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Dezember 2018 |
Wirksame Patientenverfügung zum
Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen
Bundesgerichtshof, Karlsruhe, den 13.
Dezember 2018 Beschluss vom 14. November 2018 - XII ZB
107/18 Der u.a. für Betreuungssachen zuständige XII.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich erneut mit den
Anforderungen befasst, die eine Patientenverfügung im
Zusammenhang mit dem Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen
erfüllen muss. Die im Jahr 1940 geborene Betroffene
erlitt im Mai 2008 einen Schlaganfall und befindet sich seit
einem hypoxisch bedingten Herz-Kreislaufstillstand im Juni
2008 in einem wachkomatösen Zustand. Sie wird seitdem über
eine Magensonde künstlich ernährt und mit Flüssigkeit
versorgt. Bereits im Jahr 1998 hatte die Betroffene ein mit
"Patientenverfügung" betiteltes Schriftstück unterschrieben.
In diesem war niedergelegt, dass unter anderem dann, wenn
keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht
oder aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer
Dauerschaden des Gehirns zurückbleibe, "lebensverlängernde
Maßnahmen unterbleiben" sollen.
Zu nicht genauer
festgestellten Zeitpunkten von 1998 bis zu ihrem Schlaganfall
hatte die Betroffene mehrfach gegenüber verschiedenen
Familienangehörigen und Bekannten angesichts zweier
Wachkoma-Patienten aus ihrem persönlichen Umfeld geäußert,
sie wolle nicht künstlich ernährt werden, sie wolle nicht so
am Leben erhalten werden, sie wolle nicht so daliegen, lieber
sterbe sie. Sie habe durch eine Patientenverfügung
vorgesorgt, das könne ihr nicht passieren. Im Juni 2008
erhielt die Betroffene einmalig nach dem Schlaganfall die
Möglichkeit, trotz Trachealkanüle zu sprechen. Bei dieser
Gelegenheit sagte sie ihrer Therapeutin: "Ich möchte
sterben."
Unter Vorlage der Patientenverfügung von
1998 regte der Sohn der Betroffenen im Jahr 2012 an, ihr
einen Betreuer zu bestellen. Das Amtsgericht bestellte
daraufhin den Sohn und den Ehemann der Betroffenen zu jeweils
alleinvertretungsberechtigten Betreuern. Der Sohn der
Betroffenen ist, im Einvernehmen mit dem bis dahin
behandelnden Arzt, seit 2014 der Meinung, die künstliche
Ernährung und Flüssigkeitszufuhr solle eingestellt werden, da
dies dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen der
Betroffenen entspreche. Ihr Ehemann lehnt dies ab.
Den Antrag der Betroffenen, vertreten durch ihren Sohn, auf
Genehmigung der Einstellung der künstlichen Ernährung und
Flüssigkeitszufuhr hat das Amtsgericht abgelehnt. Die dagegen
gerichtete Beschwerde der Betroffenen hatte das Landgericht
zunächst zurückgewiesen. Nach Aufhebung dieser Entscheidung
durch den Senat (Senatsbeschluss vom 8. Februar 2017 – XII ZB
604/15 – FamRZ 2017, 748) und Zurückverweisung der Sache an
das Landgericht hat dieses ein Sachverständigengutachten zu
der Frage eingeholt, ob der konkrete Zustand der Betroffenen
im Wachkoma ihr Bewusstsein entfallen lässt und ob in diesem
Fall eine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins
besteht.
Nachdem der Sachverständige sein Gutachten
auch mündlich erläutert hatte, hat das Landgericht die
Beschwerde der Betroffenen nun mit der Maßgabe
zurückgewiesen, dass eine gerichtliche Genehmigung nicht
erforderlich ist. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde
des Ehemanns der Betroffenen hatte keinen Erfolg. Der
Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme bedarf dann nicht
der betreuungsgerichtlichen Genehmigung nach § 1904 Abs. 2
BGB, wenn der Betroffene einen entsprechenden eigenen Willen
bereits in einer wirksamen Patientenverfügung (§ 1901 a Abs.
1 BGB) niedergelegt hat und diese auf die konkret
eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft.
In diesem Fall hat der Betroffene diese Entscheidung
selbst in einer alle Beteiligten bindenden Weise getroffen,
so dass eine Einwilligung des Betreuers, die dem
betreuungsgerichtlichen Genehmigungserfordernis unterfällt,
in die Maßnahme nicht erforderlich ist. Wird das Gericht
dennoch angerufen, weil eine der beteiligten Personen Zweifel
an der Bindungswirkung einer Patientenverfügung hat und kommt
das Gericht zu dem Ergebnis, dass eine wirksame
Patientenverfügung vorliegt, die auf die aktuelle Lebens- und
Behandlungssituation zutrifft, hat es auszusprechen,
dass eine gerichtliche Genehmigung nicht erforderlich ist
(sogenanntes Negativattest).
Nach der
Rechtsprechung des Senats entfaltet eine Patientenverfügung
allerdings nur dann unmittelbare Bindungswirkung, wenn sich
feststellen lässt, in welcher Behandlungssituation welche
ärztlichen Maßnahmen durchgeführt werden bzw. unterbleiben
sollen. Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer
Patientenverfügung dürfen dabei jedoch nicht überspannt
werden. Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene
umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und
Behandlungssituation will und was nicht. Maßgeblich ist
nicht, dass der Betroffene seine eigene Biografie als Patient
vorausahnt und die zukünftigen Fortschritte in der Medizin
vorwegnehmend berücksichtigt. Nicht ausreichend sind jedoch
allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles
Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein
Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist.
Auch die
Äußerung, "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen,
enthält jedenfalls für sich genommen keine hinreichend
konkrete Behandlungsentscheidung. Im Einzelfall kann sich die
erforderliche Konkretisierung bei einer weniger detaillierten
Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen durch die
Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder
Behandlungssituationen ergeben kann. Ob in solchen Fällen
eine hinreichend konkrete Patientenverfügung vorliegt, ist
dann durch Auslegung der in der Patientenverfügung
enthaltenen Erklärungen zu ermitteln.
Im vorliegenden
Fall hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 8. Februar
2017 (XII ZB 604/15) ausgeführt, dass die Betroffene mit der
Anknüpfung ihrer Regelungen zu den ärztlichen Maßnahmen, in
die sie einwilligt oder nicht einwilligt, an die medizinisch
eindeutige Feststellung, dass bei ihr keine Aussicht auf
Wiedererlangung des Bewusstseins besteht, hinreichend konkret
eine Lebens- und Behandlungssituation beschrieben hat, in der
die Patientenverfügung Geltung beanspruchen soll. Nach
den vom Landgericht rechtsfehlerfrei durchgeführten
weiteren Ermittlungen ist diese Lebens- und
Behandlungssituation auch gegeben. Nach dem Inhalt
des eingeholten neurologischen Sachverständigengutachtens
besteht bei der Betroffenen eindeutig ein Zustand schwerster
Gehirnschädigung, bei der die Funktionen des Großhirns -
zumindest soweit es dessen Fähigkeit zu bewusster
Wahrnehmung, Verarbeitung und Beantwortung von Reizen angeht
- komplett ausgelöscht sind. Dieser Zustand ist nach Meinung
des Sachverständigen irreversibel.
Aufgrund
dieser Feststellungen ist die Auffassung des
Beschwerdegerichts, dass bei der Betroffenen keine Aussicht
auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht und damit die
Lebens- und Behandlungssituation vorliegt, an die die
Betroffene in ihrer Patientenverfügung den Wunsch geknüpft
hat, dass lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben sollen,
aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Außerdem hat das Landgericht umfassend und sorgfältig
geprüft, ob die Patientenverfügung auch eine Einwilligung der
Betroffenen in den Abbruch bereits eingeleiteter
lebenserhaltender Maßnahmen beinhaltet. Hierbei hat es auf
der Grundlage der schriftlichen Patientenverfügung zu Recht
den Aussagen der vernommenen Zeugen besondere Bedeutung
beigemessen, nach denen sich die Betroffene vor ihrer eigenen
Erkrankung mehrfach dahingehend geäußert hatte, dass sie
nicht künstlich ernährt werden wolle. Zudem hat sich das
Beschwerdegericht im Rahmen seiner Auslegungserwägungen
eingehend mit der Frage befasst, ob die in der
Patientenverfügung enthaltene Formulierung "aktive
Sterbehilfe lehne ich ab", dahingehend zu verstehen sein
könnte, dass die Betroffene den Abbruch lebenserhaltender
Maßnahmen ablehnt und diese Frage verneint. Weil die
Betroffene für ihre gegenwärtige Lebenssituation eine
wirksame Patientenverfügung erstellt hatte, ist diese
bindend: Die Gerichte sind damit nicht zur Genehmigung des
Abbruchs der lebenserhaltenen Maßnahmen berufen, sondern
hatten die eigene Entscheidung der Betroffenen zu akzeptieren
und ein Negativattest zu erteilen.
Vorinstanzen: AG
Freising - XVII 157/12 - Beschluss vom 29. Juni 2015 LG
Landshut - 64 T 1826/15 - Beschluss vom 8. Februar 2018
Die maßgeblichen Vorschriften lauten wie folgt: § 1901 a
BGB Patientenverfügung (1) Hat ein einwilligungsfähiger
Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit
schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der
Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende
Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen
oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt
(Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese
Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und
Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat
der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu
verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos
widerrufen werden.
(2) Liegt keine Patientenverfügung
vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung
nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu,
hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen
Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage
zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz
1 einwilligt oder sie untersagt.
Der mutmaßliche
Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu
berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder
schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse
Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des
Betreuten. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten unabhängig von
Art und Stadium einer Erkrankung des Betreuten. (4)
Niemand kann zur Errichtung einer Patientenverfügung
verpflichtet werden. Die Errichtung oder Vorlage einer
Patientenverfügung darf nicht zur Bedingung eines
Vertragsschlusses gemacht werden. (5) Die Absätze 1 bis 3
gelten für Bevollmächtigte entsprechend. § 1904 BGB
Genehmigung des Betreuungsgerichts bei ärztlichen Maßnahmen
(1) Die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des
Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen
ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des
Betreuungsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass
der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen
schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden
erleidet. Ohne die Genehmigung darf die Maßnahme nur
durchgeführt werden, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden
ist. (2) Die Nichteinwilligung oder der Widerruf der
Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des
Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen
ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des
Betreuungsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt
ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf
Grund des Unterbleibens oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt
oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen
Schaden erleidet.
(3) Die Genehmigung nach den
Absätzen 1 und 2 ist zu erteilen, wenn die Einwilligung, die
Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung dem
Willen des Betreuten entspricht. (4) Eine Genehmigung
nach den Absätzen 1 und 2 ist nicht erforderlich, wenn
zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber
besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der
Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901a festgestellten
Willen des Betreuten entspricht. (5) Die Absätze 1 bis 4
gelten auch für einen Bevollmächtigten. Er kann in eine der
in Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 2 genannten Maßnahmen nur
einwilligen, nicht einwilligen oder die Einwilligung
widerrufen, wenn die Vollmacht diese Maßnahmen ausdrücklich
umfasst und schriftlich erteilt ist.
Bundesgerichtshof: Keine
Mietminderung für Wärmebrücken bei Einhaltung des im
Errichtungszeitpunkt der Wohnung üblichen Bauzustands
("Schimmelpilzgefahr") Karsruhe, 5. Dezember
2018 - VIII ZR 271/17 und VIII ZR 67/18
Sachverhalt
und Prozessverlauf: Die Kläger in beiden Verfahren sind
jeweils Mieter von Wohnungen der Beklagten, die in den Jahren
1968 und 1971 unter Beachtung der damals geltenden
Bauvorschriften und technischen Normen errichtet wurden. Die
Kläger machen unter Berufung auf Mängel der Wohnungen jeweils
Gewährleistungsansprüche geltend und begehren dabei unter
anderem wegen der "Gefahr von Schimmelpilzbildung" in den
gemieteten Räumen die Feststellung einer näher bezifferten
Minderung der von ihnen geschuldeten Monatsmiete (§ 536 BGB)
sowie die Zahlung eines Kostenvorschusses für die
Mängelbeseitigung.
In beiden Verfahren hat das
Berufungsgericht eine Minderung der jeweiligen Bruttomiete
festgestellt und im Verfahren VIII ZR 271/17 die Beklagte
überdies zur Zahlung eines Kostenvorschusses in Höhe von
12.000 € zur Anbringung einer Innendämmung verurteilt. Dies
hat es jeweils (unter anderem) maßgeblich auf die Erwägung
gestützt, dass in den Wohnungen in den Wintermonaten aufgrund
von Wärmebrücken in den Außenwänden eine "Gefahr der
Schimmelpilzbildung" bestehe. Zwar hätten die Wohnungen
zur Zeit ihrer Errichtung den geltenden Bauvorschriften und
DIN-Vorgaben sowie den damaligen Regeln der Baukunst
entsprochen. Nach der Verkehrsanschauung dürfe ein Mieter
allerdings auch ohne besondere vertragliche Vereinbarung
stets einen "Mindeststandard zeitgemäßen Wohnens" erwarten,
der heutigen Maßstäben gerecht werde.
Auf Grundlage
der heute gültigen DIN-Vorschriften ergebe sich angesichts
der Wärmebrücken in beiden Wohnungen jedoch ein konkretes
Risiko der Schimmelpilzbildung, welches die Mieter allein mit
"alltagsüblichem Lüftungs- und Heizverhalten" nicht
verhindern könnten. Denn von einem Mieter könne nicht
verlangt werden, dass er ein Schlafzimmer auf mehr als 16
Grad und die übrigen Zimmer auf mehr als 20 Grad beheize oder
darauf verzichte, seine Möbel ohne Abstand an den Außenwänden
aufzustellen.
Auch ein sogenanntes Querlüften
("Durchzug") könne dem Mieter nicht abverlangt werden;
vielmehr sei lediglich ein zweimaliges Stoßlüften von bis zu
zehn Minuten pro Tag zumutbar. Bei alledem komme es auch
nicht darauf an, wieviel Feuchtigkeit durch das konkrete
Nutzungsverhalten der jeweiligen Mieter entstehe, solange es
sich im Rahmen des vertragsgemäßen Gebrauchs (Aufenthalt,
Waschen, Kochen, Duschen etc.) bewege.
Sei unter den
genannten Bedingungen nicht sichergestellt, dass es zu keiner
Schimmelpilzbildung komme, liege bereits hierin ein bauseits
bedingter und vom Vermieter zu vertretender Mangel, so dass
es nicht darauf ankomme, ob Schimmel auch tatsächlich
aufgetreten sei. Mit ihren vom Landgericht zugelassenen
Revisionen verfolgte die Beklagte in beiden Verfahren ihr
Klageabweisungsbegehren weiter.
Die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs: Der unter anderem für das
Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass Wärmebrücken in den
Außenwänden nicht als Sachmangel einer Mietwohnung anzusehen
sind, wenn dieser Zustand mit den zum Zeitpunkt der
Errichtung des Gebäudes geltenden Bauvorschriften und
technischen Normen in Einklang steht. Ein Mangel, der die
Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch
aufhebt oder mindert und deshalb dem Mieter (unter anderem)
ein Recht zur Mietminderung (§ 536 Abs. 1 BGB) sowie einen
Anspruch auf Mangelbeseitigung (§ 535 Abs. 1 Satz 2 BGB)
gewährt, setzt eine für den Mieter nachteilige Abweichung des
tatsächlichen Zustandes der Mietsache vom vertraglich
vorausgesetzten Zustand voraus. Ohne besondere
Vereinbarung der Mietvertragsparteien kann der Mieter dabei
nach der Verkehrsauffassung erwarten, dass die von ihm
angemieteten Räume einen Wohnstandard aufweisen, der bei
vergleichbaren Wohnungen üblich ist. Gibt es zu bestimmten
Anforderungen technische Normen, ist jedenfalls deren
Einhaltung geschuldet. Dabei ist nach gefestigter
Senatsrechtsprechung grundsätzlich der bei Errichtung des
Gebäudes geltende Maßstab anzulegen. Diesem Maßstab
entsprechen die Wohnungen der Kläger jedoch, so dass ein
Sachmangel nicht vorliegt. Denn in den Jahren 1968 bzw.
1971 bestand noch keine Verpflichtung, Gebäude mit einer
Wärmedämmung auszustatten und war demgemäß das Vorhandensein
von Wärmebrücken allgemein üblicher Bauzustand. Die
gegenteilige Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, das
einen Mangel der Mietsache aus vermeintlichen Höchstwerten
zumutbarer Lüftungsintervalle und von ihm aufgestellter
"Grundsätze zeitgemäßen Wohnens" hergeleitet hat, hat der
Senat als mit geltendem Recht nicht vereinbar angesehen.
Sie lässt sich auch nicht unter Rückgriff auf eine
Senatsentscheidung begründen, die in einem speziellem Fall zu
den Anforderungen an die Elektroinstallation einer Wohnung
ergangen ist (vgl. Senatsurteil vom 26. Juli 2004 – VIII ZR
281/03, NJW 2004, 3174) und die darauf abstellt, dass nach
der Verkehrsanschauung auch in einer Altbauwohnung ein
Mindeststandard der Elektroinstallation erwartet werden kann,
die den gleichzeitigen Betrieb von zwei Elektrogeräten
ermöglicht. Auf die Beschaffenheit der Wohnung bezüglich der
Wärmedämmung ist diese Entscheidung nicht übertragbar.
Die Berufung des Landgerichts auf Erfordernisse
"zeitgemäßen Wohnens" rechtfertigt es insbesondere nicht, die
geschuldete Beschaffenheit einer Mietwohnung hinsichtlich der
Wärmedämmung nicht nach den oben genannten Maßstäben, sondern
– unter einseitiger Berücksichtigung von Mieterinteressen –
allein danach zu bestimmen, was der Mieter unter
Zugrundelegung heutiger Bauvorschriften erwarten dürfe und
ihm an Lüftungs- und Heizverhalten nach einem
abstrakt-generellen Maßstab zuzumuten sei. Letztlich läuft
die Argumentation des Berufungsgerichts darauf hinaus, einen
anderen als den im geltendem Recht vorgesehenen Mangelbegriff
zu schaffen und auf diesem Wege auch für eine nicht sanierte
oder eine nicht grundlegend modernisierte Altbauwohnung und
unabhängig von entsprechenden konkreten Vereinbarungen der
Mietvertragsparteien einen Neubaustandard zugrunde zu legen.
Dies ist ersichtlich rechtsfehlerhaft. Auch trifft die
Annahme des Berufungsgerichts nicht zu, das den Klägern zur
Vermeidung von Schimmelpilzbildung abzuverlangende
Lüftungsverhalten sei für einen Mieter unzumutbar. Das einem
Mieter zuzumutende Wohnverhalten, insbesondere bezüglich der
Lüftung der Wohnräume, ist jeweils unter Berücksichtigung der
Umstände des Einzelfalls zu bestimmen.
Vorliegend ist
der gerichtliche Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen,
dass ein täglich zweimaliges Stoßlüften von rund 15 Minuten
beziehungsweise ein täglich dreimaliges Stoßlüften von rund
10 Minuten ausreiche, um eine Schimmelpilzbildung an den
Außenwänden zu vermeiden und sich im Falle von "Querlüften"
(gleichzeitiges Öffnen mehrerer Fenster) die erforderliche
Lüftungszeit auf ein Drittel der angegebenen Zeiten
reduziere. Dafür, dass ein solches Lüftungsverhalten
generell unzumutbar sei, sieht der Senat keine Anhaltspunkte.
Der Senat hat die Entscheidungen des Berufungsgerichts
aufgehoben, soweit das Berufungsgericht wegen der in den
Außenwänden vorhandenen Wärmebrücken und der dadurch
verursachten Gefahr einer Schimmelpilzbildung einen Mangel
der Wohnungen bejaht und den darauf gestützten Begehren der
Kläger auf Feststellung einer Mietminderung beziehungsweise
auf Zahlung eines Kostenvorschusses für eine Innendämmung
stattgegeben hat; diese Ansprüche stehen den Klägern nach den
heutigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs nicht zu.
In dem Verfahren VIII ZR 271/17, in dem das
Berufungsgericht auch Durchfeuchtungen des Mauerwerks infolge
schadhaft gewordener Bauteile festgestellt hatte, ist die
Sache wegen der Höhe der hierfür anzusetzenden Minderung an
das Berufungsgericht zurückverwiesen worden. Die maßgeblichen
Vorschriften lauten: § 535 BGB Inhalt und Hauptpflichten des
Mietvertrags (1) 1Durch den Mietvertrag wird der Vermieter
verpflichtet, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache während
der Mietzeit zu gewähren.
2Der Vermieter hat die
Mietsache dem Mieter in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch
geeigneten Zustand zu überlassen und sie während der Mietzeit
in diesem Zustand zu erhalten. […] § 536 BGB Mietminderung
bei Sach- und Rechtsmängeln (1) 1Hat die Mietsache zur
Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel, der ihre
Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt, oder
entsteht während der Mietzeit ein solcher Mangel, so ist der
Mieter für die Zeit, in der die Tauglichkeit aufgehoben ist,
von der Entrichtung der Miete befreit. 2Für die Zeit,
während der die Tauglichkeit gemindert ist, hat er nur eine
angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten.
3Eine
unerhebliche Minderung der Tauglichkeit bleibt außer
Betracht. […]
Vorinstanzen: VIII ZR 271/17 Amtsgericht
Reinbek – Urteil vom 7. April 2017 - 13 C 682/14 Landgericht
Lübeck – Urteil vom 17. November 2017 - 14 S 107/17 und VIII
ZR 67/18 Amtsgericht Reinbek – Urteil vom 23. Dezember 2016 –
17 C 288/15 Landgericht Lübeck – Urteil vom 15. Februar 2018
– 14 S 14/17
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November 2018 |
Urteil wegen Steuerhinterziehung und Verkürzung von
Sozialversicherungsbeiträgen in der Fleischbranche
Wirtschaftsstrafkammer Duisburg: Vier Angeklagte
zu Haftstrafen verurteilt Duisburg, 16.
November 2018 - In dem Verfahren gegen einen heute
55-Jährigen aus Rheurdt, einen heute 58-Jährigen aus
Duisburg, einen heute 59-Jährigen aus Rheinberg und einen
heute 75-Jährigen aus Rheinberg hat die 4. Große Strafkammer
des Landgerichts Duisburg (Wirtschaftsstrafkammer) am
16.11.2018 ein Urteil verkündet. Der 55-jährige Angeklagte
wurde wegen Steuerhinterziehung in 37 Fällen, wegen Beihilfe
zur Steuerhinterziehung in 18 Fällen, wegen Vorenthaltens
und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 24 Fällen und wegen
Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt
in 18 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben
Jahren verurteilt. Der Haftbefehl wurde gegen Auflagen außer
Vollzug gesetzt.
Der 58-jährige Angeklagte wurde
wegen Steuerhinterziehung in 25 Fällen, wegen Beihilfe zur
Steuerhinterziehung in acht Fällen und wegen Vorenthaltens
und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 24 Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Der
59-jährige Angeklagte wurde wegen Steuerhinterziehung in 20
Fällen und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von
Arbeitsentgelt in 18 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die
Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Der
75-jährige Angeklagte wurde wegen Steuerhinterziehung zu
einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten
verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur
Bewährung ausgesetzt. Nach den Feststellungen der Kammer
baute der 55-jährige Angeklagte mit dem 58-jährigen
Angeklagten ein Abgabenhinterziehungssystem für
Nachunternehmer in der Fleisch verarbeitenden Industrie auf,
das über eine Buchhaltungsfirma in Kamp-Lintfort betrieben
wurde und das auch die beiden weiteren Angeklagten
ausnutzten.
Der 55-jährige Angeklagte gab im
Zeitraum 2007 bis 2012 über die Buchhaltungsfirma für drei
Firmen, deren faktischer Geschäftsführer er war,
Jahresumsatzsteuererklärungen ab, die zu hohe
Vorsteuerabzugsbeträge beinhalteten. Hierzu nutzte er unter
anderem Scheinrechnungen für tatsächlich nicht erbrachte
Leistungen. Diese waren von anderen Firmen aus dem
Bereich der Fleischverarbeitung und Fleischverpackung
ausgestellt worden. Für eine weitere Firma gab der
55-Jährige – trotz entsprechender Voranmeldungen – keine
Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2011 ab. In ähnlicher
Weise gingen der 59-jährige Angeklagte für die Jahre 2010
und 2011 und der 75-jährige Angeklagte für das Jahr 2011
jeweils für Firmen vor, deren Geschäftsführer sie ihrerseits
waren. Die durch dieses Vorgehen verkürzte Umsatzsteuer
beläuft sich auf ca. 6,5 Millionen Euro. Daneben verkürzten
der 55-Jährige, der 58-Jährige und der 59-Jährige für den
Zeitraum April 2011 bis April 2013 insgesamt über 50.000
Euro Lohnsteuern und führten insgesamt über 139.000 Euro
Sozialversicherungsbeiträge nicht ab. Für die vorwiegend aus
Südosteuropa angeworbenen Arbeitnehmer von zwei Firmen,
deren faktische Geschäftsführer die Angeklagten waren,
meldeten sie zu niedrige Lohnsummen an. Die Mitteilungen
an die Finanzämter und Krankenkassen erfolgten dabei
wiederum über die Kamp-Lintforter Buchhaltungsfirma. Der
55-jährige Angeklagte, der 59-jährige Angeklagte und der
75-jährige Angeklagte haben die den festgestellten Vorwürfen
zugrundeliegenden Umstände eingeräumt. Der 58-jährige
Angeklagte hat seine Tatbeteiligung bestritten. Soweit den
Angeklagten darüber hinaus – in unterschiedlichen
Beteiligungsformen – weitere Steuerhinterziehungsdelikte
sowie das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt
vorgeworfen wurde, wurde das Verfahren im Hinblick auf die
verbleibenden Vorwürfe mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft
eingestellt. Die Kammer hat bei den Strafen insbesondere die
Geständnisse der Angeklagten zu deren Gunsten
berücksichtigt. Bei dem 55-jährigen Angeklagten hat die
Kammer überdies berücksichtigt, dass er weitergehende
Aufklärungshilfe geleistet hat. Die Kammer hat an
insgesamt 107 Verhandlungstagen mehr als 110 Zeugen aus dem
In- und Ausland vernommen. Der Inhalt der Hauptakte und der
Nebenakten umfasste 670 Stehordner. Das Urteil ist nicht
rechtskräftig. Aktenzeichen: Landgericht Duisburg, 34
KLs 7/17
Deutsche Umwelthilfe erwirkt erstes
Autobahn-Diesel-Fahrverbot auf der A40 im Ruhrgebiet sowie
Diesel-Fahrverbote für Essen und Gelsenkirchen
Gelsenkirchen/Düsseldorf/Duisburg, 15. November 2018 -
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gibt Klagen für „Saubere
Luft“ der Deutschen Umwelthilfe statt – Bisher stärkstes
Urteil für den Gesundheitsschutz – DUH erwirkt elftes und
zwölftes Urteil in Folge zu Diesel-Fahrverboten in
Deutschland –
Luftreinhaltepläne der beiden
Ruhrgebietsstädte müssen bis zum 1. Juli 2019 um eine 18
Stadtteile umfassende Diesel-Fahrverbotszone für Essen und
streckenbezogene Diesel-Fahrverbote für Gelsenkirchen
erweitert werden – Zum ersten Mal soll in Essen mit der
Sperrung der A40 für Dieselfahrzeuge bis einschließlich Euro
5/V auch eine Autobahn in die Fahrverbotszone einbezogen
werden – Heutige Kabinettsentscheidung zur Heraufsetzung von
NO2- und NOx-Grenzwerten: Diesel-Fahrverbote kommen trotz
Änderung des BImSchG auch für Städte unter 50 µg NO2/m3 –
Bundesland Nordrhein-Westfalen mit den meisten Klagen für
Diesel-Fahrverbote
Essen/Gelsenkirchen, 15.11.2018:
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat heute über die
Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) für „Saubere Luft“ in
den Städten Essen und Gelsenkirchen entschieden (Essen: 8K
5068/15, Gelsenkirchen: 8K 5254/15) und beiden Klagen in
vollem Umfang stattgegeben: Der Luftgrenzwert für das
Dieselabgasgift Stickstoffdioxid (NO2), der seit dem Jahr
2010 verbindlich gilt, ist schnellstmöglich einzuhalten,
spätestens im Jahr 2019. Dabei geht es um eine
Grenzwerteinhaltung jeweils im gesamten Stadtgebiet. Die
internationale Umweltrechtsorganisation ClientEarth
unterstützt Klagen für „Saubere Luft“ der DUH.
Für
die Stadt Essen hat das Gericht (höchster NO2-Belastungswert
in Essen:49 µg/m3) entschieden, dass die Landesregierung ein
Diesel-Fahrverbot für 18 Stadtteile inkl. der Stadtmitte als
„Blaue Umweltzone“ in den Luftreinhalteplan aufzunehmen hat.
Dieses gilt ab dem 1. Juli 2019 für alle Diesel unterhalb
der Abgasnorm Euro 5 und Benziner unterhalb der Norm Euro 3.
Zum 1. September 2019 ist das Verbot auf Diesel-Pkw, Busse
und Nutzfahrzeuge der Abgasnorm Euro 5 zu erweitern. Zum
ersten Mal in Deutschland wurde von einem Gericht auch ein
Diesel-Fahrverbot für eine Bundesautobahn verfügt. Ab dem 1.
Juli 2019 gilt dies auf der Autobahn A40 für Diesel-Pkw,
Busse und Nutzfahrzeuge bis einschließlich der Abgasstufe
Euro 4/IV, ab dem 1. September 2019 wird dieses für Euro 5/V
Diesel ausgedehnt. Grund ist die hohe Belastung einer
Wohnsiedlung in Essen-Frohnhausen, hier führt die
Bundesautobahn unmittelbar vorbei. Das Gericht hat
zusätzlich dem Land die Prüfung weiterer Fahrverbote für
neun weitere Verdachtsfälle außerhalb der „Blauen
Umweltzone“ mit Frist bis zum 1. April 2019 auferlegt. Damit
stellt das Gericht mit seinem Urteil das
verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Gesundheit der
Menschen in Essen und Gelsenkirchen über die
Profitinteressen der Automobilindustrie. Für die Stadt
Gelsenkirchen, welche mit 46 µg NO2/m3 geringere
Grenzwertüberschreitungen beim Dieselabgasgift NO2 als Essen
aufweist, muss das beklagte Land Nordrhein-Westfalen ein
streckenbezogenes Diesel-Fahrverbot auf der besonders
belasteten Kurt-Schumacher-Straße festlegen. Dieses muss zum
1. Juli 2019 für alle Dieselfahrzeuge unterhalb der
Abgasnorm Euro 6 und alle Benziner unterhalb der Abgasnorm
Euro 3 in Kraft treten. Das Gericht betonte, dass ein
Großteil der vom Land NRW bisher in den Luftreinhalteplänen
angeführten Maßnahmen „keine schnelle Wirkung“ verspricht.
Die schnellstmögliche Grenzwerteinhaltung noch vor 2020, wie
es das Bundesverwaltungsgericht gefordert hat, ist somit
nicht möglich. Daher kann auf Diesel-Fahrverbote nicht mehr
verzichtet werden. Der lange Zeitraum, in dem der Grenzwert
überschritten wird, zwingt zu einer besonders effizienten
Maßnahmenplanung. Dazu Jürgen Resch,
Bundesgeschäftsführer der DUH: „Mit der erstmaligen Sperrung
einer Bundesautobahn für Diesel-Pkw, Busse und Lkw muss auch
eine Kanzlerin Merkel erkennen, dass sie mit ihrer Politik
gegen den Gesundheitsschutz und für die Profitsicherung
einer betrügerischen Industrie gescheitert ist. Das letzte
Beispiel für eine Fernsteuerung dieser Bundesregierung aus
den Konzernzentralen von BMW, Daimler und VW ist die heute
im Bundeskabinett beschlossene, europarechtswidrige
Heraufsetzung von Dieselabgasgift-Grenzwerten. Was Gerichte
von dieser industriefreundlichen Gesetzesnovelle halten,
zeigte sich wenige Stunden nach der
Regierungs-Pressekonferenz im Gelsenkirchener Richterspruch:
Die erstmalige Einführung eines ersten Diesel-Fahrverbots
auf der Autobahn A40 sowie in Essen und Gelsenkirchen.
Diesel-Fahrverbote kommen trotz Änderung des BImSchG auch
für Städte auch unter 50 µg NO2/m3.“
Das NRW-Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft,
Natur- und Verbraucherschutz teilt mit: Zu den
heutigen Urteilen des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen zur
Fortschreibung der Luftreinhaltepläne Essen und
Gelsenkirchen nimmt Umweltministerin Ursula Heinen-Esser wie
folgt Stellung: "Es ist ohne Zweifel, dass die Einhaltung
der Grenzwerte maßgeblich für den Gesundheitsschutz der
Bevölkerung ist. Die Bezirksregierungen Düsseldorf und
Münster haben für Essen und Gelsenkirchen ambitionierte
Luftreinhaltepläne mit einer Vielzahl von Maßnahmen
vorgelegt, um dieses Ziel zu erreichen. Das Urteil kommt
daher für uns überraschend, zugleich bietet es
Orientierung", sagte Umweltministerin Heinen-Esser. Sie
kündigte an, dass die Landesregierung die Urteile, sobald
sie vorliegen, sehr genau prüfen will, um dann zu
entscheiden, ob sie in Berufung gehen wird. Dort, wo zonale
Fahrverbote drohen, insbesondere wenn eine Stadt und eine
Autobahn im Zentrum eines Ballungsgebietes wie dem
Ruhrgebiet betroffen sind, sei schon jetzt absehbar, dass
die Landesregierung in Berufung gehen wird. "Wir stehen
in unseren Ballungsräumen vor großen Herausforderungen. Wir
müssen jetzt in wenigen Monaten das schaffen, was in vielen
Jahren zuvor nicht gelungen ist – die Grenzwerte gelten
bereits seit dem Jahr 2010", sagte Heinen-Esser. "Unser
erklärtes Ziel bleibt es, die Luftqualität und damit die
Lebensqualität nachhaltig so zu verbessern, dass wir den
Ausstoß von Stickoxiden reduzieren und die
Luftqualitätsgrenz-werte flächendeckend einhalten.
Gleichzeitig müssen wir die Mobilität der Menschen
sicherstellen." "Wir sind auf einem guten Weg, aber wir
sind eben noch nicht am Ziel", sagte die Ministerin. "Daher
müssen wir beides tun: die Grenzwerte kurzfristig
schnellstmöglich einhalten und unsere Mobilität mittel- und
langfristig so emissionsfrei wie möglich gestalten."
Parallel zur Gerichtsverhandlung wurde heute im
Bundeskabinett eine Änderung des
Bundesimmissionsschutzgesetzes beschlossen. Das
Leipziger Bundesverwaltungsgericht hatte explizit
aufgegeben, die Verhältnismäßigkeit von Dieselfahrverboten
zu prüfen. Eine gesetzliche Einordnung zur
Verhältnismäßigkeit von Dieselfahrverboten würde allen
Beteiligten und auch den Gerichten eine zusätzliche
Orientierung bieten. Darüber hinaus regelt die
vorgesehene Novelle, dass Diesel-Fahrzeuge der Abgasnormen
Euro 4 und Euro 5 von Fahrverboten ausgenommen werden, falls
sie im Alltag nicht mehr als 270 Milligramm Stickstoffdioxid
pro Kilometer ausstoßen – etwa wenn sie mit zusätzlichen
Katalysatoren nachgerüstet wurden. "Insbesondere die
konsequente Umsetzung der Hardware-Nachrüstung von
Diesel-Fahrzeugen wäre aus Sicht des Gesundheits- und
Verbraucherschutzes eine sinnvolle und wirksame Maßnahme zur
schnelleren Erreichung der Stickstoffdioxid-Grenzwerte und
damit zur Vermeidung von Fahrverboten", sagte Heinen-Esser.
Kündigungsschutzklausel eines kommunalen Wohnungsträgers bei
Immobilienveräußerung begründet eigene (Schutz-)Rechte des
Mieters Urteil des Bundesgerichtshofes,
Karlsruhe. 14. November 2018 - VIII ZR 109/18
Sachverhalt und Prozessverlauf: Die Beklagten sind seit 1981
Mieter einer in einem Siedlungshaus gelegenen Wohnung in
Bochum. Im Jahr 2012 erwarben die Kläger das Hausgrundstück
von der Stadt Bochum und traten dadurch in den Mietvertrag
ein. Die Klägerin zu 2 bewohnt inzwischen die andere Wohnung
des Siedlungshauses. Bezüglich der von den Beklagten
gemieteten Wohnung enthielt der Kaufvertrag dabei die
folgende Regelung, welche die Stadt nach Behauptung der
Kläger bei einer Vielzahl weiterer Immobilienveräußerungen
verwendet habe: "Die Mieter haben ein lebenslanges Wohnrecht.
Der Käufer übernimmt das bestehende Mietverhältnis.
Er darf insbesondere keine Kündigung wegen Eigenbedarfs oder
wegen der Behinderung einer angemessenen wirtschaftlichen
Verwertung aussprechen. Möglich ist lediglich eine Kündigung
wegen der erheblichen Verletzung der dem Mieter obliegenden
vertraglichen Verpflichtungen […] Für den Fall, dass der
Käufer ohne Zustimmung des Verkäufers oder ohne Vorliegen
eines außerordentlichen Kündigungsgrundes das Mietverhältnis
kündigt, ist der Verkäufer berechtigt, das Kaufgrundstück
lasten- und schuldenfrei wiederzukaufen." Im Jahr 2015
kündigten die Kläger das Mietverhältnis nach § 573a Abs. 1
Satz 1 BGB, der eine erleichterte Kündigung der Vermieters
vorsieht, wenn dieser in einem Gebäude mit - wie hier - nicht
mehr als zwei Wohnungen selbst wohnt. Die auf Räumung und
Herausgabe der Wohnung gerichtete Klage hat in den
Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit der vom
Landgericht zugelassenen Revision verfolgten die Kläger ihr
Klagebegehren weiter. Die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs: Der unter anderem für das
Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat die Revision zurückgewiesen und
entschieden, dass es sich bei den im Kaufvertrag enthaltenen
Bestimmungen zum lebenslangen Wohnrecht der Mieter um einen
echten Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB) handelt, der dem
Mieter der betreffenden Wohnung eigene Rechte gegenüber dem
Käufer als neuem Vermieter einräumt und vorliegend die von
den Klägern ausgesprochene Kündigung ausschließt. Schon
der Wortlaut der Regelung, in der von einem bestehenden
lebenslangen Wohnrecht der Mieter und einer Übernahme dieses
Mietverhältnisses durch den Käufer die Rede ist, bringt
hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass den Mietern hiermit
eine (eigene) gesicherte Rechtsposition auch gegenüber dem
Käufer als neuem Vermieter eingeräumt wird. Ihren
bisherigen Wohnraum sollen sie lediglich bei selbst zu
vertretender (erheblicher) Verletzung ihrer Mieterpflichten
verlieren können. Für diese naheliegende Auslegung der
vertraglichen Regelungen sprechen zusätzlich auch die hohe
Schutzbedürftigkeit der Beklagten als langjährige Mieter und
die Verantwortung der Stadt Bochum als kommunaler Eigentümer
und Veräußerer.
Darüber hinaus unterstreicht das für
den Fall einer unberechtigten Vermieterkündigung vereinbarte
Wiederkaufsrecht der Stadt, dass diese mit den vertraglichen
Regelungen erkennbar einen möglichst umfassenden Schutz der
Mieter herbeiführen wollte. Vom vereinbarten
Kündigungsausschluss mit umfasst ist dabei ohne weiteres auch
die vorliegend von den Klägern ausgesprochene erleichterte
Vermieterkündigung nach § 573a BGB, die (ebenso wie die
ausdrücklich genannten Kündigungen wegen Eigenbedarfs oder
wirtschaftlicher Verwertung) ebenfalls eine Pflichtverletzung
oder ein Verschulden auf Mieterseite nicht voraussetzt.
Für den Fall, dass es sich (wie die Kläger behaupten) bei
den streitbefangenen Bestimmungen aufgrund der Verwendung
seitens der Stadt Bochum in einer Vielzahl von
Immobilienkaufverträgen für ähnliche Siedlungshäuser um von
ihr vorformulierte Allgemeine Geschäftsbedingungen handeln
sollte, gilt nichts anderes. Die vorliegend verwendeten
kaufvertraglichen Bestimmungen, mit denen das Recht der
Erwerber zur ordentlichen Kündigung für die Lebensdauer der
aktuellen Mieter eingeschränkt wird, benachteiligen den
Käufer einer entsprechenden Immobilie nicht unangemessen im
Sinne von § 307 Abs. 1 und 2 BGB, sondern stellen vielmehr
eine inhaltlich ausgewogene Regelung für den Verkauf eines im
kommunalen Eigentum stehenden, von langjährigen Mietern
bewohnten Siedlungshauses dar.
Die maßgeblichen
Vorschriften lauten: § 328 BGB Vertrag zugunsten Dritter (1)
Durch Vertrag kann eine Leistung an einen Dritten mit der
Wirkung bedungen werden, dass der Dritte unmittelbar das
Recht erwirbt, die Leistung zu fordern. (2) In Ermangelung
einer besonderen Bestimmung ist aus den Umständen,
insbesondere aus dem Zwecke des Vertrags, zu entnehmen, ob
der Dritte das Recht erwerben, ob das Recht des Dritten
sofort oder nur unter gewissen Voraussetzungen entstehen und
ob den Vertragschließenden die Befugnis vorbehalten sein
soll, das Recht des Dritten ohne dessen Zustimmung aufzuheben
oder zu ändern. § 573a BGB Erleichterte Kündigung des
Vermieters (1) 1Ein Mietverhältnis über eine Wohnung in
einem vom Vermieter selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr
als zwei Wohnungen kann der Vermieter auch kündigen, ohne
dass es eines berechtigten Interesses im Sinne des § 573
bedarf.
2Die Kündigungsfrist verlängert sich in
diesem Fall um drei Monate. […] § 307 BGB Inhaltskontrolle
(1) 1Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind
unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders
entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen
benachteiligen. 2Eine unangemessene Benachteiligung kann
sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und
verständlich ist. (2) Eine unangemessene Benachteiligung
ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung 1. mit
wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der
abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder 2. wesentliche
Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags
ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des
Vertragszwecks gefährdet ist. […]
Vorinstanzen:
Amtsgericht Bochum – Urteil vom 13. September 2017 – 47 C
291/14 Landgericht Bochum – Urteil vom 3. April 2018 – I-9 S
80/17
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Oktober 2018 |
Trompetenspiel in einem Reihenhaus
Bundesgerichtshof Urteil vom 26. Oktober 2018 -
V ZR 143/17 Karlruhe, 26. Oktober 2018 - Der unter
anderem für das Nachbarrecht zuständige V. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat heute über einen Rechtsstreit
entschieden, in dem die klagenden Bewohner eines Reihenhauses
erreichen wollen, dass sie das als Lärmbelästigung empfundene
Trompetenspiel aus dem benachbarten Reihenhaus nicht mehr
hören.
Sachverhalt: Der Kläger und die Klägerin
bewohnen als Nießbraucher ein Reihenhaus in einem Wohngebiet.
Die Beklagten sind Eigentümer und Bewohner des benachbarten
Reihenhauses. Der Beklagte zu 1 ist Berufsmusiker
(Trompeter). Er übt im Erdgeschoss und in einem Probenraum im
Dachgeschoss Trompete, nach eigenen Angaben maximal 180
Minuten am Tag und regelmäßig nicht mehr als an zwei Tagen
pro Woche unter Berücksichtigung der Mittags- und Nachtruhe.
Zudem unterrichtet er zwei Stunden wöchentlich externe
Schüler.
Die Beklagte zu 2 spielt nicht Trompete.
Bisheriger Prozessverlauf: Die Kläger verlangen von beiden
Beklagten das Ergreifen geeigneter Maßnahmen, damit das
Spielen von Musikinstrumenten auf dem Anwesen der Kläger
nicht wahrgenommen werden kann. Diesem Antrag hat das
Amtsgericht stattgegeben.
Auf die Berufung der
Beklagten hat das Landgericht das Urteil geändert und die
Beklagten gesamtschuldnerisch verurteilt, die Erteilung von
Musikunterricht an Dritte insgesamt zu unterlassen es zu
unterlassen, in dem Anwesen der Beklagten Instrumentalmusik
zu spielen; davon ausgenommen ist nur das Dachgeschoss. Dort
darf für maximal zehn Stunden pro Woche werktags
(Montag-Freitag) zwischen 10 und 12 Uhr und 15 und 19 Uhr
musiziert werden, und der Beklagte darf an maximal acht
Samstagen oder Sonntagen im Jahr zwischen 15 und 18 Uhr
jeweils maximal eine Stunde Trompete üben.
Mit der
von dem Bundesgerichtshof zugelassenen Revision wollen die
Beklagten erreichen, dass die Klage insgesamt abgewiesen
wird; die Kläger wollen im Wege der Anschlussrevision das
Urteil des Amtsgerichts wiederherstellen lassen.
Die
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der Bundesgerichtshof
hat auf die Revision der Beklagten und unter Zurückweisung
der Anschlussrevision der Kläger die Klage gegen die Beklagte
zu 2 abgewiesen und die Sache im Übrigen an das Landgericht
zurückverwiesen. Dabei hat er sich von folgenden Erwägungen
leiten lassen: Gegen die (nicht musizierende) Beklagte zu
2 besteht von vornherein kein Unterlassungsanspruch. Ihre
Verurteilung käme nur dann in Betracht, wenn sie als
sogenannte mittelbare Handlungsstörerin verpflichtet wäre,
gegen das Musizieren des Beklagten zu 1 einzuschreiten. Das
ist nicht der Fall, weil der Beklagte zu 1 das Haus als
Miteigentümer und damit aus eigenem Recht nutzt. Auch die
Verurteilung des (musizierenden) Beklagten zu 1 kann nicht
Bestand haben.
Das Landgericht hat bei einem
richterlichen Ortstermin festgestellt, dass das
Trompetenspiel des Beklagten im Dachgeschoss im Wohnzimmer
der Kläger (Erdgeschoss) nicht und in deren Schlafzimmer
(Dachgeschoss) nur leise zu hören ist, während das
Trompetenspiel im Wohnzimmer (Erdgeschoss) im angrenzenden
Wohnzimmer der Kläger als "schwache Zimmerlautstärke" zu
vernehmen ist. Im Ausgangspunkt steht den Klägern als
Nießbrauchern eines Hauses gegenüber dem Nachbarn, der sie
durch Geräuschimmissionen stört, grundsätzlich ein
Unterlassungsanspruch zu.
Der
Abwehranspruch ist jedoch
ausgeschlossen, wenn die mit dem Musizieren verbundenen
Beeinträchtigungen nur unwesentlich sind. Das ist
anzunehmen, wenn sie in dem Haus der Kläger nach dem
Empfinden eines "verständigen Durchschnittsmenschen" nicht
als wesentliche Beeinträchtigung einzuordnen sind; die Grenze
der im Einzelfall zumutbaren Lärmbelästigung kann nur auf
Grund wertender Beurteilung festgesetzt werden. Insoweit hat
das Landgericht einen zu strengen Maßstab zugrunde gelegt.
Das häusliche Musizieren
einschließlich des dazugehörigen Übens gehört zu den
sozialadäquaten und üblichen Formen der Freizeitbeschäftigung
und ist aus der maßgeblichen Sicht eines "verständigen
Durchschnittsmenschen" in gewissen Grenzen hinzunehmen,
weil es einen wesentlichen Teil des Lebensinhalts bilden und
von erheblicher Bedeutung für die Lebensfreude und das
Gefühlsleben sein kann; es gehört - wie viele andere übliche
Freizeitbeschäftigungen - zu der grundrechtlich geschützten
freien Entfaltung der Persönlichkeit.
Andererseits
soll auch dem Nachbarn die eigene Wohnung die Möglichkeit zur
Entspannung und Erholung und zu häuslicher Arbeit eröffnen,
mithin auch die dazu jeweils notwendige, von Umweltgeräuschen
möglichst ungestörte Ruhe bieten.
Ein Ausgleich der widerstreitenden nachbarlichen Interessen
kann im Ergebnis nur durch eine ausgewogene zeitliche
Begrenzung des Musizierens herbeigeführt werden. Dabei
hat ein Berufsmusiker, der sein Instrument im häuslichen
Bereich spielt, nicht mehr, aber auch nicht weniger Rechte
als ein Hobbymusiker und umgekehrt. Wie die zeitliche
Regelung im Einzelnen auszusehen hat, richtet sich nach den
Umständen des Einzelfalls, insbesondere dem Ausmaß der
Geräuscheinwirkung, der Art des Musizierens und den örtlichen
Gegebenheiten; eine Beschränkung auf zwei bis drei Stunden an
Werktagen und ein bis zwei Stunden an Sonn- und Feiertagen,
jeweils unter Einhaltung der üblichen Ruhezeiten in der
Mittags- und Nachtzeit, kann als grober Richtwert dienen.
Die örtlichen Gegebenheiten sind ebenfalls von Bedeutung.
Können die Geräuscheinwirkungen erheblich verringert werden,
indem in geeigneten Nebenräumen musiziert wird, kann es
aufgrund nachbarlicher Rücksichtnahme geboten sein, das
Musizieren in den Hauptwohnräumen zeitlich stärker
einzuschränken; das gilt insbesondere dann, wenn auf Seiten
des Nachbarn besondere Umstände wie eine ernsthafte
Erkrankung eine gesteigerte Rücksichtnahme erfordern.
Das Musizieren in den
Hauptwohnräumen des Hauses kann aber nicht gänzlich untersagt
werden. Auch die zeitlich begrenzte Erteilung von
Musikunterricht kann je nach Ausmaß der Störung noch als
sozialadäquat anzusehen sein. Die Festlegung der
einzuhaltenden Ruhezeiten muss sich an den üblichen
Ruhezeiten orientieren; im Einzelnen haben die Gerichte einen
gewissen Gestaltungsspielraum.
Ein nahezu vollständiger Ausschluss für die Abendstunden und
das Wochenende, wie ihn das Berufungsgericht vorgesehen hat,
kommt jedoch nicht in Betracht.
Dies ließe
nämlich außer Acht, dass Berufstätige, aber auch Schüler
häufig gerade abends und am Wochenende Zeit für das
Musizieren finden. Nach alledem wird hier das Trompetenspiel
im Dachgeschoss, das nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts ausschließlich im Schlafzimmer der Kläger
leise zu vernehmen ist, zur Mittags- und Nachtzeit als
wesentlich, zu den übrigen Zeiten aber jedenfalls für etwa
drei Stunden werktäglich (und eine entsprechend geringere
Zeitspanne an Sonn- und Feiertagen) als unwesentlich
anzusehen sein. Dann stünden dem Beklagten zu 1 im
Dachgeschoss relativ großzügige Zeiträume zur Verfügung;
infolgedessen könnte das Trompetenspiel in den Haupträumen
engeren zeitlichen Grenzen unterworfen werden.
Jedenfalls insgesamt sollte das
tägliche Musizieren in dem Haus etwa drei Stunden werktags
(und eine entsprechend geringere Zeitspanne an Sonn- und
Feiertagen) nicht überschreiten. Entstehen durch den
Musikunterricht lautere oder lästigere Einwirkungen und damit
eine stärkere Beeinträchtigung der Kläger, muss dieser ggf.
auf wenige Stunden wöchentlich beschränkt werden; sofern sich
das Dachgeschoss zu der Unterrichtserteilung eignet, könnte
das Landgericht vorgeben, dass der Unterricht nur dort
stattfinden darf.
Die Sache war hinsichtlich der
Berufung des Beklagten zu 1 an das Landgericht
zurückzuverweisen, damit es Feststellungen dazu trifft,
welche Störungen durch den Musikunterricht entstehen, und
damit es die Zeiten, zu denen musiziert werden darf,
abschließend festlegen kann.
Vorinstanzen: AG
Augsburg – Urteil vom 11. Dezember 2015 – 82 C 3280/15 LG
Augsburg – Urteil vom 13. April 2017 – 72 S 4608/15 Die
maßgeblichen Vorschriften lauten: § 1065 Beeinträchtigung des
Nießbrauchsrechts Wird das Recht des Nießbrauchers
beeinträchtigt, so finden auf die Ansprüche des Nießbrauchers
die für die Ansprüche aus dem Eigentum geltenden Vorschriften
entsprechende Anwendung.
§ 1004 Beseitigungs- und
Unterlassungsanspruch (1) Wird das Eigentum in anderer
Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes
beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die
Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere
Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf
Unterlassung klagen. (2) Der Anspruch ist ausgeschlossen,
wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist. § 906 BGB
Zuführung unwägbarer Stoffe (1) Der Eigentümer eines
Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen,
Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von
einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit
nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines
Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. (…)
(2) Das Gleiche gilt insoweit, als eine wesentliche
Beeinträchtigung durch eine ortsübliche Benutzung des anderen
Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen
verhindert werden kann, die Benutzern dieser Art
wirtschaftlich zumutbar sind. (…)
Erfolgreiche
Verfassungsbeschwerden wegen Verletzung der prozessualen
Waffengleichheit in Pressesachen
Bundesverfassungsgericht, Karlsruhe 26. Oktober 2018t: Aus
dem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale
Waffengleichheit folgt, dass ein Gericht im Presse- und
Äußerungsrecht grundsätzlich vor einer stattgebenden
Entscheidung über den Antrag einer Partei der Gegenseite
Recht auf Gehör gewähren muss. Auch wenn Pressesachen häufig
eilig sind, folgt hieraus kein schutzwürdiges Interesse
daran, dass die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs
oder eines Gegendarstellungsrechts dem Antragsgegner
verborgen bleibt.
Regelmäßig besteht kein Grund, von
seiner Anhörung vor dem Erlass einer einstweiligen Verfügung
abzusehen. Mit dieser Begründung hat die 3. Kammer des Ersten
Senats mit heute veröffentlichten Beschlüssen zwei
Verfassungsbeschwerden wegen Verstoßes gegen Artikel 3 Abs. 1
in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 3 GG stattgegeben und dabei
klargestellt, dass es verfassungsrechtlich geboten ist, den
Antragsgegner vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung in
den gleichen Kenntnisstand zu versetzen wie den
Antragsteller. Insbesondere dürfen richterliche Hinweise
nicht einseitig ergehen und müssen daher auch der Gegenseite
unverzüglich gegeben werden.
Anspruch eines
Neuwagenkäufers auf Ersatzlieferung eines mangelfreien
Fahrzeugs - Urteil vom 24. Oktober 2018 -
VIII ZR 66/17 Bundesgerichtshof, Karlsruhe, den
24. Oktober 2018 - Sachverhalt und
Prozessverlauf: Der Kläger kaufte von der Beklagten zum Preis
von 38.265 € einen von dieser hergestellten Neuwagen BMW X3
xDrive20, der im September 2012 geliefert wurde. Das dem
damaligen Serienstandard entsprechende Fahrzeug ist mit einem
Schaltgetriebe sowie einer Software ausgestattet, die bei
drohender Überhitzung der Kupplung eine Warnmeldung
einblendet. Ab Januar 2013 erschien im Textdisplay des
Autoradios mehrfach eine Warnmeldung, die den Fahrer
aufforderte, das Fahrzeug vorsichtig anzuhalten, um die
Kupplung (bis zu 45 Minuten) abkühlen zu lassen. Nachdem
diese Warnmeldung auch nach mehreren Werkstattaufenthalten
des Fahrzeugs in einer Niederlassung der Beklagten wiederholt
aufgetreten war, verlangte der Kläger schließlich im Juli
2013 von der Beklagten Lieferung eines mangelfreien
Neufahrzeuges. Die Beklagte hat einen Mangel in Abrede
gestellt. Sie habe dem Kläger mehrfach mitgeteilt, dass die
Kupplung technisch einwandfrei sei und auch im Fahrbetrieb
abkühlen könne; es sei deshalb nicht notwendig, das Fahrzeug
anzuhalten, wenn die Warnmeldung der
Kupplungsüberhitzungsanzeige erscheine. Während des
anschließend geführten Rechtsstreits gab der Kläger das
streitgegenständliche Fahrzeug im Oktober 2014 im Rahmen
eines Kundendienstes in eine Werkstatt der Beklagten. Die
Beklagte behauptet, dabei sei ein zwischenzeitlich zur
Verfügung stehendes Software-Update mit einer korrigierten
Warnmeldung aufgespielt worden. Das Oberlandesgericht hat der
auf Ersatzlieferung eines entsprechenden Neufahrzeugs (Zug um
Zug gegen Rückübereignung des gelieferten Fahrzeugs)
gerichteten Klage stattgegeben. Mit der vom Oberlandesgericht
zugelassenen Revision verfolgte die Beklagte ihr
Klageabweisungsbegehren weiter.
Die
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der unter
anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat sich anhand der vorliegenden
Fallgestaltung mit mehreren, bis dahin höchstrichterlich noch
nicht entschiedenen Fragen im Zusammenhang mit dem
Sachmängelgewährleistungsanspruch des Käufers auf
(Ersatz-)Lieferung einer mangelfreien Sache gemäß § 437 Nr.
1, § 439 BGB beschäftigt. Wie das Berufungsgericht zutreffend
angenommen hat, wies das dem Kläger veräußerte Neufahrzeug
bei Übergabe im September 2012 einen Sachmangel auf. Denn
die Software der Kupplungsüberhitzungsanzeige blendete eine
Warnmeldung ein, die den Fahrer zum Anhalten aufforderte, um
die Kupplung abkühlen zu lassen, obwohl ein Anhalten
tatsächlich nicht erforderlich war. Damit eignete sich das
Fahrzeug weder für die gewöhnliche Verwendung noch wies es
eine Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art
üblich ist und die ein Käufer nach Art der Sache erwarten
kann (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB).
An dieser
Beurteilung als Sachmangel ändert es nichts, wenn - wie hier
behauptet - der Verkäufer dem Käufer mitteilt, es sei nicht
notwendig, die irreführende Warnmeldung zu beachten. Dies
gilt auch dann, wenn der Verkäufer (wie die Beklagte)
zugleich der Hersteller des Fahrzeugs ist. Weiterhin steht
dem vom Käufer wegen eines Sachmangels geltend gemachten
Anspruch auf Nacherfüllung (§ 437 Nr. 1 BGB) durch
Ersatzlieferung einer mangelfreien Sache (§ 439 Abs. 1 Alt. 2
BGB) nicht entgegen, dass er – wie vorliegend der Kläger -
gegebenenfalls zunächst die andere Art der Nacherfüllung,
nämlich die Beseitigung des Mangels (§ 439 Abs. 1 Alt. 1 BGB)
verlangt hat. Denn die Ausübung des
Nacherfüllungsanspruchs ist gesetzlich (anders als die
Ausübung des Rücktritts- oder Minderungsrechts, vgl. dazu
auch Pressemitteilung Nr. 87/2018) nicht als bindende
Gestaltungserklärung ausgeformt, so dass der Käufer nicht
daran gehindert ist, von der zunächst gewählten Art der
Nacherfüllung wieder Abstand zu nehmen. Außerdem darf ein
Käufer auch dann an seiner Wahl der Nacherfüllung durch
Ersatzlieferung festhalten, wenn der Mangel nachträglich ohne
sein Einverständnis beseitigt wird. Insoweit kommt es
somit nicht darauf an, ob die Beklagte - wie sie behauptet -
den irreführenden Warnhinweis während des Rechtsstreits durch
Aufspielen einer korrigierten Version der Software beseitigt
hat. Denn der Kläger hatte einer solchen Nachbesserung im
Rahmen der routinemäßigen Inspektion im Oktober 2014 weder
ausdrücklich noch konkludent zugestimmt. Nach § 439 Abs. 3
Satz 1 BGB (alte Fassung [aF]; nunmehr § 439 Abs. 4 Satz 1
BGB) kann der Verkäufer die vom Käufer gewählte Art der
Nacherfüllung allerdings verweigern, wenn sie nur mit
unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Die Beklagte hat
diese Einrede erhoben und meint, die vom Kläger gewählte Art
der Nacherfüllung (Lieferung eines Ersatzfahrzeugs) würde im
Vergleich zur anderen Art (Aufspielen eines Software-Update)
unverhältnismäßige Kosten verursachen.
Die damit
eingewandte sogenannte relative Unverhältnismäßigkeit
hat das Gericht aufgrund einer umfassenden
Interessenabwägung und Würdigung aller maßgeblichen Umstände
des konkreten Einzelfalls unter Berücksichtigung der in § 439
Abs. 3 Satz 2 BGB aF genannten Kriterien beurteilen. Das
Berufungsgericht hat das Vorliegen der geltend gemachten
Unverhältnismäßigkeit im vorliegenden Fall verneint. Dabei
hat es zunächst zutreffend berücksichtigt, dass vorliegend
die Kosten der Ersatzlieferung zwar deutlich höher seien als
die Kosten der Nachbesserung durch ein Software-Update, dem
Mangel aber erhebliche Bedeutung (§ 439 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2
BGB aF) zukomme, weil er die Gebrauchsfähigkeit des Fahrzeugs
spürbar einschränke.
Insoweit ist wiederum ohne
Einfluss, ob die Beklagte (wie sie behauptet), die
Einblendung der irreführenden Warnmeldung im Oktober 2014
durch das Aufspielen einer korrigierten Software beseitigt
hat. Denn für die Beurteilung der relativen
Unverhältnismäßigkeit der gewählten Art der Nacherfüllung ist
grundsätzlich der Zeitpunkt des Zugangs des
Nacherfüllungsverlangens maßgebend (hier: Juli 2013). Nicht
tragfähig ist allerdings – jedenfalls auf Grundlage der
bisher festgestellten Tatsachen – die weitere Annahme des
Berufungsgerichts, auf die andere Art der Nacherfüllung könne
nicht ohne erhebliche Nachteile für den Kläger
zurückgegriffen werden (§ 439 Abs. 3 Satz 2 Alt. 3 BGB aF).
Insoweit hat der Bundesgerichtshof zwar den
Ausgangspunkt des Berufungsgerichts gebilligt, dass der auf
Ersatzlieferung in Anspruch genommene Verkäufer den Käufer
nicht unter Ausübung der Einrede der Unverhältnismäßigkeit
auf Nachbesserung verweisen darf, wenn er den Mangel nicht
vollständig, nachhaltig und fachgerecht beseitigen kann. Ob
dies vorliegend allerdings der Fall ist, lässt sich (noch)
nicht beurteilen. Insoweit hätte das Berufungsgericht -
im Wege eines (ergänzenden) Sachverständigengutachtens - der
Behauptung der Beklagten nachgehen müssen, ob die
Warnfunktion bei Überhitzen der Kupplung durch das genannte
Software-Update tatsächlich mit einem korrigierten
Warnhinweis verknüpft wird und nicht – wie es das
Berufungsgericht für möglich gehalten hat - schlicht
abgestellt worden ist. Wegen dieses Verfahrensfehlers hat der
Senat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
zurückverwiesen.
Vorinstanzen: Landgericht
Nürnberg-Fürth - Urteil vom 30. Dezember 2015 - 9 O 8893/13
Oberlandesgericht Nürnberg - Urteil vom 20. Februar 2017 - 14
U 199/16 Die maßgeblichen Vorschriften lauten: § 434 BGB
Sachmangel (1) 1. Die Sache ist frei von Sachmängeln,
wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit
hat. 2. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist,
ist die Sache frei von Sachmängeln, […] 2. wenn sie sich für
die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit
aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die
der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. […] § 437
BGB Rechte des Käufers bei Mängeln Ist die Sache mangelhaft,
kann der Käufer, wenn die Voraussetzungen der folgenden
Vorschriften vorliegen und soweit nicht ein anderes bestimmt
ist, 1. nach § 439 Nacherfüllung verlangen, […] § 439 BGB
Nacherfüllung (in der bis zum 31. Dezember 2017 gültigen
Fassung) (1) Der Käufer kann als Nacherfüllung nach
seiner Wahl die Beseitigung des Mangels oder die Lieferung
einer mangelfreien Sache verlangen. […]
(3) 1Der
Verkäufer kann die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung
[…] verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten
möglich ist. 2Dabei sind insbesondere der Wert der Sache in
mangelfreiem Zustand, die Bedeutung des Mangels und die Frage
zu berücksichtigen, ob auf die andere Art der Nacherfüllung
ohne erhebliche Nachteile für den Käufer zurückgegriffen
werden könnte. 3Der Anspruch des Käufers beschränkt sich in
diesem Fall auf die andere Art der Nacherfüllung; das Recht
des Verkäufers, auch diese unter den Voraussetzungen des
Satzes 1 zu verweigern, bleibt unberührt. (4) Liefert der
Verkäufer zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie
Sache, so kann er vom Käufer Rückgewähr der mangelhaften
Sache nach Maßgabe der §§ 346 bis 348 verlangen.
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September |
Vorschriften über den Zensus 2011
verfassungsgemäß 19. September 2018 - Das
Bundesverfassungsgericht hat eine neue Pressemitteilung
veröffentlicht. Hierzu lautet der Kurztext: Die angegriffenen
Vorschriften, die die Vorbereitung und Durchführung der zum
Stand vom 9. Mai 2011 erhobenen Bevölkerungs‑, Gebäude- und
Wohnungszählung (Zensus 2011) zum Gegenstand haben, sind mit
der Verfassung vereinbar. Sie verstoßen nicht gegen die
Pflicht zur realitätsnahen Ermittlung der Einwohnerzahlen der
Länder und widersprechen insbesondere nicht dem
Wesentlichkeitsgebot, dem Bestimmtheitsgebot oder dem Recht
auf informationelle Selbstbestimmung. Auch ein Verstoß gegen
das Gebot föderativer Gleichbehandlung liegt nicht vor, da
die Ungleichbehandlung von Gemeinden mit weniger als 10.000
Einwohnern gerechtfertigt ist, weil sie aus sachlichen
Gründen erfolgte und zu hinreichend vergleichbaren
Ergebnissen zu kommen versprach.
Dies hat der Zweite
Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom heutigen
Tage auf Anträge der Senate von Berlin und Hamburg im
Verfahren der abstrakten Normenkontrolle hin entschieden und
zur Begründung insbesondere auf den Prognose-, Gestaltungs-
und Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers bei der Regelung
des Erhebungsverfahrens verwiesen.
Bundesgerichtshof legt dem
Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Haftung von
YouTube für Urheberrechtsverletzungen vor
Beschluss vom 13. September 2018 - I ZR 140/15 - YouTube
Karlsruhe, 13. September 2018 - Der unter
anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat dem Gerichtshof der Europäischen Union
Fragen zur Haftung des Betreibers der Internetvideoplattform
YouTube für von Dritten hochgeladene urheberrechtsverletzende
Inhalte vorgelegt. Der Kläger ist Musikproduzent. Er hat
mit der Sängerin Sarah Brightman im Jahr 1996 einen
Künstlerexklusivvertrag geschlossen, der ihn zur Auswertung
von Aufnahmen ihrer Darbietungen berechtigt. Im November 2008
erschien das Studioalbum "A Winter Symphony" mit von der
Sängerin interpretierten Musikwerken. Zugleich begann die
Künstlerin die Konzerttournee "Symphony Tour", auf der sie
die auf dem Album aufgenommenen Werke darbot. Der Kläger
behauptet, er habe dieses Album produziert.
Die
Beklagte zu 3, die YouTube LLC, betreibt die
Internetplattform "YouTube", auf die Nutzer kostenlos
audiovisuelle Beiträge einstellen und anderen Internetnutzern
zugänglich machen können. Die Beklagte zu 1, die Google Inc.,
ist alleinige Gesellschafterin der Beklagten zu 3. Anfang
November 2008 waren bei "YouTube" Videos mit Musikwerken aus
dem Repertoire von Sarah Brightman eingestellt, darunter
private Konzertmitschnitte und Musikwerke aus ihren Alben.
Der Kläger wandte sich mit anwaltlichem Schreiben an
eine Schwestergesellschaft der Beklagten zu 3, mit dem er die
Schwestergesellschaft und die Beklagte zu 1 aufforderte,
strafbewehrte Erklärungen abzugeben, es zukünftig zu
unterlassen, Tonaufnahmen oder Musikwerke aus seinem
Repertoire zu vervielfältigen oder öffentlich zugänglich zu
machen. Die Schwestergesellschaft leitete das Schreiben
an die Beklagte zu 3 weiter. Diese sperrte jedenfalls einen
Teil der Videos. Am 19. November 2008 waren bei "YouTube"
erneut Videos abrufbar. Der Kläger hat die Beklagten auf
Unterlassung, Auskunftserteilung und Feststellung ihrer
Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen. Das Landgericht
hat der Klage hinsichtlich dreier Musiktitel stattgegeben und
sie im Übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die
Beklagten verurteilt, es zu unterlassen, Dritten in Bezug auf
sieben näher bezeichnete Musiktitel zu ermöglichen,
Tonaufnahmen oder Darbietungen der Künstlerin Sarah Brightman
aus dem Studioalbum "A Winter Symphony" öffentlich zugänglich
zu machen. Ferner hat es die Beklagten zur Erteilung der
begehrten Auskunft über die Nutzer der Plattform verurteilt,
die diese Musiktitel unter Pseudonymen auf das Internetportal
hochgeladen haben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Der Kläger verfolgt mit seiner Revision seine
Klageanträge weiter. Die Beklagten erstreben mit ihrer
Revision die vollständige Abweisung der Klage. Der
Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem
Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung der
Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte
des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der
Informationsgesellschaft, der Richtlinie 2000/31/EG über den
elektronischen Geschäftsverkehrs und der Richtlinie
2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen
Eigentums vorgelegt.
Nach Ansicht des
Bundesgerichtshofs stellt sich die Frage, ob der Betreiber
einer Internetvideoplattform, auf der Nutzer Videos mit
urheberrechtlich geschützten Inhalten ohne Zustimmung der
Rechtsinhaber öffentlich zugänglich machen, eine Handlung der
Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie
2001/29/EG vornimmt, wenn - er mit der Plattform
Werbeeinnahmen erzielt, der Vorgang des Hochladens
automatisch und ohne vorherige Ansicht oder Kontrolle durch
den Betreiber erfolgt, - der Betreiber nach den
Nutzungsbedingungen für die Dauer der Einstellung des Videos
eine weltweite, nicht-exklusive und gebührenfreie Lizenz an
den Videos erhält, - der Betreiber in den Nutzungsbedingungen
und im Rahmen des Hochladevorgangs darauf hinweist, dass
urheberrechtsverletzende Inhalte nicht eingestellt werden
dürfen, - der Betreiber Hilfsmittel zur Verfügung stellt, mit
deren Hilfe Rechtsinhaber auf die Sperrung rechtsverletzender
Videos hinwirken können, - der Betreiber auf der Plattform
eine Aufbereitung der Suchergebnisse in Form von Ranglisten
und inhaltlichen Rubriken vornimmt und registrierten Nutzern
eine an von diesen bereits angesehenen Videos orientierte
Übersicht mit empfohlenen Videos anzeigen lässt, sofern er
keine konkrete Kenntnis von der Verfügbarkeit
urheberrechtsverletzender Inhalte hat oder nach Erlangung der
Kenntnis diese Inhalte unverzüglich löscht oder unverzüglich
den Zugang zu ihnen sperrt. Mit weiteren Vorlagefragen möchte
der Bundesgerichtshof wissen, ob die Tätigkeit des Betreibers
einer solchen Internetvideoplattform in den Anwendungsbereich
von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG fällt und ob
sich die in dieser Vorschrift genannte tatsächliche Kenntnis
von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information und das
Bewusstsein der Tatsachen oder Umstände, aus denen die
rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird,
auf konkrete rechtswidrige Tätigkeiten oder Informationen
beziehen muss.
Weiter fragt der Bundesgerichtshof
danach, ob es mit Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG
vereinbar ist, wenn der Rechtsinhaber gegen einen
Diensteanbieter, dessen Dienst in der Speicherung von durch
einen Nutzer eingegebenen Informationen besteht und von einem
Nutzer zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter
Schutzrechte genutzt worden ist, eine gerichtliche Anordnung
erst dann erlangen kann, wenn es nach einem Hinweis auf eine
klare Rechtsverletzung erneut zu einer derartigen
Rechtsverletzung gekommen ist.
Für den Fall, dass die
vorgenannten Fragen verneint werden, fragt der
Bundesgerichtshof schließlich danach, ob der Betreiber einer
Internetvideoplattform unter den in der ersten Frage
beschriebenen Umständen als Verletzer im Sinne von Art. 11
Satz 1 und Art. 13 der Richtlinie 2004/48/EG anzusehen ist
und ob die Verpflichtung eines solchen Verletzers zur
Leistung von Schadensersatz nach Art. 13 Abs. 1 der
Richtlinie 2004/48/EG davon abhängig gemacht werden darf,
dass der Verletzer sowohl in Bezug auf seine eigene
Verletzungshandlung als auch in Bezug auf die
Verletzungshandlung des Dritten vorsätzlich gehandelt hat und
wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass
Nutzer die Plattform für konkrete Rechtsverletzungen nutzen.
Vorinstanzen: LG Hamburg - Urteil vom 3. September 2010 - 308
O 27/09 OLG Hamburg - Urteil vom 1. Juli 2015 - 5 U 175/10
Die maßgeblichen Vorschriften lauten: Art. 3 Abs. 1 der
Richtlinie 2001/29/EG Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass
den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die
drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer
Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der
Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit
von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu
erlauben oder zu verbieten. Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie
2000/31/EG Die Mitgliedstaaten stellen sicher, daß im Fall
eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der in der
Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen
besteht, der Diensteanbieter nicht für die im Auftrag eines
Nutzers gespeicherten Informationen verantwortlich ist,
sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind: a) Der Anbieter
hat keine tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen
Tätigkeit oder Information, und, in bezug auf
Schadenersatzansprüche, ist er sich auch keiner Tatsachen
oder Umstände bewußt, aus denen die rechtswidrige Tätigkeit
oder Information offensichtlich wird, oder b) der Anbieter
wird, sobald er diese Kenntnis oder dieses Bewußtsein
erlangt, unverzüglich tätig, um die Information zu entfernen
oder den Zugang zu ihr zu sperren. Art. 8 Abs. 3 der
Richtlinie 2001/29/EG
Die Mitgliedstaaten stellen
sicher, dass die Rechtsinhaber gerichtliche Anordnungen gegen
Vermittler beantragen können, deren Dienste von einem Dritten
zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter
Schutzrechte genutzt werden. Art. 11 Satz 1 der Richtlinie
2004/48/EG Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die
zuständigen Gerichte bei Feststellung einer Verletzung eines
Rechts des geistigen Eigentums eine Anordnung gegen den
Verletzer erlassen können, die ihm die weitere Verletzung des
betreffenden Rechts untersagt. Art. 13 der Richtlinie
2004/48/EG (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass
die zuständigen Gerichte auf Antrag der geschädigten Partei
anordnen, dass der Verletzer, der wusste oder
vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine
Verletzungshandlung vornahm, dem Rechtsinhaber zum Ausgleich
des von diesem wegen der Rechtsverletzung erlittenen
tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz zu leisten
hat. Bei der Festsetzung des Schadensersatzes verfahren die
Gerichte wie folgt: a) Sie berücksichtigen alle in Frage
kommenden Aspekte, wie die negativen wirtschaftlichen
Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die
geschädigte Partei und der zu Unrecht erzielten Gewinne des
Verletzers, sowie in geeigneten Fällen auch andere als die
rein wirtschaftlichen Faktoren, wie den immateriellen Schaden
für den Rechtsinhaber, oder b) sie können stattdessen in
geeigneten Fällen den Schadensersatz als Pauschalbetrag
festsetzen, und zwar auf der Grundlage von Faktoren wie
mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der
Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur
Nutzung des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums
eingeholt hätte. (2) Für Fälle, in denen der
Verletzer eine Verletzungshandlung vorgenommen hat, ohne dass
er dies wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen,
können die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vorsehen, dass die
Gerichte die Herausgabe der Gewinne oder die Zahlung von
Schadensersatz anordnen, dessen Höhe im Voraus festgesetzt
werden kann.
Europäischer Gerichtshof:
Die Vermarktung von SIM-Karten,
die kostenpflichtige vorinstallierte und –aktivierte Dienste
enthalten, stellt eine aggressive unlautere Geschäftspraxis
dar, wenn der Verbraucher zuvor nicht entsprechend aufgeklärt
wurde Luxemburg, 13. September 2018 -
Solch ein Verhalten stellt insbesondere eine
„Lieferung unbestellter Waren oder Dienstleistungen“ dar, das
von einer anderen nationalen Behörde sanktioniert werden kann
als der, die im Unionsrecht auf dem Gebiet der elektronischen
Kommunikation vorgesehen ist
2012 verhängte die
Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato
(Italienische Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde, im
Folgenden: AGCM) Geldbußen gegen Wind Telecomunicazioni
(jetzt Wind Tre) und Vodafone Omnitel (jetzt Vodafone
Italia), da diese Unternehmen SIM-Karten (Subscriber Identity
Module) vermarktet hatten, auf denen Internetzugangs- und
Mailbox-Dienste vorinstalliert und –aktiviert waren, deren
Kosten dem Benutzer in Rechnung gestellt wurden, wenn er
nicht ausdrücklich ihre Abschaltung verlangt hatte. Die
AGCM warf den beiden Unternehmen vor, die Verbraucher nicht
zuvor angemessen darüber informiert zu haben, dass diese
Dienste vorinstalliert und –aktiviert sowie kostenpflichtig
waren. Die Dienste für den Internetzugang konnten sogar, u.
a. durch so genannte „Always-on“(ständig
verbunden)-Anwendungen, vom Nutzer unbemerkt zu Verbindungen
führen.
Das von Wind Tre und Vodafone Italia
angerufene Tribunale amministrativo regionale per il Lazio
(Verwaltungsgericht für die Region Lazio, Italien) erklärte
die Entscheidungen der AGCM für nichtig und stellte fest, für
die Sanktionen sei eine andere Behörde, die Autorità per le
Garanzie nelle Comunicazioni
(Kommunikationsregulierungsbehörde, im Folgenden: AGCom),
zuständig.
Der mit diesen Rechtssachen im
Rechtsmittelverfahren befasste Consiglio di Stato (Staatsrat,
Italien) legte seinem Plenarsenat Fragen zur
Vorabentscheidung vor. Mit Urteilen aus dem Jahr 2016
entschied dieser zunächst, nach italienischem Recht liege die
Zuständigkeit für die Sanktionierung einer einfachen
Verletzung der Informationspflicht auf dem Sektor der
elektronischen Kommunikation bei der AGCom, wohingegen für
die Sanktionierung einer „unter allen Umständen aggressiven
Geschäftspraktik“ (wie insbesondere die „Lieferung einer
unbestellten Ware oder Dienstleistung“) – einschließlich auf
dem Sektor der elektronischen Kommunikation – die AGCM
zuständig sei.
Der Consiglio di Stato stellt
allerdings in Frage, ob die vom Plenarsenat vorgenommene
Auslegung mit Unionsrecht vereinbar ist. Deshalb hat er
entschieden, Vorabentscheidungsfragen zu stellen, und zwar
zur Auslegung zum einen der Richtlinie über unlautere
Geschäftspraktiken (deren Ziel die Gewährleistung eines hohen
Schutzes aller Verbraucher ist) und zum anderen des
Unionsrechts auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation
berücksichtigte das Vertragsverletzungsverfahren, das die
Europäische Kommission wegen der auf dem Sektor der
elektronischen Kommunikation fehlenden Umsetzung der
Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken gegen die
Italienische Republik eingeleitet hatte.
2 Richtlinie
2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.
Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen
gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der
Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG,
98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des
Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über
unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. 2005, L 149, S. 22,
Berichtigung ABl. 2009, L 253, S. 18).
Rahmenrichtlinie3 und der Universaldienstrichtlinie4, die die
Verfügbarkeit hochwertiger, öffentlich zugänglicher Dienste
durch wirksamen Wettbewerb und Angebotsvielfalt gewährleisten
sollen, indem die nationalen Regulierungsbehörden [im
Folgenden: NRB] – in Italien die AGCom – mit der Aufgabe
betraut werden, eine hohes Verbraucherschutzniveau speziell
auf dem Sektor der elektronischen Kommunikation zu
gewährleisten). Insbesondere möchte der Consiglio di
Stato vom Gerichtshof wissen, ob das fragliche Verhalten der
Telefonanbieter als „Lieferung einer unbestellten Ware oder
Dienstleistung“ oder allgemeiner als „aggressive
Geschäftspraxis“ im Sinne der Richtlinie über unlautere
Geschäftspraktiken eingeordnet werden kann und ob das
Unionsrecht auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation
einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach die
„Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung“ unter
die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken fällt, so
dass die NRB für die Sanktionierung eines solches Verhaltens
nicht zuständig ist.
Mit seinem heutigen
Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass die Inanspruchnahme
eines Dienstes eine freie Entscheidung des Verbrauchers
darstellen muss. Wurde der Verbraucher jedoch
weder über die Kosten der Dienste noch über ihre
Vorinstallation und -aktivierung auf der von ihm gekauften
SIM-Karte aufgeklärt (dies zu prüfen obliegt dem nationalen
Gericht), dann beruht die Erbringung dieser Dienste nicht auf
seiner freien Entscheidung. Insoweit ist es unerheblich, dass
für die Benutzung der Dienste in bestimmten Fällen
möglicherweise eine bewusste Handlung des Verbrauchers
notwendig war. Auch ist es unerheblich, wenn der Verbraucher
die Möglichkeit hatte, diese Dienste abschalten zu lassen
oder selbst abzuschalten, da er zuvor nicht über darüber
aufgeklärt wurde, dass es diese Dienste gibt. Der
Gerichtshof stellt fest, dass es, auch wenn es Sache des
nationalen Gerichts ist, die typische Reaktion des
Durchschnittsverbrauchers zu ermitteln, nicht offensichtlich
ist, dass der durchschnittliche Käufer einer SIM-Karte sich
dessen bewusst wäre, dass sie vorinstallierte und -aktivierte
Dienste enthält, die zusätzliche Kosten verursachen können,
oder dessen, dass Anwendungen oder das Gerät selbst sich von
ihm unbemerkt mit dem Internet verbinden können, noch, dass
er über ausreichendes technisches Können verfügen würde, um
diese Dienste oder automatischen Verbindungen auf seinem
Gerät abzuschalten.
Der Gerichtshof kommt deshalb zum
Ergebnis, dass vorbehaltlich der Prüfung durch das nationale
Gericht ein Verhalten wie das den betreffenden
Telefonanbietern vorgeworfene die „Lieferung einer
unbestellten Ware oder Dienstleistung“ und somit nach der
Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken eine unter allen
Umständen unlautere Praktik – genauer eine aggressive Praktik
– darstellt.
Außerdem stellt der Gerichtshof fest,
dass im Hinblick auf die Rechte der Endnutzer die Richtlinie
über unlautere Geschäftspraktiken nicht mit der
Universaldienstrichtlinie kollidiert. Letztere legt den
Anbietern elektronischer Kommunikationsdienste nämlich die
Pflicht auf, im Vertrag bestimmte Informationen mitzuteilen,
während erstere besondere Aspekte unlauterer
Geschäftspraktiken wie die „Lieferung einer unbestellten Ware
oder Dienstleistung“ regelt. Somit steht das Unionsrecht
einer nationalen Regelung nicht entgegen, wonach die
„Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung“ am
Maßstab der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken zu
prüfen ist, so dass nach ihren Regelungen die NRB im Sinne
der Rahmenrichtlinie für die Sanktionierung eines solchen
Verhaltens nicht zuständig ist.
Die
Kündigung eines katholischen Chefarztes durch ein
katholisches Krankenhaus wegen erneuter Eheschließung nach
Scheidung kann eine verbotene Diskriminierung wegen der
Religion darstellen Luxemburg. 11.
September 2018 - Die Anforderung an einen katholischen
Chefarzt, den heiligen und unauflöslichen Charakter der Ehe
nach dem Verständnis der katholischen Kirche zu beachten,
erscheint nicht als wesentliche, rechtmäßige und
gerechtfertigte berufliche Anforderung, worüber im
vorliegenden Fall jedoch das deutsche Bundesarbeitsgericht zu
befinden hat.
JQ ist katholischer Konfession und
arbeitete als Chefarzt der Abteilung „Innere Medizin“ eines
Krankenhauses, das von IR, einer der Aufsicht des
katholischen Erzbischofs von Köln (Deutschland)
unterliegenden deutschen Gesellschaft mit beschränkter
Haftung betrieben wird. Als IR erfuhr, dass JQ nach der
Scheidung von seiner ersten Ehefrau, mit der er nach
katholischem Ritus verheiratet war, erneut standesamtlich
geheiratet hatte, ohne dass seine erste Ehe für nichtig
erklärt worden wäre, kündigte sie ihm. Ihrer Ansicht nach hat
JQ durch Eingehung einer nach kanonischem Recht ungültigen
Ehe in erheblicher Weise gegen seine Loyalitätsobliegenheiten
aus seinem Dienstvertrag verstoßen. Der Dienstvertrag
verweist auf die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im
Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrO 1993)1, die
vorsieht, dass die Eingehung einer nach kanonischem Recht
ungültigen Ehe durch einen leitend tätigen katholischen
Beschäftigten einen schwerwiegenden Verstoß gegen seine
Loyalitätsobliegenheiten darstellt und seine Kündigung
rechtfertigt. Nach dem Ethos der katholischen Kirche hat die
kirchliche Eheschließung einen heiligen und unauflöslichen
Charakter. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass
das deutsche Grundgesetz Kirchen und alle ihnen zugeordneten
Einrichtungen ein Selbstbestimmungsrecht verleiht, das es
ihnen erlaubt, ihre Angelegenheiten innerhalb bestimmter
Grenzen selbständig zu verwalten. JQ hat hiergegen die
deutschen Arbeitsgerichte angerufen und geltend gemacht, dass
seine erneute Eheschließung kein gültiger Kündigungsgrund
sei. Die Kündigung verstoße gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz, da nach der GrO 1993 die
Wiederheirat eines evangelischen oder konfessionslosen
Chefarztes der Abteilung keine Folgen für dessen
Arbeitsverhältnis mit IR gehabt hätte. In diesem
Kontext ersucht das Bundesarbeitsgericht (Deutschland) den
Gerichtshof um Auslegung der Gleichbehandlungsrichtlinie2,
nach der es grundsätzlich verboten ist, einen Arbeitnehmer
wegen seiner Religion oder seiner Weltanschauung zu
diskriminieren, es Kirchen und anderen Organisationen, deren
Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen
beruht, aber unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist,
von ihren Beschäftigten zu verlangen, dass sie sich loyal und
aufrichtig im Sinne dieses Ethos verhalten.
1
Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher
Arbeitsverhältnisse vom 22. September 1993 (Amtsblatt des
Erzbistums Köln, S. 222). 2 Richtlinie 2000/78/EG des Rates
vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen
Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in
Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).
Mit seinem heutigen Urteil
stellt der Gerichtshof fest, dass der Beschluss
einer Kirche oder einer anderen Organisation, deren Ethos auf
religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht und die
eine (in Form einer privatrechtlichen Kapitalgesellschaft
gegründete) Klinik betreibt, an ihre leitend tätigen
Beschäftigten je nach deren Konfession oder
Konfessionslosigkeit unterschiedliche Anforderungen an das
loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne dieses Ethos zu
stellen, Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle
sein können muss. Bei dieser Kontrolle muss das nationale
Gericht sicherstellen, dass die Religion oder die
Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden
beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine
wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche
Anforderung angesichts des fraglichen Ethos ist. Im
vorliegenden Fall hat das Bundesarbeitsgericht zu prüfen, ob
diese Voraussetzungen erfüllt sind. Gleichwohl weist der
Gerichtshof darauf hin, dass die Akzeptanz des von der
katholischen Kirche befürworteten Eheverständnisses wegen der
Bedeutung der von JQ ausgeübten beruflichen Tätigkeiten,
nämlich Beratung und medizinische Pflege in einem Krankenhaus
und Leitung der Abteilung „Innere Medizin“ als Chefarzt, für
die Bekundung des Ethos von IR nicht notwendig zu sein
scheint. Sie scheint somit keine wesentliche Anforderung der
beruflichen Tätigkeit zu sein, was dadurch erhärtet wird,
dass ähnliche Stellen Beschäftigten anvertraut wurden, die
nicht katholischer Konfession sind und folglich nicht
derselben Anforderung, sich loyal und aufrichtig im Sinne des
Ethos von IR zu verhalten, unterworfen waren.
Der
Gerichtshof stellt ferner fest, dass in Anbetracht der ihm
vorgelegten Akte die in Rede stehende Anforderung nicht als
gerechtfertigt erscheint. Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch
zu prüfen, ob in Anbetracht der Umstände des vorliegenden
Falls IR dargetan hat, dass die Gefahr einer Beeinträchtigung
ihres Ethos oder ihres Rechts auf Autonomie wahrscheinlich
und erheblich ist. Zu der Problematik, dass eine
Unionsrichtlinie grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung
zwischen Privatpersonen hat, sondern einer Umsetzung in
nationales Recht bedarf, weist der Gerichtshof darauf hin,
dass die nationalen Gerichte das nationale Recht zur
Umsetzung der Richtlinie so weit wie möglich
richtlinienkonform auszulegen haben. Falls es nicht
möglich sein sollte, das anwendbare nationale Recht
(hier das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz)
im Einklang mit der Gleichbehandlungsrichtlinie in der
Auslegung des Gerichtshofs in seinem heutigen Urteil
auszulegen, stellt der Gerichtshof klar, dass ein nationales
Gericht, bei dem ein Rechtsstreits zwischen Privatpersonen
anhängig ist, das nationale Recht unangewendet zu lassen hat.
Der Gerichtshof stellt insoweit fest, dass das nunmehr in
der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
niedergelegte Verbot jeder Art von Diskriminierung wegen der
Religion oder der Weltanschauung als allgemeiner Grundsatz
des Unionsrechts zwingenden Charakter hat und schon für sich
allein dem Einzelnen ein Recht verleiht, das er in einem
Rechtsstreit, der einen vom Unionsrecht erfassten Bereich
betrifft, als solches geltend machen kann.
|
August 2018 |
Formularmäßige Übertragung
der Schönheitsreparaturen bei unrenoviert übergebener
Wohnung auch bei Renovierungsvereinbarung" zwischen
Mieter und Vormieter unwirksam
Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Urteil vom 22. August
2018 - VIII ZR 277/16
Sachverhalt und
Prozessverlauf: Der Beklagte war von Januar 2009 bis
Ende Februar 2014 Mieter einer Wohnung der Klägerin,
die ihm bei Mietbeginn in nicht renoviertem Zustand
und mit Gebrauchsspuren der Vormieterin übergeben
worden war. Der von der Klägerin verwendete
Formularmietvertrag sah vor, dass die
Schönheitsreparaturen dem Mieter oblagen. Am Ende
der Mietzeit führte der Beklagte
Schönheitsreparaturen durch, die die Klägerin als
mangelhaft ansah und deshalb durch einen Malerbetrieb
zu Kosten von 799,89 € nacharbeiten ließ. Wegen
dieses Betrages begehrt die Klägerin – unter
Verrechnung anderer zwischen den Parteien geltend
gemachten Forderungen – Schadensersatz wegen nicht
beziehungsweise mangelhaft durchgeführter
Schönheitsreparaturen.
Der Beklagte hat sich
auf die Rechtsprechung des Senats (vgl. etwa Urteil
vom 18. März 2015 - VIII ZR 185/14; Pressemitteilung
Nr. 39/2015) berufen, wonach eine Formularklausel,
die dem Mieter einer unrenoviert oder
renovierungsbedürftig übergebenen Wohnung die
Schönheitsreparaturen ohne angemessenen Ausgleich
auferlegt, gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1
BGB unwirksam ist.
Die Klägerin war
demgegenüber der Auffassung, diese Rechtsprechung
könne hier mit Rücksicht auf eine zwischen dem
Beklagten und der Vormieterin im Jahr 2008 getroffene
"Renovierungsvereinbarung" keine Anwendung finden. In
dieser Vereinbarung hatte der Beklagte von der
Vormieterin einige Gegenstände übernommen, sich zur
Zahlung eines nicht näher festgestellten Geldbetrages
verpflichtet und sich zur Übernahme der
Renovierungsarbeiten bereit erklärt. Die Klage hat in
den Vorinstanzen Erfolg gehabt.
Dabei hat das
Berufungsgericht seine Entscheidung auf die Erwägung
gestützt, angesichts der Vereinbarung zwischen dem
Beklagten und der Vormieterin sei es
interessengerecht, den Beklagten so zu behandeln, als
habe ihm die Klägerin die Mietsache im renovierten
Zustand übergeben. Mit der vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision verfolgte der Beklagte (unter
anderem) sein Klageabweisungsbegehren weiter.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der
unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige
VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das
Berufungsurteil aufgehoben und entschieden, dass eine
Formularklausel, die dem Mieter einer unrenoviert
oder renovierungsbedürftig übergebenen Wohnung die
Schönheitsreparaturen ohne angemessenen Ausgleich
auferlegt auch dann unwirksam ist, wenn der Mieter
sich durch zweiseitige Vereinbarung gegenüber dem
Vormieter verpflichtet hat, Renovierungsarbeiten in
der Wohnung vorzunehmen.
Nach der
Rechtsprechung des Senats hält die
formularvertragliche Überwälzung der nach der
gesetzlichen Regelung (§ 535 Abs. 1 Satz 2 BGB) den
Vermieter treffenden Verpflichtung zur Vornahme
laufender Schönheitsreparaturen im Falle einer dem
Mieter unrenoviert oder renovierungsbedürftig
überlassenen Wohnung der Inhaltskontrolle am Maßstab
des § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht
stand, sofern der Vermieter dem Mieter keinen
angemessenen Ausgleich gewährt, der ihn so stellt,
als habe der Vermieter ihm eine renovierte Wohnung
überlassen. Denn eine solche Vornahmeklausel
verpflichtet den Mieter zur Beseitigung sämtlicher
Gebrauchsspuren des Vormieters und führt dazu, dass
der Mieter die Wohnung vorzeitig renovieren oder
gegebenenfalls in einem besseren Zustand zurückgeben
müsste, als er sie selbst vom Vermieter erhalten hat.
Diese Grundsätze bleiben auch dann anwendbar,
wenn der betreffende Mieter sich wie hier durch
zweiseitige Vereinbarung gegenüber seinem Vormieter
zur Vornahme von Renovierungsarbeiten in der
Mietwohnung verpflichtet hat. Denn eine derartige
Vereinbarung ist in ihren Wirkungen von vornherein
auf die sie treffenden Parteien, also den Mieter und
den Vormieter, beschränkt. Sie vermag deshalb keinen
Einfluss auf die Wirksamkeit der im Mietvertrag
zwischen Vermieter und neuem Mieter enthaltenen
Verpflichtungen zu nehmen; insbesondere nicht
dergestalt, dass der Vermieter so gestellt würde, als
hätte er dem neuen Mieter eine renovierte Wohnung
übergeben.
Die maßgeblichen Vorschriften
lauten: § 307 BGB Inhaltskontrolle (1) 1Bestimmungen
in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam,
wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen
den Geboten von Treu und Glauben unangemessen
benachteiligen. […] (2) Eine unangemessene
Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine
Bestimmung 1. mit wesentlichen Grundgedanken der
gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht
zu vereinbaren ist […] § 535 BGB Inhalt und
Hauptpflichten des Mietvertrags (1) […] 2 Der
Vermieter hat die Mietsache dem Mieter in einem zum
vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu
überlassen und sie während der Mietzeit in diesem
Zustand zu erhalten. […] Vorinstanzen: Amtsgericht
Celle – Urteil vom 25. Mai 2016 – 14 C 1146/14
Landgericht Lüneburg – Urteil vom 16. November 2016 –
6 S 58/16 Karlsruhe, den 22. August 2018
Gesetzliche Unfallversicherung: Kein
Versicherungsschutz für Kind bei Betreuung durch
Großmutter - Sozialversicherungsrecht
|
In vielen
Familien passen regelmäßig auch Verwandte wie zum
Beispiel die Großeltern auf die Kinder auf. Erleidet
ein Kind während dieser Betreuung einen Unfall, zahlt
die gesetzliche Unfallversicherung nicht. Gesetzlich
unfallversichert sind Kinder nur bei einer staatlich
organisierten oder vermittelten Betreuung. Dies hat
laut D.A.S. Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S.
Leistungsservice) das Bundessozialgericht
entschieden.
|
BSG, Az. B 2
U 2/17 R
|
|
Hintergrundinformation:
|
Die
Großeltern spielen in vielen Familien eine wichtige
Rolle bei der Betreuung von Kindern. Haben die Eltern
keine Zeit, etwa weil sie arbeiten müssen, kümmern
sich oft Oma und Opa um den Nachwuchs. Doch wie sieht
es mit dem Unfallschutz aus, wenn sich ein Kind in
der Obhut der Großeltern verletzt? Passiert ein
Unfall während der Tagespflege in einer staatlich
anerkannten Kindertagesstätte, sind Kinder durch die
gesetzliche Unfallversicherung geschützt. Genauso ist
es laut Gesetz bei der Betreuung durch „geeignete
Tagespflegepersonen”. Gelten auch die Großeltern als
„geeignet?”
Der Fall:
Eine Großmutter hatte regelmäßig ihre beiden
Enkelkinder, einen Jungen und ein Mädchen, betreut.
Die Kinder blieben oft tagsüber bei ihr und
übernachteten manchmal auch dort. Eines Tages stürzte
der einjährige Junge in den Swimmingpool auf dem
Grundstück der Großmutter. Nach seiner Rettung
blieben durch den Sauerstoffmangel Hirnschäden
zurück, die unter anderem zu einer Epilepsie führten.
Der Junge ist damit auf Dauer schwerbehindert.
Die Großmutter versuchte nun durchzusetzen, dass die
gesetzliche Unfallversicherung den Unfall als
Versicherungsfall anerkennt und entsprechend zahlt.
Sie war der Ansicht, dass sie selbst auch als
„geeignete Tagespflegeperson” anzusehen sei. Daher
müssten die Kinder während ihrer Betreuung gesetzlich
unfallversichert sein.
Das Urteil:
Das Bundessozialgericht war anderer Ansicht. Nach
Informationen des D.A.S. Leistungsservice erläuterte
das Gericht, dass eine rein private Betreuung ohne
staatliche Beteiligung nicht unter den Schutz der
gesetzlichen Unfallversicherung falle. Unter
„geeignete Tagespflegepersonen” seien nur Personen zu
verstehen, die beim Jugendamt registriert seien, die
eine entsprechende Eignung nachgewiesen hätten und
die das Jugendamt vermittelt habe. Hier musste die
gesetzliche Unfallversicherung daher keine Leistungen
für das verletzte Kind erbringen.
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Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Juni 2018, Az. B
2 U 2/17 R
|
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Juli 2018 |
Zur Haftung des Anschlussinhabers für
Urheberrechtsverletzungen über ungesichertes WLAN
- I ZR 64/17 - Dead Island
Karlsruhe, den 26. Juli 2018 - Urteil vom 26. Juli 2018
Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass
der Betreiber eines Internetzugangs über WLAN und eines
Tor-Exit-Nodes nach der seit dem 13. Oktober 2017
geltenden Neufassung des § 8 Abs. 1 Satz 2 des
Telemediengesetzes (TMG)* zwar nicht als Störer für von
Dritten über seinen Internetanschluss im Wege des
Filesharings begangene Urheberrechtsverletzungen auf
Unterlassung haftet. Jedoch kommt ein Sperranspruch
des Rechtsinhabers gemäß § 7 Abs. 4 TMG nF in Betracht.
Sachverhalt: Die Klägerin ist Inhaberin der
ausschließlichen Nutzungsrechte an dem Computerspiel
"Dead Island".
Der Beklagte unterhält einen
Internetanschluss. Am 6. Januar 2013 wurde das Programm
"Dead Island" über den Internetanschluss des Beklagten in
einer Internet-Tauschbörse zum Herunterladen angeboten.
Die Klägerin mahnte den Beklagten im März 2013 ab und
forderte ihn zur Abgabe einer strafbewehrten
Unterlassungserklärung auf. Zuvor hatte die Klägerin den
Beklagten zweimal wegen im Jahr 2011 über seinen
Internetanschluss begangener, auf andere Werke bezogener
Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing anwaltlich
abgemahnt.
Der Beklagte hat geltend gemacht,
selbst keine Rechtsverletzung begangen zu haben. Er
betreibe unter seiner IP-Adresse fünf öffentlich
zugängliche WLAN-Hotspots und drahtgebunden zwei
eingehende Kanäle aus dem Tor-Netzwerk
("Tor-Exit-Nodes"). Bisheriger Prozessverlauf: Die
Klägerin nimmt den Beklagten auf Unterlassung und
Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch. Das Landgericht
hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat
die Berufung des Beklagten mit der Maßgabe
zurückgewiesen, dass dem Beklagten unter Androhung von
Ordnungsmitteln aufgegeben wird, Dritte daran zu hindern,
das Computerspiel oder Teile davon der Öffentlichkeit
mittels seines Internetanschlusses über eine
Internettauschbörse zur Verfügung zu stellen.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der
Bundesgerichtshof hat auf die Revision des Beklagten das
Urteil des Oberlandesgerichts hinsichtlich der
Verurteilung zur Unterlassung aufgehoben und die Sache
insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das
Oberlandessgericht zurückverwiesen. Die gegen die
Zuerkennung der Abmahnkostenforderung gerichtete Revision
hat der Bundesgerichtshof zurückgewiesen.
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der
Beklagte nach dem hierfür maßgeblichen, im Zeitpunkt der
Abmahnung geltenden Recht zum Ersatz der Abmahnkosten
verpflichtet ist, weil er als Störer für die
Rechtsverletzung Dritter haftet. Der Beklagte hat es
pflichtwidrig unterlassen, sein WLAN durch den Einsatz
des im Kaufzeitpunkt aktuellen Verschlüsselungsstandards
sowie eines individuellen Passworts gegen missbräuchliche
Nutzung durch Dritte zu sichern. Für den Fall der
privaten Bereitstellung durch den Beklagten bestand diese
Pflicht ohne Weiteres bereits ab Inbetriebnahme des
Anschlusses. Sofern der Beklagte den Internetzugang
über WLAN gewerblich bereitgestellt hat, war er zu diesen
Sicherungsmaßnahmen verpflichtet, weil er zuvor bereits
darauf hingewiesen worden war, dass über seinen
Internetanschluss im Jahr 2011 Urheberrechtsverletzungen
im Wege des Filesharings begangen worden waren. Der
Annahme einer Störerhaftung steht es nicht entgegen, dass
das im Hinweis benannte Werk nicht mit dem von der
erneuten Rechtsverletzung betroffenen Werk identisch ist.
Die Haftungsvoraussetzungen liegen ebenfalls vor,
wenn die Rechtsverletzung über den vom Beklagten
betriebenen Tor-Exit-Node erfolgt ist. Der Beklagte hat
es pflichtwidrig unterlassen, der ihm bekannten Gefahr
von Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing mittels
technischer Vorkehrungen entgegenzuwirken. Nach den
revisionsrechtlich einwandfreien Feststellungen des
Oberlandesgerichts ist die Sperrung von
Filesharing-Software technisch möglich und dem Beklagten
zumutbar.
Die Verurteilung zur Unterlassung hat
der Bundesgerichtshof aufgehoben, weil nach der seit dem
13. Oktober 2017 geltenden Neufassung des § 8 Abs. 1 Satz
2 TMG der Vermittler eines Internetzugangs nicht wegen
einer rechtswidrigen Handlung eines Nutzers auf
Schadensersatz, Beseitigung oder Unterlassung einer
Rechtsverletzung in Anspruch genommen werden kann. Ist
eine Handlung im Zeitpunkt der Revisionsentscheidung
nicht mehr rechtswidrig, kommt die Zuerkennung eines
Unterlassungsanspruchs nicht in Betracht. Gegen die
Anwendung des § 8 Abs. 1 Satz 2 TMG nF bestehen keine
durchgreifenden unionsrechtlichen Bedenken. Zwar sind
die Mitgliedstaaten gemäß Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie
2001/29/EG und Art. 11 Satz 3 der Richtlinie 2004/48/EG
verpflichtet, zugunsten der Rechtsinhaber die Möglichkeit
gerichtlicher Anordnungen gegen Vermittler vorzusehen,
deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines
Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt
werden.
Der deutsche Gesetzgeber hat die
Unterlassungshaftung des Zugangsvermittlers in § 8 Abs. 1
Satz 2 TMG nF zwar ausgeschlossen, jedoch zugleich in § 7
Abs. 4 TMG nF einen auf Sperrung des Zugangs zu
Informationen gerichteten Anspruch gegen den Betreiber
eines Internetzugangs über WLAN vorgesehen. Diese
Vorschrift ist richtlinienkonform dahin fortzubilden,
dass der Sperranspruch auch gegenüber den Anbietern
drahtgebundener Internetzugänge geltend gemacht werden
kann.
Der Anspruch auf Sperrmaßnahmen ist nicht
auf bestimmte Sperrmaßnahmen beschränkt und kann auch die
Pflicht zur Registrierung von Nutzern, zur
Verschlüsselung des Zugangs mit einem Passwort oder - im
äußersten Fall - zur vollständigen Sperrung des Zugangs
umfassen. Zur Prüfung der Frage, ob der Klägerin
gegenüber dem Beklagten ein Anspruch auf Sperrung von
Informationen gemäß § 7 Abs. 4 TMG nF zusteht, hat der
Bundesgerichtshof die Sache an das Oberlandesgericht
zurückverwiesen.
Vorinstanzen: LG Düsseldorf -
Urteil vom 13. Januar 2016 - 12 O 101/15 OLG Düsseldorf -
Urteil vom 16. März 2017 - I-20 U 17/16
Die
maßgeblichen Vorschriften lauten: § 8 Abs. 1 TMG nF
Diensteanbieter sind für fremde Informationen, die sie in
einem Kommunikationsnetz übermitteln oder zu denen sie
den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich,
sofern sie 1. die Übermittlung nicht veranlasst, 2. den
Adressaten der übermittelten Informationen nicht
ausgewählt und 3. die übermittelten Informationen nicht
ausgewählt oder verändert haben. Sofern diese
Diensteanbieter nicht verantwortlich sind, können sie
insbesondere nicht wegen einer rechtswidrigen Handlung
eines Nutzers auf Schadensersatz oder Beseitigung oder
Unterlassung einer Rechtsverletzung in Anspruch genommen
werden; dasselbe gilt hinsichtlich aller Kosten für die
Geltendmachung und Durchsetzung dieser Ansprüche. Die
Sätze 1 und 2 finden keine Anwendung, wenn der
Diensteanbieter absichtlich mit einem Nutzer seines
Dienstes zusammenarbeitet, um rechtswidrige Handlungen zu
begehen. § 7 Abs. 4 TMG nF Wurde ein Telemediendienst von
einem Nutzer in Anspruch genommen, um das Recht am
geistigen Eigentum eines anderen zu verletzen und besteht
für den Inhaber dieses Rechts keine andere Möglichkeit,
der Verletzung seines Rechts abzuhelfen, so kann der
Inhaber des Rechts von dem betroffenen Diensteanbieter
nach § 8 Absatz 3 die Sperrung der Nutzung von
Informationen verlangen, um die Wiederholung der
Rechtsverletzung zu verhindern. Die Sperrung muss
zumutbar und verhältnismäßig sein. Ein Anspruch gegen den
Diensteanbieter auf Erstattung der vor- und
außergerichtlichen Kosten für die Geltendmachung und
Durchsetzung des Anspruchs nach Satz 1 besteht außer in
den Fällen des § 8 Absatz 1 Satz 3 nicht. Art. 8 Abs. 3
der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter
Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte
in der Informationsgesellschaft.
Die
Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Rechtsinhaber
gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler beantragen
können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung
eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt
werden. Art. 11 der Richtlinie 2004/48/EG zur
Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums Die
Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen
Gerichte bei Feststellung einer Verletzung eines Rechts
des geistigen Eigentums eine Anordnung gegen den
Verletzer erlassen können, die ihm die weitere Verletzung
des betreffenden Rechts untersagt. Sofern dies nach
dem Recht eines Mitgliedstaats vorgesehen ist, werden im
Falle einer Missachtung dieser Anordnung in geeigneten
Fällen Zwangsgelder verhängt, um die Einhaltung der
Anordnung zu gewährleisten. Unbeschadet des Artikels 8
Absatz 3 der Richtlinie 2001/29/EG stellen die
Mitgliedstaaten ferner sicher, dass die Rechtsinhaber
eine Anordnung gegen Mittelspersonen beantragen können,
deren Dienste von einem Dritten zwecks Verletzung eines
Rechts des geistigen Eigentums in Anspruch genommen
werden.
Vertrag über ein
Benutzerkonto bei einem sozialen Netzwerk ist vererbbar
Bundesgerichtshof, Urteil vom
12. Juli 2018 – III ZR 183/17
Karlsruhe, den 12. Juli 2018 - Der III. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass der Vertrag
über ein Benutzerkonto bei einem sozialen Netzwerk
grundsätzlich im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Erben
des ursprünglichen Kontoberechtigten übergeht und diese einen
Anspruch gegen den Netzwerkbetreiber auf Zugang zu dem Konto
einschließlich der darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalte
haben.
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist die Mutter der im Alter von 15 Jahren
verstorbenen L. W. und neben dem Vater Mitglied der
Erbengemeinschaft nach ihrer Tochter. Die Beklagte betreibt
ein soziales Netzwerk, über dessen Infrastruktur die Nutzer
miteinander über das Internet kommunizieren und Inhalte
austauschen können.
2011 registrierte sich die Tochter der Klägerin im Alter von
14 Jahren im Einverständnis ihrer Eltern bei dem sozialen
Netzwerk der Beklagten und unterhielt dort ein Benutzerkonto.
2012 verstarb das Mädchen unter bisher ungeklärten Umständen
infolge eines U-Bahnunglücks.
Die Klägerin versuchte hiernach, sich in das Benutzerkonto
ihrer Tochter einzuloggen. Dies war ihr jedoch nicht möglich,
weil die Beklagte es inzwischen in den sogenannten
Gedenkzustand versetzt hatte, womit ein Zugang auch mit den
Nutzerdaten nicht mehr möglich ist. Die Inhalte des Kontos
bleiben jedoch weiter bestehen.
Die Klägerin beansprucht mit ihrer Klage von der Beklagten,
den Erben Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto zu
gewähren, insbesondere zu den darin vorgehaltenen
Kommunikationsinhalten. Sie macht geltend, die
Erbengemeinschaft benötige den Zugang zu dem Benutzerkonto,
um Aufschluss darüber zu erhalten, ob ihre Tochter kurz vor
ihrem Tod Suizidabsichten gehegt habe, und um
Schadensersatzansprüche des U-Bahn-Fahrers abzuwehren.
Der Prozessverlauf:
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung
der Beklagten hat das Kammergericht das erstinstanzliche
Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet
sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der
Klägerin.
Die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs:
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Urteil des
Kammergerichts aufgehoben und das erstinstanzliche Urteil
wiederhergestellt.
Die Erben haben gegen die Beklagte einen Anspruch, ihnen den
Zugang zum Benutzerkonto der Erblasserin und den darin
vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren. Dies ergibt
sich aus dem Nutzungsvertrag zwischen der Tochter der
Klägerin und der Beklagten, der im Wege der
Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Erben
übergegangen ist. Dessen Vererblichkeit ist nicht durch die
vertraglichen Bestimmungen ausgeschlossen. Die
Nutzungsbedingungen enthalten hierzu keine Regelung. Die
Klauseln zum Gedenkzustand sind bereits nicht wirksam in den
Vertrag einbezogen. Sie hielten überdies einer
Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB nicht stand und
wären daher unwirksam.
Auch aus dem Wesen des Vertrags ergibt sich eine
Unvererblichkeit des Vertragsverhältnisses nicht;
insbesondere ist dieser nicht höchstpersönlicher Natur. Der
höchstpersönliche Charakter folgt nicht aus im
Nutzungsvertrag stillschweigend vorausgesetzten und damit
immanenten Gründen des Schutzes der Persönlichkeitsrechte der
Kommunikationspartner der Erblasserin. Zwar mag der Abschluss
eines Nutzungsvertrags mit dem Betreiber eines sozialen
Netzwerks in der Erwartung erfolgen, dass die Nachrichten
zwischen den Teilnehmern des Netzwerks jedenfalls
grundsätzlich vertraulich bleiben und nicht durch die
Beklagte dritten Personen gegenüber offengelegt werden.
Die vertragliche Verpflichtung der Beklagten zur
Übermittlung und Bereitstellung von Nachrichten und sonstigen
Inhalten ist jedoch von vornherein kontobezogen. Sie hat
nicht zum Inhalt, diese an eine bestimmte Person zu
übermitteln, sondern an das angegebene Benutzerkonto. Der
Absender einer Nachricht kann dementsprechend zwar darauf
vertrauen, dass die Beklagte sie nur für das von ihm
ausgewählte Benutzerkonto zur Verfügung stellt. Es besteht
aber kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass nur der
Kontoinhaber und nicht Dritte von dem Kontoinhalt Kenntnis
erlangen. Zu Lebzeiten muss mit einem Missbrauch des Zugangs
durch Dritte oder mit der Zugangsgewährung seitens des
Kontoberechtigten gerechnet werden und bei dessen Tod mit der
Vererbung des Vertragsverhältnisses.
Eine Differenzierung des Kontozugangs nach vermögenswerten
und höchstpersönlichen Inhalten scheidet aus. Nach der
gesetzgeberischen Wertung gehen auch Rechtspositionen mit
höchstpersönlichen Inhalten auf die Erben über. So werden
analoge Dokumente wie Tagebücher und persönliche Briefe
vererbt, wie aus § 2047 Abs. 2 und § 2373 Satz 2 BGB zu
schließen ist. Es besteht aus erbrechtlicher Sicht kein Grund
dafür, digitale Inhalte anders zu behandeln.
Einen Ausschluss der Vererblichkeit auf Grund des
postmortalen Persönlichkeitsrechts der Erblasserin hat der
III. Zivilsenat ebenfalls verneint.
Auch das Fernmeldegeheimnis steht dem Anspruch der Klägerin
nicht entgegen. Der Erbe ist, da er vollständig in die
Position des Erblassers einrückt, jedenfalls nicht "anderer"
im Sinne von § 88 Abs. 3 TKG.
Schließlich kollidiert der Anspruch der Klägerin auch nicht
mit dem Datenschutzrecht. Der Senat hat hierzu die seit 25.
Mai 2018 geltende Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO)
anzuwenden. Diese steht dem Zugang der Erben nicht entgegen.
Datenschutzrechtliche Belange der Erblasserin sind nicht
betroffen, da die Verordnung nur lebende Personen schützt.
Die der Übermittlung und Bereitstellung von Nachrichten und
sonstigen Inhalten immanente Verarbeitung der
personenbezogenen Daten der Kommunikationspartner der
Erblasserin ist sowohl nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Var. 1
DS-GVO als auch nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO zulässig.
Sie ist sowohl zur Erfüllung der vertraglichen
Verpflichtungen gegenüber den Kommunikationspartnern der
Erblasserin erforderlich (Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Var. 1
DS-GVO) als auch auf Grund berechtigter überwiegender
Interessen der Erben (Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO).
Die maßgeblichen Vorschriften
lauten:
§ 1922 Abs. 1 BGB
Gesamtrechtsnachfolge
(1) Mit dem Tode einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen
(Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen
(Erben) über.
§ 307 BGB Inhaltskontrolle
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind
unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders
entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen
benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich
auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und
verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel
anzunehmen, wenn eine Bestimmung
1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung,
von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur
des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des
Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur
für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch
die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende
Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach
Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam
sein.
§ 2047 BGB Verteilung des
Überschusses
(1) Der nach der Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten
verbleibende Überschuss gebührt den Erben nach dem Verhältnis
der Erbteile.
(2) Schriftstücke, die sich auf die persönlichen Verhältnisse
des Erblassers, auf dessen Familie oder auf den ganzen
Nachlass beziehen, bleiben gemeinschaftlich.
§ 2373 BGB Dem Verkäufer
verbleibende Teile
Ein Erbteil, der dem Verkäufer nach dem Abschluss des Kaufs
durch Nacherbfolge oder infolge des Wegfalls eines Miterben
anfällt, sowie ein dem Verkäufer zugewendetes
Vorausvermächtnis ist im Zweifel nicht als mitverkauft
anzusehen. Das Gleiche gilt von Familienpapieren und
Familienbildern.
§ 88 TKG Fernmeldegeheimnis
(1) Dem Fernmeldegeheimnis
unterliegen der Inhalt der Telekommunikation und ihre näheren
Umstände, insbesondere die Tatsache, ob jemand an einem
Telekommunikationsvorgang beteiligt ist oder war.
Das Fernmeldegeheimnis
erstreckt sich auch auf die näheren Umstände erfolgloser
Verbindungsversuche.
(2) Zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses ist jeder
Diensteanbieter verpflichtet. Die Pflicht zur Geheimhaltung
besteht auch nach dem Ende der Tätigkeit fort, durch die sie
begründet worden ist.
(3) Den nach Absatz 2
Verpflichteten ist es untersagt, sich oder anderen über das
für die geschäftsmäßige Erbringung der
Telekommunikationsdienste einschließlich des Schutzes ihrer
technischen Systeme erforderliche Maß hinaus Kenntnis vom
Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation zu
verschaffen.
Sie
dürfen Kenntnisse über Tatsachen,
die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, nur für den in Satz 1
genannten Zweck verwenden.
Eine Verwendung dieser
Kenntnisse für andere Zwecke, insbesondere die Weitergabe an
andere, ist nur zulässig, soweit dieses Gesetz oder eine
andere gesetzliche Vorschrift dies vorsieht und sich dabei
ausdrücklich auf Telekommunikationsvorgänge bezieht.
Die Anzeigepflicht
nach § 138 des Strafgesetzbuches hat Vorrang.
(4) Befindet sich die Telekommunikationsanlage an Bord eines
Wasser- oder Luftfahrzeugs, so besteht die Pflicht zur
Wahrung des Geheimnisses nicht gegenüber der Person, die das
Fahrzeug führt oder gegenüber ihrer Stellvertretung.
Art. 6 Abs. 1 DS-GVO
Rechtmäßigkeit der Verarbeitung
(1) Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine
der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:
a) Die betroffene Person hat ihre Einwilligung zu der
Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für
einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben;
b) die Verarbeitung ist für die Erfüllung eines Vertrags,
dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder zur
Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich, die auf
Anfrage der betroffenen Person erfolgen;
c) die Verarbeitung ist zur Erfüllung einer rechtlichen
Verpflichtung erforderlich, der der Verantwortliche
unterliegt;
d) die Verarbeitung ist erforderlich, um lebenswichtige
Interessen der betroffenen Person oder einer anderen
natürlichen Person zu schützen;
e) die Verarbeitung ist für die Wahrnehmung einer Aufgabe
erforderlich, die im öffentlichen Interesse liegt oder in
Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem
Verantwortlichen übertragen wurde;
f) die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten
Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten
erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte
und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz
personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere
dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind
handelt.
Vorinstanzen:
Landgericht Berlin – Entscheidung vom 17. Dezember 2015 - 20
O 172/15
Kammergericht – Entscheidung vom 31. Mai 2017 - 21 U 9/16
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Juni 2018 |
Fußballschauen während der
Arbeitszeit: Abmahnung gerechtfertigt Wer sich
während der Arbeitszeit auf einem dienstlichen Computer auch
nur für 30 Sekunden ein Fußballspiel ansieht, riskiert eine
Abmahnung vom Arbeitgeber. Das Arbeitsgericht Köln wies nach
Angaben der D.A.S. Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S.
Leistungsservice) die Klage eines Arbeitnehmers auf
Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte ab. ArbG
Köln, Az. 20 Ca 7940/16
Hintergrundinformation:
Fußballfans haben jetzt zur Weltmeisterschaft das Problem,
dass viele Spiele tagsüber während der üblichen Arbeitszeiten
stattfinden. Da ist die Verlockung groß, auch während der
Arbeit mal kurz zu schauen, wie das Spiel steht. Diese
Neugier kann allerdings arbeitsrechtlich unangenehme Folgen
haben. Denn hier gilt der Grundsatz: Arbeitnehmer haben
während der Arbeitszeit zu arbeiten und sich keinen privaten
Beschäftigungen zu widmen. Es sei denn, der Chef erlaubt das
Fußballschauen ausdrücklich oder richtet im Betrieb sogar ein
Public-Viewing ein.
Der Fall: Ein Arbeitnehmer hatte
um 17:00 Uhr seine Arbeit in der Spätschicht angetreten und
zuerst einige Maschinen eingeschaltet. Dann rief ihn ein
Kollege. Dieser saß vor einem Dienst-PC, auf dem über den
Livestream eines Pay-TV-Anbieters ein Fußballspiel lief. Der
Arbeitnehmer setzte sich dazu. Zeugen sahen beide auf den
Bildschirm schauen. Der Arbeitgeber mahnte sie ab, da sie
ihre arbeitsvertragliche Pflicht verletzt hätten, während der
Arbeitszeit zu arbeiten. Im Wiederholungsfall drohe die
Kündigung. Einer der Betroffenen ging nun vor Gericht, um
die Abmahnung aus seiner Personalakte entfernen zu lassen: Er
habe dem Kollegen nur erklärt, dass er während der
Arbeitszeit nicht Fußball schauen dürfe. Das Urteil: Das
Arbeitsgericht Köln glaubte ihm nach Informationen des D.A.S.
Leistungsservice nicht. Das Gericht kam nach Prüfung der
Zeugenaussagen zu dem Ergebnis, dass der Arbeitnehmer nicht
mit dem Kollegen gesprochen, sondern mit diesem gemeinsam das
Spiel angesehen habe – zumindest für einen Zeitraum zwischen
30 Sekunden und zwei Minuten.
Der Arbeitnehmer habe
durch das Fußballschauen während der Arbeitszeit seine
vertragliche Hauptpflicht aus dem Arbeitsvertrag verletzt, da
er während dieser Zeit nicht gearbeitet habe. Er habe auch
seine Maschinen unbeaufsichtigt gelassen. Der Arbeitgeber sei
berechtigt, auch auf eine geringe Verletzung von
arbeitsvertraglichen Pflichten mit einer Abmahnung zu
reagieren. Immerhin sei eine Abmahnung nur ein „Warnschuss“,
der zunächst noch keine größeren Folgen für das
Arbeitsverhältnis habe. Die Abmahnung sei hier gerechtfertigt
gewesen. Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 28. August 2017, Az.
20 Ca 7940/16
Bundesverfassungsgericht:
Streikverbot für Beamte verfassungsgemäß
Karlsruhe, 12. Juni 2018 - Das Streikverbot für Beamtinnen
und Beamte ist als eigenständiger hergebrachter Grundsatz des
Berufsbeamtentums vom Gesetzgeber zu beachten. Es steht auch
mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des
Grundgesetzes im Einklang und ist insbesondere mit den
Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention
vereinbar. Mit dieser Begründung hat der Zweite Senat des
Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom heutigen Tage vier
gegen das Streikverbot für Beamte gerichtete
Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.
Die Beschwerdeführenden sind oder waren
als beamtete Lehrkräfte an Schulen in drei verschiedenen
Bundesländern tätig. Sie nahmen in der Vergangenheit während
der Dienstzeit an Protestveranstaltungen beziehungsweise
Streikmaßnahmen einer Gewerkschaft teil. Diese Teilnahme
wurde durch die zuständigen Disziplinarbehörden geahndet. Zur
Begründung wurde ausgeführt, die Streikteilnahme stelle einen
Verstoß gegen grundlegende beamtenrechtliche Pflichten dar.
Insbesondere dürfe ein Beamter nicht ohne Genehmigung dem
Dienst fernbleiben. In den fachgerichtlichen
Ausgangsverfahren wandten sich die Beschwerdeführerinnen
sowie der Beschwerdeführer letztlich erfolglos gegen die
jeweils ergangenen Disziplinarverfügungen.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
Die mit den Verfassungsbeschwerden
angegriffenen Hoheitsakte sind von Verfassungs wegen nicht zu
beanstanden. Sie sind jeweils im Ergebnis von dem Bestehen
eines Streikverbots für deutsche Beamtinnen und Beamte
ausgegangen. Hierin liegt keine Verkennung der maßgeblichen
verfassungsrechtlichen Vorgaben.
1. Der sachliche Schutzbereich des Art. 9
Abs. 3 GG ist eröffnet. Zwar sind Beamte von der tariflichen
Lohngestaltung ausgeschlossen. Entscheidend ist im
konkreten Fall aber, dass die Disziplinarverfügungen die
Teilnahme an gewerkschaftlich getragenen, auf – wenngleich
nicht eigene – Tarifverhandlungen bezogene Aktionen
sanktionieren. Ein solches umfassendes Verständnis von Art. 9
Abs. 3 GG greift im Sinne einer völkerrechtsfreundlichen
Auslegung auch die Wertungen des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte zu Art. 11 EMRK auf, wonach auch der
Unterstützungsstreik jedenfalls ein ergänzendes Element der
Koalitionsfreiheit darstellt.
2. Die angegriffenen behördlichen und
gerichtlichen Entscheidungen beeinträchtigen das Grundrecht
aus Art. 9 Abs. 3 GG. Die Koalitionsfreiheit wird beschränkt
durch alle Verkürzungen des grundrechtlich Gewährleisteten.
Die disziplinarische Ahndung des Verhaltens der
Beschwerdeführenden und deren disziplinargerichtliche
Bestätigung durch die angegriffenen Gerichtsentscheidungen
begrenzen die Möglichkeit zur Teilnahme an einem
Arbeitskampf.
3. Die Beeinträchtigung der
Koalitionsfreiheit ist jedoch durch hinreichend gewichtige,
verfassungsrechtlich geschützte Belange gerechtfertigt.
a) Das Streikverbot für Beamte stellt
einen eigenständigen hergebrachten Grundsatz des
Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG dar. Es
erfüllt die für eine Qualifikation als hergebrachter
Grundsatz notwendige Voraussetzung der Traditionalität, da es
auf eine jedenfalls in der Staatspraxis der Weimarer Republik
begründete Traditionslinie zurück geht, und diejenige der
Substanzialität, da es eine enge inhaltliche Verknüpfung mit
den verfassungsrechtlichen Fundamenten des Berufsbeamtentums
in Deutschland, namentlich der beamtenrechtlichen
Treuepflicht sowie dem Alimentationsprinzip, aufweist.
b) Das Streikverbot ist Teil der
institutionellen Garantie des Art. 33 Abs. 5 GG und vom
Gesetzgeber zu beachten. Ein Streikrecht, auch nur für Teile
der Beamtenschaft, griffe in den grundgesetzlich
gewährleisteten Kernbestand von Strukturprinzipien ein und
gestaltete das Verständnis vom und die Regelungen des
Beamtenverhältnisses grundlegend um. Es hebelte die
funktionswesentlichen Prinzipien der Alimentation, der
Treuepflicht, der lebenszeitigen Anstellung sowie der
Regelung der maßgeblichen Rechte und Pflichten einschließlich
der Besoldung durch den Gesetzgeber aus, erforderte
jedenfalls aber deren grundlegende Modifikation. Für eine
Regelung etwa der Besoldung durch Gesetz bliebe im Falle der
Zuerkennung eines Streikrechts kein Raum. Könnte die
Besoldung von Beamten oder Teile hiervon erstritten werden,
ließe sich die derzeit bestehende Möglichkeit des einzelnen
Beamten, die verfassungsmäßige Alimentation gerichtlich
durchzusetzen, nicht mehr rechtfertigen. Das
Alimentationsprinzip dient aber zusammen mit dem
Lebenszeitprinzip einer unabhängigen Amtsführung und sichert
die Pflicht des Beamten zur vollen Hingabe für das Amt ab.
c) Eine ausdrückliche gesetzliche
Normierung des Streikverbots für Beamte ist von Verfassungs
wegen nicht gefordert. Die in den Landesbeamtengesetzen
enthaltenen Regelungen zum Fernbleiben vom Dienst und die
gesetzlich normierten beamtenrechtlichen Grundpflichten der
uneigennützigen Amtsführung zum Wohl der Allgemeinheit sowie
der Weisungsgebundenheit stellen jedenfalls in ihrer
Gesamtheit eine hinreichende Konkretisierung des aus Art. 33
Abs. 5 GG folgenden Streikverbots dar.
d) Die Beschränkung der Koalitionsfreiheit
ist insoweit, als die Führung von Arbeitskämpfen durch
Beamtinnen und Beamte in Rede steht, verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden. Das Streikverbot für Beamte trägt auch
dem Grundsatz der praktischen Konkordanz Rechnung. Das
Spannungsverhältnis zwischen Koalitionsfreiheit und Art. 33
Abs. 5 GG ist zugunsten eines für Beamtinnen und Beamte
bestehenden Streikverbots aufzulösen. Der Eingriff in
Art. 9 Abs. 3 GG trifft Beamtinnen und Beamte nicht
unzumutbar schwer. Ein Streikverbot führt nicht zu einem
vollständigen Zurücktreten der Koalitionsfreiheit und beraubt
sie nicht gänzlich ihrer Wirksamkeit. Auch hat der
Gesetzgeber Regelungen geschaffen, die zu einer Kompensation
der Beschränkung von Art. 9 Abs. 3 GG bei Beamtinnen und
Beamten beitragen sollen, namentlich Beteiligungsrechte der
Spitzenorganisationen der Gewerkschaften bei der Vorbereitung
gesetzlicher Regelungen der beamtenrechtlichen Verhältnisse.
Ein weiteres Element der Kompensation ergibt sich aus dem
beamtenrechtlichen Alimentationsprinzip, das dem einzelnen
Beamten das grundrechtsgleiche Recht einräumt, die Erfüllung
der dem Staat obliegenden Alimentationsverpflichtung
erforderlichenfalls auf dem Rechtsweg durchzusetzen. Bei
diesem wechselseitigen System von aufeinander bezogenen
Rechten und Pflichten der Beamten zeitigen Ausweitungen oder
Beschränkungen auf der einen in der Regel auch Veränderungen
auf der anderen Seite des Beamtenverhältnisses. Ein
„Rosinenpicken“ lässt das Beamtenverhältnis nicht zu. Ein
Streikrecht (für bestimmte Beamtengruppen) würde eine
Kettenreaktion in Bezug auf die Ausgestaltung des
Beamtenverhältnisses auslösen und wesentliche
beamtenrechtliche Grundsätze und damit zusammenhängende
Institute in Mitleidenschaft ziehen.
Eine praktisch konkordante Zuordnung von
Koalitionsfreiheit und hergebrachten Grundsätzen des
Berufsbeamtentums verlangt auch nicht, das Streikverbot unter
Heranziehung von Art. 33 Abs. 4 GG auf Beamte zu beschränken,
die schwerpunktmäßig hoheitsrechtliche Befugnisse ausüben.
Gegen eine solche funktionale Aufspaltung des Streikrechts
sprechen die damit einher gehenden
Abgrenzungsschwierigkeiten. Unabhängig hiervon
verzichtete die Anerkennung eines Streikrechts für
„Randbereichsbeamte“ auf die Gewährleistung einer stabilen
Verwaltung und der staatlichen Aufgabenerfüllung jenseits
hoheitlicher Tätigkeiten. Davon abgesehen schüfe ein
solchermaßen eingeschränktes Streikrecht eine Sonderkategorie
der „Beamten mit Streikrecht“ oder „Tarifbeamten“, die das
klar konzipierte zweigeteilte öffentliche Dienstrecht in
Deutschland durchbräche. Während im Kernbereich hoheitlichen
Handelns das Alimentationsprinzip weitergälte, würde den
sonstigen Beamten die Möglichkeit eröffnet, Forderungen zur
Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen bei fortbestehendem
Beamtenstatus gegebenenfalls mit Arbeitskampfmaßnahmen
durchzusetzen.
4. Das Streikverbot für Beamtinnen und
Beamte in Deutschland steht mit dem Grundsatz der
Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes im Einklang und
ist insbesondere auch mit den Gewährleistungen der
Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar.
a) Art. 11 Abs. 1 EMRK gewährleistet jeder
Person, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und
sich frei mit anderen zusammenzuschließen; dazu gehört auch
das Recht, zum Schutz ihrer Interessen Gewerkschaften zu
gründen und Gewerkschaften beizutreten. Der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte hat in der jüngeren
Vergangenheit die Gewährleistungen des Art. 11 Abs. 1 EMRK
wie auch die Eingriffsvoraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 EMRK
weiter präzisiert. Dieser Rechtsprechung kommt eine Leit- und
Orientierungswirkung zu, wobei jenseits des
Anwendungsbereiches des Art. 46 EMRK die konkreten Umstände
des Falles im Sinne einer Kontextualisierung in besonderem
Maße in den Blick zu nehmen sind.
Vor diesem
Hintergrund lassen sich eine Konventionswidrigkeit der
gegenwärtigen Rechtslage in Deutschland und damit eine
Kollision zwischen nationalem Recht und Europäischer
Menschenrechtskonvention nicht feststellen. Art. 9 Abs. 3 GG
sowie die hierzu ergangene Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts, wonach auch deutsche Beamtinnen
und Beamte ausnahmslos dem persönlichen Schutzbereich der
Koalitionsfreiheit unterfallen, allerdings das Streikrecht
als eine Einzelausprägung von Art. 9 Abs. 3 GG aufgrund
kollidierenden Verfassungsrechts (Art. 33 Abs. 5 GG) von
dieser Personengruppe nicht ausgeübt werden kann, stehen mit
den konventionsrechtlichen Wertungen in Einklang.
b) Unabhängig davon, ob das Streikverbot
für deutsche Beamte einen Eingriff in Art. 11 Abs. 1 EMRK
darstellt, ist es wegen der Besonderheiten des deutschen
Systems des Berufsbeamtentums jedenfalls nach Art. 11 Abs. 2
Satz 1 EMRK beziehungsweise Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK
gerechtfertigt.
aa) Das Streikverbot ist in Deutschland im
Sinne von Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK gesetzlich vorgesehen.
Notwendig hierfür ist eine Grundlage im nationalen Recht.
Eine solche Grundlage ist gegeben. Die Beamtengesetze des
Bundes und der Länder enthalten für alle Beamtinnen und
Beamten konkrete Regelungen zum unerlaubten Fernbleiben vom
Dienst beziehungsweise zur Weisungsgebundenheit. Mit diesen
Vorgaben ist eine nicht genehmigte Teilnahme an
Streikmaßnahmen unvereinbar. Im Übrigen ist das Streikverbot
für Beamte eine höchstrichterlich seit Jahrzehnten anerkannte
Ausprägung des Art. 33 Abs. 5 GG.
Das Streikverbot erfüllt auch die
Anforderungen aus der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte, soweit danach die
Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 11 Abs. 1 EMRK ein
dringendes soziales beziehungsweise gesellschaftliches
Bedürfnis voraussetzt und die Einschränkung verhältnismäßig
sein muss. Wenn eine Einschränkung den Kern
gewerkschaftlicher Tätigkeit betrifft, ist danach dem
nationalen Gesetzgeber ein geringerer Beurteilungsspielraum
zuzugestehen und mehr zu verlangen, um den daraus folgenden
Eingriff in die Gewerkschaftsfreiheit mit dem öffentlichen
Interesse zu rechtfertigen. Wird aber umgekehrt nicht der
Kern, sondern nur ein Nebenaspekt der Gewerkschaftstätigkeit
berührt, ist der Beurteilungsspielraum weiter und der
jeweilige Eingriff eher verhältnismäßig.
Vor diesem Hintergrund ist ein
Streikverbot für deutsche Beamtinnen und Beamte und konkret
für beamtete Lehrkräfte nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK
gerechtfertigt. Die Beschwerdeführenden nahmen als beamtete
Lehrkräfte an Streikmaßnahmen teil, zu denen die Gewerkschaft
Erziehung und Wissenschaft (GEW) aufgerufen hatte. In dieser
sind sowohl beamtete als auch angestellte Lehrkräfte
vertreten. Tarifverträge handelt die GEW mit der
Tarifgemeinschaft der Länder aufgrund der Rechtslage aber nur
in Bezug auf die angestellten Lehrkräfte aus. Der für die
Festlegung der Beschäftigungsbedingungen der Beamtinnen und
Beamten allein zuständige Gesetzgeber in Bund und Ländern
entscheidet darüber, ob und in welchem Umfang die in
Tarifverhandlungen für Angestellte im öffentlichen Dienst
erzielten Ergebnisse auf Beamtinnen und Beamte übertragen
werden. Teilweise wollten die Beschwerdeführenden mit ihrer
Streikteilnahme eine solche Übertragung erreichen. Dieses
Verhalten fällt nicht in den Kernbereich der Gewährleistungen
des Art. 11 Abs. 1 EMRK.
Der der Bundesrepublik
Deutschland daher im Grundsatz zukommende weitere
Beurteilungsspielraum ist vorliegend auch nicht
überschritten. Maßgeblich ist, dass im System des deutschen
Beamtenrechts mit dem Beamtenstatus aufeinander abgestimmte
Rechte und Pflichten einhergehen und Ausweitungen oder
Beschränkungen auf der einen Seite in der Regel auch
Veränderungen auf der anderen Seite des Beamtenverhältnisses
zeitigen. Insbesondere die Zuerkennung eines Streikrechts für
Beamte wäre unvereinbar mit der Beibehaltung grundlegender
beamtenrechtlicher Prinzipien. Dies beträfe vor allem die
Treuepflicht des Beamten, das Lebenszeitprinzip sowie das
Alimentationsprinzip, zu dessen Ausprägungen die Regelung der
Besoldung durch Gesetz zählt. Die Zuerkennung eines
Streikrechts für Beamte würde das System des deutschen
Beamtenrechts, eine nationale Besonderheit der Bundesrepublik
Deutschland, im Grundsatz verändern und damit in Frage
stellen.
In die nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK
vorzunehmende Interessenabwägung mit den Rechten und
Freiheiten anderer ist zudem einzustellen, dass im Falle der
Beschwerdeführenden das Streikverbot dem Recht auf Bildung
und damit dem Schutz eines in Art. 2 ZP 1 EMRK und anderen
völkerrechtlichen Verträgen verankerten Menschenrechts dient.
Weitere Gesichtspunkte sind die vorerwähnten
Kompensationen für das Streikrecht, namentlich die
Beteiligung von Gewerkschaften im Gesetzgebungsverfahren und
die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung der
Alimentation.
bb) Im Übrigen sind die
Beschwerdeführenden als beamtete Lehrkräfte dem Bereich der
Staatsverwaltung im Sinne von Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK
zuzuordnen. Nach Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK kann die Ausübung
der Gewährleistungen des Art. 11 Abs. 1 EMRK für Angehörige
der Streitkräfte, der Polizei oder der Staatsverwaltung -
hierzu zählen nach Auffassung des Senats auch beamtete
Lehrkräfte - beschränkt werden. Die Einschränkungen, die
den genannten Personengruppen auferlegt werden können, sind
dabei eng auszulegen. Für den im vorliegenden Verfahren
maßgeblichen Bereich der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen
ergibt sich aber ein besonderes Interesse des Staates an der
Aufgabenerfüllung durch Beamtinnen und Beamte, das solche
Einschränkungen rechtfertigt. Schulwesen und staatlicher
Erziehungs- und Bildungsauftrag nehmen im Grundgesetz (Art. 7
GG) und den Verfassungen der Länder einen hohen Stellenwert
ein.
VW-Abgasskandal:
Sensationsentscheidung vor dem OLG Köln - Erstes deutsches
Oberlandesgericht zwingt Händler zur Rücknahme eines
Schummel-Diesels / VW und Händler geben Verteidigung auf
Köln, 11. Juni 2018 - Es ist der Dammbruch,
den Volkswagen im Abgasskandal unbedingt verhindern wollte:
eine bindende Entscheidung eines deutschen Oberlandesgerichts
zugunsten eines betrogenen Autokäufers. Das OLG Köln hat als
erstes deutsches Oberlandesgericht einen ortsansässigen
Autohändler in einem von der Kanzlei Dr. Lehnen & Sinnig
geführten Klageverfahren zur Rücknahme eines VW Eos 2,0 TDI
gezwungen. In dem Fahrzeug war eine verbotene
Abschalteinrichtung verbaut. Die Richter am Oberlandesgericht
bestätigten das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Köln
mit Beschluss vom 28.05.2018 (Az. 27 U 13/17). Die Berufung
des verurteilten Händlers, die von der Volkswagen AG
unterstützt wurde, hat das OLG Köln sogar ohne mündliche
Verhandlung zurückgewiesen. Das ist nur ausnahmsweise
möglich, wenn die Richter übereinstimmend davon überzeugt
sind, dass die Berufung des Händlers offensichtlich keine
Aussicht auf Erfolgt hat.
Der Händler muss nun den
Schummel-Diesel zurücknehmen und dem betrogenen Käufer den
Kaufpreis abzüglich einer geringen Entschädigung für die
bislang gefahrenen Kilometer erstatten. Rechtsanwalt
Dr. Christof Lehnen: "Es hat lange gedauert bis zu dieser
ersten obergerichtlichen Entscheidung, weil die VW-Anwälte
ähnliche Verfahren durch prozessuale Tricks ohne formelle
gerichtliche Entscheidung beenden konnten. Die von uns
erstrittene Entscheidung ist richtungsweisend und hat für
viele geschädigte Autokäufer auch in anderen
Gerichtsverfahren bundesweit Signalwirkung."
Viele
deutsche Oberlandesgerichte hatten in Verhandlungen,
Hinweisen und sogar Pressemitteilungen bereits angekündigt,
im Abgasskandal zugunsten betrogener Autokäufer entscheiden
zu wollen. Weil der Konzern im Anschluss an eine solche
Entscheidung und insbesondere vor der Verjährung Ende 2018
eine Klageflut befürchtet, hat Volkswagen bislang immer alles
daran gesetzt, eine solche obergerichtliche Entscheidung
unbedingt zu verhindern. Bisher haben die VW-Anwälte dieses
Ziel mit verschiedenen Kniffen auch erreicht: teilweise hat
Volkswagen die eigene Berufung zurückgenommen wie etwa vor
dem OLG Braunschweig, teilweise hat Volkswagen schlicht den
vollen Kaufpreis und die vollen Gerichtskosten gezahlt wie
etwa vor dem OLG Naumburg und teilweise wurden auch
Einigungen mit den Klägern erreicht, wie sich einer
Pressemitteilung des OLG Koblenz entnehmen lässt. In all
diesen Fällen erledigen sich die Prozesse nämlich ohne
richterliche Entscheidung, auf die sich andere Geschädigte
berufen könnten. Die Oberlandesgerichte dürfen dann nicht
mehr gegen Volkswagen entscheiden, auch wenn sie es wollten.
In dem jetzigen Verfahren vor dem OLG Köln wurde die
Berufung überraschend nicht zurückgenommen. Mehr noch:
Händler und Volkswagen AG habe sich gegen Ende des Verfahrens
nicht einmal mehr aktiv verteidigt. Rechtsanwalt Dr. Christof
Lehnen: "Wir gehen davon aus, dass Volkswagen diesen Prozess
einfach aus den Augen verloren hat. Kein Wunder, denn
schließlich sind tausende Prozesse zum Abgasskandal anhängig
und nahezu alle entwickeln sich zugunsten der geschädigten
Autokäufer."
Oberverwaltungsgericht: Klagen
gegen die Errichtung von Vorfeldflächen im westlichen Bereich
des Flughafens Düsseldorf abgewiesen
Düsseldorf/Duisburg, 08. Juni 2018 - Das
Oberverwaltungsgericht hat mit heute verkündeten Urteilen die
Klagen von Anwohnern aus der Umgebung des Flughafens
Düsseldorf sowie der Städte Kaarst, Meerbusch und Ratingen
gegen die luftverkehrsrechtliche Zulassung der Errichtung von
weiteren Vorfeldflächen auf dem westlichen Betriebsgelände
des Flughafens abgewiesen.
Zur Begründung seiner Urteile hat der 20.
Senat im Wesentlichen ausgeführt: Das Erweiterungsvorhaben
sei zum einen mit Rücksicht auf im zentral-östlichen Bereich
entfallende Stellplatzpositionen und zum anderen zwecks
effektiverer und sichererer Verkehrsgestaltung des Flughafens
gerechtfertigt. Den Auswirkungen, die von dem
Erweiterungsvorhaben ausgingen, komme demgegenüber kein
erhebliches Gewicht zu. Die dem Erweiterungsvorhaben
zuzurechnenden Veränderungen betreffend Lärm-, Schadstoff-,
Geruchs- und Lichtimmissionen seien nach den anzuwendenden
rechtlichen Maßstäben lediglich geringfügig bzw. nicht
erheblich. Auf eine von den Klägern und Klägerinnen geltend
gemachte Zunahme an Flugbewegungen komme es nicht an, da eine
solche dem Erweiterungsvorhaben nicht zuzurechnen sei, weil
auch mit dem Altbestand an Vorfeldflächen das künftige
Verkehrsaufkommen der geltenden Betriebsgenehmigung aus dem
Jahr 2005/2007 bewältigt werden könnte. Ebenso wenig liege
ein Verstoß gegen den sog. Angerlandvergleich vor, weil
dieser die Errichtung von Vorfeldflächen innerhalb des
bestehenden Flughafengeländes nicht ausschließe.
Das Oberverwaltungsgericht hat die
Revision gegen die Urteile nicht zugelassen. Dagegen kann
Nichtzulassungsbeschwerde erhoben werden, über die das
Bundesverwaltungsgericht entscheidet.
Aktenzeichen: 20 D 78/15.AK, 20 D
80/15.AK, 20 D 81/15.AK und 20 D 83/15.AK
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Mai 2018 |
Duisburger Alkoholkonsumverbot
rechtswidrig
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 23. Mai
2018 - Einer Duisburger Bürgerin ist es nicht untersagt, in
der Duisburger Innenstadt alkoholische Getränke zu
konsumieren oder solche Getränke zum Zweck des Konsums mit
sich zu führen. Ein entsprechendes Verbot der Stadt Duisburg
ist rechtswidrig. Das hat heute die 18. Kammer des
Verwaltungsgerichts Düsseldorf mit soeben in öffentlicher
Sitzung verkündetem Urteil entschieden. Der Rat der Stadt
Duisburg hatte in seiner Sitzung vom 8. Mai 2017 die
„Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Stadtgebiet Duisburg“
um eine Regelung ergänzt, die es innerhalb eines bestimmten
Bereichs der Duisburger Innenstadt verbot, alkoholische
Getränke außerhalb von Gaststätten zu konsumieren sowie
solche Getränke in der Absicht mit sich zu führen, sie
innerhalb dieses Bereichs zu konsumieren.
Die Geltung
dieser Regelung, die zunächst bis zum 16. November 2017
befristet war, wurde im Anschluss zunächst bis zum 31. März
2018 und sodann bis zum 30. Juni 2021 verlängert. Das Gericht
hat dieses Verbot für rechtswidrig befunden. Zur Begründung
hat es ausgeführt, die für den Erlass einer entsprechenden
Regelung erforderliche abstrakte Gefahr für ein Schutzgut der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung liege nicht vor. Der
Alkoholkonsum sei nur mittelbare Ursache für die mögliche
Schädigung etwa der körperlichen Unversehrtheit Dritter durch
Übergriffe, Lärm oder ähnliches. Zudem träten die schädlichen
Folgen des Alkoholkonsums nicht bei jedem Konsumenten zu
Tage. Hinzu komme, dass die Stadt Duisburg nur
verhältnismäßig wenige Vorfälle im Zusammenhang mit negativen
Wirkungen des Alkoholkonsums habe belegen können. Das
generelle Alkoholkonsumverbot sei schließlich auch unter
Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zu beanstanden, weil
störendes Verhalten in Verbindung mit Alkoholkonsum bereits
aufgrund einer anderen Regelung der ordnungsbehördlichen
Verordnung bußgeldbewehrt verboten sei. Gegen das Urteil ist
der Antrag auf Zulassung der Berufung bei dem
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in
Münster möglich. Aktenzeichen: 18 K 8955/17
Für Bier darf nicht mit der Angabe
"bekömmlich" geworben werden Urteil vom 17. Mai
2018 – I ZR 252/16 Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht
zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17.
Mai 2018 entschieden, dass die Verwendung des Begriffs
"bekömmlich" in einer Bierwerbung unzulässig ist. Die
Beklagte betreibt eine Brauerei im Allgäu. Sie verwendet seit
den 1930er Jahren für ihre Biere den Werbeslogan "Wohl
bekomms!". In ihrem Internetauftritt warb sie für
bestimmte Biersorten mit einem Alkoholgehalt von 5,1%, 2,9%
und 4,4% unter Verwendung des Begriffs "bekömmlich". Der
Kläger, ein Verbraucherschutzverband, hält die Werbeaussage
"bekömmlich" für eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne von
Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über
nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel,
die nach Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) Nr.
1924/2006 bei alkoholischen Getränken mit mehr als 1,2
Volumenprozent unzulässig sei. Er hat die Beklagte auf
Unterlassung und Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch
genommen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Der
Bundesgerichtshof hat die vom Berufungsgericht zugelassene
Revision der Beklagten zurückgewiesen. Der Bundesgerichtshof
hat entschieden, dass nach Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG)
Nr. 1924/2006 bei alkoholischen Getränken mit mehr als 1,2
Volumenprozent gesundheitsbezogene Angaben nicht nur in der
Etikettierung der Produkte, sondern auch in der Werbung für
diese Getränke verboten sind. Eine "gesundheitsbezogene
Angabe" liegt vor, wenn mit der Angabe eine Verbesserung des
Gesundheitszustands dank des Verzehrs eines Lebensmittels
versprochen wird. Eine Angabe ist aber auch dann
gesundheitsbezogen, wenn mit ihr zum Ausdruck gebracht wird,
der Verzehr des Lebensmittels habe auf die Gesundheit keine
schädlichen Auswirkungen, die in anderen Fällen mit dem
Verzehr eines solchen Lebensmittels verbunden sein können.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wird
der Begriff "bekömmlich" durch die angesprochenen
Verkehrskreise als "gesund", "zuträglich" und "leicht
verdaulich" verstanden. Er bringt bei einer Verwendung für
Lebensmittel zum Ausdruck, dass dieses im Verdauungssystem
gut aufgenommen und - auch bei dauerhaftem Konsum - gut
vertragen wird. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
wird dieser Begriff auch im Zusammenhang der beanstandeten
Werbung so verstanden.
Der Werbung lässt sich nicht
entnehmen, dass mit dem Begriff "bekömmlich" nur der
Geschmack des Bieres beschrieben werden soll. Vorinstanzen:
LG Ravensburg - Urteil vom 16. Februar 2016 - 8 O 51/15 OLG
Stuttgart - Urteil vom 3. November 2016 - 2 U 37/16
Die maßgeblichen Vorschriften lauten: Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 der
Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 Der Ausdruck
"gesundheitsbezogene Angabe" bezeichnet jede Angabe, mit der
erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck
gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer
Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner
Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits
besteht. Art. 4 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr.
1924/2006 Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2
Volumenprozent dürfen keine gesundheitsbezogenen Angaben
tragen.
Oberlandesgerichts Hamm:
Fehlerhafte therapeutische Aufklärung muss Patient beweisen
Hamm, 15. Mai 2018 - Die therapeutische
Aufklärung soll den Heilerfolg gewährleisten und einen
Schaden abwenden, der dem Patienten durch falsches Verhalten
nach der Behandlung entstehen kann. Eine fehlerhafte
therapeutische Aufklärung muss der Patient beweisen.
Unter Hinweis auf diese Rechtslage hat der 26. Zivilsenat des
Oberlandesgerichts Hamm am 23.03.2018 das erstinstanzliche
Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 11.07.2017 (Az. 3 O
26/15 LG Arnsberg) bestätigt.
Der seinerzeit 54 Jahre alte Kläger aus
Breidenbach ließ sich im August 2012 im Hause der beklagten,
im Hochsauerlandkreis gelegenen Klinik wegen akuter
Hüftbeschwerden ärztlich behandeln. Er erhielt eine Injektion
mit einem Cortison-Präparat in das linke Hüftgelenk. Kurz
nach der Injektion klagte der Kläger über neurologische
Ausfälle im linken Bein und konsultierte das Sekretariat des
behandelnden Arztes in der Klinik. Zwischen den Parteien ist
streitig, welche Hinweise dem Kläger erteilt wurden.
Jedenfalls verließ der Kläger nach einer Wartezeit von zwei
Stunden mit seinem Fahrzeug die Klinik, ohne sich zuvor
erneut einem Arzt vorgestellt zu haben. Nach der Autofahrt
stürzte der Kläger und zog sich eine Fraktur des linken
Außenknöchels zu. Diese musste stationär und mehrfach
operativ behandelt werden.
Unter anderem mit der Begründung, er sei
infolge injektionsbedingter, neurologischer Ausfälle gestürzt
und von Seiten der Beklagten nicht über die Folgen der
Injektion, insbesondere seine eingeschränkte Fahrtüchtigkeit
aufgeklärt worden, hat der Kläger von der Beklagten
Schadensersatz verlangt. Sein Begehren richtete sich auf
Zahlung eines Schmerzensgeldes von 25.000 Euro sowie Ersatz
eines Verdienstausfallschadens in Höhe von weiteren ca.
25.000 Euro.
Das Klagebegehren ist erfolglos geblieben.
Der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts
Hamm hat die die klageabweisende erstinstanzliche
Entscheidung des Landgerichts Arnsberg bestätigt.
Der Kläger sei nicht fehlerhaft behandelt
worden, so der Senat. Im Rahmen einer ambulanten Behandlung
sei dem Kläger aufgrund akuter Beschwerden ein
Cortison-Präparat in das linke Hüftgelenk injiziert worden.
Die Injektion sei indiziert gewesen und fachgerecht
vorgenommen worden. Dass sich das injizierte Narkosemittel im
Bereich des Oberschenkelnervs verteile und diesen temporär
beeinträchtigt habe, sei ärztlicherseits nicht zu verhindern
gewesen. Die dann auftretenden Symptome bildeten sich nach
den Angaben des vernommenen medizinischen Sachverständigen
innerhalb von einer Stunde zurück.
Eine unzureichende therapeutische
Aufklärung im Zusammenhang mit der erfolgten Injektion habe
der Kläger nicht bewiesen. Nach der ersten neurologischen
Reaktion habe sich der Kläger im Sekretariat des behandelnden
Arztes gemeldet. In diesem Zusammenhang sei zwischen den
Parteien umstritten, ob der Kläger sodann über das Vorliegen
eines kontrollbedürftigen Befundes und die gebotene weitere
ärztliche Kontrolle hinreichend informiert worden sei.
Dabei gehe es um die therapeutische
Aufklärung des Klägers. Im Unterschied dazu diene eine
Risiko- oder Selbstbestimmungsaufklärung dazu, dem Patienten
die Entscheidung zu ermöglichen, ob und welcher ärztlichen
Behandlung er sich unterziehe. Insoweit treffe den
behandelnden Arzt die Beweislast. Die therapeutische
Aufklärung solle den Heilerfolg gewährleisten und einen
Schaden abwenden, der dem Patienten durch ein falsches
Verhalten nach der Behandlung entstehen könne. Sie setze
regelmäßig erst nach der ärztlichen Behandlung ein. Ihre
Unzulänglichkeit habe der Patient zu beweisen, wenn der Arzt
eine vollständige und richtige therapeutische Aufklärung
darlege.
Der Nachweis einer fehlerhaften
therapeutischen Aufklärung sei dem Kläger im vorliegenden
Fall nicht gelungen. Nach der Dokumentation der Beklagten sei
dem Kläger insbesondere mitgeteilt worden, dass er sich nach
Ablauf der zweistündigen Wartezeit erneut zur ärztlichen
Kontrolle vorstellen solle. Dies habe die als Zeugin
vernommene Sekretariatsmitarbeiterin der Beklagten bestätigt.
Dass sie insoweit eine Anweisung des behandelnden Arztes
wiedergegeben habe, habe dieser bei seiner Vernehmung
bekundet. Den Angaben der Mitarbeiterin zufolge sei der
Kläger zudem nach Ablauf der Wartefrist erfolglos auf dem
Klinikgelände gesucht worden. Den von ihm dargestellten,
anderen Geschehensablauf, nach dem er lediglich auf die
Wartezeit und nicht auf eine gebotene weiter ärztliche
Konsultation verwiesen worden sei, habe der Kläger
demgegenüber nicht nachweisen können.
Schließlich habe der Kläger auch nicht
nachweisen können, dass sein Sturz ca. dreieinhalb Stunden
nach der Injektion noch auf die Wirkung des verabreichten
Cortison-Präparats zurückzuführen sei. Einen derartigen
Kausalzusammenhang habe der Sachverständige als sehr
unwahrscheinlich bezeichnet.
Urteil des 26. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Hamm vom 23.03.2018 (Az. 26 U 125/17 OLG
Hamm), nicht rechtskräftig (Nichtzulassungsbeschwerde beim
Bundesgerichtshof eingelegt, Az. BGH VI ZR 125/17).
Verwaltungsgericht Düsseldorf:
Mindestkörpergrößen für Polizeibewerber in
Nordrhein-Westfalen rechtmäßig
Düsseldorf, 15. Mai 2018 - Die durch
Erlass des Ministeriums des Innern des Landes
Nordrhein-Westfalen für die Einstellung in den Polizeidienst
des Landes einheitlich für Frauen und Männer festgelegte
Mindestgröße von 163 cm ist rechtmäßig. Das hat die 2. Kammer
des Verwaltungsgerichts Düsseldorf mit heute in öffentlicher
Sitzung verkündetem Urteil entschieden. Die Klägerin
hatte sich für die Einstellung in den Polizeidienst in NRW im
Jahr 2018 beworben. Sie wurde vom Auswahlverfahren
ausgeschlossen, weil sie mit einer Größe von 160 cm die
geforderten 163 cm unterschreitet. Die dagegen gerichtete
Klage wurde heute abgewiesen.
Zur Begründung führte
das Gericht aus, eine einheitliche Mindestgröße könne durch
Erlass und müsse nicht durch Gesetz festgelegt werden, weil
dadurch das Erfordernis der körperlichen Eignung lediglich
konkretisiert und – anders als beim Verbot des Tragens von
Tätowierungen – nicht in Grundrechte des Bewerbers
eingegriffen werde.
In der Sache habe das Land NRW
seinen Einschätzungsspielraum bei der Beurteilung, ob
Bewerber hinsichtlich ihrer Größe für den Polizeidienst
geeignet seien oder nicht, rechtmäßig ausgefüllt. Dabei habe
sich das Land auf Untersuchungen der Polizei einschließlich
einer eingeholten Studie der Deutschen Sporthochschule Köln
stützen können, wonach von einer körperlichen Eignung für den
Polizeidienst erst ab einer Größe von 163 cm auszugehen sei.
Der Umstand, dass beim Bund und in anderen Bundesländern
teilweise andere Größenvorgaben gelten, stelle die
nordrhein-westfälische Regelung nicht in Frage; dies sei
Folge des Gestaltungsspielraums des jeweiligen Dienstherrn im
föderalen System. Einer Ausnahmeregelung für kleinere
Polizeibewerber, die über eine besonders gute individuelle
körperliche Leistungsfähigkeit verfügten, bedürfe es nicht,
da nicht alle Nachteile, die sich aus einer geringeren
Körpergröße ergäben, durch eine höhere Fitness ausglichen
werden könnten. Gegen das Urteil ist der Antrag auf Zulassung
der Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen in Münster möglich. Aktenzeichen: 2 K
766/18
Dashcams zum Teil durchaus erlaubt
Bundesgerichtshof: Verwertbarkeit von Dashcam-Aufnahmen als
Beweismittel im Unfallhaftpflichtprozess - Langericht muss
neu entscheiden Karlsruhe, 15. Mai 2018 -
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat über die
Verwertbarkeit von Dashcam-Aufnahmen als Beweismittel im
Unfallhaftpflichtprozess entschieden. Zum Sachverhalt: Der
Kläger nimmt den Beklagten und seine Haftpflichtversicherung
nach einem Verkehrsunfall auf restlichen Schadensersatz in
Anspruch. Die Fahrzeuge der Parteien waren innerorts beim
Linksabbiegen auf zwei nebeneinander verlaufenden
Linksabbiegespuren seitlich kollidiert. Die Beteiligten
streiten darüber, wer von beiden seine Spur verlassen und die
Kollision herbeigeführt hat.
Die Fahrt vor der
Kollision und die Kollision wurden von einer Dashcam
aufgezeichnet, die im Fahrzeug des Klägers angebracht war.
Das Amtsgericht hat dem Kläger unter dem Gesichtspunkt der
Betriebsgefahr die Hälfte seines Gesamtschadens zugesprochen.
Der Kläger habe für seine Behauptung, der Beklagte sei beim
Abbiegen mit seinem Fahrzeug auf die vom Kläger genutzte
Fahrspur geraten, keinen Beweis erbracht. Der Sachverständige
komme in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass aus
technischer Sicht die Schilderungen beider Parteien zum
Unfallhergang prinzipiell möglich seien. Dem Angebot des
Klägers, die von ihm mit einer Dashcam gefertigten
Bildaufnahmen zu verwerten, sei nicht nachzukommen. Die
Berufung des Klägers hat das Landgericht zurückgewiesen. Die
Aufzeichnung verstoße gegen datenschutzrechtliche
Bestimmungen und unterliege einem Beweisverwertungsverbot.
Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt
der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Die Entscheidung
des Senats: Auf die Revision des Klägers hat der
Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die
Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das
Landgericht zurückverwiesen. Die vorgelegte Videoaufzeichnung
ist nach den geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen
unzulässig. Sie verstößt gegen § 4 BDSG, da sie ohne
Einwilligung der Betroffenen erfolgt ist und nicht auf § 6b
Abs. 1 BDSG oder § 28 Abs. 1 BDSG gestützt werden kann. Jedenfalls
eine permanente anlasslose Aufzeichnung des gesamten
Geschehens auf und entlang der Fahrstrecke des Klägers ist
zur Wahrnehmung seiner Beweissicherungsinteressen nicht
erforderlich, denn es ist technisch möglich, eine kurze,
anlassbezogene Aufzeichnung unmittelbar des Unfallgeschehens
zu gestalten, beispielsweise durch ein dauerndes
Überschreiben der Aufzeichnungen in kurzen Abständen und
Auslösen der dauerhaften Speicherung erst bei Kollision oder
starker Verzögerung des Fahrzeuges. Dennoch ist die
vorgelegte Videoaufzeichnung als Beweismittel im
Unfallhaftpflichtprozess verwertbar.
Die
Unzulässigkeit oder Rechtwidrigkeit einer Beweiserhebung
führt im Zivilprozess nicht ohne Weiteres zu einem
Beweisverwertungsverbot. Über die Frage der Verwertbarkeit
ist vielmehr aufgrund einer Interessen- und Güterabwägung
nach den im Einzelfall gegebenen Umständen zu entscheiden.
Die Abwägung zwischen dem Interesse des Beweisführers an der
Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche, seinem im
Grundgesetz verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör in
Verbindung mit dem Interesse an einer funktionierenden
Zivilrechtspflege einerseits und dem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht des Beweisgegners in seiner Ausprägung
als Recht auf informationelle Selbstbestimmung und ggf. als
Recht am eigenen Bild andererseits führt zu einem Überwiegen
der Interessen des Klägers.
Das Geschehen ereignete
sich im öffentlichen Straßenraum, in den sich der Beklagte
freiwillig begeben hat. Er hat sich durch seine Teilnahme am
öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und
Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer ausgesetzt. Es
wurden nur Vorgänge auf öffentlichen Straßen aufgezeichnet,
die grundsätzlich für jedermann wahrnehmbar sind. Rechnung zu
tragen ist auch der häufigen besonderen Beweisnot, die der
Schnelligkeit des Verkehrsgeschehens geschuldet ist.
Unfallanalytische Gutachten setzen verlässliche
Anknüpfungstatsachen voraus, an denen es häufig fehlt. Der
mögliche Eingriff in die allgemeinen Persönlichkeitsrechte
anderer (mitgefilmter) Verkehrsteilnehmer führt nicht zu
einer anderen Gewichtung. Denn ihrem Schutz ist vor allem
durch die Regelungen des Datenschutzrechts Rechnung zu
tragen, die nicht auf ein Beweisverwertungsverbot abzielen.
Verstöße gegen die datenschutzrechtlichen Bestimmungen können
mit hohen Geldbußen geahndet werden und vorsätzliche
Handlungen gegen Entgelt oder in Bereicherungs- oder
Schädigungsabsicht sind mit Freiheitsstrafe bedroht. Im
Übrigen kann die Aufsichtsbehörde mit Maßnahmen zur
Beseitigung von Datenschutzverstößen steuernd eingreifen.
Schließlich ist im Unfallhaftpflichtprozess zu beachten,
dass das Gesetz den Beweisinteressen des Unfallgeschädigten
durch die Regelung des § 142 StGB (Unerlaubtes Entfernen vom
Unfallort) ein besonderes Gewicht zugewiesen hat. Danach muss
ein Unfallbeteiligter die Feststellung seiner Person, seines
Fahrzeugs und die Art seiner Beteiligung durch seine
Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall
beteiligt ist, ermöglichen. Nach § 34 StVO sind auf Verlangen
der eigene Name und die eigene Anschrift anzugeben, der
Führerschein und der Fahrzeugschein vorzuweisen sowie Angaben
über die Haftpflichtversicherung zu machen. Die
maßgeblichen Vorschriften lauten: § 4 Abs. 1 BDSG: (1) Die
Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten
sind nur zulässig, soweit dieses Gesetz oder eine andere
Rechtsvorschrift dies erlaubt oder anordnet oder der
Betroffene eingewilligt hat. § 6b Abs. 1 BDSG: (1) Die
Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit
optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) ist
nur zulässig, soweit sie …. 3. zur Wahrnehmung berechtigter
Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist
und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige
Interessen der Betroffenen überwiegen. …. § 28 Abs. 1
BDSG: (1) Das Erheben, Speichern, Verändern oder Übermitteln
personenbezogener Daten oder ihre Nutzung als Mittel für die
Erfüllung eigener Geschäftszwecke ist zulässig … 2.
soweit es zur Wahrung berechtigter Interessen der
verantwortlichen Stelle erforderlich ist und kein Grund zu
der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse des
Betroffenen an dem Ausschluss der Verarbeitung oder Nutzung
überwiegt. … Vorinstanzen: AG Magdeburg – Urteil vom 19.
Dezember 2016 – 104 C 630/15 LG Magdeburg – Urteil vom 5. Mai
2017 – 1 S 15/17 Karlsruhe, den 15. Mai 2018
|
April 2018 |
Vorschriften zur
Einheitsbewertung für die Bemessung der Grundsteuer
verfassungswidrig Karlsruhe, 10. April 2018 -
Das Bundesverfassungsgericht: Die Regelungen des
Bewertungsgesetzes zur Einheitsbewertung von Grundvermögen in
den „alten“ Bundesländern sind jedenfalls seit dem Beginn des
Jahres 2002 mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar.
Das Festhalten des Gesetzgebers an dem
Hauptfeststellungszeitpunkt von 1964 führt zu gravierenden
und umfassenden Ungleichbehandlungen bei der Bewertung von
Grundvermögen, für die es keine ausreichende Rechtfertigung
gibt.
Mit dieser Begründung hat der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts die Vorschriften mit Urteil vom
heutigen Tage für verfassungswidrig erklärt und bestimmt, dass
der Gesetzgeber spätestens bis zum 31. Dezember 2019 eine
Neuregelung zu treffen hat. Bis zu diesem Zeitpunkt
dürfen die verfassungswidrigen Regeln weiter angewandt
werden. Nach Verkündung einer Neuregelung dürfen sie für
weitere fünf Jahre ab der Verkündung, längstens aber
bis zum 31. Dezember 2024 angewandt werden.
Bundesgerichtshof: Urteil
gegen ehemaligen Geschäftsführer des NRW-Baubetriebs
rechtskräftig
Karlsruhe, 03. April 2018 -
Beschluss vom 20. März 2018 – 1
StR 401/17 Das Landgericht Düsseldorf hat den Angeklagten T.
wegen Bestechlichkeit jeweils in Tateinheit mit Untreue in
zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe
zur Steuerhinterziehung sowie wegen versuchten Betruges in
Tateinheit mit Verletzung von Dienstgeheimnissen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten
verurteilt. Der Mitangeklagte M. ist wegen Beihilfe zur
Bestechlichkeit und Untreue in Tateinheit mit Beihilfe zur
Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren
mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Der
erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs, der für Revisionen
in Steuerstrafsachen zuständig ist, hat die gegen ihre
Verurteilung gerichteten Revisionen der Angeklagten als
unbegründet verworfen. Nach den Feststellungen des
nunmehr rechtskräftigen Urteils war der Angeklagte T. von Mai
2001 bis Oktober 2010 Geschäftsführer des Bau- und
Liegenschaftsbetriebs NRW (BLB), zuletzt mit einem
Jahresgehalt von 232.000 Euro. Während dieser Zeit war er als
verbeamteter Leitender Postdirektor beurlaubt. Die ihm in der
Geschäftsführerfunktion bekannt gewordenen Informationen über
anstehende Bauprojekte gab er unbefugt an seinen langjährigen
Bekannten, einen als unseriös geltenden Makler weiter. Dieser
nutzte in Absprache mit dem Angeklagten T. die Erkenntnisse,
um die Kosten des Ankaufs der für die Bauprojekte benötigten
Grundstücke für den BLB in die Höhe zu treiben.
Der
Angeklagte T. veranlasste die Zahlung dieser Kosten, im Fall
des Bauprojektes Düsseldorfer Justizzentrum u.a. eine
Entschädigungszahlung von etwa 3 Millionen Euro und im Fall
des Neubauprojekts Fachhochschule Düsseldorf eine dem
Kaufpreis verdeckt aufgeschlagene Provisionszahlung in Höhe
von etwa 2 Millionen Euro. Von den so erwirtschafteten
Geldern erhielt der Angeklagte plangemäß jeweils einen
Anteil. Auch der Mitangeklagte M., der im Fall des
Bauprojekts Justizzentrum in die Verteilung der Gelder
eingebunden war, erhielt eine Summe zum eigenen Verbrauch. In
einem weiteren Fall gab der Angeklagte T. Einzelheiten zu
einem Kaufangebot betreffend das Landesbehördenhaus Bonn an
seinen Bekannten weiter. Dieser versuchte dann gemäß einem
gemeinsamen Tatplan, von dem ihm über den Angeklagten T.
bekannt gemachten Bieter eine Abfindungszahlung zu erhalten.
Hierfür spiegelte er dem Bieter über eine Strohfrau vor, dass
ein tatsächlich gar nicht existierender weiterer Bieter auf
ein Mitbieten verzichte. Der Bieter erkannte die Täuschung
und zahlte nicht. Vorinstanz: LG Düsseldorf – Urteil vom
13. Februar 2017 – 018 KLs-85 Js 61/10-1/15
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März 2018 |
Oberlandesgericht Düsseldorf: Vergabeverfahren um
Anbaurechte von Cannabis zu medizinischen Zwecken
Düsseldorf/Duisburg, 21. März 2018 - Der Vergabesenat des
Oberlandesgerichts Düsseldorf hat unter der Leitung des
Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dicks in vier
Vergabenachprüfungsverfahren um die Vergabe eines Auftrags
zum Anbau, zur Weiterverarbeitung, Lagerung, Verpackung und
Lieferung von Cannabis zu medizinischen Zwecken
Verhandlungstermine bestimmt.
Die Termine im
Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474
Düsseldorf, finden statt am Mittwoch, den 28.03.2018, ab
10.15 Uhr im Saal BZ 5. Der Vergabesenat verhandelt über
sofortige Beschwerden von vier Unternehmen, die sich am
Verfahren zur Vergabe des Auftrags zum Anbau, zur
Weiterverarbeitung, Lagerung, Verpackung und Lieferung von
Cannabis zu medizinischen Zwecken in einer gesicherten
Inhouse-Plantage in Deutschland für den Lieferzeitraum 2019
bis 2022 beteiligt haben. Auftraggeber ist die
Bundesrepublik Deutschland vertreten durch das
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.
Cannabis, das in der Medizin insbesondere der Behandlung von
Schmerzpatienten dient, wurde in Deutschland in legaler Form
bislang nicht gewerbsmäßig angebaut. Dementsprechend fehlt
es bei den deutschen Bewerbern an Erfahrungswerten. In
diesem Zusammenhang rügt das antragstellende Unternehmen im
Verfahren VII-Verg 40/17, dass eine Frist zu kurz bemessen
war, um, wie gefordert, einen Nachunternehmer mit
entsprechenden Erfahrungen auf dem Gebiet benennen zu
können. Im Verfahren VII-Verg 42/17 ist streitig, ob das
sich um den Auftrag bewerbende Unternehmen eine den
Anforderungen genügende Verpflichtungserklärung eines
ausländischen Unternehmens vorgelegt hat, die den Zugriff
auf dessen Erfahrungen im Cannabisanbau nachweist. Mit
ihren Rechtsmitteln wenden sich die Beschwerdeführer gegen
die jeweiligen Entscheidungen der Vergabekammer des Bundes
(vgl. zu VII Verg 40/17 die Entscheidung vom 01.08.2017, VK
1 - 69/17, zu VII Verg 42/17 die Entscheidung vom
09.08.2017, VK 1 - 77/17, zu VII-Verg 52/17 die Entscheidung
vom 25.10.2017, VK 1 - 119/17 und zu VII-Verg 54/17 die
Entscheidung vom 13.11.2017, 1 VK - 117/17). Die
Vergabekammer hatte die jeweiligen im Nachprüfungsverfahren
gestellten Anträge zurückgewiesen.
Trittschallschutz in der
Wohnungseigentümergemeinschaft
Karlsruhe, den 16. März 2018 - Der
Bundesgerichtshof hat heute über einen Rechtsstreit
entschieden, in dem eine Wohnungseigentümerin von den
benachbarten Wohnungseigentümern verlangt hat, dass diese
nach einer Modernisierung ihres Badezimmers den Schallschutz
verbessern. Sachverhalt: Die Parteien sind Mitglieder einer
Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Anlage wurde im Jahr 1990
errichtet. Die Wohnung der Beklagten liegt über der der
Klägerin. Bei einer Modernisierung ihres Badezimmers im Jahr
2012 ließen die Beklagten den Estrich vollständig entfernen
und eine Fußbodenheizung einbauen. Ferner wurden der
Fliesenbelag sowie sämtliche Sanitärobjekte erneuert und eine
Steigleitung unter Putz verlegt. Gestützt auf die Behauptung,
der Schallschutz habe sich durch die Baumaßnahme
verschlechtert, verlangt die Klägerin, dass die Beklagten
bestimmte Schallschutzmaßnahmen in näher bezeichneter
Ausführung vornehmen; hilfsweise will sie der Sache nach
erreichen, dass die Beklagten ein Schallschutzniveau
herstellen, das dem technischen Stand zur Zeit der Sanierung
im Jahr 2012 entspricht (Trittschallschutz gemäß
Schallschutzstufe III der Richtlinie VDI 4100:2012-10: <=37
dB, hilfsweise Schallschutzstufe II der genannten Richtlinie:
<= 44 dB). Bisheriger Prozessverlauf:
Das Amtsgericht
hat der Klage nur insoweit stattgegeben, als die Beklagten
eine Trittschalldämmung und einen schwimmenden Estrich nach
näheren Vorgaben wiederherstellen sollen. Auf die Berufung
der Klägerin hat das Landgericht das Urteil geändert und die
Beklagten verurteilt, durch geeignete bauliche Maßnahmen im
Bereich des Badezimmers eine Trittschalldämmung dergestalt zu
schaffen, dass der Trittschall 46 dB (gemäß Beiblatt 2 zur
DIN 4109 aus dem Jahr 1989) nicht übersteigt. Mit der von
dem Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin
ihre weitergehenden Hilfsanträge. Da die Beklagten die
Verurteilung hinnehmen, war im Wesentlichen darüber zu
entscheiden, ob die Klägerin verlangen kann, dass ein
besserer Trittschallschutz als bislang zugesprochen (<=46 dB)
hergestellt wird.
Die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs: Der unter anderem für das
Wohnungseigentumsrecht zuständige V. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat die Revision zurückgewiesen, weil das
Landgericht weitergehende Ansprüche der Klägerin gemäß § 15
Abs. 3 WEG ohne Rechtsfehler verneint hat. Für das
Revisionsverfahren war davon auszugehen, dass der Estrich der
Dämmung und Isolierung diente und daher Teil des
Gemeinschaftseigentums war. Infolgedessen haben die Beklagten
ohne Zustimmung der Klägerin eine bauliche Veränderung des
gemeinschaftlichen Eigentums im Sinne von § 22 Abs. 1 WEG
vorgenommen, indem sie den Estrich entfernt und den
Bodenaufbau sodann erneuert haben. Welche Pflichten bei einer
solchen Maßnahme hinsichtlich des Schallschutzes zu beachten
sind, ergibt sich aus § 14 Nr. 1 WEG.
Danach ist
jeder Wohnungseigentümer verpflichtet, von den in seinem
Sondereigentum stehenden Gebäudeteilen sowie von dem
gemeinschaftlichen Eigentum nur in solcher Weise Gebrauch zu
machen, dass dadurch keinem der anderen Wohnungseigentümer
über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche
Maß hinaus ein Nachteil erwächst. Entscheidend war daher, ob
der Klägerin ein solcher Nachteil entstanden ist.
Insoweit hatte der Bundesgerichtshof bereits in der
Vergangenheit geklärt, dass sich der im Verhältnis der
Wohnungseigentümer untereinander zu gewährende Schallschutz
grundsätzlich nach den Mindestanforderungen der DIN 4109 in
der zur Zeit der Gebäudeerrichtung geltenden Ausgabe richtet,
wenn ein vorhandener Bodenbelag durch einen anderen ersetzt
wird (etwa Parkett statt Teppichboden), also das Sonder- und
nicht das Gemeinschaftseigentum verändert wird. Ausdrücklich
offen geblieben war bislang, ob dieselben Maßstäbe gelten,
wenn bei der Erneuerung des Bodenbelags auch (wie hier) in
den Estrich oder in die Geschossdecke eingegriffen wird.
Zu trennen sind dabei zwei Fragen: nämlich erstens, ob
für den Schallschutz die im Zeitpunkt der Errichtung des
Gebäudes oder die im Zeitpunkt der Baumaßnahme geltenden
technischen Vorgaben heranzuziehen sind, und zweitens,
welchen konkreten technischen Vorgaben das zu gewährende
Schallschutzniveau zu entnehmen ist. Zu der ersten Frage hat
der Bundesgerichtshof nun entschieden, dass es sich nach dem
Gewicht des Eingriffs in die Gebäudesubstanz richtet, ob die
im Zeitpunkt der Baumaßnahme geltenden technischen
Anforderungen an den Schallschutz einschlägig sind.
Allein aus dem Umstand, dass bei Renovierungsarbeiten in das
gemeinschaftliche Eigentum eingegriffen wird, ergibt sich
kein überzeugender Grund dafür, dass die im Zeitpunkt der
Maßnahme anerkannten Schallschutzwerte maßgeblich sein
sollen. Ein Wohnungseigentümer, der Eingriffe in das
Gemeinschaftseigentum vornimmt, ist im Grundsatz zwar zu
dessen Wiederherstellung, aber nicht zu einer "Ertüchtigung"
verpflichtet. Wird allerdings – etwa durch einen
nachträglichen Dachgeschossausbau - in erheblichen Umfang in
die Gebäudesubstanz eingegriffen, entsteht bei den übrigen
Wohnungseigentümern die berechtigte Erwartung, dass bei dem
Umbau des Sonder- und des Gemeinschaftseigentums insgesamt
die aktuellen technischen Vorgaben und damit auch die nunmehr
geltenden Schallschutzwerte beachtet werden.
Dagegen
kann bei Sanierungsmaßnahmen, die der üblichen Instandsetzung
oder (ggf. zugleich) der Modernisierung des Sondereigentums
dienen, im Grundsatz ein verbessertes Schallschutzniveau
nicht beansprucht werden, so dass unverändert die bei
Errichtung des Gebäudes geltenden technischen Standards
maßgeblich sind. Um eine solche typische Sanierungsmaßnahme
handelt es sich in aller Regel auch dann, wenn – wie hier -
bei der Sanierung eines vorhandenen Badezimmers in den
Estrich eingegriffen wird. Maßgeblicher Zeitpunkt für die
Bestimmung der Schallschutzwerte ist danach derjenige der
Gebäudeerrichtung. Die oben angesprochene zweite Frage nach
dem konkret einzuhaltenden Schallschutzniveau (auf dem
technischen Stand bei Gebäudeerrichtung) stellt sich in
diesem Verfahren nicht mehr, weil die Verurteilung der
Beklagten zur Einhaltung der (über die Mindeststandards
hinausgehenden) in Beiblatt 2 zur DIN 4109 aus dem Jahr 1989
vorgeschlagenen erhöhten Schallschutzwerte rechtskräftig
geworden ist.
Ein darüber hinausgehendes
Schallschutzniveau auf der Grundlage der VDI-Richtlinie 4100
aus dem Jahr 2012 kann die Klägerin jedenfalls nicht
beanspruchen. Vorinstanzen: AG Hamburg-Harburg – Urteil vom
9. Oktober 2015 – 643 C 205/13 WEG LG Hamburg – Urteil vom
26. Oktober 2016 – 318 S 10/16 WEG Die maßgeblichen
Vorschriften lauten: § 14 Pflichten des Wohnungseigentümers
Jeder Wohnungseigentümer ist verpflichtet:
1. die im
Sondereigentum stehenden Gebäudeteile so instand zu halten
und von diesen sowie von dem gemeinschaftlichen Eigentum nur
in solcher Weise Gebrauch zu machen, dass dadurch keinem der
anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten
Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil
erwächst; (….) § 15 WEG Gebrauchsregelung (3) Jeder
Wohnungseigentümer kann einen Gebrauch der im Sondereigentum
stehenden Gebäudeteile und des gemeinschaftlichen Eigentums
verlangen, der (…) dem Gesetz (…) entspricht. § 22
Besondere Aufwendungen, Wiederaufbau (1) Bauliche
Veränderungen und Aufwendungen, die über die ordnungsmäßige
Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen
Eigentums hinausgehen, können beschlossen oder verlangt
werden, wenn jeder Wohnungseigentümer zustimmt, dessen Rechte
durch die Maßnahmen über das in § 14 Nr. 1 bestimmte Maß
hinaus beeinträchtigt werden. Die Zustimmung ist nicht
erforderlich, soweit die Rechte eines Wohnungseigentümers
nicht in der in Satz 1 bezeichneten Weise beeinträchtigt
werden.
Verletzung der Pressefreiheit
durch ungerechtfertigte Verpflichtung zum Abdruck einer
Gegendarstellung Bundesverfassungsgericht, 14.
März 2018 - Wird auf dem Titelblatt einer Zeitung eine
inhaltlich offene Frage aufgeworfen, so kann nicht allein
aufgrund des Eindrucks, dass für die Frage irgendein Anlass
bestehen müsse, von einer gegendarstellungsfähigen
Tatsachenbehauptung ausgegangen werden. Fragen, die auf die
Ermittlung von Wahrheit oder Unwahrheit gerichtet und offen
für verschiedene Antworten sind, können keinen
Gegendarstellungsanspruch auslösen. Mit dieser Begründung
hat die 3. Kammer des Ersten Senats mit heute
veröffentlichtem Beschluss der Verfassungsbeschwerde der zu
einer Gegendarstellung verurteilten Verlegerin einer
Wochenzeitschrift wegen Verstoßes gegen Artikel 5 GG
stattgegeben und die Sache an das Oberlandesgericht
zurückverwiesen.
Oberverwaltungsgericht NRW:
Langzeitüberwachung durch Verfassungsschutz rechtswidrig
Köln, 14. März 2018 - Das
Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom heutigen Tag
entschieden, dass die langjährige Beobachtung eines
Rechtsanwalts und Publizisten durch das Bundesamt für
Verfassungsschutz rechtswidrig war. Es hat damit eine
Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln bestätigt.
Der Kläger war zwischen 1970 und 2008
durch das Bundesamt für Verfassungsschutz in Form der
Sammlung und Auswertung von Informationen in einer
Personenakte beobachtet worden. Die Beklagte hatte dies im
gerichtlichen Verfahren damit begründet, dass während des
gesamten Beobachtungszeitraums tatsächliche Anhaltspunkte für
verfassungsfeindliche Bestrebungen des Klägers bzw. die
Unterstützung solcher Bestrebungen vorgelegen hätten.
Diese hätten sich aus dessen Tätigkeit für den
Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB, später:
Sozialistischer Hochschulbund) Anfang der 1970er Jahre, seine
Redaktionsmitgliedschaft in der geheimdienst- und
polizeikritischen Zeitschrift "Geheim" von 1986 bis 1999 und
deren spätere publizistische Unterstützung, sowie der
Unterstützung der DKP und weiterer DKP-naher Organisationen,
insbesondere durch journalistisches Eintreten für deren
(Teil-)Ziele und die Tätigkeit als Referent auf
entsprechenden Veranstaltungen ergeben. Der auf
Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beobachtung gerichteten
Klage hatte das Verwaltungsgericht stattgegeben. Die Berufung
des Bundesamtes für Verfassungsschutz hat das
Oberverwaltungsgericht nun zurückgewiesen.
Zur Begründung hat der 16. Senat im
Wesentlichen ausgeführt: Für die Beurteilung der
Rechtmäßigkeit der Maßnahme komme es darauf an, ob die dem
Bundesamt für Verfassungsschutz im jeweiligen Zeitpunkt
bekannten Tatsachen konkrete Anhaltspunkte für
verfassungsfeindliche Bestrebungen geboten hätten. Dies sei
in Bezug auf den Kläger nicht der Fall. Soweit die
Beobachtung darauf gestützt worden war, dass der Kläger dem
SHB sowie der Redaktion der Zeitschrift "Geheim" angehört
bzw. diese Personenzusammenschlüsse unterstützt habe, fehle
es bereits an tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, dass von
diesen Organisationen im entscheidungsrelevanten Zeitraum
verfassungsfeindliche Bestrebungen ausgegangen seien.
Soweit die Beobachtung mit der Unterstützung der DKP bzw.
DKP-naher Vereinigungen begründet worden war, so fehle es an
Anhaltspunkten dafür, dass der Kläger die Organisationen als
solche bzw. deren verfassungsfeindlichen Ziele nachdrücklich
unterstützt habe. Darüber hinaus sei die Beobachtung
angesichts der mit ihr einhergehenden Grundrechtseingriffe
auch unverhältnismäßig gewesen.
Der Senat hat wegen grundsätzlicher
Bedeutung die Revision zum Bundesverwaltungsgericht
zugelassen.
Aktenzeichen: 16 A 906/11 (I. Instanz: VG
Köln 20 K 2331/08)
Bundesgerichtshof: Kein Anspruch
auf weibliche Personenbezeichnungen in Vordrucken und
Formularen Karlsruhe, 13. März 2018 - Urteil vom
13. März 2018 – VI ZR 143/17
Sachverhalt: Die
Klägerin ist Kundin der beklagten Sparkasse. Diese verwendet
im Geschäftsverkehr Formulare und Vordrucke, die neben
grammatisch männlichen Personenbezeichnungen wie etwa
"Kontoinhaber" keine ausdrücklich grammatisch weibliche Form
enthalten. In persönlichen Gesprächen und in individuellen
Schreiben wendet sich die Beklagte an die Klägerin mit der
Anrede "Frau […]". Durch Schreiben ihrer Rechtsanwältin
forderte die Klägerin die Beklagte auf, die Formulare
dahingehend abzuändern, dass diese auch die weibliche Form
("Kontoinhaberin") vorsehen.
Bisheriger
Prozessverlauf: Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die
Berufung der Klägerin hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit
der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die
Klägerin ihren Antrag weiter. Entscheidung des
Bundesgerichtshofs: Der unter anderem für
Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus unerlaubten
Handlungen zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshof
hat die Revision zurückgewiesen.
Die Klägerin
beansprucht von der Beklagten, allgemein in Formularen und
Vordrucken nicht unter grammatisch männlichen, sondern
ausschließlich oder zusätzlich mit grammatisch weiblichen
Personenbezeichnungen erfasst zu werden. Einen derartigen
allgemeinen Anspruch hat sie nicht. § 28 Satz 1 des
Saarländischen Landesgleichstellungsgesetzes begründet keinen
individuellen Anspruch und ist kein Schutzgesetz. Daher
konnte der Senat offen lassen, ob die Vorschrift
verfassungsgemäß ist. Die Klägerin erfährt allein durch
die Verwendung generisch maskuliner Personenbezeichnungen
keine Benachteiligung im Sinne von § 3 des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes. Maßgeblich für die Beurteilung, ob
die betroffene Person eine weniger günstige Behandlung
erfährt als die Vergleichsperson, ist die objektive Sicht
eines verständigen Dritten, nicht die subjektive Sicht der
betroffenen Person. Der Bedeutungsgehalt grammatisch
männlicher Personenbezeichnungen kann nach dem allgemein
üblichen Sprachgebrauch und Sprachverständnis Personen
umfassen, deren natürliches Geschlecht nicht männlich ist
("generisches Maskulinum"). Ein solcher Sprachgebrauch bringt
keine Geringschätzung gegenüber Personen zum Ausdruck, deren
natürliches Geschlecht nicht männlich ist. Dabei verkennt der
Senat nicht, dass grammatisch maskuline
Personenbezeichnungen, die sich auf jedes natürliche
Geschlecht beziehen, vor dem Hintergrund der seit den
1970er-Jahren diskutierten Frage der Benachteiligung von
Frauen durch Sprachsystem sowie Sprachgebrauch als
benachteiligend kritisiert und teilweise nicht mehr so
selbstverständlich als verallgemeinernd empfunden werden, wie
dies noch in der Vergangenheit der Fall gewesen sein mag.
Zwar wird im Bereich der Gesetzgebung und Verwaltung das Ziel
verfolgt, die Gleichstellung von Frauen und Männern auch
sprachlich zum Ausdruck zu bringen. Gleichwohl werden
weiterhin in zahlreichen Gesetzen Personenbezeichnungen im
Sinne des generischen Maskulinums verwendet (siehe etwa §§
21, 30, 38 f., 40 ff. Zahlungskontengesetz: "Kontoinhaber";
§§ 488 ff. BGB "Darlehensnehmer").
Dieser
Sprachgebrauch des Gesetzgebers ist zugleich prägend wie
kennzeichnend für den allgemeinen Sprachgebrauch und das sich
daraus ergebende Sprachverständnis. Es liegt auch keine
Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in seiner
Ausprägung als Schutz der geschlechtlichen Identität vor, da
sich die Beklagte an die Klägerin in persönlichen Gesprächen
und in individuellen Schreiben mit der Anrede "Frau […]"
wendet und durch die Verwendung generisch maskuliner
Personenbezeichnungen in Vordrucken und Formularen kein
Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts erfolgt.
Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch ergibt
sich angesichts des allgemein üblichen Sprachgebrauchs und
Sprachverständnisses auch nicht aus Art. 3 GG. Vorinstanzen:
Landgericht Saarbrücken – Urteil vom 10. März 2017 – 1 S 4/16
Amtsgericht Saarbrücken – Urteil vom 12. Februar 2016 – 36 C
300/15 Maßgebliche Vorschriften lauten: § 28 Satz 1
Saarländisches Landesgleichstellungsgesetz Die Dienststellen
haben beim Erlass von Rechtsvorschriften, bei der Gestaltung
von Vordrucken, in amtlichen Schreiben, in der
Öffentlichkeitsarbeit, im Marketing und bei der
Stellenausschreibung dem Grundsatz der Gleichberechtigung von
Frauen und Männern dadurch Rechnung zu tragen, dass
geschlechtsneutrale Bezeichnungen gewählt werden, hilfsweise
die weibliche und die männliche Form verwendet wird.
§ 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 3 Allgemeines
Gleichbehandlungsgesetz (1) Eine unmittelbare Benachteiligung
liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 [AGG]
genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt,
als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation
erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.
(2) Eine
mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach
neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen
wegen eines in § 1 [AGG] genannten Grundes gegenüber anderen
Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei
denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren
sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und
die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und
erforderlich.
(3) Eine Belästigung ist eine
Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit
einem in § 1 [AGG] genannten Grund in Zusammenhang stehen,
bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden
Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen,
Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen
gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.
Sozialgericht Düsseldorf: 50,00 €
Taschengeld sind nicht auf Hartz IV anzurechnen
Düseldorf/Duisburg, 05. März 2018 - Ein
24-jähriger Kläger aus Krefeld war vor dem Sozialgericht
Düsseldorf mit seiner Klage gegen das Jobcenter wegen der
Berücksichtigung von Taschengeld in Höhe von 50,00 €
erfolgreich. Der Kläger erzielte Einkommen aus einer
selbstständigen Tätigkeit und erhielt darüber hinaus 110,00 €
monatlich von seiner Mutter und weitere 50,00 € monatlich von
seiner Großmutter. Das Jobcenter bewilligte aufstockende
Grundsicherungsleistungen und berücksichtigte dabei alle
Einnahmen. Dagegen wandte sich der Kläger. Er forderte, dass
das Taschengeld seiner Großmutter in Höhe von 50,00 € nicht
angerechnet werden dürfe, da dies grob unbillig sei.
Die 12. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf folgte der
Argumentation des Klägers. Grundsätzlich seien alle Einnahmen
auf Grundsicherungsleistungen anzurechnen. Eine Ausnahme
gelte, soweit ihre Berücksichtigung für die
Leistungsberechtigten grob unbillig wäre oder sie die Lage
der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflussen
würden, dass daneben Leistungen nicht gerechtfertigt wären.
Im vorliegenden Fall sei die Berücksichtigung bereits
grob unbillig. Das Taschengeld der Großmutter sei dazu
gedacht gewesen, Bewerbungskosten zu finanzieren und nicht
den Lebensunterhalt davon zu bestreiten. Eine Anrechnung
würde die Bemühungen des Klägers, "auf eigene Füße" zu
kommen, beeinträchtigen. Außerdem sei ein Taschengeld in Höhe
von 50,00 € so gering, dass daneben ein Leistungsbezug noch
gerechtfertigt sei. 50,00 € entsprächen lediglich etwa einem
Achtel des Regelbedarfs. Urteil vom 07.06.2017 – S 12 AS
3570/15 – rechtskräftig –
Kein Mord: Bundesgerichtshof
entscheidet in drei sogenannten "Raser-Fällen"
Karlsruhe, 01. März 2018 - Der u.a. für Verkehrsstrafsachen
zuständige 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat über die
Revisionen in drei sogenannten "Raser-Fällen" entschieden.
Urteil vom 1. März 2018 - 4 StR 399/17 – der Berliner
Fall Das Landgericht Berlin hat zwei Angeklagte (unter
anderem) wegen mittäterschaftlich begangenen Mordes zu
lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den
Feststellungen der Schwurgerichtskammer des Landgerichts
führten die damals 24 und 26 Jahre alten Angeklagten am 1.
Februar 2016 gegen 0:30 Uhr in Berlin entlang des
Kurfürstendamms und der Tauentzienstraße ein spontanes
Autorennen durch. In dessen Verlauf fuhren sie nahezu
nebeneinander bei Rotlicht zeigender Ampel und mit
Geschwindigkeiten von 139 bis 149 km/h bzw. 160 bis 170 km/h
in den Bereich der Kreuzung Tauentzienstraße/Nürnberger
Straße ein. Im Kreuzungsbereich kollidierte der auf der
rechten Fahrbahn fahrende Angeklagte mit einem Pkw, der bei
grünem Ampellicht aus der Nürnberger Straße von rechts
kommend in die Kreuzung eingefahren war. Dessen Fahrer erlag
noch am Unfallort seinen schweren Verletzungen. Durch die
Wucht des Aufpralls wurde das Fahrzeug dieses Angeklagten
zudem auf das neben ihm fahrende Fahrzeug des Mitangeklagten
geschleudert, in welchem die Nebenklägerin auf dem
Beifahrersitz saß. Diese wurde bei dem Unfall erheblich, die
Angeklagten wurden leicht verletzt.
Auf die
Revisionen der Angeklagten hat der 4. Strafsenat das Urteil
des Landgerichts insgesamt aufgehoben. Die Verurteilung wegen
Mordes konnte keinen Bestand haben, weil sie auf einer in
mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaften Grundlage ergangen
ist. Der vom Landgericht Berlin festgestellte
Geschehensablauf trägt schon nicht die Annahme eines
vorsätzlichen Tötungsdelikts. Nach den Urteilsfeststellungen,
an die der Senat gebunden ist, hatten die Angeklagten die
Möglichkeit eines für einen anderen Verkehrsteilnehmer
tödlichen Ausgangs ihres Rennens erst erkannt und billigend
in Kauf genommen, als sie in die Unfallkreuzung einfuhren.
Genau für diesen Zeitpunkt hat das Landgericht allerdings
auch festgestellt, dass die Angeklagten keine Möglichkeit
mehr hatten, den Unfall zu verhindern; sie seien "absolut
unfähig gewesen, noch zu reagieren". Nach diesen
Feststellungen war das zu dem tödlichen Unfall führende
Geschehen bereits unumkehrbar in Gang gesetzt, bevor die für
die Annahme eines Tötungsvorsatzes erforderliche Vorstellung
bei den Angeklagten entstanden war. Ein für den Unfall und
den Tod unfallbeteiligter Verkehrsteilnehmer ursächliches
Verhalten der Angeklagten, das von einem Tötungsvorsatz
getragen war, gab es nach diesen eindeutigen
Urteilsfeststellungen nicht. Davon abgesehen leidet auch die
Beweiswürdigung der Strafkammer zur subjektiven Seite der Tat
unter durchgreifenden rechtlichen Mängeln. Diese
betreffen die Ausführungen zu der Frage, ob eine etwaige
Eigengefährdung der Angeklagten im Falle eines Unfalls gegen
das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes sprechen könnte. Dies
hat das Landgericht mit der Begründung verneint, dass die
Angeklagten sich in ihren Fahrzeugen absolut sicher gefühlt
und eine Eigengefährdung ausgeblendet hätten. Mit dieser
Erwägung ist aber nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen,
dass die Angeklagten, wie das Landgericht weiter angenommen
hat, bezüglich der tatsächlich verletzten Beifahrerin des
einen von ihnen schwere und sogar tödliche Verletzungen als
Folge eines Unfalls in Kauf genommen haben. Schon diesen
Widerspruch in der Gefährdungseinschätzung der Angeklagten zu
Personen, die sich in demselben Fahrzeug befanden, hat die
Schwurgerichtskammer nicht aufgelöst. Hinzu kommt, dass
sie auch die Annahme, die Angeklagten hätten sich in ihren
Fahrzeugen absolut sicher gefühlt, nicht in der
erforderlichen Weise belegt hat. Sie hat diese Annahme darauf
gestützt, dass mit den Angeklagten vergleichbare Fahrer sich
in ihren tonnenschweren, stark beschleunigenden und mit
umfassender Sicherheitstechnik ausgestatteten Fahrzeugen
regelmäßig sicher fühlten "wie in einem Panzer oder in einer
Burg". Einen Erfahrungssatz dieses Inhalts gibt es aber
nicht. Ein weiterer Rechtsfehler betrifft die Verurteilung
des Angeklagten, dessen Fahrzeug nicht mit dem des
Unfallopfers kollidiert ist. Seine Verurteilung wegen
mittäterschaftlich begangenen Mordes könnte – selbst wenn die
Strafkammer die Annahme eines Tötungsvorsatzes bei Begehung
der Tathandlungen rechtsfehlerfrei begründet hätte – keinen
Bestand haben. Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich
nämlich nicht, dass die Angeklagten ein Tötungsdelikt als
Mittäter begangen haben. Dafür wäre erforderlich, dass die
Angeklagten einen auf die Tötung eines anderen Menschen
gerichteten gemeinsamen Tatentschluss gefasst und diesen
gemeinschaftlich (arbeitsteilig) ausgeführt hätten. Die
Verabredung, gemeinsam ein illegales Straßenrennen
auszutragen, auf die das Landgericht abgestellt hat, hat
einen anderen Inhalt und reicht für die Annahme eines
mittäterschaftlichen Tötungsdelikts nicht aus. Vorinstanz:
Landgericht Berlin - Urteil vom 27. Februar 2017 – (535 Ks)
251 Js 52/16 (8/16) Urteil vom 1. März 2018 - 4 StR 311/17 –
der Bremer Fall Das Landgericht Bremen hat den zur Tatzeit
23-jährigen Angeklagten unter anderem wegen fahrlässiger
Tötung in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des
Straßenverkehrs zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und
neun Monaten verurteilt. Ferner hat es Führerscheinmaßnahmen
angeordnet. Nach den Feststellungen des Landgerichts war
der Angeklagte im Vorfeld des verfahrensgegenständlichen
Unfalls dadurch in Erscheinung getreten, dass er seine
Motorradausfahrten einschließlich dabei begangener
Verkehrsverstöße, darunter deutliche
Geschwindigkeitsüberschreitungen und Rotlichtverstöße,
bisweilen mit einer Helmkamera aufzeichnete, sein
Fahrverhalten dabei kommentierte und die von ihm erstellten
Videos im Internet zur Schau stellte. Auch am Abend des 17.
Juni 2016 fuhr der Angeklagte – ohne dies allerdings zu
filmen – zunächst mit seinem 200 PS starken Motorrad mit bis
zu 150 km/h auf innerstädtischen Straßen Bremens. Auf die
Unfallkreuzung und die für ihn Grün und dann Gelb zeigende
Ampel fuhr er mit 97 km/h zu. Infolge der nach wie vor weit
überhöhten Geschwindigkeit vermochte er trotz einer sofort
eingeleiteten Vollbremsung nicht zu verhindern, dass er einen
75-jährigen Fußgänger, der vor der Kreuzung von rechts
kommend im Begriff war, bei für ihn Rot zeigender
Fußgängerampel die Straße zu überqueren, mit seinem Motorrad
erfasste. Das Opfer erlag wenig später seinen schweren
Unfallverletzungen. Der Angeklagte wurde bei der
Kollision schwer verletzt. Der 4. Strafsenat hat sowohl die
Revision des Angeklagten, mit der er sich nur noch gegen den
Rechtsfolgenausspruch wandte, als auch die Revision der
Staatsanwaltschaft, die eine Verurteilung des Angeklagten
wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts erstrebte, als
unbegründet verworfen. Insbesondere war die von der
Staatsanwaltschaft angegriffene Beweiswürdigung, mit der das
Landgericht einen (bedingten) Tötungsvorsatz des Angeklagten
verneint hat, nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat die
subjektive Tatseite vielmehr auf der Grundlage einer
umfassenden und sorgfältigen Gesamtschau aller hierfür
maßgeblichen Umstände des Einzelfalles bewertet und ist
rechtlich beanstandungsfrei zu der Überzeugung gelangt, dass
der Angeklagte trotz der von ihm erkannten Gefahr, durch
seine Fahrweise andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden,
darauf vertraute, dass alles gut gehen und niemand zu Tode
kommen werde. Zur Begründung hat es u.a. darauf
verwiesen, dass der Angeklagte bei Wahrnehmung des Fußgängers
sofort eine Vollbremsung einleitete und für ihn als
Motorradfahrer ein Unfall mit der Gefahr schwerer eigener
Verletzungen verbunden war, was neben der ausführlich und
nachvollziehbar begründeten Fehleinschätzung der eigenen
Fahrfähigkeiten deutlich dafür sprach, dass er glaubte, einen
Unfall vermeiden zu können.
Vorinstanz: Landgericht
Bremen - Urteil vom 31. Januar 2017 – 21 Ks 280 Js 39688/16
(12/16) Urteil vom 1. März 2018 - 4 StR 158/17 – der
Frankfurter Fall Das Landgericht Frankfurt am Main hat den
Angeklagten – als Heranwachsenden – u.a. wegen fahrlässiger
Tötung in Tateinheit mit Gefährdung des Straßenverkehrs zu
einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt und
Führerscheinmaßnahmen angeordnet. Das Landgericht hat
festgestellt, dass der zur Tatzeit 20-jährige Angeklagte am
Abend des 22. April 2015 als Führer eines gemieteten Pkw auf
dem Weg zu einem Treffen mit Freunden die Straße Schwanheimer
Ufer in Richtung der Frankfurter Innenstadt befuhr. In
die Kreuzung im Bereich der Autobahnauffahrt zur BAB 5 fuhr
er mit 142 km/h (erlaubte Höchstgeschwindigkeit 70 km/h) ein,
obwohl die dortige Lichtzeichenanlage für ihn bereits seit 7
Sekunden Rot zeigte. Im Bereich der Kreuzung fuhr der
Angeklagte ungebremst – das Herannahen des anderen Fahrzeugs
konnte er wegen eines sichtbehindernden Bewuchses mit Büschen
nicht sehen – in die rechte Seite des Pkw des Geschädigten.
Dieser war aus der Gegenrichtung kommend bei Grünlicht
losgefahren und im Begriff, vorfahrtsberechtigt die Fahrbahn
des Angeklagten in Richtung der Autobahnauffahrt zu queren.
Der Geschädigte erlag noch am Unfallort seinen schweren
Verletzungen; der Angeklagte wurde nur leicht verletzt. Der
4. Strafsenat hat das Urteil auf die Revision der
Staatsanwaltschaft wegen eines Fehlers in der Beweiswürdigung
aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen des vorgenannten
Geschehens verurteilt worden ist. Das Landgericht hat bei
seiner Prüfung, ob der Angeklagte den Tod des Geschädigten
bedingt vorsätzlich oder nur bewusst fahrlässig herbeiführte,
zwar im Grundsatz zutreffend die dem Angeklagten bei einem
Unfall drohende Gefahr für seine eigene körperliche
Integrität als vorsatzkritischen Umstand in seine Betrachtung
einbezogen, das diesem Umstand beigemessene hohe Gewicht aber
nicht ausreichend belegt. Das Landgericht ist von der
Annahme ausgegangen, dass der Angeklagte bei einer Kollision
– trotz des zu Recht herangezogenen Aspekts, dass er nicht
angeschnallt war – "zwangsläufig" auch seinen eigenen Tod
billigend in Kauf genommen hätte. Die Urteilsgründe verhalten
sich aber nicht dazu, welche konkreten Unfallszenarien der
Angeklagte, der den Tod anderer als mögliche Folge seines
Handelns nach den Feststellungen des Landgerichts erkannt
hatte, vor Augen hatte.
Da es eine generelle Regel,
wonach bei Fahrzeugkollisionen die Risiken für die Insassen
der am Unfall beteiligten Fahrzeuge nahezu gleichmäßig
verteilt sind und deshalb die Inkaufnahme tödlicher Folgen
für Insassen im unfallgegnerischen Fahrzeug notwendig auch
die Billigung eines gleichgelagerten Eigenrisikos zur Folge
hat, in dieser Allgemeinheit nicht gibt, hätte dieser
Gesichtspunkt der weiteren Begründung bedurft. Ein darüber
hinaus vorliegender Rechtsfehler bei der Strafzumessung, der
sich auch zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben kann,
hat zu einem Teilerfolg der Revision des Angeklagten geführt.
Vorinstanz: Landgericht Frankfurt am Main - Urteil
vom 1. Dezember 2016 – 5/8 KLs 4690 Js 215349/15 (1/16)
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Februar 2018 |
Dieselfahrverbote als Folge des Abgasskandals
- BZ-auf ein Wort: Verzockt!
IHK zur Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichtes bezüglich Dieselfahrverbote
Matthias
Wulfert, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der
Niederrheinischen IHK Duisburg-Wesel-Kleve: „In Duisburg und
am Niederrhein sind Fahrverbote derzeit kein Thema. Verbote
in Düsseldorf oder Essen beträfen jedoch auch unsere
Unternehmen. Für Lieferanten, Berufspendler und Kunden
stellen sie einen massiven Eingriff in die Bewegungsfreiheit
dar. Es ist im Interesse der Wirtschaft an Rhein und Ruhr,
dass Kommunen und Bezirksregierung jetzt mit Augenmaß
entscheiden. Für Lieferanten, Paketdienstleister oder
Servicefahrzeuge bräuchten wir auf jeden Fall großzügige
Ausnahmen.“
Verzockt!
Jetzt ist ein Urteil da, das auch zu
Konsequenzen führen muss - bei den deutschen Autobauern.
Genauer gesagt bei den Schummlern in Sachen Abgase - nicht
aber bei den Dieselnutzern. Wie kann es sein, dass in den USA
die Schummler zur Kasse gebeten werden, hier in Deutschland
aber nicht? Wieso müssen nur Appelle her, dass die Autobauer
auf ihre Kosten nachrüsten müssten? Wie kann es sein, dass
die Chefs wie Zetsche und Co. analog zu den Bänkern noch
Millionen an Boni erhalten, die Käufer aber draufzahlen
sollen?
Der verunsicherte Bürger mit im guten
Glauben gekauften Dieselfahrzeugen und die unzähligen
Händler, Lieferanten, Handwerksunternehmen und wer auch immer
müssen von diesen Betrügern geschützt werden. Es muss das
Verursacher-Prinzip gelten und eine gesetzliche
Grundlage dafür geben - und es muss jetzt passieren. Das
heutige Urteil der Leipziger Richter könnte endlich Bewegung
in die Schummelaffäre bringen. BZ-Kommentar Harald
Jeschke
Nach Gerichtsurteil zu
Diesel-Fahrverboten ÖPNV stärken Haus & Grund fordert
Vorleistung der Städte Nach dem heutigen
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Diesel-Fahrverboten
fordert der Interessenverband der privaten Haus- und
Wohnungseigentümer Haus & Grund, dass Pendler durch mögliche
Fahrverbote nicht benachteiligt werden dürfen. „Wenn es
den Städten nicht gelingt, schnell für attraktive
Alternativen zum Individualverkehr zu sorgen, wird der Zuzug
in die Zentren weiter verstärkt – mit allen negativen
Konsequenzen“, warnte Haus & Grund-Präsident Kai Warnecke.
Auch ohne Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge ist es laut
Haus & Grund geboten, das Umland und die ländlichen Räume so
anzubinden, dass die Wohnungsmärkte in den begehrten
Innenstädten entlastet werden. Diese Aufgabe sei nun
dringlicher denn je, betonte Warnecke. Eine moderne
Infrastruktur sei dafür zwingend notwendig, sei es in Form
einer besseren Anbindung durch den öffentlichen
Personennahverkehr oder auch durch moderne Datenleitungen.
Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge
sind laut Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich zulässig. Zu
prüfen ist die Verhältnismäßigkeit wobei eine bundesweite
Regelung dafür nicht notwendig ist, verkündte heute der
Vorsitzende Richter Andreas Korbmacher.
Leipzig, 27. Februar 2018 - Im Urteil ist
die Rede von Übergangsfristen und einer peu à peu Einführung
von Fahrverboten, aber mit Ausnahmeregelungen für Handwerker
und Anwohner).
Mit zwei Urteilen hat das
Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute die
Sprungrevisionen der Länder Nordrhein-Westfalen
(BVerwG 7 C 26.16) und Baden-Württemberg (BVerwG 7 C 30.17)
gegen erstinstanzliche Gerichtsentscheidungen der
Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Stuttgart zur
Fortschreibung der Luftreinhaltepläne Düsseldorf und
Stuttgart überwiegend zurückgewiesen.
Allerdings sind
bei der Prüfung von Verkehrsverboten für
Diesel-Kraftfahrzeuge gerichtliche Maßgaben insbesondere zur
Wahrung der
Verhältnismäßigkeit zu beachten. Das
Verwaltungsgericht Düsseldorf verpflichtete das Land
Nordrhein-Westfalen auf Klage der Deutschen Umwelthilfe, den
Luftreinhalteplan für Düsseldorf so zu ändern, dass dieser
die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen
Einhaltung des über ein Jahr gemittelten Grenzwertes für
Stickstoffdioxid (NO) in Höhe von 40 µg/m³ im Stadtgebiet
Düsseldorf enthält.
Der Beklagte sei verpflichtet, im
Wege einer Änderung des Luftreinhalteplans weitere Maßnahmen
zur Beschränkung der Emissionen von Dieselfahrzeugen zu
prüfen. Beschränkte Fahrverbote für bestimmte Dieselfahrzeuge
seien rechtlich und tatsächlich nicht ausgeschlossen. Das
Verwaltungsgericht Stuttgart verpflichtete das Land
Baden-Württemberg, den Luftreinhalteplan für Stuttgart so zu
ergänzen, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur
schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr
gemittelten Immissionsgrenzwertes für NOin Höhe von 40 µg/m³
und des Stundengrenzwertes für NOvon 200 µg/m³ bei maximal 18
zugelassenen Überschreitungen im Kalenderjahr in der
Umweltzone Stuttgart enthält.
Der Beklagte habe ein
ganzjähriges Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit
Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 sowie für
alle Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren unterhalb der
Schadstoffklasse Euro 3 in der Umweltzone Stuttgart in
Betracht zu ziehen. Die verwaltungsgerichtlichen Urteile sind
vor dem Hintergrund des Unionsrechts überwiegend nicht zu
beanstanden. Unionsrecht und Bundesrecht verpflichten dazu,
durch in Luftreinhalteplänen enthaltene geeignete Maßnahmen
den Zeitraum einer Überschreitung der seit 1. Januar 2010
geltenden Grenzwerte für NOso kurz wie möglich zu halten.
Entgegen der Annahmen der Verwaltungsgerichte lässt das
Bundesrecht zonen- wie streckenbezogene Verkehrsverbote
speziell für Diesel-Kraftfahrzeuge jedoch nicht zu. Nach der
bundesrechtlichen Verordnung zur Kennzeichnung der
Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung
(„Plakettenregelung“) ist der Erlass von Verkehrsverboten,
die an das Emissionsverhalten von Kraftfahrzeugen anknüpfen,
bei der Luftreinhalteplanung vielmehr nur nach deren Maßgaben
möglich (rote, gelbe und grüne Plakette).
Mit Blick
auf die unionsrechtliche Verpflichtung zur schnellstmöglichen
Einhaltung der NO-Grenzwerte ergibt sich jedoch aus der
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union,
dass nationales Recht, dessen
unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist,
unangewendet bleiben muss,
wenn dies für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts
erforderlich ist.
Deshalb bleiben die „Plakettenregelung“ sowie die StVO,
soweit diese der Verpflichtung zur Grenzwerteinhaltung
entgegenstehen, unangewendet, wenn ein Verkehrsverbot für
Diesel-Kraftfahrzeuge sich als die einzig geeignete Maßnahme
erweist, den Zeitraum einer Nichteinhaltung der NO-Grenzwerte
so kurz wie möglich zu halten.
Hinsichtlich des Luftreinhalteplans Stuttgart hat das
Verwaltungsgericht in tatsächlicher Hinsicht festgestellt,
dass lediglich ein Verkehrsverbot
für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der
Schadstoffklasse Euro 6 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit
Ottomotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 3 in der
Umweltzone Stuttgart eine geeignete Luftreinhaltemaßnahme
darstellt.
Bei Erlass dieser Maßnahme wird
jedoch - wie bei allen in einen Luftreinhalteplan
aufgenommenen Maßnahmen - sicherzustellen sein, dass der auch
im Unionsrecht verankerte Grundsatz derVerhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Insoweit ist
hinsichtlich der Umweltzone Stuttgart eine phasenweise
Einführung von Verkehrsverboten, die in einer ersten Stufe
nur ältere Fahrzeuge (etwa bis zur Abgasnorm Euro 4)
betrifft, zu prüfen.
Zur Herstellung der Verhältnismäßigkeit dürfen
Euro-5-Fahrzeuge jedenfalls nicht vor dem 1. September 2019
(mithin also vier Jahre nach Einführung der Abgasnorm Euro 6)
mit Verkehrsverboten belegt werden. Darüber hinaus bedarf es
hinreichender Ausnahmen, z.B. für
Handwerker oder bestimmte Anwohnergruppen.
Hinsichtlich des Luftreinhalteplans Düsseldorf hat das
Verwaltungsgericht festgestellt, dass Maßnahmen zur
Begrenzung der von Dieselfahrzeugen ausgehenden Emissionen
nicht ernsthaft in den Blick genommen worden sind. Dies wird
der Beklagte nachzuholen haben.
Ergibt sich
bei der Prüfung, dass sich Verkehrsverbote für
Diesel-Kraftfahrzeuge als die einzig geeigneten Maßnahmen zur
schnellstmöglichen Einhaltung überschrittener NO-Grenzwerte
darstellen, sind diese - unter Wahrung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit - in Betracht zu ziehen. Die
StVO ermöglicht die Beschilderung sowohl zonaler als auch
streckenbezogener Verkehrsverbote für Diesel-Kraftfahrzeuge.
Der Vollzug solcher Verbote ist zwar gegenüber einer
„Plakettenregelung“ deutlich erschwert. Dies führt allerdings
nicht zur Rechtswidrigkeit der Regelung. BVerwG 7 C 26.16 -
Urteil vom 27. Februar 2018 Vorinstanz: VG Düsseldorf, 3 K
7695/15 - Urteil vom 13. September 2016 - BVerwG 7 C 30.17 -
Urteil vom 27. Februar 2018 Vorinstanz: VG Stuttgart, 13 K
5412/15 - Urteil vom 26. Juli 2017 -
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes
am 22. Februar vertagt
Nach fast fünf
Stunden Anhörung und Verhandlung vertagte das
Bundesverfwaltungsgericht die Entscheidung zum höchst
brisanten Thema auf kommenden Dienstag.
Der Kläger, eine anerkannte
Umweltschutzvereinigung, begehrt die Änderung der
Luftreinhaltepläne für die Städte Düsseldorf und Stuttgart
mit dem Ziel der Einhaltung der Immissionsgrenzwerte für
Stickstoffdioxid (NO2 ). Das Verwaltungsgericht
Düsseldorf verpflichtete das Land Nordrhein-Westfalen mit
Urteil vom 13. September 2016, den Luftreinhalteplan für
Düsseldorf so zu ändern, dass dieser die erforderlichen
Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Jahr
gemittelten Grenzwertes für NO2 i.H.v. 40 µg/m³ im
Stadtgebiet Düsseldorf enthält. Der Beklagte sei
verpflichtet, im Wege einer Änderung des Luftreinhalteplans
weitere Maßnahmen zur Beschränkung der Emissionen von
Dieselfahrzeugen zu prüfen. (Beschränkte) Fahrverbote für
(bestimmte) Dieselfahrzeuge seien rechtlich (und tatsächlich)
nicht von vornherein ausgeschlossen. Das
Verwaltungsgericht Stuttgart verpflichtete das Land
Baden-Württemberg mit Urteil vom 26. Juli 2017, den
Luftreinhalteplan für Stuttgart so fortzuschreiben bzw. zu
ergänzen, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur
schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr
gemittelten Immissionsgrenzwertes für NO2 i.H.v. 40 µg/m³ und
des Stundengrenzwertes für NO2 von 200 µg/m³ bei maximal 18
zugelassenen Überschreitungen im Kalenderjahr in der
Umweltzone Stuttgart enthält. Der Beklagte habe ein
ganzjähriges Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit
benzin- oder gasgetriebenen Ottomotoren unterhalb der
Schadstoffklasse Euro 3 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit
Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 in der
Umweltzone Stuttgart in Betracht zu ziehen. Ein solches
Verkehrsverbot könne in rechtlich zulässiger Weise
durchgesetzt werden. Gegen die Urteile wenden sich die vom
Verwaltungsgericht Düsseldorf sowie vom Verwaltungsgericht
Stuttgart jeweils zugelassenen Sprungrevisionen der Länder
Nordrhein-Westfalen (BVerwG 7 C 26.16) und Baden-Württemberg
(BVerwG 7 C 30.17). Die Beklagten halten Fahrverbote für
Diesel-Fahrzeuge auf der Grundlage des geltenden Rechts für
unzulässig.
Oberlandesgericht
Hamm verhandelt sechs Rechtsstreitigkeiten vom sog.
ʺAbgasskandalʺ |
Der 28. Zivilsenat des Oberlandesgerichts
Hamm hat heute (27. Februar 2018) den Rechtsstreit eines vom
sog. "Abgasskandal" betroffenen Fahrzeuginhabers aus Hamm
gegen die Firma eines ehemaligen Autohändlers aus Hamm
mündlich verhandelt (Az. 28 U 235/16 OLG Hamm).
In der mündlichen Verhandlung ist u.a.
deutlich geworden, dass der Senat im Falle einer streitigen
Entscheidung den vom Kläger in erster Linie geltend gemachten
Anspruch auf Nacherfüllung durch Lieferung eines
mangelfreien Ersatzfahrzeugs und, sofern diesem Verlangen
nicht zu entsprechen ist, den weiter hilfsweise geltend
gemachten Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages zu
prüfen haben wird.
Dabei könnte die Abschaltvorrichtung des
Fahrzeugmotors als Sachmangel des Fahrzeugs (§ 434 Abs. 1. S.
2 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch) zu beurteilen sein.
Beim primär geltend gemachten Anspruch
könnte sich zudem die Frage stellen, ob noch eine
Ersatzlieferung oder bereits eine Kaufsache anderer Art
verlangt wird, weil der Kläger - wie im Verhandlungstermin
bekundet - ein Fahrzeug einer von der ursprünglichen
Bestellung abweichenden, aktuelleren Fahrzeugbaureihe
begehrt. Zudem könnte zu prüfen sein, ob die Beklagte diese
Art der Nacherfüllung zu Recht als unverhältnismäßig ablehnt.
Bei einer Prüfung des hilfsweise geltend
gemachten Anspruches auf Rückabwicklung des Kaufvertrages
unter dem Gesichtspunkt eines im Prozess erklärten Rücktritts
vom Kaufvertrag könnte u. a. zu beurteilen sein, ob
dem Kläger eine von der Beklagten angebotene Nachbesserung
durch das vom Hersteller bereit gestellte Softwareupdate
nicht zuzumuten war, so dass keine Frist zur Nachbesserung
gesetzt werden musste.
Am Ende der Verhandlung hat der Senat
beiden Parteien - ihren insoweit gestellten Anträgen
entsprechend - eine Frist bis zum 27.03.2018 bewilligt,
innerhalb derer die Parteien weiter schriftsätzlich vortragen
können. Termin zur Verkündung einer Entscheidung ist
anberaumt auf den 26.04.2018, 12:00 Uhr, Saal B 301.
In den Monaten März und April 2018
verhandelt der 28. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm
sechs Rechtsstreitigkeiten vom sog. ʺAbgasskandalʺ
betroffener Kunden des Volkswagenkonzerns.
Bislang (Stand: 23.02.2018) sind beim
Oberlandesgericht Hamm 230 Berufungsverfahren mit Bezügen zum
sog. ʺVW-Abgasskandalʺ eingegangen. 33 Verfahren sind
erledigt worden, ohne dass der zuständige Senat die
Abgasproblematik materiell-rechtlich zu beurteilen hatte.
Im März und April 2018 werden folgende
Fälle verhandelt:
8. März 2018, 9:30 Uhr, Saal B-301:
Mündliche Verhandlung des 28. Zivilsenats in dem Rechtsstreit
mit dem Az. 28 U 11/17 OLG Hamm
Die klagende Kundin aus Kamen verlangt vom
beklagten Autohaus aus Hamm die Rückzahlung eines Kaufpreises
von 22.350 Euro. Zu diesem Preis erwarb die Klägerin mit
einem im Juli 2014 abgeschlossenen Kaufvertrag einen VW
Touran von der Beklagten. Im Januar 2016 erklärte die
Klägerin gegenüber der Beklagten, dass sie den Kaufvertrag
aufgrund der im Fahrzeugmotor installierten
Manipulationssoftware wegen arglistiger Täuschung anfechte.
Mit Urteil vom 13.12.2016 hat das
Landgericht Dortmund die Klage abgewiesen (Az. 12 O 36/16 LG
Dortmund). Vom abgeschlossenen Kaufvertrag sei die Klägerin
nicht zurückgetreten, so das Landgericht, weil sie keinen
Rücktritt erklärt habe. Ein bereicherungsrechtlicher Anspruch
auf Rückzahlung des Kaufpreises stehe der Klägerin nicht zu,
weil sie den Kaufvertrag mangels Anfechtungsgrundes nicht
wirksam angefochten habe. Die Beklagte selbst habe die
Klägerin über die Manipulationssoftware nicht arglistig
getäuscht. Insoweit bei der Herstellerin vorhandenes Wissen
müsse sich die Beklagte als Vertragshändlerin nicht zurechnen
lassen.
In der Berufungsinstanz hält die Klägerin
an ihrem Klagebegehren fest. Zum Verhandlungstermin am
08.03.2018 ist das persönliche Erscheinen der Klägerin und
eines Vertreters der Beklagten angeordnet.
15. März 2018, 12:00 Uhr, Saal B-301:
Mündliche Verhandlung des 28. Zivilsenats in dem Rechtsstreit
mit dem Az. 28 U 62/17 OLG Hamm
Der klagende Kunde aus Salzkotten verlangt
von der beklagten Herstellerin aus Wolfsburg die
Rückabwicklung eines im Januar 2014 abgeschlossenen
Kaufvertrages über einen VW Tiguan zum Kaufpreis von ca.
36.500 Euro. Das Fahrzeug hatte der Kläger über einen Händler
aus Büren bezogen.
Mit Urteil vom 15.02.2017 hat das
Landgericht Paderborn der Klage im Wesentlichen stattgegeben
(Az. 4 O 231/16 LG Paderborn). Vom abgeschlossenen
Kaufvertrag sei der Kläger wirksam zurückgetreten, so das
Landgericht. Die im Motor installierte Manipulationssoftware
begründe einen Fahrzeugmangel. Eine angemessene Frist zur
Nachbesserung habe der Kläger mit einer von ihm
ausgesprochenen Fristsetzung in Gang gesetzt. Die Frist sei
erfolglos abgelaufen. Der Mangel sei auch erheblich.
Abzüglich einer Nutzungsentschädigung und gegen Rückgabe des
Fahrzeugs müsse die Beklagte daher den Kaufpreis in Höhe von
ca. 31.450 Euro zurückzahlen.
In der Berufungsinstanz verfolgt die
Beklagte ihr Begehren, die Abweisung der Klage zu erreichen,
weiter. Zum Verhandlungstermin am 15.03.2018 hat der Senat
das persönliche Erscheinen des Klägers und eines Vertreters
der Beklagten angeordnet.
5. April 2018, 9:00 Uhr, Saal B-301:
Mündliche Verhandlung des 28. Zivilsenats in dem Rechtsstreit
mit dem Az. 28 U 23/17 OLG Hamm
Der klagende Kunde aus Bochum verlangt vom
beklagten Autohaus aus Bochum die Rückabwicklung eines im
März 2012 abgeschlossenen Kaufvertrages über einen VW Golf
Trendline zum Kaufpreis von ca. 18.000 Euro.
Mit Urteil vom 11.01.2017 hat das
Landgericht Bochum die Klage abgewiesen (Az. 2 O 276/16 LG
Bochum). Der Kläger habe den Kaufvertrag nicht wirksam
angefochten, so das Landgericht. Die Voraussetzungen einer
arglistigen Täuschung durch die Beklagte seien nicht
dargetan, Wissen der Herstellerin müsse sich die Beklagte
insoweit nicht zurechnen lassen. Zudem sei der Kläger nicht
wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten. Der infrage stehende
Mangel des Einbaus der Manipulationssoftware sei unerheblich.
Er könne mit einem Aufwand von bis zu 100 Euro beseitigt
werden.
In der Berufungsinstanz verfolgt der
Kläger sein Klagebegehren weiter. Zum Verhandlungstermin am
05.04.2018 hat der Senat das persönliche Erscheinen des
Klägers und eines Vertreters der Beklagten angeordnet.
10. April 2018, 9:30 Uhr, Saal B-301:
Mündliche Verhandlung des 28. Zivilsenats in dem Rechtsstreit
mit dem Az. 28 U 95/17 OLG Hamm
Die Klägerin aus Paderborn verlangt vom
beklagten Autohaus aus Salzkotten die Rückabwicklung eines im
Dezember 2013 abgeschlossenen Kaufvertrages über einen VW
Tiguan zum Kaufpreis von 29.400 Euro und der Inzahlunggabe
eines Altfahrzeugs der Klägerin.
Mit Urteil vom 12.04.2017 das Landgericht
Paderborn der Klage im Wesentlichen stattgegeben (Az. 4 O
477/16 LG Paderborn). Vom abgeschlossenen Kaufvertrag sei die
Klägerin, so das Landgericht, wirksam zurückgetreten.
Aufgrund der verwendeten Manipulationssoftware sei das
Fahrzeug mangelhaft. Eine angemessene Frist zur Nacherfüllung
habe die Klägerin der Beklagten erfolglos gesetzt. Zudem sei
der Mangel nicht unerheblich. Den gezahlten Kaufpreis
zuzüglich Wertersatz für das zwischenzeitlich veräußerte
Altfahrzeug der Klägerin habe die Beklagte gegen Rückgabe des
VW Tiguan und unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung
von ca. 8.200 Euro zu erstatten.
In der Berufungsinstanz verfolgt die
Beklagte ihr Ziel, die Abweisung der Klage zu erreichen,
weiter. Zum Verhandlungstermin am 10.04.2018 hat der Senat
das persönliche Erscheinen der Klägerin und eines Vertreters
der Beklagten angeordnet.
17. April 2018, 10:00 Uhr, Saal B-301:
Mündliche Verhandlung des 28. Zivilsenats in dem Rechtsstreit
mit dem Az. 28 U 96/17 OLG Hamm
Die Klägerin aus Dortmund verlangt vom
beklagten Hersteller aus Wolfsburg die Rückabwicklung eines
Kaufvertrages über einen VW Tiguan, den die Klägerin im März
2013 für einen Kaufpreis von ca. 49.800 Euro bei einer
Fahrzeughändlerin in Witten erworben hatte.
Mit Urteil vom 21.04.2017 hat das
Landgericht Bochum die Klage abgewiesen (Az. 2 O 364/16 LG
Bochum). Vom abgeschlossenen Kaufvertrag sei die Klägerin
nicht wirksam zurückgetreten, so das Landgericht. Die mit der
Manipulation der Abgaswerte begründete Rücktrittserklärung
sei nicht begründet. Sofern man in der Manipulation einen
Fahrzeugmangel sehe, sei dieser nicht erheblich. Er sei mit
einem Aufwand von weniger als 100 Euro zu beseitigen, was der
Klägerin zuzumuten sei.
In der Berufungsinstanz verfolgt die
Klägerin ihr Klageziel weiter. Zum Verhandlungstermin am
17.04.2018 hat der Senat das persönliche Erscheinen der
Klägerin und eines Vertreters der Beklagten angeordnet.
24. April 2018, 9:30 Uhr, Saal B-301:
Mündliche Verhandlung des 28. Zivilsenats in dem Rechtsstreit
mit dem Az. 28 U 45/17 OLG Hamm
Die Klägerin aus Hagen verlangt vom
beklagten Autohaus aus Soest die Rückabwicklung eines im
Dezember 2013 abgeschlossenen Kaufvertrages über einen VW
Beetle Cabriolet zum Kaufpreis von ca. 41.100 Euro.
Mit Urteil vom 27.01.2017 hat das
Landgericht Hagen die Klage abgewiesen (AZ. 9 O 68/16 LG
Hagen). Vom abgeschlossenen Kaufvertrag sei die Klägerin
nicht wirksam zurückgetreten, so das Landgericht. Ob der
Einbau der Manipulationssoftware als Mangel zu bewerten sei,
könne letztendlich offenbleiben. Die Klägerin habe vor ihrer
Rücktrittserklärung keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt,
deswegen sei ihr Rücktritt unwirksam. Eine solche
Fristsetzung sei nicht entbehrlich und der Klägerin auch
zuzumuten gewesen.
In der Berufungsinstanz verfolgt die
Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Zum Verhandlungstermin am
24.04.2018 hat der Senat das persönliche Erscheinen beider
Parteien angeordnet.
Sozialgericht
Detmold: Kein Krankengeld bei verspäteter Vorlage der
AU-Bescheinigung
|
Die 1986 geborene Klägerin war ab dem
01.06.2016 als Arbeitnehmerin beschäftigt. Sie erkrankte am
10.06.2016 arbeitsunfähig und kündigte sodann das
Arbeitsverhältnis zum 30.06.2016. Die AU-Bescheinigung vom
10.06.2016 ging am 01.07.2016 bei der Beklagten ein, die
wegen verspäteter Vorlage die Zahlung von Krankengeld
ablehnte.
Zu Recht, urteilte die 3. Kammer des
Sozialgerichts. Das Krankengeld ruht für den Zeitraum vom
10.06.2016 bis zum 30.06.2016 und kommt damit nicht zur
Auszahlung. Grund hierfür ist die verspätete Übersendung der
Bescheinigung.
Das Argument der Klägerin, sie habe nicht
gewusst, dass sie keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung
habe, überzeugte die Kammer nicht. Ein Verschulden des
behandelnden Arztes bei der Handhabung des Vordrucks kann
nicht der Beklagten zugerechnet werden.
Die gesetzliche Meldepflicht ist eine
Obliegenheit des Versicherten. Sie soll gewährleisten, dass
die Krankenkasse möglichst frühzeitig über das Fortbestehen
der Arbeitsunfähigkeit informiert und in die Lage versetzt
wird, vor der Entscheidung über den Krankengeldanspruch und
ggf. auch während des folgenden Leistungsbezugs den
Gesundheitszustand des Versicherten durch den Medizinischen
Dienst überprüfen zu lassen, um Zweifel an der ärztlichen
Beurteilung zu beseitigen und gegebenenfalls Maßnahmen zur
Sicherung des Heilerfolges und zur Wiederherstellung der
Arbeitsfähigkeit einleiten zu können. Versäumt der
Versicherte die Meldung, führt dies zu einem regelmäßig
endgültigen Verlust eines entstandenen und fälligen
Anspruchs.
Auf Organisationsmängel der Beklagten kann
sich die Klägerin nicht berufen. Die
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung trägt den eindeutigen
Hinweis: "Ausfertigung zur Vorlage bei der Krankenkasse".
Insoweit hätte der Klägerin klar sein müssen, dass sie die
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Krankenkasse zu
übersenden hat. Auf die Vorschriften im Gesetz über die
Entgeltfortzahlung (EntgFG) kann sich die Klägerin nicht
berufen, da sie von dem Arbeitgeber keine entsprechenden
Zahlungen verlangen konnte.
Außerdem lässt die gesetzliche Regelung im
EntgFG nach Auffassung der Richter nicht den Rückschluss zu,
dass der Versicherte sich darauf verlassen darf, der Arzt
werde die AU der Krankenkasse melden.
Sozialgericht Detmold, Urteil vom
12.01.2018, S 3 KR 824/16, nicht rechtskräftig
Sozialgericht Detmold: Verletzung beim
Eislaufen ist kein Arbeitsunfall
|
Die Klägerin, Teamleiterin einer
zehnköpfigen Abteilung einer Modefirma, begehrte mit ihrer
Klage die Anerkennung eines Unfalls auf einer Eisbahn als
Arbeitsunfall. Alle Mitarbeiter ihrer Einkaufsabteilung
hatten vorzeitig ihre Arbeit beendet und als teambildende
Maßnahme einen Ausflug zur Eisbahn unternommen. Beim Betreten
der Eisfläche ist sie ins Rutschen gekommen, gefallen und hat
sich dabei das Handgelenk gebrochen. Die beklagte
Berufsgenossenschaft sah keinen inneren Zusammenhang des
Unfalls mit der beruflichen Tätigkeit in der Modefirma und
lehnte den Antrag auf Anerkennung ab.
Zu Recht, wie die Richter des
Sozialgerichts Detmold urteilten. Die Klägerin sei während
des Eislaufens nicht als Beschäftigte der Modefirma
versichert gewesen. Zunächst habe die Teilnahme am Eislaufen
nicht zu ihren arbeitsvertraglich geschuldeten Pflichten als
Leiterin einer Einkaufsabteilung gehört. Selbst wenn ihr
Team zu motivieren und für ein gutes Betriebsklima in ihrem
Team zu sorgen als arbeitsvertragliche Pflichten der Klägerin
gewertet würden, sei sie ihrem Arbeitgeber gegenüber
lediglich zur Organisation von teambildenden Maßnahmen
verpflichtet, nicht aber zur aktiven Teilnahme – wie hier
beim Eislaufen.
Zwar kann sich auch ein
Versicherungsschutz bei der Teilnahme an einer betrieblichen
Gemeinschaftsveranstaltung, z.B. einer betrieblichen
Weihnachtsfeier ergeben. Eine Gemeinschaftsveranstaltung in
diesem Sinne habe jedoch nicht vorgelegen – so das
Sozialgericht. Hier mangelte es bereits an dem erforderlichen
Einvernehmen mit der Unternehmensleitung. Die
“teambildende Maßnahme“ war weder von der Unternehmensleitung
noch von der dem Team der Klägerin übergeordneten
Einkaufsleiterin als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung
angeregt oder organisiert worden. Die Beschäftigten des Teams
oder deren Teamleiterin wurden auch nicht von der
Unternehmensleitung mit der Durchführung dieser Veranstaltung
beauftragt. Die Initiierung der Organisation des Ausflugs
zur Eisbahn lediglich durch die Teamleiterin reicht nach
Auffassung der Kammer jedenfalls nicht aus, der Maßnahme den
Charakter einer von der Unternehmensleitung getragenen
betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung zu geben.
Gegen eine betriebliche
Gemeinschaftsveranstaltung spricht auch, dass die Teilnehmer
für den Ausflug zur Eisbahn keine Zeitgutschrift erhalten
haben. Außerdem werde der eher private Charakter der
Veranstaltung dadurch deutlich, dass die Klägerin - und nicht
etwa das Unternehmen - die Kosten der Veranstaltung getragen
habe. Private Veranstaltungen könnten, auch wenn sie
betriebsbedingt oder betriebsdienlich seien, den
Versicherungsschutz nicht begründen, selbst wenn sie von der
Unternehmensleitung geduldet oder gebilligt würden. Denn
letztendlich wirke sich jede gemeinsame Freizeitveranstaltung
positiv auf die Teamfähigkeit aus und fördere die
Kommunikation und den Zusammenhalt unter den Kollegen.
Sozialgericht Detmold, Urteil vom
09.02.2017, Aktenzeichen S 1 U 263/15, rechtskräftig
Sozialgericht:
Krankenkasse muss Krankengeld zahlen trotz
verspäteter Vorlage der AU-Bescheinigung
|
27. Februar 2018 -Sofern der Arzt die
Bescheinigung der AU nicht dem Versicherten aushändigt, muss
die Krankenkasse auch dann Krankengeld an den Versicherten
zahlen, wenn diese zu spät bei ihr eingeht.
Dies entschied das Sozialgericht
Detmold im Falle einer 1957 geborenen Klägerin, die auch nach
Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums krankgeschrieben war.
Sie hatte sich rechtzeitig zu ihrem Hausarzt begeben, um die
AU attestieren zu lassen. Der Arzt händigte das Formular, das
für den Versicherten zur Vorlage bei seiner Krankenkasse
bestimmt ist, aber nicht aus, sondern veranlasste die
Versendung an die Krankenkasse selbst. Unter anderem hierfür
hatte er zuvor von der Krankenkasse Freiumschläge zur
Verfügung gestellt bekommen. Als die Bescheinigung erst
nach Ablauf der einwöchigen Meldefrist bei der Beklagten
einging, verweigerte diese die Zahlung von Krankengeld für
die Zeit bis zur Vorlage der Bescheinigung.
Zu Unrecht, entschied das Sozialgericht.
Zwar muss der Versicherte grundsätzlich selbst für die
rechtzeitige Meldung der AU sorgen. Von dieser
Obliegenheitsverpflichtung gibt es jedoch Ausnahmen. Eine
Ausnahme ergibt sich aus dem Gesetz über die
Entgeltfortzahlung, da der Arzt danach verpflichtet ist, die
AU der Krankenkasse zu melden. Treten Verzögerungen bei
der Übermittlung der AU-Bescheinigung auf, muss sich die
Krankenkasse diese zurechnen lassen. Nach Auffassung der
Richter greift diese Rechtsfolge auch dann, wenn der Arzt
nach Ablauf der Entgeltfortzahlung ungefragt den Teil des
Vordrucks der AU-Bescheinigung, der zur Vorlage bei der
Krankenkasse bestimmt ist, nicht dem Versicherten aushändigt,
sondern die Weiterleitung selbst übernimmt.
Die Klägerin hatte nämlich keine
Möglichkeit, für den rechtzeitigen Zugang der Meldung zu
sorgen. Sie war insbesondere nicht verpflichtet, die
Krankenkasse über das Fortbestehen der AU auf andere Weise zu
informieren. Sie durfte sich vielmehr darauf verlassen, dass
der Arzt für eine rechtzeitige Übermittlung sorgt. Die Kammer
wertete dabei den Umstand, dass die Krankenkasse der
Arztpraxis Freiumschläge zur Verfügung stellt, als Hinweis
für die berechtigte Nutzung dieses Übermittlungsweges.
Der Arzt handelte daher innerhalb seiner berufsrechtlichen
Befugnisse als Vertragsarzt. Dann aber liegt das Risiko für
den verspäteten Zugang der AU-Bescheinigung bei der
Krankenkasse. Sie kann sich auch nicht darauf berufen, dass
der für den Versicherten vorgesehene Vordruck den Hinweis
enthält, dass eine verspätete Meldung zum Ausschluss von
Krankengeld führen kann.
Sozialgericht Detmold, Urteil vom
15.11.2017, S 5 KR 266/17, rechtskräftig
Lärm im Mehrfamilienhaus: Wo sind
die Grenzen?
|
Mietrecht: Nachbarn müssen permanenten Lärm
nicht hinnehmen – vor allem nicht in Ruhezeiten.
Ständige lautstarke Unterhaltungen, ein laut
aufgedrehter Fernseher sowie Kinderlärm bis weit nach 20 Uhr
abends gehen zu weit. Nach Informationen der D.A.S.
Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S. Leistungsservice)
verurteilte das Amtsgericht München eine Familie zur
Unterlassung und drohte bei Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld
an. AG München, Az. 281 C 17481/16
Hintergrundinformation: Lärm ist einer der häufigsten
Streitpunkte unter Nachbarn. Die sogenannten Ruhezeiten sind
häufig in Gemeindesatzungen über den Lärmschutz geregelt und
können sich daher von Gemeinde zu Gemeinde unterscheiden. Oft
finden sich dazu auch Regelungen im Mietvertrag oder in einer
damit verbundenen Hausordnung. Denn gerade in
Mehrfamilienhäusern ist gegenseitige Rücksichtnahme gefragt.
Der Fall: Aus der Hausordnung eines mehrstöckigen
Wohnhauses in München ging hervor, dass zwischen 12 und 14
Uhr sowie 20 und 7 Uhr Ruhe zu herrschen habe. Eine Familie
hielt sich nicht daran. Die Mieter fielen während der
Ruhezeiten immer wieder durch lautstarke Gespräche, Geschrei,
Telefonieren per Freisprecheinrichtung, Musikhören und
Fernsehen sowie Staubsaugen auf. Die Kinder waren häufig nach
20 Uhr noch aktiv: Schreien, Herumtrampeln und Seilspringen
waren an der Tagesordnung. Mehrmals in der Woche waren
zudem bis zu sechs weitere Kinder zu Besuch. Bitten um mehr
Ruhe beantwortete der Familienvater mit der Bemerkung, dass
er machen könne, was er wolle. Die
Wohnungseigentümergemeinschaft des Hauses verklagte die
Mieter schließlich auf Unterlassung.
Das Urteil: Das
Amtsgericht München gab der Eigentümergemeinschaft nach
Informationen des D.A.S. Leistungsservice Recht. Das Gericht
hatte die Nachbarn als Zeugen vernommen und von diesen
angefertigte Lärmprotokolle berücksichtigt, die Lärm bis nach
Mitternacht belegten. Dem Gericht zufolge waren Häufigkeit,
Lautstärke und Zeiten der Lärmentfaltung nicht mehr mit einer
normalen Wohnungsnutzung zu vereinbaren. Zwar sei bei Kindern
mit einem lebhaften und auch lauteren Verhalten zu rechnen.
Hier sei jedoch auch das Maß dessen überschritten
worden, was bei Kindern noch hinnehmbar sei. Dazu komme das
rücksichtslose Verhalten der Mieter, die sich schlicht
geweigert hätten, den Bitten der Nachbarn nachzukommen und
leiser zu sein. Das Gericht erlegte den Mietern daher auf,
übermäßigen Lärm in den Ruhezeiten künftig zu unterlassen.
Fernseher und andere Geräte seien nur in Zimmerlautstärke zu
betreiben und auch die Kinder sollten den üblichen Lärmpegel
nicht überschreiten. Bei Missachtung sei ein Ordnungsgeld
fällig. Amtsgericht München, Urteil vom 4. Mai 2017, Az.
281 C 17481/16
Bundesgerichtshof zur
Prüfungspflicht des Betreibers einer Internet-Suchmaschine (www.google.de)
bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen Urteil vom 27.
Februar 2018 - VI ZR 489/16 Karlsruhe, den 27.
Februar 2018 - Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
entschieden, dass der Betreiber einer Internet-Suchmaschine
nicht verpflichtet ist, sich vor der Anzeige eines
Suchergebnisses darüber zu vergewissern, ob die von den
Suchprogrammen aufgefundenen Inhalte
Persönlichkeitsrechtsverletzungen beinhalten. Der
Suchmaschinenbetreiber muss erst reagieren, wenn er durch
einen konkreten Hinweis von einer offensichtlichen und auf
den ersten Blick klar erkennbaren Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts Kenntnis erlangt.
Zum
Sachverhalt: Die Kläger nehmen die Beklagte in der Hauptsache
auf Unterlassung in Anspruch, bestimmte vermeintlich
persönlichkeitsrechtsverletzende Inhalte auf Drittseiten über
die Suchmaschine auffindbar zu machen. Die Beklagte, die
ihren Sitz in Kalifornien hat, betreibt die
Internetsuchmaschine "Google". Dabei durchsucht sie mit einer
Software kontinuierlich und automatisiert das Internet und
übernimmt die so ermittelten Internetseiten in einen
Suchindex. Die Daten gibt die Suchmaschine an die Nutzer
entsprechend dem eingegebenen Suchbegriff nach einem von der
Beklagten erstellten Algorithmus als Ergebnisliste aus und
verlinkt diese. Die Kläger, ein Ehepaar, sind
IT-Dienstleister. Der Kläger hatte ab Mitte Februar 2011
zumindest beim Aufsetzen eines Internetforums - nachfolgend:
F-Internetforum - geholfen. Mitglieder dieses Forums führten
mittels Beiträgen auf verschiedenen Forenseiten
Auseinandersetzungen mit Mitgliedern eines anderen
Internetforums. Den Mitgliedern des F-Internetforums
wurde u.a. vorgeworfen, Dritte zu stalken und zu
drangsalieren. Aufgrund einer von dem Kläger im Rahmen seiner
Tätigkeit für das F-Internetforum eingerichteten
E-Mail-Weiterleitung stellten Dritte die IP-Adresse und die
Identität des Klägers fest und gaben diese Informationen an
Mitglieder des mit dem F-Internetforum verfeindeten
Internetforums weiter. Letztere verfassten sodann auf den mit
der Klage beanstandeten Internetseiten Beiträge, in denen der
Kläger für Handlungen von Mitgliedern des F-Internetforums
(unter anderem angebliches Stalking) verantwortlich gemacht
wurde.
Die bei zielgerichteter Suche in der
Ergebnisliste der Beklagten nachgewiesenen Seiten enthielten
deshalb Inhalte, wonach der Kläger das F-Internetforum
betreibe, für die dort veröffentlichten Inhalte
(mit-)verantwortlich sei oder von den Inhalten des Forums
zumindest Kenntnis gehabt habe und die Klägerin von der Rolle
ihres Mannes in diesem Forum Kenntnis gehabt haben müsse.
Dabei wurden in Bezug auf die Kläger Worte gebraucht wie etwa
"Arschkriecher", "Schwerstkriminelle", "kriminelle Schufte",
"Terroristen", "Bande", "Stalker", "krimineller
Stalkerhaushalt".
Das Landgericht hat der
Unterlassungsklage teilweise stattgegeben. Das
Berufungsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der
vom Berufungsgericht zugelassenen Revision haben die Kläger
ihre Klageanträge weiterverfolgt. Die Entscheidung des
Senats: Die Revision hatte keinen Erfolg. Den Klägern stehen
gegen die Beklagte keine Ansprüche wegen Verletzung des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu. Die von den Klägern
beanstandeten Inhalte auf den Internetseiten, welche die
Beklagte durch Verlinkung auffindbar macht, sind keine
eigenen Inhalte der Beklagten. Sie wurden von anderen
Personen ins Internet eingestellt.
Die Beklagte hat
sich die Inhalte durch Aufnahme in den Suchindex auch nicht
zu Eigen gemacht. Die Beklagte durchsucht lediglich mit Hilfe
von Programmen die im Internet vorhandenen Seiten und
erstellt hieraus automatisiert einen Such-index. Zwar kann
die Beklagte grundsätzlich auch als sog. mittelbare Störerin
haften, wenn sie zu der Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts willentlich und mitursächlich beiträgt.
Denn die Beiträge im Internet, durch die sich die Kläger in
ihren Persönlichkeitsrechten verletzt sehen, werden durch die
Suchmaschine auffindbar gemacht.
Eine
Haftung des
Suchmaschinenbetreibers setzt aber die Verletzung von
Prüfpflichten voraus. Vom ihm kann vernünftigerweise
nicht erwartet werden, dass er sich vergewissert, ob die von
den Suchprogrammen aufgefundenen Inhalte rechtmäßig ins
Internet eingestellt worden sind, bevor er diese auffindbar
macht. Die Annahme einer - praktisch kaum zu
bewerkstelligenden - allgemeinen Kontrollpflicht würde die
Existenz von Suchmaschinen als Geschäftsmodell, das von der
Rechtsordnung gebilligt worden und gesellschaftlich erwünscht
ist, ernstlich in Frage stellen. Ohne die Hilfestellung einer
solchen Suchmaschine wäre das Internet aufgrund der nicht
mehr übersehbaren Flut von Daten für den Einzelnen nicht
sinnvoll nutzbar. Den
Betreiber einer Suchmaschine treffen daher erst dann
spezifische Verhaltenspflichten, wenn er durch einen
konkreten Hinweis Kenntnis von einer offensichtlichen und auf
den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung erlangt
hat.
Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall
nicht vor. Die beanstandeten Bezeichnungen der Kläger waren
zwar ausfallend scharf und beeinträchtigten ihre Ehre. Ihr
ehrbeeinträchtigender Gehalt stand aber nicht von vornherein
außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden
Verwendungskontextes. Denn die Äußerungen standen ersichtlich
im Zusammenhang mit der Rolle, welche der Kläger beim
F-Internetforum gespielt haben soll. Nach dem Inhalt der
beanstandeten Suchergebnisse werden den Mitgliedern des
F-Internetforums u.a. Stalking (Straftat i. S. des § 238
StGB) vorgeworfen. Die Beteiligung des Klägers an der
Erstellung des F-Internetforums hatten die Kläger nicht
zweifelsfrei klären können.
Der Kläger räumte selbst
ein, am "Aufsetzen" des F-Internetforums beteiligt gewesen zu
sein; auch war eine von ihm eingerichtete
E-Mail-Weiterleitung über das F-Internetforum an ihn noch
Wochen nach dem Aufsetzen des Forums aktiv. Über die eigene,
durch "eidesstattliche Versicherung" bekräftigte, jedoch
ziemlich allgemein gehaltene und pauschale Behauptung hinaus,
mit dem F-Internetforum nichts zu tun zu haben, hat der
Kläger keinerlei belastbare Indizien für die Haltlosigkeit
der ihm - und zumindest mittelbar in Form der Mitwisserschaft
seiner Frau, der Klägerin, - gemachten Vorwürfe aufgezeigt.
Eine offensichtliche und auf den ersten Blick klar erkennbare
Rechtsverletzung musste die Beklagte den beanstandeten
Äußerungen deshalb nicht entnehmen. Vorinstanzen:
Landgericht Köln vom 16. August 2015 – 28 O 14/14
Oberlandesgericht Köln vom 13. Oktober 2016 – 15 U 173/15
Bundesgerichtshof zur Räum- und
Streupflicht des Vermieters Urteil vom 21. Februar 2018 -
VIII ZR 255/16
Karlsruhe, den 21. Februar 2018 -
Sachverhalt und Prozessverlauf: Die Beklagte ist Eigentümerin
eines Anwesens in der Innenstadt von München, in welchem eine
Wohnung an die frühere Lebensgefährtin und jetzige Ehefrau
des Klägers vermietet war. Zwischen den Parteien steht nicht
in Streit, dass die Räum- und Streupflicht (Winterdienst) für
den Gehweg vor dem Grundstück der Beklagten grundsätzlich bei
der Stadt München, der Streithelferin der Beklagten, liegt.
Am 17. Januar 2010 stürzte der Kläger gegen 9.10 Uhr
beim Verlassen des Wohnhauses auf einem schmalen von der
Streithelferin nicht geräumten Streifen des öffentlichen
Gehwegs im Bereich des Grundstückseingangs vor dem Anwesen
der Beklagten. Hierbei zog er sich Frakturverletzungen am
rechten Knöchel zu. Die Streithelferin hatte den Gehweg
mehrfach geräumt und gestreut, wenn auch nicht auf der ganzen
Breite und auch nicht bis zur Schwelle des unmittelbar an den
Gehweg angrenzenden Anwesens der Beklagten. Die Beklagte
wiederum hatte keine Schneeräumarbeiten auf dem Gehweg
vorgenommen, weil sie ihrer Meinung nach dazu nicht
verpflichtet war. Die auf Zahlung materiellen
Schadensersatzes in Höhe von 4.291,20 €, eines angemessenen
Schmerzensgeldes (jeweils nebst Zinsen) sowie auf
Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige
materielle und immaterielle Schäden aus dem Unfall gerichtete
Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der unter
anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat
des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass ein Vermieter
und Grundstückseigentümer, dem die Gemeinde nicht (als
Anlieger) die allgemeine Räum- und Streupflicht übertragen
hat, regelmäßig nicht
verpflichtet ist, auch über die Grundstücksgrenze hinaus
Teile des öffentlichen Gehwegs zu räumen und zu streuen.
Zwar ist ein Vermieter aus dem Mietvertrag (in dessen
Schutzbereich vorliegend auch der Kläger als Lebensgefährte
der Mieterin einbezogen war) verpflichtet, dem Mieter während
der Mietzeit den Gebrauch der Mietsache und damit auch den
Zugang zum Mietobjekt zu gewähren (§ 535 Abs. 1 BGB).
Dazu gehört es grundsätzlich auch, die auf dem Grundstück der
vermieteten Wohnung befindlichen Wege, insbesondere vom
Hauseingang bis zum öffentlichen Straßenraum, zu räumen und
zu streuen. Die gleiche Pflicht trifft den Eigentümer eines
Grundstücks im Übrigen auch im Rahmen der allgemeinen
Verkehrssicherungspflicht (§ 823 Abs. 1 BGB) etwa gegenüber
Mietern, Besuchern und Lieferanten. Vorliegend ist der
Kläger allerdings nicht auf dem Grundstück, sondern auf dem
öffentlichen Gehweg gestürzt. Die dem Vermieter seinen
Mietern gegenüber obliegende (vertragliche)
Verkehrssicherungspflicht beschränkt sich jedoch regelmäßig
auf den Bereich des Grundstücks. Entsprechendes gilt für die
allgemeine (deliktische) Verkehrssicherungspflicht des
Eigentümers, sofern die Räum- und Streupflicht für den
öffentlichen Gehweg von der Gemeinde nicht auf die Eigentümer
(Anlieger) übertragen ist. Im Streitfall lag die
Verkehrssicherungspflicht für den
öffentlichen Gehweg vor dem Anwesen indes bei der
Streithelferin und nicht bei der insoweit vom Winterdienst
befreiten Beklagten. Eine Ausweitung der betreffenden
Verkehrssicherungspflicht über die Mietsache beziehungsweise
über das Grundstück hinaus kommt demgegenüber allenfalls
ausnahmsweise bei Vorliegen ganz außergewöhnlicher Umstände
in Betracht, die im Streitfall aber nicht gegeben waren.
Das Berufungsgericht hat es
daher mit Recht als dem Kläger zumutbar angesehen, mit der
gebotenen Vorsicht den schmalen, nicht geräumten Streifen des
Gehwegs zu überqueren, um zu dem (durch die Streithelferin)
von Schnee und Eis befreiten Bereich zu gelangen. Der
Senat hat die Revision des Klägers deshalb zurückgewiesen.
Die maßgeblichen Vorschriften lauten: § 535 BGB
Inhalt und Hauptpflichten des Mietvertrages (1) 1Durch den
Mietvertrag wird der Vermieter verpflichtet, dem Mieter den
Gebrauch der Mietsache während der Mietzeit zu gewähren. 2Der
Vermieter hat die Mietsache dem Mieter in einem zum
vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und
sie während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten. […] §
823 BGB Schadensersatzpflicht (1) Wer vorsätzlich oder
fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die
Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen
widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des
daraus entstehenden Schadens verpflichtet. […]
Vorinstanzen: LG München - Urteil vom 14. Januar 2016 – 2 O
28823/13 OLG München - Urteil vom 6. Oktober 2016 – 1 U
790/16
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Januar 2018 |
Räumen und Streuen: Welche
Pflichten dürfen Gemeinden an Anwohner öffentlicher
Straßen übertragen? Duisburg, 30. Januar 2018 -
Gemeinden übertragen ihre Räum- und
Streupflicht meist auf die Anwohner der jeweiligen
Straßen. Aber: Sie dürfen ihren Bürgern dabei nicht
mehr Pflichten zumuten, als sie selbst haben. Gibt es
an einer Straße beidseitig keinen Gehweg, reicht es
grundsätzlich aus, nur auf einer Seite eine Laufspur
für Fußgänger freizuräumen. Die Gemeinde kann
nicht verlangen, dass dies auf beiden Seiten
geschieht. Dies entschied laut D.A.S. Rechtsschutz
Leistungs-GmbH (D.A.S. Leistungsservice) das
Oberlandesgericht Karlsruhe. OLG Karlsruhe, Az. 9 U
143/13
Hintergrundinformation: Die
winterliche Räum- und Streupflicht auf öffentlichen
Straßen und Gehwegen innerhalb eines Ortes liegt bei
den Gemeinden. Üblicherweise übertragen sie die
entsprechende Betreuung der Gehwege mithilfe einer
kommunalen Satzung auf die Anlieger. Oft
enthalten die Satzungen genaue Angaben darüber, zu
welchen Uhrzeiten und in welcher Breite die Anwohner
die Gehwege von Schnee befreien und Eis mit
abstumpfenden Mitteln bestreuen müssen. Kommen die
Anwohner diesen Pflichten nicht nach und geschieht
daraufhin ein Unfall, haften sie zivilrechtlich
gegenüber dem Geschädigten. Es drohen Schadenersatz
und Schmerzensgeld. Manchmal legt die Gemeinde
Anwohnern aber auch Pflichten auf, die sie selbst
nicht hat. Dann kann die Satzung unwirksam sein.
Der Fall: Eine Gemeinde hatte in ihrer Satzung
die Anwohner von Straßen ohne Gehwege dazu
verpflichtet, auf beiden Straßenseiten eine Spur für
Fußgänger freizuräumen beziehungsweise bei Eisglätte
zu streuen. Durch winterliche Glätte stürzte nun an
einer solchen Straße ein Fußgänger. Dieser berief
sich darauf, dass der Anlieger seiner
Schneeräumpflicht nicht nachgekommen sei. Der
Anwohner wehrte sich mit dem Argument, dass ihm die
Gemeinde eine so weitgehende Schneeräumpflicht gar
nicht hätte übertragen dürfen. Er war daher der
Meinung, dass er dafür nicht hafte.
Das
Urteil: Das Oberlandesgericht Karlsruhe erläuterte
nach Informationen des D.A.S. Leistungsservice, dass
die Gemeinde nicht mehr Pflichten auf ihre Bürger
übertragen könne, als sie selbst habe. Die Gemeinde
selbst wäre bei einer Straße ohne Gehwege nämlich nur
verpflichtet gewesen, auf einer beliebigen Seite eine
Laufspur für Fußgänger freizuräumen. Daher könnte die
Gemeinde die Anwohner nicht per Satzung dazu
verpflichten, auf beiden Seiten Schnee zu schaufeln.
Die Regelung in der Satzung sei unwirksam.
Dementsprechend hafte der Beklagte nicht für den
Unfall. Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss
vom 31. März 2014, Az. 9 U 143/13
Verwaltungsgericht
Düsseldorf: Kein Anspruch der Umwelthilfe auf
Stilllegung von Fahrzeugen mit Dieselmotoren des Typs
EA 189 EU5
Düsseldorf, 24. Januar 2018 - Die
Klage der Deutschen Umwelthilfe e.V. gegen die Stadt
Düsseldorf auf Stilllegung von Dieselfahrzeugen, die
mit dem Motorenaggregat EA 189 EU5 des
Volkswagen-Konzerns ausgestattet sind, ist mangels
Klagebefugnis des Umweltverbandes bereits unzulässig.
Außerdem ist die Klage unbegründet, weil die
laufenden Nachrüstungen dazu führen, dass die
betroffenen Autos die maßgeblichen
Emissionsgrenzwerte einhalten. Das hat die 6. Kammer
des Verwaltungsgerichts Düsseldorf mit heute in
öffentlicher Sitzung verkündetem Urteil entschieden
und damit die Klage abgewiesen.
Die Deutsche Umwelthilfe will mit
der Klage erreichen, dass der Betrieb aller in
Düsseldorf zugelassenen Kraftfahrzeuge mit dem o.a.
Motorentyp unterbunden wird. Die Fahrzeuge sind ab
Werk mit einer unzulässigen Abgas-Abschalteinrichtung
ausgestattet. Nachdem das Kraftfahrt-Bundesamt
gegenüber dem Volkswagen-Konzern angeordnet hatte,
die entsprechende Software auszuwechseln, erhalten
die Fahrzeuge im Rahmen einer Rückrufaktion ein
Software-Update, das die Abschaltvorrichtung
entfernt.
Das Gericht hat nun entschieden,
dass der Deutschen Umwelthilfe ein Klagerecht nicht
zusteht. In der mündlichen Urteilsbegründung hat der
Vorsitzende Richter ausgeführt: Zur Begründung einer
Klagebefugnis sei grundsätzlich notwendig, dass ein
Kläger eine Verletzung in eigenen Rechten geltend
mache. Daran fehle es, da der Umweltverband allein
Verstöße gegen objektiv-rechtliche Vorschriften des
Umweltrechts rüge. Ein Klagerecht könne auch
nicht aus § 2 Abs. 1 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes
hergeleitet werden. Denn das Gesetz habe die
Entscheidungen, die Gegenstand von Klagerechten sein
könnten, abschließend geregelt. Es erfasse die
straßenverkehrsrechtliche Zulassung eines Fahrzeugs
bzw. dessen Außerbetriebsetzung nicht. Aus
einschlägigen europarechtlichen Normen folge
ebenfalls kein Klagerecht.
Die Klage habe darüber hinaus auch
in der Sache keinen Erfolg. Nach Durchführung des
Software-Updates liefen die Motoren dauerhaft in dem
Modus, der auf dem Rollenprüfstand die Grenzwerte
einhalte. Die Abschalteinrichtung sei deaktiviert.
Nach dem EU-Kfz-Zulassungsrecht komme es nur darauf
an, die Grenzwerte auf dem Rollenprüfstand
einzuhalten. Der Abgasausstoß auf der Straße sei
zulassungsrechtlich unerheblich. Dabei obliege es den
Straßenverkehrszulassungsbehörden festzulegen, bis
wann Fahrzeuge, die noch kein Software-Update
enthalten hätten, spätestens nachzurüsten seien. Erst
wenn zu diesem Zeitpunkt keine Nachrüstung
vorgenommen worden sei, könnten die Fahrzeuge
stillgelegt werden.
Wegen der grundsätzlichen
Bedeutung hat die Kammer sowohl die Berufung zum
Oberverwaltungsgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen in Münster als auch die
Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht in
Leipzig zugelassen. Das jeweilige Rechtsmittel ist
innerhalb eines Monats nach Zustellung des
schriftlichen Urteils einzulegen. Az. 6 K
12341/17
Auf Eis ausgerutscht in
der Autowaschbox: Wer haftet?
München/Duisburg, 23. Januar 2018 - Auf einem
Selbstbedienungs-Autowaschplatz müssen Kunden im
Winter damit rechnen, dass sich durch das von ihnen
selbst verursachte Spritzwasser Eis bildet. Sie
können nicht erwarten, dass das Personal regelmäßig
streut. Rutscht ein Kunde auf Eis aus, das sich durch
das Waschen des eigenen Autos gebildet hat, haftet
der Betreiber nicht. So entschied laut D.A.S.
Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S. Leistungsservice)
das Oberlandesgericht Hamm. OLG Hamm, Az. 9 U 171/14
Hintergrundinformation: Auch bei
Gewerbegrundstücken gilt die sogenannte
Verkehrssicherungspflicht. Das bedeutet: Der
Geschäftsinhaber muss im Rahmen des Zumutbaren dafür
sorgen, dass seinen Kunden auf seinem Gelände keine
Gefahren drohen. Allerdings schränken die
Gerichte die Verkehrssicherungspflicht in einigen
Punkten ein. Eine Räum- und Streupflicht im Winter
besteht zum Beispiel grundsätzlich nur dann, wenn
durch das Wetter eine allgemeine Schnee- oder
Eisglätte herrscht. Dann sollten sich aber auch
Passanten und Kunden vorsichtig verhalten. Der Fall:
Eine Frau hatte Anfang Februar gegen 13 Uhr auf einem
Selbstbedienungs-Waschplatz ihr Auto gewaschen.
Obwohl der Rest des Geländes trocken und eisfrei war,
bildeten sich beim Waschen in der Waschbox durch
Spritzwasser offenbar einige vereiste Stellen. Die
Waschplatz-Kundin rutschte darauf aus und verletzte
sich. Sie verklagte den Platzbetreiber auf
Schadenersatz und Schmerzensgeld. Er hätte ihrer
Meinung nach gegen Glatteisbildung streuen müssen.
Das Urteil: Das Oberlandesgericht Hamm wies
nach Informationen des D.A.S. Leistungsservice die
Klage ab. Zwar habe grundsätzlich auch der
Betreiber eines SB-Waschplatzes eine
Verkehrssicherungspflicht im Hinblick auf
betriebsbedingte Gefahrenquellen. Im Winter seien an
diese Pflicht sogar erhöhte Anforderungen zu stellen.
Hier sei die Glatteisbildung jedoch nicht durch Regen
oder Schnee ausgelöst worden, sondern durch die
Kundin selbst, als sie ihr Auto wusch. Sie selbst
habe ausgesagt, dass es keine allgemeine Glätte,
sondern höchstens einzelne vereiste Stellen um ihr
Auto herum gegeben habe.
Das Gericht
erklärte, dass von einem Waschplatzbetreiber im
Winter nicht zu erwarten sei, jede Autowaschbox nach
jeder Wäsche auf mögliche Eisbildung zu
kontrollieren. Obendrein sei fraglich, wie der
Betreiber dieser denn vorbeugen solle, da das Streuen
mit Streusalz oder Granulat in der Box bei laufendem
Waschbetrieb wohl etwas sinnlos sei – beides sei
schnell wieder fortgespült. Vom Betreiber könne
der Kunde nur Vorkehrungen verlangen, die
erforderlich und zumutbar seien. Bei einem
preisgünstigen SB-Waschplatz könne der Kunde nicht
erwarten, dass durchgehend Personal vor Ort sei.
Außerdem wisse jeder, dass bei winterlichen
Temperaturen auf den Boden gespritztes Wasser
gefrieren kann. Besondere Warnschilder, die auf diese
Gefahr hinweisen, seien nicht erforderlich. Das
Gericht sprach der Kundin damit keinerlei Ansprüche
zu. Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 22. Mai
2015, Az. 9 U 171/14
Befristung des
Arbeitsvertrags eines Lizenzspielers der
Fußball-Bundesliga: Kein "Erdbeben" wie beim Fall
Jean-Marc Bosman 1995 Bundesarbeitsgericht, 16
Januar 2018 - Die Befristung von Arbeitsverträgen mit
Lizenzspielern der Fußball-Bundesliga ist regelmäßig
wegen der Eigenart der Arbeitsleistung des
Lizenzspielers nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG
gerechtfertigt. Der Kläger war bei dem beklagten
Verein seit dem 1. Juli 2009 als Lizenzspieler
(Torwart) in der 1. Fußball-Bundesliga beschäftigt.
Grundlage des Arbeitsverhältnisses bildete zuletzt
der Arbeitsvertrag vom 7. Juli 2012, der eine
Befristung zum 30. Juni 2014 und eine Option für
beide Parteien vorsieht, den Vertrag bis zum 30. Juni
2015 zu verlängern, wenn der Kläger in der Saison
2013/2014 in mindestens 23 Bundesligaspielen
eingesetzt wird.
Nach dem Vertrag erhält der
Kläger eine Punkteinsatzprämie und eine
Erfolgspunkteinsatzprämie für Ligaspiele, in denen er
von Beginn an oder mindestens 45 Minuten eingesetzt
ist. Der Kläger absolvierte in der Saison 2013/2014
neun der ersten zehn Bundesligaspiele. Am elften
Spieltag wurde er in der Halbzeit verletzt
ausgewechselt und in den verbleibenden Spielen der
Hinrunde verletzungsbedingt nicht mehr eingesetzt.
Nach Beendigung der Hinrunde wurde der Kläger nicht
mehr zu Bundesligaspielen herangezogen, sondern der
zweiten Mannschaft des Beklagten zugewiesen.
Der Kläger hat die Feststellung begehrt, dass das
Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der
vereinbarten Befristung am 30. Juni 2014 geendet hat.
Hilfsweise hat er den Fortbestand des
Arbeitsverhältnisses infolge der von ihm ausgeübten
Verlängerungsoption bis zum 30. Juni 2015 geltend
gemacht. Ferner hat er die Zahlung von Punkte- und
Erfolgspunkteprämien für die Spiele der Rückrunde der
Saison 2013/2014 iHv. 261.000,00 Euro verlangt. Das
Arbeitsgericht hat dem Befristungskontrollantrag
stattgegeben und den Zahlungsantrag abgewiesen.
Das Landesarbeitsgericht hat die Klage insgesamt
abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem
Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen
Erfolg. Die Befristung des Arbeitsvertrags
ist wirksam. Sie ist wegen der Eigenart der
Arbeitsleistung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG
gerechtfertigt. Im kommerzialisierten und
öffentlichkeitsgeprägten Spitzenfußballsport werden
von einem Lizenzspieler im Zusammenspiel mit der
Mannschaft sportliche Höchstleistungen erwartet und
geschuldet, die dieser nur für eine begrenzte Zeit
erbringen kann. Dies ist eine Besonderheit, die
in aller Regel ein berechtigtes Interesse an der
Befristung des Arbeitsverhältnisses begründet. Da der
Kläger nur in zehn Bundesligaspielen der Hinrunde der
Saison 2013/2014 eingesetzt wurde, sind die
Voraussetzungen der Verlängerungsoption und des
geltend gemachten Prämienanspruchs für die Spiele der
Rückrunde nicht erfüllt. Der Beklagte hat die
Erfüllung dieser Voraussetzungen nicht treuwidrig
vereitelt. Bundesarbeitsgericht Urteil vom 16.
Januar 2018 - 7 AZR 312/16 - Vorinstanz:
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil vom 17.
Februar 2016 - 4 Sa 202/15 -
Grundsteuer: Einfach und
transparent geht! Bund der Steuerzahler zur
Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht
Dienstag, 16. Januar 2018 - Die heutige mündliche
Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht
zur Grundsteuer hat berechtigte Zweifel an der
Verfassungsmäßigkeit deutlich gemacht. Das aktuelle
Verfahren zur Wertermittlung ist intransparent,
veraltet und bewirkt keine gleichmäßige Besteuerung.
„Deshalb sollte jetzt schleunigst an einem
Einfachmodell gearbeitet werden”, fordert der
Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner
Holznagel. „Die Verhandlung hat gezeigt, dass
die Finanzverwaltung vor allem an das Aufkommen
denkt, nicht aber an die Steuerzahler. Zudem wurde
sehr deutlich, dass sich die Digitalisierung in
diesem Bereich eher zu einer großen Datenkrake
entwickelt als zu einer effizienten Verwaltung”,
betont Holznagel. Insbesondere aus der Hamburger
Verwaltung kamen aber erfreuliche Signale, dass ein
einfaches Bewertungsmodell schneller umsetzbar wäre
als das bisher von 14 Bundesländern vorgeschlagene
Kostenwertmodell. Auch der Bund der Steuerzahler
hat in seinen Stellungnahmen auf ein solches Modell
verwiesen, das eine schnelle Umsetzung möglich macht.
Dieser Punkt dürfte vor allem wichtig sein, weil das
Gericht möglicherweise keine langfristige
Übergangszeit gewähren wird. Zum Hintergrund
Konkret stehen die Bewertungsregeln für die
Grundstücke auf dem Prüfstand. Dieser Wert ist
Ausgangsgröße für die Berechnung der Steuer. Das
Problem: Die sogenannten Einheitswerte werden auf
Grundlage der Wertverhältnisse des Jahres 1964 in den
westlichen bzw. 1935 in den östlichen Bundesländern
ermittelt. Genau darüber beschweren sich die
Kläger bzw. Beschwerdeführer beim Gericht: Die
Steuerzahler sehen einen Verstoß gegen Artikel 3 GG
(Gleichheitsgrundsatz), weil Veränderungen im
Gebäudebestand und auf dem Immobilienmarkt – wegen
der Rückanknüpfung an die Jahre 1935/1964 – nicht
ausreichend bei der Bewertung der Grundstücke
berücksichtigt werden. Zudem richten sich die
Beschwerden gegen die Anwendung zweier
unterschiedlicher Bewertungsverfahren, die für
dasselbe Grundstück zu völlig unterschiedlichen
Ergebnissen führen können („Ertrags- und
Sachwertverfahren“). Unsere Service-Hotline für
interessierte Bürger: 0800 / 883 83 88
Verwaltungsgericht
Düsseldorf: Sonntagsarbeit bei Amazon rechtswidrig
Düseldorf/Duisburg, 16. Januar
2018 - Die der Amazon Fulfillment Germany GmbH in
Rheinberg erteilte Bewilligung, Arbeitnehmer an den
Adventssonntagen des 13. und 20. Dezember 2015
ausnahmsweise zu beschäftigen, war rechtswidrig und
verletzte die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
ver.di in ihrem Grundrecht auf Vereinigungs- und
Koalitionsfreiheit. Das hat die 29. Kammer des
Verwaltungsgerichts Düsseldorf mit heute in
öffentlicher Sitzung verkündetem Urteil entschieden.
Der Einsatz der Arbeitskräfte an
zwei Adventsonntagen war Amazon durch die
Bezirksregierung Düsseldorf nach dem
Arbeitszeitgesetz erlaubt worden. Hiergegen hatte die
Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Klage
erhoben, der das Gericht nun stattgegeben hat.
Für das Gericht war nicht
erkennbar, dass Amazon ohne Bewilligung der
Sonntagsarbeit ein so großer Schaden entstanden wäre,
dass dieser das Interesse am Erhalt der Sonntagsruhe
hätte überwiegen können. Zur Begründung hat das
Gericht im Wesentlichen ausgeführt, es sei
zweifelhaft, ob das üblicherweise auftragsstarke
Weihnachtsgeschäft eine vom Normalzustand abweichende
Sondersituation darstelle, die Sonntagsarbeit
ausnahmsweise rechtfertigen könne. Jedenfalls
habe Amazon nicht zur Überzeugung des Gerichts
nachgewiesen, dass ihr ohne die Sonntagsarbeit ein
unverhältnismäßiger Schaden drohe, der mit anderen
zumutbaren Mitteln nicht hätte verhindert oder
gemildert werden können. Vielmehr habe Amazon durch
das Festhalten an eng bemessenen Lieferfristen und
die Abgabe eines "Same-Day-Delivery"-Versprechens
auch im Weihnachtsgeschäft die Erwartungshaltung
ihrer Kunden und den dadurch entstandenen Lieferdruck
selbst herbeigeführt. Sie habe es damit versäumt, dem
Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe durch eine
entsprechende Ausgestaltung ihres Geschäftsmodells in
der Vorweihnachtszeit hinreichend Rechnung zu tragen.
Gegen das Urteil ist der Antrag
auf Zulassung der Berufung beim
Oberverwaltungsgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen in Münster möglich.
Aktenzeichen: 29 K 8347/15
Neue Unterhaltsleitlinien
des Oberlandesgerichts Köln
Köln/Duisburg, 04. Januar 2018 - Die wichtigsten
Änderungen der Familiensenate betreffen die bereits
veröffentlichte Aktualisierung der Düsseldorfer
Tabelle zum Kindesunterhalt (vgl. Anhang I und II der
Leitlinien). Der Mindestunterhalt für Kinder der
ersten Altersstufe ist auf 348 Euro, für Kinder der
2. Altersstufe auf 399 Euro und der dritten
Altersstufe auf 467 Euro angehoben worden. Dies führt
zu einer Änderung der Bedarfssätze auch in den
höheren Einkommensgruppen der Düsseldorfer Tabelle.
Die Bedarfssätze für volljährige Kinder der
vierten Altersstufe bleiben hingegen unverändert. Die
Tabelle Zahlbeträge trägt der Erhöhung des
Kindergeldes ab dem 01.01.2018 auf 194 Euro für das
erste und zweite Kind, auf 200 Euro für das dritte
Kind und auf 225 Euro für das vierte Kind Rechnung.
Das Kindergeld ist bei minderjährigen Kindern in der
Regel zur Hälfte und bei volljährigen Kindern in
vollem Umfang auf den Barunterhaltsbedarf
anzurechnen. Änderungen in den Kölner
Unterhaltleitlinien finden sich in Ziffern 10.2.3
(Erhöhung des ausbildungsbedingten Mehrbedarfs von 90
Euro auf 100 Euro), 11 (Erläuterung des
Tabellenunterhalts), 12.3 (Barunterhalt beim
Wechselmodell) und 12.4 (Betreuungsbedarf als
Mehrbedarf des Kindes) sowie 15.3 (Anpassung des
Eingangsbetrags für die konkrete Bedarfsberechnung an
die 10. Einkommensgruppe der Düsseldorfer
Kindesunterhaltstabelle). Die
Unterhaltsleitlinien sind von den Familiensenaten des
Oberlandesgerichts Köln erarbeitet worden, um
Anwendungshilfen für häufig wiederkehrende
unterhaltsrechtliche Fallgestaltungen zu geben und in
praktisch bedeutsamen Unterhaltsfragen eine möglichst
einheitliche Rechtsprechung im gesamten
Gerichtsbezirk zu erzielen. Die Leitlinien können
die Familienrichter allerdings nicht binden. Sie
sollen die angemessene Lösung des Einzelfalls - dies
gilt auch für die "Tabellen-Unterhaltssätze" - nicht
antasten. Die neu gefassten Leitlinien stehen ab
sofort auf der Homepage des Oberlandesgerichts Köln
(www.olg-koeln.nrw.de) unter der Rubrik
"Rechts-Infos" zur Verfügung:
http://www.olg-koeln.nrw.de/infos/unterhaltsleitlinien/index.php
Baurecht: Seit dem 1. Januar 2018 gibt es neue Regeln
für Häuslebauer
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München/Duisburg, 02. Januar 2018 - Zum 1. Januar
2018 ist das im April 2017 verabschiedete neue
Bauvertragsrecht in Kraft getreten. Laut D.A.S.
Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S. Leistungsservice)
profitieren private Bauherren ab sofort von mehr
Verbraucherschutz.
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• Bauvertrag neuer Vertragstyp:
Bisher
richteten sich Verträge zwischen privaten Bauherren
und Bauunternehmern nach dem allgemeinen
Werkvertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).
Nach Mitteilung des D.A.S. Leistungsservice hat der
Gesetzgeber nun den Hausbau umfassend neu geregelt
und im BGB den Bauvertrag als eigenen Vertragstyp
eingeführt. Besondere Vorschriften gibt es für den
Verbraucherbauvertrag (§ 650i BGB), also für Verträge
zwischen einem privaten Bauherrn und einem
Bauunternehmer.
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Widerrufsrecht: Verbraucher als
Bauherren haben künftig nach Vertragsabschluss ein
14-tägiges Widerrufsrecht. Sie können damit
vorschnelle Entscheidungen rückgängig machen. Belehrt
der Unternehmer den Bauherren nicht über dieses
Recht, verlängert sich die Widerrufsfrist auf bis zu
12 Monate und 14 Tage. Das Widerrufsrecht gilt jedoch
nicht für notariell beurkundete Verträge. Sind in den
14 Tagen bereits Leistungen erfolgt, die der Bauherr
nicht einfach zurückgeben kann, muss er dem
Unternehmer Wertersatz leisten.
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Baubeschreibung: Bauunternehmer
sind nun verpflichtet, Verbrauchern vor
Vertragsabschluss eine ausführliche Baubeschreibung
über die geplanten Arbeiten zu übergeben. Sie ist
verbindlicher Vertragsbestandteil und ermöglicht eine
bessere Kontrolle, ob am Ende wirklich alles wie
beabsichtigt ausgeführt ist. Die Pflicht entfällt,
wenn der Bauherr den Architekten stellt.
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Planungsunterlagen: Liegt die
Planung in den Händen des Bauunternehmers, ist er ab
sofort verpflichtet, dem Bauherrn rechtzeitig vor
Baubeginn die Planungsunterlagen zu geben, damit
dieser die notwendigen behördlichen Genehmigungen
erwirken kann.
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Terminierung:
Der Bauvertrag muss jetzt einen verbindlichen Termin
für die Fertigstellung enthalten. Hält der
Bauunternehmer diesen nicht ein, macht er sich
schadenersatzpflichtig. So kann der Bauherr zum
Beispiel verlangen, ihm die wegen des verzögerten
Einzugs länger gezahlte Miete zu ersetzen. Ist bei
Vertragsabschluss noch keine Angabe zum
Fertigstellungstermin möglich – weil etwa der
Kaufvertrag über das Grundstück noch nicht
abgeschlossen ist – muss der Unternehmer zumindest
die Dauer des Bauprojekts angeben.
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Abschlagszahlungen:
Eine Reihe von neuen Regeln gibt es auch zu den beim
Hausbau üblichen Abschlagszahlungen. Diese dürfen
insgesamt 90 Prozent der für den Bau vereinbarten
Gesamtsumme nicht überschreiten. So kann der Bauherr
am Ende noch zehn Prozent des Geldes zurückhalten,
falls der Unternehmer mangelhaft gearbeitet hat. Die
Auszahlung erfolgt, wenn die Mängel beseitigt sind.
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Bauabnahme:
Neu ist außerdem, dass die Abnahme des Bauwerks
automatisch als erfolgt gilt, wenn der Bauherr nicht
auf eine entsprechende Fristsetzung des Unternehmers
reagiert. In diesem Fall muss der Bauherr die letzte
Abschlagszahlung überweisen, egal ob Mängel vorhanden
sind oder nicht. Ist der Bauherr eine Privatperson,
muss ihn der Bauunternehmer vorher auf diesen
Mechanismus hinweisen.
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Baukammern:
Um die meist jahrelangen Prozesse um Baumängel zu
beschleunigen, gibt es an den Landgerichten für das
Baurecht künftig eigene Abteilungen, die sogenannten
Baukammern.
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Bundesgesetzblatt 2017 Teil I,
Nr. 23, S. 969
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