Karlsruhr, Urteil vom 17. März 2022 – III
ZR 79/21 Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
heute über die Frage entschieden, ob der Staat für
Einnahmeausfälle haftet, die durch flächendeckende
vorübergehende Betriebsschließungen oder
Betriebsbeschränkungen auf Grund von staatlichen Maßnahmen
zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 und der dadurch
verursachten COVID-19-Krankheit entstanden sind.
Sachverhalt: Der Kläger ist Inhaber
eines Hotel- und Gastronomiebetriebs. Am 22. März 2020 erließ
das beklagte Land Brandenburg eine
Corona-Eindämmungsverordnung, wonach Gaststätten für den
Publikumsverkehr zu schließen waren und den Betreibern von
Beherbergungsstätten untersagt wurde, Personen zu
touristischen Zwecken zu beherbergen.
Der
Betrieb des Klägers war in dem Zeitraum vom 23. März bis zum
7. April 2020 für den Publikumsverkehr geschlossen, ohne dass
die COVID-19-Krankheit zuvor dort aufgetreten war. Der Kläger
erkrankte auch nicht. Während der Zeit der Schließung seiner
Gaststätte bot er Speisen und Getränke im Außerhausverkauf
an. Im Rahmen eines staatlichen Soforthilfeprogramms zahlte
die Investitionsbank Brandenburg 60.000 € als
Corona-Soforthilfe an ihn aus.
Der Kläger hat geltend
gemacht, es sei verfassungsrechtlich geboten, ihn und andere
Unternehmer für die durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der
COVID-19-Pandemie erlittenen Umsatz- und Gewinneinbußen zu
entschädigen.
Prozessverlauf:
Das Landgericht hat die auf Zahlung von 27.017,28 €
(Verdienstausfall, nicht gedeckte Betriebskosten,
Arbeitgeberbeiträge zur Kranken-, Renten- und
Pflegeversicherung) nebst Prozesszinsen sowie auf
Feststellung der Ersatzplicht des Beklagten für alle weiteren
entstandenen Schäden gerichtete Klage abgewiesen. Die
Berufung des Klägers ist vor dem Oberlandesgericht erfolglos
geblieben.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der III. Zivilsenat hat die Revision des Klägers
zurückgewiesen.
Die
Entschädigungsvorschriften des Infektionsschutzgesetzes
(IfSG) gewähren Gewerbetreibenden, die im Rahmen der
Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als
infektionsschutzrechtliche Nichtstörer durch eine auf § 28
Abs. 1 IfSG gestützte flächendeckende Schutzmaßnahme,
insbesondere eine Betriebsschließung oder
Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten
haben, weder in unmittelbarer noch in entsprechender
Anwendung einen Anspruch auf Entschädigung. § 56 Abs. 1 IfSG
ist von vornherein nicht einschlägig, weil die hier im
Verordnungswege nach § 32 IfSG angeordneten Verbote gegenüber
einer unbestimmten Vielzahl von Personen ergangen sind und
der Kläger nicht gezielt personenbezogen als
infektionsschutzrechtlicher Störer in Anspruch genommen
wurde. Ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung
ergibt sich auch nicht aus § 65 Abs. 1 IfSG. Nach ihrem
eindeutigen Wortlaut ist die Vorschrift nur bei Maßnahmen zur
Verhütung übertragbarer Krankheiten einschlägig. Im
vorliegenden Fall dienten die Corona-Eindämmungsverordnung
vom 22. März 2020 sowie die Folgeverordnungen vom 17. April
2020 und 24. April 2020 jedoch der Bekämpfung der
COVID-19-Krankheit. Diese hatte sich bereits zum Zeitpunkt
des Erlasses der Verordnung vom 22. März 2020 deutschlandweit
ausgebreitet. § 65 Abs. 1 IfSG kann auch nicht erweiternd
dahingehend ausgelegt werden, dass der Anwendungsbereich der
Norm auf Bekämpfungsmaßnahmen, die zugleich eine die
Ausbreitung der Krankheit verhütende Wirkung haben, erstreckt
wird.
Eine verfassungskonforme Auslegung der beiden
Regeln dahingehend, dass auch in der vorliegenden
Fallgestaltung eine Entschädigung zu gewähren ist, wie es in
einem gestern veröffentlichten Beschluss einer Kammer des
Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 10. Februar 2022 – 1
BvR 1073/21) kursorisch in Erwägung gezogen wurde, scheidet
aus. Die verfassungskonforme Auslegung einer Norm setzt
voraus, dass mehrere Deutungen möglich sind. Sie findet ihre
Grenze an dem klaren Wortlaut der Bestimmung und darf nicht
im Widerspruch zu dem eindeutig erkennbaren Willen des
Gesetzes stehen. Der Wortlaut von § 56 und § 65 IfSchG ist
klar und lässt eine ausdehnende Auslegung nicht zu. Zudem
würde der eindeutige Wille des Gesetzgebers konterkariert,
nur ausnahmsweise aus Gründen der Billigkeit eine
Entschädigung für Störer im infektionsschutzrechtlichen Sinn
vorzusehen.
Der Kläger kann den geltend gemachten
Entschädigungsanspruch auch nicht auf eine analoge Anwendung
von § 56 Abs. 1 oder § 65 Abs. 1 IfSG stützen. Es fehlt
bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Den
infektionsschutzrechtlichen Entschädigungstatbeständen liegt,
was sich insbesondere aus ihrer Entstehungsgeschichte und der
Gesetzgebungstätigkeit während der Corona-Pandemie ergibt,
die abschließende gesetzgeberische Entscheidung zugrunde,
Entschädigungen auf wenige Fälle punktuell zu begrenzen und
Erweiterungen ausdrücklich ins Gesetz aufzunehmen ("Konzept
einer punktuellen Entschädigungsgewährung"). Darüber hinaus
fehlt es auch an der Vergleichbarkeit der Interessenlage
zwischen den Entschädigungsregelungen nach §§ 56, 65 IfSG und
flächendeckenden Betriebsschließungen, die auf gegenüber der
Allgemeinheit getroffenen Schutzmaßnahmen beruhen.
Das Berufungsgericht hat einen Entschädigungsanspruch aus §
38 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. § 18 des Ordnungsbehördengesetzes
für das Land Brandenburg zu Recht abgelehnt. Als
spezialgesetzliche Vorschriften der Gefahrenabwehr haben die
Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes Anwendungsvorrang
und entfalten eine Sperrwirkung gegenüber den Regelungen des
allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts.
Ansprüche
aus dem richterrechtlich entwickelten Haftungsinstitut des
enteignenden Eingriffs scheitern daran, dass das den §§ 56,
65 IfSG zugrundeliegende und gesetzgeberisch als abschließend
gedachte Konzept einer punktuellen Entschädigung im Bereich
der Eigentumseingriffe nicht durch die Gewährung
richterrechtlicher Ansprüche unterlaufen werden darf.
Unabhängig davon ist der Anwendungsbereich des Rechtinstituts
des enteignenden Eingriffs nicht eröffnet, wenn es darum
geht, im Rahmen einer Pandemie durch flächendeckende
infektionsschutzrechtliche Maßnahmen, die als Inhalts- und
Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG
anzusehen sind, verursachte Schäden auszugleichen. Es stünde
– wie der Senat wertungsmäßig vergleichbar bereits in dem
Waldschädenurteil vom 10. Dezember 1987 (III ZR 220/86, BGHZ
102, 350, 361 ff) ausgesprochen hat – in einem offenen
Widerspruch zum Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der
Entschädigung, wenn die Gerichte – gestützt auf das
richterrechtliche Institut des enteignenden Eingriffs – im
Zusammenhang mit einer Pandemiebekämpfung im
Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG massenhafte
und großvolumige Entschädigungen zuerkennen würden.
Ebenso wenig kann dem Kläger unter dem rechtlichen
Gesichtspunkt der sogenannten ausgleichspflichtigen
Inhaltsbestimmung des Eigentums eine Entschädigung zuerkannt
werden. Es erscheint dem Senat bereits sehr zweifelhaft, ob
dieses Rechtsinstitut, das bislang vor allem auf Härtefälle
bei unzumutbaren Belastungen einzelner Eigentümer angewandt
worden ist, geeignet ist, auf Pandemielagen sachgerecht im
Sinne einer gerechten Lastenverteilung zu reagieren.
Jedenfalls wäre es im Hinblick auf den Grundsatz der
Gesetzmäßigkeit der Entschädigung nicht zulässig, dem Kläger
vorliegend einen Ausgleichsanspruch kraft Richterrechts unter
dem Gesichtspunkt der ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung
zu gewähren.
Hilfeleistungen für von einer Pandemie
schwer getroffene Wirtschaftsbereiche sind keine Aufgabe der
Staatshaftung. Vielmehr folgt aus dem Sozialstaatsprinzip
(Art. 20 Abs. 1 GG), dass die staatliche Gemeinschaft Lasten
mitträgt, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden
Schicksal entstanden sind und nur zufällig einen bestimmten
Personenkreis treffen. Hieraus folgt zunächst nur die Pflicht
zu einem innerstaatlichen Ausgleich, dessen nähere Gestaltung
weitgehend dem Gesetzgeber überlassen ist. Erst eine solche
gesetzliche Regelung kann konkrete Ausgleichsansprüche der
einzelnen Geschädigten begründen. Dieser sozialstaatlichen
Verpflichtung kann der Staat zum Beispiel dadurch nachkommen,
dass er – wie im Fall der COVID-19-Pandemie geschehen –
haushaltsrechtlich durch die Parlamente abgesicherte
Ad-hoc-Hilfsprogramme auflegt ("Corona-Hilfen"), die die
gebotene Beweglichkeit aufweisen und eine lageangemessene
Reaktion zum Beispiel durch kurzfristige existenzsichernde
Unterstützungszahlungen an betroffene Unternehmen erlauben.
Ansprüche aus Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB
i.V.m. Art. 34 GG) und enteignungsgleichem Eingriff sowie
nach § 1 Abs. 1 des Staatshaftungsgesetzes des Landes
Bandenburg hat das Berufungsgericht zu Recht abgelehnt. Die
Corona-Eindämmungsverordnung vom 22. März 2020 und die
Folgeverordnungen vom 17. und 24. April 2020 waren als solche
rechtmäßig. Die getroffenen Schutzmaßnahmen, insbesondere die
angeordneten Betriebsschließungen, waren erforderlich, um die
weitere Ausbreitung der COVID-19-Krankheit zu verhindern.
Dies wurde von der Revision auch nicht in Frage gestellt.
Vorinstanzen: Landgericht Potsdam -
Urteil vom 24. Februar 2021 – 4 O 146/20
Brandenburgisches Oberlandesgericht - Urteil vom 1. Juni 2021
– 2 U 13/21
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
Art. 14 GG – Eigentum, Erbrecht und Enteignung 1Das
Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. 2Inhalt und
Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
§ 28
IfSG - Schutzmaßnahmen (1) 1Werden Kranke,
Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder
Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein
Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider
war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen
Schutzmaßnahmen, insbesondere die in § 28a und in den §§ 29
bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der
Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie
kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie
sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu
verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte
nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.
2Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige
Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von
Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in
§ 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon
schließen.
§ 32 IfSG – Erlass von Rechtsverordnungen
1Die Landesregierungen werden ermächtigt, unter den
Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28, 28a und 29
bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen
entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer
Krankheiten zu erlassen. 2Die Landesregierungen können die
Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen
übertragen.
§ 56 IfSG – Entschädigung (1) 1Wer
auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider,
Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als
sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31
Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen
Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch
einen Verdienstausfall erleidet, erhält eine Entschädigung in
Geld.
§ 65 IfSG – Entschädigung bei behördlichen
Maßnahmen (1) 1Soweit auf Grund einer Maßnahme nach den
§§ 16 und 17 Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in
sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein
anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht
wird, ist eine Entschädigung in Geld zu leisten; eine
Entschädigung erhält jedoch nicht derjenige, dessen
Gegenstände mit Krankheitserregern oder mit
Gesundheitsschädlingen als vermutlichen Überträgern solcher
Krankheitserreger behaftet oder dessen verdächtig sind. 2§
254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist entsprechend anzuwenden.
§ 18 Ordnungsbehördengesetz des Landes Brandenburg –
Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Personen (1)
Die Ordnungsbehörde kann Maßnahmen gegen andere Personen als
die nach den §§ 16 oder 17 Verantwortlichen richten, wenn
1. eine gegenwärtige erhebliche Gefahr abzuwehren ist,
2. Maßnahmen gegen die nach den §§ 16 oder 17
Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind
oder keinen Erfolg versprechen, 3. die
Ordnungsbehörde die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig
selbst oder durch Beauftragte abwehren kann und 4. die
Personen ohne erhebliche eigene Gefährdung und ohne
Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen
werden können.
§ 38 Ordnungsbehördengesetz des Landes
Brandenburg – Zur Entschädigung verpflichtende Maßnahmen
(1) Ein Schaden, den jemand durch Maßnahmen der
Ordnungsbehörden erleidet, ist zu ersetzen, wenn er
a) infolge einer Inanspruchnahme nach § 18 oder b)
durch rechtswidrige Maßnahmen, gleichgültig, ob die
Ordnungsbehörden ein Verschulden trifft oder nicht,
entstanden ist.
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