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Mitten aus dem Leben - Urteile und Tipps zu §§
D.A.S.-
oder ERGO-Rechtsschutzexperten erläutern Rechte der Verbraucher
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Dezember 2017 |
Bundes- und landesgesetzliche
Vorschriften über die Studienplatzvergabe für das Fach
Humanmedizin teilweise mit dem Grundgesetz unvereinbar Das Bundesverfassungsgericht am 19.
Dezember 2017:
Die bundes- und landesgesetzlichen
Vorschriften über das Verfahren zur Vergabe von
Studienplätzen an staatlichen Hochschulen sind, soweit sie
die Zulassung zum Studium der Humanmedizin betreffen,
teilweise mit dem Grundgesetz unvereinbar. Dies hat der Erste
Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute verkündetem
Urteil entschieden. Die beanstandeten bundesgesetzlichen
Rahmenvorschriften und gesetzlichen Regelungen der Länder
über die Studienplatzvergabe für das Fach Humanmedizin
verletzen den grundrechtlichen Anspruch der
Studienplatzbewerberinnen und -bewerber auf gleiche Teilhabe
am staatlichen Studienangebot. Außerdem verfehlen die
landesgesetzlichen Bestimmungen zum Auswahlverfahren der
Hochschulen teilweise die Anforderungen, die sich aus dem
Vorbehalt des Gesetzes ergeben. Eine Neuregelung ist bis zum
31. Dezember 2019 zu treffen.
Urteil vom 19. Dezember 2017 - 1
BvL 3/14, 1 BvL 4/14 Sachverhalt: Das
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat die Frage, ob die für
die Studienplatzvergabe für das Fach Humanmedizin im
Hochschulrahmengesetz (HRG) und in den Vorschriften der
Länder zur Ratifizierung und Umsetzung des Staatsvertrages
über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für
Hochschulzulassung vorgesehenen Regelungen mit dem
Grundgesetz vereinbar sind, dem Bundesverfassungsgericht zur
Entscheidung vorgelegt.
Wesentliche Erwägungen des
Senats: 1. Die bundes- und landesgesetzlichen Vorschriften
zur Studienplatzvergabe in dem bundesweit
zulassungsbeschränkten Studiengang der Humanmedizin sind mit
Art. 12 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG
unvereinbar, soweit sie die Angabe von Ortswünschen in der
Abiturbestenquote beschränken und diese bei der Vergabe
vorrangig vor der Abiturnote berücksichtigen, soweit sie die
Hochschulen im eigenen Auswahlverfahren zur unbegrenzten
Berücksichtigung eines von ihnen zu bestimmenden Grades der
Ortspräferenz berechtigen, soweit sie im Auswahlverfahren der
Hochschulen auf einen Ausgleichsmechanismus zur Herstellung
einer hinreichenden Vergleichbarkeit der Abiturnoten über die
Landesgrenzen hinweg verzichten, soweit sie gegenüber den
Hochschulen neben der Abiturnote nicht die verpflichtende
Anwendung mindestens eines ergänzenden, nicht
schulnotenbasierten Auswahlkriteriums zur Bestimmung der
Eignung sicherstellen und soweit sie die Wartedauer in der
Wartezeitquote nicht zeitlich begrenzen. Die Gestaltung
des Auswahlverfahrens der Hochschulen wird den Anforderungen
des Vorbehalts des Gesetzes nicht gerecht, soweit nicht durch
Gesetz sichergestellt ist, dass die hochschuleigenen
Eignungsprüfungsverfahren oder die Auswahl nach
vorausgegangener Berufsausbildung oder -tätigkeit auf
standardisierte und strukturierte Weise erfolgt. Nicht
mit dem Vorbehalt des Gesetzes vereinbar ist auch, dass den
Hochschulen im bayerischen und hamburgischen Landesrecht die
Möglichkeit gegeben ist, eigenständig weitere
Auswahlkriterien festzulegen. 2. a) Aus der Ausbildungs-
und Berufswahlfreiheit (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) in
Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1
GG) ergibt sich ein Recht auf Teilhabe an den vorhandenen
Studienangeboten, die der Staat mit öffentlichen Mitteln
geschaffen hat. Diejenigen, die dafür die subjektiven
Zulassungsvoraussetzungen erfüllen, haben ein Recht auf
gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot und damit
einen Anspruch auf gleichheitsgerechte Zulassung zum Studium
ihrer Wahl. Da die Frage der Bemessung der Anzahl
verfügbarer Ausbildungsplätze aber der Entscheidung des
demokratisch legitimierten Gesetzgebers obliegt, besteht das
Recht auf chancengleichen Zugang zum Hochschulstudium nur im
Rahmen der tatsächlich bestehenden Ausbildungskapazitäten.
b) Aus dem Gebot der Gleichheitsgerechtigkeit folgt, dass
sich die Regeln über die Vergabe von Studienplätzen
grundsätzlich am Kriterium der Eignung orientieren müssen.
Dabei bemisst sich die für die Verteilung relevante Eignung
an den Erfordernissen des konkreten Studienfachs und den
typischerweise anschließenden beruflichen Tätigkeiten. Der
Gesetzgeber ist nicht von Verfassungs wegen auf die
Verwendung eines bestimmten Eignungskriteriums oder einer
bestimmten Kriterienkombination verwiesen. Die Kriterien
müssen aber in ihrer Gesamtheit Gewähr für eine hinreichende
Vorhersagekraft bieten.
c) Bei der Vergabe von
Studienplätzen handelt es sich um eine wesentliche
Regelungsmaterie, die den Kern des Zulassungswesens ausmacht
und damit dem Parlamentsvorbehalt unterliegt. Insofern müssen
die Auswahlkriterien ihrer Art nach durch den demokratisch
legitimierten Gesetzgeber selbst bestimmt werden. Allerdings
darf er den Universitäten gewisse Spielräume für die
Konkretisierung der gesetzlich festgelegten Kriterien lassen,
anhand derer die Eignung von Studienbewerberinnen und
-bewerbern beurteilt werden soll.
Solche Spielräume
rechtfertigen sich durch den direkten Erfahrungsbezug der
Hochschulen und die grundrechtlich geschützte Freiheit von
Forschung und Lehre. Eine solche Konkretisierungsbefugnis der
Hochschulen schlägt sich insbesondere in den
Ausgestaltungsmöglichkeiten hochschuleigener
Eignungsprüfungen nieder. Allerdings verlangt der Vorbehalt
des Gesetzes gesetzliche Sicherungen dafür, dass die
Hochschulen Eignungsprüfungen in standardisierten und
strukturierten Verfahren durchführen.
3. a) Das
Abstellen auf die Durchschnittsnote der
Hochschulzugangsberechtigung für einen Anteil von 20 % der in
den Hauptquoten zu vergebenden Studienplätze
(Abiturbestenquote) unterliegt keinen verfassungsrechtlichen
Bedenken. Insoweit knüpft der Gesetzgeber an eine Beurteilung
der Leistungen der Studienbewerber an, die von der Schule am
Ende einer allgemeinbildenden Ausbildung vorgenommen wurde.
An der Sachgerechtigkeit der Abiturnote als Eignungskriterium
auch für die Vergabe von Studienplätzen der Humanmedizin
bestehen auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse keine
verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere hat der
Gesetzgeber im Hinblick auf föderale Unterschiede der
Schulausbildung und Benotung Vorkehrungen getroffen, indem er
für die zentrale Studienplatzvergabe in der Abiturbestenquote
durch die Bildung von Landesquoten einen Ausgleich schafft.
b) Demgegenüber ist im Rahmen der Abiturbestenquote die
vorrangige Berücksichtigung von obligatorisch anzugebenden
Ortswünschen mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an
die gleiche Teilhabe nicht vereinbar. Denn das Kriterium der
Abiturdurchschnittsnote wird als Maßstab für die Eignung
durch den Rang des Ortswunsches überlagert und entwertet. Die
Chancen der Abiturienten auf einen Studienplatz hängen danach
in erster Linie davon ab, welchen Ortswunsch sie angegeben
haben und nur in zweiter Linie von ihrer Eignung für das
Studium. Dies ist im Rahmen einer zentralen Vergabe von
Studienplätzen nach dem Kriterium der Abiturdurchschnittsnote
verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Bezüglich eines
Studienfachs, das über den Zugang zu einem breiten Berufsfeld
entscheidet, muss die Frage, ob überhaupt ein Studienplatz
vergeben wird, der Ortspräferenz vorgehen.
Ortswunschangaben dürfen aus verfassungsrechtlicher Sicht
grundsätzlich nur als Sekundärkriterium für die Verteilung
der vorhandenen Studienplätze unter den ausgewählten
Bewerbern herangezogen werden. Entsprechend ist auch die
Begrenzung des Zulassungsantrags auf sechs Studienorte in der
Abiturbestenquote verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
Diese lässt sich insbesondere nicht mit
verfahrensökonomischen Notwendigkeiten begründen.
4.
Der Gesetzgeber sieht für weitere 60 % der in den Hauptquoten
zu vergebenden Studienplätze ein Auswahlverfahren der
Hochschulen vor. Die Regelung dieses Verfahrens wird den
Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes nicht gerecht. Sie
genügt in verschiedener Hinsicht auch nicht den inhaltlichen
Anforderungen des Rechts auf gleiche Teilhabe an den
staatlichen Studienangeboten. a) Die bundesrechtliche
Rahmenregelung und die landesrechtlichen Regelungen, die
diese durch die Vorgabe abschließender Kriterienkataloge
weiter ausgestalten, sind im Grundsatz nicht zu beanstanden.
Mit dem Vorbehalt des Gesetzes nicht vereinbar ist jedoch,
dass den Hochschulen im bayerischen und im hamburgischen
Landesrecht die Möglichkeit gegeben ist, eigenständig weitere
Auswahlkriterien festzulegen, die sich nicht im gesetzlichen
Kriterienkatalog finden. Ein eigenes Kriterienerfindungsrecht
der Hochschulen ist verfassungsrechtlich grundsätzlich
unzulässig. b) Der Gesetzgeber muss zudem sicherstellen,
dass die Hochschulen, sofern sie von der gesetzlich
eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machen, eigene
Eignungsprüfungsverfahren durchzuführen oder
Berufsausbildungen oder -tätigkeiten zu berücksichtigen, dies
in standardisierter und strukturierter Weise tun. Er muss
dabei auch festlegen, dass in den hochschuleigenen
Studierfähigkeitstests und Auswahlgesprächen nur die Eignung
der Bewerberinnen und Bewerber geprüft wird. Die den
Hochschulen eingeräumte Konkretisierungsbefugnis darf sich
ausschließlich auf die fachliche Ausgestaltung und
Schwerpunktsetzung unter Einbeziehung auch
hochschulspezifischer Profilbildungen beziehen. Diesen
Anforderungen werden die vorgelegten Vorschriften nicht
uneingeschränkt gerecht. An den erforderlichen gesetzlichen
Maßgaben zur Standardisierung und Strukturierung von
Eignungsprüfungsverfahren und Auswahlkriterien fehlt es
sowohl auf der Ebene des Hochschulrahmengesetzes als auch in
den Landesgesetzen.
c) Grundsätzlich nicht zu
beanstanden ist, dass der Gesetzgeber den Hochschulen die
Durchführung eines Vorauswahlverfahrens eröffnet, mit dem sie
die Zahl der Bewerbungen begrenzen können, die in das
eigentliche Auswahlverfahren einbezogen werden. Mit der
Verfassung nicht vereinbar ist dabei jedoch, dass er den
Hochschulen die Möglichkeit einräumt, der Vorauswahl
voraussetzungslos und uneingeschränkt den Grad der von den
Bewerberinnen und Bewerbern angegebenen Ortspräferenz
zugrunde zu legen. Beim Grad der Ortspräferenz handelt es
sich um ein Kriterium, das nicht an die Eignung für Studium
und Beruf anknüpft und dessen Verwendung sich erheblich
chancenverringernd auswirken kann. Gerechtfertigt ist das
Kriterium des Grades der Ortspräferenz nur dann, wenn es für
Studienplätze herangezogen wird, die tatsächlich im Rahmen
eines aufwendigen individualisierten Auswahlverfahrens
vergeben werden. Denn die Durchführung solcher
Auswahlverfahren darf der Gesetzgeber als einen wichtigen
Bestandteil im Gesamtsystem der Studienplatzvergabe ansehen.
Das kann aber nur gelingen, wenn dieser Aufwand auf
solche Personen beschränkt wird, bei denen die
Wahrscheinlichkeit hinreichend hoch ist, dass sie den
Studienplatz auch annehmen. Daher rechtfertigt das Ziel der
Ermöglichung komplexer, eignungsorientierter Auswahlverfahren
für diese Fälle, das Ortspräferenzkriterium trotz seines
fehlenden Eignungsbezugs ausnahmsweise bei der Vorauswahl
anzuwenden. Dies gilt jedoch nur, wenn anschließend auch
entsprechend aufwendige Auswahlverfahren durchgeführt werden,
wie es vor allem bei den im Kriterienkatalog vorgesehenen
qualifizierten Gesprächen der Fall sein kann. Für
Fallgestaltungen ohne aufwendig gestaltete Auswahlprozeduren
erweist sich das Vorauswahlkriterium des Grades der
Ortspräferenz als nicht sachgerecht und unangemessen.
Verfassungsrechtlich geboten ist außerdem, dass nur ein
hinreichend begrenzter Anteil der Studienplätze jeder
Universität von einem hohen Grad der Ortspräferenz abhängt.
Es ist daher auszuschließen, dass die Universitäten das
Ortspräferenzkriterium für alle in ihrem Auswahlverfahren zu
vergebenden Studienplätze anwenden.
d) Sowohl für das
Vorauswahlverfahren als auch für das Auswahlverfahren selbst
eröffnet der Gesetzgeber den Hochschulen als Auswahlkriterium
unter anderem den Rückgriff auf die Abiturdurchschnittsnote.
Anders als für die Studienplatzvergabe in der
Abiturbestenquote verzichtet der Gesetzgeber dabei auf
Mechanismen, die die nicht in dem erforderlichen Maße
gegebene länderübergreifende Vergleichbarkeit der
Abiturdurchschnittsnoten ausgleichen. Das Außerachtlassen
dieser Unterschiede führt zu einer gewichtigen
Ungleichbehandlung. Es nimmt in Kauf, dass eine große
Zahl von Bewerberinnen und Bewerbern abhängig davon, in
welchem Land sie ihre allgemeine Hochschulreife erworben
haben, erhebliche Nachteile erleiden. Dies gilt insbesondere
vor dem Hintergrund, dass es auch im Auswahlverfahren der
Hochschulen maßgeblich auf Grenzbereiche der Benotung ankommt
und die Dezimalstellen der Durchschnittsnoten häufig über den
Erfolg einer Bewerbung entscheiden. Für diese
Ungleichbehandlung fehlt es an einem einleuchtenden,
belastbaren Sachgrund.
e) Für das Auswahlverfahren
der Hochschulen bestimmen das HRG und der Staatsvertrag 2008
verschiedene Kriterien, die von den Hochschulen für die
Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber herangezogen werden
können. Diese Kriterien sind je für sich als Indikatoren für
eine an Eignung orientierte Auswahl von Verfassungs wegen
nicht zu beanstanden. Jedoch muss mit Blick auf die
Studierfähigkeitstests und von den Hochschulen
durchzuführende qualifizierte Gespräche sichergestellt
werden, dass sie hinreichend strukturiert sind, auf die
Ermittlung der Eignung zielen und einer diskriminierenden
Anwendung vorgebeugt wird. Entsprechendes gilt für das
Kriterium der Berücksichtigung fachnaher Berufsausbildungen
oder -tätigkeiten. Auch hiermit lassen sich Anhaltspunkte
für die Eignung zum Studium der Humanmedizin erfassen.
Angesichts seiner Offenheit muss die Konkretisierung dieses
Kriteriums jedoch in transparente Regeln eingebunden werden.
f) Verfassungswidrig ist schließlich, dass der Gesetzgeber
für die Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber im
Auswahlverfahren der Hochschulen keine hinreichend breit
angelegten Eignungskriterien vorgibt. Die Öffnung des
Auswahlverfahrens für eine Einbeziehung weiterer Kriterien
liegt nicht allein in der freien Entscheidung des
Gesetzgebers, sondern ist zur Gewährleistung einer
gleichheitsgerechten Zulassung zum Studium in gewissem Umfang
auch verfassungsrechtlich geboten. Soweit der Gesetzgeber
– wie nach derzeitiger Regelung – für die Berücksichtigung
anderer Eignungskriterien als der Abiturdurchschnittsnote
allein das Auswahlverfahren der Hochschulen vorsieht, richten
sich entsprechende Anforderungen an dessen Ausgestaltung.
Geboten ist insoweit, dass der Gesetzgeber die Hochschulen
dazu verpflichtet, die Studienplätze nicht allein und auch
nicht ganz überwiegend nach dem Kriterium der Abiturnoten zu
vergeben, sondern zumindest ergänzend ein nicht
schulnotenbasiertes, anderes eignungsrelevantes Kriterium
einzubeziehen.
Diesen Anforderungen genügt die
derzeitige Rechtslage nicht. Weder das HRG noch der
Staatsvertrag 2008 verpflichten die Hochschulen, bei der
Auswahlentscheidung neben dem Abitur auch ein weiteres, nicht
schulnotenbasiertes Kriterium in der verfassungsrechtlich
gebotenen Weise zu berücksichtigen. Auch die den
Staatsvertrag in einigen Ländern ergänzenden Vorschriften
stellen dies nicht hinreichend sicher.
5. Schließlich
sieht der Gesetzgeber für einen Anteil von 20 % der in den
Hauptquoten zu vergebenden Studienplätze die Vergabe nach
Wartezeit vor (Wartezeitquote). Die Bildung einer solchen
Wartezeitquote ist verfassungsrechtlich nicht unzulässig,
aber nur unter bestimmten Voraussetzungen mit Art. 12 Abs. 1
in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die jetzige
Bemessung der Quote ist noch verfassungsgemäß. Über den
Anteil von 20 % der in den Hauptquoten zu vergebenden
Studienplätze hinaus darf der Gesetzgeber die Wartezeitquote
jedoch nicht erhöhen. Als verfassungswidrig erweist es sich,
dass der Gesetzgeber die Wartezeit in ihrer Dauer nicht
angemessen begrenzt hat. Denn ein zu langes Warten
beeinträchtigt erheblich die Erfolgschancen im Studium und
damit die Möglichkeit zur Verwirklichung der Berufswahl.
Sieht der Gesetzgeber demnach zu einem kleineren Teil auch
eine Studierendenauswahl nach Wartezeit vor, ist er von
Verfassungs wegen gehalten, die Wartedauer auf ein mit Blick
auf ihre negativen Folgen noch angemessenes Maß zu begrenzen.
Dies gilt ungeachtet dessen, dass die verfassungsrechtlich
gebotene Beschränkung der Wartedauer dazu führen mag, dass
viele Bewerber am Ende keinen Studienplatz über die
Wartezeitquote erhalten können. Ferner ist für die
Wartezeitquote - ebenso wie für die Abiturbestenquote - eine
verfahrensökonomische Notwendigkeit, die eine zahlenmäßige
Beschränkung der Ortswahlangaben erfordern könnte, nicht
erkennbar; auch hier hat der Gesetzgeber zudem dem Grad der
Ortspräferenz eine zu große Bedeutung beigemessen.
6.
Mit Ausnahme der gemäß Art. 31 GG zur Nichtigkeit führenden
Abweichung in § 8a BerlHZG von den Regelungen des
Hochschulrahmengesetzes verbleibt es bei der bloßen
Feststellung der Unvereinbarkeit der beanstandeten
Vorschriften mit dem Grundgesetz. Zugleich wird deren
begrenzte Fortgeltung angeordnet; den zuständigen
Landesgesetzgebern wird aufgegeben, bis zum
31. Dezember 2019 eine Neuregelung zu treffen, wenn
und soweit der Bund bis dahin nicht von seiner
konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat.
Vermieter muss
haushaltsnahe Dienstleistungen aufschlüsseln
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Mieter können
haushaltsnahe Dienstleistungen, wie zum Beispiel die
Tätigkeit eines Hausmeisters, von der Steuer
absetzen. Voraussetzung dafür ist, dass der Vermieter
in der Betriebskostenabrechnung die steuerlich
absetzbaren Arbeitskosten separat ausweist. Dies
entschied laut D.A.S. Rechtsschutz Leistungs-GmbH
(D.A.S. Leistungsservice) das Landgericht Berlin.
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LG Berlin, Az. 18 S 339/16
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Hintergrundinformation:
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Wer für sogenannte
haushaltsnahe Dienstleistungen bezahlt, kann die
angefallenen Kosten bis zu bestimmten Grenzen in
seiner Steuererklärung geltend machen. Haushaltsnahe
Dienstleistungen sind grundsätzlich Arbeiten, die
auch ein Laie rund um Haus oder Wohnung erbringen
könnte, die aber ein Dienstleister erledigt.
Beispiele sind die Reinigung des Treppenhauses, der
Winterdienst auf Privatgrund, die Tätigkeit eines
Hausmeisters, die Gartenpflege oder das Ablesen von
Zählern. Viele Vermieter geben diese regelmäßigen
Arbeiten in Auftrag. Die entsprechenden Kosten geben
sie im Rahmen der Betriebskostenumlage an ihre Mieter
weiter. Als haushaltsnahe Dienstleistungen können
Mieter diese Beträge von der Steuer absetzen. Der
Haken: Absetzbar sind nur die reinen Arbeitskosten.
Das Finanzamt verlangt eine Rechnung mit genauer
Aufschlüsselung, welche Kosten für Lohn und welche
für Material angefallen sind. Der Fall:
Ein Mieter lebte in einer Wohnung in Berlin und hatte
sich vertraglich verpflichtet, auf die Betriebskosten
monatliche Vorauszahlungen zu leisten. Der Vermieter
sollte jährlich abrechnen. Der Mietvertrag besagte
auch, dass der Vermieter nicht verpflichtet sei, für
den Mieter eine Bescheinigung über haushaltsnahe
Dienstleistungen auszustellen. Der Mieter klagte nun
darauf, dass der Vermieter eine solche Bescheinigung
erteilen müsse – oder zumindest in der
Betriebskostenabrechnung bestimmte Positionen nach
einzelnen Leistungen und Beträgen aufzuschlüsseln
habe.
Das Urteil: Das
Landgericht Berlin gab nach Informationen des D.A.S.
Leistungsservice dem Mieter Recht. Der Mieter habe
Anspruch auf eine Aufschlüsselung der ihm berechneten
Kosten für haushaltsnahe Dienstleistungen. Der
Vermieter müsse ihm zwar keine gesonderte
Bescheinigung für das Finanzamt ausstellen oder ihn
gar steuerlich beraten, welche Kosten er absetzen
könne. Zumindest müsse aber aus der
Betriebskostenabrechnung hervorgehen, welche Kosten
bei den einzelnen Positionen für Arbeit und welche
für Material angefallen seien. Es sei eine
Nebenpflicht des Vermieters aus dem Mietvertrag, dem
Mieter die Inanspruchnahme dieses Steuervorteils zu
ermöglichen. Dies dürfe den Mieter nichts kosten.
Auch müsse sich der Mieter nicht darauf verweisen
lassen, dass er im Büro des Vermieters Einblick in
die Belege nehmen und daraus die erforderlichen
Informationen gewinnen könne. Das Gericht stufte die
Vertragsklausel, mit der sich der Vermieter von der
Pflicht zur Aufschlüsselung der Betriebskosten
befreien wollte, als unwirksam ein.
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Landgericht Berlin, Urteil
vom 18.10.2017, Az. 18 S 339/16
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November 2017 |
Rodungen im Hambacher Forst
vorläufig gestoppt
28. November 2017 - Das
Oberverwaltungsgericht hat mit einer Zwischenentscheidung das
Land Nordrhein-Westfalen vorläufig verpflichtet
sicherzustellen, dass die RWE Power AG ab heute 18.00 Uhr von
weiteren Rodungs- und Abholzungsmaßnahmen im Hambacher Forst
absieht. Der sogenannte Hängebeschluss ist eine
vorübergehende Regelung und gilt bis zu einer Entscheidung
des Oberverwaltungsgerichts im anhängigen
Eilbeschwerdeverfahren.
Der BUND NRW e.V. hatte beim
Verwaltungsgericht Köln mit einem Eilantrag zu verhindern
versucht, dass RWE vor rechtskräftigem Abschluss des
Klageverfahrens vom Hauptbetriebsplan 2015-2017 des
Braunkohletagebaus Hambach Gebrauch machen kann. Gegen den
insoweit ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom
25. Oktober 2017 hatte der BUND Beschwerde eingelegt und im
Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens am 24. November 2017 eine
Zwischenentscheidung bis zum Beschluss über die Beschwerde
beantragt. Diese hat das Oberverwaltungsgericht nun
erlassen. Zur Begründung hat der 11. Senat ausgeführt: Die
Zwischenentscheidung sei zur Gewährleistung effektiven
Rechtsschutzes angesichts der Komplexität des Sachverhalt und
der sich stellenden Rechtsfragen sowie zur Vermeidung
irreversibler Zustände erforderlich. In der Hauptsache
hat das Verwaltungsgericht Köln am 24. November 2017 die
Klage abgewiesen. Ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil liegt
dem Oberverwaltungsgericht noch nicht vor. Aktenzeichen:
11 B 1362/17 (I. Instanz: VG Köln 14 L 3477/17)
2,5 %-Sperrklausel für die Wahlen
der Gemeinderäte und Kreistage verfassungswidrig
Münster/Duisburg, 21. November 2017 - Der
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in
Münster hat heute entschieden, dass die 2,5 %-Sperrklausel
bei Kommunalwahlen gegen den Grundsatz der
Wahlrechtsgleichheit verstößt, soweit sie für die Wahlen der
Gemeinderäte und Kreistage gilt. Demgegenüber stehe die
Sperrklausel im Einklang mit der Landesverfassung, soweit die
Wahlen der Bezirksvertretungen und der Verbandsversammlung
des Regionalverbandes Ruhr betroffen sind.
Sachverhalt Antragstellerinnen der Organstreitverfahren
sind die Landesverbände der NPD, der Piratenpartei, der
Partei DIE LINKE, der PARTEI, der ÖDP und der
Tierschutzpartei sowie die Bürgerbewegung PRO NRW und die
Partei Freie Bürger-Initiative/Freie Wähler. Antragsgegner
ist jeweils der Landtag, der durch das Gesetz zur Änderung
der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen und
wahlrechtlicher Vorschriften
(Kommunalvertretungsstärkungsgesetz) vom 14. Juni 2016 eine
2,5 %-Sperrklausel bei Kommunalwahlen eingeführt hat.
Nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs aus
dem Jahr 1999 war die damals im Kommunalwahlgesetz geregelte
5 %-Sperrklausel mit der Landesverfassung nicht vereinbar,
weil der Gesetzgeber ihre Erforderlichkeit nicht hinreichend
begründet hatte (Urteil vom 6. Juli 1999 – VerfGH 14/98,
15/98 –). Die nunmehr streitige 2,5 %-Sperrklausel wurde
unmittelbar in die Landesverfassung (Art. 78 Abs. 1 Satz 3)
eingefügt. Der Gesetzgeber hat die Regelung in erster
Linie damit begründet, Folge des Wegfalls der früheren
5 %-Sperrklausel sei eine zunehmende parteipolitische
Zersplitterung der Kommunalvertretungen, die die
Handlungsfähigkeit der Kommunalvertretungen beeinträchtige
oder zumindest in hohem Maße gefährde.
Wesentliche Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs
In der mündlichen Urteilsbegründung führte die
Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs
Dr. Ricarda Brandts unter
anderem aus: Der Verfassungsgerichtshof habe die
verfassungsunmittelbare 2,5 %-Sperrklausel darauf zu
überprüfen, ob sie die in Art. 69 Abs. 1 Satz 2 der
Landesverfassung (LV) normierten Grenzen der Zulässigkeit von
Verfassungsänderungen wahre. Danach seien Änderungen der
Verfassung, die den Grundsätzen unter anderem des
demokratischen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes
widersprechen, unzulässig. Damit nehme die
Landesverfassung Bezug auf die sogenannten
Homogenitätsvorgaben in Art. 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des
Grundgesetzes (GG). Zu diesen zwingenden Vorgaben für die
Ausgestaltung der verfassungsmäßigen Ordnung in den Ländern
gehöre der Grundsatz der Gleichheit der Wahl. Die
Sperrklausel bewirke eine Ungleichgewichtung der
Wählerstimmen hinsichtlich ihres Erfolgswertes, da Stimmen
für solche Parteien und Wählervereinigungen, die an der
2,5 %-Hürde scheiterten, ohne Einfluss auf die Sitzverteilung
blieben.
Für die Wahlen der Gemeinderäte und
Kreistage sei diese Ungleichbehandlung nicht
gerechtfertigt. Insoweit ergäben sich aus Landesverfassung
und Grundgesetz (Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV i. V. m. Art. 28
Abs. 1 Satz 2 GG) strenge Anforderungen an differenzierende
Regelungen. Diese bedürften stets eines besonderen, sachlich
legitimierten, „zwingenden“ Grundes. Dazu
gehöre zwar auch die Sicherung der Funktionsfähigkeit
der zu wählenden Volksvertretung. Berufe sich der
Gesetzgeber aber zur Rechtfertigung einer Sperrklausel auf
eine solche anderenfalls drohende Funktionsunfähigkeit, müsse
er für die dann zu erstellende Prognose alle in rechtlicher
und tatsächlicher Hinsicht für die Einschätzung der
Erforderlichkeit einer Sperrklausel relevanten Gesichtspunkte
heranziehen und abwägen. Er dürfe sich nicht mit einer
abstrakten, schematischen Beurteilung begnügen. Die
Prognose müsse vielmehr nachvollziehbar begründet und auf
tatsächliche Entwicklungen gerichtet sein, deren Eintritt der
Gesetzgeber ohne die in Rede stehende Wahlrechtsbestimmung
konkret erwartet. Eine durch das vermehrte Aufkommen kleiner
Parteien und Wählervereinigungen bedingte bloße Erschwerung
der Meinungsbildung dürfe er nicht mit einer Funktionsstörung
oder Funktionsunfähigkeit gleichsetzen. Diese bereits
früher von der Verfassungsrechtsprechung in Bezug auf
einfachgesetzliche Sperrklauseln formulierten Anforderungen
würden auch für eine unmittelbar in der Landesverfassung
geregelte Sperrklausel gelten. Ein spezifischer Spielraum des
landesverfassungsändernden Gesetzgebers für Differenzierungen
innerhalb der Wahlrechtsgleichheit bestehe nicht.
Dass die 2,5 %-Sperrklausel zur Sicherung der
Funktionsfähigkeit der Gemeinderäte und Kreistage
erforderlich ist, sei weder im Gesetzgebungsverfahren noch im
Rahmen der Organstreitverfahren in der gebotenen Weise
deutlich gemacht worden. Die gesetzgeberische
Prognose sei weder in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht
vollständig noch sei ihre Begründung in jeder Hinsicht
nachvollziehbar. Die Gesetzesbegründung erschöpfe sich im
Wesentlichen in abstrakten, schematischen Erwägungen
zu möglichen negativen Folgen einer Zersplitterung
der Kommunalvertretungen. Dass es nach Wegfall der früheren 5
%-Sperrklausel durch eine gestiegene Zahl von Kleingruppen
und Einzelmandatsträgern zu relevanten Funktionsstörungen von
Gemeinderäten und Kreistagen oder zumindest zu Entwicklungen
gekommen wäre, die Funktionsstörungen möglicherweise zur
Folge haben könnten, werde zwar behauptet, nicht aber in
nachvollziehbarer Weise anhand konkreter empirischer Befunde
belegt. Weniger strengen verfassungsrechtlichen
Anforderungen unterlägen differenzierende Regelungen für die
Wahlen der Bezirksvertretungen und der Regionalversammlung
Ruhr. Insoweit beschränkten sich Landesverfassung und
Grundgesetz (Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV i. V. m. Art. 28 Abs. 1
Satz 1 GG) auf die Gewährleistung des auch auf Ebene des
Bundes unabänderlichen Kerns des Demokratieprinzips. Dieser
werde durch die 2,5 %-Sperrklausel nicht berührt.
Aktenzeichen: VerfGH 9, 11, 15, 16, 17, 18, 21/16
Bundesgerichtshof:
Altersvorsorgevermögen aus Riester-Renten ist unpfändbar,
soweit die vom Schuldner erbrachten Altersvorsorgebeiträge
tatsächlich gefördert worden sind. Karlsruhe -
Versäumnisurteil vom 16. November 2017 Der
Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit
der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen das in einem
Riester-Vertrag angesparte Vermögen pfändbar ist und daher in
der Insolvenz zugunsten der Gläubiger verwertet werden kann.
Sachverhalt und Prozessverlauf: Die Schuldnerin schloss im
Jahr 2010 bei der Beklagten einen Rentenversicherungsvertrag
(Riester-Rente) ab. Der Rentenversicherungsvertrag sieht
ein Kündigungsrecht für die Schuldnerin vor. Nachdem die
Schuldnerin Beiträge in Höhe von insgesamt 333 € gezahlt
hatte, stellte die Beklagte den Versicherungsvertrag auf
Antrag der Schuldnerin beitragsfrei. Am 15. April 2014
eröffnete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das
Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Kläger zum
Insolvenzverwalter. Der Kläger kündigte den
Rentenversicherungsvertrag und verlangt von der Beklagten die
Auszahlung des Rückkaufswertes. Der Kläger meint, die
Riester-Rente gehöre zur Insolvenzmasse. Da die Schuldnerin
das Recht habe, den Vertrag zu kündigen, erfülle der Vertrag
nicht die Voraussetzungen des § 851c Abs. 1 ZPO. Daher könne
der Vertrag in der Insolvenz zugunsten der Gläubiger
verwertet werden. Außerdem habe die Schuldnerin weder einen
Zulageantrag gestellt noch eine staatliche Zulage erhalten.
Die Beklagte verteidigt sich damit, dass das in
Riester-Verträgen angesparte Vermögen gemäß § 851 Abs. 1
ZPO** unpfändbar sei, weil das Altersvorsorgevermögen
einschließlich der Erträge in Riester-Renten gemäß § 97 Satz
1 EStG nicht übertragbar sei. Der Kläger verlangt mit seiner
Klage die Auszahlung des von ihm errechneten Rückkaufswertes.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das
Landgericht hat die Beklagte auf die Berufung des Klägers zur
Zahlung eines Teilbetrags verurteilt. Mit ihrer vom
Landgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die
vollständige Klageabweisung.
Die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs: Der unter anderem für Insolvenzrecht
zuständige IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
entschieden, dass das in einem Riester-Vertrag angesparte
Guthaben nicht pfändbar ist, soweit die vom Schuldner
erbrachten Altersvorsorgebeiträge tatsächlich gefördert
werden und den Höchstbetrag nicht übersteigen. Dem
Insolvenzverwalter steht ein Kündigungsrecht nur zu, wenn der
Rentenversicherungsvertrag dem Insolvenzbeschlag unterliegt.
Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen,
gehören nicht zur Insolvenzmasse. Ob das in einem
Riester-Vertrag angesparte Guthaben pfändbar ist und damit
der Zwangsvollstreckung unterliegt, richtet sich nach § 851
Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 97 Satz 1 EStG.
Da diese Ansprüche kraft gesetzlicher Anordnung nicht
übertragbar sind, sind sie auch nicht pfändbar. § 851c ZPO
ist durch das Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge
vom 26. März 2007 (BGBl I 2007, 368) eingeführt worden. Damit
hat der Gesetzgeber jedoch keine zusätzlichen Anforderungen
an die Unpfändbarkeit von Ansprüchen aus Riester-Renten
geschaffen. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass
der Riester-Vertrag unkündbar ist (§ 851c Abs. 1 Nr. 2 ZPO).
Soweit danach § 851c ZPO für die Unpfändbarkeit von
Ansprüchen aus Verträgen Anforderungen an die Ausgestaltung
der Vertragsbedingungen stellt, die von Riester-Verträgen
nicht eingehalten werden müssen, handelt es sich um eine
unterschiedliche gesetzgeberische Wertentscheidung. Der
Gesetzgeber wollte durch § 851c ZPO den Schutz von
Altersvorsorgeansprüchen verbessern. Daher kann dem
Gesetz nichts dafür entnommen werden, dass die Unpfändbarkeit
von Ansprüchen aus Riester-Renten gegenüber der Rechtslage
nach § 851 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 97 Satz 1 EStG
zukünftig erschwert werden sollte. Allerdings hängt der
Pfändungsschutz für das in einem Riester-Vertrag angesparte
Kapital davon ab, ob die Altersvorsorgebeiträge tatsächlich
durch eine Zulage gefördert worden sind.
Ausreichend
für die Unpfändbarkeit ist, wenn der Altersvorsorgevertrag im
Zeitpunkt der Pfändung förderfähig war, der Schuldner bereits
einen Zulagenantrag für die entsprechenden Beitragsjahre
gestellt hatte und die Voraussetzungen für die Gewährung
einer Zulage vorlagen. Nachdem zwischen den Parteien streitig
ist, ob die Schuldnerin einen Zulageantrag gestellt und eine
staatliche Zulage erhalten hat, hat der Senat den
Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das Landgericht
zurückverwiesen.
Vorinstanzen: Amtsgericht
Stuttgart - Urteil vom 17. Februar 2016 – 7 C 2306/15
Landgericht Stuttgart - Urteil vom 21. Dezember 2016 – 4 S
82/16
Die maßgeblichen Vorschriften lauten: § 851c
ZPO Pfändungsschutz bei Altersrenten: (1) Ansprüche auf
Leistungen, die auf Grund von Verträgen gewährt werden,
dürfen nur wie Arbeitseinkommen gepfändet werden, wenn
1.die Leistung in regelmäßigen Zeitabständen lebenslang und
nicht vor Vollendung des 60. Lebensjahres oder nur bei
Eintritt der Berufsunfähigkeit gewährt wird, 2.über die
Ansprüche aus dem Vertrag nicht verfügt werden darf,
3.die Bestimmung von Dritten mit Ausnahme von Hinterbliebenen
als Berechtigte ausgeschlossen ist und 4.die Zahlung
einer Kapitalleistung, ausgenommen eine Zahlung für den
Todesfall, nicht vereinbart wurde. (2) 1Um dem Schuldner den
Aufbau einer angemessenen Alterssicherung zu ermöglichen,
kann er unter Berücksichtigung der Entwicklung auf dem
Kapitalmarkt, des Sterblichkeitsrisikos und der Höhe der
Pfändungsfreigrenze, nach seinem Lebensalter gestaffelt,
jährlich einen bestimmten Betrag unpfändbar auf der Grundlage
eines in Absatz 1 bezeichneten Vertrags bis zu einer
Gesamtsumme von 256 000 Euro ansammeln. 2 Der Schuldner
darf vom 18. bis zum vollendeten 29. Lebensjahr 2 000 Euro,
vom 30. bis zum vollendeten 39. Lebensjahr 4 000 Euro, vom
40. bis zum vollendeten 47. Lebensjahr 4 500 Euro, vom 48.
bis zum vollendeten 53. Lebensjahr 6 000 Euro, vom 54. bis
zum vollendeten 59. Lebensjahr 8 000 Euro und vom 60. bis zum
vollendeten 67. Lebensjahr 9 000 Euro jährlich ansammeln.
3 Übersteigt der Rückkaufwert der Alterssicherung den
unpfändbaren Betrag, sind drei Zehntel des überschießenden
Betrags unpfändbar. 4Satz 3 gilt nicht für den Teil des
Rückkaufwerts, der den dreifachen Wert des in Satz 1
genannten Betrags übersteigt. […] § 851 ZPO Nicht
übertragbare Forderungen (1) Eine Forderung ist in
Ermangelung besonderer Vorschriften der Pfändung nur insoweit
unterworfen, als sie übertragbar ist. […] § 97 EStG
Übertragbarkeit 1Das nach § 10a oder Abschnitt XI geförderte
Altersvorsorgevermögen einschließlich seiner Erträge, die
geförderten laufenden Altersvorsorgebeiträge und der Anspruch
auf die Zulage sind nicht übertragbar. […]
Bundesverfassungsgericht
Erfolglose Verfassungsbeschwerde
gegen Begrenzung auf Übernahme der angemessenen Kosten der
Unterkunft und Heizung Karlsruhe,
14. November 2017 - Vor den Sozialgerichten wird
immer wieder darum gestritten, ob im Rahmen des Bezugs von
Arbeitslosengeld II die Kosten für die Wohnung nicht nur in
„angemessener“, sondern in tatsächlicher Höhe übernommen
werden. Das Sozialgesetzbuch beschränkt die Erstattung auf
„angemessene“ Aufwendungen. Die 2. Kammer des Ersten
Senats des Bundesverfassungsgerichts hat in einem heute
veröffentlichten Beschluss entschieden, dass diese Begrenzung
mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist. Der Gesetzgeber muss
keinen Anspruch auf unbegrenzte Übernahme der Wohnungskosten
vorsehen. Die Regelung ist auch ausreichend klar und
verständlich. Damit hat der Gesetzgeber seiner aus der
Verfassung herzuleitenden Pflicht genügt, einen konkreten
gesetzlichen Anspruch zur Erfüllung des Grundrechts auf ein
menschenwürdiges Existenzminimum zu schaffen.
Formularvertragliche Verlängerung
der Verjährung von Vermieteransprüchen ist unwirksam
Bundesgerichtshof- Urteil vom 8. November 2017 - VIII ZR
13/17
Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer
Entscheidung mit der Frage befasst, ob ein Vermieter die in §
548 Abs. 1 BGB* geregelte sechsmonatige Verjährung seiner
gegen den Mieter gerichteten Ersatzansprüche nach Rückgabe
der Mietsache durch formularvertragliche Regelungen
(Allgemeine Geschäftsbedingungen) verlängern kann; derartige
Klauseln sind in Formularverträgen im Wohnraummietrecht weit
verbreitet.
Sachverhalt und Prozessverlauf:
Die Beklagte war seit 2003 Mieterin einer Wohnung der
Klägerin in Berlin. Nach Kündigung des Mietverhältnisses
durch die Beklagte erhielt die Klägerin die Wohnung Ende
Dezember 2014 zurück. Erst mit im Oktober 2015 zugestellter
Klage nahm die Klägerin die Beklagte auf Zahlung von
Schadensersatz in Höhe von rund 16.000 € wegen an der Wohnung
eingetretener Schäden in Anspruch.
Der hiergegen von
der Beklagten unter Bezugnahme auf § 548 Abs. 1 BGB*
erhobenen Einrede der Verjährung begegnete die Klägerin mit
einem Verweis auf eine in dem von ihr verwendeten
Formularmietvertrag enthaltene Bestimmung, nach welcher
Ersatzansprüche des Vermieters wegen Veränderungen oder
Verschlechterungen der Mietsache (ebenso wie Ansprüche des
Mieters auf Aufwendungsersatz oder Gestattung der Wegnahme
von Einrichtungen) erst in zwölf Monaten nach Beendigung des
Mietverhältnisses verjähren würden.
Die von der
Klägerin erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen
Erfolg. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der unter
anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat
des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass eine Regelung in
einem Formularmietvertrag, durch die ein Vermieter die nach
dem Gesetz vorgesehene sechsmonatige Verjährung seiner
Ersatzansprüche nach Rückgabe der Mietsache verlängert,
wegen unangemessener Benachteiligung des Mieters nach
§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB** unwirksam ist.
Die im streitgegenständlichen Formularmietvertrag
enthaltene Klausel erschwert den Eintritt der Verjährung der
in § 548 Abs. 1 Satz 1 BGB* genannten Ansprüche des
Vermieters gegenüber der gesetzlichen Regelung in zweifacher
Hinsicht. Zum einen wird die Frist, nach deren Ablauf diese
Ansprüche verjähren, von sechs auf zwölf Monate verdoppelt.
Zum anderen verändert die Klausel zusätzlich den Beginn
des Fristlaufs, indem sie nicht auf den Zeitpunkt des
Rückerhalts der Sache, sondern auf das (rechtliche)
Mietvertragsende abstellt. Beide Regelungsinhalte sind mit
wesentlichen Grundgedanken des § 548 BGB* nicht zu
vereinbaren und stellen bereits aus diesem Grund eine
unangemessene Benachteiligung der Beklagten dar.
Dies
führt zur Unwirksamkeit der Klausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 2 Nr. 1 BGB**. Denn die in § 548 Abs. 1 BGB* geregelte
kurze Verjährung der Ansprüche des Vermieters ist durch
berechtigte Interessen des Mieters im Rahmen der Abwicklung
des Mietverhältnisses begründet. Der Mieter hat nach der
Rückgabe der Mietsache an den Vermieter auf diese keinen
Zugriff mehr und kann somit ab diesem Zeitpunkt regelmäßig
auch keine beweissichernden Feststellungen mehr treffen.
Demgegenüber wird der Vermieter durch die Rückgabe der
Mietsache, an die das Gesetz den Verjährungsbeginn für dessen
Ansprüche anknüpft, in die Lage versetzt, sich Klarheit
darüber zu verschaffen, ob ihm gegen den Mieter Ansprüche
wegen Verschlechterung oder Veränderung der Mietsache
zustehen und er diese durchsetzen oder gegebenenfalls
innerhalb der sechsmonatigen Verjährungsfrist erforderliche
verjährungshemmende Maßnahmen ergreifen will. Es ist nicht
ersichtlich, dass diese Prüfung nicht regelmäßig in der vom
Gesetz vorgesehen Verjährungsfrist von sechs Monaten
vorgenommen werden könnte.
Vor diesem Hintergrund war
es - unter Berücksichtigung der Interessen sowohl des Mieters
als auch des Vermieters - das ausdrücklich erklärte Ziel des
Gesetzgebers, mit der kurzen Verjährungsregelung in § 548
BGB* aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit
zeitnah zur Rückgabe der Mietsache eine "möglichst schnelle"
Klärung über bestehende Ansprüche im Zusammenhang mit dem
Zustand der Mietsache zu erreichen. Die unangemessene
Benachteiligung des Mieters im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1
BGB** entfällt schließlich nicht dadurch, dass die
streitgegenständliche Klausel spiegelbildlich eine
Verlängerung auch seiner Ansprüche auf Ersatz von
Aufwendungen und auf Gestattung der Wegnahme einer
Einrichtung vorsieht. Denn auch die spiegelbildliche
Verlängerung beider Verjährungsfristen ändert nichts an dem
berechtigten und zentralen Interesse des Mieters an einer
möglichst kurzen, an die Rückgabe der Mietsache anknüpfenden
Verjährungsfrist - zumal den in § 548 Abs. 1 BGB* genannten
Ersatzansprüchen des Vermieters eine große praktische
Bedeutung zukommt, während Streitigkeiten über Wegnahme von
Einrichtungen und Aufwendungsersatz des Mieters (§ 548 Abs. 2
BGB*) deutlich seltener vorkommen dürften.
Vorinstanzen: Amtsgericht Berlin-Neukölln - Urteil vom
15. Juni 2016 - 9 C 244/15 Landgericht Berlin - Urteil
vom 26. Oktober 2016 - 65 S 305/16
Die maßgeblichen
Vorschriften lauten: * § 548 BGB Verjährung der
Ersatzansprüche und des Wegnahmerechts (1) 1Die
Ersatzansprüche des Vermieters wegen Veränderungen oder
Verschlechterungen der Mietsache verjähren in sechs Monaten.
2 Die Verjährung beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem er die
Mietsache zurückerhält. 3Mit der Verjährung des Anspruchs des
Vermieters auf Rückgabe der Mietsache verjähren auch seine
Ersatzansprüche. (2) Ansprüche des Mieters auf Ersatz
von Aufwendungen oder auf Gestattung der Wegnahme einer
Einrichtung verjähren in sechs Monaten nach der Beendigung
des Mietverhältnisses. ** 307 BGB Inhaltskontrolle
(1) 1Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind
unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders
entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen
benachteiligen. 2Eine unangemessene Benachteiligung kann
sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und
verständlich ist. (2) Eine unangemessene
Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine
Bestimmung 1.mit wesentlichen Grundgedanken der
gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu
vereinbaren ist […]
Personenstandsrecht muss weiteren
positiven Geschlechtseintrag - 3. Geschlecht - zulassen
8. November 2017 - Die Regelungen des
Personenstandsrechts sind mit den grundgesetzlichen
Anforderungen insoweit nicht vereinbar, als § 22 Abs. 3
Personenstandsgesetz (PStG) neben dem Eintrag „weiblich“ oder
„männlich“ keine dritte Möglichkeit bietet, ein Geschlecht
positiv eintragen zu lassen. Dies hat der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem
Beschluss entschieden.
Das allgemeine
Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1
Abs. 1 GG) schützt auch die geschlechtliche Identität
derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem
weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Darüber hinaus
verstößt das geltende Personenstandsrecht auch gegen das
Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 3 GG), soweit die
Eintragung eines anderen Geschlechts als „männlich“ oder
„weiblich“ ausgeschlossen wird.
Der Gesetzgeber hat
bis zum 31. Dezember 2018 eine Neuregelung zu schaffen.
Gerichte und Verwaltungsbehörden dürfen die betreffenden
Normen nicht mehr anwenden, soweit sie für Personen, deren
Geschlechtsentwicklung gegenüber einer weiblichen oder
männlichen Geschlechtsentwicklung Varianten aufweist und die
sich deswegen dauerhaft weder dem männlichen, noch dem
weiblichen Geschlecht zuordnen, eine Pflicht zur Angabe des
Geschlechts begründen.
Sachverhalt: Die
beschwerdeführende Person beantragte beim zuständigen
Standesamt die Berichtigung ihres Geburtseintrags
dahingehend, dass die bisherige Geschlechtsangabe „weiblich“
gestrichen und die Angabe „inter/divers“, hilfsweise nur
„divers“ eingetragen werden solle. Das Standesamt lehnte den
Antrag mit Hinweis darauf ab, dass nach deutschem
Personenstandsrecht im Geburtenregister ein Kind entweder dem
weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zuzuordnen ist,
oder - wenn dies nicht möglich ist - das Geschlecht nicht
eingetragen wird (§ 21 Abs. 1 Nr. 3, § 22 Abs. 3 PStG).
Der daraufhin beim zuständigen Amtsgericht gestellte
Berichtigungsantrag wurde zurückgewiesen; die hiergegen
gerichtete Beschwerde blieb erfolglos. Mit ihrer
Verfassungsbeschwerde rügt die beschwerdeführende Person
insbesondere eine Verletzung ihres allgemeinen
Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1
Abs. 1 GG) und eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts
(Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG).
Wesentliche Erwägungen des
Senats: 1. a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt
auch die geschlechtliche Identität, die regelmäßig ein
konstituierender Aspekt der eigenen Persönlichkeit ist. Der
Zuordnung zu einem Geschlecht kommt für die individuelle
Identität herausragende Bedeutung zu; sie nimmt
typischerweise eine Schlüsselposition sowohl im
Selbstverständnis einer Person als auch dabei ein, wie die
betroffene Person von anderen wahrgenommen wird. Dabei ist
auch die geschlechtliche Identität jener Personen geschützt,
die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht
zuzuordnen sind. b) In dieses Recht wird nach geltendem
Personenstandsrecht eingegriffen. Das Personenstandsrecht
verlangt einen Geschlechtseintrag, ermöglicht jedoch der
beschwerdeführenden Person, die sich selbst dauerhaft weder
dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnet,
keinen Eintrag, der ihrer Geschlechtsidentität entspräche.
Auch durch die Wahl der gesetzlichen Variante „fehlende
Angabe“ würde nicht abgebildet, dass die beschwerdeführende
Person sich nicht als geschlechtslos begreift, und nach
eigenem Empfinden ein Geschlecht jenseits von männlich oder
weiblich hat. Hierdurch ist die selbstbestimmte Entwicklung
und Wahrung der Persönlichkeit spezifisch gefährdet. Der
Personenstand ist keine Marginalie, sondern ist nach dem
Gesetz die „Stellung einer Person innerhalb der
Rechtsordnung“. Der Personenstand umschreibt in zentralen
Punkten die rechtlich relevante Identität einer Person. Die
Verwehrung der personenstandsrechtlichen Anerkennung der
geschlechtlichen Identität gefährdet darum bereits für sich
genommen die selbstbestimmte Entwicklung. c) Der
Grundrechtseingriff ist verfassungsrechtlich nicht
gerechtfertigt.
Das Grundgesetz gebietet
nicht, den Personenstand hinsichtlich des Geschlechts
ausschließlich binär zu regeln. Es zwingt weder
dazu, das Geschlecht als Teil des Personenstandes zu
normieren, noch steht es der personenstandsrechtlichen
Anerkennung einer weiteren geschlechtlichen Identität
jenseits des weiblichen und männlichen Geschlechts entgegen.
Dass im geltenden Personenstandsrecht keine Möglichkeit
besteht, ein drittes Geschlecht positiv eintragen zu lassen,
lässt sich nicht mit Belangen Dritter rechtfertigen.
Durch die bloße Eröffnung der Möglichkeit eines weiteren
Geschlechtseintrags wird niemand gezwungen, sich diesem
weiteren Geschlecht zuzuordnen. Allerdings müssen in einem
Regelungssystem, das Geschlechtsangaben vorsieht, die derzeit
bestehenden Möglichkeiten für Personen mit Varianten der
Geschlechtsentwicklung, sich als weiblich, männlich oder ohne
Geschlechtseintrag registrieren zu lassen, erhalten bleiben.
Auch bürokratischer und finanzieller Aufwand oder
Ordnungsinteressen des Staates vermögen die Verwehrung einer
weiteren einheitlichen positiven Eintragungsmöglichkeit nicht
zu rechtfertigen. Ein gewisser Mehraufwand wäre hinzunehmen.
Ein Anspruch auf personenstandsrechtlicher Eintragung
beliebiger Identitätsmerkmale, die einen Bezug zum Geschlecht
haben, ergibt sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht
hingegen nicht. Durch die Ermöglichung des positiven Eintrags
eines weiteren Geschlechts unter einer einheitlichen dritten
Bezeichnung entstehen auch keine Zuordnungsprobleme, die sich
nach geltendem Recht nicht ohnehin schon stellen. Denn im
Falle der Ermöglichung eines weiteren positiven
Geschlechtseintrags sind die gleichen Fragen zu klären, die
sich bei der nach derzeitiger Rechtslage möglichen
Nichteintragung des Geschlechts stellen.
2. Darüber
hinaus verstößt § 21 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 22 Abs.
3 PStG gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Danach darf das
Geschlecht grundsätzlich nicht als Anknüpfungspunkt für eine
rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden. Dabei
schützt Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG auch Menschen vor
Diskriminierungen, die sich nicht dem männlichen oder
weiblichen Geschlecht zuordnen. Denn Zweck des Art. 3 Abs. 3
Satz 1 GG ist es, Angehörige strukturell
diskriminierungsgefährdeter Gruppen vor Benachteiligung zu
schützen. § 21 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 22 Abs. 3
PStG benachteiligt aber Menschen, die nicht männlichen oder
weiblichen Geschlechts sind, wegen ihres Geschlechts, weil
diese im Gegensatz zu Männern und Frauen nicht ihrem
Geschlecht gemäß registriert werden können.
3. Die
Verfassungsverstöße führen zur Feststellung der
Unvereinbarkeit von § 21 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 22
Abs. 3 PStG mit dem Grundgesetz, weil dem Gesetzgeber mehrere
Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die Verfassungsverstöße
zu beseitigen. So könnte der Gesetzgeber auf einen
personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag generell
verzichten. Er kann aber stattdessen auch für die betroffenen
Personen die Möglichkeit schaffen, eine weitere positive
Bezeichnung eines Geschlechts zu wählen, das nicht männlich
oder weiblich ist. Dabei ist der Gesetzgeber nicht auf die
Wahl einer der von der antragstellenden Person im
fachgerichtlichen Verfahren verfolgten Bezeichnungen
beschränkt.
Die Bundesregierung hat Auskünfte
zur Deutschen Bahn AG und zur Finanzmarktaufsicht zu Unrecht
verweigert 7. November 2017 - Das
Bundesverfassungsgericht hat eine neue Pressemitteilung
veröffentlicht. Hierzu lautet der Kurztext: Mit heute
verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des
Bundesverfassungsgerichts festgestellt, dass die
Bundesregierung ihrer Antwortpflicht bei der Beantwortung von
Anfragen zur Deutschen Bahn AG und zur Finanzmarktaufsicht
nicht genügt und hierdurch Rechte der Antragsteller und des
Deutschen Bundestages verletzt hat. Die
streitgegenständlichen Fragen zu Vereinbarungen zwischen der
Bundesregierung und der Deutschen Bahn AG über Investitionen
in das Schienennetz, zu einem Gutachten zum Projekt
„Stuttgart 21“, zu Zugverspätungen und deren Ursachen sowie
zu aufsichtsrechtlichen Maßnahmen der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht gegenüber mehreren Banken in
den Jahren 2005 bis 2008 hat die Bundesregierung ohne
hinreichende Begründung unvollständig beantwortet oder
unbeantwortet gelassen.
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Oktober 2017 |
Schimmel in der Wohnung
Tipps zu gesundheitlichen und
rechtlichen Fragen
Sturmschaden auf
dem Firmenparkplatz – wer haftet? Beschädigt ein vom Sturm
in Bewegung gesetzter Müllcontainer auf dem
Betriebsparkplatz den Pkw eines Arbeitnehmers, haftet
der Arbeitgeber. Zumindest dann, wenn er den
Müllcontainer nicht ausreichend gesichert hat. Dies
geht laut D.A.S. Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S.
Leistungsservice) aus einem Urteil des
Landesarbeitsgerichts Düsseldorf hervor. LAG Düsseldorf, Az. 9 Sa
42/17
Treffen herumfliegende
Gegenstände bei einem Sturm geparkte Autos, richtet
sich die Haftung oft danach, ob der Besitzer dieser
Gegenstände seine Verkehrssicherungspflicht
missachtet hat – ob er diese Dinge also besser hätte
sichern müssen. Die Gerichte legen dem Geschädigten
oft eine Mithaftung auf, wenn der Sturm bereits beim
Parken absehbar war und er sein Auto an einer
gefährdeten Stelle abgestellt hat, beispielsweise
unter einem morschen Baum oder neben einer wackeligen
Reklametafel.
Der Fall: Ein
Gemeindemitarbeiter hatte seinen Pkw wie immer mit
Erlaubnis der Gemeinde auf deren Betriebsgelände
geparkt. Er war den ganzen Tag im Außeneinsatz. Als
er zurückkehrte, musste er feststellen, dass der an
diesem Tag herrschende Sturm mit Windstärke neun
einen großen rollbaren Müllcontainer in Bewegung
gesetzt und mit Wucht gegen sein Auto geschoben
hatte. Der Pkw war ein Totalschaden. Seine
Versicherung zahlte ihm die Differenz zwischen
Wiederbeschaffungswert und Restwert aus und verlangte
das Geld von der Gemeinde zurück. Denn diese habe
ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt und damit den
Schaden verursacht. Das Urteil:
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf gab der Klage
statt. Nach Informationen des D.A.S. Leistungsservice
war das Gericht der Ansicht, dass die Gemeinde hier
fahrlässig ihre Pflichten verletzt habe. Der Sturm
sei durch eine rechtzeitige Unwetterwarnung
angekündigt gewesen. Um ihrer
Verkehrssicherungspflicht nachzugehen, hätte die
Gemeinde das Betriebsgelände vorher abgehen und
mögliche Gefahrenstellen entschärfen müssen. Dazu
hätte sie in diesem Fall nur ein Tor zwischen
Müllcontainer und Parkplatz schließen müssen. Dass 14
Tage vorher jemand die Feststellbremse des
Müllcontainers angezogen habe, reiche nicht aus.
Bei einem Sturm mit Windstärke neun liege kein
unabwendbares Ereignis vor, bei dem keine
Sicherheitsmaßnahmen möglich seien. Der Mitarbeiter
habe keine Mitschuld an dem Schaden. Er habe sein
Auto um sieben Uhr morgens abgestellt und sich dann
sofort ganztags in den Außeneinsatz begeben. Er habe
sich darauf verlassen dürfen, dass die Gemeinde die
notwendigen Maßnahmen treffe, um ihr Betriebsgelände
zu sichern. Landesarbeitsgericht
Düsseldorf, Urteil vom 11. September 2017, Az. 9 Sa
42/17
Steuererklärung kann auch beim
unzuständigen Finanzamt fristwahrend eingereicht werden Köln. 16. Oktober 2017 - Der Einwurf einer
Steuererklärung am letzten Tag der Antragsfrist ist selbst
dann fristwahrend, wenn er beim unzuständigen Finanzamt
erfolgt. Dies hat der 1. Senat des Finanzgerichts Köln in
zwei heute veröffentlichten Urteilen entschieden (1 K 1637/14
und 1 K 1638/14).
Die Kläger warfen ihre
Steuererklärungen 2009 am 31.12.2013 gegen 20.00 Uhr bei
einem unzuständigen Finanzamt ein. Das zuständige Finanzamt
lehnte eine Veranlagung mit der Begründung ab, dass die
Erklärung erst 2014 an es weitergeleitet worden sei. Der
Antrag auf Durchführung einer Veranlagung sei damit erst nach
Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist und damit verspätet
gestellt worden. Dem folgte der 1. Senat nicht und
verpflichtete das Finanzamt die Veranlagungen für 2009
durchzuführen. Er vertrat die Auffassung, es sei
gesetzlich nicht vorgeschrieben, dass ein Veranlagungsantrag
beim zuständigen Finanzamt eingehen müsse. Auch könne die
Finanzverwaltung einem steuerlich unberatenen Bürger nicht
die Unzuständigkeit eines Finanzamts vorhalten, wenn sie
selbst nach außen als einheitliche Verwaltung auftrete.
Schließlich gehe auch der Einwurf der Erklärungen außerhalb
der üblichen Bürozeiten nicht zu Lasten der Kläger. Insoweit
habe die Finanzverwaltung einen generellen Empfangs- bzw.
Zugangswillen. Das beklagte Finanzamt hat die
zugelassenen Revisionen eingelegt. Die Verfahren werden beim
Bundefinanzhof in München unter den Aktenzeichen VI R 37/17
und VI R 38/17 geführt.
Sozialgericht Düsseldorf:
Spaziergang kann Arbeitsunfall sein
Düsseldorf, Oktober 2017 - Ein 60-jähriger Kläger aus Düsseldorf war
mit seiner Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf auf
Anerkennung eines Arbeitsunfalls erfolgreich. Er hatte gegen
die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft geklagt mit dem Ziel,
einen während einer Rehabilitation erlittenen Verkehrsunfall
als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Der Kläger war während einer stationären
Rehabilitation bei einem sonntäglichen Spaziergang beim
Überqueren eines Fußgängerüberwegs auf dem Weg zum Kurplatz
von einem Pkw erfasst und verletzt worden. Der Kläger ist der
Auffassung, dass es sich dabei um einen Arbeitsunfall
handele, er also einen Anspruch aus der gesetzlichen
Unfallkasse habe. Es sei im Rahmen der Rehabilitation ein
Ziel gewesen, sein Gewicht zu reduzieren. Mit dem
Spaziergang habe er seiner Verpflichtung zur aktiven
Mitarbeit bei der Gewichtsreduzierung nachkommen wollen.
Daher sei der Unfall beim Spaziergang als Arbeitsunfall
anzuerkennen. Die beklagte Berufsgenossenschaft erkannte den
Vorfall nicht als Versicherungsfall an und lehnte es ab,
Entschädigungsleistungen zu erbringen. Der Kläger gehöre
zwar zum versicherten Personenkreis, es habe sich jedoch bei
dem Spaziergang um eine sog. eigenwirtschaftliche und damit
nicht versicherte Tätigkeit gehandelt, besondere mit dem
Klinikaufenthalt verbundene Gefahrenmomente hätten nicht
vorgelegen. Der Spaziergang sei nicht ärztlich verordnet
gewesen. Ein bloßer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang mit
der Rehabilitationsmaßnahme sei nicht ausreichend.
Die 6. Kammer des Sozialgerichts
Düsseldorf folgte der Argumentation des Klägers. Es bestehe
ein innerer Zusammenhang mit der Rehabilitationsmaßnahme. Es
schade nicht, dass der Spaziergang an einem therapiefreien
Sonntag stattgefunden habe. Es reiche aus, wenn der
Versicherte von seinem Standpunkt aus der Auffassung sein
durfte, die Tätigkeit sei geeignet, der stationären
Behandlung zu dienen und diese Tätigkeit zudem objektiv
kurgerecht sei. Beides sei bei dem hier streitigen
sonntäglichen Spaziergang gegeben gewesen.
Urteil vom 20.06.2017 – S 6 U 545/14 –
rechtskräftig –
Bundesgerichtshof: Zünden eines
Knallkörpers auf Fußballtribüne – hier: Höhe des
Schadensersatzes bei Verbandsstrafe für mehrere Vorfälle)
Karlsruhe, den 9. Oktober 2017 - Verhandlungstermin am 9.
November 2017, 10.00 Uhr, in Sachen VII ZR 62/17
(Sachverhalt: Die Klägerin betreibt den Profifußballbereich
des 1. FC Köln. Sie verlangt von dem Beklagten
Schadensersatz wegen des Zündens eines Knallkörpers bei einem
Heimspiel im RheinEnergieStadion in der 2. Bundesliga gegen
den SC Paderborn 07 am 9. Februar 2014. Wegen dieses Vorfalls
und weiterer vorangegangener Vorfälle bei anderen Spielen der
Lizenzspielermannschaft der Klägerin verhängte das
Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes e.V. (DFB) eine
Verbandsstrafe gegen die Klägerin, u.a. bestehend aus einer
Geldstrafe in Höhe von 50.000 € sowie der Bewährungsauflage,
weitere 30.000 € für Projekte und Maßnahmen zu verwenden, die
der Gewaltprävention sowie der Ermittlung von konkreten
Tätern bei den Fußballspielen der Klägerin dienen. Unter
Anrechnung einer bereits früher von der Klägerin getätigten
Aufwendung für ein Kamerasystem verblieben 60.000 €, die die
Klägerin zahlte.
Sie verlangt vom Beklagten Ersatz in
Höhe von 30.000 €. Bisheriger Prozessverlauf: Das Landgericht
hatte der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten
hatte das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Durch Urteil
vom 22. September 2016 -VII ZR 14/16 hat der
Bundesgerichtshof dieses Urteil aufgehoben und die Sache an
das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht
hat den Beklagten nunmehr zur Zahlung von 20.340 € verurteilt
und die weitergehende Klage abgewiesen. Das
Berufungsgericht hat gemeint, die nach der Entscheidung des
Bundesgerichtshofs allein noch im Streit stehende Höhe des
Schadensersatzanspruchs bemesse sich danach, in welchem Maße
sich die Pflichtverletzung des Beklagten in der konkret
verhängten und gezahlten Strafe niedergeschlagen habe. Dieses
Maß ergebe sich aus dem Verhältnis seiner Strafe zur Summe
der für die einzelnen Vorfälle (rechnerisch) angesetzten
Einzelstrafen.
Das seien hier 40.000 €: 118.000 €, da
für die einzelnen Vorfälle Strafen von 20.000 €, 20.000 €,
38.000 € und 40.000 € (nur letztere den Beklagten
betreffend), zusammen also 118.000 € verhängt wurden, wovon
60.000 € tatsächlich zu zahlen gewesen seien. Im Ergebnis
also 40/118 von 60.000€ = 20.340€ (aufgerundet). Mit der
vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die
Klägerin weiterhin die Verurteilung zur Zahlung von insgesamt
30.000 €. Vorinstanzen: LG Köln - Urteil vom 8. April 2015
- 7 O 231/14 OLG Köln - Urteil vom 17. Dezember 2015 - 7 U
54/15 BGH - Urteil vom 22. September 2016 - VII ZR 14/16 OLG
Köln - Urteil vom 9. März 2017 - 7 U 54/15 Karlsruhe, den 9.
Oktober 2017
Oberlandesgericht Hamm: Strafbares
Vermummen nach Fußballspiel
Hamm/Duisburg, 06. Oktober 2017 - Wer sich
nach dem Ende eines Fußballspiels noch auf dem Stadiongelände
vermummt, kann wegen Verstoßes gegen das im
Versammlungsgesetz angeordnete Vermummungsverbot zu bestrafen
sein. Ausgehend hiervon hat der 4. Strafsenat des
Oberlandesgerichts Hamm mit Beschluss vom 07.09.2017 (Az. 4
RVs 97/17 OLG Hamm) die Revision des Angeklagten gegen das
Berufungsurteil des Landgerichts Paderborn vom 27.03.2017
(Az. 3 Ns 20 Js 525/15 (181/16) LG Paderborn) als unbegründet
verworfen.
Der seinerzeit 21 Jahre alte Angeklagte
aus Stuttgart besuchte im Mai 2015 als Auswärtsfan das
Bundesligaspiel des SC Paderborn gegen den VfB Stuttgart in
der Benteler Arena in Paderborn. Nach dem Abpfiff und dem
Verlassen des Stadions hielt sich der Angeklagte noch auf dem
zum Stadiongelände gehörenden Gästeparkplatz bei den dort
geparkten Bussen auf. Hier kam es aus einer Gruppe der auf
dem Parkplatz anwesenden Anhänger des VfB Stuttgart heraus zu
einem Tumult. Pyrotechnik wurde gezündet. Eingesetzte
Beamte forderten die Anhänger auf, sich ruhig zu verhalten,
zu den Bussen zu begeben und in diese einzusteigen. Zudem
beabsichtigten die Beamten, die Personalien einzelner
Anhänger festzustellen. Als der Angeklagte, welcher bereits
in einen der Busse eingestiegen war, den Tumult bemerkte,
maskierte er sich. Er verbarg sein Gesicht hinter einem roten
Schal bzw. einer Sturmhaube, so dass nur noch die Augenpartie
zu erkennen war. Zudem zog er die Kapuze seines Sweatshirts
und auch die Kapuze seiner Jacke tief ins Gesicht. So wollte
er die Identifizierung seiner Person verhindern. Sodann
verließ er den Bus und stellte sich den eingesetzten
Polizeibeamten gegenüber.
Der Aufforderung der
anwesenden Beamten, wieder in den Bus einzusteigen, folgte er
zunächst nicht. Vielmehr schrie er die Polizeibeamten an und
schlug von außen aggressiv mit der flachen Hand kräftig gegen
den Bus. Andere Anhänger des VfB Stuttgart konnten ihn nach
kurzer Zeit in den Bus zurückdrängen. Die Identität des
Angeklagten konnte später durch eine Auswertung eines von dem
Vorfall aufgezeichneten Videos festgestellt werden.
Dieses Geschehen bewertete das Amtsgericht
Paderborn mit Urteil vom 14.09.2016 (Az. 72 Cs 757/15 AG
Paderborn) als vorsätzlichen Verstoß gegen das
Vermummungsverbot des Versammlungsgesetzes (§§ 27 Abs. 2 Nr.
2, 17a Abs. 2 Nr. 1 VersammlG) und verhängte gegen den
Angeklagten eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen. Auf die
Berufung des Angeklagten bestätigte die 3. kleine Strafkammer
des Landgerichts Paderborn mit Urteil vom 27.03.2017 die
erstinstanzliche Entscheidung, die Höhe eines Tagessatzes auf
40 Euro festsetzend.
Die Revision des Angeklagten gegen das
Berufungsurteil des Landgerichts Paderborn ist erfolglos
geblieben. Nach der Entscheidung des 4. Strafsenats des
Oberlandesgerichts Hamm rechtfertigten die rechtsfehlerfrei
getroffenen Feststellungen des Landgerichts die Verurteilung
des Angeklagten zu der Geldstrafe.
Als Veranstaltungen unter freiem Himmel
fielen Fußballspiele - wie auch das in Frage stehende Spiel
in der Benteler Arena - unter die einschlägigen Vorschriften
des Versammlungsgesetzes.
Bei seiner Vermummungstat sei der
Angeklagte noch auf der Veranstaltung gewesen. Dem stehe
nicht entgegen, dass das Fußballspiel zum Zeitpunkt des
Vorfalls bereits abgepfiffen gewesen sei und der Angeklagte
das Stadioninnere bereits verlassen gehabt habe. Solange er
sich im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem zuvor
besuchten Spiel noch auf dem Stadiongelände selbst befunden
habe, um ein ihm dort zur Verfügung stehendes Mittel zum
Abtransport zu nutzen, habe er noch an der Veranstaltung
teilgenommen.
Die Veranstaltung sei öffentlich gewesen,
weil grundsätzlich jeder eine Eintrittskarte habe erwerben
und die Veranstaltung habe besuchen können.
Die Vermummung des Angeklagten sei zudem
geeignet und darauf ausgerichtet gewesen, die Feststellung
seiner Identität zu beeinträchtigen. Er sei zum Zeitpunkt des
Vorfalls so maskiert gewesen, dass nur noch seine Augenpartie
zu erkennen gewesen sei.
Die Strafzumessung des Landgerichts weise
keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
Rechtskräftiger Beschluss des 4.
Strafsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 07.09.2017 (Az. 4
RVs 97/17 OLG Hamm)
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September 2017 |
Landesarbeitsgericht Düsseldorf:
Verkehrssicherungspflicht im Arbeitsverhältnis bei einem
Sturm
Düsseldorf/Duisburg, 13. September 2017 -
Am 05.05.2015 parkte der Arbeitnehmer sein Fahrzeug auf dem
Betriebshof seiner Arbeitgeberin, der beklagten Gemeinde.
Diese hatte den Mitarbeitern gestattet, ihre Wagen dort
während der Dienstzeit abzustellen. Auf dem Betriebshof
befand sich ein Großmüllbehälter. Dieser wurde durch
Windeinwirkung gegen den PKW des Arbeitnehmers geschoben, der
so stark beschädigt wurde, dass er einen wirtschaftlichen
Totalschaden erlitt. Die Differenz von 1.380 Euro
zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert zahlte die
klagende Versicherung an den Arbeitnehmer. Die Versicherung
verlangt aus übergegangenem Recht von der Gemeinde die
Zahlung von 1.380 Euro sowie die Erstattung der Kosten eines
Wettergutachtens von 47 Euro. Anders als vor dem
Arbeitsgericht hatte die Klage vor dem Landesarbeitsgericht,
abgesehen von der Erstattung der 47 Euro, Erfolg. Die
beklagte Gemeinde ist zur Erstattung des Schadens von 1.380
Euro verpflichtet. Sie haftet, weil sie ihre
Verkehrssicherungspflicht fahrlässig verletzt hat. Der
Umstand, dass deren Großmüllbehälter das Fahrzeug des
Arbeitnehmers zerstört hat, indizierte die Verletzung der
Verkehrssicherungspflicht. Diese Verletzung konnte die
Gemeinde nicht ausräumen.
Nach der Sturmwarnung vor
dem Tief Zoran war sie verpflichtet, ihr Betriebsgelände
abzugehen und etwaige Gefahrenquellen zu sichern. Sie hat
dies zwar im Grundsatz getan, dabei den Großmüllbehälter aber
nicht im Blick gehabt. Der Umstand, dass die Feststellbremsen
bei der letzten Leerung am 20.04.2015 ggfs. angezogen worden
waren, reichte zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht
nicht aus. Es hätte der Kontrolle am 05.05.2015 bedurft. Ohne
weiteres hätte auch das Tor geschlossen werden können, das
sich zwischen dem parkenden Auto und dem Großmüllbehälter
befand.
Angesichts einer Windgeschwindigkeit von 85
km/h bzw. einer Windstärke 9 konnte nicht von einem
unabwendbaren Ereignis oder einem so starken Sturm, bei dem
keine Sicherheitsmaßnahmen mehr helfen, ausgegangen werden.
Ein Mitverschulden des Arbeitnehmers hat das Gericht
verneint, weil dieser seinen Wagen morgens um 07.00 Uhr zu
Arbeitsbeginn auf dem Betriebsgelände parkte und den ganzen
Tag über im Außeneinsatz war. Er durfte davon ausgehen,
dass die beklagte Gemeinde die erforderlichen Maßnahmen zur
Sicherung des Betriebshofs ergriffen hatte bzw. ergreifen
werde. Die Kosten für das Wettergutachten waren im konkreten
Fall nicht erstattungsfähig. Das Landesarbeitsgericht hat die
Revision nicht zugelassen. Landesarbeitsgericht Düsseldorf,
Urteil vom 11.09.2017 – 9 Sa 42/17 Arbeitsgericht Wesel,
Urteil vom 16.12.2016 – 5 Ca 1194/16
Unwirksamkeit mehrerer Entgeltklauseln einer Sparkasse
Bundesgerichtshof-Urteil vom 12. September 2017 – XI ZR
590/15
Der unter anderem für das Bankrecht zuständige
XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass
mehrere vorformulierte Entgeltklauseln einer Sparkasse
unwirksam sind und deshalb gegenüber Verbrauchern nicht
verwendet werden dürfen. Sachverhalt Der Kläger ist ein
Verbraucherschutzverein, der als qualifizierte Einrichtung
gemäß § 4 UKlaG eingetragen ist. Er macht die Unwirksamkeit
verschiedener Klauseln geltend, die die beklagte Sparkasse in
ihrem Preis- und Leistungsverzeichnis gegenwärtig verwendet
bzw. verwendet hat.
Im Einzelnen beanstandet der
Kläger folgende Regelungen:
- Klausel 1: eine Klausel,
mit der die Beklagte für die berechtigte Ablehnung der
Einlösung einer SEPA-Lastschrift ein Entgelt in Höhe von 5 €
erhebt ("Unterrichtung über die berechtigte Ablehnung der
Einlösung einer SEPA-Basis-Lastschrift bei Postversand 5,00
€");
- Klauseln 2 und 3: zwei Klauseln, mit denen an zwei
unterschiedlichen Stellen im Preis- und Leistungsverzeichnis
die jeweils inhaltsgleiche Regelung getroffen wird, dass für
die Unterrichtung über die berechtigte Ablehnung der
Ausführung einer
Einzugsermächtigungs-/Abbuchungsauftragslastschrift bei
fehlender Deckung ein Entgelt in Höhe von 5 € anfällt
("Unterrichtung über die berechtigte Ablehnung der Ausführung
(bei Postversand) einer
Einzugsermächtigungs-/Abbuchungsauftrags-lastschrift mangels
Deckung 5.00 €");
- Klausel 4: eine Klausel, mit
der die Beklagte bei Überweisungen innerhalb Deutschlands und
in andere Staaten des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) in
Währungen eines Staates außerhalb des EWR
(Drittstaatenwährung) sowie bei Überweisungen in Staaten
außerhalb des EWR (Drittstaaten) für die Unterrichtung über
die berechtigte Ablehnung der Ausführung eines
Überweisungsauftrages bei fehlender Deckung ein Entgelt in
Höhe von 5 € berechnet ("Unterrichtung über die berechtigte
Ablehnung der Ausführung (bei Postversand) … eines
Überweisungsauftrages mangels Deckung 5,00 €");
-
Klausel 5: eine mit der Klausel 4 wortgleiche Regelung
betreffend Überweisungen innerhalb Deutschlands und in andere
Staaten des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) in Euro oder
in anderen EWR-Währungen;
- Klausel 6: eine Klausel,
mit der die Beklagte unter anderem für die Aussetzung und die
Löschung eines Dauerauftrages bis zum 1. Juli 2013 auch von
Verbrauchern ein Entgelt in Höhe von 2 € erhoben hat
("Dauerauftrag: Einrichtung/Änderung/Aussetzung/Löschung 2,00
€");
- Klausel 7: eine von der Beklagten bis zum 13.
Dezember 2012 verwendete Klausel, wonach für die Führung
eines Pfändungsschutzkontos ein monatliches Entgelt in Höhe
von 7 € anfiel ("Pfändungsschutzkonto:
Privat-/Geschäftsgirokonto; Privatgirokonto: Grundpreis je
angefangenen Monat 7,00 €");
- Klausel 8: eine
Klausel, mit der die Beklagte für die Änderung oder
Streichung einer Wertpapierorder ein Entgelt in Höhe von 5 €
in Rechnung stellt ("Änderung, Streichung einer Order 5,00
€"). Der Kläger ist der Ansicht, dass die Klauseln 1 bis 5
und 7 insgesamt, die Klausel 6 hinsichtlich der Varianten
"Aussetzung" und "Löschung" sowie die Klausel 8 bezüglich der
Alternative "Streichung einer Order" gegen § 307 BGB*
verstoßen, und nimmt die Beklagte insoweit darauf in
Anspruch, deren Verwendung gegenüber Privatkunden zu
unterlassen.
Prozessverlauf Die
Unterlassungsklage hatte vor dem Landgericht überwiegend -
mit Ausnahme der Klauseln 7 und 8 - Erfolg.
Das Oberlandesgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers
auch in Bezug auf die beiden vorgenannten Klauseln, also
umfassend stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Revision der
Beklagten hat der Bundesgerichtshof zurückgewiesen.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Die Klauseln 1 bis 5
weichen von § 675f Abs. 4 Satz 2****, § 675o Abs. 1 Satz 4
BGB***** und damit von einer gesetzlichen Preisregelung ab,
weil das darin jeweils vorgesehene Entgelt in Höhe von 5 €
für die Unterrichtung über die berechtigte Ablehnung der
Ausführung einer SEPA-Lastschrift, einer
Einzugsermächtigungs- oder Abbuchungsauftragslastschrift bzw.
einer Überweisung auf der Grundlage des Prozessvortrags der
Beklagten nicht an den hierfür tatsächlich anfallenden Kosten
ausgerichtet ist.
Gemäß den - mit den eindeutigen
Vorgaben der EU-Zahlungsdiensterichtlinie in Einklang
stehenden - Vorschriften der § 675f Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1
BGB****, § 675o Abs. 1 Satz 4 BGB***** kann der
Zahlungsdienstleister mit dem Zahlungsdienstnutzer im Rahmen
des Zahlungsdiensterahmenvertrages (§ 675f Abs. 2 BGB****)
für die Unterrichtung über eine berechtigte Ablehnung eines
Zahlungsauftrages ausnahmsweise ein Entgelt vereinbaren, das
allerdings nach § 675f Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 BGB****
angemessen und an den tatsächlichen Kosten des
Zahlungsdienstleisters ausgerichtet sein muss. Hingegen
müssen Kosten für die Entscheidung über die Ausführung eines
Zahlungsauftrages - auch wenn diese der Ablehnung eines
Zahlungsauftrages zwingend vorangeht - außer Betracht
bleiben, weil die Berücksichtigung dieser Kosten sich weder
mit dem klaren Gesetzeswortlaut noch mit den ausdrücklichen
Richtlinienvorgaben vereinbaren lässt.
Vorliegend ist
das in den Klauseln 1 bis 5 vorgesehene Entgelt in Höhe von 5
€ nicht an den Kosten der Beklagten für die Unterrichtung des
Zahlungsdienstnutzers ausgerichtet. Vielmehr hat die Beklagte
in erheblichem Umfang Kostenpositionen berücksichtigt, die
ihren eigenen Erläuterungen zufolge lediglich im Zusammenhang
mit der Entscheidung über die Nichtausführung des
Zahlungsauftrages stehen, nicht aber mit der Unterrichtung
des Kunden hierüber.
Die Klausel 6 weicht
hinsichtlich der Fallgruppen "Aussetzung" und "Löschung"
eines Dauerauftrages ebenfalls von der gesetzlichen
Preisregelung des § 675f Abs. 4 Satz 2 BGB**** ab, weil die
Beklagte in diesen Fällen kein Entgelt erheben darf. Die
Ausführung eines Dauerauftrages stellt gemäß § 675c Abs. 3
BGB** iVm § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b ZAG******* einen
Zahlungsdienst dar, für dessen Erbringung als vertragliche
Hauptleistung der Zahlungsdienstleister gemäß § 675f Abs. 4
Satz 1 BGB**** ein Entgelt verlangen kann.
Die
Aussetzung und Löschung eines Dauerauftrages zielen aber
nicht auf dessen Ausführung, sondern im Gegenteil darauf ab,
dass dieser nicht ausgeführt wird. Sie sind als Widerruf (§
675p BGB******) des auf Ausführung des Dauerauftrages
gerichteten Zahlungsauftrages zu verstehen.
Die
Berücksichtigung dieses Widerrufs stellt eine gesetzliche
Nebenpflicht der Beklagten dar, wie aus § 675f Abs. 4 Satz
2****, § 675p Abs. 4 Satz 3 BGB****** folgt, weil für die
Bearbeitung des Widerrufs nur im Falle von § 675p Abs. 4 Satz
1 BGB****** ein Entgelt vereinbart werden darf.
Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass die Bearbeitung des
Widerrufs im Regelfall unentgeltlich zu erfolgen hat. Die
Klausel 6 entspricht jedoch nicht diesem
Regel-/Ausnahmeverhältnis, sondern sieht unterschiedslos die
Erhebung eines Entgelts in Höhe von 2 € vor.
Die
Klausel 7 unterliegt ebenfalls der Inhaltskontrolle, weil sie
für die Führung des Pfändungsschutzkontos ein Entgelt in Höhe
von 7 € vorsieht, das nach den Vorgaben der Senatsurteile vom
13. November 2012 (XI ZR 500/11 und XI ZR 145/12; vgl. dazu
Pressemitteilung Nr. 191/2012) eine kontrollfähige
Preisnebenabrede darstellt. Bei der Klausel 8 handelt es sich
im Hinblick auf die streitige Alternative der "Streichung
einer Order" gleichfalls um eine der Inhaltskontrolle
unterworfene Preisnebenabrede.
Die Beklagte wälzt
hiermit Aufwand zur Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht auf
den Kunden ab. Erfolgt der Erwerb von Wertpapieren durch eine
Bank im Kundenauftrag im Wege des Kommissionsgeschäfts, so
ist Hauptleistungspflicht und damit die durch eine
Preishauptabrede abzugeltende Hauptleistung des Kommissionärs
das mit der gebotenen Sorgfalt zu erbringende Bemühen, dem
Auftrag des Kommittenten entsprechende Kaufverträge
abzuschließen.
Diese Verpflichtung besteht bei der
Streichung einer Wertpapierorder nicht fort und kann aus
diesem Grunde nicht die zu vergütende Hauptleistung sein.
Eine Bank, die die Streichung einer Wertpapierorder
berücksichtigt, erbringt ferner keine rechtlich nicht
geregelte Sonderleistung. Die Streichung einer
Wertpapierorder stellt eine - bis zur Ausführung des
Kommissionsgeschäfts jederzeit mögliche - Kündigung des
Kommissionsvertrages dar.
Damit geht die gesetzliche
Nebenpflicht des Kommissionärs einher, dieser Kündigung Folge
zu leisten und ihr im Verhältnis zum Kommittenten Rechnung zu
tragen. Indem die Klausel 8 für diesen Fall ein Entgelt in
Höhe von 5 € vorsieht, wälzt sie einen Aufwand der Beklagten
zur Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht auf den Kunden ab
und unterliegt damit als Preisnebenabrede der
Inhaltskontrolle. Dass der Kunde Wertpapiere von seiner Bank
auch im Wege des sogenannten Festpreisgeschäfts erwerben
kann, von dem der Kunde sich nicht jederzeit einseitig lösen
kann, ist unerheblich. Denn die Klausel 8 differenziert nicht
zwischen einem Erwerb von Wertpapieren im Wege des
Kommissionsgeschäfts oder des sogenannten Festpreisgeschäfts.
Der hiernach eröffneten Inhaltskontrolle halten die
angegriffenen Klauseln nicht stand, weil sie mit wesentlichen
Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen, von denen
abgewichen wird, nicht zu vereinbaren sind (§ 307 Abs. 2 Nr.
1 BGB*) und die Kunden der Beklagten entgegen den Grundsätzen
von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen (§ 307 Abs.
1 Satz 1 BGB*).
Dies gilt für die Klauseln 1, 2, 3, 5
und 6 (im angegriffenen Umfang der "Aussetzung" und
"Löschung" eines Dauerauftrages) bereits deshalb, weil sie
gegen die Vorgaben von § 675f Abs. 4 Satz 2****, § 675o Abs.
1 Satz 4 BGB***** verstoßen, von denen gemäß § 675e Abs. 1
BGB*** nicht zum Nachteil des Zahlungsdienstnutzers
abgewichen werden darf. Die Klausel 4 weicht von den gemäß §
675e Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BGB*** disponiblen Vorgaben der
§ 675f Abs. 4 Satz 2****, § 675o Abs. 1 Satz 4 BGB***** ab,
wodurch die unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307
Abs. 1 Satz 1 BGB* indiziert wird.
Umstände, nach
denen diese Vermutung als widerlegt anzusehen sein könnte,
sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Klausel 7
hält nach den Vorgaben der Senatsurteile vom 13. November
2012 (XI ZR 500/11 und XI ZR 145/12; vgl. dazu
Pressemitteilung Nr. 191/2012) einer Inhaltskontrolle
ebenfalls nicht stand. Die Klausel 8 ist unwirksam, weil sie
von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung
abweicht, da sie einen Aufwand der Beklagten für die
Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht auf den Kunden abwälzt.
Zu den wesentlichen Grundgedanken auch des
dispositiven Rechts gehört, dass jeder Rechtsunterworfene
seine gesetzlichen Rechtspflichten zu erfüllen hat, ohne
dafür ein gesondertes Entgelt verlangen zu können. Ein
Anspruch hierauf besteht nur, wenn dies im Gesetz
ausnahmsweise vorgesehen ist, was vorliegend nicht der Fall
ist. Durch die Abweichung von den Grundgedanken der
gesetzlichen Regelung wird die unangemessene Benachteiligung
im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB* indiziert, ohne dass
Umstände ersichtlich oder vorgetragen wären, die diese
Vermutung widerlegen.
Im Hinblick auf die Verwendung
der beanstandeten Klauseln besteht schließlich auch die
erforderliche Wiederholungsgefahr. Die auf Grund der
Verwendung der Klauseln 1 bis 5 und 8 in ihrem Preis- und
Leistungsverzeichnis vermutete Wiederholungsgefahr hat die
Beklagte nicht widerlegt. Darüber hinaus ist bezüglich der
Klausel 6 gleichfalls von einer Wiederholungsgefahr
auszugehen.
Die Beklagte hat diese Regelung nicht nur
außergerichtlich, sondern auch noch im Rechtsstreit
verteidigt. Dass sie die Klausel mit Wirkung zum 1. Juli 2013
in ihrem Preis- und Leistungsverzeichnis geändert hat, reicht
allein zur Widerlegung der Wiederholungsgefahr nicht aus.
Unerheblich ist auch, ob die Aufnahme der Klausel 6 in
das Preis- und Leistungsverzeichnis der Beklagten - wie diese
im Rechtsstreit geltend gemacht hat - auf einem
redaktionellen Versehen beruht. Eine Wiederholungsgefahr ist
in Bezug auf die Klausel 7 ebenfalls nicht ausgeräumt.
Abgesehen davon, dass allein die insoweit erfolgte Änderung
des Preis- und Leistungsverzeichnisses der Beklagten zum 13.
Dezember 2012 für sich gesehen die Wiederholungsgefahr nicht
entfallen lässt, ist eine abweichende Beurteilung auch nicht
unter Berücksichtigung des weiteren Umstandes veranlasst,
dass dies in Reaktion auf die vorgenannten Senatsurteile vom
13. November 2012 (XI ZR 500/11 und XI ZR 145; vgl. dazu
Pressemitteilung Nr. 191/2012) erfolgt ist.
Denn die
Beklagte hat diese Klausel gegenüber dem Kläger noch
vorgerichtlich in der Sache verteidigt und sich erst im
Prozess darauf zurückgezogen, es sei keine
Wiederholungsgefahr mehr gegeben.
Die Abgabe einer
strafbewehrten Unterlassungserklärung ist daher nicht
entbehrlich. Darüber hinaus ist aufgrund der Änderung der
Regelung mit Wirkung für die Zukunft nicht die Gefahr
beseitigt, dass sich die Beklagte in der Abwicklung von
Altfällen auf die unwirksame Klausel berufen könnte, da sie
insoweit keine Maßnahmen getroffen hat, dieser Gefahr zu
begegnen.
Vorinstanzen: Landgericht
Freiburg – Urteil vom 14. April 2014 – 2 O 48/13 OLG
Karlsruhe – Urteil vom 2. Dezember 2015 – 13 U 72/14
Karlsruhe, den 12. September 2017 *§ 307 BGB Inhaltskontrolle
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind
unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders
entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen
benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich
auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und
verständlich ist. (2) Eine unangemessene Benachteiligung ist
im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
1. mit
wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der
abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des
Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des
Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2
sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in
Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von
Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende
Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach
Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam
sein. **§ 675c BGB (1)
Auf einen
Geschäftsbesorgungsvertrag, der die Erbringung von
Zahlungsdiensten zum Gegenstand hat, sind die §§ 663, 665 bis
670 und 672 bis 674 entsprechend anzuwenden, soweit in diesem
Untertitel nichts Abweichendes bestimmt ist. (2) Die
Vorschriften dieses Untertitels sind auch auf einen Vertrag
über die Ausgabe und Nutzung von elektronischem Geld
anzuwenden. (3) Die Begriffsbestimmungen des
Kreditwesengesetzes und des Zahlungsdiensteaufsichtsgesetzes
sind anzuwenden. ***§ 675 e BGB (1) Soweit nichts anderes
bestimmt ist, darf von den Vorschriften dieses Untertitels
nicht zum Nachteil des Zahlungsdienstnutzers abgewichen
werden. (2) Für Zahlungsdienste im Sinne des § 675d Abs.
1 Satz 2 sind § 675q Abs. 1 und 3, § 675s Abs. 1, § 675t Abs.
2, § 675x Abs. 1 und § 675y Abs. 1 und 2 sowie § 675z Satz 3
nicht anzuwenden; soweit solche Zahlungsdienste in der
Währung eines Staates außerhalb des Europäischen
Wirtschaftsraums erbracht werden, ist auch § 675t Abs. 1
nicht anzuwenden.
Im Übrigen darf für Zahlungsdienste
im Sinne des § 675d Abs. 1 Satz 2 zum Nachteil des
Zahlungsdienstnutzers von den Vorschriften dieses Untertitels
abgewichen werden; soweit solche Zahlungsdienste jedoch in
Euro oder in der Währung eines Mitgliedstaats der
Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaats des
Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum erbracht
werden, gilt dies nicht für § 675t Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie
Abs. 3. (3) … (4) … ****§ 675f BGB Zahlungsdienstevertrag (1)
… (2)
Durch einen Zahlungsdiensterahmenvertrag wird
der Zahlungsdienstleister verpflichtet, für den
Zahlungsdienstnutzer einzelne und aufeinander folgende
Zahlungsvorgänge auszuführen sowie gegebenenfalls für den
Zahlungsdienstnutzer ein auf dessen Namen oder die Namen
mehrerer Zahlungsdienstnutzer lautendes Zahlungskonto zu
führen. Ein Zahlungsdiensterahmenvertrag kann auch
Bestandteil eines sonstigen Vertrags sein oder mit einem
anderen Vertrag zusammenhängen. (3) Zahlungsvorgang ist jede
Bereitstellung, Übermittlung oder Abhebung eines Geldbetrags,
unabhängig von der zugrunde liegenden Rechtsbeziehung
zwischen Zahler und Zahlungsempfänger.
Zahlungsauftrag
ist jeder Auftrag, den ein Zahler seinem
Zahlungsdienstleister zur Ausführung eines Zahlungsvorgangs
entweder unmittelbar oder mittelbar über den
Zahlungsempfänger erteilt. (4) Der Zahlungsdienstnutzer ist
verpflichtet, dem Zahlungsdienstleister das für die
Erbringung eines Zahlungsdienstes vereinbarte Entgelt zu
entrichten. Für die Erfüllung von Nebenpflichten nach diesem
Untertitel hat der Zahlungsdienstleister nur dann einen
Anspruch auf ein Entgelt, sofern dies zugelassen und zwischen
dem Zahlungsdienstnutzer und dem Zahlungsdienstleister
vereinbart worden ist; dieses Entgelt muss angemessen und an
den tatsächlichen Kosten des Zahlungsdienstleisters
ausgerichtet sein. (5) … *****§ 675o BGB Ablehnung von
Zahlungsaufträgen (1)
Lehnt der Zahlungsdienstleister die
Ausführung eines Zahlungsauftrags ab, ist er verpflichtet,
den Zahlungsdienstnutzer hierüber unverzüglich, auf jeden
Fall aber innerhalb der Fristen gemäß § 675s Abs. 1 zu
unterrichten. In der Unterrichtung sind, soweit möglich, die
Gründe für die Ablehnung sowie die Möglichkeiten anzugeben,
wie Fehler, die zur Ablehnung geführt haben, berichtigt
werden können. Die Angabe von Gründen darf unterbleiben,
soweit sie gegen sonstige Rechtsvorschriften verstoßen würde.
Der Zahlungsdienstleister darf mit dem
Zahlungsdienstnutzer im Zahlungsdiensterahmenvertrag für die
Unterrichtung über eine berechtigte Ablehnung ein Entgelt
vereinbaren. (2) … (3) … ******§ 675p BGB Unwiderruflichkeit
eines Zahlungsauftrags (1) Der Zahlungsdienstnutzer kann
einen Zahlungsauftrag vorbehaltlich der Absätze 2 bis 4 nach
dessen Zugang beim Zahlungsdienstleister des Zahlers nicht
mehr widerrufen. (2) Wurde der Zahlungsvorgang vom
Zahlungsempfänger oder über diesen ausgelöst, so kann der
Zahler den Zahlungsauftrag nicht mehr widerrufen, nachdem er
den Zahlungsauftrag oder seine Zustimmung zur Ausführung des
Zahlungsvorgangs an den Zahlungsempfänger übermittelt hat.
Im Fall einer Lastschrift kann der Zahler den
Zahlungsauftrag jedoch unbeschadet seiner Rechte gemäß § 675x
bis zum Ende des Geschäftstags vor dem vereinbarten
Fälligkeitstag widerrufen. (3) Ist zwischen dem
Zahlungsdienstnutzer und seinem Zahlungsdienstleister ein
bestimmter Termin für die Ausführung eines Zahlungsauftrags
(§ 675n Abs. 2) vereinbart worden, kann der
Zahlungsdienstnutzer den Zahlungsauftrag bis zum Ende des
Geschäftstags vor dem vereinbarten Tag widerrufen. (4) Nach
den in den Absätzen 1 bis 3 genannten Zeitpunkten kann der
Zahlungsauftrag nur widerrufen werden, wenn der
Zahlungsdienstnutzer und sein Zahlungsdienstleister dies
vereinbart haben.
In den Fällen des Absatzes 2 ist
zudem die Zustimmung des Zahlungsempfängers zum Widerruf
erforderlich. Der Zahlungsdienstleister darf mit dem
Zahlungsdienstnutzer im Zahlungsdiensterahmenvertrag für die
Bearbeitung eines solchen Widerrufs ein Entgelt vereinbaren.
(5) … *******§ 1 ZAG Begriffsbestimmungen; Ausnahmen für
bestimmte Zahlungsinstitute (1) … (2) Zahlungsdienste sind:
1. …. 2. die Ausführung von Zahlungsvorgängen einschließlich
der Übermittlung von Geldbeträgen auf ein Zahlungskonto beim
Zahlungsdienstleister des Zahlungsdienstnutzers oder bei
einem anderen Zahlungsdienstleister durch a) … b) die
Ausführung von Überweisungen einschließlich Daueraufträgen
(Überweisungsgeschäft), c) … ohne Kreditgewährung
(Zahlungsgeschäft).
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August 2017
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Bundessozialgericht: 16. August 2017 -
Ehrenamt grundsätzlich beitragsfrei
Ehrenämter sind in der gesetzlichen
Sozialversicherung grundsätzlich auch dann beitragsfrei, wenn
hierfür eine angemessene pauschale Aufwandsentschädigung
gewährt wird und neben Repräsentationspflichten auch
Verwaltungsaufgaben wahrgenommen werden, die unmittelbar mit
dem Ehrenamt verbunden sind. Dies hat der 12. Senat des
Bundessozialgerichts in einem heutigen Urteil entschieden (Aktenzeichen
B 12 KR 14/16 R).
Geklagt hatte eine Kreishandwerkerschaft.
Für die laufenden Geschäfte unterhält sie eine eigene
Geschäftsstelle mit Angestellten und beschäftigt einen
hauptamtlichen Geschäftsführer. Ihr steht ein
Kreishandwerksmeister vor, der diese Aufgabe neben seiner
Tätigkeit als selbstständiger Elektromeister ehrenamtlich
wahrnimmt. Im Nachgang zu einer Betriebsprüfung nahm die
beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) an, dass
der Kreishandwerksmeister geringfügig beschäftigt sei und
forderte pauschale Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen
Rentenversicherung in Höhe von rund 2600 Euro nach.
Das Bundessozialgericht hat der
Kreishandwerkerschaft in letzter Instanz recht gegeben.
Ehrenämter zeichneten sich durch die Verfolgung eines
ideellen, gemeinnützigen Zweckes aus und unterschieden sich
damit grundlegend von beitragspflichtigen,
erwerbsorientierten Beschäftigungsverhältnissen. Die
Gewährung von Aufwandsentschädigungen ändere daran nichts,
selbst wenn sie pauschal und nicht auf Heller und Pfennig
genau entsprechend dem tatsächlichen Aufwand erfolge. Auch
die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben sei unschädlich,
soweit sie unmittelbar mit dem Ehrenamt verbunden seien, wie
zum Beispiel die Einberufung und Leitung von
Gremiensitzungen. Zur Stärkung des Ehrenamts sei eine
gesetzliche Klarstellung wünschenswert.
Hinweise zur Rechtslage:
§ 7 Absatz 1 Sozialgesetzbuch
Viertes Buch: 1Beschäftigung ist die
nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem
Arbeitsverhältnis. 2Anhaltspunkte für eine
Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine
Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Oberlandesgericht Hamm:
Krankenhaus muss nicht immer Namen und Anschriften seiner
Ärzte mitteilen
Duisburg, 14. August 2017 - Ein Patient
kann vom behandelnden Krankenhaus - gegen Kostenerstattung -
zwar ohne weiteres die Herausgabe aller Behandlungsunterlagen
verlangen. Namen und Anschriften der an seiner Behandlung
beteiligten Ärzte muss das Krankenhaus aber nur dann
mitteilen, wenn der Patient ein berechtigtes Interesse an
diesen Daten nachweist.
Das hat der 26. Zivilsenat des
Oberlandesgerichts Hamm am 14.07.2017 entschieden und damit
das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Bochum vom
27.07.2016 (Az. 6 O 9/16 LG Bochum) bestätigt.
Die im Jahre 1984 geborene Klägerin aus
Castrop-Rauxel befand sich im Jahre 2012 mehrfach in
ambulanter und stationärer Behandlung der beklagten
Gesellschaft, die unter anderem ein Krankenhauses in Herne
unterhält. In diesem Krankenhaus wurde die Klägerin von
Februar bis Juli 2012 stationär behandelt und mehrfach wegen
wiederholter Be-schwerden an der Wirbelsäule operiert.
Nachdem die Klägerin durch anderweitige Behandlungen den
Eindruck eines Behandlungsfehlers bei der Beklagten gewonnen
hatte, verlangte sie durch ihren Prozessbevollmächtigten die
Herausgabe aller Behandlungsunterlagen und die Mitteilung von
Namen und Anschriften der an ihrer Behandlung beteiligten
Ärzte der Beklagten. Vor Klageerhebung und im Verlauf des
erstinstanzlichen Klageverfahrens stellte die Beklagte der
Klägerin die Behandlungsunterlagen zur Verfügung, ohne ihr
ergänzend die gewünschten Daten zu den behandelnden Ärzten
mitzuteilen.
Neben ihrer Auskunftsklage hatte die
Klägerin beim Landgericht Bochum 2016 einen
Arzthaftungsprozess gegen die Beklagte angestrengt (Az. 6 O
19/16 LG Bochum), der sich derzeit im Stadium der
Beweisaufnahme befindet.
Das im vorliegenden Rechtsstreit verfolgte
Begehren der Klägerin, ihr die vollständigen Namen und
Anschriften der in ihrer Behandlung bei der Beklagten
beteiligten Ärztinnen und Ärzte mitzuteilen, ist erfolglos
geblieben. Nach der Entscheidung des 26. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Hamm steht der Klägerin ein derartiger
Auskunftsanspruch nicht zu.
Ein Patient könne von seiner Klinik, so
der Senat, aufgrund des Behandlungsvertrages nur dann
Auskunft über Namen und Anschriften der behandelnden Ärzte
verlangen, wenn er ein berechtigtes Interesse an diesen Daten
nachweise. Dazu müsse er darlegen, dass diese als
Anspruchsgegner wegen eines Behandlungs- oder
Aufklärungsfehlers
oder als Zeugen einer Falschbehandlung in
Betracht kommen könnten. Ohne weiteres habe er dagegen keinen
Anspruch auf Auskunft über Namen und Anschriften aller Ärzte
und Pfleger, die ihn während seines Krankenhausaufenthaltes
betreut hätten.
Im vorliegenden Fall verlange die
Klägerin pauschal generelle Auskünfte. Auf diese habe sie
keinen Anspruch. Eine Auskunft auf konkrete Anfragen habe die
Beklagte zudem zugesagt. Darüber hinaus könne sich die
Klägerin aus den ihr zugänglich gemachten
Behandlungsunterlagen bereits so informieren, dass sie auch
gegen die sie - nach ihrer Auffassung fehlerhaft -
behandelnden Ärzte der Beklagten Klage erheben könne.
Urteil des 26. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Hamm vom 14.07.2017 (Az. 26 U 117/16 OLG
Hamm)
Verwaltungsgericht Düsseldorf:
Mindestkörpergrößen für Polizeibewerber in
Nordrhein-Westfalen rechtswidrig
Düsseldorf/Duisburg, 08. August 2017 - Die
durch Erlass des Ministeriums des Innern des Landes
Nordrhein-Westfalen für die Einstellung in den Polizeidienst
des Landes festgelegten Mindestgrößen von 163 cm für Frauen
und 168 cm für Männer sind unwirksam.
Das hat die 2.
Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf mit heute in
öffentlicher Sitzung verkündetem Urteil entschieden und das
Land verpflichtet, die Bewerberin zum weiteren
Auswahlverfahren für die Einstellung in den gehobenen
Polizeivollzugsdienst zuzulassen. Die Klägerin hatte sich für
die Einstellung in den Polizeidienst in NRW im Jahr 2017
beworben. Sie wurde vom Auswahlverfahren ausgeschlossen, weil
sie mit einer Größe von 161,5 cm die geforderten 163 cm
unterschreitet. Von einer körperlichen Eignung für den
Polizeivollzugsdienst geht das Land NRW gleichermaßen für
Frauen und Männer ab einer Größe von 163 cm aus. Gleichwohl
wird von männlichen Bewerbern eine höhere Mindestgröße von
168 cm verlangt, um zur Förderung der Gleichberechtigung von
Frauen und Männern die Anzahl der im Bevölkerungsdurchschnitt
größeren männlichen Polizeibewerber gegenüber der Anzahl
durchschnittlich kleinerer weiblicher Bewerber zu reduzieren.
Diese per Erlass des Innenministeriums festgelegte
Verwaltungspraxis zur Mindestgröße hält das Gericht für
rechtswidrig. Nach dem im Grundgesetz verankerten Prinzip der
Bestenauslese dürfe der Zugang zum Beamtenverhältnis nur von
Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung abhängig gemacht
werden. Von diesen Vorgaben weiche eine Größenfestlegung, die
für männliche Bewerber ausschließlich aus Gründen der
Gleichberechtigung eine höhere Mindestgröße als für weibliche
Bewerber vorsehe, ab.
Ausnahmen vom Prinzip der
Bestenauslese dürften allerdings nicht vom Innenministerium
durch Verwaltungserlass, sondern nur durch ein im
parlamentarischen Verfahren erlassenes Gesetz geregelt
werden. Denn es gehe darum, zwei widerstreitende
Interessen von Verfassungsrang – das Prinzip der
Bestenauslese einerseits und die Gleichberechtigung von
Frauen und Männern andererseits – miteinander in Einklang zu
bringen; dies sei Aufgabe des Parlaments, nicht der
Verwaltung. Im Ergebnis führe die Unwirksamkeit der
Mindestgröße für Männer zur Unwirksamkeit auch der
Mindestgröße für Frauen, weil beide Festlegungen rechtlich
zusammenhingen und die eine nicht ohne die andere
fortbestehen könne.
Ob die Klägerin in den
Polizeivollzugsdienst eingestellt wird, hängt nunmehr davon
ab, ob sie in dem weiteren Auswahlverfahren die dort
gestellten Anforderungen erfüllt. Gegen das Urteil kann beim
Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen in
Münster Berufung eingelegt werden, die die Kammer wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen hat.
Aktenzeichen: 2 K 7427/17
Auf Wohnungsschlüssel nicht
aufgepasst - Versicherungsschutz verloren
Hamm/Duisburg, 07. August 2017 - Wer durch
Fahrlässigkeit den Diebstahl seines Wohnungsschlüssels
ermöglicht, kann keinen Anspruch auf Entschädigung aus seiner
Hausratversicherung haben, wenn mithilfe des
Wohnungsschlüssels Gegenstände aus seiner Wohnung entwendet
werden. Das hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts
Hamm am 15.02.2017 entschieden und damit das erstinstanzliche
Urteil des Landgerichts Münster vom 08.09.2016 (Az 115 O
265/15 LG Münster) bestätigt.
Die in Münster
wohnhafte Klägerin unterhielt bei dem beklagten Versicherer
aus Bonn eine Hausratversicherung. Die vereinbarten
Versicherungsbedingungen sahen vor, dass ein
Einbruchsdiebstahl u.a. dann vorliegt, wenn der Dieb in einem
Raum eines Gebäudes mittels richtigen Schlüssels eindringt,
den er innerhalb oder außerhalb des Versicherungsortes durch
Diebstahl an sich gebracht hatte, vorausgesetzt dass weder
der Versicherungsnehmer noch der Gewahrsamsinhaber den
Diebstahl des Schlüssels durch fahrlässiges Verhalten
ermöglicht hatte.
Im Juli 2013 befand sich die seinerzeit
55 Jahre alte Klägerin auf dem Rückweg von einer
Betriebsfeier in Begleitung eines Kollegen, der ihr Fahrrad
schob. In diesem hatte die Klägerin ihre Handtasche mit
Wohnungsschlüssel und weiteren persönlichen Gegenständen
ungesichert abgelegt. Im Bereich der Aegidiistraße in Münster
stellten beide das Fahrrad an einer Säule ab und wandten sich
einander zu, so dass das Rad für wenige Minuten ohne
Beobachtung blieb. In dieser Zeit entwendete ein unbekannter
Täter die Handtasche.
Der von einem Zeugen verständigten
Polizei meldete die Klägerin den Diebstahl noch am Tatort.
Sie übernachtete sodann in der Wohnung einer Verwandten und
begab sich am nächsten Morgen zur nahegelegenen, eigenen
Wohnung. In diese waren zwischenzeitlich Unbekannte mit Hilfe
des entwendeten Schlüssels eingedrungen und hatten nach den
Angaben der Klägerin u.a. Schmuck, Mobiltelefone und Laptops
gestohlen. Den Gesamtwert der entwendeten Gegenstände hat die
Klägerin mit 17.500 Euro beziffert hat. Vom beklagten
Versicherer hat sie zunächst den Ersatz der Hälfte des Wertes
dieser Gegenstände verlangt.
Die Klage ist erfolglos
geblieben. Die Klägerin könne, so der 20. Zivilsenat des
Oberlandesgerichts Hamm, vom beklagten Versicherer keine
Leistungen aufgrund eines Einbruchsdiebstahls verlangen. Es
liege kein nach den Versicherungsbedingungen versichertes
Ereignis vor. Die Klägerin habe fahrlässig gehandelt, indem
sie ihre Handtasche mit dem Hausschlüssel und Ausweispapieren
unbeabsichtigt im Fahrradkorb ließ. So sei die Tasche dem
uneingeschränkten Zugriff Dritter ausgesetzt gewesen. Die
Tasche habe - auch wenn die Klägerin zuvor niemanden in der
Nähe ihres Fahrrades bemerkt habe - jederzeit entwendet
werden können, eine Gefahr, die sich im Schadensfall auch
realisiert habe.
Die Gefahr sei für die Klägerin
erkennbar und vermeidbar gewesen. So habe die Klägerin die
Tasche am Körper bei sich führen können. Zudem sei sie so
stark und solange abgelenkt gewesen, dass sie den Diebstahl
zunächst gar nicht bemerkt habe. Die Entwendung des Original
Wohnungsschlüssels habe sie damit fahrlässig ermöglicht. Da
die Diebe mithilfe dieses Schlüssels in die Wohnung gelangt
seien, liege kein versichertes Ereignis vor.
Rechtskräftiger Beschluss des 20. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Hamm vom 15.02.2017 (Az. 20 U 174/16 OLG
Hamm)
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Juli 2017
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Sozialgericht Düsseldorf:
Tattoo-Entfernung im Ausnahmefall von Krankenkasse zu zahlen
Düsseldorf/Duisburg, 12. Juli 2017 - Eine
30-jährige Düsseldorferin hatte mit ihrer Klage auf
Kostenübernahme für die Entfernung ihrer Tätowierung gegen
eine gesetzliche Krankenkasse Erfolg.
Die Klägerin war Opfer eines als "die
heiligen Zwei" bekannten Täterduos und wurde von diesen zur
Prostitution gezwungen. Während dieser Zeit wurde der
Klägerin unter dem Vorwand der Verbundenheit zu den Tätern am
Hals eine Tätowierung mit den Initialen der Vornamen beider
Täter und der Abkürzung DH2 für "die heiligen Zwei"
gestochen.
Nach der Befreiung von der
Zwangsprostitution durch die Polizei beantragte die Klägerin
die Übernahme der Kosten für die Entfernung der Tätowierung.
Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Die Entfernung einer
Tätowierung sei keine Krankenbehandlung.
Die 27. Kammer des Sozialgerichts
Düsseldorf gab der Klage statt. Es handele sich bei der
Entfernung der Tätowierung ausnahmsweise um eine
Krankenbehandlung. Denn die Tätowierung wirke entstellend und
es drohe die Gefahr eines Rückzugs aus dem sozialen Leben.
Schon bei flüchtiger Betrachtung falle die
Tätowierung aufgrund ihrer Größe und Lage am Hals auf und
wecke Aufmerksamkeit und Neugier. Sie könne Nachfragen auch
von unbekannten Passanten auslösen. Die Klägerin könne als
Opfer der Zwangsprostitution erkannt werden, zumal über den
Fall in der Presse berichtet worden sei. Ohne die Entfernung
der Tätowierung sei die Heilungsprognose der bei der Klägerin
bestehenden posttraumatischen Belastungsstörung erheblich
schlechter.
Die Klägerin sei auch nicht auf eine
Psychotherapie zu verweisen, da es nicht um das subjektive
Empfinden der Klägerin mit einer natürlichen körperlichen
Anomalie gehe. Die Situation sei deshalb nicht mit einer
Tätowierung vergleichbar, die aus freien Stücken gestochen
wurde und später schlichtweg nicht mehr gefalle.
Urteil vom 26.01.2017 – S 27 KR 717/16 –
rechtskräftig –
Oberlandesgericht Hamburg und
Wettbewerbsrecht
„Null Euro” bedeutet: Es kostet nichts
11. Juli 2017 - Ein
Kreditkartenunternehmen darf nicht mit dem Satz „0 Euro
Bargeldabhebungsgebühr mit der Kreditkarte – Bargeld an jedem
Automaten im Inland und Ausland” werben, wenn im Ausland
Gebühren anfallen.
Dies entschied laut D.A.S.
Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S. Leistungsservice) das
Oberlandesgericht Hamburg. OLG Hamburg, Az. 5 U 38/14
Hintergrundinformation: Das Wettbewerbsrecht soll unlautere
Werbung unterbinden. Dazu gehört auch Werbung mit Aussagen,
die den Verbraucher in die Irre führen. Konkurrenten oder
dazu befugte Verbände, wie etwa
Verbraucherschutz-Organisationen, können Unternehmen, die
gegen die Regeln verstoßen, abmahnen und auch auf
Unterlassung verklagen. Ob eine Werbeaussage wirklich
irreführend ist, entscheiden die Gerichte im jeweiligen
Einzelfall.
Der Fall: Ein Kreditkartenunternehmen hatte
in einem Werbe-Schreiben unter anderem mit der Aussage
geworben „0 Euro Bargeldabhebungsgebühr mit der Kreditkarte –
Bargeld an jedem Automaten im Inland und Ausland”.
Im
unteren Teil des Schreibens tauchte zusätzlich der Hinweis „0
Euro Bargeldabhebungsgebühr weltweit” auf. Ein Verbraucher
beschwerte sich bei einer Verbraucherschutz-Organisation, die
daraufhin den Anbieter abmahnte und schließlich verklagte.
Denn: Die Werbeaussage erwecke den Eindruck, dass die
Karteninhaber mit dieser Kreditkarte weltweit kostenfrei
Bargeld abheben könnten. Zumindest außerhalb der EU müssten
Kreditkartenkunden jedoch Gebühren bezahlen. Der
Kreditkartenanbieter war sich keiner Schuld bewusst und
verwies darauf, dass er dies auf der Rückseite des Schreibens
erläutert habe. Verbraucher müssten im Ausland keine
Bargeldabhebungsgebühren bezahlen, sondern
Auslandseinsatzgebühren.
Das Urteil
Das Oberlandesgericht Hamburg gab nach Informationen des
D.A.S. Leistungsservice den Verbraucherschützern Recht. Die
Vorderseite des Schreibens erwecke den Eindruck, dass der
Kunde mit dieser Karte weltweit gebührenfrei Geld abheben
könne. Dass Bargeldabhebungsgebühren und
Auslandseinsatzgebühren unterschiedliche Gebührenarten wären,
wisse kaum jemand.
Die entsprechenden Erläuterungen auf
der Rückseite des Schreibens seien nicht dazu geeignet, den
Eindruck, den die Vorderseite erwecke, zu beseitigen. Denn
die vordere Seite erzeuge den Eindruck, dass dort alles
Wesentliche in komprimierter Form zusammengefasst sei.
Das
Gericht verurteilte das Unternehmen zur Unterlassung
derartiger Werbeaussagen.
Oberlandesgericht Hamburg, Urteil
vom 12. April 2017, Az. 5 U 38/14
Das Tarifeinheitsgesetz ist
weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar
Bundesverfassungsgericht am 11. Juli 2017
Mit
heute verkündetem Urteil hat der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Regelungen
des Tarifeinheitsgesetzes weitgehend mit dem Grundgesetz
vereinbar sind. Die Auslegung und Handhabung des Gesetzes
muss allerdings der in Art. 9 Abs. 3 GG grundrechtlich
geschützten Tarifautonomie Rechnung tragen; über im Einzelnen
noch offene Fragen haben die Fachgerichte zu entscheiden.
Unvereinbar ist das Gesetz mit der Verfassung nur
insoweit, als Vorkehrungen dagegen fehlen, dass die Belange
der Angehörigen einzelner Berufsgruppen oder Branchen bei der
Verdrängung bestehender Tarifverträge einseitig
vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber muss insofern Abhilfe
schaffen. Bis zu einer Neuregelung darf ein Tarifvertrag
im Fall einer Kolli Mit heute verkündetem Urteil hat der
Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass
die Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes weitgehend mit dem
Grundgesetz vereinbar sind. Die Auslegung und Handhabung des
Gesetzes muss allerdings der in Art. 9 Abs. 3 GG
grundrechtlich geschützten Tarifautonomie Rechnung tragen;
über im Einzelnen noch offene Fragen haben die Fachgerichte
zu entscheiden.
Unvereinbar ist das Gesetz mit der
Verfassung nur insoweit, als Vorkehrungen dagegen fehlen,
dass die Belange der Angehörigen einzelner Berufsgruppen oder
Branchen bei der Verdrängung bestehender Tarifverträge
einseitig vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber muss
insofern Abhilfe schaffen.
Bis zu einer Neuregelung darf
ein Tarifvertrag im Fall einer Kollision im Betrieb nur
verdrängt werden, wenn plausibel dargelegt ist, dass die
Mehrheitsgewerkschaft die Belange der Angehörigen der
Minderheitsgewerkschaft ernsthaft und wirksam in ihrem
Tarifvertrag berücksichtigt hat.
Das Gesetz bleibt mit
dieser Maßgabe ansonsten weiterhin anwendbar. Die Neuregelung
ist bis zum 31. Dezember 2018 zu treffen. Die Entscheidung
ist teilweise mit Gegenstimmen ergangen; zwei Mitglieder des
Senats haben ein Sondervotum abgegeben.
Hartz IV-Regelbedarf für 2017
verfassungsgemäß
Dortmund/Duisburg, 10. Juli 2017 - Der
seit 01.01.2017 für alleinstehende Langzeitarbeitslose
geltende Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts von
409,- Euro monatlich entspricht den verfassungsrechtlichen
Vorgaben. Dies hat das Sozialgericht Dortmund im Falle eines
31-jährigen Arbeitslosen aus Hemer entschieden, der das
Jobcenter Märkischer Kreis auf Gewährung höherer
Grundsicherungsleistungen verklagt hatte.
Der Kläger
machte geltend, der bewilligte Regelbedarf sei zu niedrig und
damit verfassungswidrig bemessen. Gegenüber seinen realen
Ausgaben, insbesondere für seinen Pkw, ergebe sich eine
erhebliche Differenz. Das Sozialgericht Dortmund hat die
Klage als unbegründet abgewiesen. Der Regelbedarf gemäß § 20
SGB II sei in nicht zu beanstandender Weise auf Grund der
Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013 ermittelt worden.
Dabei würden Stand und Entwicklung von Nettoeinkommen,
Verbraucherverhalten und Lebenshaltungskosten unterer
Einkommensgruppen berücksichtigt.
Das Verfahren
entspreche den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes.
Das Herausnehmen oder Kürzen einzelner Positionen, wie für
alkoholische Getränke und Tabakwaren, sei nicht
verfassungswidrig. Auch habe der Gesetzgeber spezifische
Risiken der Bedarfsunterdeckung, etwa bei den Stromkosten und
dem existenznotwendigen Mobilitätsbedarf, nicht
unberücksichtigt gelassen.
Ausgaben für den Pkw des
Klägers seien nicht regelbedarfsrelevant. Es sei ihm
zuzumuten, seine Mobilität durch Nutzung von öffentlichen
Verkehrsmitteln oder eines Fahrrades sicherzustellen. Der im
Regelbedarf hierfür vorgesehene Betrag sei ausreichend.
Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 21.06.2017, Az.: S 58 AS
5645/16
Bundesgerichtshof hebt Urteil im
2. Kölner "Raser-Fall" im Ausspruch über die Bewährung auf
Urteil vom 6. Juli 2017 – 4 StR 415/16
Der
u.a. für Verkehrsstrafsachen zuständige 4. Strafsenat des
Bundesgerichtshofs hat auf die Revisionen der
Staatsanwaltschaft das Urteil des Landgerichts Köln im
zweiten Kölner "Raser-Verfahren" teilweise aufgehoben und die
Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung über die
Strafaussetzung zur Bewährung an das Landgericht
zurückverwiesen.
Die Revisionen der Angeklagten hat
der Senat im Beschlusswege als offensichtlich unbegründet
verworfen. Das Landgericht hatte die beiden Angeklagten
jeweils wegen fahrlässiger Tötung zu Freiheitsstrafen von
zwei Jahren bzw. einem Jahr und neun Monaten verurteilt und
deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
Ferner
hatte es für die Neuerteilung der den Angeklagten entzogenen
Fahrerlaubnisse Sperrfristen von drei Jahren und sechs
Monaten angeordnet.
Hintergrund des Verfahrens ist
folgender: Die damals 21 und 22 Jahre alten Angeklagten waren
am 14. April 2015 gegen 18:45 Uhr mit zwei leistungsstarken
Fahrzeugen (Motorleistungen 171 und 233 PS) auf dem Weg zu
den Rheinterrassen in Köln-Deutz. Etwa 1200 bis 1500 Meter
vor Erreichen ihres Ziels entschlossen sich die nicht
alkoholisierten Angeklagten spontan zu einem Kräftemessen,
bei dem sie sich gegenseitig ihre überlegene Fahrkunst und
die Leistungen ihrer Fahrzeuge demonstrieren wollten.
Sie
fuhren eng hintereinander mit stark überhöhter
Geschwindigkeit jeweils mit der Absicht, die Rheinterrassen
vor dem anderen zu erreichen. Beim Durchfahren einer
langgezogenen Linkskurve mit 95 km/h anstelle der innerorts
zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h verlor der
vorausfahrende Angeklagte, der vom Mitangeklagten bedrängt
wurde, die Kontrolle über sein Fahrzeug.
Sein Wagen kam
von der Fahrbahn ab und erfasste eine auf dem angrenzenden
Radweg fahrende 19-jährige Studentin, die wenig später ihren
durch die Kollision erlittenen schweren Verletzungen erlag.
Die Staatsanwaltschaft beanstandete mit ihren zu Ungunsten
der Angeklagten eingelegten Rechtsmitteln nur die aus ihrer
Sicht zu niedrigen Freiheitsstrafen und die vom Landgericht
zugebilligte Aussetzung der Strafen zur Bewährung.
Vom
Rechtsmittelangriff nicht erfasst und vom Bundesgerichtshof
deshalb nicht zu überprüfen waren der Schuldspruch wegen
fahrlässiger Tötung und die angeordneten
Führerscheinmaßnahmen. Die Bemessung der Freiheitsstrafen,
die sich an dem für die fahrlässige Tötung vorgesehenen
Strafrahmen von Geldstrafe bis zu höchstens fünf Jahren
Freiheitsstrafe zu orientieren hatte, war aus Rechtsgründen
nicht zu beanstanden.
Hingegen konnte die
Aussetzung der Freiheitsstrafen zur Bewährung keinen Bestand
haben. Das Landgericht bescheinigte beiden
Angeklagten zwar rechtsfehlerfrei eine günstige Legalprognose
(§ 56 Abs. 1 StGB). Es ließ aber bei der Prüfung, ob darüber
hinaus auch besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB
die Aussetzung der ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafen
rechtfertigen, unberücksichtigt, dass die Angeklagten zwar
den Tod ihres Opfers fahrlässig herbeiführten, bei dem mit
tödlichem Ausgang endenden Rennen aber gleich mehrere
erhebliche Verkehrsordnungswidrigkeiten – u.a. den Verstoß
gegen das bislang in der Straßenverkehrsordnung geregelte
Rennverbot – vorsätzlich begingen und die Gefahrenlage durch
ihre aggressive Fahrweise bewusst herbeiführten.
Dieser
Umstand prägte die Tat und durfte bei der
Bewährungsentscheidung nicht außer Acht bleiben. Angesichts
der vom Landgericht festgestellten Häufung von
Verkehrsunfällen mit tödlichem Ausgang aufgrund überhöhter
Geschwindigkeit in Köln und an anderen Orten fehlte es bei
der Bewährungsentscheidung zudem an einer ausreichenden
Erörterung der Frage, wie sich unter dem Gesichtspunkt der
Verteidigung der Rechtsordnung (§ 56 Abs. 3 StGB) eine
Strafaussetzung zur Bewährung auf das allgemeine
Rechtsempfinden und das Vertrauen der Bevölkerung in die
Unverbrüchlichkeit des Rechts auswirken würde.
Vorinstanz: Landgericht Köln – Urteil vom 14. April 2016 –
117 KLs 19/15 Karlsruhe, den 06. Juli 2017 § 56 StGB lautet
wie folgt: (1) 1. Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe
von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die
Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten
ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur
Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung
des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird.
2.
Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten,
sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach
der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu
berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten
sind. (2) 1Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des
Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren
Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur
Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat
und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände
vorliegen. 2Bei der Entscheidung ist namentlich auch das
Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten
Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.
(3) Bei der
Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten
wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die
Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.
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