BZ-Home  

     Urteile Archiv 2017

"Pfusch am Bau"



BZ-Sitemap

tagesaktuell
Abmahner, Abzocker?

Archiv


 






Mitten aus dem Leben  -  Urteile und Tipps zu §§
D.A.S.- oder ERGO-Rechtsschutzexperten erläutern Rechte der Verbraucher

Dezember 2017

Bundes- und landesgesetzliche Vorschriften über die Studienplatzvergabe für das Fach Humanmedizin teilweise mit dem Grundgesetz unvereinbar 
Das Bundesverfassungsgericht am 19. Dezember 2017:

Die bundes- und landesgesetzlichen Vorschriften über das Verfahren zur Vergabe von Studienplätzen an staatlichen Hochschulen sind, soweit sie die Zulassung zum Studium der Humanmedizin betreffen, teilweise mit dem Grundgesetz unvereinbar. Dies hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute verkündetem Urteil entschieden. Die beanstandeten bundesgesetzlichen Rahmenvorschriften und gesetzlichen Regelungen der Länder über die Studienplatzvergabe für das Fach Humanmedizin verletzen den grundrechtlichen Anspruch der Studienplatzbewerberinnen und -bewerber auf gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot. Außerdem verfehlen die landesgesetzlichen Bestimmungen zum Auswahlverfahren der Hochschulen teilweise die Anforderungen, die sich aus dem Vorbehalt des Gesetzes ergeben. Eine Neuregelung ist bis zum 31. Dezember 2019 zu treffen.

 

Urteil vom 19. Dezember 2017 - 1 BvL 3/14, 1 BvL 4/14
Sachverhalt:
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat die Frage, ob die für die Studienplatzvergabe für das Fach Humanmedizin im Hochschulrahmengesetz (HRG) und in den Vorschriften der Länder zur Ratifizierung und Umsetzung des Staatsvertrages über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vorgesehenen Regelungen mit dem Grundgesetz vereinbar sind, dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Wesentliche Erwägungen des Senats: 1. Die bundes- und landesgesetzlichen Vorschriften zur Studienplatzvergabe in dem bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengang der Humanmedizin sind mit Art. 12 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit sie die Angabe von Ortswünschen in der Abiturbestenquote beschränken und diese bei der Vergabe vorrangig vor der Abiturnote berücksichtigen, soweit sie die Hochschulen im eigenen Auswahlverfahren zur unbegrenzten Berücksichtigung eines von ihnen zu bestimmenden Grades der Ortspräferenz berechtigen, soweit sie im Auswahlverfahren der Hochschulen auf einen Ausgleichsmechanismus zur Herstellung einer hinreichenden Vergleichbarkeit der Abiturnoten über die Landesgrenzen hinweg verzichten, soweit sie gegenüber den Hochschulen neben der Abiturnote nicht die verpflichtende Anwendung mindestens eines ergänzenden, nicht schulnotenbasierten Auswahlkriteriums zur Bestimmung der Eignung sicherstellen und soweit sie die Wartedauer in der Wartezeitquote nicht zeitlich begrenzen.
Die Gestaltung des Auswahlverfahrens der Hochschulen wird den Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes nicht gerecht, soweit nicht durch Gesetz sichergestellt ist, dass die hochschuleigenen Eignungsprüfungsverfahren oder die Auswahl nach vorausgegangener Berufsausbildung oder -tätigkeit auf standardisierte und strukturierte Weise erfolgt.
Nicht mit dem Vorbehalt des Gesetzes vereinbar ist auch, dass den Hochschulen im bayerischen und hamburgischen Landesrecht die Möglichkeit gegeben ist, eigenständig weitere Auswahlkriterien festzulegen.
2. a) Aus der Ausbildungs- und Berufswahlfreiheit (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ergibt sich ein Recht auf Teilhabe an den vorhandenen Studienangeboten, die der Staat mit öffentlichen Mitteln geschaffen hat. Diejenigen, die dafür die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erfüllen, haben ein Recht auf gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot und damit einen Anspruch auf gleichheitsgerechte Zulassung zum Studium ihrer Wahl.
Da die Frage der Bemessung der Anzahl verfügbarer Ausbildungsplätze aber der Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers obliegt, besteht das Recht auf chancengleichen Zugang zum Hochschulstudium nur im Rahmen der tatsächlich bestehenden Ausbildungskapazitäten.
b) Aus dem Gebot der Gleichheitsgerechtigkeit folgt, dass sich die Regeln über die Vergabe von Studienplätzen grundsätzlich am Kriterium der Eignung orientieren müssen. Dabei bemisst sich die für die Verteilung relevante Eignung an den Erfordernissen des konkreten Studienfachs und den typischerweise anschließenden beruflichen Tätigkeiten. Der Gesetzgeber ist nicht von Verfassungs wegen auf die Verwendung eines bestimmten Eignungskriteriums oder einer bestimmten Kriterienkombination verwiesen. Die Kriterien müssen aber in ihrer Gesamtheit Gewähr für eine hinreichende Vorhersagekraft bieten.

c) Bei der Vergabe von Studienplätzen handelt es sich um eine wesentliche Regelungsmaterie, die den Kern des Zulassungswesens ausmacht und damit dem Parlamentsvorbehalt unterliegt. Insofern müssen die Auswahlkriterien ihrer Art nach durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber selbst bestimmt werden. Allerdings darf er den Universitäten gewisse Spielräume für die Konkretisierung der gesetzlich festgelegten Kriterien lassen, anhand derer die Eignung von Studienbewerberinnen und -bewerbern beurteilt werden soll.

Solche Spielräume rechtfertigen sich durch den direkten Erfahrungsbezug der Hochschulen und die grundrechtlich geschützte Freiheit von Forschung und Lehre. Eine solche Konkretisierungsbefugnis der Hochschulen schlägt sich insbesondere in den Ausgestaltungsmöglichkeiten hochschuleigener Eignungsprüfungen nieder. Allerdings verlangt der Vorbehalt des Gesetzes gesetzliche Sicherungen dafür, dass die Hochschulen Eignungsprüfungen in standardisierten und strukturierten Verfahren durchführen.

3. a) Das Abstellen auf die Durchschnittsnote der Hochschulzugangsberechtigung für einen Anteil von 20 % der in den Hauptquoten zu vergebenden Studienplätze (Abiturbestenquote) unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insoweit knüpft der Gesetzgeber an eine Beurteilung der Leistungen der Studienbewerber an, die von der Schule am Ende einer allgemeinbildenden Ausbildung vorgenommen wurde. An der Sachgerechtigkeit der Abiturnote als Eignungskriterium auch für die Vergabe von Studienplätzen der Humanmedizin bestehen auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Insbesondere hat der Gesetzgeber im Hinblick auf föderale Unterschiede der Schulausbildung und Benotung Vorkehrungen getroffen, indem er für die zentrale Studienplatzvergabe in der Abiturbestenquote durch die Bildung von Landesquoten einen Ausgleich schafft.
b) Demgegenüber ist im Rahmen der Abiturbestenquote die vorrangige Berücksichtigung von obligatorisch anzugebenden Ortswünschen mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die gleiche Teilhabe nicht vereinbar. Denn das Kriterium der Abiturdurchschnittsnote wird als Maßstab für die Eignung durch den Rang des Ortswunsches überlagert und entwertet. Die Chancen der Abiturienten auf einen Studienplatz hängen danach in erster Linie davon ab, welchen Ortswunsch sie angegeben haben und nur in zweiter Linie von ihrer Eignung für das Studium.
Dies ist im Rahmen einer zentralen Vergabe von Studienplätzen nach dem Kriterium der Abiturdurchschnittsnote verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Bezüglich eines Studienfachs, das über den Zugang zu einem breiten Berufsfeld entscheidet, muss die Frage, ob überhaupt ein Studienplatz vergeben wird, der Ortspräferenz vorgehen.
Ortswunschangaben dürfen aus verfassungsrechtlicher Sicht grundsätzlich nur als Sekundärkriterium für die Verteilung der vorhandenen Studienplätze unter den ausgewählten Bewerbern herangezogen werden. Entsprechend ist auch die Begrenzung des Zulassungsantrags auf sechs Studienorte in der Abiturbestenquote verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Diese lässt sich insbesondere nicht mit verfahrensökonomischen Notwendigkeiten begründen.

4. Der Gesetzgeber sieht für weitere 60 % der in den Hauptquoten zu vergebenden Studienplätze ein Auswahlverfahren der Hochschulen vor. Die Regelung dieses Verfahrens wird den Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes nicht gerecht. Sie genügt in verschiedener Hinsicht auch nicht den inhaltlichen Anforderungen des Rechts auf gleiche Teilhabe an den staatlichen Studienangeboten.
a) Die bundesrechtliche Rahmenregelung und die landesrechtlichen Regelungen, die diese durch die Vorgabe abschließender Kriterienkataloge weiter ausgestalten, sind im Grundsatz nicht zu beanstanden. Mit dem Vorbehalt des Gesetzes nicht vereinbar ist jedoch, dass den Hochschulen im bayerischen und im hamburgischen Landesrecht die Möglichkeit gegeben ist, eigenständig weitere Auswahlkriterien festzulegen, die sich nicht im gesetzlichen Kriterienkatalog finden. Ein eigenes Kriterienerfindungsrecht der Hochschulen ist verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig.
b) Der Gesetzgeber muss zudem sicherstellen, dass die Hochschulen, sofern sie von der gesetzlich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machen, eigene Eignungsprüfungsverfahren durchzuführen oder Berufsausbildungen oder -tätigkeiten zu berücksichtigen, dies in standardisierter und strukturierter Weise tun. Er muss dabei auch festlegen, dass in den hochschuleigenen Studierfähigkeitstests und Auswahlgesprächen nur die Eignung der Bewerberinnen und Bewerber geprüft wird.
Die den Hochschulen eingeräumte Konkretisierungsbefugnis darf sich ausschließlich auf die fachliche Ausgestaltung und Schwerpunktsetzung unter Einbeziehung auch hochschulspezifischer Profilbildungen beziehen. Diesen Anforderungen werden die vorgelegten Vorschriften nicht uneingeschränkt gerecht. An den erforderlichen gesetzlichen Maßgaben zur Standardisierung und Strukturierung von Eignungsprüfungsverfahren und Auswahlkriterien fehlt es sowohl auf der Ebene des Hochschulrahmengesetzes als auch in den Landesgesetzen.

c) Grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, dass der Gesetzgeber den Hochschulen die Durchführung eines Vorauswahlverfahrens eröffnet, mit dem sie die Zahl der Bewerbungen begrenzen können, die in das eigentliche Auswahlverfahren einbezogen werden. Mit der Verfassung nicht vereinbar ist dabei jedoch, dass er den Hochschulen die Möglichkeit einräumt, der Vorauswahl voraussetzungslos und uneingeschränkt den Grad der von den Bewerberinnen und Bewerbern angegebenen Ortspräferenz zugrunde zu legen.
Beim Grad der Ortspräferenz handelt es sich um ein Kriterium, das nicht an die Eignung für Studium und Beruf anknüpft und dessen Verwendung sich erheblich chancenverringernd auswirken kann. Gerechtfertigt ist das Kriterium des Grades der Ortspräferenz nur dann, wenn es für Studienplätze herangezogen wird, die tatsächlich im Rahmen eines aufwendigen individualisierten Auswahlverfahrens vergeben werden. Denn die Durchführung solcher Auswahlverfahren darf der Gesetzgeber als einen wichtigen Bestandteil im Gesamtsystem der Studienplatzvergabe ansehen.
Das kann aber nur gelingen, wenn dieser Aufwand auf solche Personen beschränkt wird, bei denen die Wahrscheinlichkeit hinreichend hoch ist, dass sie den Studienplatz auch annehmen. Daher rechtfertigt das Ziel der Ermöglichung komplexer, eignungsorientierter Auswahlverfahren für diese Fälle, das Ortspräferenzkriterium trotz seines fehlenden Eignungsbezugs ausnahmsweise bei der Vorauswahl anzuwenden.
Dies gilt jedoch nur, wenn anschließend auch entsprechend aufwendige Auswahlverfahren durchgeführt werden, wie es vor allem bei den im Kriterienkatalog vorgesehenen qualifizierten Gesprächen der Fall sein kann. Für Fallgestaltungen ohne aufwendig gestaltete Auswahlprozeduren erweist sich das Vorauswahlkriterium des Grades der Ortspräferenz als nicht sachgerecht und unangemessen. Verfassungsrechtlich geboten ist außerdem, dass nur ein hinreichend begrenzter Anteil der Studienplätze jeder Universität von einem hohen Grad der Ortspräferenz abhängt.
Es ist daher auszuschließen, dass die Universitäten das Ortspräferenzkriterium für alle in ihrem Auswahlverfahren zu vergebenden Studienplätze anwenden.

d) Sowohl für das Vorauswahlverfahren als auch für das Auswahlverfahren selbst eröffnet der Gesetzgeber den Hochschulen als Auswahlkriterium unter anderem den Rückgriff auf die Abiturdurchschnittsnote. Anders als für die Studienplatzvergabe in der Abiturbestenquote verzichtet der Gesetzgeber dabei auf Mechanismen, die die nicht in dem erforderlichen Maße gegebene länderübergreifende Vergleichbarkeit der Abiturdurchschnittsnoten ausgleichen. Das Außerachtlassen dieser Unterschiede führt zu einer gewichtigen Ungleichbehandlung.
Es nimmt in Kauf, dass eine große Zahl von Bewerberinnen und Bewerbern abhängig davon, in welchem Land sie ihre allgemeine Hochschulreife erworben haben, erhebliche Nachteile erleiden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es auch im Auswahlverfahren der Hochschulen maßgeblich auf Grenzbereiche der Benotung ankommt und die Dezimalstellen der Durchschnittsnoten häufig über den Erfolg einer Bewerbung entscheiden. Für diese Ungleichbehandlung fehlt es an einem einleuchtenden, belastbaren Sachgrund.

e) Für das Auswahlverfahren der Hochschulen bestimmen das HRG und der Staatsvertrag 2008 verschiedene Kriterien, die von den Hochschulen für die Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber herangezogen werden können. Diese Kriterien sind je für sich als Indikatoren für eine an Eignung orientierte Auswahl von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Jedoch muss mit Blick auf die Studierfähigkeitstests und von den Hochschulen durchzuführende qualifizierte Gespräche sichergestellt werden, dass sie hinreichend strukturiert sind, auf die Ermittlung der Eignung zielen und einer diskriminierenden Anwendung vorgebeugt wird. Entsprechendes gilt für das Kriterium der Berücksichtigung fachnaher Berufsausbildungen oder -tätigkeiten.
Auch hiermit lassen sich Anhaltspunkte für die Eignung zum Studium der Humanmedizin erfassen. Angesichts seiner Offenheit muss die Konkretisierung dieses Kriteriums jedoch in transparente Regeln eingebunden werden. f) Verfassungswidrig ist schließlich, dass der Gesetzgeber für die Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber im Auswahlverfahren der Hochschulen keine hinreichend breit angelegten Eignungskriterien vorgibt.
Die Öffnung des Auswahlverfahrens für eine Einbeziehung weiterer Kriterien liegt nicht allein in der freien Entscheidung des Gesetzgebers, sondern ist zur Gewährleistung einer gleichheitsgerechten Zulassung zum Studium in gewissem Umfang auch verfassungsrechtlich geboten. Soweit der Gesetzgeber – wie nach derzeitiger Regelung – für die Berücksichtigung anderer Eignungskriterien als der Abiturdurchschnittsnote allein das Auswahlverfahren der Hochschulen vorsieht, richten sich entsprechende Anforderungen an dessen Ausgestaltung. Geboten ist insoweit, dass der Gesetzgeber die Hochschulen dazu verpflichtet, die Studienplätze nicht allein und auch nicht ganz überwiegend nach dem Kriterium der Abiturnoten zu vergeben, sondern zumindest ergänzend ein nicht schulnotenbasiertes, anderes eignungsrelevantes Kriterium einzubeziehen.

Diesen Anforderungen genügt die derzeitige Rechtslage nicht. Weder das HRG noch der Staatsvertrag 2008 verpflichten die Hochschulen, bei der Auswahlentscheidung neben dem Abitur auch ein weiteres, nicht schulnotenbasiertes Kriterium in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise zu berücksichtigen. Auch die den Staatsvertrag in einigen Ländern ergänzenden Vorschriften stellen dies nicht hinreichend sicher.

5. Schließlich sieht der Gesetzgeber für einen Anteil von 20 % der in den Hauptquoten zu vergebenden Studienplätze die Vergabe nach Wartezeit vor (Wartezeitquote). Die Bildung einer solchen Wartezeitquote ist verfassungsrechtlich nicht unzulässig, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen mit Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.
Die jetzige Bemessung der Quote ist noch verfassungsgemäß. Über den Anteil von 20 % der in den Hauptquoten zu vergebenden Studienplätze hinaus darf der Gesetzgeber die Wartezeitquote jedoch nicht erhöhen. Als verfassungswidrig erweist es sich, dass der Gesetzgeber die Wartezeit in ihrer Dauer nicht angemessen begrenzt hat. Denn ein zu langes Warten beeinträchtigt erheblich die Erfolgschancen im Studium und damit die Möglichkeit zur Verwirklichung der Berufswahl.
Sieht der Gesetzgeber demnach zu einem kleineren Teil auch eine Studierendenauswahl nach Wartezeit vor, ist er von Verfassungs wegen gehalten, die Wartedauer auf ein mit Blick auf ihre negativen Folgen noch angemessenes Maß zu begrenzen. Dies gilt ungeachtet dessen, dass die verfassungsrechtlich gebotene Beschränkung der Wartedauer dazu führen mag, dass viele Bewerber am Ende keinen Studienplatz über die Wartezeitquote erhalten können.
Ferner ist für die Wartezeitquote - ebenso wie für die Abiturbestenquote - eine verfahrensökonomische Notwendigkeit, die eine zahlenmäßige Beschränkung der Ortswahlangaben erfordern könnte, nicht erkennbar; auch hier hat der Gesetzgeber zudem dem Grad der Ortspräferenz eine zu große Bedeutung beigemessen.

6. Mit Ausnahme der gemäß Art. 31 GG zur Nichtigkeit führenden Abweichung in § 8a BerlHZG von den Regelungen des Hochschulrahmengesetzes verbleibt es bei der bloßen Feststellung der Unvereinbarkeit der beanstandeten Vorschriften mit dem Grundgesetz. Zugleich wird deren begrenzte Fortgeltung angeordnet; den zuständigen Landesgesetzgebern wird aufgegeben, bis zum 31. Dezember 2019 eine Neuregelung zu treffen, wenn und soweit der Bund bis dahin nicht von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat.

 

 

 

Vermieter muss haushaltsnahe Dienstleistungen aufschlüsseln

Mieter können haushaltsnahe Dienstleistungen, wie zum Beispiel die Tätigkeit eines Hausmeisters, von der Steuer absetzen. Voraussetzung dafür ist, dass der Vermieter in der Betriebskostenabrechnung die steuerlich absetzbaren Arbeitskosten separat ausweist. Dies entschied laut D.A.S. Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S. Leistungsservice) das Landgericht Berlin.

LG Berlin, Az. 18 S 339/16

 

Hintergrundinformation:

Wer für sogenannte haushaltsnahe Dienstleistungen bezahlt, kann die angefallenen Kosten bis zu bestimmten Grenzen in seiner Steuererklärung geltend machen. Haushaltsnahe Dienstleistungen sind grundsätzlich Arbeiten, die auch ein Laie rund um Haus oder Wohnung erbringen könnte, die aber ein Dienstleister erledigt. Beispiele sind die Reinigung des Treppenhauses, der Winterdienst auf Privatgrund, die Tätigkeit eines Hausmeisters, die Gartenpflege oder das Ablesen von Zählern. Viele Vermieter geben diese regelmäßigen Arbeiten in Auftrag. Die entsprechenden Kosten geben sie im Rahmen der Betriebskostenumlage an ihre Mieter weiter. Als haushaltsnahe Dienstleistungen können Mieter diese Beträge von der Steuer absetzen.
Der Haken: Absetzbar sind nur die reinen Arbeitskosten. Das Finanzamt verlangt eine Rechnung mit genauer Aufschlüsselung, welche Kosten für Lohn und welche für Material angefallen sind. Der Fall: Ein Mieter lebte in einer Wohnung in Berlin und hatte sich vertraglich verpflichtet, auf die Betriebskosten monatliche Vorauszahlungen zu leisten. Der Vermieter sollte jährlich abrechnen. Der Mietvertrag besagte auch, dass der Vermieter nicht verpflichtet sei, für den Mieter eine Bescheinigung über haushaltsnahe Dienstleistungen auszustellen. Der Mieter klagte nun darauf, dass der Vermieter eine solche Bescheinigung erteilen müsse – oder zumindest in der Betriebskostenabrechnung bestimmte Positionen nach einzelnen Leistungen und Beträgen aufzuschlüsseln habe.

Das Urteil:
Das Landgericht Berlin gab nach Informationen des D.A.S. Leistungsservice dem Mieter Recht. Der Mieter habe Anspruch auf eine Aufschlüsselung der ihm berechneten Kosten für haushaltsnahe Dienstleistungen. Der Vermieter müsse ihm zwar keine gesonderte Bescheinigung für das Finanzamt ausstellen oder ihn gar steuerlich beraten, welche Kosten er absetzen könne. Zumindest müsse aber aus der Betriebskostenabrechnung hervorgehen, welche Kosten bei den einzelnen Positionen für Arbeit und welche für Material angefallen seien.
Es sei eine Nebenpflicht des Vermieters aus dem Mietvertrag, dem Mieter die Inanspruchnahme dieses Steuervorteils zu ermöglichen. Dies dürfe den Mieter nichts kosten. Auch müsse sich der Mieter nicht darauf verweisen lassen, dass er im Büro des Vermieters Einblick in die Belege nehmen und daraus die erforderlichen Informationen gewinnen könne. Das Gericht stufte die Vertragsklausel, mit der sich der Vermieter von der Pflicht zur Aufschlüsselung der Betriebskosten befreien wollte, als unwirksam ein.

Landgericht Berlin, Urteil vom 18.10.2017, Az. 18 S 339/16

 


November 2017

Rodungen im Hambacher Forst vorläufig gestoppt

28. November 2017 - Das Oberverwaltungsgericht hat mit einer Zwischenentscheidung das Land Nordrhein-Westfalen vorläufig verpflichtet sicherzustellen, dass die RWE Power AG ab heute 18.00 Uhr von weiteren Rodungs- und Abholzungsmaßnahmen im Hambacher Forst absieht. Der sogenannte Hängebeschluss ist eine vorübergehende Regelung und gilt bis zu einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts im anhängigen Eilbeschwerdeverfahren.

Der BUND NRW e.V. hatte beim Verwaltungsgericht Köln mit einem Eilantrag zu verhindern versucht, dass RWE vor rechtskräftigem Abschluss des Klageverfahrens vom Hauptbetriebsplan 2015-2017 des Braunkohletagebaus Hambach Gebrauch machen kann. Gegen den insoweit ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 25. Oktober 2017 hatte der BUND Beschwerde eingelegt und im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens am 24. November 2017 eine Zwischenentscheidung bis zum Beschluss über die Beschwerde beantragt.
Diese hat das Oberverwaltungsgericht nun erlassen. Zur Begründung hat der 11. Senat ausgeführt: Die Zwischenentscheidung sei zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes angesichts der Komplexität des Sachverhalt und der sich stellenden Rechtsfragen sowie zur Vermeidung irreversibler Zustände erforderlich.
In der Hauptsache hat das Verwaltungsgericht Köln am 24. November 2017 die Klage abgewiesen. Ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil liegt dem Oberverwaltungsgericht noch nicht vor.
Aktenzeichen: 11 B 1362/17 (I. Instanz: VG Köln 14 L 3477/17)

 

2,5 %-Sperrklausel für die Wahlen der Gemeinderäte und Kreistage verfassungswidrig
Münster/Duisburg, 21. November 2017 - Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster hat heute entschieden, dass die 2,5 %-Sperrklausel bei Kommunalwahlen gegen den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit verstößt, soweit sie für die Wahlen der Gemeinderäte und Kreistage gilt. Demgegenüber stehe die Sperrklausel im Einklang mit der Landesverfassung, soweit die Wahlen der Bezirksvertretungen und der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr betroffen sind.

Sachverhalt
Antragstellerinnen der Organstreitverfahren sind die Landesverbände der NPD, der Piratenpartei, der Partei DIE LINKE, der PARTEI, der ÖDP und der Tierschutzpartei sowie die Bürgerbewegung PRO NRW und die Partei Freie Bürger-Initiative/Freie Wähler. Antragsgegner ist jeweils der Landtag, der durch das Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen und wahlrechtlicher Vorschriften (Kommunalvertretungsstärkungsgesetz) vom 14. Juni 2016 eine 2,5 %-Sperrklausel bei Kommunalwahlen eingeführt hat.

Nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs aus dem Jahr 1999 war die damals im Kommunalwahlgesetz geregelte 5 %-Sperrklausel mit der Landesverfassung nicht vereinbar, weil der Gesetzgeber ihre Erforderlichkeit nicht hinreichend begründet hatte (Urteil vom 6. Juli 1999 – VerfGH 14/98, 15/98 –). Die nunmehr streitige 2,5 %-Sperrklausel wurde unmittelbar in die Landesverfassung (Art. 78 Abs. 1 Satz 3) eingefügt.
Der Gesetzgeber hat die Regelung in erster Linie damit begründet, Folge des Wegfalls der früheren 5 %-Sperrklausel sei eine zunehmende parteipolitische Zersplitterung der Kommunalvertretungen, die die Handlungsfähigkeit der Kommunalvertretungen beeinträchtige oder zumindest in hohem Maße gefährde.

Wesentliche Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs
In der mündlichen Urteilsbegründung führte die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs Dr. Ricarda Brandts unter anderem aus: Der Verfassungsgerichtshof habe die verfassungsunmittelbare 2,5 %-Sperrklausel darauf zu überprüfen, ob sie die in Art. 69 Abs. 1 Satz 2 der Landesverfassung (LV) normierten Grenzen der Zulässigkeit von Verfassungsänderungen wahre. Danach seien Änderungen der Verfassung, die den Grundsätzen unter anderem des demokratischen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes widersprechen, unzulässig.
Damit nehme die Landesverfassung Bezug auf die sogenannten Homogenitätsvorgaben in Art. 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des Grundgesetzes (GG). Zu diesen zwingenden Vorgaben für die Ausgestaltung der verfassungsmäßigen Ordnung in den Ländern gehöre der Grundsatz der Gleichheit der Wahl. Die Sperrklausel bewirke eine Ungleichgewichtung der Wählerstimmen hinsichtlich ihres Erfolgswertes, da Stimmen für solche Parteien und Wählervereinigungen, die an der 2,5 %-Hürde scheiterten, ohne Einfluss auf die Sitzverteilung blieben.

Für die Wahlen der Gemeinderäte und Kreistage sei diese Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt. Insoweit ergäben sich aus Landesverfassung und Grundgesetz (Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV i. V. m. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG) strenge Anforderungen an differenzierende Regelungen. Diese bedürften stets eines besonderen, sachlich legitimierten, „zwingenden“ Grundes. Dazu gehöre zwar auch die Sicherung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung. Berufe sich der Gesetzgeber aber zur Rechtfertigung einer Sperrklausel auf eine solche anderenfalls drohende Funktionsunfähigkeit, müsse er für die dann zu erstellende Prognose alle in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht für die Einschätzung der Erforderlichkeit einer Sperrklausel relevanten Gesichtspunkte heranziehen und abwägen. Er dürfe sich nicht mit einer abstrakten, schematischen Beurteilung begnügen.
Die Prognose müsse vielmehr nachvollziehbar begründet und auf tatsächliche Entwicklungen gerichtet sein, deren Eintritt der Gesetzgeber ohne die in Rede stehende Wahlrechtsbestimmung konkret erwartet. Eine durch das vermehrte Aufkommen kleiner Parteien und Wählervereinigungen bedingte bloße Erschwerung der Meinungsbildung dürfe er nicht mit einer Funktionsstörung oder Funktionsunfähigkeit gleichsetzen.
Diese bereits früher von der Verfassungsrechtsprechung in Bezug auf einfachgesetzliche Sperrklauseln formulierten Anforderungen würden auch für eine unmittelbar in der Landesverfassung geregelte Sperrklausel gelten. Ein spezifischer Spielraum des landesverfassungsändernden Gesetzgebers für Differenzierungen innerhalb der Wahlrechtsgleichheit bestehe nicht.

Dass die 2,5 %-Sperrklausel zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinderäte und Kreistage erforderlich ist, sei weder im Gesetzgebungsverfahren noch im Rahmen der Organstreitverfahren in der gebotenen Weise deutlich gemacht worden. Die gesetzgeberische Prognose sei weder in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollständig noch sei ihre Begründung in jeder Hinsicht nachvollziehbar. Die Gesetzesbegründung erschöpfe sich im Wesentlichen in abstrakten, schematischen Erwägungen zu möglichen negativen Folgen einer Zersplitterung der Kommunalvertretungen. Dass es nach Wegfall der früheren 5 %-Sperrklausel durch eine gestiegene Zahl von Kleingruppen und Einzelmandatsträgern zu relevanten Funktionsstörungen von Gemeinderäten und Kreistagen oder zumindest zu Entwicklungen gekommen wäre, die Funktionsstörungen möglicherweise zur Folge haben könnten, werde zwar behauptet, nicht aber in nachvollziehbarer Weise anhand konkreter empirischer Befunde belegt.
Weniger strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen unterlägen differenzierende Regelungen für die Wahlen der Bezirksvertretungen und der Regionalversammlung Ruhr.
Insoweit beschränkten sich Landesverfassung und Grundgesetz (Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV i. V. m. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) auf die Gewährleistung des auch auf Ebene des Bundes unabänderlichen Kerns des Demokratieprinzips. Dieser werde durch die 2,5 %-Sperrklausel nicht berührt.
Aktenzeichen: VerfGH 9, 11, 15, 16, 17, 18, 21/16

 

 

Bundesgerichtshof: Altersvorsorgevermögen aus Riester-Renten ist unpfändbar, soweit die vom Schuldner erbrachten Altersvorsorgebeiträge tatsächlich gefördert worden sind.
Karlsruhe - Versäumnisurteil vom 16. November 2017
Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen das in einem Riester-Vertrag angesparte Vermögen pfändbar ist und daher in der Insolvenz zugunsten der Gläubiger verwertet werden kann. Sachverhalt und Prozessverlauf: Die Schuldnerin schloss im Jahr 2010 bei der Beklagten einen Rentenversicherungsvertrag (Riester-Rente) ab.
Der Rentenversicherungsvertrag sieht ein Kündigungsrecht für die Schuldnerin vor. Nachdem die Schuldnerin Beiträge in Höhe von insgesamt 333 € gezahlt hatte, stellte die Beklagte den Versicherungsvertrag auf Antrag der Schuldnerin beitragsfrei. Am 15. April 2014 eröffnete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter.
Der Kläger kündigte den Rentenversicherungsvertrag und verlangt von der Beklagten die Auszahlung des Rückkaufswertes. Der Kläger meint, die Riester-Rente gehöre zur Insolvenzmasse. Da die Schuldnerin das Recht habe, den Vertrag zu kündigen, erfülle der Vertrag nicht die Voraussetzungen des § 851c Abs. 1 ZPO. Daher könne der Vertrag in der Insolvenz zugunsten der Gläubiger verwertet werden. Außerdem habe die Schuldnerin weder einen Zulageantrag gestellt noch eine staatliche Zulage erhalten.

Die Beklagte verteidigt sich damit, dass das in Riester-Verträgen angesparte Vermögen gemäß § 851 Abs. 1 ZPO** unpfändbar sei, weil das Altersvorsorgevermögen einschließlich der Erträge in Riester-Renten gemäß § 97 Satz 1 EStG nicht übertragbar sei. Der Kläger verlangt mit seiner Klage die Auszahlung des von ihm errechneten Rückkaufswertes.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen.
Das Landgericht hat die Beklagte auf die Berufung des Klägers zur Zahlung eines Teilbetrags verurteilt. Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die vollständige Klageabweisung.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der unter anderem für Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass das in einem Riester-Vertrag angesparte Guthaben nicht pfändbar ist, soweit die vom Schuldner erbrachten Altersvorsorgebeiträge tatsächlich gefördert werden und den Höchstbetrag nicht übersteigen.
Dem Insolvenzverwalter steht ein Kündigungsrecht nur zu, wenn der Rentenversicherungsvertrag dem Insolvenzbeschlag unterliegt. Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören nicht zur Insolvenzmasse. Ob das in einem Riester-Vertrag angesparte Guthaben pfändbar ist und damit der Zwangsvollstreckung unterliegt, richtet sich nach § 851 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 97 Satz 1 EStG.


Da diese Ansprüche kraft gesetzlicher Anordnung nicht übertragbar sind, sind sie auch nicht pfändbar. § 851c ZPO ist durch das Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge vom 26. März 2007 (BGBl I 2007, 368) eingeführt worden. Damit hat der Gesetzgeber jedoch keine zusätzlichen Anforderungen an die Unpfändbarkeit von Ansprüchen aus Riester-Renten geschaffen.
Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass der Riester-Vertrag unkündbar ist (§ 851c Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Soweit danach § 851c ZPO für die Unpfändbarkeit von Ansprüchen aus Verträgen Anforderungen an die Ausgestaltung der Vertragsbedingungen stellt, die von Riester-Verträgen nicht eingehalten werden müssen, handelt es sich um eine unterschiedliche gesetzgeberische Wertentscheidung.
Der Gesetzgeber wollte durch § 851c ZPO den Schutz von Altersvorsorgeansprüchen verbessern. Daher kann dem Gesetz nichts dafür entnommen werden, dass die Unpfändbarkeit von Ansprüchen aus Riester-Renten gegenüber der Rechtslage nach § 851 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 97 Satz 1 EStG zukünftig erschwert werden sollte. Allerdings hängt der Pfändungsschutz für das in einem Riester-Vertrag angesparte Kapital davon ab, ob die Altersvorsorgebeiträge tatsächlich durch eine Zulage gefördert worden sind.

Ausreichend für die Unpfändbarkeit ist, wenn der Altersvorsorgevertrag im Zeitpunkt der Pfändung förderfähig war, der Schuldner bereits einen Zulagenantrag für die entsprechenden Beitragsjahre gestellt hatte und die Voraussetzungen für die Gewährung einer Zulage vorlagen. Nachdem zwischen den Parteien streitig ist, ob die Schuldnerin einen Zulageantrag gestellt und eine staatliche Zulage erhalten hat, hat der Senat den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das Landgericht zurückverwiesen.

Vorinstanzen:
Amtsgericht Stuttgart - Urteil vom 17. Februar 2016 – 7 C 2306/15
Landgericht Stuttgart - Urteil vom 21. Dezember 2016 – 4 S 82/16

Die maßgeblichen Vorschriften lauten: § 851c ZPO Pfändungsschutz bei Altersrenten: (1) Ansprüche auf Leistungen, die auf Grund von Verträgen gewährt werden, dürfen nur wie Arbeitseinkommen gepfändet werden, wenn
1.die Leistung in regelmäßigen Zeitabständen lebenslang und nicht vor Vollendung des 60. Lebensjahres oder nur bei Eintritt der Berufsunfähigkeit gewährt wird, 2.über die Ansprüche aus dem Vertrag nicht verfügt werden darf,
3.die Bestimmung von Dritten mit Ausnahme von Hinterbliebenen als Berechtigte ausgeschlossen ist und
4.die Zahlung einer Kapitalleistung, ausgenommen eine Zahlung für den Todesfall, nicht vereinbart wurde. (2) 1Um dem Schuldner den Aufbau einer angemessenen Alterssicherung zu ermöglichen, kann er unter Berücksichtigung der Entwicklung auf dem Kapitalmarkt, des Sterblichkeitsrisikos und der Höhe der Pfändungsfreigrenze, nach seinem Lebensalter gestaffelt, jährlich einen bestimmten Betrag unpfändbar auf der Grundlage eines in Absatz 1 bezeichneten Vertrags bis zu einer Gesamtsumme von 256 000 Euro ansammeln.
2 Der Schuldner darf vom 18. bis zum vollendeten 29. Lebensjahr 2 000 Euro, vom 30. bis zum vollendeten 39. Lebensjahr 4 000 Euro, vom 40. bis zum vollendeten 47. Lebensjahr 4 500 Euro, vom 48. bis zum vollendeten 53. Lebensjahr 6 000 Euro, vom 54. bis zum vollendeten 59. Lebensjahr 8 000 Euro und vom 60. bis zum vollendeten 67. Lebensjahr 9 000 Euro jährlich ansammeln.

3 Übersteigt der Rückkaufwert der Alterssicherung den unpfändbaren Betrag, sind drei Zehntel des überschießenden Betrags unpfändbar. 4Satz 3 gilt nicht für den Teil des Rückkaufwerts, der den dreifachen Wert des in Satz 1 genannten Betrags übersteigt. […] § 851 ZPO Nicht übertragbare Forderungen (1) Eine Forderung ist in Ermangelung besonderer Vorschriften der Pfändung nur insoweit unterworfen, als sie übertragbar ist. […] § 97 EStG Übertragbarkeit 1Das nach § 10a oder Abschnitt XI geförderte Altersvorsorgevermögen einschließlich seiner Erträge, die geförderten laufenden Altersvorsorgebeiträge und der Anspruch auf die Zulage sind nicht übertragbar. […]

 

Bundesverfassungsgericht

Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Begrenzung auf Übernahme der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung
Karlsruhe, 14. November 2017 - Vor den Sozialgerichten wird immer wieder darum gestritten, ob im Rahmen des Bezugs von Arbeitslosengeld II die Kosten für die Wohnung nicht nur in „angemessener“, sondern in tatsächlicher Höhe übernommen werden. Das Sozialgesetzbuch beschränkt die Erstattung auf „angemessene“ Aufwendungen.
Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat in einem heute veröffentlichten Beschluss entschieden, dass diese Begrenzung mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist. Der Gesetzgeber muss keinen Anspruch auf unbegrenzte Übernahme der Wohnungskosten vorsehen.
Die Regelung ist auch ausreichend klar und verständlich. Damit hat der Gesetzgeber seiner aus der Verfassung herzuleitenden Pflicht genügt, einen konkreten gesetzlichen Anspruch zur Erfüllung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu schaffen.

 

Formularvertragliche Verlängerung der Verjährung von Vermieteransprüchen ist unwirksam
Bundesgerichtshof- Urteil vom 8. November 2017 - VIII ZR 13/17

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage befasst, ob ein Vermieter die in § 548 Abs. 1 BGB* geregelte sechsmonatige Verjährung seiner gegen den Mieter gerichteten Ersatzansprüche nach Rückgabe der Mietsache durch formularvertragliche Regelungen (Allgemeine Geschäftsbedingungen) verlängern kann; derartige Klauseln sind in Formularverträgen im Wohnraummietrecht weit verbreitet.  

Sachverhalt und Prozessverlauf:  
Die Beklagte war seit 2003 Mieterin einer Wohnung der Klägerin in Berlin. Nach Kündigung des Mietverhältnisses durch die Beklagte erhielt die Klägerin die Wohnung Ende Dezember 2014 zurück.  Erst mit im Oktober 2015 zugestellter Klage nahm die Klägerin die Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von rund 16.000 € wegen an der Wohnung eingetretener Schäden in Anspruch.

Der hiergegen von der Beklagten unter Bezugnahme auf § 548 Abs. 1 BGB* erhobenen Einrede der Verjährung begegnete die Klägerin mit einem Verweis auf eine in dem von ihr verwendeten Formularmietvertrag enthaltene Bestimmung, nach welcher Ersatzansprüche des Vermieters wegen Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache (ebenso wie Ansprüche des Mieters auf Aufwendungsersatz oder Gestattung der Wegnahme von Einrichtungen) erst in zwölf Monaten nach Beendigung des Mietverhältnisses verjähren würden.  

Die von der Klägerin erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.  

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:  
Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass eine Regelung in einem Formularmietvertrag, durch die ein Vermieter die nach dem Gesetz vorgesehene sechsmonatige Verjährung seiner Ersatzansprüche nach Rückgabe der Mietsache verlängert, wegen unangemessener Benachteiligung des Mieters nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB** unwirksam ist.  

Die im streitgegenständlichen Formularmietvertrag enthaltene Klausel erschwert den Eintritt der Verjährung der in § 548 Abs. 1 Satz 1 BGB* genannten Ansprüche des Vermieters gegenüber der gesetzlichen Regelung in zweifacher Hinsicht. Zum einen wird die Frist, nach deren Ablauf diese Ansprüche verjähren, von sechs auf zwölf Monate verdoppelt.
Zum anderen verändert die Klausel zusätzlich den Beginn des Fristlaufs, indem sie nicht auf den Zeitpunkt des Rückerhalts der Sache, sondern auf das (rechtliche) Mietvertragsende abstellt.  Beide Regelungsinhalte sind mit wesentlichen Grundgedanken des § 548 BGB* nicht zu vereinbaren und stellen bereits aus diesem Grund eine unangemessene Benachteiligung der Beklagten dar.

Dies führt zur Unwirksamkeit der Klausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB**.  Denn die in § 548 Abs. 1 BGB* geregelte kurze Verjährung der Ansprüche des Vermieters ist durch berechtigte Interessen des Mieters im Rahmen der Abwicklung des Mietverhältnisses begründet. Der Mieter hat nach der Rückgabe der Mietsache an den Vermieter auf diese keinen Zugriff mehr und kann somit ab diesem Zeitpunkt regelmäßig auch keine beweissichernden Feststellungen mehr treffen.
Demgegenüber wird der Vermieter durch die Rückgabe der Mietsache, an die das Gesetz den Verjährungsbeginn für dessen Ansprüche anknüpft, in die Lage versetzt, sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob ihm gegen den Mieter Ansprüche wegen Verschlechterung oder Veränderung der Mietsache zustehen und er diese durchsetzen oder gegebenenfalls innerhalb der sechsmonatigen Verjährungsfrist erforderliche verjährungshemmende Maßnahmen ergreifen will. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Prüfung nicht regelmäßig in der vom Gesetz vorgesehen Verjährungsfrist von sechs Monaten vorgenommen werden könnte.

Vor diesem Hintergrund war es - unter Berücksichtigung der Interessen sowohl des Mieters als auch des Vermieters -  das ausdrücklich erklärte Ziel des Gesetzgebers, mit der kurzen Verjährungsregelung in § 548 BGB* aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zeitnah zur Rückgabe der Mietsache eine "möglichst schnelle" Klärung über bestehende Ansprüche im Zusammenhang mit dem Zustand der Mietsache zu erreichen.  
Die unangemessene Benachteiligung des Mieters im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB** entfällt schließlich nicht dadurch, dass die streitgegenständliche Klausel spiegelbildlich eine Verlängerung auch seiner Ansprüche auf Ersatz von Aufwendungen und auf Gestattung der Wegnahme einer Einrichtung vorsieht. Denn auch die spiegelbildliche Verlängerung beider Verjährungsfristen ändert nichts an dem berechtigten und zentralen Interesse des Mieters an einer möglichst kurzen, an die Rückgabe der Mietsache anknüpfenden Verjährungsfrist - zumal den in § 548 Abs. 1 BGB* genannten Ersatzansprüchen des Vermieters eine große praktische Bedeutung zukommt, während Streitigkeiten über Wegnahme von Einrichtungen und Aufwendungsersatz des Mieters (§ 548 Abs. 2 BGB*) deutlich seltener vorkommen dürften.  

Vorinstanzen:  
Amtsgericht Berlin-Neukölln - Urteil vom 15. Juni 2016 - 9 C 244/15  
Landgericht Berlin - Urteil vom 26. Oktober 2016 - 65 S 305/16  

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:   * § 548 BGB Verjährung der Ersatzansprüche und des Wegnahmerechts  
(1) 1Die Ersatzansprüche des Vermieters wegen Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache verjähren in sechs Monaten.
2 Die Verjährung beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem er die Mietsache zurückerhält. 3Mit der Verjährung des Anspruchs des Vermieters auf Rückgabe der Mietsache verjähren auch seine Ersatzansprüche.  
(2) Ansprüche des Mieters auf Ersatz von Aufwendungen oder auf Gestattung der Wegnahme einer Einrichtung verjähren in sechs Monaten nach der Beendigung des Mietverhältnisses.   ** 307 BGB Inhaltskontrolle  
(1) 1Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.
2Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.  
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung   
1.mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist […]  

 

Personenstandsrecht muss weiteren positiven Geschlechtseintrag - 3. Geschlecht -  zulassen
8. November 2017 - Die Regelungen des Personenstandsrechts sind mit den grundgesetzlichen Anforderungen insoweit nicht vereinbar, als § 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz (PStG) neben dem Eintrag „weiblich“ oder „männlich“ keine dritte Möglichkeit bietet, ein Geschlecht positiv eintragen zu lassen. Dies hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) schützt auch die geschlechtliche Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Darüber hinaus verstößt das geltende Personenstandsrecht auch gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 3 GG), soweit die Eintragung eines anderen Geschlechts als „männlich“ oder „weiblich“ ausgeschlossen wird.

Der Gesetzgeber hat bis zum 31. Dezember 2018 eine Neuregelung zu schaffen. Gerichte und Verwaltungsbehörden dürfen die betreffenden Normen nicht mehr anwenden, soweit sie für Personen, deren Geschlechtsentwicklung gegenüber einer weiblichen oder männlichen Geschlechtsentwicklung Varianten aufweist und die sich deswegen dauerhaft weder dem männlichen, noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, eine Pflicht zur Angabe des Geschlechts begründen.

Sachverhalt: Die beschwerdeführende Person beantragte beim zuständigen Standesamt die Berichtigung ihres Geburtseintrags dahingehend, dass die bisherige Geschlechtsangabe „weiblich“ gestrichen und die Angabe „inter/divers“, hilfsweise nur „divers“ eingetragen werden solle. Das Standesamt lehnte den Antrag mit Hinweis darauf ab, dass nach deutschem Personenstandsrecht im Geburtenregister ein Kind entweder dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zuzuordnen ist, oder - wenn dies nicht möglich ist - das Geschlecht nicht eingetragen wird (§ 21 Abs. 1 Nr. 3, § 22 Abs. 3 PStG).

Der daraufhin beim zuständigen Amtsgericht gestellte Berichtigungsantrag wurde zurückgewiesen; die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb erfolglos. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die beschwerdeführende Person insbesondere eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) und eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG).

Wesentliche Erwägungen des Senats: 1. a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt auch die geschlechtliche Identität, die regelmäßig ein konstituierender Aspekt der eigenen Persönlichkeit ist. Der Zuordnung zu einem Geschlecht kommt für die individuelle Identität herausragende Bedeutung zu; sie nimmt typischerweise eine Schlüsselposition sowohl im Selbstverständnis einer Person als auch dabei ein, wie die betroffene Person von anderen wahrgenommen wird. Dabei ist auch die geschlechtliche Identität jener Personen geschützt, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind.
b) In dieses Recht wird nach geltendem Personenstandsrecht eingegriffen. Das Personenstandsrecht verlangt einen Geschlechtseintrag, ermöglicht jedoch der beschwerdeführenden Person, die sich selbst dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnet, keinen Eintrag, der ihrer Geschlechtsidentität entspräche.
Auch durch die Wahl der gesetzlichen Variante „fehlende Angabe“ würde nicht abgebildet, dass die beschwerdeführende Person sich nicht als geschlechtslos begreift, und nach eigenem Empfinden ein Geschlecht jenseits von männlich oder weiblich hat. Hierdurch ist die selbstbestimmte Entwicklung und Wahrung der Persönlichkeit spezifisch gefährdet.
Der Personenstand ist keine Marginalie, sondern ist nach dem Gesetz die „Stellung einer Person innerhalb der Rechtsordnung“. Der Personenstand umschreibt in zentralen Punkten die rechtlich relevante Identität einer Person. Die Verwehrung der personenstandsrechtlichen Anerkennung der geschlechtlichen Identität gefährdet darum bereits für sich genommen die selbstbestimmte Entwicklung. c) Der Grundrechtseingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

Das Grundgesetz gebietet nicht, den Personenstand hinsichtlich des Geschlechts ausschließlich binär zu regeln. Es zwingt weder dazu, das Geschlecht als Teil des Personenstandes zu normieren, noch steht es der personenstandsrechtlichen Anerkennung einer weiteren geschlechtlichen Identität jenseits des weiblichen und männlichen Geschlechts entgegen. Dass im geltenden Personenstandsrecht keine Möglichkeit besteht, ein drittes Geschlecht positiv eintragen zu lassen, lässt sich nicht mit Belangen Dritter rechtfertigen.

Durch die bloße Eröffnung der Möglichkeit eines weiteren Geschlechtseintrags wird niemand gezwungen, sich diesem weiteren Geschlecht zuzuordnen. Allerdings müssen in einem Regelungssystem, das Geschlechtsangaben vorsieht, die derzeit bestehenden Möglichkeiten für Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung, sich als weiblich, männlich oder ohne Geschlechtseintrag registrieren zu lassen, erhalten bleiben. Auch bürokratischer und finanzieller Aufwand oder Ordnungsinteressen des Staates vermögen die Verwehrung einer weiteren einheitlichen positiven Eintragungsmöglichkeit nicht zu rechtfertigen. Ein gewisser Mehraufwand wäre hinzunehmen.
Ein Anspruch auf personenstandsrechtlicher Eintragung beliebiger Identitätsmerkmale, die einen Bezug zum Geschlecht haben, ergibt sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht hingegen nicht. Durch die Ermöglichung des positiven Eintrags eines weiteren Geschlechts unter einer einheitlichen dritten Bezeichnung entstehen auch keine Zuordnungsprobleme, die sich nach geltendem Recht nicht ohnehin schon stellen. Denn im Falle der Ermöglichung eines weiteren positiven Geschlechtseintrags sind die gleichen Fragen zu klären, die sich bei der nach derzeitiger Rechtslage möglichen Nichteintragung des Geschlechts stellen.

2. Darüber hinaus verstößt § 21 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 22 Abs. 3 PStG gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Danach darf das Geschlecht grundsätzlich nicht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden. Dabei schützt Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG auch Menschen vor Diskriminierungen, die sich nicht dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen. Denn Zweck des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ist es, Angehörige strukturell diskriminierungsgefährdeter Gruppen vor Benachteiligung zu schützen. § 21 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 22 Abs. 3 PStG benachteiligt aber Menschen, die nicht männlichen oder weiblichen Geschlechts sind, wegen ihres Geschlechts, weil diese im Gegensatz zu Männern und Frauen nicht ihrem Geschlecht gemäß registriert werden können.

3. Die Verfassungsverstöße führen zur Feststellung der Unvereinbarkeit von § 21 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 22 Abs. 3 PStG mit dem Grundgesetz, weil dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die Verfassungsverstöße zu beseitigen. So könnte der Gesetzgeber auf einen personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag generell verzichten. Er kann aber stattdessen auch für die betroffenen Personen die Möglichkeit schaffen, eine weitere positive Bezeichnung eines Geschlechts zu wählen, das nicht männlich oder weiblich ist. Dabei ist der Gesetzgeber nicht auf die Wahl einer der von der antragstellenden Person im fachgerichtlichen Verfahren verfolgten Bezeichnungen beschränkt.

 

 

Die Bundesregierung hat Auskünfte zur Deutschen Bahn AG und zur Finanzmarktaufsicht zu Unrecht verweigert
7. November 2017 - Das Bundesverfassungsgericht hat eine neue Pressemitteilung veröffentlicht. Hierzu lautet der Kurztext: Mit heute verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts festgestellt, dass die Bundesregierung ihrer Antwortpflicht bei der Beantwortung von Anfragen zur Deutschen Bahn AG und zur Finanzmarktaufsicht nicht genügt und hierdurch Rechte der Antragsteller und des Deutschen Bundestages verletzt hat. Die streitgegenständlichen Fragen zu Vereinbarungen zwischen der Bundesregierung und der Deutschen Bahn AG über Investitionen in das Schienennetz, zu einem Gutachten zum Projekt „Stuttgart 21“, zu Zugverspätungen und deren Ursachen sowie zu aufsichtsrechtlichen Maßnahmen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht gegenüber mehreren Banken in den Jahren 2005 bis 2008 hat die Bundesregierung ohne hinreichende Begründung unvollständig beantwortet oder unbeantwortet gelassen.

 


Oktober 2017

Schimmel in der Wohnung
Tipps zu gesundheitlichen und rechtlichen Fragen 



Sturmschaden auf dem Firmenparkplatz – wer haftet?
Beschädigt ein vom Sturm in Bewegung gesetzter Müllcontainer auf dem Betriebsparkplatz den Pkw eines Arbeitnehmers, haftet der Arbeitgeber. Zumindest dann, wenn er den Müllcontainer nicht ausreichend gesichert hat. Dies geht laut D.A.S. Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S. Leistungsservice) aus einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf hervor.
LAG Düsseldorf, Az. 9 Sa 42/17

T
reffen herumfliegende Gegenstände bei einem Sturm geparkte Autos, richtet sich die Haftung oft danach, ob der Besitzer dieser Gegenstände seine Verkehrssicherungspflicht missachtet hat – ob er diese Dinge also besser hätte sichern müssen. Die Gerichte legen dem Geschädigten oft eine Mithaftung auf, wenn der Sturm bereits beim Parken absehbar war und er sein Auto an einer gefährdeten Stelle abgestellt hat, beispielsweise unter einem morschen Baum oder neben einer wackeligen Reklametafel.

Der Fall: Ein Gemeindemitarbeiter hatte seinen Pkw wie immer mit Erlaubnis der Gemeinde auf deren Betriebsgelände geparkt. Er war den ganzen Tag im Außeneinsatz. Als er zurückkehrte, musste er feststellen, dass der an diesem Tag herrschende Sturm mit Windstärke neun einen großen rollbaren Müllcontainer in Bewegung gesetzt und mit Wucht gegen sein Auto geschoben hatte. Der Pkw war ein Totalschaden. Seine Versicherung zahlte ihm die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert aus und verlangte das Geld von der Gemeinde zurück. Denn diese habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt und damit den Schaden verursacht.
Das Urteil: Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf gab der Klage statt. Nach Informationen des D.A.S. Leistungsservice war das Gericht der Ansicht, dass die Gemeinde hier fahrlässig ihre Pflichten verletzt habe. Der Sturm sei durch eine rechtzeitige Unwetterwarnung angekündigt gewesen. Um ihrer Verkehrssicherungspflicht nachzugehen, hätte die Gemeinde das Betriebsgelände vorher abgehen und mögliche Gefahrenstellen entschärfen müssen. Dazu hätte sie in diesem Fall nur ein Tor zwischen Müllcontainer und Parkplatz schließen müssen. Dass 14 Tage vorher jemand die Feststellbremse des Müllcontainers angezogen habe, reiche nicht aus.
Bei einem Sturm mit Windstärke neun liege kein unabwendbares Ereignis vor, bei dem keine Sicherheitsmaßnahmen möglich seien. Der Mitarbeiter habe keine Mitschuld an dem Schaden. Er habe sein Auto um sieben Uhr morgens abgestellt und sich dann sofort ganztags in den Außeneinsatz begeben. Er habe sich darauf verlassen dürfen, dass die Gemeinde die notwendigen Maßnahmen treffe, um ihr Betriebsgelände zu sichern.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 11. September 2017, Az. 9 Sa 42/17

Steuererklärung kann auch beim unzuständigen Finanzamt fristwahrend eingereicht werden
Köln. 16. Oktober 2017 - Der Einwurf einer Steuererklärung am letzten Tag der Antragsfrist ist selbst dann fristwahrend, wenn er beim unzuständigen Finanzamt erfolgt. Dies hat der 1. Senat des Finanzgerichts Köln in zwei heute veröffentlichten Urteilen entschieden (1 K 1637/14 und 1 K 1638/14).

Die Kläger warfen ihre Steuererklärungen 2009 am 31.12.2013 gegen 20.00 Uhr bei einem unzuständigen Finanzamt ein. Das zuständige Finanzamt lehnte eine Veranlagung mit der Begründung ab, dass die Erklärung erst 2014 an es weitergeleitet worden sei. Der Antrag auf Durchführung einer Veranlagung sei damit erst nach Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist und damit verspätet gestellt worden. Dem folgte der 1. Senat nicht und verpflichtete das Finanzamt die Veranlagungen für 2009 durchzuführen.
Er vertrat die Auffassung, es sei gesetzlich nicht vorgeschrieben, dass ein Veranlagungsantrag beim zuständigen Finanzamt eingehen müsse. Auch könne die Finanzverwaltung einem steuerlich unberatenen Bürger nicht die Unzuständigkeit eines Finanzamts vorhalten, wenn sie selbst nach außen als einheitliche Verwaltung auftrete. Schließlich gehe auch der Einwurf der Erklärungen außerhalb der üblichen Bürozeiten nicht zu Lasten der Kläger. Insoweit habe die Finanzverwaltung einen generellen Empfangs- bzw. Zugangswillen.
Das beklagte Finanzamt hat die zugelassenen Revisionen eingelegt. Die Verfahren werden beim Bundefinanzhof in München unter den Aktenzeichen VI R 37/17 und VI R 38/17 geführt.

 

Sozialgericht Düsseldorf: Spaziergang kann Arbeitsunfall sein

Düsseldorf, Oktober 2017 - Ein 60-jähriger Kläger aus Düsseldorf war mit seiner Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls erfolgreich. Er hatte gegen die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft geklagt mit dem Ziel, einen während einer Rehabilitation erlittenen Verkehrsunfall als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Der Kläger war während einer stationären Rehabilitation bei einem sonntäglichen Spaziergang beim Überqueren eines Fußgängerüberwegs auf dem Weg zum Kurplatz von einem Pkw erfasst und verletzt worden. Der Kläger ist der Auffassung, dass es sich dabei um einen Arbeitsunfall handele, er also einen Anspruch aus der gesetzlichen Unfallkasse habe. Es sei im Rahmen der Rehabilitation ein Ziel gewesen, sein Gewicht zu reduzieren.
Mit dem Spaziergang habe er seiner Verpflichtung zur aktiven Mitarbeit bei der Gewichtsreduzierung nachkommen wollen. Daher sei der Unfall beim Spaziergang als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die beklagte Berufsgenossenschaft erkannte den Vorfall nicht als Versicherungsfall an und lehnte es ab, Entschädigungsleistungen zu erbringen.
Der Kläger gehöre zwar zum versicherten Personenkreis, es habe sich jedoch bei dem Spaziergang um eine sog. eigenwirtschaftliche und damit nicht versicherte Tätigkeit gehandelt, besondere mit dem Klinikaufenthalt verbundene Gefahrenmomente hätten nicht vorgelegen. Der Spaziergang sei nicht ärztlich verordnet gewesen. Ein bloßer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang mit der Rehabilitationsmaßnahme sei nicht ausreichend.

Die 6. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf folgte der Argumentation des Klägers. Es bestehe ein innerer Zusammenhang mit der Rehabilitationsmaßnahme. Es schade nicht, dass der Spaziergang an einem therapiefreien Sonntag stattgefunden habe. Es reiche aus, wenn der Versicherte von seinem Standpunkt aus der Auffassung sein durfte, die Tätigkeit sei geeignet, der stationären Behandlung zu dienen und diese Tätigkeit zudem objektiv kurgerecht sei. Beides sei bei dem hier streitigen sonntäglichen Spaziergang gegeben gewesen.

Urteil vom 20.06.2017 – S 6 U 545/14 – rechtskräftig –

 

Bundesgerichtshof: Zünden eines Knallkörpers auf Fußballtribüne – hier:
Höhe des Schadensersatzes bei Verbandsstrafe für mehrere Vorfälle)

Karlsruhe, den 9. Oktober 2017 - Verhandlungstermin am 9. November 2017, 10.00 Uhr, in Sachen VII ZR 62/17 (Sachverhalt: Die Klägerin betreibt den Profifußballbereich des 1. FC Köln.
Sie verlangt von dem Beklagten Schadensersatz wegen des Zündens eines Knallkörpers bei einem Heimspiel im RheinEnergieStadion in der 2. Bundesliga gegen den SC Paderborn 07 am 9. Februar 2014. Wegen dieses Vorfalls und weiterer vorangegangener Vorfälle bei anderen Spielen der Lizenzspielermannschaft der Klägerin verhängte das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes e.V. (DFB) eine Verbandsstrafe gegen die Klägerin, u.a. bestehend aus einer Geldstrafe in Höhe von 50.000 € sowie der Bewährungsauflage, weitere 30.000 € für Projekte und Maßnahmen zu verwenden, die der Gewaltprävention sowie der Ermittlung von konkreten Tätern bei den Fußballspielen der Klägerin dienen. Unter Anrechnung einer bereits früher von der Klägerin getätigten Aufwendung für ein Kamerasystem verblieben 60.000 €, die die Klägerin zahlte.

Sie verlangt vom Beklagten Ersatz in Höhe von 30.000 €. Bisheriger Prozessverlauf: Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hatte das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Durch Urteil vom 22. September 2016 -VII ZR 14/16 hat der Bundesgerichtshof dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht hat den Beklagten nunmehr zur Zahlung von 20.340 € verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat gemeint, die nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs allein noch im Streit stehende Höhe des Schadensersatzanspruchs bemesse sich danach, in welchem Maße sich die Pflichtverletzung des Beklagten in der konkret verhängten und gezahlten Strafe niedergeschlagen habe. Dieses Maß ergebe sich aus dem Verhältnis seiner Strafe zur Summe der für die einzelnen Vorfälle (rechnerisch) angesetzten Einzelstrafen.

Das seien hier 40.000 €: 118.000 €, da für die einzelnen Vorfälle Strafen von 20.000 €, 20.000 €, 38.000 € und 40.000 € (nur letztere den Beklagten betreffend), zusammen also 118.000 € verhängt wurden, wovon 60.000 € tatsächlich zu zahlen gewesen seien. Im Ergebnis also 40/118 von 60.000€ = 20.340€ (aufgerundet).
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin weiterhin die Verurteilung zur Zahlung von insgesamt 30.000 €. Vorinstanzen:
LG Köln - Urteil vom 8. April 2015 - 7 O 231/14 OLG Köln - Urteil vom 17. Dezember 2015 - 7 U 54/15 BGH - Urteil vom 22. September 2016 - VII ZR 14/16 OLG Köln - Urteil vom 9. März 2017 - 7 U 54/15 Karlsruhe, den 9. Oktober 2017

 

 

Oberlandesgericht Hamm: Strafbares Vermummen nach Fußballspiel

Hamm/Duisburg, 06. Oktober 2017 - Wer sich nach dem Ende eines Fußballspiels noch auf dem Stadiongelände vermummt, kann wegen Verstoßes gegen das im Versammlungsgesetz angeordnete Vermummungsverbot zu bestrafen sein. Ausgehend hiervon hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm mit Beschluss vom 07.09.2017 (Az. 4 RVs 97/17 OLG Hamm) die Revision des Angeklagten gegen das Berufungsurteil des Landgerichts Paderborn vom 27.03.2017 (Az. 3 Ns 20 Js 525/15 (181/16) LG Paderborn) als unbegründet verworfen.

Der seinerzeit 21 Jahre alte Angeklagte aus Stuttgart besuchte im Mai 2015 als Auswärtsfan das Bundesligaspiel des SC Paderborn gegen den VfB Stuttgart in der Benteler Arena in Paderborn. Nach dem Abpfiff und dem Verlassen des Stadions hielt sich der Angeklagte noch auf dem zum Stadiongelände gehörenden Gästeparkplatz bei den dort geparkten Bussen auf. Hier kam es aus einer Gruppe der auf dem Parkplatz anwesenden Anhänger des VfB Stuttgart heraus zu einem Tumult. Pyrotechnik wurde gezündet.
Eingesetzte Beamte forderten die Anhänger auf, sich ruhig zu verhalten, zu den Bussen zu begeben und in diese einzusteigen. Zudem beabsichtigten die Beamten, die Personalien einzelner Anhänger festzustellen. Als der Angeklagte, welcher bereits in einen der Busse eingestiegen war, den Tumult bemerkte, maskierte er sich. Er verbarg sein Gesicht hinter einem roten Schal bzw. einer Sturmhaube, so dass nur noch die Augenpartie zu erkennen war. Zudem zog er die Kapuze seines Sweatshirts und auch die Kapuze seiner Jacke tief ins Gesicht. So wollte er die Identifizierung seiner Person verhindern. Sodann verließ er den Bus und stellte sich den eingesetzten Polizeibeamten gegenüber.

Der Aufforderung der anwesenden Beamten, wieder in den Bus einzusteigen, folgte er zunächst nicht. Vielmehr schrie er die Polizeibeamten an und schlug von außen aggressiv mit der flachen Hand kräftig gegen den Bus. Andere Anhänger des VfB Stuttgart konnten ihn nach kurzer Zeit in den Bus zurückdrängen. Die Identität des Angeklagten konnte später durch eine Auswertung eines von dem Vorfall aufgezeichneten Videos festgestellt werden.

Dieses Geschehen bewertete das Amtsgericht Paderborn mit Urteil vom 14.09.2016 (Az. 72 Cs 757/15 AG Paderborn) als vorsätzlichen Verstoß gegen das Vermummungsverbot des Versammlungsgesetzes (§§ 27 Abs. 2 Nr. 2, 17a Abs. 2 Nr. 1 VersammlG) und verhängte gegen den Angeklagten eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen. Auf die Berufung des Angeklagten bestätigte die 3. kleine Strafkammer des Landgerichts Paderborn mit Urteil vom 27.03.2017 die erstinstanzliche Entscheidung, die Höhe eines Tagessatzes auf 40 Euro festsetzend.

Die Revision des Angeklagten gegen das Berufungsurteil des Landgerichts Paderborn ist erfolglos geblieben. Nach der Entscheidung des 4. Strafsenats des Oberlandesgerichts Hamm rechtfertigten die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts die Verurteilung des Angeklagten zu der Geldstrafe.

Als Veranstaltungen unter freiem Himmel fielen Fußballspiele - wie auch das in Frage stehende Spiel in der Benteler Arena - unter die einschlägigen Vorschriften des Versammlungsgesetzes.

Bei seiner Vermummungstat sei der Angeklagte noch auf der Veranstaltung gewesen. Dem stehe nicht entgegen, dass das Fußballspiel zum Zeitpunkt des Vorfalls bereits abgepfiffen gewesen sei und der Angeklagte das Stadioninnere bereits verlassen gehabt habe. Solange er sich im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem zuvor besuchten Spiel noch auf dem Stadiongelände selbst befunden habe, um ein ihm dort zur Verfügung stehendes Mittel zum Abtransport zu nutzen, habe er noch an der Veranstaltung teilgenommen.

Die Veranstaltung sei öffentlich gewesen, weil grundsätzlich jeder eine Eintrittskarte habe erwerben und die Veranstaltung habe besuchen können.

Die Vermummung des Angeklagten sei zudem geeignet und darauf ausgerichtet gewesen, die Feststellung seiner Identität zu beeinträchtigen. Er sei zum Zeitpunkt des Vorfalls so maskiert gewesen, dass nur noch seine Augenpartie zu erkennen gewesen sei.

Die Strafzumessung des Landgerichts weise keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

Rechtskräftiger Beschluss des 4. Strafsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 07.09.2017 (Az. 4 RVs 97/17 OLG Hamm)

September 2017

Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Verkehrssicherungspflicht im Arbeitsverhältnis bei einem Sturm 

Düsseldorf/Duisburg, 13. September 2017 - Am 05.05.2015 parkte der Arbeitnehmer sein Fahrzeug auf dem Betriebshof seiner Arbeitgeberin, der beklagten Gemeinde. Diese hatte den Mitarbeitern gestattet, ihre Wagen dort während der Dienstzeit abzustellen. Auf dem Betriebshof befand sich ein Großmüllbehälter. Dieser wurde durch Windeinwirkung gegen den PKW des Arbeitnehmers geschoben, der so stark beschädigt wurde, dass er einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitt.
Die Differenz von 1.380 Euro zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert zahlte die klagende Versicherung an den Arbeitnehmer. Die Versicherung verlangt aus übergegangenem Recht von der Gemeinde die Zahlung von 1.380 Euro sowie die Erstattung der Kosten eines Wettergutachtens von 47 Euro. Anders als vor dem Arbeitsgericht hatte die Klage vor dem Landesarbeitsgericht, abgesehen von der Erstattung der 47 Euro, Erfolg.
Die beklagte Gemeinde ist zur Erstattung des Schadens von 1.380 Euro verpflichtet. Sie haftet, weil sie ihre Verkehrssicherungspflicht fahrlässig verletzt hat. Der Umstand, dass deren Großmüllbehälter das Fahrzeug des Arbeitnehmers zerstört hat, indizierte die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Diese Verletzung konnte die Gemeinde nicht ausräumen.

Nach der Sturmwarnung vor dem Tief Zoran war sie verpflichtet, ihr Betriebsgelände abzugehen und etwaige Gefahrenquellen zu sichern. Sie hat dies zwar im Grundsatz getan, dabei den Großmüllbehälter aber nicht im Blick gehabt. Der Umstand, dass die Feststellbremsen bei der letzten Leerung am 20.04.2015 ggfs. angezogen worden waren, reichte zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht nicht aus. Es hätte der Kontrolle am 05.05.2015 bedurft. Ohne weiteres hätte auch das Tor geschlossen werden können, das sich zwischen dem parkenden Auto und dem Großmüllbehälter befand.

Angesichts einer Windgeschwindigkeit von 85 km/h bzw. einer Windstärke 9 konnte nicht von einem unabwendbaren Ereignis oder einem so starken Sturm, bei dem keine Sicherheitsmaßnahmen mehr helfen, ausgegangen werden. Ein Mitverschulden des Arbeitnehmers hat das Gericht verneint, weil dieser seinen Wagen morgens um 07.00 Uhr zu Arbeitsbeginn auf dem Betriebsgelände parkte und den ganzen Tag über im Außeneinsatz war.
Er durfte davon ausgehen, dass die beklagte Gemeinde die erforderlichen Maßnahmen zur Sicherung des Betriebshofs ergriffen hatte bzw. ergreifen werde. Die Kosten für das Wettergutachten waren im konkreten Fall nicht erstattungsfähig. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 11.09.2017 – 9 Sa 42/17 Arbeitsgericht Wesel, Urteil vom 16.12.2016 – 5 Ca 1194/16

 

Unwirksamkeit mehrerer Entgeltklauseln einer Sparkasse
Bundesgerichtshof-Urteil vom 12. September 2017 – XI ZR 590/15

Der unter anderem für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass mehrere vorformulierte Entgeltklauseln einer Sparkasse unwirksam sind und deshalb gegenüber Verbrauchern nicht verwendet werden dürfen. Sachverhalt Der Kläger ist ein Verbraucherschutzverein, der als qualifizierte Einrichtung gemäß § 4 UKlaG eingetragen ist. Er macht die Unwirksamkeit verschiedener Klauseln geltend, die die beklagte Sparkasse in ihrem Preis- und Leistungsverzeichnis gegenwärtig verwendet bzw. verwendet hat.

Im Einzelnen beanstandet der Kläger folgende Regelungen:
- Klausel 1: eine Klausel, mit der die Beklagte für die berechtigte Ablehnung der Einlösung einer SEPA-Lastschrift ein Entgelt in Höhe von 5 € erhebt ("Unterrichtung über die berechtigte Ablehnung der Einlösung einer SEPA-Basis-Lastschrift bei Postversand 5,00 €");
- Klauseln 2 und 3: zwei Klauseln, mit denen an zwei unterschiedlichen Stellen im Preis- und Leistungsverzeichnis die jeweils inhaltsgleiche Regelung getroffen wird, dass für die Unterrichtung über die berechtigte Ablehnung der Ausführung einer Einzugsermächtigungs-/Abbuchungsauftragslastschrift bei fehlender Deckung ein Entgelt in Höhe von 5 € anfällt ("Unterrichtung über die berechtigte Ablehnung der Ausführung (bei Postversand) einer Einzugsermächtigungs-/Abbuchungsauftrags-lastschrift mangels Deckung 5.00 €");

 - Klausel 4: eine Klausel, mit der die Beklagte bei Überweisungen innerhalb Deutschlands und in andere Staaten des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) in Währungen eines Staates außerhalb des EWR (Drittstaatenwährung) sowie bei Überweisungen in Staaten außerhalb des EWR (Drittstaaten) für die Unterrichtung über die berechtigte Ablehnung der Ausführung eines Überweisungsauftrages bei fehlender Deckung ein Entgelt in Höhe von 5 € berechnet ("Unterrichtung über die berechtigte Ablehnung der Ausführung (bei Postversand) … eines Überweisungsauftrages mangels Deckung 5,00 €");

- Klausel 5: eine mit der Klausel 4 wortgleiche Regelung betreffend Überweisungen innerhalb Deutschlands und in andere Staaten des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) in Euro oder in anderen EWR-Währungen;

- Klausel 6: eine Klausel, mit der die Beklagte unter anderem für die Aussetzung und die Löschung eines Dauerauftrages bis zum 1. Juli 2013 auch von Verbrauchern ein Entgelt in Höhe von 2 € erhoben hat ("Dauerauftrag: Einrichtung/Änderung/Aussetzung/Löschung 2,00 €");

- Klausel 7: eine von der Beklagten bis zum 13. Dezember 2012 verwendete Klausel, wonach für die Führung eines Pfändungsschutzkontos ein monatliches Entgelt in Höhe von 7 € anfiel ("Pfändungsschutzkonto: Privat-/Geschäftsgirokonto; Privatgirokonto: Grundpreis je angefangenen Monat 7,00 €");

- Klausel 8: eine Klausel, mit der die Beklagte für die Änderung oder Streichung einer Wertpapierorder ein Entgelt in Höhe von 5 € in Rechnung stellt ("Änderung, Streichung einer Order 5,00 €"). Der Kläger ist der Ansicht, dass die Klauseln 1 bis 5 und 7 insgesamt, die Klausel 6 hinsichtlich der Varianten "Aussetzung" und "Löschung" sowie die Klausel 8 bezüglich der Alternative "Streichung einer Order" gegen § 307 BGB* verstoßen, und nimmt die Beklagte insoweit darauf in Anspruch, deren Verwendung gegenüber Privatkunden zu unterlassen.

Prozessverlauf Die Unterlassungsklage hatte vor dem Landgericht überwiegend - mit Ausnahme der Klauseln 7 und 8 - Erfolg.

Das Oberlandesgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers auch in Bezug auf die beiden vorgenannten Klauseln, also umfassend stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof zurückgewiesen.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Die Klauseln 1 bis 5 weichen von § 675f Abs. 4 Satz 2****, § 675o Abs. 1 Satz 4 BGB***** und damit von einer gesetzlichen Preisregelung ab, weil das darin jeweils vorgesehene Entgelt in Höhe von 5 € für die Unterrichtung über die berechtigte Ablehnung der Ausführung einer SEPA-Lastschrift, einer Einzugsermächtigungs- oder Abbuchungsauftragslastschrift bzw. einer Überweisung auf der Grundlage des Prozessvortrags der Beklagten nicht an den hierfür tatsächlich anfallenden Kosten ausgerichtet ist.

Gemäß den - mit den eindeutigen Vorgaben der EU-Zahlungsdiensterichtlinie in Einklang stehenden - Vorschriften der § 675f Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BGB****, § 675o Abs. 1 Satz 4 BGB***** kann der Zahlungsdienstleister mit dem Zahlungsdienstnutzer im Rahmen des Zahlungsdiensterahmenvertrages (§ 675f Abs. 2 BGB****) für die Unterrichtung über eine berechtigte Ablehnung eines Zahlungsauftrages ausnahmsweise ein Entgelt vereinbaren, das allerdings nach § 675f Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 BGB**** angemessen und an den tatsächlichen Kosten des Zahlungsdienstleisters ausgerichtet sein muss. Hingegen müssen Kosten für die Entscheidung über die Ausführung eines Zahlungsauftrages - auch wenn diese der Ablehnung eines Zahlungsauftrages zwingend vorangeht - außer Betracht bleiben, weil die Berücksichtigung dieser Kosten sich weder mit dem klaren Gesetzeswortlaut noch mit den ausdrücklichen Richtlinienvorgaben vereinbaren lässt.

Vorliegend ist das in den Klauseln 1 bis 5 vorgesehene Entgelt in Höhe von 5 € nicht an den Kosten der Beklagten für die Unterrichtung des Zahlungsdienstnutzers ausgerichtet. Vielmehr hat die Beklagte in erheblichem Umfang Kostenpositionen berücksichtigt, die ihren eigenen Erläuterungen zufolge lediglich im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Nichtausführung des Zahlungsauftrages stehen, nicht aber mit der Unterrichtung des Kunden hierüber.

Die Klausel 6 weicht hinsichtlich der Fallgruppen "Aussetzung" und "Löschung" eines Dauerauftrages ebenfalls von der gesetzlichen Preisregelung des § 675f Abs. 4 Satz 2 BGB**** ab, weil die Beklagte in diesen Fällen kein Entgelt erheben darf. Die Ausführung eines Dauerauftrages stellt gemäß § 675c Abs. 3 BGB** iVm § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b ZAG******* einen Zahlungsdienst dar, für dessen Erbringung als vertragliche Hauptleistung der Zahlungsdienstleister gemäß § 675f Abs. 4 Satz 1 BGB**** ein Entgelt verlangen kann.

Die Aussetzung und Löschung eines Dauerauftrages zielen aber nicht auf dessen Ausführung, sondern im Gegenteil darauf ab, dass dieser nicht ausgeführt wird. Sie sind als Widerruf (§ 675p BGB******) des auf Ausführung des Dauerauftrages gerichteten Zahlungsauftrages zu verstehen.
Die Berücksichtigung dieses Widerrufs stellt eine gesetzliche Nebenpflicht der Beklagten dar, wie aus § 675f Abs. 4 Satz 2****, § 675p Abs. 4 Satz 3 BGB****** folgt, weil für die Bearbeitung des Widerrufs nur im Falle von § 675p Abs. 4 Satz 1 BGB****** ein Entgelt vereinbart werden darf.

Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass die Bearbeitung des Widerrufs im Regelfall unentgeltlich zu erfolgen hat. Die Klausel 6 entspricht jedoch nicht diesem Regel-/Ausnahmeverhältnis, sondern sieht unterschiedslos die Erhebung eines Entgelts in Höhe von 2 € vor.

Die Klausel 7 unterliegt ebenfalls der Inhaltskontrolle, weil sie für die Führung des Pfändungsschutzkontos ein Entgelt in Höhe von 7 € vorsieht, das nach den Vorgaben der Senatsurteile vom 13. November 2012 (XI ZR 500/11 und XI ZR 145/12; vgl. dazu Pressemitteilung Nr. 191/2012) eine kontrollfähige Preisnebenabrede darstellt. Bei der Klausel 8 handelt es sich im Hinblick auf die streitige Alternative der "Streichung einer Order" gleichfalls um eine der Inhaltskontrolle unterworfene Preisnebenabrede.

Die Beklagte wälzt hiermit Aufwand zur Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht auf den Kunden ab. Erfolgt der Erwerb von Wertpapieren durch eine Bank im Kundenauftrag im Wege des Kommissionsgeschäfts, so ist Hauptleistungspflicht und damit die durch eine Preishauptabrede abzugeltende Hauptleistung des Kommissionärs das mit der gebotenen Sorgfalt zu erbringende Bemühen, dem Auftrag des Kommittenten entsprechende Kaufverträge abzuschließen.

Diese Verpflichtung besteht bei der Streichung einer Wertpapierorder nicht fort und kann aus diesem Grunde nicht die zu vergütende Hauptleistung sein. Eine Bank, die die Streichung einer Wertpapierorder berücksichtigt, erbringt ferner keine rechtlich nicht geregelte Sonderleistung. Die Streichung einer Wertpapierorder stellt eine - bis zur Ausführung des Kommissionsgeschäfts jederzeit mögliche - Kündigung des Kommissionsvertrages dar.

Damit geht die gesetzliche Nebenpflicht des Kommissionärs einher, dieser Kündigung Folge zu leisten und ihr im Verhältnis zum Kommittenten Rechnung zu tragen. Indem die Klausel 8 für diesen Fall ein Entgelt in Höhe von 5 € vorsieht, wälzt sie einen Aufwand der Beklagten zur Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht auf den Kunden ab und unterliegt damit als Preisnebenabrede der Inhaltskontrolle. Dass der Kunde Wertpapiere von seiner Bank auch im Wege des sogenannten Festpreisgeschäfts erwerben kann, von dem der Kunde sich nicht jederzeit einseitig lösen kann, ist unerheblich. Denn die Klausel 8 differenziert nicht zwischen einem Erwerb von Wertpapieren im Wege des Kommissionsgeschäfts oder des sogenannten Festpreisgeschäfts.

Der hiernach eröffneten Inhaltskontrolle halten die angegriffenen Klauseln nicht stand, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen, von denen abgewichen wird, nicht zu vereinbaren sind (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB*) und die Kunden der Beklagten entgegen den Grundsätzen von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB*).

Dies gilt für die Klauseln 1, 2, 3, 5 und 6 (im angegriffenen Umfang der "Aussetzung" und "Löschung" eines Dauerauftrages) bereits deshalb, weil sie gegen die Vorgaben von § 675f Abs. 4 Satz 2****, § 675o Abs. 1 Satz 4 BGB***** verstoßen, von denen gemäß § 675e Abs. 1 BGB*** nicht zum Nachteil des Zahlungsdienstnutzers abgewichen werden darf. Die Klausel 4 weicht von den gemäß § 675e Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BGB*** disponiblen Vorgaben der § 675f Abs. 4 Satz 2****, § 675o Abs. 1 Satz 4 BGB***** ab, wodurch die unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB* indiziert wird.

Umstände, nach denen diese Vermutung als widerlegt anzusehen sein könnte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Klausel 7 hält nach den Vorgaben der Senatsurteile vom 13. November 2012 (XI ZR 500/11 und XI ZR 145/12; vgl. dazu Pressemitteilung Nr. 191/2012) einer Inhaltskontrolle ebenfalls nicht stand. Die Klausel 8 ist unwirksam, weil sie von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweicht, da sie einen Aufwand der Beklagten für die Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht auf den Kunden abwälzt.

Zu den wesentlichen Grundgedanken auch des dispositiven Rechts gehört, dass jeder Rechtsunterworfene seine gesetzlichen Rechtspflichten zu erfüllen hat, ohne dafür ein gesondertes Entgelt verlangen zu können. Ein Anspruch hierauf besteht nur, wenn dies im Gesetz ausnahmsweise vorgesehen ist, was vorliegend nicht der Fall ist. Durch die Abweichung von den Grundgedanken der gesetzlichen Regelung wird die unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB* indiziert, ohne dass Umstände ersichtlich oder vorgetragen wären, die diese Vermutung widerlegen.

Im Hinblick auf die Verwendung der beanstandeten Klauseln besteht schließlich auch die erforderliche Wiederholungsgefahr. Die auf Grund der Verwendung der Klauseln 1 bis 5 und 8 in ihrem Preis- und Leistungsverzeichnis vermutete Wiederholungsgefahr hat die Beklagte nicht widerlegt. Darüber hinaus ist bezüglich der Klausel 6 gleichfalls von einer Wiederholungsgefahr auszugehen.
Die Beklagte hat diese Regelung nicht nur außergerichtlich, sondern auch noch im Rechtsstreit verteidigt. Dass sie die Klausel mit Wirkung zum 1. Juli 2013 in ihrem Preis- und Leistungsverzeichnis geändert hat, reicht allein zur Widerlegung der Wiederholungsgefahr nicht aus.

Unerheblich ist auch, ob die Aufnahme der Klausel 6 in das Preis- und Leistungsverzeichnis der Beklagten - wie diese im Rechtsstreit geltend gemacht hat - auf einem redaktionellen Versehen beruht. Eine Wiederholungsgefahr ist in Bezug auf die Klausel 7 ebenfalls nicht ausgeräumt. Abgesehen davon, dass allein die insoweit erfolgte Änderung des Preis- und Leistungsverzeichnisses der Beklagten zum 13. Dezember 2012 für sich gesehen die Wiederholungsgefahr nicht entfallen lässt, ist eine abweichende Beurteilung auch nicht unter Berücksichtigung des weiteren Umstandes veranlasst, dass dies in Reaktion auf die vorgenannten Senatsurteile vom 13. November 2012 (XI ZR 500/11 und XI ZR 145; vgl. dazu Pressemitteilung Nr. 191/2012) erfolgt ist.
Denn die Beklagte hat diese Klausel gegenüber dem Kläger noch vorgerichtlich in der Sache verteidigt und sich erst im Prozess darauf zurückgezogen, es sei keine Wiederholungsgefahr mehr gegeben.
Die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ist daher nicht entbehrlich. Darüber hinaus ist aufgrund der Änderung der Regelung mit Wirkung für die Zukunft nicht die Gefahr beseitigt, dass sich die Beklagte in der Abwicklung von Altfällen auf die unwirksame Klausel berufen könnte, da sie insoweit keine Maßnahmen getroffen hat, dieser Gefahr zu begegnen.

Vorinstanzen: Landgericht Freiburg – Urteil vom 14. April 2014 – 2 O 48/13 OLG Karlsruhe – Urteil vom 2. Dezember 2015 – 13 U 72/14 Karlsruhe, den 12. September 2017 *§ 307 BGB Inhaltskontrolle (1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. (2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein. **§ 675c BGB (1)
Auf einen Geschäftsbesorgungsvertrag, der die Erbringung von Zahlungsdiensten zum Gegenstand hat, sind die §§ 663, 665 bis 670 und 672 bis 674 entsprechend anzuwenden, soweit in diesem Untertitel nichts Abweichendes bestimmt ist. (2) Die Vorschriften dieses Untertitels sind auch auf einen Vertrag über die Ausgabe und Nutzung von elektronischem Geld anzuwenden.
(3) Die Begriffsbestimmungen des Kreditwesengesetzes und des Zahlungsdiensteaufsichtsgesetzes sind anzuwenden. ***§ 675 e BGB (1) Soweit nichts anderes bestimmt ist, darf von den Vorschriften dieses Untertitels nicht zum Nachteil des Zahlungsdienstnutzers abgewichen werden.
(2) Für Zahlungsdienste im Sinne des § 675d Abs. 1 Satz 2 sind § 675q Abs. 1 und 3, § 675s Abs. 1, § 675t Abs. 2, § 675x Abs. 1 und § 675y Abs. 1 und 2 sowie § 675z Satz 3 nicht anzuwenden; soweit solche Zahlungsdienste in der Währung eines Staates außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums erbracht werden, ist auch § 675t Abs. 1 nicht anzuwenden.

Im Übrigen darf für Zahlungsdienste im Sinne des § 675d Abs. 1 Satz 2 zum Nachteil des Zahlungsdienstnutzers von den Vorschriften dieses Untertitels abgewichen werden; soweit solche Zahlungsdienste jedoch in Euro oder in der Währung eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum erbracht werden, gilt dies nicht für § 675t Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie Abs. 3. (3) … (4) … ****§ 675f BGB Zahlungsdienstevertrag (1) … (2)

Durch einen Zahlungsdiensterahmenvertrag wird der Zahlungsdienstleister verpflichtet, für den Zahlungsdienstnutzer einzelne und aufeinander folgende Zahlungsvorgänge auszuführen sowie gegebenenfalls für den Zahlungsdienstnutzer ein auf dessen Namen oder die Namen mehrerer Zahlungsdienstnutzer lautendes Zahlungskonto zu führen. Ein Zahlungsdiensterahmenvertrag kann auch Bestandteil eines sonstigen Vertrags sein oder mit einem anderen Vertrag zusammenhängen. (3) Zahlungsvorgang ist jede Bereitstellung, Übermittlung oder Abhebung eines Geldbetrags, unabhängig von der zugrunde liegenden Rechtsbeziehung zwischen Zahler und Zahlungsempfänger.
Zahlungsauftrag ist jeder Auftrag, den ein Zahler seinem Zahlungsdienstleister zur Ausführung eines Zahlungsvorgangs entweder unmittelbar oder mittelbar über den Zahlungsempfänger erteilt. (4) Der Zahlungsdienstnutzer ist verpflichtet, dem Zahlungsdienstleister das für die Erbringung eines Zahlungsdienstes vereinbarte Entgelt zu entrichten. Für die Erfüllung von Nebenpflichten nach diesem Untertitel hat der Zahlungsdienstleister nur dann einen Anspruch auf ein Entgelt, sofern dies zugelassen und zwischen dem Zahlungsdienstnutzer und dem Zahlungsdienstleister vereinbart worden ist; dieses Entgelt muss angemessen und an den tatsächlichen Kosten des Zahlungsdienstleisters ausgerichtet sein. (5) … *****§ 675o BGB Ablehnung von Zahlungsaufträgen (1)
Lehnt der Zahlungsdienstleister die Ausführung eines Zahlungsauftrags ab, ist er verpflichtet, den Zahlungsdienstnutzer hierüber unverzüglich, auf jeden Fall aber innerhalb der Fristen gemäß § 675s Abs. 1 zu unterrichten. In der Unterrichtung sind, soweit möglich, die Gründe für die Ablehnung sowie die Möglichkeiten anzugeben, wie Fehler, die zur Ablehnung geführt haben, berichtigt werden können. Die Angabe von Gründen darf unterbleiben, soweit sie gegen sonstige Rechtsvorschriften verstoßen würde.
Der Zahlungsdienstleister darf mit dem Zahlungsdienstnutzer im Zahlungsdiensterahmenvertrag für die Unterrichtung über eine berechtigte Ablehnung ein Entgelt vereinbaren. (2) … (3) … ******§ 675p BGB Unwiderruflichkeit eines Zahlungsauftrags (1) Der Zahlungsdienstnutzer kann einen Zahlungsauftrag vorbehaltlich der Absätze 2 bis 4 nach dessen Zugang beim Zahlungsdienstleister des Zahlers nicht mehr widerrufen. (2) Wurde der Zahlungsvorgang vom Zahlungsempfänger oder über diesen ausgelöst, so kann der Zahler den Zahlungsauftrag nicht mehr widerrufen, nachdem er den Zahlungsauftrag oder seine Zustimmung zur Ausführung des Zahlungsvorgangs an den Zahlungsempfänger übermittelt hat.

Im Fall einer Lastschrift kann der Zahler den Zahlungsauftrag jedoch unbeschadet seiner Rechte gemäß § 675x bis zum Ende des Geschäftstags vor dem vereinbarten Fälligkeitstag widerrufen. (3) Ist zwischen dem Zahlungsdienstnutzer und seinem Zahlungsdienstleister ein bestimmter Termin für die Ausführung eines Zahlungsauftrags (§ 675n Abs. 2) vereinbart worden, kann der Zahlungsdienstnutzer den Zahlungsauftrag bis zum Ende des Geschäftstags vor dem vereinbarten Tag widerrufen. (4) Nach den in den Absätzen 1 bis 3 genannten Zeitpunkten kann der Zahlungsauftrag nur widerrufen werden, wenn der Zahlungsdienstnutzer und sein Zahlungsdienstleister dies vereinbart haben.

In den Fällen des Absatzes 2 ist zudem die Zustimmung des Zahlungsempfängers zum Widerruf erforderlich. Der Zahlungsdienstleister darf mit dem Zahlungsdienstnutzer im Zahlungsdiensterahmenvertrag für die Bearbeitung eines solchen Widerrufs ein Entgelt vereinbaren. (5) … *******§ 1 ZAG Begriffsbestimmungen; Ausnahmen für bestimmte Zahlungsinstitute (1) … (2) Zahlungsdienste sind: 1. …. 2. die Ausführung von Zahlungsvorgängen einschließlich der Übermittlung von Geldbeträgen auf ein Zahlungskonto beim Zahlungsdienstleister des Zahlungsdienstnutzers oder bei einem anderen Zahlungsdienstleister durch a) … b) die Ausführung von Überweisungen einschließlich Daueraufträgen (Überweisungsgeschäft), c) … ohne Kreditgewährung (Zahlungsgeschäft).

 

August 2017

Bundessozialgericht: 16. August 2017 - Ehrenamt grundsätzlich beitragsfrei

Ehrenämter sind in der gesetzlichen Sozialversicherung grundsätzlich auch dann beitragsfrei, wenn hierfür eine angemessene pauschale Aufwandsentschädigung gewährt wird und neben Repräsentationspflichten auch Verwaltungsaufgaben wahrgenommen werden, die unmittelbar mit dem Ehrenamt verbunden sind. Dies hat der 12. Senat des Bundessozialgerichts in einem heutigen Urteil entschieden (Aktenzeichen B 12 KR 14/16 R).

Geklagt hatte eine Kreishandwerkerschaft. Für die laufenden Geschäfte unterhält sie eine eigene Geschäftsstelle mit Angestellten und beschäftigt einen hauptamtlichen Geschäftsführer. Ihr steht ein Kreishandwerksmeister vor, der diese Aufgabe neben seiner Tätigkeit als selbstständiger Elektromeister ehrenamtlich wahrnimmt. Im Nachgang zu einer Betriebsprüfung nahm die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) an, dass der Kreishandwerksmeister geringfügig beschäftigt sei und forderte pauschale Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von rund 2600 Euro nach.

Das Bundessozialgericht hat der Kreishandwerkerschaft in letzter Instanz recht gegeben. Ehrenämter zeichneten sich durch die Verfolgung eines ideellen, gemeinnützigen Zweckes aus und unterschieden sich damit grundlegend von beitragspflichtigen, erwerbsorientierten Beschäftigungsverhältnissen. Die Gewährung von Aufwandsentschädigungen ändere daran nichts, selbst wenn sie pauschal und nicht auf Heller und Pfennig genau entsprechend dem tatsächlichen Aufwand erfolge. Auch die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben sei unschädlich, soweit sie unmittelbar mit dem Ehrenamt verbunden seien, wie zum Beispiel die Einberufung und Leitung von Gremiensitzungen. Zur Stärkung des Ehrenamts sei eine gesetzliche Klarstellung wünschenswert.

Hinweise zur Rechtslage:

§ 7 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch:
1Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. 2Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

 

 

Oberlandesgericht Hamm: Krankenhaus muss nicht immer Namen und Anschriften seiner Ärzte mitteilen

Duisburg, 14. August 2017 - Ein Patient kann vom behandelnden Krankenhaus - gegen Kostenerstattung - zwar ohne weiteres die Herausgabe aller Behandlungsunterlagen verlangen. Namen und Anschriften der an seiner Behandlung beteiligten Ärzte muss das Krankenhaus aber nur dann mitteilen, wenn der Patient ein berechtigtes Interesse an diesen Daten nachweist.
Das hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14.07.2017 entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Bochum vom 27.07.2016 (Az. 6 O 9/16 LG Bochum) bestätigt.

Die im Jahre 1984 geborene Klägerin aus Castrop-Rauxel befand sich im Jahre 2012 mehrfach in ambulanter und stationärer Behandlung der beklagten Gesellschaft, die unter anderem ein Krankenhauses in Herne unterhält. In diesem Krankenhaus wurde die Klägerin von Februar bis Juli 2012 stationär behandelt und mehrfach wegen wiederholter Be-schwerden an der Wirbelsäule operiert.
Nachdem die Klägerin durch anderweitige Behandlungen den Eindruck eines Behandlungsfehlers bei der Beklagten gewonnen hatte, verlangte sie durch ihren Prozessbevollmächtigten die Herausgabe aller Behandlungsunterlagen und die Mitteilung von Namen und Anschriften der an ihrer Behandlung beteiligten Ärzte der Beklagten. Vor Klageerhebung und im Verlauf des erstinstanzlichen Klageverfahrens stellte die Beklagte der Klägerin die Behandlungsunterlagen zur Verfügung, ohne ihr ergänzend die gewünschten Daten zu den behandelnden Ärzten mitzuteilen.

Neben ihrer Auskunftsklage hatte die Klägerin beim Landgericht Bochum 2016 einen Arzthaftungsprozess gegen die Beklagte angestrengt (Az. 6 O 19/16 LG Bochum), der sich derzeit im Stadium der Beweisaufnahme befindet.

Das im vorliegenden Rechtsstreit verfolgte Begehren der Klägerin, ihr die vollständigen Namen und Anschriften der in ihrer Behandlung bei der Beklagten beteiligten Ärztinnen und Ärzte mitzuteilen, ist erfolglos geblieben. Nach der Entscheidung des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm steht der Klägerin ein derartiger Auskunftsanspruch nicht zu.

Ein Patient könne von seiner Klinik, so der Senat, aufgrund des Behandlungsvertrages nur dann Auskunft über Namen und Anschriften der behandelnden Ärzte verlangen, wenn er ein berechtigtes Interesse an diesen Daten nachweise. Dazu müsse er darlegen, dass diese als Anspruchsgegner wegen eines Behandlungs- oder Aufklärungsfehlers

oder als Zeugen einer Falschbehandlung in Betracht kommen könnten. Ohne weiteres habe er dagegen keinen Anspruch auf Auskunft über Namen und Anschriften aller Ärzte und Pfleger, die ihn während seines Krankenhausaufenthaltes betreut hätten.
Im vorliegenden Fall verlange die Klägerin pauschal generelle Auskünfte. Auf diese habe sie keinen Anspruch. Eine Auskunft auf konkrete Anfragen habe die Beklagte zudem zugesagt. Darüber hinaus könne sich die Klägerin aus den ihr zugänglich gemachten Behandlungsunterlagen bereits so informieren, dass sie auch gegen die sie - nach ihrer Auffassung fehlerhaft - behandelnden Ärzte der Beklagten Klage erheben könne.

Urteil des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 14.07.2017 (Az. 26 U 117/16 OLG Hamm)

 

 

Verwaltungsgericht Düsseldorf: Mindestkörpergrößen für Polizeibewerber in Nordrhein-Westfalen rechtswidrig

Düsseldorf/Duisburg, 08. August 2017 - Die durch Erlass des Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen für die Einstellung in den Polizeidienst des Landes festgelegten Mindestgrößen von 163 cm für Frauen und 168 cm für Männer sind unwirksam.
Das hat die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf mit heute in öffentlicher Sitzung verkündetem Urteil entschieden und das Land verpflichtet, die Bewerberin zum weiteren Auswahlverfahren für die Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst zuzulassen. Die Klägerin hatte sich für die Einstellung in den Polizeidienst in NRW im Jahr 2017 beworben. Sie wurde vom Auswahlverfahren ausgeschlossen, weil sie mit einer Größe von 161,5 cm die geforderten 163 cm unterschreitet. Von einer körperlichen Eignung für den Polizeivollzugsdienst geht das Land NRW gleichermaßen für Frauen und Männer ab einer Größe von 163 cm aus. Gleichwohl wird von männlichen Bewerbern eine höhere Mindestgröße von 168 cm verlangt, um zur Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern die Anzahl der im Bevölkerungsdurchschnitt größeren männlichen Polizeibewerber gegenüber der Anzahl durchschnittlich kleinerer weiblicher Bewerber zu reduzieren.
Diese per Erlass des Innenministeriums festgelegte Verwaltungspraxis zur Mindestgröße hält das Gericht für rechtswidrig. Nach dem im Grundgesetz verankerten Prinzip der Bestenauslese dürfe der Zugang zum Beamtenverhältnis nur von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung abhängig gemacht werden. Von diesen Vorgaben weiche eine Größenfestlegung, die für männliche Bewerber ausschließlich aus Gründen der Gleichberechtigung eine höhere Mindestgröße als für weibliche Bewerber vorsehe, ab.
Ausnahmen vom Prinzip der Bestenauslese dürften allerdings nicht vom Innenministerium durch Verwaltungserlass, sondern nur durch ein im parlamentarischen Verfahren erlassenes Gesetz geregelt werden.
Denn es gehe darum, zwei widerstreitende Interessen von Verfassungsrang – das Prinzip der Bestenauslese einerseits und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern andererseits – miteinander in Einklang zu bringen; dies sei Aufgabe des Parlaments, nicht der Verwaltung.
Im Ergebnis führe die Unwirksamkeit der Mindestgröße für Männer zur Unwirksamkeit auch der Mindestgröße für Frauen, weil beide Festlegungen rechtlich zusammenhingen und die eine nicht ohne die andere fortbestehen könne.
Ob die Klägerin in den Polizeivollzugsdienst eingestellt wird, hängt nunmehr davon ab, ob sie in dem weiteren Auswahlverfahren die dort gestellten Anforderungen erfüllt. Gegen das Urteil kann beim Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen in Münster Berufung eingelegt werden, die die Kammer wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen hat. Aktenzeichen: 2 K 7427/17

 

Auf Wohnungsschlüssel nicht aufgepasst - Versicherungsschutz verloren

Hamm/Duisburg, 07. August 2017 - Wer durch Fahrlässigkeit den Diebstahl seines Wohnungsschlüssels ermöglicht, kann keinen Anspruch auf Entschädigung aus seiner Hausratversicherung haben, wenn mithilfe des Wohnungsschlüssels Gegenstände aus seiner Wohnung entwendet werden. Das hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 15.02.2017 entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Münster vom 08.09.2016 (Az 115 O 265/15 LG Münster) bestätigt.

Die in Münster wohnhafte Klägerin unterhielt bei dem beklagten Versicherer aus Bonn eine Hausratversicherung. Die vereinbarten Versicherungsbedingungen sahen vor, dass ein Einbruchsdiebstahl u.a. dann vorliegt, wenn der Dieb in einem Raum eines Gebäudes mittels richtigen Schlüssels eindringt, den er innerhalb oder außerhalb des Versicherungsortes durch Diebstahl an sich gebracht hatte, vorausgesetzt dass weder der Versicherungsnehmer noch der Gewahrsamsinhaber den Diebstahl des Schlüssels durch fahrlässiges Verhalten ermöglicht hatte.
Im Juli 2013 befand sich die seinerzeit 55 Jahre alte Klägerin auf dem Rückweg von einer Betriebsfeier in Begleitung eines Kollegen, der ihr Fahrrad schob. In diesem hatte die Klägerin ihre Handtasche mit Wohnungsschlüssel und weiteren persönlichen Gegenständen ungesichert abgelegt. Im Bereich der Aegidiistraße in Münster stellten beide das Fahrrad an einer Säule ab und wandten sich einander zu, so dass das Rad für wenige Minuten ohne Beobachtung blieb. In dieser Zeit entwendete ein unbekannter Täter die Handtasche.
Der von einem Zeugen verständigten Polizei meldete die Klägerin den Diebstahl noch am Tatort. Sie übernachtete sodann in der Wohnung einer Verwandten und begab sich am nächsten Morgen zur nahegelegenen, eigenen Wohnung. In diese waren zwischenzeitlich Unbekannte mit Hilfe des entwendeten Schlüssels eingedrungen und hatten nach den Angaben der Klägerin u.a. Schmuck, Mobiltelefone und Laptops gestohlen. Den Gesamtwert der entwendeten Gegenstände hat die Klägerin mit 17.500 Euro beziffert hat. Vom beklagten Versicherer hat sie zunächst den Ersatz der Hälfte des Wertes dieser Gegenstände verlangt.
Die Klage ist erfolglos geblieben. Die Klägerin könne, so der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm, vom beklagten Versicherer keine Leistungen aufgrund eines Einbruchsdiebstahls verlangen. Es liege kein nach den Versicherungsbedingungen versichertes Ereignis vor. Die Klägerin habe fahrlässig gehandelt, indem sie ihre Handtasche mit dem Hausschlüssel und Ausweispapieren unbeabsichtigt im Fahrradkorb ließ. So sei die Tasche dem uneingeschränkten Zugriff Dritter ausgesetzt gewesen. Die Tasche habe - auch wenn die Klägerin zuvor niemanden in der Nähe ihres Fahrrades bemerkt habe - jederzeit entwendet werden können, eine Gefahr, die sich im Schadensfall auch realisiert habe.

Die Gefahr sei für die Klägerin erkennbar und vermeidbar gewesen. So habe die Klägerin die Tasche am Körper bei sich führen können. Zudem sei sie so stark und solange abgelenkt gewesen, dass sie den Diebstahl zunächst gar nicht bemerkt habe. Die Entwendung des Original Wohnungsschlüssels habe sie damit fahrlässig ermöglicht. Da die Diebe mithilfe dieses Schlüssels in die Wohnung gelangt seien, liege kein versichertes Ereignis vor.

Rechtskräftiger Beschluss des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 15.02.2017 (Az. 20 U 174/16 OLG Hamm)

Juli 2017

Sozialgericht Düsseldorf: Tattoo-Entfernung im Ausnahmefall von Krankenkasse zu zahlen

Düsseldorf/Duisburg, 12. Juli 2017 - Eine 30-jährige Düsseldorferin hatte mit ihrer Klage auf Kostenübernahme für die Entfernung ihrer Tätowierung gegen eine gesetzliche Krankenkasse Erfolg.

Die Klägerin war Opfer eines als "die heiligen Zwei" bekannten Täterduos und wurde von diesen zur Prostitution gezwungen. Während dieser Zeit wurde der Klägerin unter dem Vorwand der Verbundenheit zu den Tätern am Hals eine Tätowierung mit den Initialen der Vornamen beider Täter und der Abkürzung DH2 für "die heiligen Zwei" gestochen.

Nach der Befreiung von der Zwangsprostitution durch die Polizei beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten für die Entfernung der Tätowierung. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Die Entfernung einer Tätowierung sei keine Krankenbehandlung.

Die 27. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf gab der Klage statt. Es handele sich bei der Entfernung der Tätowierung ausnahmsweise um eine Krankenbehandlung. Denn die Tätowierung wirke entstellend und es drohe die Gefahr eines Rückzugs aus dem sozialen Leben.

Schon bei flüchtiger Betrachtung falle die Tätowierung aufgrund ihrer Größe und Lage am Hals auf und wecke Aufmerksamkeit und Neugier. Sie könne Nachfragen auch von unbekannten Passanten auslösen. Die Klägerin könne als Opfer der Zwangsprostitution erkannt werden, zumal über den Fall in der Presse berichtet worden sei. Ohne die Entfernung der Tätowierung sei die Heilungsprognose der bei der Klägerin bestehenden posttraumatischen Belastungsstörung erheblich schlechter.
Die Klägerin sei auch nicht auf eine Psychotherapie zu verweisen, da es nicht um das subjektive Empfinden der Klägerin mit einer natürlichen körperlichen Anomalie gehe. Die Situation sei deshalb nicht mit einer Tätowierung vergleichbar, die aus freien Stücken gestochen wurde und später schlichtweg nicht mehr gefalle.

Urteil vom 26.01.2017 – S 27 KR 717/16 – rechtskräftig –

 

 

Oberlandesgericht Hamburg und Wettbewerbsrecht  
„Null Euro” bedeutet: Es kostet nichts
 
11. Juli 2017 - Ein Kreditkartenunternehmen darf nicht mit dem Satz „0 Euro Bargeldabhebungsgebühr mit der Kreditkarte – Bargeld an jedem Automaten im Inland und Ausland” werben, wenn im Ausland Gebühren anfallen.
Dies entschied laut D.A.S. Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S. Leistungsservice) das Oberlandesgericht Hamburg. OLG Hamburg, Az. 5 U 38/14  
Hintergrundinformation: Das Wettbewerbsrecht soll unlautere Werbung unterbinden. Dazu gehört auch Werbung mit Aussagen, die den Verbraucher in die Irre führen. Konkurrenten oder dazu befugte Verbände, wie etwa Verbraucherschutz-Organisationen, können Unternehmen, die gegen die Regeln verstoßen, abmahnen und auch auf Unterlassung verklagen. Ob eine Werbeaussage wirklich irreführend ist, entscheiden die Gerichte im jeweiligen Einzelfall.
Der Fall: Ein Kreditkartenunternehmen hatte in einem Werbe-Schreiben unter anderem mit der Aussage geworben „0 Euro Bargeldabhebungsgebühr mit der Kreditkarte – Bargeld an jedem Automaten im Inland und Ausland”.
Im unteren Teil des Schreibens tauchte zusätzlich der Hinweis „0 Euro Bargeldabhebungsgebühr weltweit” auf. Ein Verbraucher beschwerte sich bei einer Verbraucherschutz-Organisation, die daraufhin den Anbieter abmahnte und schließlich verklagte.
Denn: Die Werbeaussage erwecke den Eindruck, dass die Karteninhaber mit dieser Kreditkarte weltweit kostenfrei Bargeld abheben könnten. Zumindest außerhalb der EU müssten Kreditkartenkunden jedoch Gebühren bezahlen. Der Kreditkartenanbieter war sich keiner Schuld bewusst und verwies darauf, dass er dies auf der Rückseite des Schreibens erläutert habe. Verbraucher müssten im Ausland keine Bargeldabhebungsgebühren bezahlen, sondern Auslandseinsatzgebühren.
Das Urteil
Das Oberlandesgericht Hamburg gab nach Informationen des D.A.S. Leistungsservice den Verbraucherschützern Recht. Die Vorderseite des Schreibens erwecke den Eindruck, dass der Kunde mit dieser Karte weltweit gebührenfrei Geld abheben könne. Dass Bargeldabhebungsgebühren und Auslandseinsatzgebühren unterschiedliche Gebührenarten wären, wisse kaum jemand.
Die entsprechenden Erläuterungen auf der Rückseite des Schreibens seien nicht dazu geeignet, den Eindruck, den die Vorderseite erwecke, zu beseitigen. Denn die vordere Seite erzeuge den Eindruck, dass dort alles Wesentliche in komprimierter Form zusammengefasst sei.
Das Gericht verurteilte das Unternehmen zur Unterlassung derartiger Werbeaussagen.
Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 12. April 2017, Az. 5 U 38/14

 

Das Tarifeinheitsgesetz ist weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar Bundesverfassungsgericht am 11. Juli 2017
Mit heute verkündetem Urteil hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Die Auslegung und Handhabung des Gesetzes muss allerdings der in Art. 9 Abs. 3 GG grundrechtlich geschützten Tarifautonomie Rechnung tragen; über im Einzelnen noch offene Fragen haben die Fachgerichte zu entscheiden.

Unvereinbar ist das Gesetz mit der Verfassung nur insoweit, als Vorkehrungen dagegen fehlen, dass die Belange der Angehörigen einzelner Berufsgruppen oder Branchen bei der Verdrängung bestehender Tarifverträge einseitig vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber muss insofern Abhilfe schaffen.
Bis zu einer Neuregelung darf ein Tarifvertrag im Fall einer Kolli Mit heute verkündetem Urteil hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Die Auslegung und Handhabung des Gesetzes muss allerdings der in Art. 9 Abs. 3 GG grundrechtlich geschützten Tarifautonomie Rechnung tragen; über im Einzelnen noch offene Fragen haben die Fachgerichte zu entscheiden.

Unvereinbar ist das Gesetz mit der Verfassung nur insoweit, als Vorkehrungen dagegen fehlen, dass die Belange der Angehörigen einzelner Berufsgruppen oder Branchen bei der Verdrängung bestehender Tarifverträge einseitig vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber muss insofern Abhilfe schaffen.
Bis zu einer Neuregelung darf ein Tarifvertrag im Fall einer Kollision im Betrieb nur verdrängt werden, wenn plausibel dargelegt ist, dass die Mehrheitsgewerkschaft die Belange der Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft ernsthaft und wirksam in ihrem Tarifvertrag berücksichtigt hat.
Das Gesetz bleibt mit dieser Maßgabe ansonsten weiterhin anwendbar. Die Neuregelung ist bis zum 31. Dezember 2018 zu treffen. Die Entscheidung ist teilweise mit Gegenstimmen ergangen; zwei Mitglieder des Senats haben ein Sondervotum abgegeben.

 

Hartz IV-Regelbedarf für 2017 verfassungsgemäß

Dortmund/Duisburg, 10. Juli 2017 - Der seit 01.01.2017 für alleinstehende Langzeitarbeitslose geltende Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts von 409,- Euro monatlich entspricht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Dies hat das Sozialgericht Dortmund im Falle eines 31-jährigen Arbeitslosen aus Hemer entschieden, der das Jobcenter Märkischer Kreis auf Gewährung höherer Grundsicherungsleistungen verklagt hatte.

Der Kläger machte geltend, der bewilligte Regelbedarf sei zu niedrig und damit verfassungswidrig bemessen. Gegenüber seinen realen Ausgaben, insbesondere für seinen Pkw, ergebe sich eine erhebliche Differenz. Das Sozialgericht Dortmund hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Regelbedarf gemäß § 20 SGB II sei in nicht zu beanstandender Weise auf Grund der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013 ermittelt worden. Dabei würden Stand und Entwicklung von Nettoeinkommen, Verbraucherverhalten und Lebenshaltungskosten unterer Einkommensgruppen berücksichtigt.

Das Verfahren entspreche den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes.
Das Herausnehmen oder Kürzen einzelner Positionen, wie für alkoholische Getränke und Tabakwaren, sei nicht verfassungswidrig. Auch habe der Gesetzgeber spezifische Risiken der Bedarfsunterdeckung, etwa bei den Stromkosten und dem existenznotwendigen Mobilitätsbedarf, nicht unberücksichtigt gelassen.
Ausgaben für den Pkw des Klägers seien nicht regelbedarfsrelevant. Es sei ihm zuzumuten, seine Mobilität durch Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder eines Fahrrades sicherzustellen. Der im Regelbedarf hierfür vorgesehene Betrag sei ausreichend.
Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 21.06.2017, Az.: S 58 AS 5645/16

 

Bundesgerichtshof hebt Urteil im 2. Kölner "Raser-Fall" im Ausspruch über die Bewährung auf
Urteil vom 6. Juli 2017 – 4 StR 415/16

Der u.a. für Verkehrsstrafsachen zuständige 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft das Urteil des Landgerichts Köln im zweiten Kölner "Raser-Verfahren" teilweise aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung an das Landgericht zurückverwiesen.

Die Revisionen der Angeklagten hat der Senat im Beschlusswege als offensichtlich unbegründet verworfen. Das Landgericht hatte die beiden Angeklagten jeweils wegen fahrlässiger Tötung zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren bzw. einem Jahr und neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
Ferner hatte es für die Neuerteilung der den Angeklagten entzogenen Fahrerlaubnisse Sperrfristen von drei Jahren und sechs Monaten angeordnet.

Hintergrund des Verfahrens ist folgender: Die damals 21 und 22 Jahre alten Angeklagten waren am 14. April 2015 gegen 18:45 Uhr mit zwei leistungsstarken Fahrzeugen (Motorleistungen 171 und 233 PS) auf dem Weg zu den Rheinterrassen in Köln-Deutz. Etwa 1200 bis 1500 Meter vor Erreichen ihres Ziels entschlossen sich die nicht alkoholisierten Angeklagten spontan zu einem Kräftemessen, bei dem sie sich gegenseitig ihre überlegene Fahrkunst und die Leistungen ihrer Fahrzeuge demonstrieren wollten.
Sie fuhren eng hintereinander mit stark überhöhter Geschwindigkeit jeweils mit der Absicht, die Rheinterrassen vor dem anderen zu erreichen. Beim Durchfahren einer langgezogenen Linkskurve mit 95 km/h anstelle der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h verlor der vorausfahrende Angeklagte, der vom Mitangeklagten bedrängt wurde, die Kontrolle über sein Fahrzeug.
Sein Wagen kam von der Fahrbahn ab und erfasste eine auf dem angrenzenden Radweg fahrende 19-jährige Studentin, die wenig später ihren durch die Kollision erlittenen schweren Verletzungen erlag. Die Staatsanwaltschaft beanstandete mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten Rechtsmitteln nur die aus ihrer Sicht zu niedrigen Freiheitsstrafen und die vom Landgericht zugebilligte Aussetzung der Strafen zur Bewährung.
Vom Rechtsmittelangriff nicht erfasst und vom Bundesgerichtshof deshalb nicht zu überprüfen waren der Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung und die angeordneten Führerscheinmaßnahmen. Die Bemessung der Freiheitsstrafen, die sich an dem für die fahrlässige Tötung vorgesehenen Strafrahmen von Geldstrafe bis zu höchstens fünf Jahren Freiheitsstrafe zu orientieren hatte, war aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Hingegen konnte die Aussetzung der Freiheitsstrafen zur Bewährung keinen Bestand haben. Das Landgericht bescheinigte beiden Angeklagten zwar rechtsfehlerfrei eine günstige Legalprognose (§ 56 Abs. 1 StGB). Es ließ aber bei der Prüfung, ob darüber hinaus auch besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB die Aussetzung der ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafen rechtfertigen, unberücksichtigt, dass die Angeklagten zwar den Tod ihres Opfers fahrlässig herbeiführten, bei dem mit tödlichem Ausgang endenden Rennen aber gleich mehrere erhebliche Verkehrsordnungswidrigkeiten – u.a. den Verstoß gegen das bislang in der Straßenverkehrsordnung geregelte Rennverbot – vorsätzlich begingen und die Gefahrenlage durch ihre aggressive Fahrweise bewusst herbeiführten.
Dieser Umstand prägte die Tat und durfte bei der Bewährungsentscheidung nicht außer Acht bleiben. Angesichts der vom Landgericht festgestellten Häufung von Verkehrsunfällen mit tödlichem Ausgang aufgrund überhöhter Geschwindigkeit in Köln und an anderen Orten fehlte es bei der Bewährungsentscheidung zudem an einer ausreichenden Erörterung der Frage, wie sich unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung der Rechtsordnung (§ 56 Abs. 3 StGB) eine Strafaussetzung zur Bewährung auf das allgemeine Rechtsempfinden und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts auswirken würde.

Vorinstanz: Landgericht Köln – Urteil vom 14. April 2016 – 117 KLs 19/15 Karlsruhe, den 06. Juli 2017 § 56 StGB lautet wie folgt:
(1) 1. Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird.
2. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.
(2) 1Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. 2Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.
(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.