Duisburg, April 2015 - Der Topmanager war
außer sich, vor Zorn; damit hatte er nun wirklich nicht
gerechnet. Als Vorstandsvorsitzender eines weltumspannenden
Konzerns war er es gewohnt, mit großen und größten Zahlen zu
jonglieren und sich in gigantischen Dimensionen zu bewegen,
doch mit dem kleinen Einmal eins, ging es nach dem Gerücht,
das eine angesehene Wochenzeitschrift in die Welt gesetzt
hatte, sollte es offenbar nicht soweit her sein? Doch
solch eine Unverschämtheit würde er sich nicht bieten
lassen, dagegen würde er gerichtlich vorgehen und umgehend
eine breit angelegte Gegendarstellung erzwingen, denn eine
derartige Unterstellung kam einem glatten Rufmord gleich, in
seiner Branche. Allerdings, so musste er sich eingestehen,
hatte das Wochenblatt nicht seine außergewöhnlichen
Fähigkeiten, mit den großen Zahlen umgehen zu können, in
Zweifel gezogen, sondern tatsächlich nur von seinen
Schwierigkeiten mit den kleinen gesprochen, doch wie
stand er da, in der Hochfinanz, mit so einer Aussage?
Voller Empörung ließ er sich zuerst mit der Kanzlei, die
seinen Konzern bei Rechtsstreitigkeiten jeglicher Art
vertrat, verbinden. Dann jedoch besann sich eines
anderen, und er wählte selbst die Nummer seines Anwalts, der
ihn schon einige Male privat vertreten hatte. »Du,
Rudolf, hast du schon die Schweinerei in der Zeitung
gelesen. Ich brauche deinen Rechtsbeistand. Wir müssen
sofort darauf reagieren«. »Was meinst du Eckart?« »Na,
diese falschen Zahlen beziehungsweise diese Falschmeldung in
der letzten Wochenausgabe der…« »Wie bitte, Eckart, du
mathematisches Genie und falsche Zahlen. Den möchte ich
sehen, der dir falsche Zahlen unterstellt.« »Na ja,
falsche Zahlen haben sie mir zwar nicht direkt unterstellt,
aber dafür eine infame, ehrenrührige Behauptung aufgestellt.
Komm bitte her, Rudolf, wir müssen sofort dagegen was tun.«
»Was haben sie denn behauptet?« »Sie haben geschrieben,
groß und breit, ich könne nicht rechnen.« »Was haben die?
Soll das ein Witz sein?« »Das ist kein Witz, Rudolf, sie
haben in der Tat behauptet, ich wüsste nicht einmal genau
die Anzahl meiner eigenen Kinder anzugeben.« »Das ist ja
unglaublich« rief der Anwalt entsetzt, »ich komme sofort.«
Ob sich sein Entsetzen auf die freche Behauptung bezog
oder darauf, dass er diese für möglich hielt, war nicht
auszumachen. Eine Viertelstunde später traf der Rechtsanwalt
in der Konzernzentrale ein und wurde sofort ins Chefzimmer
vorgelassen. »Das ist ja eine schöne Sauerei, Eckhart«,
begrüßte er jovial seinen Freund, den Konzernherrn. »Das
kannst du wohl laut sagen, Rudolf.« »Aber wie kommen die
denn darauf, so etwas zu schreiben, diese Schmierfinken?«
In knappen Worten klärte der Konzernchef seinen Freund
darüber auf, wie es seiner Meinung nach wahrscheinlich zu
diesem Artikel gekommen sein konnte. Danach habe er diesem
Blatt in einem Interview vor einigen Tagen unter anderem
im Scherz, wie er betonte, gesagt, dass er manchmal das
Gefühl habe, nicht genau zu wissen, wie viele Kinder er
eigentlich genau habe, elf oder zwölf, da er wegen seines
aufreibenden Jobs mehr Zeit unterwegs auf dem gesamten
Erdball verbringe als daheim bei seinen Lieben. »Und
daraus, lieber Rudolf«, beendete der Manager seine
Ausführungen, »aus solch einer zugegebenermaßen etwas
flapsigen aber durchaus nicht ernst gemeinten Bemerkung
ziehen diese Lümmel doch glatt den Schluss, ich wüsste nicht
einmal, wie viele eigene Kinder ich daheim habe. So eine
verdammte Sauerei!« »Das kannst du wohl laut sagen,
Eckhart«, pflichtete ihm der Anwalt bei. »Und was machen
wir jetzt, Rudolf?« wandte sich Eckhart Rat suchend an
seinen Freund und Anwalt.
Rudolf tendierte zuerst
auch dazu, unverzüglich dagegen anzugehen und den Klageweg
zu beschreiten, doch nach einiger Überlegung empfahl er
seinem Freund, die ganze Sache erst einmal zu überschlafen;
vielleicht könne sich ein solcher Schritt zum Ende als
Bumerang erweisen und ihm mehr schaden als nützen, indem er
ihn weiterhin der Lächerlichkeit preisgab. »Du gehst
dabei unter Umständen das Risiko ein, deinen guten Namen zu
verlieren, und das ist es doch bestimmt nicht wert,
vielleicht gibt es ja noch andere Optionen; du weißt ja, die
Nacht ist ein guter Ratgeber«, schloss er mit dem alten
Sprichwort.
Eckhart, der souveräne und selbstbewusste
Konzernleiter, war nachdenklich geworden. Da war etwas dran,
an dem, was ihm der Freund empfohlen hatte. Nutzte es ihm
tatsächlich, wenn er ein groß angelegtes Dementi, eine
Gegendarstellung von der Zeitung erzwänge, oder heizte er
damit nur die Schadenfreude seiner Gegner - und deren Zahl
war wegen seiner teilweise doch recht rüden
Geschäftsmethoden nicht gerade klein - nur noch an, indem er
gleichsam mit Kanonen auf Spatzen schösse, statt alles mit
Gleichmut und einer Prise Humor auf sich beruhen zu lassen?
War es denn in der Tat nicht so, dass er viel mehr Zeit
außer Haus verbrachte, aus Gewinnstreben, und seine zwölf -
oder waren es vielleicht doch elf - Kinder kaum zu Gesicht
bekommen hatte, in den letzten Jahren. Er gab seinem Freund
und Anwalt, der es ehrlich mit ihm meinte, Recht. Spontan
lud er ihn zum Abendessen ein, zu sich nach Hause. Dieser
willigte gern ein, war er doch als Junggeselle zuweilen froh
darüber, nicht alleine zu speisen. Zudem war er mit der
Familie seines Freundes schon seit längerer Zeit bekannt,
und so bedurfte es auch keiner besonderen Umstände für diese
Einladung.
Nachdem die beiden Freunde, verwöhnt mit
einem üppigen Mahl, von der Ehefrau des Konzernchefs
eigenhändig zubereitet, ausgiebig gespeist und hierbei auch
eifrig und tief ins Glas geschaut hatten, kam noch einmal
die Sprache auf den leidigen Zeitungsartikel. »Weißt du,
was ich jetzt mache«, sagte der Manager mit leicht belegter
Stimme, »jetzt beweise ich dir unumstößlich, dass dieses
blöde Blatt Unrecht hat und ich immer noch in der Lage bin,
meinen eigenen Nachwuchs zu zählen, auch in diesem Zustand«.
Seine Frau protestierte, doch Erich nahm keine Rücksicht
darauf; zu tief saß noch der Stachel, den ihm die Zeitung
versetzt hatte, und er ließ sie alle zwölf aufmarschieren,
sein eigen Blut, wie er sich ausdrückte. »So Kinder, nun
sagt mal alle dem netten Herrn eine gute Nacht!« Während
die Kinder eines nach dem anderen verlegen dieser
Aufforderung nachkamen, bemerkte der Hausherr plötzlich
trotz seines Alkoholkonsums etwas, was ihm bis dahin noch
nicht so recht aufgefallen war. Zwei seiner Kinder wiesen
eine erschreckende Ähnlichkeit auf, jedoch absolut nicht mit
ihm selbst, sondern mit seinem Freund und Anwalt, der neben
ihm saß.
Mit großen Augen blickte er zuerst zu seiner
Frau hinüber, die auf der Stelle tief errötete, und dann zum
Freund, dessen Gesicht die gleiche Farbe annahm.
»Ich
glaube, ich verzichte auf die Klage«, sagte der große
Konzernchef, nachdem die Kinder zu Bett gegangen waren,
»offensichtlich haben die von dem Wochenblatt doch Recht;
ich könnte mich bei meinen eigenen Kindern
tatsächlich verzählt haben.«
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