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Der Gentest
Raniero Spahn

Duisburg, April 2015 - Die fünfzehnjährige Tochter kam leicht aufgeregt von der Schule nach hause. Sie traf ihren Vater an; die Mutter musste jeden Moment von den Besorgungen für das leibliche Wohl ihrer Familie zurückkehren.
»Papa, kannst du mir sagen, welche Blutgruppe du hast?«
»Blutgruppe? Meine Blutgruppe? Warum willst du das denn wissen?«
»Ja, weißt du, wir nehmen in der Schule gerade die Vererbungslehre nach den Mendelschen Gesetzen durch. Wenn ich zum Beispiel deine Blutgruppe nehme, kann ich sie mit meiner, die ich aus meinem Impfausweis kenne, vergleichen; und so kann ich feststellen, ob du mein wirklicher Vater bist, ich meine, mein biologischer Vater.«
Der Vater fiel aus allen Wolken.
»Wie bitte? Dein wirklicher Vater? Wie kommst du denn darauf? Wer hat euch denn solch einen Schwachsinn erzählt?«
»Ich meine ja nur«, kicherte die Tochter, »rein hypothetisch könnte es ja sein, dass du nicht mein Vater bist. Und das lässt sich mit dem Vergleich unserer beiden Blutgruppen feststellen.«
»Verdammt noch mal«, erhitzte sich der Vater, »was soll denn dieser Quatsch, wieso glaubst du mir nicht, dass ich dein Vater bin? Außerdem kannst du ja die Mama fragen, die war schließlich dabei und muss es wissen!«
»Papa, was regst du dich denn so auf, ich möchte doch nur deine Blutgruppe wissen; nicht aus Misstrauen, sondern nur zum Vergleich.«
»Na gut«, seufzte der geplagte Vater, »meinetwegen. Meine Blutgruppe? Moment mal. Ach ja, Null negativ. Jawohl. Das weiß ich genau, aus dem Gedächtnis, weil diese Blutgruppe relativ selten vorkommt. Nun aber Schluss mit dem Unsinn. Gleich kommt Mama nach hause. Wenn sie uns so reden hört, wird sie denken, wir hätten den Verstand verloren!«

Am Nachmittag warf der Vater einen Blick in das Zimmer seiner Tochter. Sie machte ihre Hausaufgaben für die Schule, eifriger als sonst, wie ihm schien.
»Na, Kind, hast du nun festgestellt, ob ich dein Vater bin?«
»Ja, Papa, ich habe unsere Blutgruppen verglichen und mathematisch hochgerechnet, und danach sieht es in der Tat so aus, als ob du wirklich mein Vater bist.«
»Es sieht so aus!« erwiderte der Vater perplex, »Was heißt das nun schon wieder? Bin ich jetzt dein Vater oder nicht?«
»Ja, Papa, das soll heißen, dass du mit hoher Wahrscheinlichkeit mein Vater bist. Mehr kann ich aus den Berechnungen leider nicht ableiten.«
»Mit hoher Wahrscheinlichkeit?« stammelte der Vater, »Aber Kind, ich bin dein Papa, und das nicht nur mit hoher Wahrscheinlichkeit, sondern hundertprozentig!«
»Ja, Papa, das glaube ich dir ja. Nur, eben, meine Berechnungen lassen keine genaueren Schlüsse zu. Aber trotzdem, Papa, ich hab dich auch so lieb.«
Der Vater verließ das Zimmer der Tochter, mit weichen Knien und feuchten Augen. Seiner Frau gegenüber erwähnte er nichts von diesem Gespräch mit ›seiner‹ Tochter.

Mitten in der folgenden Nacht schreckte der Vater auf, schweißgebadet, aus einem furchtbaren Traum. Er konnte sich nicht mehr ganz genau erinnern an diesen Traum, aber er hörte noch die grausamen Worte, von hässlichen unmenschlichen Stimmen herausgeschleudert, wie aus einem fernen Nebel drangen sie an sein Ohr.
»Mit hoher Wahrscheinlichkeit bist du der Vater einer Tochter, aber sicher bist du nicht, und du wirst es niemals sein!«
Seine Frau, die Mutter seiner Tochter, lag in tiefem Schlaf an seiner Seite; er hörte ihre regelmäßigen Atemzüge.
»Sie hat keine solchen Sorgen und Ängste, wie ich«, dachte er verzweifelt, »sie weiß es genau, hundertprozentig. Ob ich sie morgen frage, zur Rede stelle?«
Er verwarf diesen Gedanken sofort.
»Wenn ich sie das frage, wenn ich ihr mit diesem Misstrauen, dieser Unterstellung komme, bin ich übermorgen ein geschiedener Mann! Nein, es muss andere Wege geben.«
Schlaflos wälzte er sich im Bett, von einer Seite zur anderen, für den Rest der Nacht.

Am nächsten Morgen, nach dieser qualvollen Nacht, durchzuckte ihn ein Geistesblitz.
»Es muss doch möglich sein«, dachte er, »mit der heutigen medizinischen Technik, mit den Möglichkeiten dieser modernen Zeit, ohne großen Aufwand und ohne dass es meine Tochter und vor allem meine Frau merken, festzustellen, ob ich tatsächlich der Vater meines Kindes bin. Man sieht doch so etwas täglich im Fernsehen.«

Mit kalter Entschlossenheit begab er sich ins Bad und schloss sich dort ein. Wo war noch die Haarbürste seiner Tochter? Vorsichtig entfernte er ein Haar aus der Bürste, steckte es in ein Papiertuch und faltete das Tuch zusammen. Anschließend ritzte er sich mit der Rasierklinge einen kleinen Schnitt in den Daumen und fing einen Tropfen Blut auf, in einer kleinen Plastikdose. Er wollte wieder ruhig schlafen können und daher hatte er die Absicht, einen Gentest machen zu lassen, mit diesem Haar und mit diesem Blut, um zu erfahren, ob seine Tochter von seinem Blute stammt.

Durch einen befreundeten Arzt, der es sich verkniff, weitere Fragen zu stellen, erhielt er problemlos den Zugang zu dieser Untersuchung.
»Das kostet ein wenig«, sagte der Freund, »und es dauert ungefähr eine Woche.«
»Das macht nichts. In diesem Falle scheue ich weder Kosten noch Mühen.«
Der befreundete Arzt schmunzelte verständnisvoll.

Diese Woche erschien ihm als die längste seines Lebens. In der Familie hingegen, bei Frau und Tochter, verlief das Leben wie immer, in normalen Bahnen. Die Tochter hatte die Episode mit der Vererbungslehre bereits vergessen und beschäftigte sich mit anderen Dingen.

Der Tag der Entscheidung, der Gewissheit, war gekommen. Der Freund begrüßte ihn mit ernstem Gesicht.
»Die Proben, die du mir zur Verfügung gestellt hast, lassen eindeutig den Schluss zu, ohne Zweifel, dass sie von zwei verschiedenen Menschen stammen, von zwei Menschen, die keinerlei familiäre Bande haben.«
Der Vater war einer Ohnmacht nahe.
»Es gibt absolut keine Zweifel?« hauchte er mit ersterbender Stimme, »Irrtum ausgeschlossen?«
»Irrtum ausgeschlossen«, bestätigte der Arzt, sein Freund, und verschrieb ihm ein sehr starkes Beruhigungsmittel.

Zuhause angekommen, mit unsäglicher Mühe, versuchte er, so gut es ging, seinen Gemütszustand, seine maßlose Verwirrung und Enttäuschung, vor Frau und Tochter zu verbergen. Schnell jedoch bemerkte seine Frau, dass ihn etwas Furchtbares quälte; ihr war auch nicht entgangen, dass ihm schon die ganze letzte Woche etwas Außergewöhnliches zu schaffen machte. Sie wollte ihn jedoch nicht drängen, sondern warten, bis er sich selbst öffnete oder sich eine Gelegenheit zum klärenden Gespräch ergäbe.

Nach längerem Zögern endlich offenbarte sich der Mann seiner Frau und teilte ihr alles mit, von Beginn an, von seinem ersten Verdacht bis hin zum niederschmetternden Ergebnis des Testes. Seine Frau schaute ihn während dieser Beichte zuerst verwundert, dann höchst amüsiert an; zuletzt lachte sie schallend.
»Du Dummerchen«, sagte sie, »komm einmal mit ins Bad!«
Ihr Mann wusste nicht, was er davon halten sollte, und er folgte ihr widerstrebend.
»Von welcher Bürste hast du die Probe genommen, deine Haarprobe, deinen Beweis?«
Er zeigte verwirrt auf die kleine, silberne Bürste auf der Spiegelablage.
»Das ist meine Haarbürste, nicht die unserer Tochter«, lachte sie unter Tränen, »es war ursprünglich ihre Bürste, doch wir haben vor einem halben Jahr getauscht, weil sie meine Haarbürste schöner fand und unbedingt haben wollte. Bist du nun endlich überzeugt?«
Seit dieser Zeit vermied es der Vater, diese Haarbürste auch nur anzusehen und mit den Mendelschen Gesetzen durfte ihm keiner mehr kommen.