Duisburg, 04. Mai 2020 -
Loveparade-Strafverfahren eingestellt Landgericht
Duisburg erläutert seine Erkenntnisse über die Ursachen der
Katastrophe in einem Gerichtstermin
Die 6. Große
Strafkammer des Landgerichts Duisburg hat das Verfahren
gegen die drei verbliebenen Angeklagten im
Loveparade-Strafverfahren mit Zustimmung der Angeklagten und
der Staatsanwaltschaft eingestellt. Mit diesem Beschluss
endet das Strafverfahren. Das Gericht hat den
Verfahrensbeteiligten, insbesondere den Nebenklägern, die im
Verfahren gewonnenen Erkenntnisse über die Gründe für das
Unglück in einem Termin erläutert. In der Regel werden
Einstellungsbeschlüsse nicht begründet. Den Richtern war es
aber ein besonderes Anliegen, gerade für die Verletzten und
Hinterbliebenen Aufklärungsarbeit zu leisten, die über die
den Strafprozess bestimmende Frage nach der Schuld der
Angeklagten hinausweist. Deshalb haben sie detailliert
geschildert, was sich nach ihren Erkenntnissen von den
Anfängen der Planung bis zum Ende des Unglückstages
zugetragen haben könnte.
Dabei stützen sich die
Richter auf die Beweisaufnahme und den Inhalt der Akten.
Namentlich haben sie das schriftliche Gutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. Gerlach vollumfänglich
berücksichtigt.
Als wesentliche
zusammenwirkende Ursachen für die Katastrophe haben
sie benannt: - Einen Veranstaltungsort, der für das
Veranstalterkonzept und die erwarteten und auch die
tatsächlichen Besuchermengen nicht geeignet war, -
Zugangsanlagen, die für die erwartete Besucheranzahl zu
geringe Kapazität hatten, - zu wenig Fläche zwischen dem
Zugang (über die Rampe Ost) auf das Gelände und der Fläche,
auf der die Musikwagen fuhren, - die unkoordinierte
Steuerung der Personenströme, - die massiven Störungen
in der Kommunikation, die notwendige Absprachen teilweise
unmöglich machten, - die fehlende Abstimmung von
Maßnahmen wegen des Rückstaus vor den Zugangsbereichen sowie
zwischen dem Zugang auf das Gelände und der Fläche mit den
Musikwagen, - organisatorische Entscheidungen am
Veranstaltungstag entgegen vorheriger Absprachen, - die
Errichtung der (dritten) Polizeikette auf der Rampe Ost, die
die Drucksituation auf der Rampe verstärkt hat, - das
nicht abgestimmte Öffnen der Zugangsanlagen trotz
angeordneter Schließung, - das Öffnen der Zaunelemente
an der Zugangsanlage West um 16:31 Uhr.
Nach den
Ausführungen des Gerichts hätte das Unglück auch am
Veranstaltungstag noch durch eine Reihe von Maßnahmen
verhindert oder zumindest in den Folgen abgemildert werden
können, so etwa durch - eine zwischen dem
Veranstalter und der Polizei abgestimmte Steuerung der
Personenströme und/oder - koordinierte Maßnahmen wie
zeitweilige Schließungen der Vorsperren oder der
Zugangsanlagen und/oder - den verstärkten Einsatz von
Ordnern, um Personen von der Rampe weg zu leiten und auf das
eigentliche Veranstaltungsgelände zu führen und/oder -
ein vorübergehendes Anhalten der Musikwagen auf der
Parade-strecke, um besseren Personenfluss auf das Gelände zu
ermöglichen und/oder - den Abbruch des Besucherzuflusses
auf das Gelände und/oder - den Abbruch des
Besucherzuflusses in die Stadt Duisburg insgesamt (Stopp des
Bahnverkehrs).
Nach den Ausführungen der Richter
dürfte das Zusammenwirken einer Vielzahl von Umständen dazu
geführt haben, dass es zu dem Gedränge mit dem tödlichen
Verlauf gekommen ist.
Unter Gesamtwürdigung dieser
Erkenntnisse und aller Umstände der Katastrophe kommt das
Gericht trotz der schwerwiegenden Folgen der Tat zu
dem Schluss, dass die (mögliche) individuelle Schuld der
Angeklagten an der Katastrophe zum jetzigen Zeitpunkt als
gering anzusehen sei. Deshalb soll das Verfahren
gegen sie nicht weitergeführt werden.
Nach
Einschätzung der Richter wäre für den möglichen Fall einer
Verurteilung Folgendes zu berücksichtigen: Die
Handlungen der Angeklagten haben die schrecklichen
Geschehnisse nicht allein, sondern erst im
Zusammenwirken mit einer Vielzahl anderer Umstände
möglich gemacht.
Aus der Beweisaufnahme ist
ersichtlich, dass die Angeklagten sich in der Planungsphase
darum bemühten, eine für die Besucher sichere Veranstaltung
zu organisieren. Auch ist zu berücksichtigen, dass die
Angeklagten seit fast 10 Jahren einem Strafverfahren
ausgesetzt sind, das besonders großes mediales Interesse
hervorgerufen hat.
Zudem mussten sie sich an 183
Verhandlungstagen einer öffentlichen Hauptverhandlung
stellen. Das ganze Verfahren war vor allem für die
Nebenkläger mit besonderen psychischen Belastungen
verbunden. Aber auch die Angeklagten waren durch die lange
Verfahrensdauer Belastungen ausgesetzt. Aus diesen Gründen
hält es das Gericht für geboten, das Verfahren nach § 153
StPO einzustellen.
Beschluss des Gerichts vom 04.05.2020 Der
Beschluss der 6. Großen Strafkammer des Landgerichts
Duisburg zur Einstellung des Loveparade-Strafverfahrens hat
– in anonymisierter Form – den nachfolgenden Wortlaut:
„Beschluss" Das Verfahren gegen die Angeklagten T2,
T3 und X1 wird gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Die
Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der
Angeklagten trägt die Staatskasse. (44 Seiten Begründung
unter dem obigen Link)
Das
Loveparade-Strafverfahren in Zahlen Zahlen, Daten und
Fakten zum Loveparade-Strafverfahren
Das Loveparade-Strafverfahren ist mit dem Beschluss der
6. Großen Strafkammer vom 04.05.2020 beendet. Der
Beschluss bildet das Ende einer Hauptverhandlung, die am
08.12.2017 begonnen hatte und an insgesamt 183
Hauptverhandlungstagen geführt wurde. Das Gericht hat in der
Hauptverhandlung neben einer Reihe von Sachverständigen
insgesamt 116 Zeugen vernommen, vor allem Verletzte,
Mitarbeiter der Stadt Duisburg, des Veranstalters der
Loveparade, der Polizei und der Feuerwehr.
Dabei
stand den Richtern umfangreiches Aktenmaterial zur
Verfügung. Allein die Hauptakte hatte am Schluss einen
Umfang von mehr als 60.000 Seiten. Hinzu kommen mehr als
1.000 Aktenordner mit ergänzendem Aktenmaterial und knapp
1.000 Stunden an Videomaterial.
An der
Hauptverhandlung haben zu Beginn 10 Angeklagte teilgenommen,
die von 32 Rechtsanwälten verteidigt wurden, sowie mehr als
60 Nebenkläger mit 37 Nebenklageanwälten. Auf Seiten des
Gerichts waren neben dem Vorsitzenden Richter Mario Plein
zwei beisitzende Richter und drei (ab Januar 2019 noch zwei)
Ergänzungsrichter und neben den beiden Schöffen weitere fünf
Ergänzungsschöffen an jedem Verhandlungstag anwesend. Drei
Staatsanwälte haben in der Regel die Anklage vertreten.
Für die Verhandlung hat die Messe Düsseldorf das
Congress Centrum Düsseldorf Ost (CCD Ost) in einen mobilen
Gerichtssaal mit modernster Technik umgebaut sowie Technik-
und Servicepersonal, Sanitäter und Brandwachen zur Verfügung
gestellt. Die durchschnittlichen Kosten für die
Räumlichkeiten und das Personal haben sich anfänglich auf
ca. 29.000 EUR pro Verhandlungstag belaufen und ab Juni 2018
auf ca. 26.000 EUR reduziert. Seit Mai 2019 betrug die
Saalmiete einschließlich Zusatzkosten durchschnittlich
22.000 EUR pro Verhandlungstag. Das beruht darauf, dass mit
der Zeit die Kosten für externes Sicherheitspersonal,
Technik, Sanitäter oder Brandwachen reduziert werden
konnten.
Die Gesamtkosten des Verfahrens
lassen sich derzeit noch nicht exakt beziffern.
Zu diesen Kosten zählen die Entschädigungen für die 116
vernommenen Zeugen sowie sämtliche Sachverständigen, aber
auch die Gebühren der Verteidiger und nahezu aller
Nebenklagevertreter. Diese Kosten werden erst in einem
späteren Verfahren – dem Kostenfestsetzungsverfahren –
bestimmt.
Die Landesregierung hat zugesagt, eine
Kostenübernahme im Wege der Opferentschädigung für
diejenigen Nebenkläger zu prüfen, die nach dem Gesetz ihre
Kosten selber tragen müssen. Aktenzeichen: Landgericht
Duisburg, 36 KLs 10/17
Staatsanwaltschaft-Statement zu der Einstellung
des Verfahrens Das Landgericht Duisburg hat heute
das Verfahren gegen die drei verbliebenen Angeklagten nach §
153 Abs. 2 der Strafprozessordnung mit Zustimmung der
Staatsanwaltschaft und der Verteidigung eingestellt. Wir
sind uns bewusst, dass diese Entscheidung den Verletzten und
den Angehörigen der Verstorbenen angesichts der schweren
Folgen der Katastrophe und des damit verbundenen Leids –
wenn überhaupt – nur schwer zu vermitteln ist. Uns ist
diese Entscheidung nicht leicht gefallen.
Auch die
Staatsanwaltschaft hatte ursprünglich eine andere
Vorstellung vom Ausgang des Prozesses. Sie erhebt die
Anklage grundsätzlich nicht, um das Verfahren dann im Rahmen
der Hauptverhandlung einzustellen. Deshalb empfinden auch
wir die Einstellung des Verfahrens als unbefriedigend, sind
aber zugleich davon überzeugt, dass diese Entscheidung
nunmehr sachgerecht ist.
Der Prozess ist aus unserer
Sicht nicht gescheitert oder mangels Verurteilung der
Angeklagten umsonst gewesen. Denn ein wesentliches Ziel
des Strafprozesses, nämlich die öffentliche Aufklärung der
Tatbeiträge der Angeklagten sowie der Ursachen des Unglücks
und damit die Antwort auf die nur allzu berechtigte Frage
der Angehörigen und Verletzten, warum ihre Nächsten
gestorben beziehungsweise warum sie verletzt worden sind,
ist erreicht worden. Hierzu wird der umfangreich begründete
Beschluss des Landgerichts vom heutigen Tage beitragen
können.
Die Fortführung des Verfahrens zum Zwecke
der Anhörung des Sachverständigen in der Hauptverhandlung
verspricht keinen erheblichen weiteren Erkenntnisgewinn, der
das Eingehen der mit der Corona-Pandemie einhergehenden
Gesundheitsrisiken für alle Verfahrensbeteiligten
rechtfertigen könnte. Das gilt insbesondere, weil der
Sachverständige auf Frage des Gerichts mitgeteilt hat, dass
er im Wesentlichen an dem Gesamtergebnis seines vorläufigen
schriftlichen Gutachtens festhält. Die Erkenntnisse aus dem
Gutachten sind auch ohne mündliche Erörterung in der
Hauptverhandlung sowohl durch die Staatsanwaltschaft als
auch durch das Gericht bei der Entscheidungsfindung
berücksichtigt worden.
Zudem steht nunmehr sicher
fest, dass das für ein Urteil erforderliche Beweisprogramm
bis zum Eintritt der absoluten Strafverfolgungsverjährung
Ende Juli jedenfalls hinsichtlich des gravierendsten
Vorwurfs der fahrlässigen Tötung nicht zu absolvieren ist.
Zwar ist es möglich, dass die ebenfalls angeklagten
fahrlässigen Körperverletzungen zu einem späteren Zeitpunkt
verjähren. Jede weitere Aufklärung des Sachverhalts in
dieser Hinsicht wäre aber mit einer deutlichen Verlängerung
des Verfahrens verbunden. Zudem wäre auch der Ausgang des
Verfahrens ungewiss, da nicht absehbar ist, inwieweit diese
Aufklärung überhaupt gelingen würde.
Bei
Würdigung dieser Gesamtumstände ist die Fortführung des
Prozesses aufgrund der derzeit bestehenden Gefährdungslage
und mit Blick auf die Strafe, die die Angeklagten im Falle
einer Verurteilung wegen des weniger gravierenden Vorwurfs
der fahrlässigen Körperverletzung noch zu erwarten hätten,
nicht mehr verhältnismäßig.
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