römermann Rechtsanwälte AG

„Das Landgericht wird nun vor der schwierigen Aufgabe stehen, einen hochemotionalen Prozess in rationale Bahnen zu lenken. Die Zulassung der Anklage allein besagt nichts über eine etwaige Verurteilung. Im Prozess werden die offen zutage getretenen massiven Mängel der Anklage und des Gutachtens erneut zum Thema werden. Eine Verurteilung erscheint nach allem, was bislang vorliegt, nahezu ausgeschlossen.
Rechtsanwalt Ioannis Zaimis

Stiftung „Duisburg-24-7-2010“
Der Sprecher des Kuratoriums, Jürgen Thiesbonenkamp, und Mitglieder des Beirats der „Stiftung Duisburg 24.7.2010“ begrüßen die Entscheidung des Oberlandesgerichts ausdrücklich.
Jürgen Widera, Vorstand der Stiftung und Ombudsmann der Loveparade-Opfer: „Wir haben nun die Hoffnung darauf, dass durch die juristische Aufarbeitung die Ursachen aufgeklärt werden.“

Mit großer Erleichterung haben die Angehörigen der 21 Todesopfer sowie die Betroffenen der Loveparade-Katastrophe vom 24.Juli 2010 die Nachricht aufgenommen, dass es nun doch zu einem Prozess kommen wird. Nachdem das Landgericht Duisburg vor einem Jahr die Eröffnung des Prozesses abgelehnt hatte, hatten die Duisburger Staatsanwaltschaft und Opferanwälte Beschwerde beim Oberlandesgericht in Düsseldorf eingelegt.

Manfred Reißaus, der seine Tochter bei der Loveparade-Katastrophe verloren hat und Sprecher der Angehörigen im Beirat der Stiftung ist, sagte: „Ich bin sehr froh, dass das Oberlandesgericht so entschieden hat. Alles andere wäre wie ein Schlag ins Gesicht gewesen. Mit dem Abschluss eines Prozesses haben wir die Chance, unseren inneren Frieden zu finden. Viele Angehörige hätten schon die Sorge gehabt, dass durch die Prozessverzögerung die Verjährungsfrist für die Beschuldigten ablaufen könnte.“

Katrina Meyer, Vertreterin der Betroffenen der Loveparade-Katastrophe im Beirat: „Als ich die Nachricht im Radio gehört habe, kamen mir sofort die Tränen. Es ist so immens wichtig für alle Betroffenen, dass der Prozess nun endlich stattfinden wird.“

Die Stiftung wird sich nun darauf vorbereiten, die Angehörigen und Betroffenen während des Prozesses zu betreuen.