Duisburg, 05. Februar 2019 - Die
Staatsanwaltschaft hat heute dem im Rechtsgespräch vom 16.
Januar 2019 unterbreiteten Vorschlag der 6. Strafkammer des
Landgerichts Duisburg zugestimmt, das Strafverfahren gegen
sieben Angeklagte (sechs Mitarbeiter des Bauamtes der Stadt
Duisburg und den Kreativdirektor der Lopavent GmbH) nach §
153 Abs. 2 StPO einzustellen.
Sie ist ferner der
Anregung der Kammer gefolgt, das Verfahren gegen die übrigen
drei Angeklagten, bei denen es sich um den
Produktionsleiter, den technischen Leiter und den Leiter
Sicherheit der Lopavent GmbH handelt, nach § 153a Abs. 2
StPO gegen Zahlung einer angemessenen Geldauflage zu
beenden. Aus hiesiger Sicht sollte dabei die Geldauflage in
der Größenordnung von jeweils etwa 10.000 Euro liegen.
Eine Einstellung des Verfahrens nach diesen Vorschriften
setzt das Einverständnis der Angeklagten voraus. Stimmen die
oder einzelne der Angeklagten dem Vorschlag nicht zu, wird
der Prozess daher bis zum Eintritt der
Strafverfolgungsverjährung im Juli 2020 mit dem bzw. den
nicht zustimmenden Angeklagten fortzuführen sein.
Mit einer solchen Einstellung ergeht keine Entscheidung
darüber, ob die Angeklagten die ihnen durch die Anklage
vorgeworfene Tat begangen haben oder nicht. Die
Unschuldsvermutung gilt daher fort. Die Einstellung beruht
vielmehr auf einer vorläufigen Bewertung der
(hypothetischen) Schuld der Angeklagten vor dem Hintergrund
der bisherigen Ergebnisse der Beweisaufnahme, die nach
hiesiger Ansicht die Anklageschrift vom 10. Februar 2014
bestätigt hat.
Die Staatsanwaltschaft hat sich diese
Entscheidung nicht leicht gemacht, zumal sie die Anklage
nicht erhoben hat, um letztlich eine Einstellung des
Verfahrens herbeizuführen. Gleichwohl erachtet die
Staatsanwaltschaft im Ergebnis die durch das Landgericht
angeregte Einstellung des Verfahrens nach eingehender
Prüfung für vertretbar.
Dabei ist sich die
Staatsanwaltschaft bewusst, dass angesichts 21 Toter und
über 650, z.T. schwer verletzter und noch heute
traumatisierter Personen eine Einstellung des Verfahrens
gemäß §§ 153, 153a StPO gerade den Angehörigen der
Verstorbenen und den Verletzten – wenn überhaupt – nur
schwer zu vermitteln ist. Es soll dennoch der Versuch
unternommen werden, die Sicht der Staatsanwaltschaft zu
erklären.
Die Ursachen der Tragödie am 24.
Juli 2010, die Rolle der Angeklagten und die Möglichkeiten
einer Fortführung des Verfahrens Die
entscheidenden Ursachen des Unglücks liegen nach dem
bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme sowie der
überzeugenden Ergebnisse des vorläufigen Gutachtens des
Sachverständigen Prof. Dr. Gerlach in der fehlerhaften
Einschätzung der Eignung des Veranstaltungsraumes für eine
Veranstaltung dieser Größenordnung, der fehlenden
Eignung des Veranstaltungskonzeptes für die erwarteten und
eingetretenen Besucherzahlen sowie in einer
fehlerhaften Steuerung der Besucherströme am
Veranstaltungstag, nicht zuletzt aufgrund mangelnder
Kommunikation.
Die Staatsanwaltschaft geht – bei
vorläufiger Bewertung – ebenso wie das Gericht aufgrund der
Angaben der zwischenzeitlich vernommenen 59 Zeugen, der
Ausführungen von acht Sachverständigen, der zahlreichen in
Augenschein genommenen Videos und Fotos sowie Hunderter
verlesener Urkunden nach wie vor von einer – auch
strafrechtlich relevanten – Verantwortung der zehn
Angeklagten für die Tragödie am 24. Juli 2010 aus.
Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass noch zahlreiche
Beweismittel nicht erhoben worden sind. So setzt etwa eine
Verwertung des Sachverständigengutachtens von Prof. Dr.
Gerlach voraus, dass zuvor alle wesentlichen Anknüpfungs-
und Befundtatsachen des Gutachtens im Rahmen der
Hauptverhandlung prozessordnungsgemäß festgestellt worden
sind. Dazu wäre die Vernehmung des überwiegenden Teils der
in dem Sachverständigengutachten genannten etwa 575 weiteren
Zeugen erforderlich. Das für ein Sachurteil erforderliche
Beweisprogramm dürfte daher bis zu dem Eintritt der
absoluten Strafverfolgungsverjährung am 28. Juli 2020 – den
Tag genau zehn Jahre nach dem Tod des letzten verstorbenen
Opfers – auch bei größter Anstrengung und weiterhin
konstruktivem Einsatz aller Verfahrensbeteiligten nicht zu
absolvieren sein.
Vor diesem Hintergrund – der
voraussichtlichen Unmöglichkeit bis zum Eintritt der
Verjährung die Voraussetzungen für ein Sachurteil zu
schaffen – stellt sich die Frage einer möglichen
anderweitigen Erledigung des Verfahrens unter einem
besonderen Aspekt. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hat die
bisherige Beweisaufnahme zudem Ergebnisse erbracht, die
Aussagen zu den Ursachen der Tragödie erlauben.
Damit sind wir einem wichtigen Ziel dieses Strafprozesses,
nämlich der öffentlichen Aufklärung der Ursachen des
Unglücks, ein wesentliches Stück näher gekommen. Von einer
weiteren Beweisaufnahme dürfte demgegenüber nach hiesiger
Einschätzung nur noch ein begrenzter zusätzlicher
Erkenntnisgewinn zu erwarten sein.
Wesentliche Abwägungskriterien aus Sicht der
Staatsanwaltschaft angesichts des bisherigen
Ermittlungsergebnisses Die Tragödie hat 21
überwiegend jungen Menschen das Leben gekostet. Mindestens
650 weitere Besucher wurden verletzt. Viele von ihnen und
die Angehörigen der Verstorbenen leiden noch heute an den
traumatischen Folgen des Ereignisses und kämpfen täglich
damit. Gravierendere Folgen einer Tat kann man sich nur
schwer vorstellen.
Dem Unglück ging eine
mehrmonatige, intensive Planungsphase voraus. Die
Angeklagten verfügten dabei, wie die bisherige
Beweisaufnahme nahe legt, über ein Problembewusstsein
bezüglich mehrerer als kritisch erkannter Stellen,
namentlich der Situation vor den Vereinzelungsanlagen, im
Tunnel sowie der Gefahr von Rückstaus im Übergangsbereich
vom Kopf der Rampe Ost auf die Eventfläche. Dennoch
unterblieb letztlich die gebotene ganzheitliche Betrachtung
und Beurteilung der Veranstaltung, deren Planung insgesamt
deutlich unzureichend war. Das bisherige Ergebnis der
Beweisaufnahme legt überdies nahe, dass sich die städtischen
Angeklagten – aus Sicht der Staatsanwaltschaft zu Unrecht –
für die Gewährleistung sicherer Personenströme und die
Beurteilung von Kapazitätsfragen sowie den gesamten Bereich
zwischen den Vereinzelungsanlagen und der Eventfläche für
unzuständig erachteten und sich am Veranstaltungstag im
Einvernehmen mit dem angeklagten ehemaligen Beigeordneten
der Stadt Duisburg einer Mitwirkung vor Ort entzogen.
Alle Angeklagten haben sich intensiv – wenn auch
unzureichend – bemüht, die Veranstaltung aus ihrer Sicht
sicher zu gestalten. Keiner der Angeklagten handelte
gewissenlos oder aus ethisch verwerflichen Motiven. Weiter
ist zu ihren Gunsten zu berücksichtigen, dass es sich – nach
den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Gerlach – um
ein multikausales Geschehen handelte; nach seinen
Ausführungen und dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme
kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch das Verhalten
Dritter in der Planungs- und Ausführungsphase zu der
Tragödie beigetragen hat. Des Weiteren wirkt sich der lange
Zeitablauf seit der Tat und die angesichts der Komplexität
der Vorgänge entsprechend lange Verfahrensdauer von über 8 ½
Jahren zu Gunsten der Angeklagten aus. Alle Angeklagten sind
zudem bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten.
Für die angeklagten (z.T. ehemaligen) städtischen
Mitarbeiter gilt es zudem zu berücksichtigen, dass sie über
keine Erfahrungen mit vergleichbaren Großveranstaltungen
verfügten und lange Zeit aufgrund von Sicherheitsbedenken
erheblichen Widerstand gegen die Durchführung der
Veranstaltung leisteten, ohne dabei Unterstützung ihrer
Vorgesetzten oder Dritter zu erhalten. Zudem wurde seitens
einzelner Akteure aus dem städtischen Bereich sowie seitens
der Lopavent GmbH als Veranstalterin erheblicher Druck auf
die städtischen Mitarbeiter ausgeübt, die Veranstaltung zu
ermöglichen.
Hinsichtlich des angeklagten
Kreativdirektors der Lopavent GmbH hat die bisherige
Beweisaufnahme ergeben, dass er zwar in allgemeiner, aber
wenig konkreter Form in die sicherheitsrelevanten Planungen
eingebunden war. So kann ihm bislang lediglich die Teilnahme
an wenigen Planungsbesprechungen nachgewiesen werden. Zwar
hat auch er versucht, Druck auf die öffentliche Hand
auszuüben, letztlich dürfte angesichts der bisherigen
Feststellungen in der Hauptverhandlung seine Stellung indes
tatsächlich eher die eines Kreativdirektors als die eines
Vorgesetzten der übrigen angeklagten Mitarbeiter der
Lopavent GmbH gewesen sein.
Gründe für eine
abweichende Betrachtung hinsichtlich der übrigen Mitarbeiter
der Firma Lopavent Hinsichtlich der drei
maßgeblich an der Planung beteiligten Mitarbeiter der
Veranstalterin, dem Produktionsleiter, dem technischem
Leiter und dem Leiter Sicherheit der Lopavent GmbH, ist –
neben dem bereits von der Kammer zur Begründung ihres
differenzierenden Vorschlags hervorgehobenen Umstand ihrer
operativen Einbindung auch am Veranstaltungstag – aus
hiesiger Sicht zu berücksichtigen, dass sie über größerer
Erfahrungen und Kenntnisse in der Planung und Organisation
von Großveranstaltungen sowie der Führung von
Personenströmen verfügten. Sie trugen die planerische
Verantwortung für die grundlegende Fehlkonstruktion des
Einlassbereiches sowie die unterbliebenen bzw. fehlerhaften
Kapazitätsberechnungen und den in der Folge zu geringen
Ordnereinsatz. Des Weiteren haben sie nach dem bisherigen
Ergebnis der Beweisaufnahme am Tag der Veranstaltung
gravierende Abweichungen von der genehmigten Planung, u.a.
im Bereich der Vereinzelungsanlagen, vorgenommen.
Fazit Fasst man die bisherigen
Ausführungen zusammen, gebieten spezialpräventive Erwägungen
hinsichtlich keines der Angeklagten eine Fortführung der
Hauptverhandlung. Eine erneute Straffälligkeit der
Angeklagten ist nicht zu erwarten. Darüber hinaus ist es
aufgrund der tragischen Ereignisse und der nachfolgenden
strafrechtlichen Aufarbeitung, wie zahlreiche Zeugen
bekundet haben, bereits jetzt zu einer deutlichen
Verschärfung der bei Großveranstaltungen einzuhaltenden
Anforderungen und einer Intensivierung der Prüfungsdichte
gekommen.
Die Würdigung des Verhaltens der
angeklagten (ehemaligen) städtischen Mitarbeiter sowie des
angeklagten Kreativdirektors der Lopavent GmbH durch die
Staatsanwaltschaft lässt im Ergebnis die seitens der Kammer
getroffene vorläufige Bewertung einer (noch) geringen
(hypothetischen) Schuld und die Verneinung eines
fortbestehenden öffentlichen Interesses an der
Strafverfolgung als vertretbar erscheinen.
Demgegenüber liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 153
Abs. 2 StPO hinsichtlich der übrigen drei Angeklagten nach
Auffassung der Staatsanwaltschaft aufgrund ihrer
herausgehobenen Stellung während der Planungs- und
Ausführungsphase nicht vor. Vertretbar erscheint allerdings
eine Verfahrenseinstellung gemäß § 153a Abs. 2 StPO gegen
Auflagen in angemessener Höhe.
Die
gesetzliche Voraussetzungen der §§ 153, 153a StPO
Die (hypothetische) Schuld ist gering im Sinne des § 153
StPO, wenn sie im Vergleich mit Vergehen gleicher Art nicht
unerheblich unter dem Durchschnitt liegt. Ein der
Einstellung gemäß § 153 StPO entgegenstehendes öffentliches
Interesse kann sich sowohl aus spezialpräventiven als auch
aus generalpräventiven Gründen ergeben. Spezialpräventiv
lässt sich das öffentliche Interesse begründen, wenn ohne
eine strafrechtliche Sanktion weitere Straftaten der
Angeklagten zu befürchten wären. Auf generalpräventive
Erwägungen lässt sich das öffentliche Interesse stützen,
wenn das reaktionslose Hinnehmen der Tat die Rechtstreue der
Allgemeinheit beeinträchtigen würde. Eine Einstellung
des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldauflagegemäß § 153a
StPO setzt voraus, dass ein hinreichender Verdacht der
Begehung einer Straftat besteht. Zudem darf die Schwere der
(hypothetischen) Schuld der Einstellung nicht
entgegenstehen. Das bedeutet, dass § 153a StPO grundsätzlich
in Fällen der „mittleren Kriminalität“ und bei höchstens
mittlerer Schuld in Betracht kommt. Die eingetretene Störung
des Rechtsfriedens muss durch die Annahme der Sanktion
beseitigt werden können. Der Begriff des öffentlichen
Interesses im Sinne von §§ 153, 153a StPO kann nicht mit
„öffentlicher Interessiertheit“ oder dem Willen einzelner
Verfahrensbeteiligter, ein Verfahren fortzuführen,
gleichgesetzt werden.
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