Duisburg, 24. April 2017 -
Pressemitteilungen in der Reihenfolge des Eingangs
Staatsanwaltschaft schneller als das entscheidende
Oberlandesgericht Düsseldorf Die
Staatsanwaltschaft begrüßt die Eröffnung des Hauptverfahrens
durch das Oberlandesgericht Düsseldorf. Die Entscheidung
des Senates verschafft den Opfern und ihren Angehörigen die
Gewissheit, dass es nunmehr in Kürze zu einer juristischen
Aufarbeitung des Unglücks in einer öffentlichen
Hauptverhandlung kommt. Die Staatsanwaltschaft wird im
Rahmen der bevorstehenden Hauptverhandlung alles daran
setzen, dass die zahlreichen drängenden Fragen zur
Verantwortlichkeit für das Unglück umfassend geklärt werden.
Oberlandesgericht Düsseldorf:
Loveparade-Strafverfahren eröffnet
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Duisburg
und verschiedener Nebenkläger hat der 2. Strafsenat des
Oberlandesgerichts Düsseldorf mit Beschluss vom 18.
April 2017 im Loveparade-Strafverfahren die Anklage gegen
alle zehn Angeklagten zugelassen.
Die
Durchführung der Hauptverhandlung wurde vor einer anderen,
und zwar der 6. Großen Strafkammer des Landgerichts
Duisburg, angeordnet. Der Senat hält eine
Verurteilung der Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung,
fahrlässiger Körperverletzung bzw. fahrlässiger
Körperverletzung im Amt für hinreichend wahrscheinlich.
Aufgrund einer gegenteiligen Einschätzung hatte die 5.
Große Strafkammer des Landgerichts Duisburg im März 2016 die
Zulassung der Anklage und damit die Eröffnung des
Hauptverfahrens abgelehnt. Wegen weiterer Einzelheiten zu
den Anklagevorwürfen wird auf die Presseerklärung des
Landgerichts Duisburg vom 2. Juli 2014 externer Link, öffnet
neues Browserfenster verwiesen.
Nach Auffassung des
Senats sind die den Angeklagten vorgeworfenen Taten mit den
in der Anklage aufgeführten Beweismitteln mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit nachweisbar. Dass die den Angeschuldigten
vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen ursächlich für
die Todes- und Verletzungsfolgen waren, dränge sich nach dem
Ermittlungsergebnis auf. Das Ermittlungsergebnis lege nahe,
dass die unzureichende Dimensionierung und Ausgestaltung des
Ein- und Ausgangssystems für die Besucher und die mangelnde
Durchflusskapazität planerisch angelegt und für die
Angeklagten vorhersehbar zu der Katastrophe geführt haben.
Das gegenteilige Ergebnis der Kammer führt der Senat
darauf zurück, dass die Kammer zu hohe Anforderungen an die
Annahme eines „hinreichenden Tatverdachts“ gestellt habe.
Wesentliche Elemente des ermittelten Sachverhalts seien bei
der Prüfung der Kammer nicht ausreichend berücksichtigt und
deshalb nicht zur Grundlage der Entscheidung gemacht worden.
Alternative Ursachen für die Katastrophe seien zwar als
möglich benannt, nicht aber festgestellt worden. Das
Gutachten des Sachverständigen Prof. Still sei entgegen der
Annahme des Landgerichts in der Hauptverhandlung verwertbar.
Im Einzelnen: 1. Die Kammer habe nicht den ganzen mit
der Anklage vorgetragenen Sachverhalt zur Grundlage ihrer
Bewertung gemacht. Gegenstand einer Anklage sei immer ein
Lebenssachverhalt als Ganzer, vorliegend damit alle Aspekte
im Zusammenhang mit der Planung, Genehmigung und
Durchführung der Loveparade 2010. Auch wenn der Schwerpunkt
der Anklagebegründung auf einer Überschreitung der maximalen
Durchflusskapazität für Besucher auf der Rampe Ost gelegen
habe, hätte sich die Prüfung der Kammer nicht auf diesen
Aspekt beschränken dürfen, sondern alle weiteren Umstände
der Planung, Genehmigung und Durchführung berücksichtigen
müssen. Hierzu zählten die fehlende Gewährleistung einer
begrenzenden Wirkung der Vereinzelungsanlagen, die fehlende
Gewähr eines hinreichenden Personenzuflusses zur
Veranstaltungsfläche am Rampenkopf und ein dort zu
erwartender Rückstau, die Gegenstromproblematik mangels
Trennung der Zu- und Ausgangswege sowie die unzureichende
Dimensionierung und mangelnde Eignung des Ein- und
Ausgangssystems insgesamt.
2. Anders als die Kammer
des Landgerichts sieht der Senat auch ausreichende
Anhaltspunkte für einen vorwerfbaren Zusammenhang zwischen
den anzunehmenden Planungsfehlern und dem Eintritt der
Katastrophe. Die Kammer begründe ihr gegenteiliges Ergebnis
damit, dass auch andere Umstände möglicherweise
alleinursächlich für die Katastrophe gewesen seien, so etwa
die unterbliebene Schließung der Vereinzelungsanlagen, die
Bildung von Polizeiketten oder die Einfahrt eines
Polizeifahrzeugs in den Rampenbereich. Dies vermag den Senat
nicht zu überzeugen. Weder habe die Kammer einzelne dieser
Umstände als alleinige Ursache der Katastrophe festgestellt
noch sei dies ersichtlich. Sofern aber solche anderen
Umstände als alleinige Ursache für die Katastrophe nicht
feststellbar seien, könnten diese einen hinreichenden
Tatverdacht nicht entkräften.
3. Das Gutachten des
Prof. Still sei entgegen der Auffassung der Kammer des
Landgerichts sowohl prozessual als auch inhaltlich
verwertbar. Weder sei von einer Befangenheit des Gutachters
auszugehen noch weise das Gutachten durchgreifende
inhaltliche oder methodische Mängel auf. Von einer Besorgnis
der Befangenheit, also einer Voreingenommenheit des
Gutachters, sei nicht auszugehen. Der Sachverständige habe
sich zwar öffentlich in Vorlesungen und in einem Fachbuch zu
seinem Ergebnis der Begutachtung geäußert. Dies sei jedoch
weder grundsätzlich unzulässig noch folge hieraus die
Festlegung auf bestimmte Ergebnisse bei der Erstattung
seines Gutachtens in der Hauptverhandlung. Zwar habe sich
der Sachverständige überspitzt und ironisch zur Planung und
Durchführung der Loveparade geäußert. Dies habe jedoch
didaktischen Zwecken und nicht der Herabwürdigung der
Angeklagten gedient. Auch sieht der Senat keine
Anhaltspunkte für eine unzulässige Einflussnahme auf den
Sachverständigen durch Dritte oder eine das erforderliche
Maß überschreitende Beteiligung von Hilfskräften bei der
Gutachtenerstellung.
Soweit das Landgericht
inhaltliche und methodische Mängel des Gutachtens anführt,
teilt der Senat diese Auffassung in entscheidenden Punkten
nicht. So habe der Sachverständige beispielsweise nicht nur
eine erste grobe Risikoanalyse der Planungen vorgenommen,
sondern konkret ausgeführt, dass das Ein- und Ausgangssystem
von vornherein unzureichend dimensioniert und ausgestaltet
gewesen sei. Dieses Defizit, so der Sachverständige, habe
sich in der Katastrophe auch realisiert. Ihm sei ebenso
wenig vorzuwerfen, dass er seiner Begutachtung aus seiner
Sicht manipulierte Besucherplanzahlen zugrunde gelegt habe.
Diese Zahlen lagen jedenfalls der Planung und Genehmigung
zugrunde. Sollte die Kammer davon abweichende
Besucherplanzahlen für maßgeblich erachtet haben, hätte sie
diese dem Sachverständigen als Anknüpfungstatsache für seine
Begutachtung mitteilen müssen. Darüber hinaus hätte es der
Kammer oblegen, die vom Sachverständigen mitgeteilten
Ergebnisse seines Gutachtens nach deutschem Recht zu
bewerten. Deshalb stelle es die Eignung des Gutachtens nicht
in Frage, dass der britische Sachverständige diesem ein
nicht dem deutschen Strafrecht entsprechendes
Rechtsverständnis zu Fragen von Kausalität und
Zurechenbarkeit zugrunde gelegt oder deutsche Rechtsnormen
möglicherweise nicht ausreichend berücksichtigt habe.
Az.: OLG Düsseldorf, III - 2 Ws 528/16 bis III - 2 Ws 577/16
Oberbürgermeister Sören Link kein Rückhalt für
'seine' Verwaltung „Vor gut einem Jahr, am 5. April
2016, haben die Öffentlichkeit und ich erfahren, dass die
Loveparade-Anklage nicht zum Hauptverfahren zugelassen
wurde. Ich habe schon damals gesagt, dass ich kein Jurist
bin und diese Entscheidung nicht fachlich werten kann.
Genauso wenig will ich heute die anderslautende Entscheidung
des Oberlandesgerichts Düsseldorf juristisch bewerten.
Was ich verstehen und nachfühlen kann, ist der Wunsch
der Angehörigen, der Betroffenen, Verletzten und
Traumatisierten, Antworten auf ihre Fragen zu finden. Für
sie ist die heutige Entscheidung des Oberlandesgerichts ein
wichtiger Schritt.
Ich hoffe sehr, dass der nun
folgende Weg zu einem Ergebnis führt, welches vor allem den
Angehörigen der Toten der Loveparade nach so vielen Jahren
irgendwann etwas Frieden bringt.
Die Angehörigen
haben ein Recht auf Aufklärung. Nur so kann es für Sie -
aber auch für die Stadt Duisburg - einen Abschluss mit den
unfassbaren Geschehnissen geben.“
Römermann Rechtsanwälte AG, Hamburg, für die
Verteidigung „Eine Verurteilung erscheint nach allem, was
bislang vorliegt, nahezu ausgeschlossen.“ Das
Oberlandesgericht ist in seiner Betrachtung zu der
Einschätzung gekommen, dass das Landgericht die Tatsachen
nicht umfassend gewürdigt habe. In Wirklichkeit hat sich das
Landgericht Duisburg in seinem Beschluss vom 30.03.2016 auf
460 Seiten in einer Weise mit allen Details des Sachverhalts
auseinandergesetzt, wie sie in der deutschen
Rechtsgeschichte nahezu einmalig ist. Die Umstände, die das
OLG zum Beleg für seine Behauptung aufführt, betreffen
sämtlich Aspekte, die der Gutachter Prof. Still in seiner
Stellungnahme erörtert hat. Das hat das Landgericht aber zu
Recht für ungenügend gehalten. Hierzu Stellungnahmen von
drei Verteidigern: „In der Pressemitteilung des OLG vom
heutigen Tage heißt es, dass das Landgericht die alleinige
Schuld von dritten Personen nicht festgestellt habe. Mit
anderen Worten: Es könne sein, dass die hier Angeklagten
ursächlich oder mit ursächlich für die Katastrophe seien.
Warum die anderen möglicherweise Mitverantwortlichen nicht
auf der Anklagebank sitzen sollen, bleibt weiterhin offen.
Richtig ist: Die wahren Schuldigen – wenn es sie
überhaupt gab – sind gar nicht angeklagt. Ist
es nicht auch denkbar, dass eine Katastrophe eintritt, die
viele Ursachen, aber keine strafrechtlich Schuldigen hat?"
Rechtsanwalt Prof. Dr. Volker Römermann von der
Römermann Rechtsanwälte AG
„Das Gutachten
des Professor Still mag allenfalls – wenn überhaupt – für
einen Verdacht reichen, für eine Verurteilung aber sicher
nicht. Mit diesen soll sich nun das Landgericht in neuer
Besetzung auseinandersetzen. Das wird hochproblematisch
werden, weil es auf dem Gebiet der Veranstaltungsplanung
keine gesicherten Erkenntnisse gibt. Es ist auch
erstaunlich, dass das Oberlandesgericht mit seiner
Entscheidung nicht abgewartet hat, bis das neue – von der
Staatsanwaltschaft selbst in Auftrag gegebene – Gutachten
vorliegt. Dass das Oberlandesgericht nicht abgewartet hat,
liegt vermutlich daran, dass der öffentliche Druck, auch von
Seiten der Politik, enorm war, innerhalb der
Verjährungsfrist noch irgendein Verfahren durchzuführen.“
Rechtsanwalt Dr. Philip von der Meden von der Römermann
Rechtsanwälte AG
„Das Landgericht wird nun vor
der schwierigen Aufgabe stehen, einen hochemotionalen
Prozess in rationale Bahnen zu lenken. Die Zulassung der
Anklage allein besagt nichts über eine etwaige Verurteilung.
Im Prozess werden die offen zutage getretenen massiven
Mängel der Anklage und des Gutachtens erneut zum Thema
werden. Eine Verurteilung erscheint nach allem, was bislang
vorliegt, nahezu ausgeschlossen.“ Rechtsanwalt
Ioannis Zaimis
Stiftung „Duisburg-24-7-2010“
Der Sprecher des Kuratoriums, Jürgen Thiesbonenkamp,
und Mitglieder des Beirats der „Stiftung Duisburg 24.7.2010“
begrüßen die Entscheidung des Oberlandesgerichts
ausdrücklich. Jürgen Widera, Vorstand der Stiftung und
Ombudsmann der Loveparade-Opfer: „Wir haben nun die Hoffnung
darauf, dass durch die juristische Aufarbeitung die Ursachen
aufgeklärt werden.“
Mit großer Erleichterung haben
die Angehörigen der 21 Todesopfer sowie die Betroffenen der
Loveparade-Katastrophe vom 24.Juli 2010 die Nachricht
aufgenommen, dass es nun doch zu einem Prozess kommen wird.
Nachdem das Landgericht Duisburg vor einem Jahr die
Eröffnung des Prozesses abgelehnt hatte, hatten die
Duisburger Staatsanwaltschaft und Opferanwälte Beschwerde
beim Oberlandesgericht in Düsseldorf eingelegt.
Manfred Reißaus, der seine Tochter bei der
Loveparade-Katastrophe verloren hat und Sprecher der
Angehörigen im Beirat der Stiftung ist, sagte: „Ich bin sehr
froh, dass das Oberlandesgericht so entschieden hat. Alles
andere wäre wie ein Schlag ins Gesicht gewesen. Mit dem
Abschluss eines Prozesses haben wir die Chance, unseren
inneren Frieden zu finden. Viele Angehörige hätten schon die
Sorge gehabt, dass durch die Prozessverzögerung die
Verjährungsfrist für die Beschuldigten ablaufen könnte.“
Katrina Meyer, Vertreterin der Betroffenen der
Loveparade-Katastrophe im Beirat: „Als ich die Nachricht im
Radio gehört habe, kamen mir sofort die Tränen. Es ist so
immens wichtig für alle Betroffenen, dass der Prozess nun
endlich stattfinden wird.“
Die Stiftung wird sich nun
darauf vorbereiten, die Angehörigen und Betroffenen während
des Prozesses zu betreuen.
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