Duisburg, 20. Dezember 2015 - Stolz
eröffnete kein Geringerer als der Vorstandsvorsitzende des
Konzerns pünktlich zum verkaufsoffenen ersten Adventssonntag
das an alter Stelle neu errichtete super moderne Kaufhaus.
Alle waren sie der Einladung gefolgt, die Honoratioren der
Stadt mit dem Bürgermeister an der Spitze, gefolgt von den
Mitgliedern der Ratsversammlung über die Funktionsträger der
unzähligen Vereine und Gesellschaften des kommunalen
Miteinander bis hin zu den nicht unwichtigen, zum Wohle des
städtischen Lebens ehrenamtlich tätigen Mitbürger.
Nachdem sich der Konzernchef mit einigen Würdenträgern einen
regelrechten Wettstreit an Lobeshymnen für das einzigartige
Kaufhauswunder geliefert hatte, spielte eine
Bergmannskapelle eine für diese Region typische musikalische
Formation auf und intonierte das traditionsreiche Lied von
glücklich aus tiefer Erde wieder aufsteigenden Bergleuten,
die den Steiger begrüßen.
Dann aber schritten sie
zur Tat, mit verklärten Gesichtern, allen voran der
Konzernherr, zur Besichtigung des neuen Kaufhauses; eines
Konsumtempels, wie er versicherte, der einen Vergleich mit
denjenigen der größten Metropolen des Erdenrunds nicht zu
scheuen brauche.
Wie auf Flügeln glitten die
Teilnehmer der Führung durch das Haus, und die Stürme der
Begeisterung rissen nicht ab, sondern verstärkten sich in
zunehmenden Maß, je weiter man den Gebäudekomplex
durchdrang, immer höher hinauf, bis in die höchste
Gebäudehöhe, in den traumhaften, licht durchfluteten Gourmet
Tempel.
Hier ließen sie sich nieder, und der Chef gab
mit den bedeutungsvollen Worten: »Das Buffet ist eröffnet«
das Signal zum Essenfassen.
Gleichzeitig mit diesen
Worten öffneten sich unten im Erdgeschoss die Schleusen für
das normale, das gemeine Publikum, das seit Stunden, wenn
nicht gar Tagen ausharrte, bei klirrender Kälte, um unter
den Glücklichen zu sein, die eingelassen wurden, in das neue
gigantische Konsumparadies.
Während es sich die
Very Important Persons gut schmecken ließen, in
paradiesischer Höhe, herrschte im gesamten Haus darunter ein
Andrang wie bei einem Endspiel einer
Fußballweltmeisterschaft. Gewaltige Kundenströme ergossen
sich in die einzelnen Etagen und alle wollten sehen, alle
wollten kaufen, alle wollten sie den neuen Tempel genießen.
Plötzlich jedoch drang aus großer Tiefe her ein
merkwürdiger, zu Beginn noch nicht genau erkennbarer Gesang
durch die mit Unmengen von Personen bevölkerten Ebenen bis
hinauf zu den Ehrengästen; ein Chorgesang, das ließ sich
nach kurzer Zeit feststellen, und dieser Chor schwoll in der
Lautstärke stetig an. Irritiert hielten die Ehrengäste inne,
bei ihrem Schmaus. Einige glaubten, das Stück erkannt zu
haben; den Gefangenenchor aus Giuseppe Verdis Frühwerk
Nabucco.
Die Musik erreichte eine Lautstärke, die
alle anderen Geräusche im gesamten Gebäude übertraf; nun gab
es keinen Zweifel mehr, es handelte sich tatsächlich um den
besagten Gefangenenchor, in einer derartigen Intensität, wie
sie selbst auf den großen und größten Opernbühnen der Welt
selten vernommen wurde. Auf einen Schlag jedoch, wie auf ein
unsichtbares Zeichen hin, verstummte der Chorgesang. Mit
beklommenen Mienen blickten die Ehrengäste den Konzernleiter
an.
»Was war das für ein furchteinflößender Chor?«
fragte der Bürgermeister mit lauter, bebender Stimme.
»Wie meinen Sie? Ach so, der Chor! Das waren Kunden ohne
Payback Karten.« gab der Chef des Hauses lapidar zurück.
»Kein Grund zur Aufregung.«
Namenloses Entsetzen
machte sich auf den Gesichtern der Gäste breit. »Wie
bitte? Was sagen Sie da?« riefen einige Stadträte. »Kunden
ohne Payback Karten???« Die Stimmen überschlugen
sich.
»Was wollen Sie damit sagen?« wollte das
Stadtoberhaupt wissen und zog die Augenbrauen hoch. »Nun,
ja, diese Kunden haben alle keine Payback Karten,
wissen Sie, das sind so ganz spezielle Karten… » »Ich
weiß, was eine Payback Karte ist«, unterbrach ihn der
erste Bürger der Stadt, »aber ich wusste nicht, dass ein
Nichtbesitz einer solchen Karte derartige Konsequenzen nach
sich ziehen kann. Was haben Sie mit den Leuten gemacht? Wo
befinden sie sich?« »Wir haben sie auf einer Ebene unter
der Tiefgarage versammelt.« »Versammelt? Ich glaube eher,
sie halten sie gefangen, diese Personen, das wollen wir doch
einmal klar stellen. Mein Gott, ich fasse es nicht! Sie
halten Ihre Kunden gefangen, nur weil sie keine Payback
Karten haben.« »Das ist nicht ganz korrekt, Herr
Bürgermeister« entgegnete der Konzernchef. »Wir halten sie
nicht dort fest, weil sie keine Payback Karten
haben, sondern weil sie keine haben wollen! Das
ist ein großer Unterschied.« Der erste Bürger kratzte
sich am Kopf. »Sie wollen keine Payback Karten
haben, diese Leute? Das ist in der Tat etwas anderes.«
»Sehen Sie!« antwortete der Konzernleiter mit sichtbarer
Befriedigung. »Wir halten sie dort auch nicht gefangen,
unter der Tiefgarage! Wir haben sie dort versammelt, das ist
ein großer Unterschied. Wir haben das nur zu ihrem Besten
getan, damit sie zur Besinnung kommen, diese Uneinsichtigen.
Es handelt sich bei dieser Maßnahme um so etwas wie einen
Läuterungsberg, eine Art Fegefeuer zur Zähmung dieser
Widerspenstigen, wenn Sie so wollen. Diese Kunden haben aber
jederzeit die Möglichkeit, wieder in paradiesische Höhen
aufzusteigen, das hängt nur von ihnen selbst ab.«
Nach dem anfänglichen Entsetzen machte sich nun
Erleichterung breit, gemischt mit Entrüstung. Die
Ehrengäste, die zeitweise ihre Atmung eingestellt hatten,
sogen wieder in tiefen Zügen die Luft ein, nach dieser
einleuchtenden Erklärung. Einige äußerten ihren Unmut.
»Na, das ist ja wohl klar, solche Menschen haben es ja nicht
anders verdient. Man soll sie ruhig schmoren lassen, bis zum
jüngsten Tag, sie wollen es ja nicht anders«, rief ein
hochrangiger Vertreter der Kaufmannschaft. »In der Tat,
derartige Außenseiter der Gesellschaft gehören bestraft, und
das nicht zu knapp«, pflichtete man ihm bei. Im gleichen
Augenblick drang ein furchtbarer unmenschlich klingender
Schrei durch das ganze Gebäude und erschütterte dieses bis
in die Grundfesten. Voller Grauen blickten die Ehrengäste
erneut den Konzernchef an. Der zuckte nur mit den Schultern.
»Na ja, da wollte es einer nicht anders, was sollen wir
machen, wir können nicht mehr als fragen, entscheiden müssen
die Kunden selbst.« »Und dieser Kunde?« fragte der erste
Bürger der Stadt mit zitternder Stimme. »Hat der sich
entschieden?« »Das hat er, endgültig, aber gegen die
Payback Karte.« »Gegen die Payback Karte???«
flüsterte der Bürgermeister mit leichenblasser Miene. »Was
ist mit ihm geschehen?« »Nun, ja, Sie müssen wissen, wir
haben da noch eine Ebene, unter dem Läuterungsberg.«
»Noch eine Ebene? Sie meinen…! Das ist ja furchtbar!«
Mit äußerster Nervosität fingerten alle Ehrengäste ihre
Kundenkarten heraus und streckten sie bereitwillig dem
Konzernchef entgegen. »Na, sehen Sie, meine Herrschaften,
geht doch.« schmunzelte der Konzernchef. »Und denken Sie
dran, in einigen Wochen ist Weihnachten. Machen Sie bis
dahin eifrig Gebrauch«, wies er auf die Karten in ihren
Händen, »von den Dingern!«
Dann aber stimmte er
frohgemut einen leicht abgeänderten Text eines sehr
beliebten Weihnachtsliedes an; einen Text, den er zuvor an
alle Gäste persönlich verteilt hatte, und alle, wirklich
alle Anwesenden sangen aus Leibeskräften mit.
'Kunden, die ihr wart verloren, lebet auf,
erfreuet euch, durch die Payback Karte neu geboren,
steigt ihr in den Himmel auf Lasst die Karte nicht
verfallen!
Sagt es weiter, sagt es allen Ohne
Payback Card ist das Leben fad, Doch mit der Karte
bleibt ihr auf der Höhe!'
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