Duisburg, 24. Juni 2020 - Facebook
verwendet Nutzungsbedingungen, die auch die Verarbeitung und
Verwendung von Nutzerdaten vorsehen, die bei einer von der
Facebook-Plattform unabhängigen Internetnutzung erfasst
werden.
Das Bundeskartellamt hat Facebook
untersagt, solche Daten ohne weitere Einwilligung
der privaten Nutzer zu verarbeiten. Der Kartellsenat des
Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass dieses Verbot
vom Bundeskartellamt durchgesetzt werden darf.
Karlsruhe, den 23. Juni 2020 KVR 69/19 - Beschluss vom
23. Juni 2020
Sachverhalt:
Die in Irland ansässige Facebook Ireland Limited
(im Folgenden: Facebook) betreibt in Europa das soziale
Netzwerk Facebook, mit dem privaten Nutzern eine
Kommunikationsplattform im Internet zur Verfügung gestellt
wird. Weitere Tochtergesellschaften des Facebook-Konzerns
bieten weitere Internetdienste wie insbesondere Instagram,
WhatsApp, Masquerade und Oculus an.
Private Nutzer zahlen kein Entgelt für die Nutzung des
sozialen Netzwerks. Ihre Teilnahme am Netzwerk setzt aber
voraus, dass sie bei der Registrierung den
Facebook-Nutzungsbedingungen zustimmen. Diese sehen vor, dass
Facebook jedem Nutzer ein personalisiertes Erlebnis
bereitstellt. Dafür werden personenbezogene Daten des Nutzers
verwendet, die Facebook aus der Nutzung anderer
konzerneigener Dienste wie Instagram sowie aus sonstigen
Internetaktivitäten des Nutzers außerhalb von facebook.com
zur Verfügung stehen. Die Nutzungsbedingungen nehmen auf eine
Datenrichtlinie Bezug, in der die Erhebung und Nutzung
personenbezogener Daten näher erläutert wird.
Das
Netzwerk wird durch Online-Werbung finanziert. Hierzu kann
zum einen Werbung auf Facebook-Seiten platziert werden. Mit
verschiedenen von Facebook bereitgestellten
Programmierschnittstellen ("Facebook Business Tools") können
Unternehmen zum anderen eigene Internetseiten oder
Anwendungen für Mobilgeräte (Apps) in vielfältiger Form mit
Facebook-Seiten verbinden. So können Facebook-Nutzer über
Plugins ihr Interesse an diesen Seiten oder bestimmten
Inhalten bekunden ("Gefällt-mir-Button" oder "Teilen-Button")
oder Kommentare abgeben und sich über ein "Facebook-Login"
auf Interseiten Dritter mit ihren bei Facebook registrierten
Nutzerdaten einwählen. Über von Facebook angebotene Mess- und
Analysefunktionen und -programme kann der Erfolg der Werbung
eines Unternehmens gemessen und analysiert werden. Dabei wird
nicht nur das Verhalten der privaten Nutzer auf
Facebook-Seiten erfasst, sondern über entsprechende
Schnittstellen (Facebook Pixel) auch der Aufruf von
Drittseiten, ohne dass der Nutzer hierfür aktiv werden muss.
Über die analytischen und statistischen Funktionen von
"Facebook Analytics" erhalten Unternehmen aggregierte Daten
darüber, wie Facebook-Nutzer über verschiedene Geräte,
Plattformen und Internetseiten hinweg mit den von ihnen
angebotenen Diensten interagieren.
Der
bisherige Verfahrensverlauf: Das
Bundeskartellamt sieht in der Verwendung der
Nutzungsbedingungen einen Verstoß gegen das Verbot
nach § 19 Abs. 1 GWB, eine marktbeherrschende Stellung
missbräuchlich auszunutzen. Facebook sei auf dem
nationalen Markt der Bereitstellung sozialer Netzwerke
marktbeherrschend. Es missbrauche diese Stellung, indem es
entgegen den Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung
(DSGVO) die private Nutzung des Netzwerks von seiner Befugnis
abhängig mache, ohne weitere Einwilligung der Nutzer
außerhalb von facebook.com generierte nutzer- und
nutzergerätebezogene Daten mit den personenbezogenen Daten zu
verknüpfen, die aus der Facebook-Nutzung selbst entstehen.
Mit Beschluss vom 6. Februar 2019 hat das Bundeskartellamt
Facebook und weiteren Konzerngesellschaften untersagt,
entsprechende Nutzungsbedingungen zu verwenden und
personenbezogene Daten entsprechend zu verarbeiten.
Das OLG Düsseldorf hat über die dagegen eingelegte
Beschwerde noch nicht entschieden. Es hat aber auf Antrag von
Facebook nach § 65 Abs. 3 GWB wegen ernstlicher Zweifel an
der Rechtmäßigkeit der Verfügung die aufschiebende Wirkung
der Beschwerde angeordnet. Eine solche Anordnung hat zur
Folge, dass die Verfügung des Bundeskartellamts nicht
vollzogen werden darf, bis über die Beschwerde entschieden
ist.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Kartellsenat hat die Entscheidung des OLG
Düsseldorf aufgehoben und den Antrag auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung der Beschwerde abgelehnt.
Es
bestehen weder ernsthafte Zweifel an der marktbeherrschenden
Stellung von Facebook auf dem deutschen Markt für soziale
Netzwerke noch daran, dass Facebook diese marktbeherrschende
Stellung mit den vom Kartellamt untersagten
Nutzungsbedingungen missbräuchlich ausnutzt.
Maßgeblich hierfür ist nicht die vom Kartellamt in der
angefochtenen Verfügung in den Vordergrund gerückte Frage, ob
die Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten der
Facebook-Nutzer, die aus deren Nutzung des Internets
außerhalb von facebook.com und unabhängig von einem
Facebook-Login entstehen, mit den Vorschriften der
Datenschutz-Grundverordnung in Einklang steht.
Entscheidend ist vielmehr, dass Nutzungsbedingungen
missbräuchlich sind, die den privaten Facebook-Nutzern keine
Wahlmöglichkeit lassen, - ob sie das Netzwerk mit einer
intensiveren Personalisierung des Nutzungserlebnisses
verwenden wollen, die mit einem potentiell unbeschränkten
Zugriff auf Charakteristika auch ihrer
"Off-Facebook"-Internetnutzung durch Facebook verbunden ist,
oder - ob sie sich nur mit einer Personalisierung
einverstanden erklären wollen, die auf den Daten beruht, die
sie auf facebook.com selbst preisgeben.
Das
Missbrauchsurteil – das nach gefestigter
Rechtsprechung sowohl die Feststellung nachteiliger Wirkungen
auf den betroffenen Märkten voraussetzt als auch eine
Abwägung aller beteiligten Interessen erfordert, die sich an
der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Funktion des
GWB orientiert – beruht dabei im Wesentlichen auf folgenden
Überlegungen: Facebook ist als Betreiber eines sozialen
Netzwerks auf zwei Märkten tätig. Es bietet zum einen
privaten Nutzern die Plattform als Medium zur Darstellung der
Person des Nutzers in ihren sozialen Beziehungen und zur
Kommunikation an. Es ermöglicht zum anderen Unternehmen
Werbung im Netzwerk und finanziert damit auch die
Nutzerplattform, für deren Nutzung die Nutzer kein
(monetäres) Entgelt zahlen. Indem Facebook seinen Nutzern
personalisierte Erlebnisse und damit über die bloße
Plattformfunktion hinaus Kommunikationsinhalte
bereitzustellen verspricht, ergeben sich allerdings fließende
Übergänge und Verschränkungen zwischen Leistungen gegenüber
den Nutzern und der Refinanzierung der
Plattformbereitstellung durch unterschiedliche Formen der
Online-Werbung.
Als marktbeherrschender
Netzwerkbetreiber trägt Facebook eine besondere Verantwortung
für die Aufrechterhaltung des noch bestehenden Wettbewerbs
auf dem Markt sozialer Netzwerke. Dabei ist auch die hohe
Bedeutung zu berücksichtigen, die dem Zugriff auf Daten aus
ökonomischer Perspektive zukommt.
Die fehlende
Wahlmöglichkeit der Facebook-Nutzer beeinträchtigt nicht nur
ihre persönliche Autonomie und die Wahrung ihres – auch durch
die DSGVO geschützten – Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung. Vor dem Hintergrund der hohen
Wechselhürden, die für die Nutzer des Netzwerks bestehen
("Lock-in-Effekte"), stellt sie vielmehr auch eine
kartellrechtlich relevante Ausbeutung der Nutzer dar, weil
der Wettbewerb wegen der marktbeherrschenden Stellung von
Facebook seine Kontrollfunktion nicht mehr wirksam ausüben
kann. Nach den Feststellungen des Bundeskartellamts wünschen
erhebliche Teile der privaten Facebook-Nutzer einen
geringeren Umfang der Preisgabe persönlicher Daten. Bei
funktionierendem Wettbewerb auf dem Markt sozialer Netzwerke
wäre ein entsprechendes Angebot zu erwarten. Hierauf könnten
Nutzer ausweichen, für die der Umfang der Datenpreisgabe ein
wesentliches Entscheidungskriterium wäre.
Die so
ausgestalteten Nutzungsbedingungen sind auch geeignet, den
Wettbewerb zu behindern. Zwar ist die Marktstellung von
Facebook in erster Linie durch direkte Netzwerkeeffekte
geprägt, da der Nutzen des Netzwerks für die privaten Nutzer
wie für die werbetreibenden Unternehmen mit der Gesamtzahl
der dem Netzwerk angeschlossenen Personen steigt. Die
Marktposition von Facebook kann auch nur dann erfolgreich
angegriffen werden, wenn es einem Konkurrenten gelingt, in
überschaubarer Zeit eine für die Attraktivität des Netzes
ausreichende Zahl von Nutzern zu gewinnen. Jedoch handelt
es sich bei dem Zugang zu Daten nicht nur auf dem Werbemarkt
um einen wesentlichen Wettbewerbsparameter, sondern auch auf
dem Markt sozialer Netzwerke. Der Zugang von Facebook zu
einer erheblich größeren Datenbasis verstärkt die ohnehin
schon ausgeprägten "Lock-in-Effekte" weiter. Außerdem
verbessert diese größere Datenbasis die Möglichkeiten der
Finanzierung des sozialen Netzwerks mit den Erlösen aus
Werbeverträgen, die ebenfalls von Umfang und Qualität der zur
Verfügung stehenden Daten abhängen. Wegen der negativen
Auswirkungen auf den Wettbewerb um Werbeverträge lässt sich
schließlich auch eine Beeinträchtigung des Marktes für
Online-Werbung nicht ausschließen. Entgegen der Auffassung
des Beschwerdegerichts bedarf es insoweit keiner
Feststellung, dass es einen eigenständigen Markt für
Online-Werbung für soziale Medien gibt und Facebook auch auf
diesem Markt über eine marktbeherrschende Stellung verfügt.
Die Beeinträchtigung muss nicht auf dem beherrschten Markt
eintreten, sondern kann auch auf einem nicht beherrschten
Drittmarkt eintreten.
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf - Beschluss vom 26. August 2019 –
VI-Kart 1/19 (V), WRP 2019, 1333 Die maßgeblichen
Vorschriften lauten: Relevante Bestimmungen
des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB):
§ 19 Verbotenes Verhalten von marktbeherrschenden Unternehmen
(1)Die missbräuchliche Ausnutzung einer
marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere
Unternehmen ist verboten. … § 65 Anordnung der sofortigen
Vollziehung … (3) 1Auf Antrag kann das
Beschwerdegericht die aufschiebende Wirkung ganz oder
teilweise wiederherstellen, wenn
1.die
Voraussetzungen für die Anordnung nach Absatz 1 nicht
vorgelegen haben oder nicht mehr vorliegen oder
2.ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen
Verfügung bestehen oder 3.die Vollziehung für den
Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende
öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
In den Fällen, in denen die Beschwerde keine
aufschiebende Wirkung hat, kann die Kartellbehörde die
Vollziehung aussetzen; die Aussetzung soll erfolgen, wenn die
Voraussetzungen des Satzes 1 Nummer 3 vorliegen. 3Das
Beschwerdegericht kann auf Antrag die aufschiebende Wirkung
ganz oder teilweise anordnen, wenn die Voraussetzungen des
Satzes 1 Nummer 2 oder 3 vorliegen.
|